Photo Gallery

Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas

Von A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada
Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas
Kṛṣṇa - Der Höchste Persönliche Gott
Originale Version 1. Auflage 1974
73. Kapitel:
 
Krishna
 
Śiśupāla wird erlöst


 

König Yudhiṣṭhira wurde sehr glücklich, als er die näheren Einzelheiten über den Kampf mit Jarāsandha hörte, und so sagte er: »Mein lieber Kṛṣṇa, o ewige Gestalt der Glückseligkeit und des Wissens, alle die hochstehenden Wächter über die Geschehnisse in der materiellen Welt, wie Brahmā, Śiva und König Indra, sind stets begierig, Befehle von Dir erhalten und sie ausführen zu dürfen, und jedesmal, wenn sie das Glück haben, solche Aufträge zu empfangen, nehmen sie sie sogleich an und bewahren sie in ihren Herzen. O Kṛṣṇa, Du bist unbegrenzt, und obwohl wir uns manchmal für große Könige und Herrscher der Welt halten und auf unsere armseligen Stellungen stolz sind, sind wir sehr erbärmlich. Eigentlich verdienen wir es, von Dir bestraft zu werden, doch seltsamerweise bist Du statt dessen so gütig und barmherzig, daß Du unsere Befehle entgegennimmst und richtig ausführst. Andere wundern sich sehr, daß Deine Herrlichkeit die Rolle eines gewöhnlichen Menschen spielen kann, doch wir wissen, daß Du wie ein Schauspieler agierst. Deine wirkliche Stellung bleibt dabei immer erhaben, so wie die Sonne weder beim Aufgehen noch beim Untergehen ihre Temperatur verändert. Wir mögen zwar zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang Temperaturunterschiede wahrnehmen, doch die Temperatur der Sonne ändert sich niemals. Du bist immer voll transzendentaler Ausgeglichenheit, weshalb Dich materielle Angelegenheiten weder stören noch erfreuen. Du bist das Höchste Brahman, der Persönliche Gott, und für Dich gibt es keine Bedingtheiten. Mein lieber Mādhava, Du wirst niemals und von niemandem bezwungen. Materielle Unterscheidungen, wie »dies bin ich, das bist du, dies ist mein, das ist dein«, sind in Dir nicht zu finden. Solche Unterscheidungen treten im Leben eines jeden auf, selbst bei den Tieren; nur die reinen Gottgeweihten sind von diesen falschen Unterscheidungen frei. Wenn schon Deine Geweihten diese falschen Unterscheidungen nicht kennen, kann es sie unmöglich für Dich geben.«

Nachdem König Yudhiṣṭhira diese Worte zu Kṛṣṇas Wohlgefallen gesprochen hatte, ließ er das Rājasūya-Opfer vorbereiten. Er lud alle befähigten brāhmaṇas und Weisen ein, daran teilzunehmen, und wies ihnen verschiedenen Aufgaben als Priester zu; als solche sollten sie als erstes die Opferstätte einrichten und beaufsichtigen. Die kundigsten brāhmaṇas und Weisen wurden eingeladen, und zwar: Kṛṣṇa-dvaipāyana Vyāsadeva, Bharadvāja, Sumantu, Gautama, Asita, Vasiṣṭha, Cyavana, Kaṇva, Maitreya, Kavaṣa, Trita, Viśvāmitra, Vāmadeva, Sumati, Jaimini, Kratu, Paila, Parāśara, Garga, Vaiśampāyana, Atharvā, Kaśyapa, Dhaumya, Paraśurāma, Śukrācārya, Āsuri, Vīthihotra, Madhucchandā, Vīrasena und Akṛtavraṇa. Neben diesen Weisen und Heiligen lud der König auch die ehrwürdigen Familienältesten ein wie Droṇācārya, Bhīṣma, den Großvater der Kuru-Dynastie, Kṛpācārya und Dhṛtarāṣṭra. Er lud die Söhne Dhṛtarāṣṭras ein, die von Duryodhana geführt wurden, und auch den großen Gottgeweihten Vidura. Könige aus den verschiedensten Teilen der Welt wurden gebeten, zusammen mit ihren Ministern und Sekretären König Yudhiṣṭhiras großer Opferzeremonie beizuwohnen, und selbst gewöhnliche Bürger, wie gelehrte brāhmaṇas, tapfere kṣatriyas, wohlhabende vaiśyas und getreue śūdras, kamen, um an der Zeremonie teilzunehmen.

