Photo Gallery

Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas

Von A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada
Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas
Kṛṣṇa - Der Höchste Persönliche Gott
Originale Version 1. Auflage 1974
84. Kapitel:
 
Krishna
 
Śrī Kṛṣṇa unterweist Vasudava in spirituellem Wissen und bringt Devakī ihre sechs toten Söhne zurück


 

Es ist ein vedischer Brauch, daß die jüngeren Mitglieder der Familie jeden Morgen den älteren Persönlichkeiten ihre Achtung erweisen. Die Kinder oder Schüler sind gehalten, insbesondere am Morgen den Eltern bzw. dem geistigen Meister ihre Ehrerbietungen darzubringen. Auch Śrī Kṛṣṇa und Balarāma befolgten dieses vedische Prinzip und pflegten Ihrem Vater Vasudeva und seinen Frauen Ihre Ehrerbietungen zu erweisen. Als Kṛṣṇa und Balarāma eines Tages, nach der Rückkehr von den Opferzeremonien in Kurukṣetra, zu Vasudeva gingen, um ihm Ihre Ehrerbietungen darzubringen, nahm Vasudeva die Gelegenheit wahr, die Erhabenheit seiner beiden Söhne zu preisen. Vasudeva war von den großen Weisen, die an dem Pilgerort zusammengekommen waren, die Möglichkeit gegeben worden, Kṛṣṇas und Balarāmas hohe Stellung zu begreifen. Nicht nur hörte er von den großen Weisen, sondern er hatte schon mehrfach selbst tatsächlich erlebt, daß Kṛṣṇa und Balarāma keine gewöhnlichen Menschen, sondern höchst außergewöhnliche Persönlichkeiten waren. Deshalb glaubte er den Weisen, als sie sagten, daß seine Söhne Kṛṣṇa und Balarāma der Höchste Persönliche Gott seien.

Mit festem Glauben an seine Söhne sagte er zu Ihnen: »Mein lieber Kṛṣṇa, Du bist die sac-cid-ānanda-vigraha, der Höchste Persönliche Gott, und Du, mein lieber Balarāma, bist Saṅkarṣaṇa, der Meister aller mystischen Kräfte. Ich habe nun begriffen, daß Ihr ewig seid. Ihr beide seid transzendental zur materiellen Manifestation und ihrer Ursache, der Höchsten Person Mahā-Viṣṇu. Ihr seid der ursprüngliche Beherrschende aller Dinge; Ihr seid der Ruheort der kosmischen Manifestation; Ihr seid ihr Schöpfer und zugleich die zu ihrer Schöpfung nötigen Bestandteile, und Ihr seid der Meister der kosmischen Manifestation, die im Grunde nur für Eure Spiele geschaffen wurde.

Die verschiedenen Phasen des materiellen Kosmos, die sich von seinem Anfang bis zu seinem Ende unter verschiedenen Zeitformeln manifestierten, seid ebenfalls Ihr, denn Ihr seid sowohl die Ursache als auch die Wirkung dieser Manifestation. Die beiden Aspekte der materiellen Welt, nämlich der Herrscher und das Beherrschte, seid ebenfalls Ihr, und Ihr seid der höchste transzendentale Herrscher, der über ihnen steht; daher entzieht Ihr euch dem Wahrnehmungsvermögen unserer Sinne. Ihr seid die Höchste Seele, ungeboren und unwandelbar. Ihr werdet nicht von den sechsfachen Wandlungen betroffen, die im materiellen Körper stattfinden. Die wundervollen mannigfaltigen Manifestationen in der materiellen Welt werden ebenfalls von Euch geschaffen, und als die Überseele seid Ihr in jedes Lebewesen und selbst in die Atome eingegangen. O Herr, Du bist der Erhalter alles Bestehenden.

Die Lebenskraft, die als das Lebensprinzip in allem wirkt, und die Schaffenskraft, die von ihr kommt, wirken nicht unabhängig, sondern sind von Dir, der Höchsten Person hinter diesen Kräften, abhängig. Ohne Deinen Willen können sie nichts ausrichten. Die materielle Energie hat keine Kenntnis. Sie kann nicht unabhängig wirken, d. h. ohne von Dir in Bewegung gesetzt zu werden. Weil die materielle Natur von Dir abhängig ist, können die Lebewesen in ihr lediglich versuchen zu handeln, jedoch sind sie nicht fähig, ohne Dein Einverständnis oder gegen Deinen Willen etwas zu unternehmen oder das gewünschte Ergebnis ihrer Bemühungen zu erlangen.

