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Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas

Von A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada
Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas
Kṛṣṇa - Der Höchste Persönliche Gott
Originale Version 1. Auflage 1974
13. Kapitel:
 
Krishna
 
Brahmā stiehlt die Jungen und Kälber


 

Śukadeva Gosvāmī war sehr erfreut, als Mahārāja Parīkṣit ihn fragte, warum die Hirtenjungen erst nach einem Jahr über die Vernichtung Aghāsuras sprachen, und so sagte er: »Mein lieber König, durch deine Wißbegierde machst du die transzendentalen Spiele Kṛṣṇas noch lebendiger.«

Es wird gesagt, daß es die Natur eines Gottgeweihten ist, ständig seine Gedanken, seine Energie, seine Worte, seine Ohren usw. damit zu beschäftigen, über Kṛṣṇa zu hören und Ihn zu preisen. Dies wird Kṛṣṇa-Bewußtsein genannt, und jeder, der mit gespannter Aufmerksamkeit von Kṛṣṇa sprechen hört und Seine Herrlichkeiten preist, wird erleuchtet und wird die transzendentalen Inhalte niemals alltäglich finden. Hierin besteht der Unterschied zwischen transzendentalen und materiellen Themen. Materielle Themen werden schnell langweilig, wohingegen Berichte über transzendentales Geschehen nitya-navana-vāyamāna genannt werden, was bedeutet, daß man fortwährend, ohne zu ermüden, über den Herrn hören und chanten kann, und immer begierig bleibt, noch mehr über Ihn zu erfahren.

Es ist die Pflicht des geistigen Meisters, dem wißbegierigen und ernsthaften Schüler alle vertraulichen Dinge zu offenbaren. Daher erklärte Śukadeva Gosvāmī bereitwillig, warum die Einwohner von Vṛndāvana so lange nicht über die Vernichtung Aghāsuras sprachen. Śukadeva sagte zu Mahārāja Parīkṣit: »Hör bitte aufmerksam zu. Nachdem Kṛṣṇa Seine Freunde aus dem Bauch Aghāsuras gerettet und den Dämon getötet hatte, führte Er die Jungen ans Ufer der Yamunā und sagte: ›Seht nur, liebe Freunde, wie gut dieser Platz zum Mittagessen geeignet ist, und wie schön man auf dem weichen sandigen Ufer der Yamunā spielen kann. Die Lotosblumen stehen in voller Blüte und erfüllen die Luft mit herrlichem Duft. Das Zwitschern der Vögel, das Gurren der Pfaue und das Rauschen der Blätter antworten einander und machen diesen schönen Ort unter den Bäumen noch lieblicher. Laßt uns also an diesem herrlichen Platz zu Mittag essen, denn es ist bereits spät, und wir sind alle hungrig. Während wir uns laben, können die Kälber vom Wasser der Yamunā trinken und im weichen Gras weiden, das hier wächst.‹«

Als die Jungen Kṛṣṇas Vorschlag hörten, stimmten alle freudig zu und sagten: »O ja, laßt uns hier rasten.« Sie ließen die Kälber frei umherlaufen, so daß diese sich am frischen Gras erfreuen konnten, und nachdem sie sich in einer großen Runde niedergesetzt hatten, öffneten sie ihre Brotbeutel, die ihnen ihre Mütter mitgegeben hatten, und begannen zu essen. Śrī Kṛṣṇa saß in der Mitte Seiner Freunde, die Ihm ihre Gesichter zuwandten und ihre Freude daran hatten, Ihn zu betrachten. Kṛṣṇa glich dem Blütenkorb einer Lotosblume, und die Jungen umgaben Ihn wie die Blütenblätter. Kṛṣṇas Freunde sammelten Blumen und Baumrinde und legten sie unter ihre Mahlzeit. Jeder der Jungen entfaltete seine ihm eigene Beziehung zu Kṛṣṇa und erfreute sich der Gemeinschaft des Höchsten Persönlichen Gottes mit scherzenden Worten. Kṛṣṇa hatte Seine Flöte in den Gürtel geschoben und Sein Horn und den Hirtenstab neben Sich gelegt. In der Linken hielt Er eine aus Yoghurt, Butter, Reis und Früchten zubereitete Speise, die man zwischen den Fingern Seiner lotosgleichen Hände sehen konnte. Der Höchste Persönliche Gott, der das Ziel aller Opfer ist, lachte und scherzte, während Er mit Seinen Spielgefährten im Wald von Vṛndāvana zu Mittag aß. Die Halbgötter, die diese Szene vom Himmel aus mit ansahen, wurden voll Verwunderung gewahr, wie die Jungen in der Gesellschaft des Höchsten Persönlichen Gottes von transzendentaler Glückseligkeit erfüllt waren.

