Kṛṣṇa - Der Höchste Persönliche Gott 3. Teil Eine Zusammenfassung des Zehnten Cantos von Śrīla Vyāsadevas Śrīmad-Bhāgavatam von Seiner Göttlichen Gnade A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda Gründer-Ācārya der Internationalen Gesellschaft für Kṛṣṇa-Bewußtsein Titel der Originalausgabe: Kṛṣṇa The Supreme Personality of Godhead Für die Übersetzung aus dem Englischen verantwortlich: Vedavyāsa dāsa brahmacārī (Christian Jansen) Śacīnandana dāsa brahmacārī (Thorsten Pettersson) 1. Auflage 1.-10. Tausend Copyright © THE BHAKTIVEDANTA BOOK TRUST 1975 Alle Rechte vorbehalten Herausgeber: Internationale Gesellschaft für Kṛṣṇa-Bewußtsein e.V. 6241 Schloß Rettershof/i.Ts. Tel.: 06174/21357 Für seine unersetzliche Hilfe bei der Herausgabe dieses Werkes gilt unser besonderer Dank Prof. Dr. W. H. Wolf-Rottkay, Associate Professor Emeritus of German and Linguistics at the University of Southern California Die Übersetzer Für meinen Vater, Gour Mohon De (1849-1930), einen reinen Geweihten Kṛṣṇas, der mich von klein auf als Kṛṣṇa-bewußtes Kind erzog. In meinen Jugendjahren lehrte er mich die mṛdaṅga spielen. Er schenkte mir Rādhā-Kṛṣṇa vigraha zur Verehrung, und er gab mir Jagannātha-Ratha, damit ich schon, als eines meiner Kindheitsspiele, das Jagannātha-Fest (Ratha-yatra) feiern konnte. Er war sehr gütig zu mir, und ich empfing von ihm die Prinzipien, die später von meinem geistigen Meister, meinem ewigen Vater, bestätigt wurden. A. C. Bhaktivedanta Swami Words From Apple - Einleitende Worte von George Harrison Jeder sucht nach Kṛṣṇa. Manche wissen es vielleicht nicht, doch sie tun es. Kṛṣṇa ist Gott, der Ursprung alles Existierenden, die Ursache all dessen was ist, war und zukünftig sein wird. Da Gott unbegrenzt ist, hat Er viele Namen: Allah, Buddha, Jehova, Rāma. Alle sind Kṛṣṇa, alle sind eins. Gott ist nicht abstrakt, sondern in Seinem endgültigen Aspekt eine Person - die Höchste Person -, die ewig, voller Glückseligkeit und voller Wissen ist. Wie ein Tropfen Wasser die gleichen Eigenschaften wie der Ozean besitzt, so hat unser Bewußtsein die gleichen Eigenschaften wie das Bewußtsein Gottes. Doch durch unsere Identifizierung und Verhaftung mit der materiellen Energie (dem physischen Körper, den Sinnenfreuden, materiellem Besitz, Ichgefühl, usw.) ist unser wahres, transzendentales Bewußtsein verunreinigt worden und kann daher, gleich einem staubigen Spiegel, kein klares Bild mehr reflektieren. Im Laufe vieler Leben hat sich unsere Verbindung mit dem Vergänglichen gefestigt. Den unbeständigen Körper, eine Handvoll Knochen und Fleisch, mißverstehen wir als unser wahres Selbst und halten daher den gegenwärtigen, zeitweiligen Zustand für natürlich und endgültig. Zu allen Zeiten waren Heilige der lebendige Beweis dafür, daß der nicht­zeitweilige, beständige Zustand des Gottesbewußtseins in allen lebendigen Seelen wiedererweckt werden kann. Jede Seele ist ihrem Wesen nach göttlich. Kṛṣṇa sagt in der Bhagavad-gītā: »Stetig im Selbst und befreit von aller materiellen Verunreinigung, erlangt der yogi die Stufe vollkommenen Glücks.« (Bg. 6.28) Yoga (eine wissenschaftliche Methode zur Gottes-[Selbst-]verwirklichung) ist der Vorgang, durch den wir unser Bewußtsein reinigen, weitere Verschmutzung verhindern und auf die Stufe der Vollkommenheit – voller Wissen und Glückseligkeit – gelangen können. »Wenn es einen Gott gibt, möchte ich Ihn sehen«, mögen viele sagen, und das ist richtig, denn es ist nicht gut, blind an etwas zu glauben. Krsna-Bewußtsein oder vielmehr die Meditation im bhakti-yoga ist eine Methode, mit der man Gott tatsächlich wahrnehmen kann. Man kann Gott tatsächlich sehen, Ihn hören und mit Ihm spielen. Es mag verrückt klingen, aber Er ist wirklich da, wirklich bei dir. Es gibt viele Pfade des yoga – rājā, jñāna, haṭha, kriyā, karma, bhakti usw. – , die alle von den jeweiligen Meistern mit Überzeugung praktiziert werden. A. C. Bhaktivedanta Swami ist, wie Sein Name bereits sagt, ein bhakti-yogī, der dem Pfad der Hingabe folgt. Indem der Gottgeweihte Kṛṣṇa mit jedem Gedanken, jedem Wort und jeder Tat dient und Seinen heiligen Namen chantet [* chanten – singen, sprechen *], entwickelt er sehr schnell Gottesbewußtsein. Durch das Chanten von »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare – Hare Rāma, Hare Rāma , Rāma Rāma, Hare Hare« wird man mit Sicherheit allmählich die Stufe des Kṛṣṇa-Bewußtseins erreichen (mach die Probe und Du wirst es erleben). Ich möchte Dich bitten, Deinen Nutzen aus diesem Buch »Kṛṣṇa« zu ziehen und in sein Verständnis einzudringen. Auch möchte ich Dich bitten, Dich zu entschließen, durch den Selbstbefreiungsvorgang des bhakti-yoga, d. h. durch das Chanten des Hare-Kṛṣṇa-mantras Gott jetzt zu verwirklichen - Give Peace A Chance. ALL YOU NEED IS LOVE (KRISHNA) George Harrison 31/3/70 Apple Corps Ltd 3 Savile Row, London WI Gerrard 2772/3993 Telex Apcore London 69. KAPITEL Śrī Kṛṣṇas tägliches Leben Aus den vedischen mantras erfahren wir, daß der Höchste Persönliche Gott nichts zu tun braucht: na tasya karyaṁ kranaṁ ca vidyate. Wenn der Höchste Herr nichts tun muß, wie können wir dann aber von den Tätigkeiten des Höchsten Herrn sprechen? Wie aus dem letzten Kapitel deutlich wird, kann niemand so handeln wie Śrī Kṛṣṇa. Deshalb sollten wir uns folgende Tatsache gut merken: Man soll sich Kṛṣṇas Tun zum Vorbild nehmen, aber man kann es nicht nachahmen. Zum Beispiel kann man Kṛṣṇas vorbildlichem Haushälterleben folgen, doch wenn man Kṛṣṇa imitieren und sich wie Er in viele Formen erweitern wollte, würde man das Unmögliche versuchen. Wir sollten daher stets daran denken, daß Śrī Kṛṣṇa, obwohl Er die Rolle eines Menschen spielt, nichtsdestoweniger gleichzeitig immer Seine Stellung als Höchster Persönlicher Gott beibehält. Wir können zwar Śrī Kṛṣṇas Beispiel folgen, das Er gab, als Er Sich Seinen Frauen gegenüber wie ein gewöhnlicher Mensch verhielt, doch Seinen Umgang mit mehr als 16.000 Frauen gleichzeitig können wir nicht nachahmen. Die Schlußfolgerung ist, daß wir, wenn wir vorbildliche Haushälter werden wollen, dem Beispiel Śrī Kṛṣṇas folgen sollten, das Er in Seinem täglichen Leben gab, daß wir Ihn jedoch auf keiner Lebensstufe nachahmen können. Śrī Kṛṣṇa ruhte nachts gewöhnlich bei jeder Seiner sechzehntausend Frauen, doch Er stand auch frühmorgens, drei Stunden vor Sonnenaufgang, auf. Die Natur hat es so eingerichtet, daß das Krähen der Hähne die bṛāhma-muhūrta-Stunde anzeigt. Weckeruhren sind deshalb nicht nötig. Sobald die Hähne frühmorgens krähen, weiß man, daß es Zeit zum Aufstehen ist. Kṛṣṇa pflegte Sich, sowie Er das Krähen vernahm, aus dem Bett zu erheben, was Seinen Frauen jedoch nicht sehr behagte. Kṛṣṇas Frauen hingen so sehr an Ihm, daß sie lieber liegenbleiben und Ihn umarmt halten wollten; doch sobald die Hähne krähten, wurden sie deshalb betrübt und verwünschten das Krähen. Im Garten eines jeden Palastes wuchsen pārijāta-Blüten. Die pārijāta ist keine künstliche Blüte. Wie wir wissen, wurde der pārijāta-Baum von Kṛṣṇa vom Himmel gebracht und in allen Seinen Palastgärten gepflanzt. Früh am Morgen trug ein sanfter Wind den Duft der pārijāta mit sich, so daß Kṛṣṇa ihn gleich nach dem Aufstehen verspüren konnte. Angeregt durch diesen Duft begannen alsbald die Honigbienen summend umherzufliegen, und auch die Vögel begannen ihr liebliches Zwitschern. Alles zusammen klang wie das Singen berufsmäßiger mantra-Sänger, wenn sie Kṛṣṇa Gebete darbringen. Śrīmatī Rukmiṇīdevī, die erste Königin Śrī Kṛṣṇas, fühlte sich, obwohl sie wußte, daß die brāhma-muhūrta die günstigste Zeit des Tages ist, jedesmal bekümmert, wenn es soweit war, denn sie war nicht gerade glücklich, wenn Kṛṣṇa ihre Seite auf dem Ruhelager verließ. Doch Kṛṣṇa stand zu Rukmiṇīs Bedauern immer sofort pünktlich auf, wenn die brāhma-muhūrta nahte. Ein guter Haushälter sollte von Śrī Kṛṣṇa lernen, früh aufzustehen, wie bequem er auch immer, umarmt von seiner Frau, im Bett ruhen mag. Nach dem Aufstehen wusch Sich Śrī Kṛṣṇa Mund, Hände und Füße und setzte Sich dann sogleich nieder, um über Sich Selbst zu meditieren. Das bedeutet jedoch nicht, daß auch wir uns niedersetzen und über uns selbst meditieren sollen. Wir müssen über Kṛṣṇa, über Rādhā-Kṛṣṇa meditieren; das ist wirkliche Meditation. Da natürlich Kṛṣṇa Selber Kṛṣṇa ist, lehrte Er uns, als Er über Sich Selbst meditierte, daß man die brāhma-muhūrta zur Meditation über Rādhā-Kṛṣṇa nutzen soll. Wenn Kṛṣṇa also in dieser Weise meditierte, fühlte Er Sich sehr zufrieden, und ebenso werden auch wir transzendentale Freude und Zufriedenheit erfahren, wenn wir die brāhma-muhūrta dazu nutzen, über Rādhā und Kṛṣṇa zu meditieren, und wenn wir immer daran denken, wie Sich Śrī Rukmiṇīdevī und Kṛṣṇa als vorbildliche Eheleute verhielten, um die gesamte menschliche Gesellschaft zu lehren, früh am Morgen aufzustehen und sich sofort im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu betätigen. Es besteht kein Unterschied zwischen der Meditation über die ewigen Gestalten Rādhās und Kṛṣṇas und dem Chanten des mahā-mantra, der lautet: »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare – Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare.« Als Kṛṣṇa meditieren wollte, blieb Ihm nichts anderes übrig, als über Sich Selbst zu meditieren. Es gibt drei Gegenstände der Meditation: Brahman, Paramātma und Bhagavān, der Höchste Persönliche Gott. Śrī Kṛṣṇa ist alle drei: Er ist der Höchste Persönliche Gott, Bhagavān; der lokalisierte Paramātma ist Seine vollständige Teilerweiterung; und das alldurchdringende Brahman ist die Ausstrahlung Seines transzendentalen Körpers. Kṛṣṇa ist deshalb immer einer, und für Ihn gibt es keine Unterschiede. Das unterscheidet Ihn von einem gewöhnlichen Lebewesen, denn für ein gewöhnliches Lebewesen bestehen viele Unterschiede: es ist verschieden von seinem Körper, es unterscheidet sich von Lebewesen anderer Art usw. Ein Mensch z. B. unterscheidet sich von den anderen Menschen und den Tieren. Selbst am eigenen Körper gibt es verschiedene Körperteile. Die Hände, beispielsweise, sind ganz anders als unsere Beine; sie könnten niemals die Aufgabe der Füße erfüllen. Noch kann man mit den Füßen das tun, was man mit den Händen tun kann. Die Augen können nicht hören wie die Ohren; noch können die Ohren sehen wie die Augen. All diese Unterschiede bezeichnet man in der vedischen Sprache als svajitiya vijtiya. Die körperliche Bedingtheit, derentwegen ein Teil des Körpers nicht das gleiche tun kann wie ein anderes, besteht nicht für den Höchsten Persönlichen Gott. Zwischen Seinem Körper und Ihm Selbst gibt es keinen Unterschied. Er ist völlig spirituell, und daher besteht zwischen Seinem Körper und Seiner Seele kein Unterschied. Auch ist Er nicht verschieden von Seinen millionenfachen Inkarnationen und vollständigen Erweiterungen. Baladeva ist die erste Erweiterung Kṛṣṇas, und von Baladeva erweitern Sich Saṇkarṣaṇa, Vāsudeva, Pradyumna und Aniruddha. Saṇkarṣaṇa dehnt sich weiter in Nārāyaṇa aus, von dem eine zweite vierfache Erweiterung mit Namen Saṇkarṣaṇa, Vāsudeva, Pradyumna und Aniruddha ausgeht. So gibt es unzählige Erweiterungen Kṛṣṇas, doch sie alle sind eins. Śrī Kṛṣṇa hat auch viele Inkarnationen, wie die Inkarnation als Nṛsiṁhadeva (Halb Mensch, halb Löwe), Varāha (Wildeber), Matsya (Fisch) und Kurma (Schildkröte); doch gibt es keinen Unterschied zwischen diesen Inkarnationen in gigantischen Tiergestalten und Kṛṣṇas ursprünglicher zweiarmiger Gestalt, die der eines Menschen gleicht. Auch unterscheiden sich bei Ihm nicht die Fähigkeiten eines Körperteils von denen eines anderen. Er kann Seine Arme als Beine gebrauchen; Seine Augen vermögen zu hören wie Seine Ohren; Seine Nase kann ebenso die Funktion jedes anderen Körperteils erfüllen und so fort. Wenn Kṛṣṇa riecht, ißt oder hört, ist es das gleiche. Wir begrenzten Lebewesen müssen für diese Funktionen jeweils ein ganz bestimmtes Teil unseres Körpers benützen, aber Kṛṣṇa kennt keine solch unterschiedlichen Festlegungen. In der Brahma-saṁhitā wird gesagt, angāni yasya sakalendriya-vṛtti: »Er kann die Funktion eines Körperteils mit jedem anderen Körperteil erfüllen.« So gelangt man durch das analytische Studium Kṛṣṇas und Seiner Person zu der Schlußfolgerung, daß Er das vollkommene Ganze ist. Deshalb also meditiert Kṛṣṇa, wenn Er meditiert, über Sich Selbst. Die Selbstmeditation eines gewöhnlichen Menschen, die im Sanskrit als so'ham bezeichnet wird, ist nur eine Nachahmung. Kṛṣṇa kann über Sich Selbst meditieren, denn Er ist das vollkommene Ganze; wir aber können Ihn nicht nachahmen und über uns selbst meditieren. Unser Körper ist eine Bezeichnung – Kṛṣṇas Körper ist keine Bezeichnung. Kṛṣṇas Körper ist ebenfalls Kṛṣṇa. Es gibt nichts in Kṛṣṇa, das sich von Ihm unterschiede; anders ausgedrückt: Was immer in Kṛṣṇa ist, ist ebenfalls Kṛṣṇa. Er ist deshalb das höchste, unzerstörbare, vollständige Dasein, d. h. die höchste Wahrheit. Kṛṣṇas Dasein ist kein relatives Dasein. Alles außer Kṛṣṇa ist relative Wahrheit, doch Kṛṣṇa ist die Höchste Absolute Wahrheit. Kṛṣṇa ist, um existieren zu können, von nichts und niemanden außer Sich Selbst abhängig. Unser Dasein dagegen ist von Relativitäten abhängig. Zum Beispiel können wir nur etwas sehen, wenn Sonne, Mond oder Elektrizität uns Licht spenden, und daher ist unser Sehvermögen relativ, so wie auch das Sonnenlicht, das Mondlicht oder das künstliche Licht relativ sind; denn wir bezeichnen es nur als leuchtend, weil wir es als solches wahrnehmen. Abhängigkeit und Relativität gibt es nicht in Kṛṣṇa. Seine Handlungen hängen nicht von irgendjemandes Einverständnis ab, noch ist Er auf irgendjemandes Hilfe angewiesen. Er steht über dem Dasein in Raum und Zeit, die begrenzt sind, und weil Er transzendental zu Raum und Zeit ist, kann Er nicht von der Illusion māyās bedeckt werden, deren Wirkung ebenfalls begrenzt ist. In den vedischen Schriften finden wir die Feststellung, daß der Höchste Persönliche Gott mannigfache Kräfte besitzt. Da all diese Kräfte Erweiterungen Seiner Selbst sind, besteht kein Unterschied zwischen Ihm und Seinen Kräften. Gewisse Philosophen behaupten jedoch, Kṛṣṇa nehme einen materiellen Körper an, wenn Er in der materiellen Welt erscheine. Selbst wenn man diese Behauptung für wahr hält, sollte man doch auch die Schlußfolgerung ziehen, daß Kṛṣṇas Körper nicht materiell bedingt ist, weil die materielle Energie nicht verschieden von Ihm ist. In der Bhagavad-gītā (4.6) wird gesagt, daß der Herr durch Seine eigene innere Kraft, ātma-māyā, erscheint. Kṛṣṇa wird das Höchste Brahman genannt, weil Er die Ursache der Schöpfung, die Ursache der Erhaltung und die Ursache der Vernichtung ist. Brahmā, Viṣṇu und Śiva sind jeweils verschiedene Erweiterungen dieser materiellen Erscheinungsformen. All diese materiellen Erscheinungsformen können zwar auf die bedingten Seelen einwirken, doch für Kṛṣṇa gibt es keine solchen Einwirkungen oder Auswirkungen, da diese Erscheinungsformen gleichzeitig eins mit und verschieden von Ihm sind. Kṛṣṇa Selbst ist ganz einfach sac-cid-ānanda-vigraha, die ewige Gestalt des Wissens und der Glückseligkeit, und wegen Seiner unermeßlichen Größe wird Er das Höchste Brahman genannt. Wenn Er über das Brahman, den Paramātma oder Bhagavān meditiert, meditiert Er allein über Sich Selbst, und über nichts außer Sich Selbst. Diese Meditation kann das gewöhnliche Lebewesen unmöglich nachahmen. Nach Seiner Meditation pflegte der Herr regelmäßig in klarem Weihwasser ein Morgenbad zu nehmen. Danach legte Er frische Kleidung an, hüllte Sich in einen Morgenrock und widmete Sich dann den täglichen religiösen Zeremonien. Von Seinen vielen religiösen Pflichten war die erste, Opfergaben darzubringen und leise den Gāyatrī-mantra zu chanten. Als vorbildlicher Haushälter vollzog Śrī Kṛṣṇa alle religiösen Zeremonien eines Familienvaters ohne Ausnahme. Bei Sonnenaufgang brachte der Herr dem Sonnengott bestimmte Gebete dar. Dieser und andere in den vedischen Schriften erwähnte Halbgötter werden als verschiedene Teile von Śrī Kṛṣṇas Körper angesehen, und es ist die Pflicht des Haushälters, die Halbgötter und großen Weisen, wie auch die Vorfahren, zu ehren. Wie in der Bhagavad-gītā (3.22) gesagt wird, gibt es für den Herrn keine bestimmte Pflicht in dieser Welt, und dennoch verhält Er Sich wie ein gewöhnlicher Mensch, der ein vorbildliches Leben in der materiellen Welt führt. In Übereinstimmung mit den vedischen Ritualvorschriften pflegte der Herr den Halbgöttern Ehre zu erweisen. Das regulierende Prinzip, nach dem man die Halbgötter und Vorfahren verehrt, bezeichnet man als tarpaṇa, was »zufriedenstellend« bedeutet. Wenn z. B. die Vorfahren eines Menschen einen Körper auf einem anderen Planeten annehmen müssen, werden sie, wo immer sie sich auch befinden mögen, sehr glücklich, wenn ihr Nachfolger dem tarpaṇa-Vorgang folgt. Es ist die Pflicht des Haushälters, seine Familienangehörigen glücklich zu machen, und wenn er den taṛpaṇa-Vorgang befolgt, kann er also auch seine Vorfahren glücklich machen. Als vollkommener und beispielhafter Haushälter hielt Sich auch Śrī Kṛṣṇa an diesen tarpaṇa-Vorgang und brachte den älteren und damit höherstehenden Angehörigen Seiner Familie achtungsvolle Ehrerbietungen dar. Seine nächste Pflicht bestand darin, den brāhmaṇas Kühe zu spenden. Dabei pflegte Kṛṣṇa jedesmal 13084 Kühe fortzugeben. Jede einzelne Kuh schmückte eine Seidendecke und eine Perlenkette; ihre Hörner waren vergoldet und die Hufe mit Silber beschlagen. Da sie noch erstgeborene Kälber bei sich hatten, waren ihre Euter voll Milch, und sie waren sehr zahm und friedlich. Zusammen mit den Kühen wurden den brāhmaṇas prächtige Seidengewänder gegeben, und jeder Beschenkte erhielt außerdem reichliche Mengen Sesamsamen. Der Herr ist überall als go-brāhmaṇa-hitāya ca bekannt, was darauf hindeutet, daß Seine erste Pflicht darin besteht, Sich um das Wohl der Kühe und der brāhmaṇas zu kümmern. So pflegte Er den brāhmaṇas reich geschmückte Kühe und viele Beigaben zu schenken. Er berührte auch glückbringende Dinge, wie Milch, Honig, zerlassenes Butterfett, Gold, Juwelen und Feuer, während Er allen Lebewesen Wohlergehen wünschte. Obgleich der Herr wegen der vollkommenen Gestalt Seines transzendentalen Körpers bereits von Natur aus von unvergleichlicher Schönheit ist, kleidete Er Sich in gelbfarbene Gewänder und legte Seine Halskette aus Kaustubha-Juwelen an. Dazu trug Er Blumengirlanden, bestrich den Körper mit Sandelholzpaste und verwendete andere Schönheitsmittel und Schmuckstücke. Es heißt, daß es die Schmuckstücke waren, die an Schönheit zunahmen, wenn sie den transzendentalen Körper des Herrn zierten. Nachdem Sich Śrī Kṛṣṇa auf diese Weise geschmückt hatte, pflegte Er Marmorstatuen von Kühen mit Kälbern zu betrachten und dann Tempel von Halbgöttern wie Śiva zu besuchen. Täglich kamen viele brāhmaṇas zu Kṛṣṇas Palast, um den Höchsten Herrn noch vor dem Frühstück zu sehen; sie sehnten sich nach Seinem Anblick, und der Herr begrüßte sie freundlich. Seine nächste Pflicht war es, alle Menschen der verschiedenen Kasten, sowohl die in der Stadt als auch die im Palastbereich, zu erfreuen. Er machte sie glücklich, indem Er ihre jeweiligen Wünsche erfüllte, und wenn der Herr sie dann glücklich sah, freute auch Er Sich sehr. Bei dieser Gelegenheit verteilte Er die Blumengirlanden, Betelnüsse, Sandelholzpasten und andere duftende Schönheitsartikel, die man Ihm dargebracht hatte, und zwar zuerst an die brāhmaṇas und die Familienältesten, darauf an die Königinnen, dann an die Minister, und wenn noch etwas übrig war, nahm Er es für Seinen persönlichen Gebrauch. Wenn der Herr schließlich all diese täglichen Pflichten und Tätigkeiten beendet hatte, fuhr Sein Rosselenker Dāruka mit einem wunderbaren Wagen vor, trat mit gefalteten Händen vor den Herrn und gab Ihm zu verstehen, daß Sein Wagen bereit stehe, worauf der Herr aus dem Palast trat, um auszufahren. Begleitet von Uddhava und Sātyaki fuhr Er dann in dem Wagen wie der Sonnengott, der morgens in seinem Wagen fährt und mit seinen hellen Strahlen auf der Erde erscheint. Wenn der Herr im Begriff war, Seine Paläste zu verlassen, sahen die Königinnen Ihm mit sehnsüchtig-weiblichen Gebärden und Blicken nach. Der Herr erwiderte ihre Grüße, indem Er ihnen zulächelte, was ihre Herzen so sehr an Ihn fesselte, daß sie ein tiefes Gefühl der Trennung von Ihm erfuhren. Der