Lieber Herr, die ursprüngliche Energie geht ebenfalls von Dir aus. Der Schein des Mondes, die Hitze des Feuers, die Strahlen der Sonne, das Leuchten der Sterne und der mächtige elektrische Blitz, das Gewicht der Berge, die Kraft der Erde und ihr Duft - all diese Dinge sind verschiedene Manifestationen Deinerselbst. Auch der reine Geschmack des Wassers und die Kraft, die alles Leben erhält, sind Aspekte Deinerselbst, o Herr. Das Wasser und sein Geschmack sind ebenfalls Du.

Mein lieber Herr, die Macht der Sinne, die Fähigkeit des Geistes, zu denken, zu fühlen und zu wollen, wie auch die Stärke, die Bewegungen und das Wachstum des Körpers scheinen zwar von den sich bewegenden Lüften im Körper bewirkt zu werden, doch letzten Endes sind sie alle Manifestationen Deiner Energie. Auch ruht die Weite des Weltalls in Dir. Das Schwingen im Äther, das Donnern am Himmel, der höchste Klang oṁkāra und die Bildung verschiedener Wörter zur Unterscheidung einer Sache von einer anderen sind symbolische Repräsentationen Deinerselbst. Alles bist Du. Die Sinne, die Beherrscher der Sinne, die Halbgötter, das Erwerben von Wissen, das die Aufgabe der Sinne ist, sowie der Gegenstand des Wissens - das bist alles Du. Die Entscheidungskraft der Intelligenz und das scharfe Gedächtnis eines Lebewesens sind ebenfalls Du. Du bist das egoistische Prinzip der Unwissenheit, das die Ursache der materiellen Welt ist; Du bist das egoistische Prinzip der Leidenschaft, das die Ursache der Sinne darstellt, und Du bist auch, als das egoistische Prinzip der Tugend, der Ursprung der über die materielle Welt herrschenden Gottheiten. Māyā, die illusionierende Energie, die Ursache der fortwährenden Wanderung der bedingten Seelen von Körper zu Körper, ist ebenfalls eine Form Deinerselbst.

Mein lieber Höchster Persönlicher Gott, Du bist die ursprüngliche Ursache aller Ursachen, ebenso wie die Erde die ursprüngliche Ursache vieler Arten von Bäumen, Pflanzen und ähnlichen mannigfaltigen Manifestationen ist. So wie die Erde in allem vorhanden ist, bist Du überall in der materiellen Manifestation als Überseele gegenwärtig. Du bist die höchste Ursache aller Ursachen, das ewige Prinzip. Alles Bestehende ist im Grunde eine Manifestation Deiner eigenen Energie. Die drei Eigenschaften der materiellen Natur, nämlich sattva (Tugend), rajas (Leidenschaft) und tamas (Unwissenheit), und die Folge ihrer Wechselwirkungen sind durch Deine yoga-māyā-Kraft mit Dir verbunden. Man glaubt zwar, sie seien unabhängig, doch in Wirklichkeit ruht die gesamte materielle Energie in Dir, der Überseele. Weil Du die höchste Ursache aller Dinge bist, sind die Wechsel materieller Manifestationen, nämlich Geburt, Dasein, Wachstum, Wandel, Zerfall und Vernichtung, nicht an Dir zu beobachten. Deine höchste Energie, yoga-māyā, ist in den verschiedenartigsten Manifestationen aktiv, und weil yoga-māyā Deine Energie ist, bist Du in allem gegenwärtig.«