Unterdessen betraten die Kälber, die in der Nähe weideten, den tiefen Wald, angelockt von den jungen Gräsern, die dort wuchsen. Sie verschwanden allmählich außer Sichtweite, und als die Jungen plötzlich bemerkten, daß die Kälber nicht mehr in ihrer Nähe grasten, bekamen sie es mit der Angst zu tun und riefen: »Kṛṣṇa!« Kṛṣṇa ist der Vernichter der personifizierten Furcht. Jeder fürchtet sie, doch die Furcht selbst hat Angst vor Kṛṣṇa, Als die Jungen »Kṛṣṇa!« riefen, überwanden sie daher sofort ihre Angst. Weil Kṛṣṇa Seine Freunde sehr gern hatte, wollte Er nicht, daß sie mit dem Essen aufhörten, um nach den Kälbern zu suchen, und so sagte Er: »Liebe Freunde, ihr braucht eure Mahlzeit nicht zu unterbrechen; eßt ruhig weiter, Ich werde persönlich nach den Kälbern sehen.« Und so machte Er Sich auf, die Tiere zu suchen. Er hielt überall in den Wäldern und Berghöhlen nach ihnen Ausschau, doch konnte Er sie nirgends finden.

Als die Halbgötter mit Staunen sahen, wie Aghāsura von Kṛṣṇa mit spielerischer Leichtigkeit getötet wurde, kam auch Brahmā herbei, der auf dem Lotos geboren wurde, der aus den Nabel Viṣṇus wächst. Es überraschte ihn sehr, wie so ein Knirps wie Kṛṣṇa eine so große Heldentat vollbringen konnte. Dem Halbgott war zu Ohren gekommen, daß der kleine Kuhhirte der Höchste Persönliche Gott sei, und nun wollte er noch mehr von Seinen herrlichen Spielen sehen. Aus diesem Grund stahl er alle Kälber und brachte sie an einen entlegenen Ort. Śrī Kṛṣṇa konnte daher trotz emsigen Suchens die Kälber nicht finden und verlor dazu noch all Seine Freunde, die Brahmā in Kṛṣṇas Abwesenheit ebenfalls verschleppte. Kṛṣṇa war in Seiner Form als Kuhhirtenjunge im Vergleich zu Brahmā winzig, doch weil Er der Höchste Persönliche Gott ist, wußte Er sofort, daß die Kälber und Jungen von Brahmā gestohlen worden waren. Er sagte Sich: »Brahmā hat Meine Freunde und die Kälber entführt, doch Ich kann unmöglich ohne sie nach Vṛndāvana zurückkehren - ihren Müttern würde vor Kummer das Herz brechen.«