Die brāhmaṇa-Priester und Weisen, die für den Ablauf des Opfers verantwortlich waren, bereiteten die Opferstätte, wie es bei solchen Anlässen üblich ist, mit einem goldenen Pflug und weihten König Yudhiṣṭhira mit vedischen Riten zum Ausführenden des großen Opfers. Als Varuṇa vor vielen Jahren ein ähnliches Opfer vollzogen hatte, waren alle Gegenstände, die dabei verwendet wurden, aus Gold gefertigt gewesen, und ebenso waren auch bei König Yudhiṣṭhiras Rājasūya-Opfer alle Gegenstände aus purem Gold.

Um an König Yudhiṣṭhiras großer Opferzeremonie teilzunehmen, kamen auf dessen Einladung hin alle mächtigen Halbgötter, wie Brahmā, Śiva und Indra, der König des Himmels, mit ihren Gefährten, und auch die herrschenden Gottheiten der höheren Planetensysteme, wie Gandharvaloka, Siddhaloka, Tapoloka, Nāgaloka, Yakṣaloka, Rākṣasaloka, Pakṣiloka und Cāraṇaloka, und die berühmtesten Könige mit ihren Königinnen. Alle ehrwürdigen Weisen, Könige und Halbgötter, die sich also versammelt hatten, waren sich darin einig, daß König Yudhiṣṭhira wahrhaft geeignet war, die Verantwortung für das Rājasūya-Opfer zu tragen; niemand bezweifelte dieses. Sie alle kannten die Stellung Mahārāja Yudhiṣṭhiras: Weil er ein großer Geweihter Śrī Kṛṣṇas war, gab es keine Aufgabe, die zu gewaltig für ihn sein konnte. Die gelehrten brāhmaṇas und Priester achteten darauf, daß Mahārāja Yudhiṣṭhira die Opferzeremonie genauso durchführte wie in früheren Zeiten Varuṇa seine Opfer darbrachte. Nach Anweisung der Veden wird den Teilnehmern einer Opferzeremonie stets der Saft der soma-Pflanze gereicht. Der soma-Saft ist eine Art lebenspendender Trank.

An dem Tag, an dem der soma-Saft gewonnen wurde, empfing König Yudhiṣṭhira mit höchstem Respekt den Priester, der damit betraut war, auf alle Fehler bei der Ausführung der Opfervorgänge aufmerksam zu machen. Die vedischen mantras müssen nämlich bei der Opferung völlig korrekt ausgesprochen und mit der richtigen Betonung gechantet werden, weshalb die Priester bei einem Fehler sofort vom Überwacher, einem sachverständigen Priester, berichtigt werden, so daß die einwandfreie Durchführung der Rituale gewährleistet ist. Wenn ein Opfer nicht in vollendeter Form vollzogen wird, kann es nicht das gewünschte Ergebnis zeitigen. Da es im gegenwärtigen Zeitalter, dem Kali-yuga, keine solch gelehrten brāhmaṇas oder Priester mehr gibt, sind alle Opferungen dieser Art untersagt. Das einzige Opfer, das in den śāstras empfohlen wird, ist das Chanten des Hare-Kṛṣṇa-mantras.

Eine weitere wichtige Prozedur vor einer solchen Opferzeremonie ist es, der höchstgestellten Persönlichkeit unter den Anwesenden als erstes Ehre zu erweisen. Nachdem man alle Vorbereitungen für Yudhiṣṭhiras Opfer getroffen hatte, war daher die nächste Überlegung, wer als erstes in der besagten Zeremonie verehrt werden solle. Diese einführende Zeremonie wird Agrapūjā genannt; agra bedeutet »zuerst« und pūjā wird mit »Verehrung« übersetzt. Die Agrapūjā ähnelt der Wahl eines Präsidenten. Da alle Teilnehmer der Opferung hohe Persönlichkeiten waren, schlugen einige diesen, andere jenen für die Entgegennahme der Agrapūjā vor.