In der Bhagavad-gītā wird diese Tatsache sehr anschaulich im Neunten Kapitel erklärt, worin der Herr sagt: »In Meiner unpersönlichen Form bin Ich über die gesamte materielle Energie verbreitet. Alles ruht in Mir, doch Ich bin nicht dort.« Das gleiche wird hier von Vasudeva gesagt. Wenn man sagt, Kṛṣṇa sei nicht in allem, meint man damit, daß Er über allem steht, obwohl Seine Energie überall wirkt. Dies macht ein einfaches Beispiel verständlich: In einem großen Betrieb ist die Energie oder die Organisation des Direktors in jeder Ecke und jedem Winkel wirksam; doch obwohl die Beschäftigten in jeder einzelnen Abteilung die Anwesenheit des Eigentümers spüren, bedeutet dies nicht, daß er dort gegenwärtig ist. Wenn der Besitzer sich einmal persönlich in einer Abteilung aufhält, so ist dies nur eine Formalität, denn seine Energie wirkt ja bereits überall. Ebenso kann die Allgegenwart des Höchsten Persönlichen Gottes im Wirken Seiner Energien wahrgenommen werden. Die Philosophie, daß alles unvorstellbar gleichzeitig eins mit und verschieden vom Höchsten Herrn ist, bestätigt sich überall. Der Herr ist Einer, doch Er besitzt vielfache Energien.

Vasudeva sagt weiter: »Die materielle Welt ist wie ein großer Strom, dessen Wellen die drei materiellen Erscheinungsweisen der Tugend, der Leidenschaft und der Unwissenheit sind. Der materielle Körper, seine Sinne, die Fähigkeit zu denken, zu fühlen und zu wollen, und die Zustände Leid, Glück, Anhaftung und Lust sind verschiedene Produkte dieser drei Eigenschaften der materiellen Natur. Die Verblendeten, die Deine transzendentale Persönlichkeit über den materiellen Vorgängen nicht zu erkennen vermögen, bleiben in fruchtbringendem Tun verstrickt und sind somit stets dem Kreislauf von Geburt und Tod unterworfen, ohne die Möglichkeit der Befreiung zu haben.«

Das gleiche wird vom Herrn mit anderen Worten im Vierten Kapitel der Bhagavad-gītā bestätigt. Dort heißt es, daß jeder, der das Erscheinen und die Taten des Höchsten Herrn Śrī Kṛṣṇa kennt, aus der Gewalt der materiellen Natur befreit wird und zurück nach Hause, zurück zu Gott, geht. Kṛṣṇas transzendentaler Name, Seine Gestalt, Seine Taten und Seine Eigenschaften sind daher keine Schöpfungen der materiellen Natur.

»Mein lieber Herr«, fuhr Vasudeva fort, »trotz all dieser Fehler erlangt die bedingte Seele, wenn sie auf die eine oder andere Weise mit dem hingebungsvollen Dienen in Berührung kommt, die zivilisierte menschliche Form des Lebens mit einem entwickelten Bewußtsein und wird dadurch fähig, weitere Fortschritte im hingebungsvollen Dienen zu machen. Die meisten Menschen jedoch nutzen nicht, verblendet von der äußeren Energie, diesen Vorteil des menschlichen Körpers. So lassen sie sich die Möglichkeit entgehen, ewige Freiheit zu erlangen, und bringen sich unnötigerweise um den ganzen Fortschritt, den sie nach Tausenden von Leben gemacht haben.

Jemand mit der körperlichen Lebensauffassung hängt falscher Ich-Bezogenheit wegen an Abkömmlingen des Körpers, und jeder im bedingten Leben ist von falschen Beziehungen und falscher Zuneigung gefangen. Die ganze Welt bewegt sich unter diesem falschen Eindruck vom materiellen Gefangensein. Ich weiß, daß eigentlich keiner von Euch beiden mein Sohn ist; Ihr seid der ursprüngliche Herr und Zeuger, die Persönlichkeiten Gottes, die als Pradhāna und Puruṣa bekannt sind. Ihr seid auf dem Erdplaneten erschienen, um durch das Töten der kṣatriya-Könige, die ihre Streitmächte ungeheure Ausmaße annehmen ließen, der Welt ihre Last zu nehmen. Dies habt Ihr mir bereits früher offenbart. Lieber Herr, Du bist die Zuflucht der Dir hingegebenen Seelen und der höchste Gönner der Bescheidenen und Demütigen. Deshalb suche ich den Schutz Deiner Lotosfüße, die uns allein aus der Verstrickung in das materielle Dasein befreien können.