Um den Müttern Seiner Freunde unnötige Sorgen zu ersparen und zugleich Brahmā von der Allmacht des Höchsten Persönlichen Gottes zu überzeugen, erweiterte Sich Kṛṣṇa in die entführten Hirtenjungen und Kälber. In den Veden wird gesagt, daß Sich der Höchste Persönliche Gott durch Seine spirituelle Energie in unzählige Lebewesen erweitert. Deshalb war es für Ihn nicht weiter schwierig, auch noch zu den gestohlenen Jungen und Kälbern zu werden. Er nahm das genaue Aussehen der Jungen an, die alle von unterschiedlicher Gestalt waren, verschiedenartige Gesichter und Körper hatten und sich auch in ihren Gewändern, ihrem Schmuck und ihrem Verhalten voneinander unterschieden. Jedes Lebewesen besitzt unterschiedliche Neigungen, denn jedes ist eine individuelle Seele und unterscheidet sich in seinem Tun und Verhalten von anderen. Kṛṣṇa erweiterte Sich daher in allen Einzelheiten in die verschiedenen Jungen und wurde auch zu den Kälbern, die ebenfalls von verschiedener Größe waren und sich unterschiedlich verhielten. All dies war nur deshalb möglich, weil alles Existierende von Śrī Kṛṣṇa ausgeht. Im Viṣṇu Purāṇa heißt es dazu: parasya brahmāṇaḥ śakti. »Alles, was wir in der kosmischen Manifestation sehen, sei es Materie oder seien es die Handlungen der Lebewesen, ist nichts anderes als eine Schöpfung der Energien des Herrn, die von Ihm ausgehen wie Licht und Wärme vom Feuer.« Kṛṣṇa erweiterte Sich also in alle Seine Freunde und Kälber und kehrte, umgeben von Seinen Erweiterungen, in das Dorf von Vṛndāvana zurück.

Schon lange bevor die Jungen das Dorf erreichten, konnten die Mütter ihr Flötenspiel in der Ferne hören. Sie kamen aus den Häusern und liefen ihren Kindern entgegen, und als sie sie umarmten, strömte aus mütterlicher Zuneigung Milch aus ihren Brüsten hervor, und sie erlaubten den Jungen, davon zu trinken. Sie ahnten nicht, daß sie nicht ihre Söhne, sondern den Höchsten Persönlichen Gott stillten, der Sich zu ihren Kindern erweitert hatte. Śrī Kṛṣṇa gab auf diese Weise nicht nur Mutter Yaśodā, sondern auch allen anderen gopīs die Gelegenheit, Ihn mit ihrer Milch zu füttern. Die Jungen verhielten sich ihren Müttern gegenüber wie gewöhnlich, und als der Abend hereinbrach, badeten die gopīs die Kinder, schmückten sie mit tilaka und goldenen Gehängen und gaben ihnen nach der schweren Arbeit des Tages eine gute Abendmahlzeit. Als die Kühe, die tagsüber auf den Weiden von Vṛndāvana gegrast hatten, am Abend ins Dorf zurückkehrten und nach ihren Kälbern riefen, liefen diese augenblicklich zu ihren Müttern, die sie sogleich freudig beleckten. Die Beziehung zwischen den Kühen und ihren Kälbern und den gopīs und ihren Jungen blieb erhalten, ja sie vertiefte sich sogar noch, obwohl die wirklichen Kälber und Jungen gar nicht zugegen waren. Bisher hatten sich die Kühe und die älteren gopīs mehr zu Kṛṣṇa hingezogen gefühlt als zu ihren eigenen Kindern, doch nach diesem Vorfall verstärkte sich ihre Zuneigung zu den Kindern so sehr, daß sie für sie die gleiche Liebe wie für Kṛṣṇa empfanden. Ungefähr ein Jahr lang verblieb Kṛṣṇa so in der Gestalt der Kälber und der Hirtenjungen in Seiner Erweiterung in den Weidegründen. Wie in der Bhagavad-gītā erklärt wird, weilt Kṛṣṇa als Überseele im Herzen jedes Lebewesens. In diesem Falle jedoch erweiterte Er Sich nicht als Überseele, sondern als die Kälber und Hirtenjungen.

Eines Tages, als Kṛṣṇa und Balarāma die Kälber am Fuße des Govardhana-Hügels hüteten, sahen Sie von weitem einige Kühe auf der Spitze des Govardhana-Hügels weiden. Als die Kühe hinab ins Tal blickten und die Jungen mit den Kälbern sahen, liefen sie plötzlich alle mit weitausgreifenden Beinen den Hügel hinunter. Sie liebten ihre Kälber so sehr, daß sie gar nicht bemerkten, wie steinig der Pfad war, der vom Govardhana-Hügel hinunter zu den Weiden führte. Mit prall gefüllten Eutern und steil erhobenen Schwänzen stürmten sie also den Abhang hinab, während ihre Euter Ströme von Milch vergossen in der großen Liebe zu ihren Kälbern, die in Wahrheit gar nicht ihre eigenen waren. Die Kühe hatten ihre eigenen Kinder, doch obwohl die Kälber, die am Fuße des Govardhana-Hügels grasten, viel größer als die ihren und eigentlich schon aus dem Alter heraus waren, noch vom Euter der Mütter getränkt zu werden, liefen die Kühe direkt auf sie zu und begannen sie zu belecken, worauf die Kälber begannen, die Milch der Mütter zu saugen. Zwischen den Kühen und den Kälbern schien eine ungewöhnlich starke liebevolle Beziehung zu bestehen.