Herr begab Sich daraufhin zu Seinem Versammlungshaus, das den Namen Sudharmā trug. Wie wir uns vielleicht erinnern, war dieses Versammlungshaus von einem himmlischen Planeten auf die Erde gebracht und in Dvārakā aufgestellt worden. Das Besondere an diesem Gebäude war, daß jeder, der es betrat, von den sechs materiellen Qualen, nämlich Hunger, Durst, Klagen, Täuschung, Alter und Tod, frei war. Diese Qualen sind die Netze des materiellen Daseins, und solange man sich in dem besagten Versammlungshaus aufhielt, war man vor diesen sechs materiellen Netzen sicher. Nachdem der Herr in allen sechzehntausend Palästen Abschied genommen hatte, nahm Er wieder eine Gestalt an und betrat in Begleitung anderer Mitglieder der Yadu-Dynastie das Versammlungshaus Sudharmā. Wenn Er dann auf Seinem erhöhten Königsthron saß, konnte man einen transzendentalen Schein leuchtender Strahlen von Ihm ausgehen sehen. Umgeben von allen großen Helden der Yadu-Dynastie glich Kṛṣṇa dem Vollmond am Himmel inmitten unzähliger Sterne. In dem Versammlungshaus waren Tänzer, Musiker und Tänzerinnen, und sobald der Herr Seinen Thron bestiegen hatte, begannen sie mit ihren Darbietungen, um Ihn zu erfreuen und Sein Wohlwollen zu erwecken. Als erstes pflegten die Hofnarren mit ihren Ansprachen Kṛṣṇa und Seinen Hofstaat zum Schmunzeln zu bringen, was die Morgenstimmung hob. Dann führten die Schauspieler ihre Stücke auf und gleichzeitig zeigten die Tänzerinnen ihre Künste. All diese Darbietungen wurden von den kunstvollen Rhythmen der mṛdaṅga-Trommeln und den Klängen der vīṇā, Flöten und Glöckchen sowie vom Dröhnen der pākhvaj, einer anderen Art von Trommeln, untermalt; in diese Wohlklänge stimmte gewöhnlich noch das glückverheißende Tönen des Muschelhorns ein. Die Berufssänger, die sūtas und māgadhas, sangen, während andere ihre Tanzkünste vorführten. Auf diese Weise brachten sie, die sie Gottgeweihte waren, dem Höchsten Persönlichen Gott ihre verehrenden Gebete dar. Zuweilen chanteten die gelehrten brāhmaṇas, die zugegen waren, vedische Hymnen und erläuterten sie der Zuhörerschaft nach bestem Wissen, und manchmal trug auch jemand von ihnen historische Begebenheiten aus dem Leben berühmter Könige längst vergangener Zeiten vor. Der Herr und Sein Gefolge fanden große Freude daran, ihnen zuzuhören. Eines Tages fand sich ein Mann am Tor des Versammlungshauses ein, der allen Anwesenden unbekannt war, doch wurde ihm mit der Erlaubnis des Herrn Einlaß gewährt. Der Torwächter hatte die Anweisung, den Fremden vor den Herrn zu bringen, und der Fremde brachte sogleich, als er vor der Versammlung erschien, dem Herrn mit gefalteten Händen seine achtungsvollen Ehrerbietungen dar. Als König Jarāsandha alle anderen Königreiche in seiner Machtsphäre unterwarf, weigerten sich viele Könige, ihr Haupt vor ihm zu neigen, worauf er sie alle, 20000 an der Zahl, gefangennehmen und einkerkern ließ. Der Mann nun, den der Torwächter vor Kṛṣṇa geführt hatte, war ein Abgesandter dieser gefangenen Könige. Nachdem er sich vorgestellt hatte, begann er die eigentliche Lage wie folgt darzulegen: »Mein lieber Herr, Du bist die ewige Gestalt transzendentaler Glückseligkeit und transzendentalen Wissens. Als solche entziehst Du Dich der Reichweite intellektuellen Denkvermögens wie auch den Beschreibungsversuchen jeglicher Arten materialistischer Menschen in dieser Welt. Nur diejenigen, die sich völlig Deinen Lotosfüßen hingegeben haben, können einen kleinen Teil Deiner Herrlichkeit erfahren, und allein durch Deine Gnade werden solche Seelen von allen materiellen Sorgen frei. Mein lieber Herr, ich bin nicht eine dieser hingegebenen Seelen; ich bin noch immer von der Dualität und Illusion des materiellen Daseins gefangen. Doch nun bin ich gekommen, um Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen zu suchen, denn ich fürchte mich vor dem Kreislauf der Geburten und Tode. Mein lieber Herr, ich glaube, es gibt viele Lebewesen, die wie ich stets in fruchtbringende Handlungen und den sich aus ihnen ergebenden Reaktionen verstrickt sind. Sie denken nie daran, Deinen Anweisungen zu folgen und sich dem hingebungsvollen Dienst zu widmen, obwohl es dem Herzen Freude bereitet und das größte Glück im Dasein des Menschen darstellt. Vielmehr sind sie sogar gegen den Pfad des Kṛṣṇa-bewußten Lebens, und im Bann der illusionierenden Energie des materiellen Daseins wandern sie durch die drei Welten. Lieber Herr, wer könnte Deine Gnade und Deine machtvollen Taten ermessen? Du bist stets als der unüberwindliche Zwang der ewigen Zeit gegenwärtig und läßt in dieser Form die unersättlichen Wünsche der Materialisten unerfüllt, die daher immer wieder verwirrt und enttäuscht werden. Ich bringe deshalb Dir in Deiner Form als ewige Zeit meine ehrfürchtigen Ehrerbietungen dar. Lieber Herr, Du bist der Besitzer aller Welten, und nun bist Du zusammen mit Deiner vollständigen Erweiterung Śrī Balarāma erschienen. Es heißt, daß Du in dieser Inkarnation erscheinst, um die Gläubigen zu beschützen und die Schurken zu vernichten. Wie ist es unter diesen Umständen möglich, daß Schurken wie Jarāsandha uns, Deiner Autorität zum Trotz, in solch erbärmliche Lebensbedingungen zwingen können? Diese Tatsache verwirrt uns, und wir können nicht begreifen, wie es möglich ist. Eine Erklärung wäre, daß Jarāsandha wegen unserer früheren Missetaten ermächtigt war, uns so zu peinigen; doch aus den offenbarten Schriften wissen wir, daß jeder, der sich Deinen Lotosfüßen hingibt, augenblicklich vor den Reaktionen auf sein früheres sündiges Leben sicher ist. Als Beauftragter aller gefangenen Könige soll ich Dir mitteilen, daß wir von ganzer Seele bei Dir Zuflucht suchen, und wir hoffen, daß Du, o Herr, uns vollen Schutz gewähren wirst. Wir sind nun zur wahren Erkenntnis unseres Lebens gekommen. Unsere Stellung als Könige ist nur der Lohn unserer einstigen frommen Werke, ebenso wie es eine Folge unserer einstigen Sünden ist, daß wir in Jarāsandhas Gewalt schmachten müssen. Wir haben jetzt erkannt, daß sowohl die Ergebnisse frommer als auch die unfrommen Handlungen zeitweilig sind, und daß wir im bedingten Leben niemals glücklich sein können. Der materielle Körper wurde uns von den Erscheinungsweisen der materiellen Natur gegeben, und durch diesen sind wir voller Ängste. Das materielle Leben bedeutet nichts anderes, als die Last des toten Körpers zu tragen. Als eine Folge gewinnbringender Bestrebungen sind wir nun dazu verdammt, Lasttiere unserer Körper zu sein, und unter dem Zwang des bedingten Lebens haben wir das freudvolle Leben im Kṛṣṇa-Bewußtsein aufgegeben. Nun erkennen wir, daß wir die größten Narren sind. In unserer Unwissenheit haben wir uns in das Netzwerk materieller Reaktionen verstrickt. Deshalb suchen wir endlich Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen, die auf der Stelle alle Folgen fruchtbringenden Tuns auslöschen und uns von der Verunreinigung durch materielle Leiden und Freuden befreien können. Lieber Herr, da wir nun Deinen Lotosfüßen völlig hingegebene Seelen sind, kannst Du uns aus dem Netzwerk fruchtbringender Handlungen befreien, das uns in der Gestalt Jarāsandhas gefangenhält. Lieber Herr, wie Du weißt, besitzt Jarāsandha die Kraft von zehntausend Elefanten, und deshalb konnte er uns wie ein Löwe, der eine Schafherde stellt, gefangennehmen. Mein lieber Herr, Du hast bereits achtzehnmal mit Jarāsandha gekämpft, wobei Du ihn siebzehnmal besiegtest, da Du ihn an außerordentlicher Macht noch übertrafst. Nur bei Deinem achtzehnten Kampf mit Ihm legtest Du ein scheinbar menschliches Verhalten an den Tag, so daß es schien, als seiest Du besiegt worden. Wir wissen jedoch sehr gut, mein lieber Herr, daß Jarāsandha Dich niemals besiegen könnte, denn Deine Macht, Deine Stärke, Deine Mittel und Deine Höchste Herrschaft sind unbegrenzt. Niemand kann Dir gleichkommen oder Dich übertreffen. Deine scheinbare Niederlage bei Deinem achtzehnten Zusammentreffen mit Jarāsandha ist nichts anderes als ein Aspekt Deiner Rolle als Mensch. Leider aber konnte der törichte Jarāsandha Deine Taktik nicht begreifen und ist seit damals durch seine materielle Macht und sein Ansehen hochmütig geworden. Jetzt hat er sogar uns gefangengenommen und eingekerkert, obwohl er genau weiß, daß wir Deine Geweihten sind und Deiner Herrschaft unterstehen. Ich habe Dir unsere furchtbare Lage geschildert, o Herr, und Du magst nun entscheiden und tun, was immer Dir beliebt. Als Sendbote und Vertreter der gefangenen Könige habe ich Dir unser Anliegen dargelegt und unsere Gebete vorgetragen. Alle Könige sehnen sich sehr danach, Dich zu sehen, damit sie sich persönlich Deinen Lotosfüßen hingeben können. Mein lieber Herr, bitte sei ihnen gnädig und tue, was das beste für sie ist.« Während der Bote der gefangenen Könige dem Herrn sein Anliegen vortrug, kam auch der große Weise Nārada in das Versammlungshaus. Weil Nārada ein großer Heiliger ist, strahlte sein Haar wie Gold, so daß es bei seiner Ankunft schien, als beehre der Sonnengott persönlich die Versammlung mit seiner Anwesenheit. Śrī Kṛṣṇa ist der verehrte Herr selbst Brahmās und Śivas, doch als Er den Weisen Nārada nahen sah, erhob Er Sich mit Seinen Ministern und Sekretären, um ihn zu begrüßen und ihm Seine achtungsvollen Ehrerbietungen zu erweisen, indem Er Sein Haupt neigte. Nachdem sich der große Weise Nārada dann auf einen bequemen Sitz niedergelassen hatte, verehrte Śrī Kṛṣṇa ihn mit allem, was zum angemessenen Empfang eines Heiligen gehört. Während Er Sich so bemühte, sprach Er mit Seiner wohlklingenden natürlichen Stimme folgende Worte. »Mein lieber großer Weiser unter den Halbgöttern, Ich vermute, daß in den drei Welten zur Zeit Ordnung herrscht. Du hast die vollkommene Fähigkeit, überall zwischen den höheren, mittleren und niederen Planetensystemen des Universums durch den Weltraum zu reisen. Wie gut es ist, daß wir, wenn wir deine Heiligkeit treffen, daher ohne weiteres von allen Geschehnissen innerhalb der drei Welten erfahren können; es gibt nichts in der kosmischen Manifestation des Höchsten Herrn, das deinem Wissen verborgen bliebe. Du weißt alles, und deshalb möchte Ich dich etwas fragen: »Geht es den Pāṇḍavas gut, und wie sehen König Yudhiṣṭhiras gegenwärtige Pläne aus? Sage Mir gütigerweise, was sie zu tun gedenken.« Der große Weise Nārada sprach: »Mein lieber Herr, Du hast davon gesprochen, daß die kosmische Manifestation vom Höchsten Herrn geschaffen wurde, doch ich weiß, daß Du Selbst dieser alldurchdringende Schöpfer bist. Deine Energien sind so umfangreich und unfaßbar, daß selbst so mächtige Persönlichkeiten wie Brahmā, der Herr dieses Universums, Deine unvorstellbare Macht nicht ermessen können. Mein lieber Herr, Du bist durch diese unvorstellbare Macht im Herzen eines jeden gegenwärtig, genau wie das Feuer, das zwar in jedem vorhanden ist, das aber niemand direkt sehen kann. Im bedingten Dasein unterstehen alle Lebewesen dem Diktat der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur, und daher sind sie mit ihren materiellen Augen nicht imstande, Deine Allgegenwart wahrzunehmen. Durch Deine Gnade jedoch habe ich Deine unermeßliche Macht viele Male wirken gesehen, und wenn Du mich daher nach Neuigkeiten von den Pāṇḍavas fragst, die Du schon längst weißt, wundere ich mich nicht über Deine Frage. Mein lieber Herr, durch Deine unfaßbaren Kräfte schaffst Du die kosmische Manifestation, erhältst sie und löst sie am Ende wieder auf. Durch Deine unfaßbare Macht nur ist es möglich, daß die materielle Welt, obgleich sie nur ein Schattenbild der spirituellen Welt ist, Wirklichkeit zu sein scheint. Niemand kann auch nur vermuten, was Deine Pläne für die Zukunft sind. Deine transzendentale Stellung ist für jeden stets unfaßbar. Was mich angeht, so kann ich Dir nur immer wieder meine ehrfurchtsvollen Ehrerbietungen darbringen. Diejenigen, deren Wissen auf der körperlichen Auffassung vom Leben beruht, werden von materiellen Wünschen getrieben, und so entwickeln sie einen materiellen Körper nach dem anderen im Kreislauf der Geburten und Tode. In eine solche Lebensauffassung vertieft, weiß man nicht, wie man dem Eingekerkertsein in materielle Körper entkommen kann. In Deiner grundlosen Gnade, o mein Herr, bist Du zu uns herabgekommen, um Deine verschiedenen transzendentalen Spiele zu offenbaren, die strahlend und ruhmreich sind. Ich kann daher nicht anders, als Dir meine achtungsvollen Ehrerbietungen darbringen. Mein lieber Herr, Du bist der erhabene Parambrahman, und Dein Verhalten als gewöhnlicher Mensch ist nur ein Mittel zum Zweck, ebenso wie ein Schauspieler in einem Bühnenstück Rollen spielt, die sich von seiner wirklichen Identität unterscheiden. Du hast mich in Deiner Rolle als wohlmeinender Freund Deiner Vetter, der Pāṇḍavas, nach ihrem Wohlergehen gefragt; deshalb werde ich Dir ihre Pläne mitteilen. Höre mich bitte an: Als erstes darf ich Dir berichten, daß König Yudhiṣṭhira alle nur erdenklichen materiellen Reichtümer besitzt, die man eigentlich nur auf Brahmaloka, einem Gestirn des höchsten Planetensystems erlangen kann. Es gibt kein materielles Gut, nach dem er noch trachtet, doch möchte er das Rājasūya-Opfer vollziehen, und zwar nur, weil Er Sich Deine Gegenwart wünscht und Dich erfreuen möchte.« Nārada unterrichtete Kṛṣṇa: »König Yudhiṣṭhira ist so reich, daß er schon auf dem Erdplaneten alle Reichtümer besitzt, die sonst nur auf Brahmaloka zu bekommen sind. Er ist völlig zufrieden, und es mangelt ihm an nichts. Aber obwohl er alles in Hülle und Fülle besitzt, möchte er Dich nun verehren, um Deine grundlose Gnade zu erlangen, und ich bitte Dich, ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Mein lieber Herr, bei der großen Opferzeremonie, die König Yudhiṣṭhira befehlen will, werden alle Halbgötter und berühmten Könige der Welt zugegen sein. Mein lieber Herr, Du bist das Höchste Brahman, der Persönliche Gott. Jeder, der Dir durch die empfohlenen Vorgänge des Hörens, Chantens und Sich-Erinnerns in Hingabe dient, wird von der Verunreinigung durch die materiellen Erscheinungsweisen geläutert, ganz zu schweigen von denen, die die Möglichkeit haben, Dich direkt zu sehen und zu berühren. Mein lieber Herr, Du bist der Inbegriff von allem, das glückverheißend ist. Dein transzendentaler Name und Ruhm sind auf den höheren, mittleren und niederen Planetensystemen, ja, überall im Universum, bekannt. Das transzendentale Wasser, das Deine Lotosfüße wäscht, ist bei den Bewohnern der höheren Planetensysteme als Mandākinī bekannt, bei denen der niederen Planetensysteme als Bhogavatī und bei denen des irdischen Planetensystems als Ganges. Dieses heilige und transzendentale Wasser fließt durch das ganze Universum und reinigt alles, das mit ihm in Berührung kommt. Ehe Nārada im Sudharmā-Versammlungshaus eintraf, hatten Śrī Kṛṣṇa und Seine Minister und Sekretäre gerade überlegt, wie Jarāsandhas Königreich anzugreifen sei. Und da ihnen diese Angelegenheit sehr ernst war, hielten sie nicht viel von Nāradas Vorschlag, daß Krṣṇa nach Hastināpura gehen und Mahārāja Yudhiṣṭhiras Rājasūya-Opfer beiwohnen solle. Śrī Kṛṣṇa kannte die Gedanken Seiner Gefährten, denn Er beherrscht sogar Brahmā. Um sie also zufriedenzustellen, sagte Er lächelnd zu Uddhava. »Mein lieber Uddhava, Du bist Mir stets ein wohlmeinender, vertrauter Freund gewesen. Ich möchte Mich deshalb in dieser Angelegenheit ganz nach dir richten, zumal Ich weiß, daß dein Rat immer richtig ist. Ich glaube auch, daß du die Lage richtig einschätzt, und so frage Ich dich nach deiner Meinung. Was soll Ich tun? Ich vertraue dir, und werde das tun, wozu du mir rätst.« Uddhava war sich bewußt, daß Kṛṣṇa alles in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wußte, obgleich Er Sich stellte, als sei Er ein gewöhnlicher Mensch. Doch weil es dem Herrn gefiel, ihn um Rat zu fragen, weil Uddhava Kṛṣṇa einen Dienst erweisen wollte, begann Uddhava zu sprechen. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 69. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Śrī Kṛṣṇas tägliches Leben«. 70. KAPITEL Śrī Kṛṣṇa in Indraprastha In Gegenwart des großen Weisen Nārada und der anderen Gefährten Śrī Kṛṣṇas überdachte Uddhava die Lage und sprach dann: »Mein lieber Herr, als erstes möchte ich feststellen, daß Dich der große Weise Nārada Muni gebeten hat, nach Hastināpura zu fahren und Deinen Vetter, König Yudhiṣṭhira, der gerade Vorbereitungen für das große Rājasūya-Opfer trifft, zufriedenzustellen. Ich bin daher der Meinung, daß Deine Herrlichkeit Sich unverzüglich dorthin begeben sollte, um den König in Seinem Vorhaben zu unterstützen. Obschon es zweifellos angebracht wäre, als erstes Nārada Munis Vorschlag nachzukommen, ist es doch andererseits gleichzeitig Deine Pflicht, o Herr, die Dir hingebenen Seelen zu beschützen. Wenn wir die Lage nur richtig verstehen, können wir indes beiden Erfordernissen gerecht werden. Solange wir nämlich nicht alle Könige besiegt haben, ist das Rājasūya-Opfer so gut wie undurchführbar. König Yudhiṣṭhira kann also dieses große Opfer nicht vollziehen, ohne zuvor den streitlustigen Jarāsandha bezwungen zu haben, denn das Rājasūya kann nur von jemandem durchgeführt werden, der alle Länder besiegt hat. Daher müssen wir, um beide Vorhaben verwirklichen zu können, erst Jarāsandha töten. Ich glaube, wenn es uns irgendwie gelingt, Jarāsandha zu besiegen, dienen wir damit all unseren Absichten. Wir können dann die gefangenen Könige freilassen, und mit großer Genugtuung werden wir sehen, daß Dein transzendentaler Ruhm überallhin dringen wird, weil Du die unschuldigen Könige aus der Gefangenschaft Jarāsandhas befreit hast. Allerdings ist König Jarāsandha kein gewöhnlicher Mensch. Er hat sich selbst großen Kriegern als Hindernis erwiesen, da seine Körperkraft der von zehntausend Elefanten gleichkommt. Wenn jemand diesen König bezwingen kann, so niemand anderes als Bhīmasena, der ebenfalls die Stärke von zehntausend Elefanten besitzt. Es wäre das beste, wenn Bhīmasena allein mit ihm kämpfte, denn dadurch ließe sich der unnötige Tod vieler Soldaten vermeiden. Überdies wäre es auch sehr schwierig, Jarāsandha zu bezwingen, wenn er seine akṣauhiṇīs von Soldaten hinter sich hat. Daher sollten wir nach einer in diesem Fall klügeren Taktik vorgehen: Wie wir wissen, ist König Jarāsandha den brāhmaṇas sehr ergeben. Er ist sehr freigebig und schlägt einem bṛāhmaṇa keine Bitte ab. Daher denke ich, daß Bhīmasena als brāhmaṇa verkleidet zu Jarāsandha gehen, ihn um eine milde Gabe bitten und dann persönlich mit ihm kämpfen sollte. Und damit Bhīmasena der Sieg sicher ist, so meine ich, sollte Deine Herrlichkeit ihn begleiten. Ich bin überzeugt, daß Bhīmasena, wenn der Kampf in Deiner Gegenwart stattfindet, den Sieg erringen wird, denn allein schon durch Deine Gegenwart wird alles Unmögliche möglich. Nur durch Deinen Einfluß erschafft z. B. Brahmā das Universum und zerstört Śiva es wieder. Im Grunde bist Du es, der die gesamte Manifestation erschafft und zerstört. Brahmā und Śiva sind nur die oberflächlich sichtbaren Ursachen, denn eigentlich werden Schöpfung und Zerstörung von der unsichtbaren Zeit, Deiner unpersönlichen Repräsentation, bewirkt. Alles wird vom Zeitfaktor beherrscht. Wenn schon Dein unsichtbarer Zeitfaktor durch Brahmā und Śiva solch wunderbare Dinge vollbringen kann, warum sollte es dann Deine persönliche Gegenwart Bhīmasena nicht ermöglichen, Jarāsandha zu bezwingen? Mein lieber Herr, wenn Jarāsandha getötet worden ist, werden die Königinnen der gefangenen Könige über die Befreiung ihrer Männer durch Deine Gnade so glücklich sein, daß sie alle beginnen werden, Deinen Ruhm zu besingen. Sie werden sich ebenso freuen wie die gopīs, als sie aus Śaṅkhacūḍas Gewalt gerettet wurden. Alle großen Weisen, Gajendra, der König der Elefanten, die Glücksgöttin Sītā und selbst Dein Vater und Deine Mutter wurden schon durch Deine grundlose Gnade vor großer Gefahr bewahrt. Auch wir wurden von Dir befreit und besingen daher stets den transzendentalen Ruhm Deiner Taten. Ich glaube, wenn wir als erstes darangehen, Jarāsandha zu töten, werden dadurch bereits viele andere Probleme gelöst. Und was das in Hastināpura vorbereitete Rājasūya-Opfer betrifft, so wird es nach vollbrachter Tat stattfinden können, sei es wegen der frommen Taten der gefangenen Könige oder der Sündhaftigkeit Jarāsandhas. Mein lieber Herr, es scheint das beste zu sein, wenn Du Dich persönlich zur Darbringung des Opfers nach Hastināpura begibst, so daß die dämonischen Könige, wie Jarāsandha und Śiśupāla, bezwungen und die frommen Könige befreit werden können, zugleich aber auch das große Rājasūya-Opfer stattfinden kann. Wenn ich alle Umstände betrachte, bin ich der Ansicht, Deine Herrlichkeit solle sofort nach Hastināpura aufbrechen.