Lange Zeit habe ich meinen Körper für mein Selbst gehalten, und obwohl Du der Höchste Persönliche Gott bist, halte ich Dich für meinen Sohn. Mein lieber Herr, damals, als Du das erste Mal in Kaṁsas Kerker vor mir erschienst, wurde ich davon unterrichtet, daß Du der Höchste Persönliche Gott bist und sowohl zum Schutz der religiösen Prinzipien als auch zur Vernichtung der Gottlosen herabgekommen bist. Obgleich ungeboren, erscheinst Du in jedem Zeitalter, um Dein Anliegen zu erfüllen. Mein lieber Herr, so wie am Himmel viele Wolkenformen erscheinen und verschwinden, so erscheinst auch Du in vielen ewigen Formen. Wer könnte jemals Deine transzendentalen Spiele oder das Mysterium Deines Erscheinens und Fortgehens verstehen? Unsere einzige Tätigkeit sollte es sein, ständig Deine erhabene Größe zu preisen.«

Als Vasudeva so mit seinen göttlichen Söhnen sprach, lächelten Kṛṣṇa und Balarāma. Weil Sie Ihren Geweihten sehr zugetan sind, nahmen Sie Vasudevas Lobpreisungen mit freundlichem Lächeln entgegen, und Śrī Kṛṣṇa bestätigte Vasudevas Worte. Er sagte: »Mein lieber Vater, Wir sind, was immer Du sagen magst, trotz allem Deine Söhne. Was Du über Uns gesagt hast, zeugt zweifellos von einem hohen philosophischen Verständnis vom spirituellen Wissen. Ich stimme ausnahmslos allem zu.« Vasudeva befand sich auf der Stufe der höchsten Vollkommenheit des Lebens, da er Śrī Kṛṣṇa und Balarāma als seine Söhne ansah; doch weil die an dem heiligen Pilgerort von Kurukṣetra versammelten Weisen vom Herrn als der höchsten Ursache aller Dinge gesprochen hatten, wiederholte Vasudeva aus Liebe zu Kṛṣṇa und Balarāma einfach ihre Worte. Śrī Kṛṣṇa wollte nicht Seine und Vasudevas Beziehung als Sohn und Vater beeinträchtigen; deshalb erklärte Er schon am Anfang Seiner Antwort, daß Er der ewige Sohn Vasudevas und Vasudeva Sein ewiger Vater sei. Nun erklärte Śrī Kṛṣṇa Seinem Vater die spirituelle Identität aller Lebewesen. Er teilte ihm mit: »Mein lieber Vater, alle Wesen, auch Ich Selbst und Mein älterer Bruder Balarāma sowie die Einwohner von Dvārakā und die gesamte kosmische Manifestation sind genau so, wie Du sie beschrieben hast. Doch zugleich sind wir auch alle der Qualität nach eins.«

Śrī Kṛṣṇa wollte, daß Vasudeva alles aus der Sicht eines mahā-bhāgavata, eines Gottgeweihten ersten Ranges, sehen sollte. Ein Gottgeweihter ersten Ranges sieht, daß alle Lebewesen ewige Teile des Höchsten Herrn sind, und daß der Höchste Herr im Herzen eines jeden weilt. Eigentlich ist jedes Lebewesen von der Identität her spirituell, doch im materiellen Dasein wird es von den materiellen Erscheinungsweisen der Natur beeinflußt. Es wird von der körperlichen Lebensauffassung bedeckt und vergißt, daß seine spirituelle Seele von gleicher Natur ist wie der Höchste Persönliche Gott. Wir sehen verschiedenartiger körperlicher Bedeckungen wegen fälschlich Unterschiede zwischen den Individuen. Die Unterschiede zwischen den Körpern machen uns glauben, auch zwischen den spirituellen Seelen gebe es Unterschiede. Śrī Kṛṣṇa gab dann ein anschauliches Beispiel mit den fünf groben materiellen Elementen. Die materiellen Elemente Himmel, Luft, Feuer, Wasser und Erde sind überall in der materiellen Welt vorhanden, sei es in einem irdenen Krug, einem Berg, einem Baum oder einem Ohrring. Diese fünf Elemente sind in unterschiedlichen Mengenverhältnissen in allen Dingen. Ein Berg z. B. ist ein riesiges Gebilde aus der Verbindung dieser fünf Elemente, und ein kleiner Krug besteht aus den gleichen Elementen in kleinerer Menge. Alle materiellen Manifestationen also bestehen, wenngleich sie von unterschiedlicher Form sind, aus den gleichen Bestandteilen. In ähnlicher Weise sind alle Lebewesen von gleicher spiritueller Eigenschaft - sowohl Kṛṣṇa als auch das Viṣṇu-tattva mit Millionen von Viṣṇu-Formen, als auch die Lebewesen in den verschiedenen Körpern, angefangen mit Brahmā, bis hinunter zur kleinen Ameise. Einige sind quantitativ groß und andere sind klein, doch qualitativ sind alle von gleicher Art. In den Upaniṣaden wird deshalb bestätigt, daß Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Herr, das Oberhaupt aller Lebewesen ist und sie erhält und mit allem zum Leben Notwendigen versorgt. Jeder, der diese Philosophie kennt, besitzt vollkommenes Wissen. Die vedische Offenbarung »tat tvam asi« - »du bist das Gleiche« - bedeutet deshalb nicht, daß jeder Gott ist, sondern vielmehr, daß jeder qualitativ von gleichem Wesen ist wie Gott.