Als die Kühe durch ihr unruhiges Verhalten deutlich verrieten, daß sie zu den Kälbern laufen wollten, versuchten die Hirten, sie aufzuhalten. Die älteren Kühe werden nämlich von den Männern behütet, und die Jungen kümmern sich um die Kälber. Die Kälber werden soweit wie möglich von den Kühen getrennt gehalten, damit sie nicht deren Euter leertrinken, und deshalb versuchten die Männer auf dem Govardhana-Hügel, ihre Tiere zurückzuhalten. Alle ihre Bemühungen waren jedoch vergebens, und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als hinab ins Tal zu gehen und die Tiere zurückzuholen. Verdrossen machten sie sich auf den Weg; doch als sie dann ihre Kinder bei den Kühen und Kälbern sahen, regten sich in ihnen nie gekannte Gefühle der Liebe. Dies war recht erstaunlich, denn obgleich die Männer enttäuscht und ärgerlich den Hügel herunterkamen, schmolzen ihre Herzen in großer Zuneigung beim Anblick ihrer Söhne. Ihre Unzufriedenheit und ihr Mißmut schwanden im Nu, und liebevoll nahmen sie ihre Kinder in die Arme und drückten sie an sich. Mit Behagen sogen sie den Duft ihrer Köpfe ein und waren von großer Freude erfüllt. Nach dieser Liebkosung trieben die Männer die Kühe auf den Govardhana-Hügel zurück, und als sie an ihre Kinder dachten, füllten sich ihre Augen mit Tränen der Zuneigung.

Balarāma, der diesen ungewöhnlichen Austausch von Liebe zwischen den Kühen und ihren Kälbern wie zwischen den Vätern und ihren Söhnen beobachtete, obwohl eigentlich weder die Kälber noch die Kinder eine derart große Aufmerksamkeit verdienten, suchte nach einer Erklärung für dieses Verhalten. Es verwunderte Ihn, daß die Einwohner von Vṛndāvana und die Kühe ganz plötzlich eine ebenso große Zuneigung für ihre Kinder wie für Kṛṣṇa empfanden. Balarāma kam zu dem Schluß, daß die Liebesbezeugungen eine geheimnisvolle Ursache haben mußten, die entweder auf einen Halbgott oder auf irgendein anderes mächtiges Lebewesen zurückzuführen sei. Wie sonst hätte die wunderbare Veränderung stattfinden können? Er war überzeugt, daß diese mystische Wandlung von Kṛṣṇa bewirkt worden war, den Balarāma als den Höchsten Persönlichen Gott betrachtete, der Seiner Verehrung würdig war. Er sagte Sich: »All diese Vorfälle wurden von Kṛṣṇa gelenkt, dessen mystischen Kräften selbst Ich unterlegen bin.« Balarāma ahnte also, daß die Jungen und Kälber Erweiterungen Kṛṣṇas waren. Um jedoch sicher zu gehen, fragte Balarāma Śrī Kṛṣṇa, wie sich die Dinge nun wirklich verhielten; Er sagte: »Mein lieber Kṛṣṇa, anfangs dachte Ich, die Kälber und Hirtenjungen seien entweder große Heilige oder Halbgötter, doch jetzt bin Ich eher der Ansicht, daß sie Deine Erweiterungen sind. Sie alle sind Du. Du Selbst spielst mit Dir in der Form der Kälber und Jungen. Welches Geheimnis verbirgt sich dahinter? Wo sind die ursprünglichen Kälber und Jungen, und warum hast Du Dich in diese hier erweitert, die den anderen aufs Haar gleichen? Bitte erkläre Mir dies alles.« Kṛṣṇa schilderte daraufhin in kurzen Worten, wie die Kälber und Jungen von Brahmā gestohlen wurden, und daß Er, indem Er sich erweiterte, absichtlich diesen Vorfall verheimlichte, so daß die Dorfbewohner nicht bemerken würden, daß die ursprünglichen Kälber und Jungen fehlten.