Als man zu keiner Entscheidung kommen konnte, sprach sich Sahadeva in einer Rede für Kṛṣṇa aus. Er sagte: »Śrī Kṛṣṇa, der Beste unter den Mitgliedern der Yadu-Dynastie und der Beschützer der Gottgeweihten, ist die vortrefflichste Persönlichkeit in unserer Versammlung. Deshalb meine ich, daß Ihm ohne Zweifel die Ehre erwiesen werden sollte, zuerst verehrt zu werden. Obwohl in dieser Versammlung große Halbgötter, wie Brahmā, Śiva, Indra, der König der himmlischen Planeten, und viele andere hochgestellte Persönlichkeiten zugegen sind, kommt niemand von ihnen Kṛṣṇa gleich oder überragt ihn - weder im Hinblick auf Schönheit, Reichtum, Kraft, Ruhm, Weisheit, Entsagung, noch in irgendeiner anderen Weise. Was immer als reich angesehen wird, ist ursprünglich in Kṛṣṇa. So wie die individuelle Seele die Grundlage für das Wachstum des Körpers ist, ist Kṛṣṇa die Überseele der kosmischen Manifestation. Der Sinn aller vedischen Rituale, wie die Durchführung von Opferzeremonien, das Darbringen von Gaben im Feuer, das Chanten der vedischen Hymnen und die Ausübung von mystischem yoga, liegt darin, Kṛṣṇa zu erfreuen. Ob man den Pfad der fruchtbringenden Tätigkeiten oder dem der philosophischen Spekulationen folgt - das endgültige Ziel ist Kṛṣṇa; alle autorisierten Methoden zur Selbstverwirklichung sollen zu einem Verständnis von Kṛṣṇa führen. Werte Anwesende, es ist überflüssig, noch mehr über Śrī Kṛṣṇa zu sagen, denn jeder von euch verehrten Persönlichkeiten kennt Ihn, das Höchste Brahman, für den es keine materiellen Unterschiede gibt wie den Unterschied zwischen Körper und Seele, zwischen Energie und Energieursprung oder einem Körperteil und dem anderen. Weil jeder ein Teil Kṛṣṇas ist, besteht kein qualitativer Unterschied zwischen Kṛṣṇa und den Lebewesen. Alles ist eine Erweiterung der materiellen oder der spirituellen Energie Kṛṣṇas. Kṛṣṇas Energien sind wie die Wärme und das Licht des Feuers: es besteht kein qualitativer Unterschied zwischen der Wärme, dem Licht und dem Feuer selbst.

Auch kann Kṛṣṇa mit jedem beliebigen Teil Seines Körpers tun, was Er will. Wir können eine bestimmte Handlung nur mit einem ganz bestimmten Körperteil verrichten, doch Er kann alles und jedes mit jedem Teil Seines Körpers tun. Und weil Sein transzendentaler Körper ewig voller Wissen und Glückseligkeit ist, ist Er nicht den sechs materiellen Wandlungen - Geburt, Dasein, Wachstum, fruchtbringendes Handeln, Verfall und Vergehen - unterworfen. Er steht niemals unter dem Zwang einer äußeren Energie und ist die höchste Ursache der Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung alles Seienden. Nur durch Kṛṣṇas Gnade können die Lebewesen der Ausübung von Religiosität, der Verbesserung wirtschaftlicher Umstände, der Befriedigung ihrer Sinne und schließlich dem Bemühen um Befreiung vom Gefangensein in der Materie nachgehen. Nach diesen vier Grundsätzen des fortschrittlichen Lebens kann nur durch Kṛṣṇas Gnade gehandelt werden. Deshalb sollte Ihm bei dieser großen Opferung als erstem Verehrung erwiesen werden, und niemand sollte da widersprechen. Ebenso wie man Äste, Zweige, Blätter und Blüten eines Baumes nährt, wenn man die Wurzel begießt, oder Ernährung und Stoffwechsel aller Teile eines Körpers stattfinden, wenn man dem Magen Nahrung zuführt, so werden alle, die auf diesem Treffen anwesend sind - die großen Halbgötter nicht ausgenommen -, zufriedengestellt sein, wenn wir Kṛṣṇa als ersten verehren. Für jemanden, der mildtätig sein möchte, ist es das beste, ganz gleich, welche Art von Körper oder Individualität er auch besitzen mag, seine Gaben einzig Kṛṣṇa zu geben, der die Überseele in jedem Lebewesen ist. Kṛṣṇa weilt als Überseele in jedem Lebewesen, und wenn wir Ihn erfreuen können, wird jedes Lebewesen glücklich.«