Nachdem Vasudeva Kṛṣṇa die gesamte Philosophie des spirituellen Lebens in einer kurzen Zusammenfassung hatte sprechen hören, freute er sich sehr über seinen Sohn. Er vermochte kein Wort hervorzubringen und verharrte deshalb in Schweigen. Die ganze Zeit über hatte Devakī, die Mutter Kṛṣṇas, still neben ihrem Mann gesessen. Sie hatte früher einmal gehört, daß Kṛṣṇa und Balarāma so gütig zu Ihrem Lehrer gewesen waren, ihm seinen toten Sohn aus der Gewalt Yamarājas, des Todesgottes, zurückzubringen. Seit sie davon erfuhr, mußte sie an ihre eigenen Söhne denken, die von Kaṁsa getötet worden waren, und während sie sich an sie erinnerte, wurde sie von Trauer überwältigt.

Im tiefen Mitleiden mit ihren toten Söhnen sagte Devakī schließlich zu Kṛṣṇa und Balarāma: »Mein lieber Balarāma, schon Dein Name weist darauf hin, daß Du jedem alle Freude und Stärke gewährst. Deine grenzenlose Kraft ist jenseits der Reichweite unserer Gedanken und Worte, und Du, mein lieber Kṛṣṇa, bist der Herr aller yoga-Mystiker. Mir ist auch bekannt, daß Du der Herr der Prajāpatis, wie Brahmā und seine Helfer, und der ursprüngliche Persönliche Gott Nārāyaṇa bist. Außerdem weiß ich sehr wohl, daß Du auf die Erde gekommen bist, um die Schurken zu vernichten, die im Laufe der Zeit Irrwege beschritten. Sie verloren die Herrschaft über Geist und Sinne und sind von der Stufe der Tugend hinabgesunken. Sie mißachten bewußt die Anweisungen der offenbarten Schriften, indem sie ein Leben des Überflusses und der Schamlosigkeit führen. Du bist auf die Erde gekommen, um durch das Töten solch verworfener Herrscher der Welt ihre schwere Last zu nennen. Mein lieber Kṛṣṇa, ich weiß, daß Mahā-Viṣṇu, der im Ozean der Ursachen der kosmischen Manifestation liegt und der Ursprung der gesamten Schöpfung ist, nichts weiter als eine Erweiterung eines Deiner vollkommenen Teile darstellt. Die Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung der kosmischen Manifestation wird ganz allein von diesem Deinem vollständigen Teil bewirkt. Ich suche deshalb rückhaltlos Zuflucht bei Dir. Ich habe davon gehört, daß Balarāma und Du, als Ihr Euren Lehrer Sāndīpani Muni belohnen wolltet und er Euch bat, ihm seinen toten Sohn zurückzubringen, auf der Stelle Sāndīpani Munis Sohn aus Yamarājas Gewahrsam holtet, obwohl der Junge bereits seit langer Zeit tot war. Diese Tat macht mir verständlich, daß Du der höchste Meister aller yoga-Mystiker bist. Daher bitte ich Dich, mir meinen Wunsch, der von gleicher Art ist, zu erfüllen. Ich möchte Dich also, mit anderen Worten, bitten, all meine Söhne zurückzubringen, die von Kaṁsa getötet wurden. Wenn Du sie mir wiedergibst, wird mein Herz zufrieden sein; es wäre schon eine große Freude für mich, sie auch nur einmal zu sehen.«