Während Sich Kṛṣṇa und Balarāma unterhielten, kehrte Brahmā nach Vṛndāvana zurück, nachdem er (gemessen an seiner Lebensdauer) einen Augenblick fortgewesen war.

In der Bhagavad-gītā finden wir folgende Information über die Lebenszeit Brahmās: »Ein Tag oder vielmehr zwölf Stunden in Brahmās Leben bestehen aus vier Zeitaltern multipliziert mit tausend, also aus 4 300 000 X 1000 Jahren.« Ein Augenblick in Brahmās Leben entspricht somit einem unserer Sonnenjahre. Nachdem also nach Brahmās Zeitrechnung ein Augenblick verstrichen war, kehrte Er zurück, um die Verwirrung zu sehen, die er durch die Entführung der Kälber und Jungen verursacht hatte. Doch zur gleichen Zeit hatte er auch Angst, denn er spielte mit dem Feuer. Kṛṣṇa war sein Herr, und er hatte sich einen schlechten Scherz mit Ihm erlaubt, als er Seine Kälber und Freunde entführte. Er hatte tatsächlich große Angst und wagte es deshalb nicht, lange fortzubleiben, sondern kehrte schon nach einem Augenblick zurück.

Doch zu seinem großen Erstaunen sah er, daß alle Kälber und Hirtenjungen immer noch da waren und genauso mit Kṛṣṇa spielten, wie sie es getan hatten, als er sie das erste Mal sah. Er hätte schwören können, daß er sie entführt und durch seine mystischen Kräfte in Schlaf versetzt hatte, und so dachte er: »Alle diese Jungen und Kälber habe ich doch entführt, und ich bin mir ganz sicher, daß sie fest unter meinem Zauberbann schlafen. Wie ist es dann möglich, daß sie zur gleichen Zeit hier mit Kṛṣṇa spielen? Hat meine mystische Kraft etwa keinen Einfluß auf sie?«

Brahmā versuchte zu verstehen, wer die Hirtenjungen waren, und wie es möglich war, daß sie nicht von seiner mystischen Kraft beeinflußt wurden; doch trotz allen Denkens konnte er die Ursache nicht herausfinden. Er geriet vielmehr unter den Bann seiner eigenen mystischen Kräfte, deren Einfluß ihm wie Schnee in der Dunkelheit oder ein Glühwürmchen am Tage erschien. Nachts, wenn es dunkel ist, mag ein Glühwürmchen leuchten, und am Tage mag Schnee im Sonnenlicht hell glänzen, doch tagsüber hat ein Glühwürmchen keine Leuchtkraft, noch besitzt der Schnee in der Nacht seinen silbernen Glanz. Ähnlich verhielt es sich auch mit der mystischen Kraft Brahmās, als er sie vor der Allmacht Kṛṣṇas entfaltete. Sie glich Schnee in der Nacht bzw. einem Glühwürmchen am Tag. Wenn jemand mit geringen mystischen Kräften seine Macht in Gegenwart einer großen Persönlichkeit mit größeren mystischen Kräften zeigt, vermindert er lediglich seinen Einfluß. Er kann ihn niemals vergrößern. Selbst eine so bedeutende Persönlichkeit wie Brahmā machte sich nur lächerlich, als er seine mystische Kraft in der Gegenwart Kṛṣṇas entfaltete. Brahmā wurde auf diese Weise durch seine eigenen mystischen Kräfte verwirrt.