Sahadeva war in der glücklichen Lage, die Herrlichkeit Kṛṣṇas zu kennen, und nachdem er sie kurz geschildert hatte, schwieg er. Auf seine Rede hin ließen alle Teilnehmer der großen Versammlung laute Beifallsrufe vernehmen und stimmten seinen Worten zu, indem sie immer wieder versicherten: »Alles, was du gesagt hast, ist völlig richtig. Alles, was du gesagt hast, ist völlig richtig.« Alsdann wusch König Yudhiṣṭhira gemeinsam mit seinen Brüdern, Frauen, Kindern, anderen Anverwandten und Ministern als erstes Śrī Kṛṣṇas Lotosfüße und versprengte das verwendete Wasser über ihre Köpfe. Dann brachte man Kṛṣṇa vielerlei gelbseidene Gewänder dar und häufte Juwelen und anderen Schmuck vor Ihm auf.

König Yudhiṣṭhira geriet, als er Kṛṣṇa, das einzige Ziel seiner Liebe, verehrte, in solche Ekstase, daß ihm die Tränen aus den Augen strömten. Er konnte deshalb Śrī Kṛṣṇa gar nicht richtig sehen, so gern er es wollte. Alle Anwesenden standen unterdessen mit gefalteten Händen auf und begannen zu chanten: »Jaya! Jaya! Namaḥ! Namaḥ!« Als sie Kṛṣṇa alle zusammen ihre Ehrerbietungen darbrachten, regnete es Blumen vom Himmel.