Als Kṛṣṇa und Balarāma den Wunsch Ihrer Mutter vernommen hatten, riefen Sie sogleich nach dem Beistand yoga-māyās und begaben Sich nach Sutala, einem der niederen Planetensysteme. Einstmals war der Höchste Persönliche Gott in Seiner Inkarnation als Vāmana von Bali Mahārāja, dem König der Dämonen, erfreut worden, da dieser Ihm alles schenkte, was er besaß. Danach erhielt Bali Mahārāja ganz Sutala als Residenz und Königreich. Als dieser große Gottgeweihte nun sah, daß Kṛṣṇa und Balarāma auf seinen Planeten gekommen waren, versank er im Ozean des Glücks. Sowie er Kṛṣṇa und Balarāma vor sich erblickte, erhoben er und seine Familienangehörigen sich von ihren Sitzen und verneigten sich vor den Lotosfüßen des Herrn. Bali Mahārāja bot Śrī Kṛṣṇa und Balarāma die besten Sitze, die er besaß, und als die beiden göttlichen Brüder geruhsam saßen, wusch er Ihnen die Lotosfüße. Anschließend sprengte er sich und seinen Familienangehörigen das Wasser über die Köpfe. Das Wasser, mit dem Kṛṣṇas und Balarāmas Lotosfüße gewaschen wurden, ist selbst für die größten Halbgötter, wie Brahmā, läuternd.

Alsdann brachte Bali Mahārāja wertvolle Gewänder, Schmuck, Sandelholzpaste, Betelnüsse, Lampen und viele nektargleiche Speisen herbei und verehrte den Herrn gemeinsam mit den Mitgliedern seiner Familie nach allen Regeln der Schriften. All seinen Reichtum und auch seinen Körper brachte er den Lotosfüßen des Herrn dar. König Bali empfand solch transzendentale Freude, daß er mehrmals die Lotosfüße des Herrn ergriff und sie an seine Brust drückte; manchmal setzte er sie auch auf sein Haupt, und auf diese Weise verspürte er transzendentale Glückseligkeit. Tränen der Liebe strömten ihm aus den Augen, und sein Haar stand ihm zu Berge. Als er dann dem Herrn seine Gebete darbrachte, versagte ihm immer wieder die Stimme:

»O mein Herr, Balarāma, Du bist der ursprüngliche Anantadeva. Du bist so gewaltig, daß Anantadeva Śeṣa und viele andere transzendentale Formen ursprünglich aus Dir und Śrī Kṛṣṇa hervorgingen. Du bist der ursprüngliche Persönliche Gott, und Deine ewige Gestalt ist ganz und gar glückselig und voll allumfassenden Wissens. Du bist der Schöpfer der ganzen Welt. Du bist der Urheber und ursprüngliche Verkünder des jñāna- und des bhakti-yoga. Du bist das Höchste Brahman, der ursprüngliche Persönliche Gott, und deshalb bringe ich Euch beiden voller Achtung meine Ehrerbietungen dar. Meine lieben Herren und Meister, es ist sehr schwer für die Lebewesen, Euch zu Gesicht zu bekommen; doch wenn Ihr Euren Geweihten barmherzig seid, können diese Euch ohne weiteres sehen. Ihr habt Euch somit einzig aus Eurer grundlosen Gnade bereitgefunden, hierherzukommen und uns sichtbar zu sein, die wir für gewöhnlich unter dem Einfluß von Unwissenheit und Leidenschaft stehen. »Mein lieber Herr, wir gehören zu den daityas, den Dämonen. Die Dämonen oder dämonischen Personen, wie die Gandharvas, Siddhas, Vidyādharas, Cāraṇas, Yakṣas, Rākṣasas, Piśācas, Geister und Kobolde, sind von Natur aus unfähig, Dich zu verehren oder Deine Geweihte zu werden. Statt Gottgeweihte zu werden, werden sie nur zu Hindernissen auf dem Pfad der Hingabe. Doch im Gegensatz zu ihnen bist Du der Höchste Persönliche Gott, der alle Veden repräsentiert und Sich in der Erscheinungsweise der unbefleckten Tugend befindet. Deine Stellung ist immer transzendental. Aus diesem Grund haben einige von uns, obwohl sie in der Erscheinungsweise der Leidenschaft und Unwissenheit geboren wurden, Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen gesucht, und sind Gottgeweihte geworden. Manche von uns sind sogar reine Gottgeweihte, und einige haben aus dem Wunsch nach Gewinn Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen gesucht.