Um Brahmā davon zu überzeugen, daß die Kälber und Jungen, die er vor sich sah, nicht die ursprünglichen Kälber und Jungen waren, mit denen Kṛṣṇa vor einem Jahr gespielt hatte, erweiterte Sich der Höchste Persönliche Gott in Viṣṇu-Formen. In Wirklichkeit schliefen die ursprünglichen Jungen und Kälber immer noch unter dem Zauber von Brahmās mystischer Macht; die gegenwärtigen Kälber und Jungen waren die direkten Erweiterungen Kṛṣṇas bzw. Viṣṇus. Viṣṇu ist eine Erweiterung Kṛṣṇas, und diese Viṣṇu-Form erschien nun vor Brahmā. Alle Viṣṇus hatten eine blaue Hautfarbe und waren in gelbe Gewänder gekleidet. Sie hatten vier Hände, in denen Sie Feuerrad, Lotosblüte, Keule und Muschelhorn hielten, trugen funkelnde, mit Juwelen besetzte Helme und waren mit Perlen und Ohrringen geschmückt und mit prächtigen Blumengirlanden bekränzt. Auf Ihrer Brust befand sich das Zeichen Śrīvatsas, und Ihre Arme zierten Armreifen und andere Schmuckstücke. Ihre Hände waren so glatt wie Muscheln, an Ihren Fußgelenken und um Ihre Hüften hingen goldene Glöckchen, und an Ihren Fingern steckten kostbare Juwelenringe. Brahmā sah ebenfalls, daß der ganze Körper Śrī Viṣṇus von Kopf bis Fuß mit frischen tulasī-Blüten bedeckt war. Ein anderes wichtiges Merkmal der Viṣṇu-Formen war Ihre transzendentale Schönheit. Ihr Lächeln glich dem Mondschein, und Ihre Blicke waren wie der frühe Sonnenaufgang. Man konnte Sie schon allein an Ihren Blicken als die Schöpfer und Erhalter der Erscheinungsweisen der Unwissenheit und Leidenschaft erkennen. Viṣṇu repräsentiert die Erscheinungsweise der Reinheit, Brahmā die Erscheinungsweise der Leidenschaft und Śiva die Erscheinungsweise der Unwissenheit. Als Erhalter der kosmischen Manifestation und allen Lebens ist Viṣṇu auch der Erhalter Brahmās und Śivas.