Auch König Śiśupāla hatte sich eingefunden. Er war aus vielen Gründen Kṛṣṇas geschworener Feind; vor allem deshalb, weil Kṛṣṇa Rukmiṇī kurz vor ihrer Vermählung mit Śiśupāla geraubt hatte. Er konnte es daher nicht ertragen, daß Kṛṣṇa soviel Ehre erwiesen wurde und alle Versammelten seine vortrefflichen Eigenschaften rühmten. Statt sich also zu freuen, von der Herrlichkeit des Herrn zu hören, ärgerte er sich sehr. Als sich jeder erhob, um Kṛṣṇa seine Ehrerbietungen zu erweisen, blieb er als einziger sitzen. Dann aber konnte er es nicht länger aushalten. Er wurde über Kṛṣṇas Ehrung auf einmal so wütend, daß er aufsprang, eine Hand hob und heftig und furchtlos Reden gegen Kṛṣṇa zu führen begann. Er sprach dabei so laut, daß Kṛṣṇa ihn deutlich hören konnte. »Meine Damen und Herren!« rief Śiśupāla, »ich verstehe nun die Aussage der Veden, die Zeit sei die allesbeherrschende Kraft. Trotz all unserer Gegenanstrengungen führt das Zeit-Element ungehindert seinen Plan aus. Zum Beispiel mag man alles versuchen, um am Leben zu bleiben, doch wenn die Zeit zum Sterben gekommen ist, kann niemand den Tod verhindern. Hier nun muß ich sehen, daß der Einfluß der Zeit so stark ist, daß sich viele der hier Versammelten, obwohl bedeutende Persönlichkeiten, von den Worten eines Knaben, der törichtes Zeug über Kṛṣṇa redete, haben irreführen lassen. Unter den hier Versammelten gibt es zwar viele gelehrte Weise und ältere Persönlichkeiten, doch sie alle haben den Worten eines dummen Jungen Gehör geschenkt. Das zeigt, daß durch den Einfluß der Zeit sogar die Intelligenz solch ehrwürdiger Persönlichkeiten der Täuschung unterliegen kann. Ich teile zwar durchaus die Meinung der ehrenwerten Anwesenden, daß sie in der Lage sind, selbst die Persönlichkeit zu finden, die als erste verehrt werden soll, doch kann ich unmöglich den Worten eines Knaben wie Sahadeva zustimmen, der Kṛṣṇa überschwenglich pries und behauptete, Kṛṣṇa stehe es zu, die erste Ehrung bei der Opferzeremonie zu empfangen. Ich sehe unter den Versammelten viele Persönlichkeiten, die sich große Entsagung auferlegten, die hochgelehrt sind und die viele Bußen auf sich nahmen. Durch ihr Wissen und ihre Führung können sie viele Seelen, die unter den Qualen des materiellen Daseins leiden, befreien. Es sind viele große ṛṣis zugegen, deren Wissen keine Grenzen kennt, sowie viele selbstverwirklichte Transzendentalisten und brāhmaṇas. Meiner Meinung nach hätte einem jeden von ihnen die erste Verehrung erwiesen werden können, denn sie werden selbst von den großen Halbgöttern, Königen und Kaisern verehrt. Völlig unverständlich dagegen ist mir, wie man diesen Hirtenjungen, Kṛṣṇa, wählen und dabei alle großen Persönlichkeiten übergehen konnte. Ich halte Kṛṣṇa für nichts Besseres als eine Krähe - wie kann Er Sich dazu eignen, die erste Verehrung bei dieser großen Opferzeremonie zu empfangen? Es läßt sich nicht einmal feststellen, zu welcher Kaste dieser Kṛṣṇa gehört, und welches Seine vorgeschriebenen Pflichten sind.«

Tatsächlich gehört Kṛṣṇa keiner Kaste an, noch muß Er irgendeiner Pflicht nachkommen. In den Veden heißt es nämlich, daß es für den Herrn keine vorgeschriebenen Pflichten gibt. Alles, was getan werden muß, wird für Ihn von Seinen verschiedenen Energien verrichtet.

Śiśupāla fuhr fort: »Auch gehört Kṛṣṇa keiner hohen Familie an. Er ist so selbständig, daß niemand Seine Prinzipien für ein religiöses Leben kennt. Offensichtlich steht Er außerhalb des Geltungsbereichs aller religiösen Prinzipien. Er handelt stets unabhängig und kümmert Sich nicht um vedische Anweisungen und regulierende Prinzipien. Somit mangelt es Ihm an allen guten Eigenschaften.« Indirekt rühmte Śiśupāla Kṛṣṇa, als er sagte, die vedischen Anweisungen hätten für Ihn keine Gültigkeit. Dies ist durchaus richtig, da Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist. Wenn gesagt wird, Er habe keine Eigenschaften, dann bedeutet dies, daß Kṛṣṇa keine materiellen Eigenschaften besitzt. Weil Er der Höchste Persönliche Gott ist, handelt Er völlig unabhängig, ohne Sich um Förmlichkeiten, gesellschaftliche Pflichten oder religiöse Prinzipien zu kümmern.

Śiśupāla sprach weiter: »Wie kann Kṛṣṇa unter diesen Umständen würdig sein, die erste Verehrung entgegenzunehmen? Kṛṣṇa ist so töricht, daß Er die Stadt Mathurā verließ, in der höchst ehrbare Bürger leben, die der vedischen Kultur folgen, und sich statt dessen aufs Meer zurückzog, wo nicht einmal von den Veden gesprochen wird. Statt offen unter uns zu leben, baute Er Sich eine Festung im Meer und lebt dort in einer Umgebung, in der niemals vedisches Wissen erörtert wird. Und jedesmal, wenn Er aus Seiner Festung hervorkommt, plagt Er die Bürger wie ein Räuber, ein Verbrecher, ein Schurke!«