»Nur durch Deine grundlose Barmherzigkeit dürfen wir Dämonen jetzt persönlich mit Dir Zusammensein. Diese direkte Verbindung mit Dir können nicht einmal die großen Halbgötter herstellen. Niemand weiß, wie Du durch Deine yoga-māyā-Energie wirkst. Selbst die Halbgötter vermögen nicht das Ausmaß der Tätigkeiten Deiner inneren Energie zu ermessen. Wie also könnte dies uns möglich sein? Ich bringe Dir daher meine demütigen Ehrerbietungen dar: Sei mir bitte barmherzig, der ich Dir völlig hingegeben bin, und begünstige mich mit Deiner grundlosen Gnade, daß ich mich Leben für Leben nur an Deine Lotosfüße erinnern darf. Es ist mein einziger Wunsch, allein zu leben wie die paramahaṁsas, die, während sie umherziehen, voll inneren Friedens sind und sich ganz von Deinen Lotosfüßen abhängig wissen. Wenn ich trotzdem mit jemandem zusammen sein muß, dann bitte nur mit Deinen reinen Geweihten und niemand anderem, denn Deine reinen Geweihten sind allen Lebewesen stets wohlgesinnt. »Mein lieber Herr, Du bist der Höchste Meister und Führer der ganzen Welt. Bitte beschäftige mich in Deinem Dienst, und laß mich so von allen materiellen Verunreinigungen frei werden. Dir ist es möglich, mich auf diese Weise zu läutern, denn sobald jemand Deiner Herrlichkeit liebevoll dient, wird er von allen regulierenden Prinzipien befreit, die in den Veden vorgeschrieben werden.«

Das Wort paramahaṁsa, das an dieser Stelle gebraucht wird, bedeutet » der höchste Schwan«. Es heißt, daß der Schwan Milch aus Wasser zu ziehen vermag, d. h., er nimmt nur die Milch und läßt das Wasser zurück. Daher wird ein Mensch, der den spirituellen Teil aus der materiellen Welt nehmen und allein leben kann, während er einzig und allein vom Höchsten Spirituellen Wesen, und nicht von der materiellen Welt, abhängig ist, paramahaṁsa genannt. Wenn man die Stufe des paramahaṁsa erreicht hat, ist man nicht länger an die regulierenden Prinzipien der vedischen Anweisungen gebunden. Ein paramahaṁsa begibt sich nur in die Gesellschaft reiner Gottgeweihter und zieht sich von anderen, die zu viele materielle Neigungen hegen, zurück. Diejenigen nämlich, die materiellem Genuß verfallen sind, wissen nicht den Wert des paramahaṁsa zu schätzen, doch solche, die so glücklich sind, in spiritueller Hinsicht fortgeschritten zu sein, suchen bei dem paramahaṁsa Zuflucht und erfüllen dadurch erfolgreich die Bestimmungen der menschlichen Form des Lebens.

Nachdem Śrī Kṛṣṇa die Gebete Bali Mahārājas angehört hatte, sprach Er: »Mein lieber König der Dämonen, im Zeitalter des Svāyambhuva-Manu zeugte der Prajāpati Marīci mit seiner Frau Ūrṇā sechs Söhne, von denen jeder ein Halbgott war. Als nun eines Tages Brahmā von der Schönheit seiner Tochter betört wurde und ihr, getrieben von lüsterner Begierde, folgte, äußerten sich diese sechs Halbgötter mit Abscheu über Brahmās Verhalten. Die Kritik der Halbgötter an Brahmās Handlung war ein großes Vergehen ihrerseits, und zur Strafe wurden sie dazu verdammt, als die Söhne des Dämons Hiraṇyakaśipu geboren zu werden. Diese Söhne Hiraṇyakaśipus wurden später in Mutter Devakīs Schoß versetzt und einer nach dem anderen sofort nach der Geburt von Kaṁsa getötet. Mein lieber König der Dämonen, Mutter Devakī sehnt sich sehr danach, ihre sechs toten Söhne wiederzusehen, und sie ist über ihren frühen Tod von der Hand Kaṁsas tief betrübt. Ich weiß, daß sie alle bei dir leben. Ich habe beschlossen, sie mit Mir zu nehmen, um Meine Mutter Devakī zu beruhigen. Nachdem diese sechs bedingten Seelen Meine Mutter gesehen haben, werden sie befreit und zu ihrer Freude wieder zu ihrem früheren Planeten versetzt werden. Dort werden sie wieder ihre frühere Stellung als Halbgötter einnehmen. Ihre Namen sind Smara, Udgītha, Pariṣvaṅga, Pataṅga, Kṣudrabhṛt und Ghṛṇī.«