Dann sah Brahmā, wie viele andere Brahmās, Śivas und Halbgötter, ja selbst so unbedeutende Lebewesen wie Ameisen und Gräser, Śrī Viṣṇu tanzend umringten. Ihr Tanz wurde von herrlicher Musik begleitet, und sie alle brachten Viṣṇu ihre Ehrerbietungen dar. Brahmā erkannte auch, daß die Viṣṇu-Formen alle mystischen Vollkommenheiten besaßen, angefangen mit der anima-Vollkommenheit, durch die man klein wie ein Atom werden kann, bis zu der Vollkommenheit, die es einem ermöglicht, unbegrenzt wie die kosmische Manifestation zu werden. Alle mystischen Kräfte Brahmās, Śivas und der anderen Halbgötter und die vierundzwanzig Elemente der kosmischen Manifestation waren in der Person Viṣṇus vereinigt, und auch die untergeordneten Energien waren durch den unermeßlichen Einfluß Śrī Viṣṇus in Seinem Dienst beschäftigt. Er wurde von der Zeit, vom Raum, von der kosmischen Manifestation, der Erneuerung, von Verlangen und Aktivitäten und von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur verehrt. Brahmā erkannte auch, daß Viṣṇu die Quelle aller Wahrheit, allen Wissens und aller Glückseligkeit ist. Er vereinigt in Sich die drei transzendentalen Aspekte Ewigkeit, Wissen und Glückseligkeit, und Er ist das Ziel der Anhänger der Upaniṣaden. Brahmā sah, daß die verschiedenen Formen ihre Verwandlung in Kühe, Kälber und Jungen nicht durch mystische Kräfte von der Art erfahren hatten, wie sie einem yogī oder einem Halbgott verliehen sind. Sie waren, als Viṣṇu-mūrtis, keine Manifestationen der Viṣṇu-māyā, der Energie Viṣṇus, sondern Viṣṇu Selbst. Die Eigenschaften Viṣṇus und Viṣṇu-māyās sind mit Feuer und Hitze vergleichbar. Hitze besitzt zwar die Eigenschaft des Feuers, nämlich Wärme, doch ist sie nicht das Feuer. Die Manifestation der Viṣṇu-Formen war also nicht wie die Hitze, sondern eher wie das Feuer, denn Sie alle waren tatsächlich Viṣṇu. Die Eigenschaften Viṣṇus sind vollkommene Wahrheit, vollkommenes Wissen und vollkommene Glückseligkeit. Wenn sich materielle Objekte, wie z. B. die Sonne, in Wassertöpfen spiegelt, sind diese Spiegelungen nicht mit den Objekten identisch. Von dem Spiegelbild der Sonne geht keine wirkliche Hitze, kein wirkliches Licht aus. Im Gegensatz dazu waren alle Formen, die Kṛṣṇa annahm, völlig mit Ihm identisch. »Satyam« bedeutet »Wahrheit«, »jñānam« »vollkommenes Wissen« und »ānanda« »vollkommene Glückseligkeit«. Die transzendentalen Formen des Höchsten Persönlichen Gottes, die Seine Person enthält, sind so unermeßlich, daß die Anhänger der Upaniṣaden, die das Unpersönliche verehren, niemals ein so hohes Wissen erreichen können, daß sie diese Formen verstehen könnten. Die transzendentalen Formen des Höchsten Persönlichen Gottes befinden Sich jenseits des Vorstellungsvermögens der Unpersönlichkeitsanhänger, die durch das Studium der Upaniṣaden lediglich verstehen können, daß die Absolute Wahrheit nicht materiell ist und nicht durch materielle Energien begrenzt wird. Brahmā verstand also, daß Sich Kṛṣṇa in Viṣṇu-Formen erweitert hatte, und er konnte auch erkennen, daß alles Sich-Bewegende und Sich-Nicht-Bewegende in der kosmischen Manifestation aufgrund der Energie des Höchsten Herrn existiert.

Verwirrt wurde sich Brahmā seiner Begrenztheit innerhalb der Schranken der elf Sinne bewußt. So konnte er zumindest erkennen, daß auch er, ähnlich wie eine Puppe, nur eine Schöpfung der materiellen Energie ist. Gleich einer Puppe, die nicht unabhängig nach ihrem eigenen Willen tanzen kann, sondern sich unter der Führung des Puppenspielers, der alle Fäden in der Hand hält, bewegen muß, sind auch die Halbgötter und alle anderen Lebewesen dem Höchsten Persönlichen Gott untergeordnet. Nach dem Śrī Caitanya-caritāmṛta ist Kṛṣṇa der einzige Meister, und alle anderen sind Seine Diener. Die ganze Welt schwimmt auf den Wellen des materiellen Zauberbannes, und die Lebewesen werden wie Stroh hin- und hergeschwemmt. So kämpfen sie ständig um ihr Leben. Doch sowie man sich darüber bewußt wird, daß man der ewige Diener des Höchsten Persönlichen Gottes ist, ist māyā, d. h. der illusorische Kampf ums Dasein, zu Ende.

Brahmā, der Sarasvatī, die Göttin des Lernens, zur Frau hat, und der als die größte Autorität im vedischen Wissen gilt, war verwirrt, da er außerstande war, die außergewöhnliche Macht zu verstehen, die der Höchste Persönliche Gott entfaltete. Selbst eine so große Persönlichkeit wie Brahmā ist also nicht in der Lage, die ungeheuren mystischen Kräfte des Höchsten Herrn zu begreifen. Brahmā scheiterte nicht nur darin, Kṛṣṇa zu verstehen, sondern war auch verwirrt, als er die vielen Viṣṇu-Formen sah, die Kṛṣṇa manifestierte.