« Uddhavas Rat wurde von allen Anwesenden begrüßt, und jeder fand, daß es unter allen Gesichtspunkten vorteilhaft sei, wenn Kṛṣṇa Sich unverzüglich nach Hastināpura begebe. Der große Weise Nārada, die Familienältesten der Yadu-Dynastie und auch der Höchste Persönliche Gott Kṛṣṇa Selbst stimmten alle Uddhavas Vorschlag zu. Śrī Kṛṣṇa bat noch Seinen Vater Vasudeva und Seinen Großvater Ugrasena um Erlaubnis und befahl dann sogleich Seinen Dienern Dāruka und Jaitra, die Reise nach Hastināpura vorzubereiten. Als alles zur Abreise bereit war, verabschiedete Er Sich besonders von Balarāma und von Ugrasena, dem König der Yadus, und nachdem Er Seine Königinnen mitsamt ihren Kindern ausgerüstet und das notwendige Gepäck vorausgeschickt hatte, bestieg Er Seinen Wagen, der eine Fahne mit dem Bild Garuḍas trug. Bevor Śrī Kṛṣṇa den Zug aufbrechen ließ, erfreute Er noch den großen Weisen Nārada, indem Er ihm zur Verehrung allerlei Gegenstände reichte. Nāradajī wollte sich Śrī Kṛṣṇa zu Füßen werfen; weil der Herr jedoch die Rolle eines menschlichen Wesens spielte, brachte er Ihm nur im Geist seine Ehrerbietungen dar, und während er die transzendentale Gestalt des Herrn in sein Herz aufnahm, verließ er das Versammlungshaus durch die Luft. Für gewöhnlich betritt der Weise Nārada niemals direkt die Oberfläche der Planeten, sondern reist im Raum. Nachdem Nārada die Versammlung verlassen hatte, wandte Sich Śrī Kṛṣṇa wieder dem Boten der gefangenen Könige zu. Er sagte ihm, er und die anderen sollten sich keine Sorgen machen, da Er, Kṛṣṇa, Jarāsandha, den König von Magadha, schon sehr bald töten lassen werde. Damit wünschte der Herr dem Boten und den Königen alles Gute, worauf der Mann mit dieser Zusicherung Śrī Kṛṣṇas zu den gefangenen Königen zurückkehrte und ihnen die Freudennachricht vom bevorstehenden Besuch des Herrn überbrachte. Die Könige freuten sich sehr über die Nachricht und sahen von da an sehnsüchtig Kṛṣṇas Ankunft entgegen. Schließlich setzte sich Kṛṣṇas Wagen in Bewegung und verließ Dvārakā, begleitet von vielen anderen Wagen, Elefanten, Berittenen, Fußvolk und sonstigem Königsgefolge. Bei dem Auszug ertönten Hörner, Trommeln, Trompeten, Muschelhörner und Posaunen, die zusammen laut und glückverheißend in alle Richtungen schallten. Die sechzehntausend Königinnen, allen voran Śrī Kṛṣṇas vorbildliche Frau, die Glücksgöttin Rukmiṇī, gingen mit ihren Söhnen gleich hinter dem Herrn. Sie waren in reiche Gewänder gekleidet, mit duftenden Blumen geschmückt, mit Sandelholzpaste bestrichen und trugen kostbaren Schmuck. In Sänften, die mit Seidentüchern ausgelegt und mit Fähnchen und goldenem Zierrat geschmückt waren, folgten sie ihrem erhabenen Gemahl Śrī Kṛṣṇa. Die Fußsoldaten, die Schilde, Schwerter und Lanzen trugen, stellten die Leibgarde der Königinnen. Den Schluß des Zuges bildeten die Frauen und Kinder der anderen Mitreisenden sowie viele Gesellschafterinnen. Viele Lasttiere, wie Ochsen, Büffel, Maultiere und Esel, trugen ihnen Zelte, Bettzeug und Teppiche, und auch die Frauen am Schluß des Zuges saßen in Sänften, die jedoch von Kamelen getragen wurden. Der gewaltig anzusehende Zug wurde von den Rufen der Leute begleitet, und in ihm wogte ein Gewirr vielerlei bunter Fahnen, Schirme, Wedel, verschiedener Waffen, Gewänder, Geschmeide, Helme und anderen Rüstzeugs. Die ganze Prozession, die im Sonnenschein funkelte, glich einem Ozean mit hohen Wogen und Haifischschwärmen darin. So zog Śrī Kṛṣṇa mit Seinem Gefolge Hastināpura, dem heutigen Neu-Delhi, entgegen, wobei Er nach und nach die Königreiche Ānarta (die heutige Provinz Gujarat) und Sauvīra (Sauret), die große Wüste von Rājasthān und schließlich Kurukṣetra erreichte. Zwischen den Königreichen lagen viele Berge, Flüsse, Städte, Dörfer, Weideflächen und Bergbaugebiete, die der Zug im Verlauf seiner Reise alle allmählich hinter sich ließ. Auch zwei große Flüsse, die Dṛṣvatī und Sarasvatī, überquerte der Herr auf Seinem Weg nach Hastināpura. Anschließend kam Er durch die Länder Pañchāla und Matsya und erreichte endlich Indraprastha. Ein Besuch des Höchsten Persönlichen Gottes Kṛṣṇa ist kein gewöhnliches Ereignis. Daher war König Yudhiṣṭhira in höchster Freude und geriet, als er hörte, daß Śrī Kṛṣṇa bereits in Seiner Hauptstadt Hastināpura eingetroffen sei, in solche Ekstase, daß ihm die Haare zu Berge standen. Sogleich verließ er seinen Palast, um den Herrn gebührend zu empfangen. Er ordnete ein Konzert vieler Instrumente und Gesänge an, und die gelehrten brāhmaṇas der Stadt begannen mit vernehmlichen Stimmen vedische Hymnen zu chanten. Śrī Kṛṣṇa ist auch als Hṛṣīkeśa, der Herr der Sinne, bekannt, und als König Yudhiṣṭhira Ihm zur Begrüßung entgegenging, glich diese Szene dem Augenblick, in dem die Sinne dem Bewußtsein des Lebens begegnen. König Yudhiṣṭhira war Kṛṣṇas älterer Vetter, weshalb er von Natur aus starke Zuneigung zum Herrn empfand, und sowie er Ihn sah, füllte sich sein Herz mit Liebe. Er hatte Ihn lange Zeit nicht gesehen, und daher betrachtete er sich als den glücklichsten Menschen, als der Herr nun endlich vor ihm stand. Wieder und wieder umarmte der König Śrī Kṛṣṇa voll Zuneigung. Die ewige Gestalt Śrī Kṛṣṇas ist der immerwährende Aufenthaltsort der Glücksgöttin. Sobald König Yudhiṣṭhira den Herrn in die Arme schloß, wurde er von aller durch das materielle Dasein entstandenen Verunreinigung frei. Transzendentale Glückseligkeit erfaßte ihn und er tauchte ein in einen Ozean der Freude; Tränen standen in seinen Augen, und sein Körper bebte in Ekstase. Er vergaß völlig, daß er in der materiellen Welt lebte. Dann kam, mit einem breitem Lächeln, Bhīmasena, der Zweitälteste der Pāṇḍava-Brüder, und tauschte ebenfalls Umarmungen mit Śrī Kṛṣṇa aus, den er als seinen Vetter ansah, und auch ihn ergriff so große Ekstase, daß er eine Zeitlang das materielle Dasein vergaß. Alsdann umarmte Śrī Kṛṣṇa Seinerseits die anderen drei Pāṇḍavas, Arjuna, Nakula und Sahadeva. Die Augen aller drei Brüder strömten über von Tränen, und Arjuna umarmte Kṛṣṇa immer wieder, da sie enge Freunde waren. Die beiden jüngsten Pāṇḍavas fielen, nachdem sie von Kṛṣṇa umarmt worden waren, zu Seinen Lotosfüßen nieder, um Ihm ihre Verehrung zu bezeigen. Schließlich erwies Śrī Kṛṣṇa den anwesenden brāhmaṇas Seine Ehrerbietungen und auch den Familienältesten der Kuru-Dynastie wie Bhīṣma, Droṇa und Dhṛtarāṣṭra. Viele Könige der verschiedensten Länder, wie Kuru, Sṛñjaya und Kekaya, waren zugegen, mit denen der Herr Begrüßungen und Ehrerbietungen austauschte. Die berufsmäßigen Vortragskünstler, wie die sūtas, māgadhas und vandinas, begannen zusammen mit den brāhmaṇas dem Herrn ihre ehrfürchtigen Gebete darzubringen. Künstler und Musiker, wie die Gandharvas, begannen gemeinsam mit den Hofnarren zur Freude des Herrn ihre Trommeln, Muschelhörner, Kesselpauken, vīṇās, mṛdaṅgas und Büffelhörner ertönen zu lassen, oder führten ihre Tanzkünste vor. So zog der allberühmte Höchste Persönliche Gott Śrī Kṛṣṇa in Hastināpura ein, das eine Stadt großen Reichtums war. Während Śrī Kṛṣṇas Ankunft sprachen alle Stadtbewohner vom Ruhm des Herrn und priesen Seinen transzendentalen Namen, Seine transzendentalen Eigenschaften, Seine transzendentale Gestalt und vieles mehr. Die Straßen, Gassen und Wege Hastināpuras waren mit Duftwasser besprengt worden, das man berauschte Elefanten durch ihre Rüssel hatte versprühen lassen. Überall schmückten farbenfrohe Girlanden und Fähnchen die Häuser und Straßen. An wichtigen Straßenkreuzungen standen goldverzierte Torbögen, an deren beiden Seiten goldene Wassertöpfe hingen. Diese wunderbaren Ausschmückungen zeugten vom Reichtum der Stadt. Alle Einwohner nahmen an dem großen Empfang für Śrī Kṛṣṇa teil, und in farbenprächtige neue Gewänder gekleidet, mit Schmuck und Blumengirlanden angetan und Duftölen besprengt versammelten sie sich überall in der Stadt. Jedes Haus war von Hunderten und Tausenden von Lampen erleuchtet, die in den Nischen der Hausvorsprünge, an Mauern, Säulen, Postamenten und Säulenbögen angebracht waren, und von weitem glich der Anblick der leuchtenden Lampen dem Anblick einer Stadt während des Dīpāvalī-Festes [* ein besonderes Fest am Neujahrstag des vedischen Kalenders*]. Im Innern der Häuser brannte wohlriechendes Räucherwerk, dessen Rauch aus den Fenstern drang und die Stimmung angenehm machte. Auf jedem Haus flatterten Fahnen, und die goldenen Wassertöpfe auf den Dächern funkelten prächtig. Śrī Kṛṣṇa betrat also die Stadt der Pāṇḍavas und freute Sich an ihrem Anblick und den wunderbaren Düften, während Er gemächlich durch die Straßen schritt. Als die jungen Mädchen in den Häusern hörten, daß Śrī Kṛṣṇa, der einzig Sehenswerte, durch die Straßen zog, wurden sie sehr begierig darauf, diese allberühmte Persönlichkeit zu sehen. Ihr Haar öffnete sich und ihre straffen saris lockerten sich, weil sie es so eilig hatten, Ihn zu sehen. Sie ließen ihre Haushaltspflichten im Stich, und die Frauen, die ihren Ehemännern im Ehebett Gesellschaft leisteten, verließen sie augenblicklich und liefen hinaus, um Śrī Kṛṣṇa zu sehen. Der Zug der Elefanten, Pferde, Wagen und Soldaten war von einer riesigen Menschenmenge umgeben; wer in dem Gedränge nicht alles sehen konnte, stieg auf die Dächer der Häuser – so groß war die Freude, Śrī Kṛṣṇa mit Seinen sechzehntausend Königinnen vorbeiziehen zu sehen. Die Menschen warfen Blumen auf die Ankömmlinge, umarmten den Herrn innerlich und bereiteten ihm den herzlichsten Empfang. Als sie Ihn inmitten Seiner Königinnen, wie der Vollmond umringt von vielen Sternen, sahen, begannen sie wie folgt zu sprechen. Ein Mädchen sagte zu einem anderen: »Meine liebe Freundin, es ist kaum vorstellbar, welch fromme Werke diese Königinnen vollbracht haben müssen, daß sie sich jetzt ständig an Kṛṣṇas lächelndem Anlitz und Seinen liebevollen Blicken erfreuen dürfen.« Während Śrī Kṛṣṇa durch die Straßen schritt, traten von Zeit zu Zeit einige der wohlhabenden Bürger vor Ihn, die alle reich, ehrenwert und frei von Sünde waren, und überreichten dem Herrn glückbringende Geschenke, um Ihn in Hastināpura willkommen zu heißen. So verehrten sie Ihn als demütige Diener. König Yudhiṣṭhira wurde, als er Kṛṣṇa in den Palast begleitete, in seiner Freude so verwirrt, daß er nahezu vergaß, was derzeit zu tun war, um Kṛṣṇa gebührend zu empfangen und zu ehren. Als Śrī Kṛṣṇa den Palast betrat, wurden bei Seinem Anblick alle Frauen dort von Zuneigung ergriffen. Sie begrüßten Śrī Kṛṣṇa sogleich mit glänzenden Augen, die von ihrer Liebe zu Ihm sprachen, und Śrī Kṛṣṇa nahm ihre Gefühle und begrüßenden Gesten lächelnd entgegen. Als Kuntī, die Mutter der Pāṇḍavas, ihren Neffen Śrī Kṛṣṇa, den Höchsten Persönlichen Gott, sah, wurde sie von großer Zuneigung überwältigt. Sie hatte sich sofort von ihrer Liegestatt erhoben, als sie von Kṛṣṇas Ankunft hörte, und ging nun, begleitet von ihrer Schwiegertochter Draupadī, zu Ihm, um Ihn in mütterlicher Liebe zu umarmen. Mit Wohlgefallen erwies Śrī Kṛṣṇa Kuntī und anderen älteren Frauen des Palastes Seine Achtung und Ehrerbietung. Seine jüngere Schwester Subhadrā stand bei Draupadī, und beide brachten sie den Lotosfüßen des Herrn ihre achtungsvollen Ehrerbietungen dar. Auf einen Wink ihrer Schwiegermutter brachte Draupadī Gewänder, Schmuck und Blumengirlanden herbei, die den Königinnen Rukmiṇī, Satyabhāmā, Bhadrā, Jāmbavatī, Kālindī, Mitravindā, Lakṣmaṇā und der hingegebenen Satyā zum Empfang überreicht wurden. Diese Hauptköniginnen Śrī Kṛṣṇas wurden als erste begrüßt, und danach wurde auch den übrigen Königinnen ein gebührender Empfang bereitet. König Yudhiṣṭhira sorgte dafür, daß Kṛṣṇa Sich ausruhen konnte und achtete darauf, daß alle, die mit dem Herrn angekommen waren – Seine Königinnen, Soldaten, Minister und Sekretäre – bequem untergebracht wurden. Er hatte es so eingerichtet, daß sie während ihres Aufenthalts als Gäste der Pāṇḍavas jeden Tag eine neue Art der Begrüßung erfuhren. Während dieser Zeit geschah es auch, daß Śrī Kṛṣṇa mit Arjunas Hilfe den Feuergott Agni zu dessen Freude den Khāṇḍava-Wald verschlingen ließ. Bei dem Waldbrand rettete der Herr dem Dämon Mayāsura, der in dem Wald sein Versteck hatte, das Leben. Da sich Mayāsura Kṛṣṇa und den Pāṇḍavas verpflichtet fühlte, baute er in Hastināpura ein wundervolles Versammlungshaus. Um Yudhiṣṭhira zu erfreuen, blieb Śrī Kṛṣṇa mehrere Monate in Hastināpura. Während Seines Aufenthaltes gefiel es Ihm, mit Arjuna im Wagen hierhin und dorthin Ausflüge zu unternehmen, wobei ihnen stets viele Krieger und Soldaten folgten. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 70. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Śrī Kṛṣṇa in Indraprastha«. 71. KAPITEL König Jarāsandha erlangt Befreiung In einer großen Versammlung ehrenwerter Persönlichkeiten, wie Bürger, Freunde, Verwandte, brāhmaṇas, kṣatriyas und vaiśyas, richtete König Yudhiṣṭhira vor allen Anwesenden, unter denen auch seine Brüder waren, folgende Worte an Śrī Kṛṣṇa: »Mein lieber Śrī Kṛṣṇa, die Opferzeremonie, die als Rājasūya-yajña bekannt ist, gilt als die Königin aller Opferzeremonien, und sie muß vom Herrscher vollzogen werden. Durch die Darbringung dieses Opfers möchte ich alle Halbgötter erfreuen, die Deine bevollmächtigten Vertreter in der materiellen Welt sind, und ich möchte Dich bitten, so gütig zu sein, mir bei diesem Vorhaben zu helfen, so daß es zu einem Erfolg wird. Was nun uns Pāṇḍavas angeht, so gibt es nichts, was wir von den Halbgöttern begehren; wir persönlich sind völlig damit zufrieden, Deine Geweihten zu sein. Wie Du in der Bhagavad-gītā erklärst, verehren Menschen, die durch materielle Begierden verwirrt sind, die Halbgötter; doch das ist nicht unsere Absicht. Ich möchte das Rājasūya-Opfer abhalten und die Halbgötter dazu einladen, um ihnen zu zeigen, daß sie unabhängig von Dir keine Macht besitzen. Sie alle sind Deine Diener, und Du bist der Höchste Persönliche Gott. Narren mit einem spärlichen Maß an Wissen halten Deine Herrlichkeit für einen gewöhnlichen Menschen. Manchmal versuchen sie, Fehler an Dir zu finden, und manchmal lästern sie Dich sogar. Es ist daher mein Wunsch, das Rājasūya-Opfer darzubringen. Ich möchte dazu alle Halbgötter einladen, angefangen mit Brahmā, Śiva und anderen hohen Herrschern der himmlischen Planeten, und in dieser großen Versammlung von Halbgöttern aus allen Teilen des Universums will ich deutlich zum Ausdruck bringen, daß Du der Höchste Persönliche Gott bist, und daß jeder Dein Diener ist. Mein lieber Herr, diejenigen, die ständig ins Kṛṣṇa-Bewußtsein vertieft sind und an Deine Lotosfüße oder an Deine Schuhe denken, werden mit Sicherheit von aller durch das materielle Leben entstandenen Verunreinigung frei. Jene, die sich im völligen Kṛṣṇa-Bewußtsein dem Dienst an Dir widmen, die über Dich allein meditieren oder Dir Gebete darbringen, sind geläuterte Seelen. Weil sie Dir ständig im Kṛṣṇa-Bewußtsein dienen, werden sie vom Kreislauf wiederholter Geburten und Tode befreit. Sie begehren nicht einmal danach, vom materiellen Dasein befreit zu werden, geschweige denn, materielle Güter zu genießen, denn ihre Wünsche sind durch ihr Kṛṣṇa-bewußtes Handeln bereits erfüllt. Was uns betrifft, so sind wir Deinen Lotosfüßen völlig ergeben, und durch Deine Gnade ist uns das Glück zuteil geworden, Dich persönlich zu sehen. Deshalb hegen wir selbstverständlich kein Verlangen nach materiellen Gütern. Die vedische Weisheit erklärt, daß Du der Höchste Persönliche Gott bist. Diese Tatsache will ich verkünden, und ich will der Welt zeigen, welch ein Unterschied darin besteht, Dich als den Höchsten Persönlichen Gott anzuerkennen, statt Dich als eine gewöhnliche, mächtige historische Persönlichkeit zu betrachten. Ich will der Welt zeigen, daß man die höchste Vollkommenheit des Lebens erreichen kann, wenn man einfach bei Deinen Lotosfüßen Zuflucht sucht. So wie man alle Äste, Zweige, Blätter und Blüten eines Baumes nähren kann, wenn man einfach die Wurzel begießt, so findet das Leben eines Menschen, der sich dem Kṛṣṇa-Bewußtsein zuwendet, materiell wie auch spirituell seine Erfüllung. Das bedeutet jedoch nicht, daß Du jemanden, der Kṛṣṇa-bewußt ist, bevorzugst, und den, der nicht Kṛṣṇa-bewußt ist, benachteiligst. Du bist, wie Du Selbst verkündet hast, zu jedem gleich. Du kannst gar nicht einige bevorzugen und andere vernachlässigen, weil Du als die Überseele im Herzen eines jeden weilst und ihm die jeweiligen Folgen seiner fruchtbringenden Handlungen zukommen läßt. Du gibst jedem Lebewesen Gelegenheit, die materielle Welt nach Belieben zu genießen. Als Überseele befindest Du Dich zusammen mit dem Lebewesen im Körper und gibst ihm die Ergebnisse seiner Handlungen wie auch die Möglichkeiten, sich durch die Entwicklung des Kṛṣṇa-Bewußtseins Deinem hingebungsvollen Dienst zuzuwenden. Du erklärst offen, daß man sich Dir hingeben und alle anderen Beschäftigungen aufgeben soll, und daß Du Dich einer solch hingegebenen Seele annehmen und sie von den Folgen aller Sünden befreien wirst. Du bist wie der Wunschbaum auf den himmlischen Planeten, der einem, ganz nach Wunsch, alles gibt. Jedem steht es frei, die höchste Vollkommenheit zu erlangen, und daher ist es, wenn jemand dies nicht will, kein Zeichen der Voreingenommenheit, wenn Du ihm Geringeres zukommen läßt.« Auf diese Erklärung König Yudhiṣṭhiras erwiderte Śrī Kṛṣṇa folgendes: »Mein lieber König Yudhiṣṭhira, o Töter der Feinde, o vorbildliche Gerechtigkeit in Person, Dein Entschluß, das Rājasūya-Opfer durchzuführen, findet Meine volle Zustimmung. Durch diese große Opferzeremonie wird Dein guter Name für alle Zeit einen hohen Rang in der Geschichte der Menschheit einnehmen. Mein lieber König, Ich darf dir sagen, daß es der Wunsch aller großen Weisen, deiner Vorväter, der Halbgötter, und deiner Verwandten und Freunde, einschließlich Meiner Selbst, ist, daß Du diese Opferzeremonie durchführst, zumal Ich glaube, daß sie jedem Lebewesen zugute kommen wird. Doch zuerst möchte Ich dich bitten, alle anderen Könige der Welt zu unterwerfen und alle notwendigen Opfergaben zusammenzutragen, da dies die Voraussetzung für den großen Rājasūya-yajña ist. Mein lieber König, Deine vier Brüder sind direkte Verkörperungen bedeutender Halbgötter wie Varuṇa, Indra und anderer [* Es heißt, daß Bhīma von dem Halbgott Varuṇa gezeugt wurde, Arjuna von Indra und König Yudhiṣṭhira von Yamarāja. *]. Deine Brüder sind große Helden, und du selbst bist der frommste König mit der größten Selbstbeherrschung, weshalb du als Dharmarāja bekannt bist. Ihr alle zeigt solch gute Eigenschaften, daß ihr Mir nahezu gleichkommt. Śrī Kṛṣṇa verriet König Yudhiṣṭhira, daß Er durch die Liebe desjenigen erobert werden könne, der seine Sinne bezwungen habe. Jemand, der seine Sinne nicht bezwungen hat, kann auch nicht den Höchsten Persönlichen Gott »bezwingen«. Das ist das Geheimnis des hingebungsvollen Dienens. Die Sinne zu bezwingen bedeutet, sie unablässig im Dienst des Herrn zu beschäftigen. Und die besondere Eigenschaft der Pāṇḍavas war es, daß sie tatsächlich ihre Sinne ständig in den Dienst des Herrn stellten. Wer seine Sinne in dieser Weise gebraucht, wird rein, und erst mit geläuterten Sinnen kann man dem Herrn richtig dienen. Dann kann der Herr von dem Gottgeweihten durch transzendentalen liebevollen Dienst erobert werden. Śrī Kṛṣṇa fuhr fort: »Es gibt niemanden in den drei Welten des Universums, nicht einmal unter den mächtigen Halbgöttern, der Meine Geweihten in einer der sechs Füllen, nämlich Reichtum, Stärke, Ruhm, Schönheit, Wissen und Entsagung, übertreffen kann. Wenn ihr die weltlichen Könige unterwerfen wollt, gibt es daher für sie keine Aussicht auf Sieg.