Śiśupāla war ganz außer sich, weil Kṛṣṇa zur ersten verehrungswürdigen Persönlichkeit der Versammlung gewählt worden war. Daher redete er so unverantwortlich, daß es schien, als habe ihn bereits alles Glück verlassen. Vom Unglück überwältigt beschimpfte er Kṛṣṇa immer weiter, doch der Herr hörte ihn ohne Einspruch geduldig an. Er schwieg und blieb gelassen wie ein Löwe, der nicht auf das Geheul einer Meute Schakale achtet. Kṛṣṇa erwiderte auf keinen einzigen der Vorwürfe etwas, doch die Anwesenden empörten sich sehr, bis auf einige wenige, die mit Śiśupāla einer Meinung waren, denn es ist die Pflicht jedes ehrbaren Menschen, keine Schmähung gegen Gott oder Seinen Geweihten zu dulden. Einige, die sich für unfähig hielten, etwas Angemessenes gegen Śiśupāla zu unternehmen, verließen aus Protest die Versammlung, wobei sie sich mit den Händen die Ohren zuhielten, um keine weiteren Beleidigungen mitanhören zu müssen. So verließen sie die Zusammenkunft und verdammten Śiśupālas Untat. Es ist eine vedische Anweisung, daß man einen Ort, an dem der Höchste Persönliche Gott geschmäht wird, augenblicklich verlassen muß. Unterläßt man dies, wird man aller Ergebnisse seiner frommen Werke beraubt und sinkt zu niedrigen Lebensbedingungen hinab.

Alle anwesenden Könige der Kuru-, Matsya-, Kekaya- und Sṛñjaya-Dynastien griffen zornentbrannt sogleich zu ihren Schwertern und Schilden, um Śiśupāla zu töten. Śiśupāla aber war so verblendet, daß es ihn nicht im geringsten beunruhigte, daß alle anwesenden Könige sich anschickten, ihn umzubringen. Er dachte nicht einmal daran, das Für und Wider seiner törichten Reden zu erwägen; vielmehr nahm er, als er sah, daß die Könige ihn töten wollten, Schwert und Schild in die Hand, statt endlich innezuhalten, und stellte sich ihnen zum Kampf. Als Śrī Kṛṣṇa sah, daß die Könige im Begriff waren, an der Stätte des geweihten Rājāsūya-yajña zu kämpfen, beschwichtigte Er sie persönlich und entschloß Sich in Seiner grundlosen Gnade, Śiśupāla Selbst zu töten. Daher schleuderte Śrī Kṛṣṇa, als Śiśupāla nun auch die Könige, die ihn angreifen wollten, beschimpfte, Sein Feuerrad, das scharf wie eine Rasierklinge war, und trennte kurzerhand Śiśupālas Kopf vom Rumpf.

Als Śiśupāla auf diese Weise getötet wurde, ging ein tosender Aufschrei durch die Menge. Die wenigen Könige, die auf Śiśupālas Seite standen, nutzten den Tumult, die Versammlung eilends zu verlassen, da sie um ihr Leben fürchteten. Die glückhafte Seele Śiśupālas aber ging vor den Augen aller Anwesenden trotz allem in Śrī Kṛṣṇas Körper ein wie ein brennender Meteor, der der Oberfläche eines Planeten entgegenstürzt. Das Eingehen von Śiśupālas Seele in Kṛṣṇas transzendentalen Körper erinnert an die Geschichte von Jaya und Vijaya, die nach ihrer Verwünschung durch die vier Kumāras von den Vaikuṇṭha-Planeten in die materielle Welt herabfielen. Es war Jaya und Vijaya bestimmt, daß sie sich drei Leben hintereinander wie Todfeinde des Herrn verhalten sollten, bevor sie wieder in die Vaikuṇṭha-Welt zurückkehren und dem Herrn als Seine Gefährten dienen durften.