Kṛṣṇa hatte Mitleid mit Brahmā, der nicht verstehen konnte, wie es Kṛṣṇa möglich sein konnte, die Macht Viṣṇus zu entfalten, als Er Sich in Kälber und Jungen verwandelte, und so zog Er plötzlich den Vorhang der yoga-māyā über den Schauplatz. In der Bhagavad-gītā wird gesagt, daß der Höchste Persönliche Gott den Augen der Materialisten nicht sichtbar ist, weil Er vom Vorhang der yoga-māyā verhüllt wird. Der Schleier, der die Realität verhüllt, wird als mahā-māyā bezeichnet, die äußere Energie, die es der bedingten Seele nicht erlaubt, den Höchsten Persönlichen Gott zu verstehen, der Sich jenseits der kosmischen Manifestation befindet. Doch die Energie, die den Höchsten Persönlichen Gott bis zu einem gewissen Maß enthüllt und es dem Lebewesen dann wieder nicht gestattet, Ihn zu sehen, wird yoga-māyā genannt. Brahmā ist keine gewöhnliche bedingte Seele; er ist sogar allen anderen Halbgöttern weit überlegen, aber dennoch konnte nicht einmal er die Machtentfaltung des Höchsten Persönlichen Gottes verstehen. Aus diesem Grunde verzichtete Kṛṣṇa darauf, weitere Kräfte zu manifestieren, denn die bedingte Seele wird von derartigen Manifestationen nicht nur verwirrt, sondern ist auch völlig außerstande, irgend etwas davon zu begreifen. Daher ließ Kṛṣṇa den Schleier der yoga-māyā über die Szene fallen, so daß Brahmā nicht noch verwirrter werden konnte.

Als Brahmā von seiner Verwirrtheit befreit war, schien er aus einem todähnlichen Zustand zu erwachen. Er öffnete mühsam die Augen, und als er sich umsah, konnte er die ewige kosmische Manifestation wieder mit gewöhnlichen Augen sehen. Er sah das wunderschöne bewaldete Land von Vṛndāvana, die Lebensquelle der Lebewesen, wo alles transzendental zur materiellen Natur ist. Im Wald von Vṛndāvana leben selbst wilde Tiere wie Tiger friedlich mit Rehen und Menschen zusammen. Er konnte verstehen, daß Vṛndāvana durch die Anwesenheit des Höchsten Persönlichen Gottes transzendental zu allen anderen Orten ist, und daß in diesem glückverheißenden Land weder Sinnenlust noch Gier zu finden sind. Brahmā sah also Śrī Kṛṣṇa, den Höchsten Persönlichen Gott, der die Rolle eines gewöhnlichen Hirtenknaben spielte, im Wald von Vṛndāvana vor sich stehen, und als er das kleine Kind anblickte, das in Seiner Linken ein wenig süßen Reis hielt und genau wie vor einem Jahr seine Freunde und Kälber suchte, stieg Brahmā augenblicklich von seinem großen Schwan herunter, und fiel wie ein goldener Stab vor dem Herrn zu Boden, um Ihm seine Ehrerbietungen zu erweisen. Das Wort, das unter Vaiṣṇavas für diese Art der Ehrerbietung gebraucht wird, lautet »daṇḍavat«, was soviel bedeutet wie »gleich einem Stock zu Boden fallen.« Man sollte einem höherstehenden Vaiṣṇava seine Ehrerbietungen erweisen, indem man wie ein Stab langausgestreckt vor ihm zu Boden fällt. Weil Brahmā eine goldene Körperfarbe hatte, glich er einem goldenen Stab, der vor Śrī Kṛṣṇa lag. Alle vier Helme auf den Köpfen Brahmās berührten Kṛṣṇas Lotosfüße, und weil Brahmā von Glückseligkeit erfüllt war, begann er Freudentränen zu weinen, die die Lotosfüße des Herrn benetzten. Immer wieder warf Brahmā sich zu Boden, um sich sogleich wieder zu erheben. Unablässig erinnerte er sich dabei an die wunderbaren Taten des Herrn. Nachdem er Kṛṣṇa auf diese Weise lange Zeit seine Ehrerbietungen erwiesen hatte, stand er schließlich auf, rieb sich die Augen und begann dem Herrn sehr demütig, mit zitternder Stimme und großem Respekt Gebete darzubringen.

Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 13. Kapitel des Buches Kṛṣṇa:
»Brahmā stiehlt die Jungen und Kälber.«