« Als Śrī Kṛṣṇa König Yudhiṣṭhira in dieser Weise ermutigte, strahlte das Gesicht des Königs in transzendentaler Freude wie eine erblühende Blume, und er trug seinen jüngeren Brüdern auf, in alle Richtungen auszuziehen und alle Könige auf der Welt zu besiegen. Die Pāṇḍavas waren von Śrī Kṛṣṇa ermächtigt, Seine grosse Mission zu erfüllen, die darin bestand, alle gottlosen Schurken auf der Welt zu vernichten und Seine gläubigen Geweihten zu beschützen. In Seiner Gestalt als Viṣṇu trägt der Herr für diese Mission vier verschiedene Waffen in Seinen vier Händen: in einer Hand hält Er eine Lotosblume, in einer ein Muschelhorn und in den anderen beiden trägt Er eine Keule und ein Feuerrad. Die Keule und das Feuerrad sind für die Nichtgottgeweihten bestimmt, doch weil der Herr der Höchste Absolute ist, haben all Seine Waffen letzten Endes die gleiche Wirkung. Mit der Keule und dem Feuerrad straft Er die Schurken, damit sie zur Vernunft kommen und erkennen, daß sie nicht das ein und alles sind; denn über ihnen steht der Höchste Herr. Dadurch, daß Er in Sein Muschelhorn bläst und mit Seiner Lotosblume Segnungen erteilt, versichert Er den Gottgeweihten stets, daß sie niemals überwunden werden können, nicht einmal in der größten Not. Durch Kṛṣṇas Worte sicher geworden, befahl König Yudhiṣṭhira seinem jüngsten Bruder Sahadeva, mit den Soldaten des Sṛṅjaya-Geschlechts die südlichen Länder zu unterwerfen. Nakula gab er den Auftrag, begleitet von den Soldaten aus Matsyadeśa, die Könige im Westen zu besiegen. Arjuna sollte mit den Soldaten aus Kakayadeśa die Könige in den nördlichen Ländern besiegen, und Bhīmasena, dem die Soldaten von Madradeśa (das heutige Madras) zur Seite standen, wurde aufgetragen, die Könige im Osten zu bezwingen. Hierzu sei bemerkt, daß König Yudhiṣṭhira nicht unbedingt beabsichtigte, den Königen den Krieg zu erklären, als er seine Brüder in alle Richtungen auf Eroberung aussandte. Eigentlich zogen die vier Brüder nur aus, um den Königen mitzuteilen, daß König Yudhiṣṭhira beabsichtige, das Rājasūya-Opfer durchzuführen. Gleichzeitig wurden sie dazu aufgefordert, die für das Opfer notwendigen Abgaben zu entrichten. Wenn ein König Tribut zahlte, bedeutete dies, daß er König Yudhiṣṭhiras Herrschaft anerkannte. Im Falle einer Weigerung jedoch kam es unweigerlich zum Kampf. Auf diese Weise unterwarfen die Pāṇḍavas durch ihre Macht und ihr Ansehen alle Könige. Es gelang den Brüdern, reichlich Abgaben und Geschenke zu beschaffen, die sie König Yudhiṣṭhira überbrachten. König Yudhiṣṭhira war indessen sehr besorgt, als ihm mitgeteilt wurde, König Jarāsandha von Magadha sei nicht gewillt, seine Oberhoheit anzuerkennen. Als Śrī Kṛṣṇa König Yudhiṣṭhiras Besorgnis sah, erklärte Er ihm Uddhavas Plan, wie König Jarāsandha zu bezwingen sei. Wenig später begaben sich Bhīmasena, Arjuna und Śrī Kṛṣṇa als brāhmaṇas verkleidet auf den Weg nach Girivraja, der Hauptstadt Jarāsandhas. Dies entsprach dem Plan, den Uddhava ersonnen hatte, ehe Śrī Kṛṣṇa nach Hastināpura aufbrach. Nun wurde er in die Tat umgesetzt. König Jarāsandha war ein äußerst pflichtbewußter Haushälter und hatte große Achtung vor den brāhmaṇas. Er war als echter kṣatriya-König ein großer Krieger, doch mißachtete er niemals die Anweisungen der Veden. Nach den vedischen Unterweisungen gelten die brāhmaṇas als die geistigen Meister aller anderen Kasten. Śrī Kṛṣṇa, Arjuna und Bhīmasena, die eigentlich kṣatriyas waren, hatten sich daher als bṛāhmaṇas verkleidet und gingen zu einer bestimmten Zeit, zu der König Jarāsandha die brāhmaṇas als Gäste zu empfangen pflegte, zu ihm. Als Śrī Kṛṣṇa in Seiner Verkleidung vor dem König stand, sagte Er: »Wir wünschen euer Majestät alles Gute. Wir drei kommen als Gäste in deinen Palast; wir sind von weither gereist. Wir sind hier, um dich um milde Gaben zu bitten, und wir hoffen, daß du so gütig sein wirst, uns alles zu geben, um das wir dich bitten, denn wir haben von deinen guten Eigenschaften gehört. Ein duldsamer Mensch ist stets bereit, alles hinzunehmen, auch, wenn dies manchmal mit Leid verbunden ist. Wie ein Verbrecher bereit ist, die größten Abscheulichkeiten zu begehen, ist ein so wohltätiger Mensch wie du bereit, alles zu geben, worum man ihn bittet. Eine so große Persönlichkeit wie du macht keine Unterschiede zwischen Verwandten und Fremden. Ein berühmter Mann lebt selbst nach seinem Tod weiter, doch jemand, der die Möglichkeiten und Fähigkeiten besitzt, Werke zu tun, die seinen Namen und Ruhm verewigen, aber es trotzdem unterläßt, wird von den großen Persönlichkeiten verachtet. Ein solcher Mensch kann nicht genug verdammt werden, und weil er keine Spenden geben will, ist sein ganzes Leben beklagenswert. Euer Majestät kennt bestimmt die berühmten Namen solch wohltätiger Persönlichkeiten wie Rantideva und Mudgala, die sich nur von Körnern ernährten, die sie auf Reisfeldern zusammensuchten. Auch ist dir bestimmt Mahārāja Śibi ein Begriff, der das Leben einer Taube rettete, indem er Fleisch von seinem eigenen Körper gab. All diese großen Persönlichkeiten gelangten zu unsterblichem Ruhm, weil sie ihren zeitweiligen und vergänglichen Körper opferten.« So erklärte Śrī Kṛṣṇa in Seiner Verkleidung als brāhmaṇa König Jarāsandha, daß Ruhm unvergänglich, der Körper aber vergänglich ist. Und wenn jemand unvergänglichen Ruhm erlangt, indem er seinen vergänglichen Körper opfert, wird er zu einer hochgeehrten Persönlichkeit der Menschheitsgeschichte. Während Śrī Kṛṣṇa mit Arjuna und Bhīmasena zu Jarāsandha sprach, bemerkte dieser, daß alle drei nicht wie wirkliche brāhmaṇas aussahen. Ihre Körper wiesen Merkmale auf, an denen Jarāsandha erkennen konnte, daß sie kṣatriyas waren. Ihre Schultern zeichneten Eindrücke, die vom Bogentragen herrührten; sie waren von stattlichem Körperbau, und ihre Stimmen waren tief und befehlend. Diese Merkmale sagten Jarāsandha eindeutig, daß seine Gäste keine brāhmaṇas, sondern kṣatriyas waren. Auch kam es ihm so vor, als habe er sie schon einmal gesehen. Doch obwohl es sich bei den drei Männern offensichtlich um kṣatriyas handelte, waren sie an seine Tür gekommen, um wie brāhmaṇas um Almosen zu betteln. Deshalb beschloß er, ihnen ihre Wünsche zu erfüllen, obwohl sie kṣatriyas waren, denn er fand, sie hätten sich dadurch, daß sie wie Bettler vor ihn traten, bereits genügend gedemütigt. »Aus diesem Grund«, so sagte er sich, »bin ich bereit, ihnen alles zu geben. Selbst meinen eigenen Körper werde ich ihnen ohne Zögern überlassen, wenn sie mich darum bitten sollten.« Dabei dachte er an Bali Mahārāja, vor dem Viṣṇu als Bettler erschienen war und ihm in dieser Verkleidung seinen ganzen Reichtum und sein Königreich fortgenommen hatte. Dies tat Er für Indra, der nach einer Niederlage im Kampf mit Bali Mahārāja seines Königreichs beraubt worden war. Obwohl Bali Mahārāja so betrogen wurde, wird sein Ruhm als großer Geweihter, der es über sich brachte, alles und jedes als Almosen fortzugeben, immer noch in den drei Welten gepriesen. Bali Mahārāja hatte damals geahnt, daß der brāhmaṇa Śrī Viṣṇu persönlich war, und daß er gekommen sei, um ihm zugunsten Indras sein prächtiges Königreich zu nehmen. Śukrācārya, Balis geistiger Meister und Familienpriester, warnte ihn wiederholt, doch Bali zögerte nicht, dem brāhmaṇa alles zu geben, was Er verlangte, und schließlich gab er Ihm seinen ganzen Besitz. Dies wußte Jarāsandha, und er dachte: »Wenn ich zu unsterblichem Ruhm gelangen kann, indem ich meinen vergänglichen Körper opfere, muß ich in diesem Sinne handeln, und dazu bin ich fest entschlossen; das Leben eines kṣatriya, der nicht zum Segen der brāhmaṇas handelt, ist zweifellos dem Verderben bestimmt. Im Grunde war König Jarāsandha sehr freigiebig in seinen Spenden an die brāhmaṇas, und daher sagte er zu Śrī Kṛṣṇa, Bhīma und Arjuna: »Ihr könnt von mir haben, was ihr wollt. Wenn ihr es wünscht, könnt ihr sogar meinen Kopf bekommen. Ich bin bereit, ihn euch zu geben.« Da sprach Śrī Kṛṣṇa zu Jarāsandha: »Mein lieber König, bitte laß dir sagen, daß wir in Wirklichkeit keine brāhmaṇas sind, und daß wir auch nicht gekommen sind, um Essen oder Getreide zu erbitten. Wir sind kṣatriyas, und wir sind hier, um dich zu einem Zweikampf herauszufordern. Wir hoffen, daß du die Forderung annimmst. Wisse, daß hier Bhīma, der zweite Sohn Pāṇḍus, und Arjuna, der dritte Sohn Pāṇḍus, vor dir stehen. Von Mir Selbst darf Ich dir sagen, daß ich dein alter Feind Kṛṣṇa, der Vetter der Pāṇḍavas, bin.« Als Śrī Kṛṣṇa ihre wahre Identität enthüllte, brach König Jarāsandha in lautes Gelächter aus und rief zornentbrannt mit finsterer Stimme: »Ihr Narren! Wenn ihr mit mir kämpfen wollt, so will ich euren Wunsch auf der Stelle erfüllen. Aber von dir, Kṛṣṇa, weiß ich, daß Du ein Feigling bist. Ich lehne es ab, mit Dir zu kämpfen, denn Du bist jedesmal ganz verängstigt, wenn Du mir im Kampf gegenüberstehst. Aus Furcht vor mir bist Du aus Deiner Stadt Mathurā geflohen und verbirgst Dich nun sogar im Meer; deshalb muß ich es ablehnen, mit Dir zu kämpfen. Was Arjuna betrifft, so weiß ich, daß er jünger als ich und kein ebenbürtiger Gegner für mich ist. Ich weigere mich deshalb auch, mit ihm zu kämpfen, denn er kann sich in keiner Weise mit mir messen. Bhīmasena aber halte ich für einen geeigneten Gegner.« Mit diesen Worten überreichte König Jarāsandha Bhīmasena sogleich eine gewichtige Keule, ergriff selbst eine andere, und gemeinsam begaben sich alle zum Kampf hinaus vor die Mauern der Stadt. Dort gingen Bhīmasena und König Jarāsandha aufeinander los, indem sie mit ihren Keulen, die gewaltig wie Blitze waren, voller Kampflust heftig aufeinander einschlugen. Beide waren hervorragende Keulenkämpfer, und ihre Schlagtechnik war so großartig, daß sie zwei Schauspielern glichen, die auf der Bühne tanzten. Als Bhīmasenas und Jarāsandhas Keulen gegeneinanderschlugen, klang es wie der Zusammenprall mächtiger Stoßzähne zweier kämpfender Elefanten oder wie ein Donnerschlag in einem Sturmgewitter. Wenn zwei Elefanten in einem Zuckerrohrfeld miteinander kämpfen, reißt sich jeder ein Zuckerrohr aus, umklammert es fest mit seinem Rüssel und schlägt den anderen damit. So versetzen sie ihrem Gegner wuchtige Schläge gegen die Schultern, den Rüssel, die Schlüsselbeine, die Brust, die Flanken, Schenkel und Beine und zerschmettern dabei die Zuckerrohre. Ebenso zerbrachen alle Keulen, die Jarāsandha und Bhīmasena gebrauchten, weshalb die beiden Gegner dazu übergingen, mit ihren starken Fäusten weiterzukämpfen. Jarāsandha und Bhīmasena waren beide rasend vor Wut, so daß sie sich mit den Fäusten gegenseitig fast in Grund und Boden schlugen. Ihre Fausthiebe klangen wie das Gegeneinanderschlagen von Eisenstangen oder das Krachen des Donners, und sie sahen aus wie zwei kämpfende Elefantenbullen. Und doch gelang es keinem, den anderen zu besiegen, denn beide waren vortreffliche Kämpfer, die sich sowohl an Stärke als auch an Kampfgeschick ebenbürtig waren. Weder Jarāsandha noch Bhīmasena war erschöpft oder gar bezwungen, obwohl sie unaufhörlich aufeinander einschlugen. Nur wenn es Abend wurde, stellten sie den Kampf ein und verbrachten die Nacht als Freunde in Jarāsandhas Palast, um jedoch den Kampf am nächsten Tag sogleich fortzusetzen. Auf diese Weise vergingen siebenundzwanzig Tage. Am achtundzwanzigsten Tag sagte Bhīma zu Kṛṣṇa: »Mein lieber Kṛṣṇa, ich muß offen gestehen, daß ich Jarāsandha nicht besiegen kann.« Kṛṣṇa jedoch kannte das Geheimnis von Jarāsandhas Geburt. Jarāsandha war von zwei verschiedenen Müttern in zwei Hälften zur Welt gebracht worden. Als sein Vater sah, daß mit dem Kind nichts anzufangen war, warf er die beiden Hälften in den Wald, wo sie später von einer boshaften Hexe mit Namen Jarā gefunden wurden, der es gelang, die beiden Körperhälften des Kindes zusammenzufügen. Da Śrī Kṛṣṇa dies wußte, war ihm auch bekannt, wie Jarāsandha getötet werden konnte. Er gab Bhīmasena zu verstehen, daß Jarāsandha, da er zum Leben erweckt worden war, als Jarā die beiden Körperhälften zusammenfügte, auch getötet werden könne, indem man die Hälften wieder voneinander trenne. So übertrug Śrī Kṛṣṇa Bhīmasena Seine Macht und verriet ihm, wie Jarāsandha zu töten sei. Kṛṣṇa brach kurzerhand einen Zweig von einem Baum und riß ihn auseinander, um Bhīma zu zeigen, wie er es anfangen müsse. Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, ist allmächtig, und wenn Er jemanden töten will, kann niemand diese Person retten. Und wenn Er jemanden retten will, kann niemand diese Person töten. Als nun Bhīmasena durch Kṛṣṇas Hinweise Bescheid wußte, packte Er Jarāsandha unvermittelt bei den Beinen und warf ihn zu Boden. Dann drückte er das eine Bein Jarāsandhas nieder, ergriff mit beiden Händen das andere Bein und zerriß ihn vom After bis zum Kopf. Bhīmasena zerteilte Jarāsandhas Körper wie ein Elefant die Astgabel eines Baumes auseinanderreißt. Die Zuschauer, die in der Nähe standen, sahen Jarāsandhas Körper nun in zwei Hälften vor sich liegen – jede Hälfte mit einem Bein, einem Schenkel, einem Hoden, einer halben Brust, einem halben Rücken, einer Schulter, einem Arm, einem Auge, einem Ohr und einem halben Gesicht. Als die Kunde vom Tod Jarāsandhas bekannt wurde, begannen die Bewohner Magadhas laut wehzuklagen, während Śrī Kṛṣṇa und Arjuna Bhīmasena umarmten und ihn beglückwünschten. Obwohl Jarāsandha nun tot war, erhoben weder Kṛṣṇa noch die beiden Pāṇḍava-Brüder Anspruch auf seinen Thron. Sie hatten Jarāsandha nur getötet, weil sie es nicht zulassen konnten, daß er die Wiederherstellung des Weltfriedens behinderte. Ein Dämon erzeugt dauernde Störungen, wohingegen ein Halbgott sich immer um Frieden auf der Welt bemüht. Krṣṇas Mission besteht darin, die Rechtschaffenen zu beschützen und die Dämonen zu töten, die allen Frieden stören. Kṛṣṇa ließ sogleich Sahadeva, den Sohn Jarāsandhas, herbeiholen und bat ihn, nach Ausführung der entsprechenden rituellen Zeremonien den Thron seines Vaters zu besteigen und friedlich über das Königreich zu herrschen. Śrī Kṛṣṇa ist der Herr der gesamten kosmischen Schöpfung, und Er möchte, daß jeder in Frieden lebt und Kṛṣṇa-Bewußtsein ausübt. Deshalb befreite Er nach Sahadevas Krönung alle Könige und Fürsten, die von Jarāsandha zu Umecht gefangengehalten worden waren. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 71. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »König Jarāsandha erlangt Befreiung«. 72. KAPITEL Śrī Kṛṣṇas Rückkehr nach Hastināpura Die Könige und Prinzen, die Śrī Kṛṣṇa nach Jarāsandhas Tod freiließ, waren Herrscher verschiedener Teile der Welt gewesen. König Jarāsandha hatte eine so mächtige Streitmacht besessen, daß es ihm gelungen war, all diese insgesamt 20 800 Könige und Prinzen zu besiegen. Sie alle waren in eine Berghöhle, die als Festung ausgebaut worden war, eingekerkert und für lange Zeit gefangengehalten worden. Als sie schließlich durch Kṛṣṇas Gnade befreit wurden, sahen sie alle recht unglücklich aus; ihre Kleidung war dürftig und der Mangel an Pflege und Nahrung hatte ihre Gesichter arg mitgenommen. Sie waren vom Hunger sehr geschwächt, und ihre Gesichter hatten alle Schönheit und allen Glanz verloren. Durch die lange Gefangenschaft waren sie körperlich völlig ermattet und krank. Doch obwohl sie sehr unter dieser elenden Lage litten, bot sich ihnen die Gelegenheit, an den Höchsten Persönlichen Gott, an Viṣṇu, zu denken. Nun endlich sahen sie die Tönung von Śrī Kṛṣṇas transzendentalem Körper vor sich, diese Tönung, die genau der einer soeben am Himmel aufgezogenen Wolke glich. Der Herr erschien vor ihnen prachtvoll in gelbe Seidengewänder gekleidet, vierhändig wie Viṣṇu und mit den verschiedenen Zeichen, der Keule, dem Muschelhorn, dem Feuerrad und der Lotosblüte. Seine Brust zeichneten goldene Linien, und Seine Brustspitzen glichen den Knospen der Lotosblume. Seine Augen blühten wie die Blütenblätter des Lotos, und Sein lächelndes Anlitz strahlte ewigen Frieden und Reichtum aus. Seine funkelnden Ohrringe waren kunstfertig angebracht, und Sein Helm war mit kostbaren Juwelen besetzt. Die Perlenkette des Herrn und die Armbänder und Armreifen, die Seinen transzendentalen Körper schmückten, strahlten in transzendentaler Schönheit. Das Kaustubha-Juwel auf Seiner Brust funkelte in hellem Feuer, und dazu trug Er eine herrliche Blumengirlande. Als die Könige und Prinzen nach so viel Kummer und Leid Śrī Kṛṣṇa in Seiner herrlichen transzendentalen Gestalt sahen, betrachteten sie Ihn nach Herzenslust, als tränken sie Nektar durch ihre Augen, leckten mit ihren Zungen Seinen Körper, atmeten mit den Nasen den Duft Seines Körpers und schlössen Ihn in die Arme. Allein dadurch, daß sie vor dem Höchsten Persönlichen Gott standen, wurden alle Reaktionen auf ihre sündhaften Handlungen fortgespült. Deshalb gaben sie sich rückhaltslos den Lotosfüßen des Herrn hin. In der Bhagavad-gītā wird erklärt, daß man sich nicht völlig den Lotosfüßen des Herrn hingeben kann, wenn man nicht von allen sündhaften Reaktionen befreit ist. Alle Prinzen, die Śrī Kṛṣṇa sahen, vergaßen ihre vergangenen Leiden und begannen mit gefalteten Händen voll Hingabe zu Śrī Kṛṣṇa zu beten: »Lieber Herr, o Höchster Persönlicher Gott, Meister aller Halbgötter, Du kannst Deinen Geweihten ohne weiteres ihre Leiden nehmen, denn sie sind Dir völlig ergeben. O lieber Kṛṣṇa, o ewige Gestalt transzendentaler Glückseligkeit und transzendentalen Wissens, Du bist unvergänglich, und wir bringen Deinen Lotosfüßen unsere demütigen Ehrerbietungen dar. Durch Deine grundlose Gnade nur wurden wir aus Jarāsandhas Gewalt befreit; doch nun bitten wir Dich, uns auch aus der Gewalt der illusionierenden Energie des materiellen Daseins zu erretten. Bitte beende unsere fortwährenden Wanderungen im Kreislauf der Geburten und Tode. Wir haben nun genug vom leidvollen materiellen Leben, und weil wir seine Bitterkeit erfahren haben, suchen wir endlich Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen. Lieber Herr, o Töter des Dämons Madhu, wir sehen ein, daß Jarāsandha durchaus kein Unrecht beging, als er uns einsperrte. Im Grunde sind wir durch Deine grundlose Gnade unserer Königreiche beraubt worden, denn wir waren sehr stolz, uns Herrscher und Könige nennen zu können. Ein Herrscher oder König, dem Ansehen und Macht zu Kopf steigen, hat niemals die Möglichkeit, seine wesenseigene Stellung und sein ewiges Leben zu erkennen. Solch törichte Könige und Herrscher werden unmäßig stolz auf ihre Stellung, weil sie unter dem Einfluß Deiner Energie der Täuschung stehen. Sie gleichen den Narren, die die Fata Morgana in der Wüste für eine wirkliche Oase halten. Törichte Menschen glauben, ihre materiellen Güter könnten sie schützen, und diejenigen, die der Sinnenbefriedigung ergeben sind, bilden sich irrtümlich ein, die materielle Welt sei ein Ort, an dem sie ewig genießen könnten. O Herr, o Höchster Persönlicher Gott, wir müssen eingestehen, daß wir vor unserer Gefangenschaft unserer materiellen Reichtümer wegen selbstherrlich waren. Weil wir uns gegenseitig beneideten und einer den anderen niederzwingen wollte, kämpften wir miteinander um die Vorherrschaft, und das sogar auf Kosten der Leben vieler Bürger.