Obwohl Śiśupāla als Kṛṣṇas Feind auftrat, war er keinen Augenblick ohne Kṛṣṇa-Bewußtsein. Da er ständig in Gedanken an Kṛṣṇa vertieft war, erlangte er zuerst Erlösung in Form von sāyujya-mukti, was bedeutet, daß er in die Existenz des Höchsten einging, und wurde später zu seiner ursprünglichen Stellung erhoben, in der er dem Herrn persönlich dient. Die Bhagavad-gītā bestätigt diese Tatsache, daß jemand, der zur Zeit des Todes in Gedanken an den Höchsten Herrn vertieft ist, gleich nach Verlassen des materiellen Körpers in das Königreich Gottes eingeht.

Nach Śiśupālas Befreiung beschenkte König Yudhiṣṭhira alle Teilnehmer der Opferzeremonie. Er belohnte auch die gelehrten Priester und Weisen reichlich für ihre Bemühungen bei der Ausführung des Opfers. Nach Erfüllung aller üblichen Pflichten nahm er schließlich sein Bad. Dieses Bad am Ende des Opfers ist auch ein Bestandteil des Vorgangs und wird avabhṛtha-Bad genannt.

So ermöglichte es Śrī Kṛṣṇa, daß König Yudhiṣṭhiras Rājasūya-yajña erfolgreich zuendegeführt wurde; anschließend verbrachte Er auf Bitten Seiner Vetter und anderer Verwandten noch einige weitere Monate in Hastināpura. Obwohl König Yudhiṣṭhira und Seine Brüder Ihn gar nicht mehr aus Hastināpura fortlassen wollten, brachte es Kṛṣṇa schließlich doch fertig, vom König die Erlaubnis zur Rückkehr nach Dvārakā zu bekommen, und so fuhr Er bald darauf mit Seinen Königinnen und Ministern nach Hause.

Die Geschichte von Jaya und Vijaya, die von den Vaikuṇṭha-Planeten in die materielle Welt herabfielen, wird im Dritten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam erzählt, und die Begebenheit von Śiśupālas Tötung steht in direkter Beziehung zu dieser Erzählung. Die wichtigste Lehre jedoch, die wir aus dieser Begebenheit ziehen können, ist die, daß der Höchste Persönliche Gott, da Er absolut ist, jedem Befreiung gewähren kann - ob man als Sein Feind oder als Sein Freund handelt. Es ist also ein Irrtum zu glauben, der Herr habe zu manchen Lebewesen eine freundschaftliche Beziehung und zu anderen eine feindschaftliche. Sein feindschaftliches oder freundschaftliches Verhalten befindet sich stets auf der absoluten Ebene, auf der es keine materiellen Unterscheidungen gibt.

Als König Yudhiṣṭhira nach dem Opfer sein Bad genommen hatte und wieder bei den gelehrten Weisen und brāhmaṇas stand, sah er so schön aus, daß er dem König des Himmels glich. Er beschenkte alle Halbgötter, die an dem yajña teilgenommen hatten, mit reichen Gaben, und die Halbgötter verließen ihn dann auch höchst zufrieden, wobei sie die Taten des Königs rühmten und Śrī Kṛṣṇa priesen.

Als Śukadeva Gosvāmī erzählte, wie Kṛṣṇa Śiśupāla tötete, und schilderte, wie der Rājasūya-yajna erfolgreich von Mahārāja Yudhiṣṭhira vollzogen wurde, hob er hervor, daß es nach der glücklichen Beendigung des yajña eine Person gab, die nicht froh war, und zwar Duryodhana. Duryodhana war von Natur aus sehr neidisch, denn er führte ein sündiges Leben. Er war in der Kuru-Dynastie als chronische Krankheit in Person erschienen, die die gesamte Familie verderben sollte.

Śukadeva versicherte Mahārāja Parīkṣit, daß die Erzählungen von Kṛṣṇas Spielen, wie die tödlichen Kämpfe mit Śiśupāla und Jarāsandha und die Freilassung der gefangenen Könige, völlig transzendentale Klangschwingungen seien, und daß jeder, der sie von autorisierten Personen höre, augenblicklich von den Reaktionen auf seine Sünden befreit werde.

Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 73. Kapitel des Buches Kṛṣṇa:
»Śiśupāla wird erlöst«.