Als Kṛṣṇa dem König der Dämonen dies mitgeteilt hatte, schwieg Er, und Bali Mahārāja verstand, was der Herr wünschte. Er verehrte Ihn noch einmal gebührend, und dann nahmen Kṛṣṇa und Balarāma die sechs bedingten Seelen mit Sich und kehrten nach Dvārakā zurück, wo Sie sie als kleine Kinder Ihrer Mutter Devakī übergaben. Mutter Devakī wurde von Freude überwältigt, und sie war so von ekstatischen mütterlichen Gefühlen ergriffen, daß Milch aus ihren Brüsten floß und sie die Kinder glückerfüllt stillte. Sie nahm die Kinder immer wieder auf den Schoß, atmete den Duft ihres Haupthaars ein und dachte bei sich: »Kṛṣṇa hat mir meine verlorenen Kinder zurückgebracht.« Viṣṇus Energie kam in diesen Augenblicken über sie, und voll mütterlicher Zärtlichkeit begann sie sich ihrer verlorenen Kinder zu erfreuen.

Die Milch aus Devakīs Brust war transzendentaler Nektar, denn die gleiche Milch hatte einst Śrī Kṛṣṇa getrunken. Daher wurden die Kinder, als sie an Devakīs Brust tranken, die von Śrī Kṛṣṇas Körper berührt worden war, auf der Stelle selbstverwirklicht und brachten Śrī Kṛṣṇa, Seinem Bruder Balarāma, ihrem Vater Vasudeva und Mutter Devakī ihre Ehrerbietungen dar. Alsdann wurden sie gleich auf ihre jeweiligen himmlischen Planeten versetzt.

Devakī war ganz verwundert darüber, daß ihre toten Kinder soeben erst zurückgekommen und sogleich wieder zu ihren jeweiligen Planeten gebracht worden waren. Sie konnte sich die Geschehnisse nur als Kṛṣṇas transzendentale Spiele erklären, in denen, da Śrī Kṛṣṇas Kräfte unfaßbar sind, nichts unmöglich ist, ganz gleich wie wundersam es auch sein mag. Ohne die unfaßbaren und unbegrenzten Kräfte des Herrn anzuerkennen, kann man nicht verstehen, daß Kṛṣṇa die Höchste Seele ist. Durch Seine unbegrenzten Kräfte vollführt Er auch unbegrenzte Spiele, und niemand kann sie in ihrer ganzen Fülle beschreiben oder sie alle kennen. Sūta Gosvāmī, der zu den Weisen von Naimiṣāraṇya, deren Führer Śaunaka Rṣi war, das Śrīmad-Bhāgavatam sprach, tat folgenden, in diesem Zusammenhang treffenden Ausspruch:

»Ihr großen Weisen, bitte erkennt, daß die transzendentalen Spiele Śrī Kṛṣṇas ewig sind. Ihre Schilderungen sind keine gewöhnlichen Erzählungen historischer Begebenheiten. Vielmehr sind solche Erzählungen mit dem Höchsten Persönlichen Gott identisch. Deshalb wird jeder, der Erzählungen von den Spielen des Herrn hört, sogleich von der durch das materielle Dasein entstandenen Verunreinigung befreit. Die reinen Gottgeweihten genießen diese Erzählungen als Nektar, der in ihre Ohren strömt.« Śukadeva Gosvāmī, der erhabene Sohn Vyāsadevas, sprach solche Erzählungen, und jeder, der sie hört, wie auch jeder, der sie vorträgt, damit andere sie hören können, wird Kṛṣṇa-bewußt. Und es sind einzig und allein die Kṛṣṇa-bewußten Seelen, welche die Voraussetzungen erfüllen, die nötig sind, um nach Hause, zu Gott, zurückzugehen.

Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 84. Kapitel des Buches Kṛṣṇa:
»Kṛṣṇa unterweist Vasudeva in spirituellem Wissen und bringt Devakī ihre sechs toten Söhne zurück«.