« Das ist die Krankheit der politischen Macht. Sobald ein König oder eine Nation zu materiellem Reichtum kommt, wollen sie andere Könige bzw. Nationen durch militärische Angriffe unterwerfen und beherrschen. Ebenso streben Kaufleute nach dem Monopol über einen bestimmten Geschäftszweig, um so andere Handelsgesellschaften in die Hand zu bekommen. Völlig entartet durch materielles Geltungsbewußtsein und verblendet durch materielle Reichtümer, richtet die menschliche Gesellschaft, statt sich um Kṛṣṇa-Bewußtsein zu bemühen, nur Schaden an und macht ein friedliches Leben unmöglich. Dabei vergessen die Menschen den eigentlichen Sinn des Lebens, nämlich die Gunst Viṣṇus, des Höchsten Persönlichen Gottes, zu erlangen. Die Könige fuhren fort: »Lieber Herr, unsere einzige und abscheuliche Beschäftigung war es, Bürger zu töten oder sie dazu zu bringen, sich unnötig töten zu lassen, und das nur, um unsere politischen Launen zu befriedigen. Wir dachten niemals daran, daß Du, o Herr, immer in der Gestalt des grausamen Todes vor uns gegenwärtig bist. Wir waren so verblendet, daß wir anderen den Tod brachten, vergaßen aber, daß uns selbst der Tod drohte. Doch lieber Herr, vor der Rache Deines Bevollmächtigten, des Elementes Zeit, gibt es kein Entrinnen. Der Zeitfaktor ist so mächtig, daß niemand seinem Einfluß entkommen kann; so haben auch wir jetzt die Folgen unserer Schandtaten zu spüren bekommen, und aller Reichtümer beraubt stehen wir jetzt vor Dir wie Straßenbettler. Dennoch glauben wir, daß unsere Lage auf Deine grundlose reine Gnade zurückzuführen ist, denn jetzt erkennen wir, daß wir zu Unrecht stolz waren, und daß uns unsere materiellen Güter durch Deinen Willen innerhalb einer Sekunde von uns genommen werden können. Allein durch Deine grundlose Gnade ist es uns nun vergönnt, an Deine Lotosfüße zu denken, und das ist der größte Gewinn. Lieber Herr, wie jeder weiß, ist der Körper nichts anderes als eine Brutstätte von Krankheiten. Nun sind wir alt und können nicht länger auf unsere Körperkraft stolz sein, sondern werden von Tag zu Tag schwächer. Wir haben deshalb unser Interesse an der Sinnenbefriedigung und der falschen Freude verloren, die man durch den materiellen Körper erhält. Durch Deine Gnade haben wir endlich begriffen, daß das Streben nach materiellem Glück wie die Suche nach Wasser in einer Fata Morgana in der Wüste ist. Wir trachten nicht einmal mehr nach den Ergebnissen unserer frommen Werke, wie sie unsere Opferungen darstellen, durch die wir auf die himmlischen Planeten erhoben werden wollten. Wir können nun verstehen, daß das Erreichen eines hohen materiellen Lebensstandards auf den himmlischen Planeten zwar sehr verlockend sein mag, daß aber in Wahrheit kein Glück in der materiellen Welt zu finden ist. Wir beten zu Deiner Herrlichkeit, uns gütigerweise wissen zu lassen, wie wir uns im transzendentalen Dienst Deiner Lotosfüße beschäftigen können, so daß wir niemals unsere ewige Beziehung zu Dir, o Herr, vergessen. Wir wollen nicht einmal aus der Verstrickung des materiellen Daseins befreit werden. Es kümmert uns nicht, in welchen Lebensformen wir durch Deinen Willen wiedergeboren werden. Nur beten wir darum, niemals und unter keinen Umständen Deine Lotosfüße zu vergessen. Lieber Herr, wir geben uns nun Deinen Lotosfüßen hin und bringen Dir unsere ehrfürchtigen Ehrerbietungen dar, denn Du bist der Höchste Herr, der Persönliche Gott, Kṛṣṇa, der Sohn Vasudevas. Du weilst als die Überseele in den Herzen aller Lebewesen, und Du bist Śrī Hari, der alle leidvollen Lebensumstände des materiellen Daseins aufheben kann. Lieber Herr, Dein Name ist Govinda, die Quelle aller Freude. Wer sich bemüht, Deine Sinne zu befriedigen, befriedigt damit auch seine eigenen Sinne, und deshalb bist Du als Govinda bekannt. Lieber Herr, Du bist immer berühmt, weil Du allen Leiden Deiner Geweihten ein Ende bereiten kannst. Nimm uns daher bitte als Deine Dir hingebenen Diener an.« Nachdem Śrī Kṛṣṇa die Gebete der aus Jarāsandhas Gefängnis befreiten Könige vernommen hatte, sagte Er, der Beschützer der hingegebenen Seelen und Ozean der Gnade für Seine Geweihten, mit Seiner lieblichen transzendentalen Stimme, die ernst und bedeutungsvoll klang: »Meine lieben Könige, Ich gebe euch Meinen Segen. Von heute an werdet ihr euch ohne Fehl Meinem hingebungsvollen Dienst widmen. Diese Segnung gewähre Ich euch ganz nach eurem Wunsch. Wie ihr wißt, weile Ich in euren Herzen als Überseele, und weil ihr euch Mir zugewandt habt, werde Ich, der Meister eines jeden, euch immer gute Ratschläge erteilen, damit ihr Mich niemals vergeßt und allmählich zurück nach Hause, zurück zu Gott geht. Meine lieben Könige, euer Entschluß, jeden Wunsch nach materiellem Genuß aufzugeben und euch statt dessen dem hingebungsvollen Dienst für Mich zuzuwenden, ist zweifellos ein Zeichen dafür, daß euch das Schicksal wohlgesonnen ist. Von nun an werdet ihr mit einem Leben der Glückseligkeit gesegnet sein. Alles, was ihr in euren Gebeten von Mir gesagt habt, ist wahr. Es ist wahr, daß eine materielle Stellung mit Macht und Reichtum für jemanden, der nicht völlig Kṛṣṇa-bewußt ist, Ursache seiner Entartung wird und dazu führt, daß er der illusionierendne Energie zum Opfer fällt. In der Vergangenheit gab es viele rebellische Könige, wie Haihaya, Nahuṣa, Vena, Rāvaṇa und Narakāsura, von denen einige Halbgötter und andere Dämonen waren. Weil sie sich falsch einschätzten, wurden sie aus ihren hohen Positionen gestoßen und konnten nicht die Könige ihrer Länder bleiben. Solange ihr der Gewalt des bedingten Lebens ausgeliefert seid, muß sich jeder von euch stets daran erinnern, daß alles, was materiell ist, einen Anfang hat, wächst, eine Zeitlang bestehen bleibt, sich erweitert, zerfällt und schließlich verschwindet. Alle materiellen Körper sind diesen sechs Bedingungen unterworfen, und alle relativen Errungenschaften, die man sich mit dem Körper aneignet, sind ohne Ausnahme der Vernichtung bestimmt. Daher sollte niemand an vergänglichen Dingen hängen. Solange man sich in einem materiellen Körper befindet, sollte man in bezug auf weltliche Angelegenheiten äußerst besonnen sein. Die vollkommenste Weise, in der materiellen Welt zu leben, besteht darin, sich einfach Meinem transzendentalen liebevollen Dienst zu widmen und gewissenhaft die einem in der jeweiligen Stellung vorgeschriebenen Pflichten zu erfüllen. Was euch betrifft, so gehört ihr alle kṣatriya-Familien an. Deshalb solltet ihr gewissenhaft in der Erfüllung der Pflichten leben, die dem königlichen Stand auferlegt sind, und eure Bürger in jeder Hinsicht zufriedenstellen. Führt ein vorbildliches kṣatriya-Leben. Zeugt nicht aus bloßer Sinnenbefriedigung Kinder, und handelt immer zum Wohl aller. In der materiellen Welt ist es so, daß jeder aufgrund der unreinen Wünsche seines vorherigen Lebens geboren wird und deshalb den strengen Gesetzen der Natur, wie Geburt und Tod, Glück und Leid und Gewinn und Verlust, unterworfen ist. Man sollte sich jedoch von diesen Dualitäten nicht verwirren lassen, sondern immer fest im hingebungsvollen Dienst für Mich verankert sein, denn dadurch kann man unter allen Umständen innerlich ausgeglichen und zufrieden bleiben, da man alle Dinge als von Mir gegeben sieht. Niemals sollte man sich vom hingebungsvollen Dienen abbringen lassen. Auf diese Weise kann man trotz der materiellen Bedingtheiten ein glückliches und friedvolles Leben führen. Man sollte also, mit andern Worten, dem materiellen Körper gegenüber und dem, was er hervorbringt, tatsächlich gleichgültig sein und sich niemals von ihm beeinflussen lassen. Man sollte mit den Interessen der spirituellen Seele völlig zufrieden sein und der Überseele dienen. Man sollte seine Gedanken nur mit Mir beschäftigen; man sollte einfach Mein Geweihter werden, einfach Mich verehren und Mir allein achtungsvolle Ehrerbietungen darbringen. Auf diese Weise kann man sehr leicht den Ozean der Unwissenheit überqueren und am Ende zu Mir zurückkehren. Weiht also eurer ganzes Leben Meinem Dienst.« Nachdem Śrī Kṛṣṇa den Fürsten und Königen diese Unterweisung erteilt hatte, kümmerte Er Sich um ihr Wohlergehen, indem Er viele Diener und Dienerinnen anwies, sich ihrer anzunehmen. Dann trug Er Sahadeva, dem Sohn Jarāsandhas, auf, die Könige mit allen Notwendigkeiten zu versorgen und ihnen alle Achtung und Ehre zu erweisen. Sahadeva kam Kṛṣṇas Befehl sogleich nach, indem er ihnen alle Ehre erwies und sie mit Schmuck, Gewändern, Blumengirlanden und vielerlei mehr beschenkte. Als die Könige gebadet und sich schön gekleidet hatten, sahen sie sehr glücklich und vornehm aus. Schließlich wurden ihnen reichlich wohlschmeckende Speisen geboten. So sorgte Kṛṣṇa in jeder Hinsicht für ihr Wohlergehen, wie es ihrer Stellung als Könige entsprach, und weil sie der Herr so barmherzig behandelte, fühlten sie sich so glücklich, daß ihre Gesichter strahlten wie die Sterne am Himmel nach der Regenzeit. Alle waren prächtig gekleidet und geschmückt, und ihre Ohrringe funkelten. Ein jeder von ihnen wurde zu einem mit Gold und Juwelen verzierten Wagen geleitet, vor den prächtige Pferde gespannt waren. Nachdem Sich Kṛṣṇa davon überzeugt hatte, daß sie alle wohlversorgt waren, bat Er sie freundlich, in ihre jeweiligen Königreiche zurückzukehren. Mit diesem großmütigen Verhalten, das in der Weltgeschichte nicht seinesgleichen findet, befreite Śrī Kṛṣṇa die Könige aus Jarāsandhas Gewalt, und völlig zufrieden begannen die Könige, Seinen heiligen Namen zu chanten, dachten an Seine heilige Gestalt und priesen Seine transzendentalen Spiele als der Höchste Persönliche Gott. So kehrten sie in ihre Königreiche zurück. Die Bürger freuten sich sehr über ihre Rückkehr, und als sie von Kṛṣṇas Güte erfuhren, wurden sie alle sehr glücklich. Von da an regelten die Könige die Angelegenheiten in ihren Ländern nach Kṛṣṇas Anweisungen und verbrachten mit ihren Untertanen glückliche Zeiten. Dies ist ein lebendiges Beispiel für eine Kṛṣṇa-bewußte Gesellschaft. Wenn die Menschen der Welt die ganze Gesellschaft, entsprechend den materiellen Eigenschaften jedes einzelnen, in vier Klassen für materiellen und vier Gruppen für spirituellen Fortschritt einteilen, die Kṛṣṇa zum Mittelpunkt haben und den Anweisungen Kṛṣṇas, wie sie in der Bhagavad-gītā gegeben werden, folgen, wird die menschliche Gesellschaft zweifellos glücklich werden. Das ist die Lehre, die wir aus dieser Begebenheit ziehen müssen. Nachdem Śrī Kṛṣṇa Jarāsandha von Bhīmasena hatte töten lassen und Er von Sahadeva, dem Sohn Jarāsandhas, gebührend verehrt worden war, kehrte Er mit Bhīmasena und Arjuna nach Hastināpura zurück. Sowie sie vor den Mauern von Hastināpura anlangten, bliesen sie in ihre Muschelhörner, worauf die Stadtbewohner sehr fröhlich wurden, als sie den Klang hörten, da sie wußten, wer gekommen war. Nur Kṛṣṇas Feinde betrübte das Tönen der Muschelhörner sehr, denn sie begriffen, daß Jarāsandha den Tod gefunden hatte. Die Einwohner von Indraprastha aber verspürten beim Ton von Kṛṣṇas Muschelhorn über den Tod Jarāsandhas große Freude in ihren Herzen. Daß König Yudhiṣṭhira das Rājasūya-Opfer darbringen konnte, war nun so gut wie sicher. Bhīmasena, Arjuna und Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, traten vor König Yudhiṣṭhira und brachten ihm ihre Ehrerbietungen dar, worauf dieser sich aufmerksam die Schilderung von Jarāsandhas Tod und der Befreiung der Könige anhörte. Er erfuhr auch von den Taktiken, die Kṛṣṇa angewandt hatte, um Jarāsandha zu vernichten. Der König hatte Kṛṣṇa schon vorher sehr geliebt, doch nachdem er von diesem Abenteuer gehört hatte, wurde er von noch größerer Liebe zu Kṛṣṇa gefangen; Tränen der Ekstase rollten ihm aus den Augen, und er war so bewegt, daß es ihm fast die Stimme versagte. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 72. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Śrī Kṛṣṇas Rückkehr nach Hastināpura«. 73. KAPITEL Śiśupāla wird erlöst König Yudhiṣṭhira wurde sehr glücklich, als er die näheren Einzelheiten über den Kampf mit Jarāsandha hörte, und so sagte er: »Mein lieber Kṛṣṇa, o ewige Gestalt der Glückseligkeit und des Wissens, alle die hochstehenden Wächter über die Geschehnisse in der materiellen Welt, wie Brahmā, Śiva und König Indra, sind stets begierig, Befehle von Dir erhalten und sie ausführen zu dürfen, und jedesmal, wenn sie das Glück haben, solche Aufträge zu empfangen, nehmen sie sie sogleich an und bewahren sie in ihren Herzen. O Kṛṣṇa, Du bist unbegrenzt, und obwohl wir uns manchmal für große Könige und Herrscher der Welt halten und auf unsere armseligen Stellungen stolz sind, sind wir sehr erbärmlich. Eigentlich verdienen wir es, von Dir bestraft zu werden, doch seltsamerweise bist Du statt dessen so gütig und barmherzig, daß Du unsere Befehle entgegennimmst und richtig ausführst. Andere wundern sich sehr, daß Deine Herrlichkeit die Rolle eines gewöhnlichen Menschen spielen kann, doch wir wissen, daß Du wie ein Schauspieler agierst. Deine wirkliche Stellung bleibt dabei immer erhaben, so wie die Sonne weder beim Aufgehen noch beim Untergehen ihre Temperatur verändert. Wir mögen zwar zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang Temperaturunterschiede wahrnehmen, doch die Temperatur der Sonne ändert sich niemals. Du bist immer voll transzendentaler Ausgeglichenheit, weshalb Dich materielle Angelegenheiten weder stören noch erfreuen. Du bist das Höchste Brahman, der Persönliche Gott, und für Dich gibt es keine Bedingtheiten. Mein lieber Mādhava, Du wirst niemals und von niemandem bezwungen. Materielle Unterscheidungen, wie »dies bin ich, das bist du, dies ist mein, das ist dein«, sind in Dir nicht zu finden. Solche Unterscheidungen treten im Leben eines jeden auf, selbst bei den Tieren; nur die reinen Gottgeweihten sind von diesen falschen Unterscheidungen frei. Wenn schon Deine Geweihten diese falschen Unterscheidungen nicht kennen, kann es sie unmöglich für Dich geben.« Nachdem König Yudhiṣṭhira diese Worte zu Kṛṣṇas Wohlgefallen gesprochen hatte, ließ er das Rājasūya-Opfer vorbereiten. Er lud alle befähigten brāhmaṇas und Weisen ein, daran teilzunehmen, und wies ihnen verschiedenen Aufgaben als Priester zu; als solche sollten sie als erstes die Opferstätte einrichten und beaufsichtigen. Die kundigsten brāhmaṇas und Weisen wurden eingeladen, und zwar: Kṛṣṇa-dvaipāyana Vyāsadeva, Bharadvāja, Sumantu, Gautama, Asita, Vasiṣṭha, Cyavana, Kaṇva, Maitreya, Kavaṣa, Trita, Viśvāmitra, Vāmadeva, Sumati, Jaimini, Kratu, Paila, Parāśara, Garga, Vaiśampāyana, Atharvā, Kaśyapa, Dhaumya, Paraśurāma, Śukrācārya, Āsuri, Vīthihotra, Madhucchandā, Vīrasena und Akṛtavraṇa. Neben diesen Weisen und Heiligen lud der König auch die ehrwürdigen Familienältesten ein wie Droṇācārya, Bhīṣma, den Großvater der Kuru-Dynastie, Kṛpācārya und Dhṛtarāṣṭra. Er lud die Söhne Dhṛtarāṣṭras ein, die von Duryodhana geführt wurden, und auch den großen Gottgeweihten Vidura. Könige aus den verschiedensten Teilen der Welt wurden gebeten, zusammen mit ihren Ministern und Sekretären König Yudhiṣṭhiras großer Opferzeremonie beizuwohnen, und selbst gewöhnliche Bürger, wie gelehrte brāhmaṇas, tapfere kṣatriyas, wohlhabende vaiśyas und getreue śūdras, kamen, um an der Zeremonie teilzunehmen. Die brāhmaṇa-Priester und Weisen, die für den Ablauf des Opfers verantwortlich waren, bereiteten die Opferstätte, wie es bei solchen Anlässen üblich ist, mit einem goldenen Pflug und weihten König Yudhiṣṭhira mit vedischen Riten zum Ausführenden des großen Opfers. Als Varuṇa vor vielen Jahren ein ähnliches Opfer vollzogen hatte, waren alle Gegenstände, die dabei verwendet wurden, aus Gold gefertigt gewesen, und ebenso waren auch bei König Yudhiṣṭhiras Rājasūya-Opfer alle Gegenstände aus purem Gold. Um an König Yudhiṣṭhiras großer Opferzeremonie teilzunehmen, kamen auf dessen Einladung hin alle mächtigen Halbgötter, wie Brahmā, Śiva und Indra, der König des Himmels, mit ihren Gefährten, und auch die herrschenden Gottheiten der höheren Planetensysteme, wie Gandharvaloka, Siddhaloka, Tapoloka, Nāgaloka, Yakṣaloka, Rākṣasaloka, Pakṣiloka und Cāraṇaloka, und die berühmtesten Könige mit ihren Königinnen. Alle ehrwürdigen Weisen, Könige und Halbgötter, die sich also versammelt hatten, waren sich darin einig, daß König Yudhiṣṭhira wahrhaft geeignet war, die Verantwortung für das Rājasūya-Opfer zu tragen; niemand bezweifelte dieses. Sie alle kannten die Stellung Mahārāja Yudhiṣṭhiras: Weil er ein großer Geweihter Śrī Kṛṣṇas war, gab es keine Aufgabe, die zu gewaltig für ihn sein konnte. Die gelehrten brāhmaṇas und Priester achteten darauf, daß Mahārāja Yudhiṣṭhira die Opferzeremonie genauso durchführte wie in früheren Zeiten Varuṇa seine Opfer darbrachte. Nach Anweisung der Veden wird den Teilnehmern einer Opferzeremonie stets der Saft der soma-Pflanze gereicht. Der soma-Saft ist eine Art lebenspendender Trank. An dem Tag, an dem der soma-Saft gewonnen wurde, empfing König Yudhiṣṭhira mit höchstem Respekt den Priester, der damit betraut war, auf alle Fehler bei der Ausführung der Opfervorgänge aufmerksam zu machen. Die vedischen mantras müssen nämlich bei der Opferung völlig korrekt ausgesprochen und mit der richtigen Betonung gechantet werden, weshalb die Priester bei einem Fehler sofort vom Überwacher, einem sachverständigen Priester, berichtigt werden, so daß die einwandfreie Durchführung der Rituale gewährleistet ist. Wenn ein Opfer nicht in vollendeter Form vollzogen wird, kann es nicht das gewünschte Ergebnis zeitigen. Da es im gegenwärtigen Zeitalter, dem Kali-yuga, keine solch gelehrten brāhmaṇas oder Priester mehr gibt, sind alle Opferungen dieser Art untersagt. Das einzige Opfer, das in den śāstras empfohlen wird, ist das Chanten des Hare-Kṛṣṇa-mantras. Eine weitere wichtige Prozedur vor einer solchen Opferzeremonie ist es, der höchstgestellten Persönlichkeit unter den Anwesenden als erstes Ehre zu erweisen. Nachdem man alle Vorbereitungen für Yudhiṣṭhiras Opfer getroffen hatte, war daher die nächste Überlegung, wer als erstes in der besagten Zeremonie verehrt werden solle. Diese einführende Zeremonie wird Agrapūjā genannt; agra bedeutet »zuerst« und pūjā wird mit »Verehrung« übersetzt. Die Agrapūjā ähnelt der Wahl eines Präsidenten. Da alle Teilnehmer der Opferung hohe Persönlichkeiten waren, schlugen einige diesen, andere jenen für die Entgegennahme der Agrapūjā vor. Als man zu keiner Entscheidung kommen konnte, sprach sich Sahadeva in einer Rede für Kṛṣṇa aus. Er sagte: »Śrī Kṛṣṇa, der Beste unter den Mitgliedern der Yadu-Dynastie und der Beschützer der Gottgeweihten, ist die vortrefflichste Persönlichkeit in unserer Versammlung. Deshalb meine ich, daß Ihm ohne Zweifel die Ehre erwiesen werden sollte, zuerst verehrt zu werden. Obwohl in dieser Versammlung große Halbgötter, wie Brahmā, Śiva, Indra, der König der himmlischen Planeten, und viele andere hochgestellte Persönlichkeiten zugegen sind, kommt niemand von ihnen Kṛṣṇa gleich oder überragt ihn – weder im Hinblick auf Schönheit, Reichtum, Kraft, Ruhm, Weisheit, Entsagung, noch in irgendeiner anderen Weise. Was immer als reich angesehen wird, ist ursprünglich in Kṛṣṇa. So wie die individuelle Seele die Grundlage für das Wachstum des Körpers ist, ist Kṛṣṇa die Überseele der kosmischen Manifestation. Der Sinn aller vedischen Rituale, wie die Durchführung von Opferzeremonien, das Darbringen von Gaben im Feuer, das Chanten der vedischen Hymnen und die Ausübung von mystischem yoga, liegt darin, Kṛṣṇa zu erfreuen. Ob man den Pfad der fruchtbringenden Tätigkeiten oder dem der philosophischen Spekulationen folgt – das endgültige Ziel ist Kṛṣṇa; alle autorisierten Methoden zur Selbstverwirklichung sollen zu einem Verständnis von Kṛṣṇa führen. Werte Anwesende, es ist überflüssig, noch mehr über Śrī Kṛṣṇa zu sagen, denn jeder von euch verehrten Persönlichkeiten kennt Ihn, das Höchste Brahman, für den es keine materiellen Unterschiede gibt wie den Unterschied zwischen Körper und Seele, zwischen Energie und Energieursprung oder einem Körperteil und dem anderen. Weil jeder ein Teil Kṛṣṇas ist, besteht kein qualitativer Unterschied zwischen Kṛṣṇa und den Lebewesen. Alles ist eine Erweiterung der materiellen oder der spirituellen Energie Kṛṣṇas. Kṛṣṇas Energien sind wie die Wärme und das Licht des Feuers: es besteht kein qualitativer Unterschied zwischen der Wärme, dem Licht und dem Feuer selbst. Auch kann Kṛṣṇa mit jedem beliebigen Teil Seines Körpers tun, was Er will. Wir können eine bestimmte Handlung nur mit einem ganz bestimmten Körperteil verrichten, doch Er kann alles und jedes mit jedem Teil Seines Körpers tun. Und weil Sein transzendentaler Körper ewig voller Wissen und Glückseligkeit ist, ist Er nicht den sechs materiellen Wandlungen – Geburt, Dasein, Wachstum, fruchtbringendes Handeln, Verfall und Vergehen – unterworfen. Er steht niemals unter dem Zwang einer äußeren Energie und ist die höchste Ursache der Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung alles Seienden. Nur durch Kṛṣṇas Gnade können die Lebewesen der Ausübung von Religiosität, der Verbesserung wirtschaftlicher Umstände, der Befriedigung ihrer Sinne und schließlich dem Bemühen um Befreiung vom Gefangensein in der Materie nachgehen. Nach diesen vier Grundsätzen des fortschrittlichen Lebens kann nur durch Kṛṣṇas Gnade gehandelt werden. Deshalb sollte Ihm bei dieser großen Opferung als erstem Verehrung erwiesen werden, und niemand sollte da widersprechen. Ebenso wie man Äste, Zweige, Blätter und Blüten eines Baumes nährt, wenn man die Wurzel begießt, oder Ernährung und Stoffwechsel aller Teile eines Körpers stattfinden, wenn man dem Magen Nahrung zuführt, so werden alle, die auf diesem Treffen anwesend sind – die großen Halbgötter nicht ausgenommen –, zufriedengestellt sein, wenn wir Kṛṣṇa als ersten verehren. Für jemanden, der mildtätig sein möchte, ist es das beste, ganz gleich, welche Art von Körper oder Individualität er auch besitzen mag, seine Gaben einzig Kṛṣṇa zu geben, der die Überseele in jedem Lebewesen ist. Kṛṣṇa weilt als Überseele in jedem Lebewesen, und wenn wir Ihn erfreuen können, wird jedes Lebewesen glücklich.« Sahadeva war in der glücklichen Lage, die Herrlichkeit Kṛṣṇas zu kennen, und nachdem er sie kurz geschildert hatte, schwieg er. Auf seine Rede hin ließen alle Teilnehmer der großen Versammlung laute Beifallsrufe vernehmen und stimmten seinen Worten zu, indem sie immer wieder versicherten: »Alles, was du gesagt hast, ist völlig richtig. Alles, was du gesagt hast, ist völlig richtig.« Alsdann wusch König Yudhiṣṭhira gemeinsam mit seinen Brüdern, Frauen, Kindern, anderen Anverwandten und Ministern als erstes Śrī Kṛṣṇas Lotosfüße und versprengte das verwendete Wasser über ihre Köpfe. Dann brachte man Kṛṣṇa vielerlei gelbseidene Gewänder dar und häufte Juwelen und anderen Schmuck vor Ihm auf. König Yudhiṣṭhira geriet, als er Kṛṣṇa, das einzige Ziel seiner Liebe, verehrte, in solche Ekstase, daß ihm die Tränen aus den Augen strömten. Er konnte deshalb Śrī Kṛṣṇa gar nicht richtig sehen, so gern er es wollte. Alle Anwesenden standen unterdessen mit gefalteten Händen auf und begannen zu chanten: »Jaya! Jaya! Namaḥ! Namaḥ!« Als sie Kṛṣṇa alle zusammen ihre Ehrerbietungen darbrachten, regnete es Blumen vom Himmel. Auch König Śiśupāla hatte sich eingefunden. Er war aus vielen Gründen Kṛṣṇas geschworener Feind; vor allem deshalb, weil Kṛṣṇa Rukmiṇī kurz vor ihrer Vermählung mit Śiśupāla geraubt hatte. Er konnte es daher nicht ertragen, daß Kṛṣṇa soviel Ehre erwiesen wurde und alle Versammelten seine vortrefflichen Eigenschaften rühmten. Statt sich also zu freuen, von der Herrlichkeit des Herrn zu hören, ärgerte er sich sehr. Als sich jeder erhob, um Kṛṣṇa seine Ehrerbietungen zu erweisen, blieb er als einziger sitzen. Dann aber konnte er es nicht länger aushalten. Er wurde über Kṛṣṇas Ehrung auf einmal so wütend, daß er aufsprang, eine Hand hob und heftig und furchtlos Reden gegen Kṛṣṇa zu führen begann. Er sprach dabei so laut, daß Kṛṣṇa ihn deutlich hören konnte. »Meine Damen und Herren!« rief Śiśupāla, »ich verstehe nun die Aussage der Veden, die Zeit sei die allesbeherrschende Kraft. Trotz all unserer Gegenanstrengungen führt das Zeit-Element ungehindert seinen Plan aus. Zum Beispiel mag man alles versuchen, um am Leben zu bleiben, doch wenn die Zeit zum Sterben gekommen ist, kann niemand den Tod verhindern. Hier nun muß ich sehen, daß der Einfluß der Zeit so stark ist, daß sich viele der hier Versammelten, obwohl bedeutende Persönlichkeiten, von den Worten eines Knaben, der törichtes Zeug über Kṛṣṇa redete, haben irreführen lassen. Unter den hier Versammelten gibt es zwar viele gelehrte Weise und ältere Persönlichkeiten, doch sie alle haben den Worten eines dummen Jungen Gehör geschenkt. Das zeigt, daß durch den Einfluß der Zeit sogar die Intelligenz solch ehrwürdiger Persönlichkeiten der Täuschung unterliegen kann. Ich teile zwar durchaus die Meinung der ehrenwerten Anwesenden, daß sie in der Lage sind, selbst die Persönlichkeit zu finden, die als erste verehrt werden soll, doch kann ich unmöglich den Worten eines Knaben wie Sahadeva zustimmen, der Kṛṣṇa überschwenglich pries und behauptete, Kṛṣṇa stehe es zu, die erste Ehrung bei der Opferzeremonie zu empfangen. Ich sehe unter den Versammelten viele Persönlichkeiten, die sich große Entsagung auferlegten, die hochgelehrt sind und die viele Bußen auf sich nahmen. Durch ihr Wissen und ihre Führung können sie viele Seelen, die unter den Qualen des materiellen Daseins leiden, befreien. Es sind viele große ṛṣis zugegen, deren Wissen keine Grenzen kennt, sowie viele selbstverwirklichte Transzendentalisten und brāhmaṇas. Meiner Meinung nach hätte einem jeden von ihnen die erste Verehrung erwiesen werden können, denn sie werden selbst von den großen Halbgöttern, Königen und Kaisern verehrt. Völlig unverständlich dagegen ist mir, wie man diesen Hirtenjungen, Kṛṣṇa, wählen und dabei alle großen Persönlichkeiten übergehen konnte. Ich halte Kṛṣṇa für nichts Besseres als eine Krähe – wie kann Er Sich dazu eignen, die erste Verehrung bei dieser großen Opferzeremonie zu empfangen? Es läßt sich nicht einmal feststellen, zu welcher Kaste dieser Kṛṣṇa gehört, und welches Seine vorgeschriebenen Pflichten sind.« Tatsächlich gehört Kṛṣṇa keiner Kaste an, noch muß Er irgendeiner Pflicht nachkommen. In den Veden heißt es nämlich, daß es für den Herrn keine vorgeschriebenen Pflichten gibt. Alles, was getan werden muß, wird für Ihn von Seinen verschiedenen Energien verrichtet. Śiśupāla fuhr fort: »Auch gehört Kṛṣṇa keiner hohen Familie an. Er ist so selbständig, daß niemand Seine Prinzipien für ein religiöses Leben kennt. Offensichtlich steht Er außerhalb des Geltungsbereichs aller religiösen Prinzipien. Er handelt stets unabhängig und kümmert Sich nicht um vedische Anweisungen und regulierende Prinzipien. Somit mangelt es Ihm an allen guten Eigenschaften.« Indirekt rühmte Śiśupāla Kṛṣṇa, als er sagte, die vedischen Anweisungen hätten für Ihn keine Gültigkeit. Dies ist durchaus richtig, da Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist. Wenn gesagt wird, Er habe keine Eigenschaften, dann bedeutet dies, daß Kṛṣṇa keine materiellen Eigenschaften besitzt. Weil Er der Höchste Persönliche Gott ist, handelt Er völlig unabhängig, ohne Sich um Förmlichkeiten, gesellschaftliche Pflichten oder religiöse Prinzipien zu kümmern. Śiśupāla sprach weiter: »Wie kann Kṛṣṇa unter diesen Umständen würdig sein, die erste Verehrung entgegenzunehmen? Kṛṣṇa ist so töricht, daß Er die Stadt Mathurā verließ, in der höchst ehrbare Bürger leben, die der vedischen Kultur folgen, und sich statt dessen aufs Meer zurückzog, wo nicht einmal von den Veden gesprochen wird. Statt offen unter uns zu leben, baute Er Sich eine Festung im Meer und lebt dort in einer Umgebung, in der niemals vedisches Wissen erörtert wird. Und jedesmal, wenn Er aus Seiner Festung hervorkommt, plagt Er die Bürger wie ein Räuber, ein Verbrecher, ein Schurke!« Śiśupāla war ganz außer sich, weil Kṛṣṇa zur ersten verehrungswürdigen Persönlichkeit der Versammlung gewählt worden war. Daher redete er so unverantwortlich, daß es schien, als habe ihn bereits alles Glück verlassen. Vom Unglück überwältigt beschimpfte er Kṛṣṇa immer weiter, doch der Herr hörte ihn ohne Einspruch geduldig an. Er schwieg und blieb gelassen wie ein Löwe, der nicht auf das Geheul einer Meute Schakale achtet. Kṛṣṇa erwiderte auf keinen einzigen der Vorwürfe etwas, doch die Anwesenden empörten sich sehr, bis auf einige wenige, die mit Śiśupāla einer Meinung waren, denn es ist die Pflicht jedes ehrbaren Menschen, keine Schmähung gegen Gott oder Seinen Geweihten zu dulden. Einige, die sich für unfähig hielten, etwas Angemessenes gegen Śiśupāla zu unternehmen, verließen aus Protest die Versammlung, wobei sie sich mit den Händen die Ohren zuhielten, um keine weiteren Beleidigungen mitanhören zu müssen. So verließen sie die Zusammenkunft und verdammten Śiśupālas Untat. Es ist eine vedische Anweisung, daß man einen Ort, an dem der Höchste Persönliche Gott geschmäht wird, augenblicklich verlassen muß. Unterläßt man dies, wird man aller Ergebnisse seiner frommen Werke beraubt und sinkt zu niedrigen Lebensbedingungen hinab. Alle anwesenden Könige der Kuru-, Matsya-, Kekaya- und Sṛñjaya-Dynastien griffen zornentbrannt sogleich zu ihren Schwertern und Schilden, um Śiśupāla zu töten. Śiśupāla aber war so verblendet, daß es ihn nicht im geringsten beunruhigte, daß alle anwesenden Könige sich anschickten, ihn umzubringen. Er dachte nicht einmal daran, das Für und Wider seiner törichten Reden zu erwägen; vielmehr nahm er, als er sah, daß die Könige ihn töten wollten, Schwert und Schild in die Hand, statt endlich innezuhalten, und stellte sich ihnen zum Kampf. Als Śrī Kṛṣṇa sah, daß die Könige im Begriff waren, an der Stätte des geweihten Rājāsūya-yajña zu kämpfen, beschwichtigte Er sie persönlich und entschloß Sich in Seiner grundlosen Gnade, Śiśupāla Selbst zu töten. Daher schleuderte Śrī Kṛṣṇa, als Śiśupāla nun auch die Könige, die ihn angreifen wollten, beschimpfte, Sein Feuerrad, das scharf wie eine Rasierklinge war, und trennte kurzerhand Śiśupālas Kopf vom Rumpf. Als Śiśupāla auf diese Weise getötet wurde, ging ein tosender Aufschrei durch die Menge. Die wenigen Könige, die auf Śiśupālas Seite standen, nutzten den Tumult, die Versammlung eilends zu verlassen, da sie um ihr Leben fürchteten. Die glückhafte Seele Śiśupālas aber ging vor den Augen aller Anwesenden trotz allem in Śrī Kṛṣṇas Körper ein wie ein brennender Meteor, der der Oberfläche eines Planeten entgegenstürzt. Das Eingehen von Śiśupālas Seele in Kṛṣṇas transzendentalen Körper erinnert an die Geschichte von Jaya und Vijaya, die nach ihrer Verwünschung durch die vier Kumāras von den Vaikuṇṭha-Planeten in die materielle Welt herabfielen. Es war Jaya und Vijaya bestimmt, daß sie sich drei Leben hintereinander wie Todfeinde des Herrn verhalten sollten, bevor sie wieder in die Vaikuṇṭha-Welt zurückkehren und dem Herrn als Seine Gefährten dienen durften. Obwohl Śiśupāla als Kṛṣṇas Feind auftrat, war er keinen Augenblick ohne Kṛṣṇa-Bewußtsein. Da er ständig in Gedanken an Kṛṣṇa vertieft war, erlangte er zuerst Erlösung in Form von sāyujya-mukti, was bedeutet, daß er in die Existenz des Höchsten einging, und wurde später zu seiner ursprünglichen Stellung erhoben, in der er dem Herrn persönlich dient. Die Bhagavad-gītā bestätigt diese Tatsache, daß jemand, der zur Zeit des Todes in Gedanken an den Höchsten Herrn vertieft ist, gleich nach Verlassen des materiellen Körpers in das Königreich Gottes eingeht. Nach Śiśupālas Befreiung beschenkte König Yudhiṣṭhira alle Teilnehmer der Opferzeremonie. Er belohnte auch die gelehrten Priester und Weisen reichlich für ihre Bemühungen bei der Ausführung des Opfers. Nach Erfüllung aller üblichen Pflichten nahm er schließlich sein Bad. Dieses Bad am Ende des Opfers ist auch ein Bestandteil des Vorgangs und wird avabhṛtha-Bad genannt. So ermöglichte es Śrī Kṛṣṇa, daß König Yudhiṣṭhiras Rājasūya-yajña erfolgreich zuendegeführt wurde; anschließend verbrachte Er auf Bitten Seiner Vetter und anderer Verwandten noch einige weitere Monate in Hastināpura. Obwohl König Yudhiṣṭhira und Seine Brüder Ihn gar nicht mehr aus Hastināpura fortlassen wollten, brachte es Kṛṣṇa schließlich doch fertig, vom König die Erlaubnis zur Rückkehr nach Dvārakā zu bekommen, und so fuhr Er bald darauf mit Seinen Königinnen und Ministern nach Hause. Die Geschichte von Jaya und Vijaya, die von den Vaikuṇṭha-Planeten in die materielle Welt herabfielen, wird im Dritten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam erzählt, und die Begebenheit von Śiśupālas Tötung steht in direkter Beziehung zu dieser Erzählung. Die wichtigste Lehre jedoch, die wir aus dieser Begebenheit ziehen können, ist die, daß der Höchste Persönliche Gott, da Er absolut ist, jedem Befreiung gewähren kann – ob man als Sein Feind oder als Sein Freund handelt. Es ist also ein Irrtum zu glauben, der Herr habe zu manchen Lebewesen eine freundschaftliche Beziehung und zu anderen eine feindschaftliche. Sein feindschaftliches oder freundschaftliches Verhalten befindet sich stets auf der absoluten Ebene, auf der es keine materiellen Unterscheidungen gibt. Als König Yudhiṣṭhira nach dem Opfer sein Bad genommen hatte und wieder bei den gelehrten Weisen und brāhmaṇas stand, sah er so schön aus, daß er dem König des Himmels glich. Er beschenkte alle Halbgötter, die an dem yajña teilgenommen hatten, mit reichen Gaben, und die Halbgötter verließen ihn dann auch höchst zufrieden, wobei sie die Taten des Königs rühmten und Śrī Kṛṣṇa priesen. Als Śukadeva Gosvāmī erzählte, wie Kṛṣṇa Śiśupāla tötete, und schilderte, wie der Rājasūya-yajna erfolgreich von Mahārāja Yudhiṣṭhira vollzogen wurde, hob er hervor, daß es nach der glücklichen Beendigung des yajña eine Person gab, die nicht froh war, und zwar Duryodhana. Duryodhana war von Natur aus sehr neidisch, denn er führte ein sündiges Leben. Er war in der Kuru-Dynastie als chronische Krankheit in Person erschienen, die die gesamte Familie verderben sollte. Śukadeva versicherte Mahārāja Parīkṣit, daß die Erzählungen von Kṛṣṇas Spielen, wie die tödlichen Kämpfe mit Śiśupāla und Jarāsandha und die Freilassung der gefangenen Könige, völlig transzendentale Klangschwingungen seien, und daß jeder, der sie von autorisierten Personen höre, augenblicklich von den Reaktionen auf seine Sünden befreit werde. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 73. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Śiśupāla wird erlöst«. 74. KAPITEL Warum sich Duryodhana am Ende des Rājasūya-Opfers gedemütigt fühlte König Yudhiṣṭhira war als ajātaśatru bekannt, als »jemand, der keinen Feind hat«. Als daher alle Halbgötter, Könige, Weisen, Heiligen und alle Menschen sahen, daß König Yudhiṣṭhira das Rājasūya-Opfer erfolgreich abschloß, wurden sie sehr fröhlich. Mahārāja Parīkṣit wunderte es sehr, daß Duryodhana als einziger nicht zufrieden war, und so bat er Śukadeva Gosvāmī, diesen Umstand zu erklären. Śukadeva Gosvāmī begann zu erzählen: »Mein lieber König Parīkṣit, dein Großvater König Yudhiṣṭhira war eine große Seele. Aufgrund seines gewinnendes Wesens wurde jeder gern sein Freund, und deshalb war er als ajātaśatru bekannt, d. h. jemand, der sich niemals einen Feind schuf.« Bei dem Rājasūya-Opfer gab er jedem Angehörigen der Kuru-Dynastie die Verantwortung für einen bestimmten Teil des Vorhabens. Bhīmasena z.B. war für die Küchenangelegenheiten zuständig, Duryodhana für die Schatzkammer, Sahadeva für den Empfang, Nakula bekam die Verantwortung für Versorgung aus den Vorräten, und Arjuna war es bestimmt, sich um das Wohl der älteren Leute zu kümmern. Das Erstaunlichste war, daß Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, die Aufgabe übernahm, allen Ankömmlingen die Füße zu waschen. Die Königin, die Glücksgöttin Draupadī, sollte über die Beköstigung wachen, und weil Karṇa für seine Mildtätigkeit berühmt war, wurde ihm die Verantwortung für die Spendenverteilung zugesprochen. In ähnlicher Weise wurden auch Sātyaki, Vikarṇa, Hārdikya, Vidura, Bhūriśravā und Santardana, der Sohn Bālīkas, mit verschiedenen Aufgaben bei der Gestaltung der Abläufe während des Rājasūja-Opfers betraut. Sie alle waren König Yudhiṣṭhira mit so liebevoller Zuneigung verbunden, daß sie ihn einfach nur erfreuen wollten. Nach Vollendung des Rājasūya-Opfers, bei dem Śiśupāla durch Kṛṣṇas Gnade getötet worden und in das spirituelle Dasein eingegangen war, als alle Freunde, Gäste und Gönner ausreichend geehrt und beschenkt worden waren, ging Yudhiṣṭhira zum Ganges, um dort ein Bad zu nehmen. Die Stadt Hastināpura liegt heute am Ufer der Yamunā, und daher können wir der Feststellung im Śrīmad-Bhāgavatam, nach der König Yudhiṣṭhira zum Ganges ging, um zu baden, entnehmen, daß der Fluß Yamunā zur Zeit der Pāṇdavas als Ganges bekannt war. Während der König das avabhṛtha-Bad nahm, ertönten vielerlei Musikinstrumente wie mṛdaṅgas, Muschelhörner, Trommeln, Kesselpauken und Hörner. Dazu klingelten die Fußglöckchen tanzender Mädchen. Viele berufsmäßige Sängergruppen spielten auf ihren vīṇās, Flöten, Gongs und Zimbeln, so daß ein Brausen von Klängen in der Luft schwang. Die vielen geladenen Fürsten aus Königreichen wie Sṛñjaya, Kāmboja, Kuru, Kekaya und Kośala, mit ihren verschiedenen Fahnen und prachtvoll geschmückten Elefanten, Streitwagen, Pferden und Soldaten, folgten König Yudhiṣṭhira in einer Prozession. Unterdessen vollzogen die Priester, Geistlichen und brāhmaṇas eine Opferung, und alle chanteten laut vedische Hymnen. Die Halbgötter, die Bewohner Pitṛlokas und Gandharvalokas wie auch viele Weise warfen Blumen vom Himmel. Die Männer und Frauen von Hastināpura, die zu dieser Feier ihre Körper mit Duftstoffen und Blumenölen eingerieben hatten, waren in farbenfrohe Gewänder gekleidet und mit Geschmeide, Juwelen und Girlanden geschmückt. Sie alle waren voll Freude und Eifer bei der Zeremonie und besprengten einander mit Flüssigkeiten wie Wasser, Öl, Milch, Butter und Yoghurt. Manche rieben sich gegenseitig mit diesen flüssigen Substanzen ein. So vergnügten sie sich alle in höchst ausgelassener Weise. Selbst die Dirnen nahmen an dem Schabernack teil und bearbeiteten voller Jubel die Körper der Männer mit den Flüssigkeiten, was die Männer ihnen in gleicher Weise lohnten. Alle Flüssigkeiten waren mit Kurkuma und Safran vermischt, so daß sie alles leuchtend gelb färbten. Um das wundervolle Fest anzuschauen, waren die Frauen vieler Halbgötter in ihren Luftfahrzeugen, die man am Himmel sehen konnte, herbeigeflogen. Prächtig geschmückt wie sie, kamen unten auf der Erde die Königinnen der Königsfamilie umgeben von Leibwächtern in ihren Sänften herbei. Sowie Śrī Kṛṣṇa, der Vetter der Pāṇdavas mütterlicherseits, und Sein enger Freund Arjuna sie erblickten, besprengten sie beide die Körper der Königinnen mit den Flüssigkeiten. Die Königinnen wurden zwar ein wenig verlegen, doch gleichzeitig strahlte ein bezauberndes Lächeln auf ihren Gesichtern. Durch die Flüssigkeiten, die ihre Körper trafen, wurden ihre saris ganz naß, so daß verschiedene Teile ihrer schönen Körper, vor allem ihre Brüste und Hüften, teilweise zu sehen waren. Auch die Königinnen hatten Eimer voll Flüssigkeiten und fingen ihrerseits an, ihre Schwäger zu bespritzen. Während sie sich an diesen fröhlichen Spielen erfreuten, löste sich ihr Haar und die Blumen, die ihre Körper schmückten, fielen zu Boden. Menschen, die nicht rein im Herzen waren, wurden, als Śrī Kṛṣṇa, Arjuna und die Königinnen sich so fröhlich vergnügten, durch lüsterne Begierden erregt. Mit anderen Worten, solche Tändeleien zwischen lauteren Männern und Frauen sind freudvoll, doch materiell verunreinigte Menschen werden dabei von Lust ergriffen. König Yudhiṣṭhira wohnte dem Fest mit Draupadī und seinen anderen Königinnen in einem prachtvollem Wagen bei, vor den prächtige Pferde gespannt waren. Die Festlichkeiten der Opferzeremonie waren so wundervoll anzuschauen, daß es schien, als sei der Rājasūya-yajña in Person zusammen mit allen Feierlichkeiten zugegen. Bei der Ausführung des Rājasūya-Opfers ist am Ende ein vedisches Ritual, patnīsaṁyāja genannt, zu vollziehen. Dieses Opferritual muß man gemeinsam mit seiner Frau ausführen. König Yudhiṣṭhiras Priester führten also in vorgeschriebener Weise das Ritual durch, und Königin Draupadī und König Yudhiṣṭhira nahmen ihr avabhṛta-Bad;dazu begannen die Bewohner von Hastināpura und auch die Halbgötter Trommeln zu spielen und Trompeten zu blasen, während es Blumen vom Himmel regnete. Als der König und die Königin ihr Bad im Ganges beendet hatten, badeten auch alle anderen Bürger der verschiedenen varṇas oder Kasten – die brāhmaṇas, kṣatriyas, vaiśyas und śūdras – im Ganges. Im Gangeswasser zu baden wird in den vedischen Schriften empfohlen, denn dadurch wird man von allen sündhaften Reaktionen befreit. Noch heute ist dies in Indien üblich, vor allem zu glückverheißenden Zeitpunkten. Bei solchen Gelegenheiten baden Millionen von Menschen im Ganges. Nachdem König Yudhiṣṭhira sein Bad genommen hatte, kleidete er sich in ein neues Seidengewand und legte kostbaren Juwelenschmuck an. Doch nicht nur sich selbst kleidete und schmückte er, sondern er ließ auch den Priestern und allen anderen, die an den yajñas teilgenommen hatten, neue Gewänder und Schmuckstücke übergeben. Auf diese Weise wurden sie alle von König Yudhiṣṭhira verehrt. Er verehrte seine Freunde, Familienangehörigen, Verwandten, Gönner und alle anderen Anwesenden die ganze Zeit, und weil er ein Vaiṣṇava, ein großer Geweihter Nārāyaṇas war, wußte er, wie man jeden gut behandelt. Das Bestreben der Māyāvādī-Philosophen, jeden als Gott zu sehen, ist eine künstliche Vorstellung, die zur Einheit führen soll. Ein Vaiṣṇava, ein Geweihter Nārāyaṇas, sieht jedoch jedes Lebewesen als ewiges Teil des Höchsten Herrn. Das Verhalten eines Vaiṣṇavas gegenüber anderen Lebewesen befindet sich daher auf der absoluten Ebene. So wie man ein Körperteil nicht getrennt von den anderen Körperteilen sehen kann, da sie alle zum gleichen Körper gehören, macht der Vaiṣṇava keinen Unterschied zwischen einem Menschen und einem Tier; denn er sieht in beiden die Seele und die Überseele. Als alle nach dem Bad erfrischt und mit seidenen Gewändern, Juwelenohrringen, Blumengirlanden, Turbanen, langen Umhängen und Perlenhalsketten versehen waren, sahen sie aus wie die Halbgötter des Himmels. Das traf ganz besonders auf die Frauen zu, die außergewöhnlich schön gekleidet waren. Jede einzelne trug einen goldenen Gürtel und lächelte. Auf ihren Gesichtern waren hier und dort tilaka-Spuren zu sehen, und ihr lockiges Haar war zerzaust, was alles sie sehr reizvoll machte. Alle, die an dem Rājasūya-Opfer teilgenommen hatten, wie die hochgebildeten Priester, die brāhmaṇas, die bei der Durchführung der Opfer geholfen hatten, die Bürger aller varṇas, die Könige, Halbgötter, Weisen, Heiligen und Bewohner Pitṛlokas, waren mit König Yudhiṣṭhira sehr zufrieden und kehrten schließlich frohen Herzens nach Hause zurück. Auf der Heimreise sprachen sie ständig über König Yudhiṣṭhiras Taten, und selbst nachdem sie unablässig seine Größe gerühmt hatten, wurde es ihnen nicht über, so wie man immer wieder Nektar trinken kann, ohne jemals satt zu werden. Nachdem fast alle Gäste abgereist waren, hielt Mahārāja Yudhiṣṭhira seine engsten Freunde, auch Śrī Kṛṣṇa, zurück, indem er ihnen einfach nicht erlaubte, ihn zu verlassen. Und da der Herr dem König seine Bitte nicht abschlagen konnte, schickte Er die Helden der Yadu-Dynastie, wie Sāmba und andere, nach Dvārakā zurück, während Er persönlich in Hastināpura blieb, um den König zu erfreuen. In der materiellen Welt hat jeder bestimmte Wünsche; aber man kann die Wünsche niemals zu seiner vollsten Zufriedenheit erfüllen. König Yudhiṣṭhira jedoch konnte, weil er Kṛṣṇa bedingungslos hingegeben war, durch die Darbringung des Rājasūya-Opfers alle seine Wünsche erfolgreich zufriedenstellen. Aus der Schilderung des Rājasūya-Opfers wird ersichtlich, daß eine solche Zeremonie ein riesiger Ozean weitreichender Wünsche ist. Keinem gewöhnlichen Menschen ist es möglich, solch einen Ozean zu überqueren. Durch Kṛṣṇas Gnade gelang dies Mahārāja Yudhiṣṭhira jedoch mit Leichtigkeit, und so wurde er frei von allen Sorgen. Als Duryodhana bemerkte, daß Mahārāja Yudhiṣṭhira nach dem Rājasūya-yajña sehr berühmt geworden und in jeder Hinsicht vollauf zufrieden war, begann das Feuer des Neides in ihm zu brennen, denn sein Gemüt war ständig voller Gift. Eine Sache, um die er die Pāṇḍavas beneidete, war der Herrscherpalast, den der Dämon Maya für sie erbaut hatte. Dieser Palast war einzigartig in seiner verwirrenden und kunstreichen Gestaltung und stellte eine würdige Residenz für große Fürsten, Könige oder Dämonenführer dar. In diesem großen Palast lebten die Pāṇdavas mit ihren Familienangehörigen, und Königin Draupadī konnte ihren Gatten in Frieden dienen. Weil sich damals auch Śrī Kṛṣṇa dort aufhielt, war der Palast durch die Anwesenheit Seiner vielen tausend Königinnen verschönt. Wenn die Königinnen mit ihren fülligen Brüsten und schmalen Hüften durch den Palast schritten und die Fußglöckchen bei jeder ihrer Bewegungen lieblich klingelten, erschien der Palast herrlicher als die himmlischen Königreiche. Da ein Teil ihrer Brüste mit Safranpuder betupft war, sahen die Perlenhalsketten auf ihren Busen rötlich aus. Mit ihren herrlichen Ohrringen und dem wallenden Haar waren die Königinnen einfach bezaubernd. Als Duryodhana solche Schönheit in Mahārāja Yudhiṣṭhiras Palast erblickte, wurde er sehr neidisch. Ganz besonders neidisch und lusterfüllt wurde er, als er die Schönheit Draupadīs sah; denn er hegte schon seit der Zeit vor ihrer Heirat mit den Pāṇḍavas ein besonderes Verlangen nach ihr. Duryodhana war auch bei der Versammlung zur Heiratswahl Draupadīs zugegen gewesen und war, wie die anderen Prinzen, sehr stark von Draupadīs Schönheit betört worden, doch war es ihm nicht gelungen, sie zu erobern. Eines Tages saß König Yudhiṣṭhira wieder einmal auf dem goldenen Thron in dem vom Dämon Maya errichteten Palast. Seine vier Brüder und anderen Verwandten wie auch sein großer Gönner, der Höchste Persönliche Gott, waren zugegen, und sein materieller Reichtum schien nicht geringer als der Brahmās. Als er so in der Gesellschaft seiner Freunde auf dem Thron saß und den Vortragskünstlern zuhörte, die in Form wundervoller Gesänge Gebete vortrugen, besuchte Duryodhana mit einem jüngeren Bruder den Palast. Duryodhana war mit einem Helm geschmückt und trug ein Schwert in der Hand. Er war stets neiderfüllt und reizbar, und deshalb fuhr er die Torwächter wegen einer Kleinigkeit wütend an. Dann ärgerte er sich darüber, daß er nicht imstande war, Wasser von festem Boden zu unterscheiden. Durch die Kunst des Dämons Maya war nämlich der Palast an mehreren Stellen so ausgestattet, daß jemand, der die Tücken des Bauwerkes nicht kannte, Wasser für Land und Land für Wasser halten mußte. Auch Duryodhana ließ sich durch dieses Blendwerk täuschen, und als er versuchte, über das Wasser zu gehen, das er für festen Boden hielt, fiel er hinein. Als er so aus eigener Dummheit ins Wasser fiel, lachten die Königinnen über sein Mißgeschick. König Yudhiṣṭhira konnte verstehen, wie Duryodhana zumute sein mußte, und versuchte deshalb, die Königinnen vom Lachen abzuhalten, doch Śrī Kṛṣṇa gab ihm zu verstehen, daß er ihnen nicht verbieten solle, sich über den Vorfall zu freuen. Kṛṣṇa wünschte nämlich, daß Duryodhana so zum Narren gehalten werde und alle ihren Spaß an seiner Unbeholfenheit hätten. Als alle über Duryodhana lachten, fühlte dieser sich tief gekränkt, und die Haare sträubten sich ihm auf dem Kopf vor Wut. Gedemütigt verließ er sogleich gesenkten Hauptes den Palast, ohne auch nur ein Wort der Empörung zu äußern. Als Duryodhana derartig verbittert den Palast verließ, tat allen der Vorfall leid, und auch König Yudhiṣṭhira wurde sehr bekümmert. Doch trotz alledem schwieg Kṛṣṇa; Er sprach Sich weder für noch gegen die Geschehnisse aus. Duryodhana schien durch Kṛṣṇas höchsten Willen in Illusion versetzt worden zu sein, und das bildete den Anfang der Feindschaft zwischen den beiden Zweigen der Kuru-Dynastie. Offenbar war dies ein Teil von Kṛṣṇas Plan in Seiner Mission, die Last, die die Welt bedrückte, zu vermindern. König Parīkṣit hatte gefragt, warum Duryodhana nach dem großen Rājasūya-Opfer nicht zufrieden war, und so lautete die Erklärung Śukadeva Gosvāmīs. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 74. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Warum sich Duryodhana am Ende des Rājasūya-Opfers gedemütigt fühlte«. 75. KAPITEL Die Schlacht zwischen Śālva und der Yadu-Dynastie Als Śukadeva Gosvāmī von mancherlei Taten berichtete, die Śrī Kṛṣṇa in Seiner Rolle als gewöhnlicher Mensch vollbrachte, erzählte er auch die Geschichte von der Schlacht zwischen der Yadu-Dynastie und einem Dämon namens Śālva, dem es gelungen war, in den Besitz eines wundervollen Luftfahrzeuges zu gelangen, das den Namen Saubha trug. König Śālva war ein guter Freund Śiśupālas gewesen. Als Śiśupāla sich anschickte, Rukmiṇī zu heiraten, war er als einer der Gäste des Bräutigams zugegen gewesen, und als es dann zum Kampf mit der Yadu-Dynastie kam, wurden Śālva und die anderen Könige von den Soldaten der Yadu-Dynastie besiegt. Damals hatte Śālva, trotz seiner Niederlage, vor allen Königen geschworen, daß er einst alle Angehörigen der Yadu-Dynastie vom Erdboden tilgen werde. Seit dieser Niederlage in dem Kampf um Rukmiṇīs Heirat nährte er einen unauslöschlichen Groll gegen Śrī Kṛṣṇa, und er war ein solch ausgemachter Narr, daß er versprochen hatte, Kṛṣṇa zu töten. Für gewöhnlich nehmen solch verblendete Dämonen zur Verwirklichung ihrer hochgesteckten Pläne Zuflucht bei einem Halbgott wie Śiva, und so wandte sich auch Śālva an Śiva, um stark zu werden. Er erlegte sich eine strenge Form der Buße auf, indem er täglich nur eine Handvoll Asche aß. Śiva, der Gemahl Pārvatīs, ist gewöhnlich sehr barmherzig und deshalb schnell zufrieden, wenn sich jemand schweren Bußen unterzieht, um sein Wohlgefallen zu erwecken. Nachdem Śālva ein Jahr lang schwere Buße auf sich genommen hatte, war Śiva mit ihm zufrieden und forderte ihn auf, um die Erfüllung seines Wunsches zu bitten. Śālva bat Śiva um ein Luftfahrzeug, das so gewaltig sein sollte, daß es von keinem Halbgott, Dämon, Mensch, Gandharava oder Nāga, nicht einmal von einem Rakṣasa, zerstört werden könnte. Dazu wünschte er, daß es überall, wohin man es zu steuern beliebte, würde hinfliegen können, und daß es besonders gefährlich und furchterregend für die Angehörigen der Yadu-Dynastie sein würde. Śiva war sogleich bereit, ihm die gewünschte Segnung zu gewähren, worauf Śālva mit Hilfe des Dämons Maya ein metallenes Fluggefährt herstellte, das so furchtbar und gewaltig war, daß niemand es zerstören konnte. Es war ein riesiger Apparat – fast so groß wie eine große Stadt –, und es konnte so hoch und so schnell fliegen, daß es fast unmöglich war, zu erkennen, wo es sich gerade befand, geschweige denn, es anzugreifen. Selbst in der Dunkelheit konnte sein Pilot es nach Belieben überallhinsteuern. Als Śālva dieses wundervolle Luftfahrzeug bekommen hatte, flog er damit sogleich nach Dvārakā, denn er hatte es sich vor allem gewünscht, um die Stadt der Yadus anzugreifen, gegen die er einen nie versiegenden Haß hegte. Śālva griff Dvārakā nicht nur aus der Luft an, sondern ließ die Stadt auch von einer beachtlichen Zahl von Fußsoldaten umzingeln, die die schönen Stadtgebiete überfielen. Sie begannen die Bäder zu zerstören, die Stadttore, die Paläste, die Hochhäuser, die hohen Stadtmauern und die schönen Flecken, wo die Leute zur Erholung zusammenkamen. Während die Soldaten vom Land aus angriffen, warf Śālva aus dem riesigen Flugzeug große Felsbrocken, Baumstämme, Blitze, Giftschlangen und viele andere furchterregende Gegenstände. Auch gelang es ihm, einen Orkan in der Stadt zu erzeugen, der so stark war, daß es in ganz Dvārakā dunkel wurde, weil der hochgewirbelte Staub den Himmel verfinsterte. Śālvas Luftfahrzeug brachte Dvārakā in ähnliche Nöte wie sie vor langer Zeit durch die Untaten Tripurāsura überall auf der Erde entstanden waren. Die Einwohner von Dvārakā Purī wurden so heftig bedrängt, daß sie nicht einen Augenblick zur Ruhe kamen. Da sammelten sich die großen Helden der Stadt unter der Führung von Befehlshabern wie Pradyumna, um gegen die Soldaten und Śālvas Fluggefährt einen Gegenangriff zu unternehmen. Als Pradyumna die große Not der Bürger sah, formierte er unverzüglich eine Schar Soldaten und bestieg persönlich einen Streitwagen, während er die Stadtbewohner ermutigte und versprach, sie zu retten. Unter seiner Führung stürmten viele Krieger, wie Sātyaki, Cārudeṣṇa und Sāmba, die jüngeren Brüder Pradyumnas und auch Akrūra, Kṛtavarmā, Bhānuvinda, Gada, Śuka und Sāraṇa, aus der Stadt, um mit Śālva zu kämpfen. Sie alle waren große Krieger; jeder von ihnen konnte mit vielen tausend Männern kämpfen. Sie waren mit allem Notwendigen bis an die Zähne bewaffnet, und viele tausend Wagenlenker, Elefanten, Pferde und Fußsoldaten standen ihnen zur Seite. Ein wilder Kampf entbrannte, der in vieler Hinsicht an die vor langer Zeit zischen Halbgöttern und Dämonen stattgefundene Schlacht erinnerte. Der Kampf war sehr heftig, und jedem, der ihn in seiner Wildheit sah, standen die Haare zu Berge. Pradyumna wirkte unverzüglich der zauberischen Kraft entgegen, die von Śālvas Luftgefährt ausging. Durch die magische Macht seines Flugzeugs hatte Śālva eine nachtschwarze Finsternis erzeugt, doch plötzlich erschien Pradyumna wie die aufgehende Sonne, und wie beim Sonnenaufgang augenblicklich die Dunkelheit der Nacht weicht, so wurde bei Pradyumnas Erscheinen die Wirkung der mystischen Kraft Śālvas aufgehoben. Jeder von Pradyumnas Pfeilen hatte am Ende eine goldene Feder, und der Schaft trug eine scharfe Eisenspitze. Mit fünfundzwanzig solcher Pfeile fügte er dem Oberbefehlshaber Śālvas schwere Verwundungen zu. Dann schoß er hundert Pfeile auf Śālva ab, durchbohrte viele Soldaten mit jeweils einem Pfeil und tötete die Wagenlenker, indem er auf jeden zehn Pfeile abschoß. Die Reittiere, wie die Pferde und Elefanten, wurden mit je drei gezielten Pfeilen außer Gefecht gesetzt. Als die Kämpfer auf dem Schlachtfeld Pradyumnas Heldenhaftigkeit sahen, rühmten sie seine kühnen Taten. Aber dennoch blieb das Luftfahrzeug, das Śālva zur Verfügung stand, sehr mysteriös. Es war so außergewöhnlich, daß es manchmal aussah, als flögen mehrere Luftschiffe am Himmel und manchmal, als sei keines vorhanden. Bisweilen war es sichtbar und ein anderes Mal wieder unsichtbar. Die Krieger der Yadu-Dynastie wurden verwirrt, da das sonderbare Luftgefährt ständig an anderer Stelle auftauchte. Manchmal sahen sie es am Boden stehen, und manchmal sahen sie es am Himmel fliegen. Manchmal sahen sie das Flugzeug auf einem Hügel verweilen, und dann wieder sah man es auf dem Wasser schwimmen. Das wundersame Gefährt flog wie ein Glühwurm im Wind und war keinen Augenblick stetig. Doch trotz aller geheimnisvollen Manöver des Luftfahrzeugs stürzten die Führer und Soldaten der Yadu-Dynastie sofort auf Sālva zu, sobald sie ihn mit seinem Flugzeug und seinen Soldaten erblickten. Die Pfeile, die die Yadus abschossen, waren strahlend wie die Sonne und gefährlich wie Schlangenzungen. Bald schon gerieten die Soldaten auf Śālvas Seite durch den fortwährenden Pfeilhagel, mit dem die Helden der Yadu-Dynastie ihnen zusetzten, in arge Bedrängnis, und Śālva selbst verlor einmal sogar unter dem Ansturm ihrer Pfeile das Bewußtsein. Die Soldaten und Krieger, die auf Śālvas Seite kämpften, waren zwar auch sehr mächtig, und ihre Pfeile machten den Helden der Yadu-Dynastie ebenfalls zu schaffen, jedoch waren die Yadus so stark und entschlossen, daß sie nicht von ihren Stellungen wichen. Die Helden der Yadu-Dynastie waren fest entschlossen, entweder den Sieg zu erringen oder auf dem Schlachtfeld zu fallen. Sie waren zuversichtlich, daß sie, wenn sie auf dem Schlachtfeld sterben sollten, die himmlischen Planeten erreichen würden, und wenn sie siegen sollten, die Welt genießen würden. Śālvas Oberbefehlshaber hieß Dyumān. Er war überaus gewaltig, und obwohl ihn fünfundzwanzig von Pradyumnas Pfeilen getroffen hatten, fiel er Pradyumna ganz plötzlich mit seiner mächtigen Keule an und versetzte ihm einen solchen Schlag, daß Pradyumna bewußtlos wurde. Darauf erhob sich ein Geschrei: »Nun ist er tot! Nun ist er tot!« Die Wucht des Keulenschlages, der Pradyumnas Brust traf, war nämlich stark genug gewesen, um die Brust eines gewöhnlichen Menschen zu zerschmettern. Pradyumnas Streitwagen wurde vom Sohn Dārukas gelenkt. Nach vedischen Kampfregeln müssen der Wagenlenker und der Kämpfer im Wagen während des Kampfes zusammenwirken. Es war also die Pflicht des Wagenlenkers, den Kämpfer bei bedrohlichen Gefahrenmomenten in der Schlacht zu schützen, und deshalb fuhr der Sohn Dārukas Pradyumnas Körper vom Schlachtfeld. Zwei Stunden später gelangte Pradyumna an einem abgelegenen Ort wieder zum Bewußtsein; doch als er sah, daß er sich nicht mehr auf dem Schlachtfeld befand, verwünschte er seinen Wagenlenker und rief: »Oh, was hast du für eine Narrheit begangen! Warum hast du mich vom Schlachtfeld gebracht! Mein lieber Wagenlenker, noch nie ist jemand aus unserer Familie vom Schlachtfeld gebracht wurden. Keiner meiner Vorfahren verließ jemals eine Schlacht. Durch deine Handlung hast du große Schande auf mich geladen. Man wird von mir sagen, ich sei mitten im Kampf vom Schlachtfeld geflohen. Mein lieber Wagenlenker, ich muß dir Vorwürfe machen; du bist ein Feigling und ein Weichling. Sage mir, wie kann ich jemals wieder meinem Onkel Balarāma und meinem Vater Kṛṣṇa unter die Augen treten, und wie soll ich Ihnen mein Verhalten erklären? Jeder wird über mich reden und behaupten, ich sei aus dem Kampf geflohen, und wenn man mich selbst danach fragt, was soll ich dann zur Antwort geben? Meine Schwägerin wird sich mit spitzen Bemerkungen über mich lustig machen. ›Mein lieber Held‹, wird sie sagen, ›wie konntest du nur zu einem solchen Feigling werden? Wie nur bist du zu einem Eunuchen geworden? Und wie kommt es, daß du dich in den Augen deiner Gegner so erniedrigt hast?‹ Mein lieber Wagenlenker, ich betrachte es als ein großes Vergehen, daß du mich vom Schlachtfeld brachtest.« Pradyumnas Wagenlenker erwiderte jedoch: »Mein lieber Herr, ich wünsche dir ein langes Leben. Meines Wissens tat ich nichts Falsches, da es die Pflicht des Wagenlenkers ist, dem Kämpfer auf seinem Wagen zu helfen, wenn dieser sich in aussichtsloser Gefahr befindet. Mein lieber Herr, du bist ein großer Krieger auf dem Schlachtfeld. Es ist die Pflicht des Wagenlenkers und des Kämpfers, sich gegenseitig in Gefahren zu schützen. Ich war mir die ganze Zeit der vorgeschriebenen Kampfprinzipien bewußt und tat meine Pflicht. Der Feind versetzte dir mit seiner Keule ganz plötzlich einen so heftigen Schlag, daß du bewußtlos wurdest. Umgeben von deinen Feinden schwebtest du in großer Gefahr; deshalb war ich dazu verpflichtet, so zu handeln, wie ich es tat.« Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 75. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Schlacht zwischen Śālva und der Yadu-Dynastie«. 76. KAPITEL Die Befreiung Śālvas Bei dem Gespräch mit seinem Wagenlenker, dem Sohn Dārukas, begriff Pradyumna, was wirklich geschehen war, und so erfrischte er sich erst einmal, indem er sich Mund und Hände wusch. Dann bewaffnete er sich mit Bogen und Pfeilen und bat seinen Wagenlenker, ihn dorthin zu fahren, wo Śālvas Oberbefehlshaber kämpfte. Während Pradyumnas kurzer Abwesenheit vom Schlachtfeld hatte Dyumān, Śālvas Oberbefehlshaber, die Stellungen der Yadus eingenommen. Pradyumna jedoch gebot ihm, als er auf dem Schlachtfeld erschien, sogleich Einhalt und machte ihm mit acht Pfeilen den Garaus. Mit vier Pfeilen streckte er seine vier Pferde nieder, mit einem Pfeil tötete er den Wagenlenker, und mit einem anderen Pfeil schoß er Dyumāns Bogen entzwei; mit einem weiteren Pfeil schoß er seine Fahne in Stücke und mit dem letzten trennte er ihm den Kopf vom Rumpf. An den anderen Fronten töteten Helden wie Gada, Sātyaki und Sāmba Śālvas Soldaten. Auch die Soldaten, die mit Śālva im Luftgefährt flogen, verloren während des Kampfes ihr Leben und fielen in den Ozean. Beide Seiten setzten einander immer härter zu, und so war die Schlacht sehr wild und gefahrvoll. Siebenundzwanzig Tage wurde ohne Pause gefochten. Der Kampf mit Śālva fand nach König Yudhiṣṭhiras Rājasūya-yajña und dem Tod Śiśupālas statt, und daher weilte Kṛṣṇa, während in Dvārakā gekämpft wurde, gerade bei König Yudhiṣṭhira und den anderen Pāṇḍavas in Indraprastha. Als Kṛṣṇa schließlich erfuhr, daß Dvārakā in großer Gefahr war, bat Er die Familienältesten der Pāṇḍavas, vor allem Seine Tante Kuntīdevī, um die Erlaubnis, sie verlassen zu dürfen, und machte Sich unverzüglich auf den Weg nach Dvārakā. Śrī Kṛṣṇa vermutete, daß Śiśupālas Anhängerschaft, während Er und Balarāma nach Śiśupālas Tod in Hastināpura geblieben waren, Dvārakā angegriffen haben müsse. Bei Seiner Ankunft in Dvārakā sah Śrī Kṛṣṇa, daß die Stadt tatsächlich in großer Bedrängnis war. Er betraute Balarāmjī mit der strategisch wichtigen Aufgabe, die Stadt zu beschützen, und bat Seinen Wagenlenker Dāruka, sich bereit zu machen. Er sagte ihm: »Dāruka, bitte bringe mich rasch in Śālvas Nähe. Ich muß dir aber vorher sagen, daß Śālva ein sehr mächtiger und geheimnisvoller Mann ist, doch brauchst du ihn nicht im geringsten zu fürchten.« Sowie Dāruka diese Anweisungen erhalten hatte, ließ er Śrī Kṛṣṇa im Streitwagen Platz nehmen und fuhr Ihn mit großer Geschwindigkeit auf Śālva zu. Kṛṣṇas Streitwagen trug eine Fahne mit dem Zeichen Garuḍas, und als die Soldaten und Krieger der Yadu-Dynastie die Fahne sahen, wußten sie, daß Śrī Kṛṣṇa Selbst Sich auf dem Schlachtfeld befand. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits fast alle Soldaten Śālvas getötet. Als Śālva bemerkte, daß Kṛṣṇa gekommen war, feuerte er ein riesiges, mächtiges Geschoß ab, das mit donnerndem Getöse durch die Luft raste wie ein großer Meteor. Es strahlte so gleißend, daß der ganze Himmel bei seinem Erscheinen erhellt wurde. Doch sowie Śrī Kṛṣṇa ihm nahe kam, schoß Er die Riesenwaffe mit einem gezielten Pfeil in tausend Stücke. Śrī Kṛṣṇa traf Śālva mit sechzehn Pfeilen und überschüttete dann sein Luftfahrzeug mit einer wahren Flut von Pfeilen, so wie die Sonne an einem klaren Tag den gesamten Himmel mit zahllosen Lichtpartikeln überflutet. Doch Śālva führte seinerseits einen heftigen Schlag gegen Kṛṣṇas linke Seite, an der der Herr Seinen Bogen Śārṅga trug, wodurch Śrī Kṛṣṇa die Waffe aus der Hand glitt. Daß Kṛṣṇa den Bogen fallen ließ, war etwas ganz Außergewöhnliches. Große Persönlichkeiten und Halbgötter, die den Kampf zwischen Śālva und Kṛṣṇa beobachteten, wurden ganz aufgeregt und riefen entsetzt: »O weh! O weh!« Śālva dachte nun, er habe gesiegt, und brüllte Kṛṣṇa mit donnernder Stimme an: »Kṛṣṇa, Du Schurke! Gewaltsam hast du Rukmiṇī entführt, und das, obwohl wir dabei waren. Du hast meinen Freund Śiśupāla zum Narren gehalten und Rukmiṇī Selbst geheiratet. Und bei Mahārāja Yudhiṣṭhiras großen Versammlungen zum Rājasūya-yajña hast Du, als mein Freund Śiśupāla ein wenig unachtsam war, die Gelegenheit wahrgenommen, ihn zu töten. Jeder denkt, Du seiest ein großer Kämpfer und könnest von niemandem besiegt werden. Doch nun mußt Du Deine Stärke beweisen. Ich glaube, wenn Du länger vor mir stehen bleibst, werde ich Dich mit meinen spitzen Pfeilen an einen Ort schicken, von dem Du niemals zurückkehrst.« Darauf entgegnete Śrī Kṛṣṇa: »Śālva, du Narr, dein Gerede hat weder Hand noch Fuß. Du scheinst nicht zu ahnen, daß der Tod bereits über deinem Haupt schwebt. Wirkliche Helden reden nicht viel. Sie beweisen ihre Kraft mit kühnen Taten.« Kaum hatte Śrī Kṛṣṇa dies gesagt, hieb Er Śālva mit Seiner Keule so heftig aufs Schlüsselbein, daß der Dämon innerliche Blutungen erlitt und schauderte, als sei er im Begriff zu erfrieren. Bevor Kṛṣṇa jedoch noch einmal zuschlagen konnte, machte sich Śālva durch seine mystische Kraft unsichtbar. Einige Augenblicke später trat ein geheimnisvoller Unbekannter vor Śrī Kṛṣṇa. Laut weinend verneigte er sich vor den Lotosfüßen des Herrn und sagte: »Weil Du der liebste Sohn Deines Vaters Vasudeva bist, hat mich Deine Mutter Devakī gesandt, um Dir die Unglücksnachricht mitzuteilen, daß Dein Vater von Śālva gefangen und gewaltsam fortgeschleppt worden ist. Śālva nahm ihn mit sich wie ein Schlächter, der gnadenlos ein Schlachttier fortführt.« Als Śrī Kṛṣṇa diese Unglücksbotschaft von dem Unbekannten vernahm, war Er zuerst völlig bestürzt wie ein gewöhnlicher Mensch. Sein Gesicht zeigte Zeichen von Entsetzen, und Er begann bitterlich zu weinen. »Wie konnte das nur geschehen?« sagte Er, »Mein Bruder Balarāma ist doch dort in der Stadt, und niemandem ist es möglich, Balarāmajī zu bezwingen. Er soll Dvārakā beschützen, und Ich weiß, daß Er stets wachsam ist. Wie also konnte Śālva in Dvārakā eindringen und meinen Vater einfach entführen? Ganz gleich, wer Śālva auch sein mag, seine Kraft ist begrenzt; wie hätte er deshalb Balarāmajī an Stärke übertreffen und meinen Vater gefangen fortführen können, wie es Mir dieser Mann schildert? Doch ach, das Schicksal ist sehr mächtig!« Während Śrī Kṛṣṇa diese Gedanken durch den Kopf gingen, brachte Śālva einen Gefangenen vor Ihn, der genauso aussah wie Sein Vater Vasudeva. All dies war indes nur ein Trugbild aus Śālvas mystischer Kraft. Śālva rief Kṛṣṇa zu: »Kṛṣṇa, Du Schurke! Schau her, hier ist Dein Vater, der Dich gezeugt hat, und durch dessen Gnade Du noch heute am Leben bist. Sieh nun, wie ich ihn töte. Wenn Du auch nur ein wenig Kraft hast, versuche ihn zu retten.« Mit diesen Worten schlug der Gaukler Śālva dem falschen Vasudeva den Kopf ab. Gleich darauf nahm er den toten Körper auf und stieg in sein Flugzeug. Śrī Kṛṣṇa ist der in Sich Selbst zufriedene Höchste Persönliche Gott, doch weil Er die Rolle eines gewöhnlichen Menschen spielte, wurde Er kurze Zeit sehr traurig, als habe Er tatsächlich Seinen Vater verloren. Aber im nächsten Augenblick schon erkannte Er, daß die Gefangennahme und Hinrichtung Seines Vaters Vorspiegelungen der magischen Kräfte waren, deren Beherrschung Śālva von dem Dämon Maya gelernt hatte. Als Kṛṣṇa Sein normales Bewußtsein wiedererlangte, konnte Er verstehen, daß weder der Bote noch der abgeschlagene Kopf Seines Vaters da waren, daß aber Śālva entflohen war und in seinem Luftgefährt am Himmel flog. Darauf begann Kṛṣṇa auf Śālvas Vernichtung zu sinnen. Kṛṣṇas Reaktion auf Śālvas Blendwerk ist ein von den großen Autoritäten und Heiligen vielerörtertes Thema: Wie nämlich konnte Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, die Quelle aller Macht und allen Wissens, in solcher Weise verwirrt werden? Wehklagen, Kummer und Verwirrung sind Merkmale bedingter Seelen; wie also können diese Dinge die Höchste Person berühren, die voll Wissen, Macht und aller guten Eigenschaften ist? Im Grunde war es tatsächlich nicht möglich, daß Śrī Kṛṣṇa durch die mystischen Vorspiegelungen Śālvas getäuscht wurde. So war es auch hier nur das transzendentale Spiel des Herrn, das die Rolle eines Menschen wiedergab. Die großen Heiligen und Weisen, die den Lotosfüßen Śrī Kṛṣṇas in Hingabe dienen und deshalb die höchste Vollkommenheit der Selbstverwirklichung erlangt haben, haben die Verwirrungen, die aus der körperlichen Lebensauffassung entstehen, transzendiert. Śrī Kṛṣṇa ist für solche Heiligen das endgültige Ziel des Lebens. Wie hätte Er also jemals von Śālvas magischem Spiel verwirrt werden können? Die Schlußfolgerung lautete somit, daß Śrī Kṛṣṇas Verwirrung eine weitere der Füllen Seiner höchsten Persönlichkeit ist. Die Überzeugung, Kṛṣṇa sei durch seine magischen Vorspiegelungen verwirrt worden, ermutigte Śālva, und so griff er den Herrn mit noch mehr Kraft und Einsatz an, indem er Ihn mit einem Regen von Pfeilen überschüttete. Śālvas Eifer glich jedoch dem Eifer von Fliegen, die sich ins Feuer stürzen. Kṛṣṇa schleuderte Śālva Seine Pfeile mit unfaßbarer Kraft entgegen und verletzte ihn schwer, dessen Rüstung, Bogen und juwelenbesetzter Helm in Stücke sprangen. Von einem gewaltigen Schlag Kṛṣṇas mit der Keule wurde schließlich auch Śālvas wundersames Luftfahrzeug zerschmettert und stürzte ins Meer. Śālva jedoch war so gewandt, daß es ihm gelang, an Land zu springen, ehe das Flugzeug auf dem Wasser aufschlug, und sogleich rannte er erneut auf Kṛṣṇa zu. Als Śālva Kṛṣṇa in rasendem Lauf mit der Keule angriff, schlug Kṛṣṇa ihm die Hand ab, die samt der Keule zu Boden fiel. Mit dem Entschluß, Śālva nun endlich zu töten, erhob der Herr Sein wunderbares Feuerrad, das leuchtete wie die gleißende Sonne zur Zeit der Vernichtung der materiellen Schöpfung. Als sich Kṛṣṇa mit Seinem Feuerrad aufrichtete, um Śālva zu vernichten, sah Er aus wie die rote Sonne, die über einem Berg aufgeht. Dann enthauptete Kṛṣṇa den Dämon, dessen Kopf mit den Ohrringen und dem Helm zu Boden fiel. So wurde Śālva getötet wie einst Vṛtāsura von Indra, dem König des Himmels. Śālvas Soldaten und Anhänger begannen mit Śālvas Tod ach und weh zu schreien. Während sie jammerten, ließen die Halbgötter auf dem himmlischen Planeten Blumen auf Kṛṣṇa herabregnen und verkündeten Seinen Sieg, indem sie Trommeln rührten und Hörner bliesen. Da erschienen andere Freunde Śiśupālas, wie Dantavakra, auf dem Schauplatz, die mit Kṛṣṇa kämpfen und Śiśupālas Tod rächen, wollten. Als Dantavakra auf Śrī Kṛṣṇa zukam, war er rasend vor Wut. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 76. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Befreiung Śālvas«. 77. KAPITEL Dantavakra, Vidūratha und Romaharṣaṇa werden getötet Als Śiśupāla, Śālva und Pauṇḍraka tot waren, wollte ein weiterer dämonischer König, namens Dantavakra, Kṛṣṇa umbringen, um den Tod seines Freundes Śālva zu rächen. Er war so aufgebracht, daß er, ohne sich entsprechend zu rüsten und zu bewaffnen, ja, sogar ohne Streitwagen, auf das Schlachtfeld kam. Seine einzigen Waffen waren seine rotglühende Wut und eine Keule, doch war er so machtvoll, daß jeder spüren konnte, wie bei seinen Schritten die Erde bebte. Als Śrī Kṛṣṇa ihn so heldenmütig heranstürmen sah, stieg Er sogleich vom Wagen, denn es war eine Kampfregel, daß nur Gegner mit gleichen Voraussetzungen miteinander kämpfen durften. Da Dantavakra allein und nur mit einer Keule bewaffnet war, stellte Sich Śrī Kṛṣṇa auf ihn ein, indem Er Sich ebenfalls nur mit einer Keule versah. Als Kṛṣṇa Dantavakra so entgegentrat, wurde dieser in seinem kühnen Lauf aufgehalten wie die großen, wilden Wogen des Ozeans am Gestade gebrochen werden. Dantavakra, der König von Karūṣa, packte daraufhin seine Keule fester und rief Kṛṣṇa zu: »Es ist mir eine große Freude und ein wahres Glück, daß wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Mein lieber Kṛṣṇa, Du bist trotz allem mein leiblicher Vetter, und deshalb sollte ich dich nicht einfach töten, doch unglücklicherweise hast Du einen großen Fehler begangen, als Du meinen Freund Śālva mordetest. Überdies gibst Du dich nicht damit zufrieden, meinen Freund getötet zu haben, sondern willst, wie ich ganz genau weiß, auch mich umbringen. Deiner Absicht wegen muß ich Dich töten, indem ich Dich jetzt mit meiner Keule in Stücke schlage. Obwohl Du mein Verwandter bist, bist Du ein Narr. Du bist unser ärgster Feind, deshalb bleibt mir nichts anderes übrig, als Dich jetzt zu töten, wie jemand, der ein Geschwür am Körper entfernt. Ich bin meinen Freunden immer sehr zu Dank verpflichtet, und so fühle ich mich tief in der Schuld meines lieben Freundes Śālva. Diese Schuld kann ich nur mit Deinem Tod begleichen.« So wie ein Elefantenwärter versucht, den Elefanten mit Stabhieben zu bändigen, versuchte Dantavakra, Kṛṣṇa durch heftige Worte einzuschüchtern. Nachdem er seine Schmähungen ausgesprochen hatte, schlug er Kṛṣṇa mit der Keule auf den Kopf und brüllte wie ein Löwe. Obgleich Kṛṣṇa sehr hart von Dantavakras Keule getroffen wurde, wich Er keinen Fingerbreit, noch spürte Er irgendeinen Schmerz. Statt dessen schwang Er geschickt Seine Keule Kaumodakī und führte einen wuchtigen Schlag gegen Dantavakras Brust, der dem Dämon das Herz zertrümmerte. Dantavakra spie Blut, sein Haar wirbelte durcheinander, und alle Viere von sich streckend stürzte er zu Boden. Nach wenigen Minuten war alles, was von Dantavakra blieb, ein entseelter Körper. Nach Dantavakras Tod kam, genau wie bei Śiśupālas Tod, vor den Augen aller ein kleines leuchtendes spirituelles Teilchen aus dem Körper des Dämons hervor und ging auf wundervolle Weise in Śrī Kṛṣṇas Körper ein. Dantavakra hatte einen Bruder mit Namen Vidūratha, der vor Schmerz außer sich war, als er von Dantavakras Tod erfuhr. Aus Kummer und Wut ging Vidūrathas Atem schwer, und um dem Tod seines Bruders zu rächen, erschien auch er vor Śrī Kṛṣṇa, und zwar mit Schwert und Schild. Er wollte Kṛṣṇa auf der Stelle ums Leben bringen. Als der Herr erkannte, daß Vidūratha nach einer Gelegenheit trachtete, Ihn mit dem Schwert zu erschlagen, machte Er Gebrauch von Seinem Sudarśana-cakra, der so scharf wie eine Rasierklinge ist, und trennte Vidūratha damit unverzüglich den Kopf samt Helm und Ohrringen vom Rumpf. Nachdem Kṛṣṇa so Śālva und sein wundersames Flugzeug vernichtet und danach Dantavakra und Vidūratha getötet hatte, kehrte Er schließlich in Seine Stadt Dvārakā zurück. Es wäre niemandem außer Kṛṣṇa möglich gewesen, diese großen Helden zu töten, und daher begannen alle Halbgötter des Himmels und die Menschen auf der Erde Seinen Ruhm zu preisen. Große Weise und Asketen, die Bewohner der Siddha- und Gandharva-Planeten, die Vidyādhara, die Vāsuki und die Mahānāga, die schönen Engel, die Bewohner des Pitṛloka, die Vakṣas, die Kinnaras und die Cāraṇas, sie alle überschütteten den Herrn mit Blumen und besangen voll Jubel Seinen Sieg. Die Einwohner von Dvārakā schmückten die ganze Stadt sehr festlich und veranstalteten eine große Feier. Als Kṛṣṇa dann durch die Stadt zog, folgten Ihm alle Angehörigen der Vṛṣṇi-Dynastie und die Helden der Yadu-Dynastie voller Ehrfurcht. Dies sind einige der transzendentalen Spiele Śrī Kṛṣṇas, des Meisters aller mystischen Kräfte und des Herrn aller kosmischen Manifestationen. Manchmal denken die Verblendeten in ihrer Tierhaftigkeit, daß Kṛṣṇa besiegt werden könne; doch in Wirklichkeit ist Er der Höchste Persönliche Gott, und niemand kann Ihn besiegen. Er ist der einzige Gott, und alle anderen sind die Ihm untergebenen Ausführenden Seiner Befehle. Eines Tages vernahm Balarāma, daß sich die beiden feindlichen Parteien der Kuru-Dynastie auf einen Kampf vorbereiteten; eine Seite wurde von Duryodhana geführt und die andere von den Pāṇḍavas. Er war nicht sehr angetan von dem Gedanken, daß Er nur Vermittler sein könne, der versuchte, den Kampf zu verhindern. Da Er es als unerträglich empfand, nicht aktiv für eine der beiden Seiten Partei ergreifen zu können, verließ Er Dvārakā mit der Begründung, eine heilige Pilgerstätte besuchen zu wollen. Als erstes reiste Er nach der Pilgerstätte, die als Prabhāsakṣetra bekannt ist. Dort nahm Er ein Bad, stellte die ansässigen brāhmaṇas zufrieden und brachte den Halbgöttern, den pitās, den großen Weisen und den Einheimischen gemäß der vedischen Rituale verschiedene Opfergaben dar. Das ist die vedische Art, heilige Orte zu besuchen. Anschließend beschloß Er, in Begleitung einiger ehrwürdiger brāhmaṇas, heilige Orte am Ufer des Flusses Sarasvatī aufzusuchen; nach und nach besuchte Er Orte wie Pṛthūdaka, Bindusara, Tritakūpa, Sudarśanatīrtha, Viśālatīrtha, Brahmatīrtha, Cakratīrtha und außerdem alle heiligen Stätten der nach Osten strömenden Sarasvatī. Danach besuchte Er die bedeutendsten heiligen Orte an den Ufern der Yamunā und des Ganges. So gelangte Er schließlich an den heiligen Ort, der als Naimiṣāraṇya bekannt ist. Der heilige Ort Naimiṣāraṇya, den es noch heute in Indien gibt, war in alten Zeiten ein Versammlungsort für große Weise und Heilige, die ein spirituelles Leben führen und Selbstverwirklichung erlangen wollten. Als Balarāma dort hinkam, führte soeben eine große Versammlung von Transzendentalisten ein umfangreiches Opfer durch. Solche Treffen waren gewöhnlich für Tausende von Jahren vorgesehen. Bei Balarāmas Ankunft erhoben sich sogleich die großen Weisen, Asketen, brāhmaṇas und Gelehrten von ihren Sitzen und hießen Ihn voller Ehrerbietung und Achtung willkommen. Einige brachten Balarāma ihre respektvollen Ehrerbietungen dar, während die älteren Weisen und brāhmaṇas Ihn segneten, indem sie aufstanden. Nach dieser Begrüßung wurde Balarāma ein würdiger Sitz geboten, worauf Ihm jeder der Anwesenden seine Verehrung bezeigte. Alle Weisen in der Versammlung waren aufgestanden, als sie Balarāma sahen, denn sie wußten, daß Er der Höchste Persönliche Gott ist. Bildung oder Gelehrsamkeit bedeutet, den Höchsten Persönlichen Gott zu verstehen. Obgleich Balarāma als kṣatriya auf der Erde erschienen war, standen daher die brāhmaṇas und Weisen auf, denn sie wußten, wer Balarāma war. Leider mußte Balarāma, nachdem Er verehrt und zu Seinem Sitz geleitet worden war, sehen, daß Romaharṣaṇa, der Schüler Vyāsadevas [* Vyāsadeva – die literarische Inkarnation Gottes *], immer noch auf dem Vyāsāsana [** Vyāsāsana – erhöhter Sitz, auf dem der geistige Meister, der Vertreter Vyāsadevas, sitzt**] saß. Weder war er von seinem Sitz aufgestanden, noch hatte er Śrī Balarāma Achtung erwiesen. Weil er auf dem Vyāsāsana saß, hielt er sich, töricht wie er war, für bedeutender als der Herr, und deshalb stieg er nicht von seinem Sitz und verneigte sich auch nicht. Balarāma dachte sodann an Romaharṣaṇas Abstammung: Er kam aus einer sūta-Familie, d. h. aus einer Mischehe zwischen einer brāhmaṇa-Frau und einem kṣatriya-Mann, weshalb Romaharṣaṇa, auch wenn er Balarāma nur als kṣatriya ansah, schon allein aus diesem Grund nicht auf einem höheren Sitz hätte sitzen bleiben dürfen. Balarāma sagte Sich, daß Romaharṣaṇa wegen seiner Herkunft den höheren Sitz nicht hätte annehmen dürfen, da viele gelehrte brāhmaṇas und Weise zugegen waren. Er bemerkte nicht nur, daß Romaharṣaṇa nicht von seinem hohen Sitz stieg, sondern auch, daß er nicht einmal aufstand und Ihm Achtung erwies, als Er in der Versammlung erschien. Balarāma gefiel Romaharṣaṇas Dreistigkeit nicht, und Er wurde sehr ärgerlich auf ihn. Wer auf dem Vyāsāsana sitzt, braucht im allgemeinen nicht aufzustehen, um einen Neuankömmling zu empfangen; doch in diesem Fall war der Sachverhalt ein anderer, denn Śrī Balarāma ist kein gewöhnlicher Mensch. Romaharṣaṇa hätte daher, obwohl er von allen brāhmaṇas dazu gewählt worden war, auf dem Vyāsāsana zu sitzen, dem Beispiel der anderen großen Weisen und brāhmaṇas folgen und bedenken sollen, daß Balarāma der Höchste Persönliche Gott ist. Ihm gebührt immer Achtung, selbst dann, wenn sie einem gewöhnlichen Menschen gegenüber nicht nötig ist. Kṛṣṇa und Balarāma waren vor allem erschienen, um die religiösen Prinzipien wieder einzuführen. Wie in der Bhagavad-gītā erklärt wird, ist es das höchste religiöse Prinzip, sich dem Höchsten Persönlichen Gott hinzugeben. Und auch das Śrīmad-Bhāgavatam bestätigt, daß es die höchste Vollkommenheit der Religiosität ist, im hingebungsvollen Dienst für den Herrn tätig zu sein. Als Balarāma sah, daß Romaharṣaṇa, obwohl er alle Veden studiert hatte, dieses höchste Prinzip der Religiosität nicht verstanden hatte, konnte Er dessen Stellung nicht dulden. Romaharṣaṇa Sūta hatte die Möglichkeit bekommen, ein vollkommener brāhmaṇa zu werden, doch durch sein falsches Verhalten gegenüber dem Höchsten Persönlichen Gott wurde seine niedrige Herkunft sofort wieder bedeutungsvoll. Romaharṣaṇa Sūta war zwar die Stellung eines brāhmaṇa verliehen worden, doch stammte er nicht aus einer brāhmaṇa-Familie, sondern aus einer pratiloma-Familie. Nach den Veden gibt es zweierlei Familien aus Mischehen; sie werden als anuloma und pratiloma bezeichnet. Wenn sich ein Mann mit einer Frau aus einer niedrigeren Kaste verbindet, wird ihr Nachwuchs als anuloma bezeichnet; geht er eine Verbindung mit einer Frau von höherer Herkunft ein, nennt man den Nachwuchs pratiloma. Romaharṣaṇa Sūta gehörte, da sein Vater ein kṣatriya und seine Mutter eine brāhmaṇa war, zur pratiloma-Gruppe. Und weil Romaharṣaṇas transzendentale Verwirklichung nicht vollkommen war, erinnerte Sich Balarāma sogleich an dessen pratiloma-Herkunft. Das Prinzip ist, daß jedem Menschen die Möglichkeit gegeben werden kann, ein brāhmaṇa zu werden, daß aber, wenn er sich aus Mangel an tatsächlicher Verwirklichung in seiner Stellung als brāhmaṇa unangemessen verhält, seine formelle Erhebung zur brahmanischen Stufe keine Gültigkeit hat. Als Balarāma nun sah, daß es Romaharṣaṇa Sūta an wirklicher Erkenntnis fehlte, beschloß Er, ihn für seinen Hochmut zu strafen. Deshalb sagte Er: »Dieser Mann verdient die Todesstrafe, denn er war, obgleich er die gute Eigenschaft aufweist, ein Schüler Vyāsadevas zu sein, und obwohl er unter der Weisung dieser hohen Persönlichkeit alle vedischen Schriften studierte, nicht demütig vor dem Höchsten Persönlichen Gott.« Wie in der Bhagavad-gītā erklärt wird, muß jemand, der ein wirklicher brāhmaṇa und großer Gelehrter ist, zugleich auch sehr höflich sein. Romaharṣaṇa Sūta jedoch war, obwohl er als hochgelehrt galt und die Möglichkeit bekommen hatte, ein brāhmaṇa zu werden, nicht höflich gewesen, was uns zeigt, daß jemand, der auf materielle Errungenschaften stolz ist, unmöglich das freundliche Wesen eines brāhmaṇa annehmen kann. Die Gelehrsamkeit eines solchen Menschen gleicht einem kostbaren Juwel auf dem Kopf einer Schlange. Trotz des kostbaren Juwels bleibt die Schlange eine Schlange und ist als solche ebenso gefährlich wie ein gewöhnliches Exemplar dieser Gattung. Wenn jemand nicht bescheiden und demütig wird, sind all seine Studien der Veden und Purāṇas und sein umfangreiches Wissen aus den śāstras nur ein äußeres Gewand, gleich dem Kostüm eines Schauspielers auf der Bühne. Śrī Balarāma sprach deshalb Seine Überlegungen aus: »Ich bin erschienen, um die Falschen zu bestrafen, die in ihrem Innern unrein sind, sich aber nach außen hin sehr gelehrt und religiös geben. Es ist nur recht und billig, wenn ich solche Menschen töte, um sie an weiterem sündigen Tun zu hindern.« Śrī Balarāma hatte es zwar vermieden, in der Schlacht von Kurukṣetra mitzukämpfen, aber dennoch blieb es aufgrund Seiner besonderen Stellung Seine vornehmste Pflicht, die religiösen Prinzipien wieder herzustellen. Aus diesen Überlegungen heraus tötete Er Romaharṣaṇa Sūta, indem Er ihm mit einem kuśa-Halm, einem ganz gewöhnlichen Grashalm, einen Schlag versetzte. Man mag nun fragen, wie es Balarāma möglich sein konnte, Romaharṣaṇa nur durch einen Schlag mit einem kuśa-Halm zu töten. Die Antwort gibt das Śrīmad-Bhāgavatam, indem es das Wort prabhu (Meister) gebraucht. Die Stellung des Höchsten Herrn ist stets transzendental, und weil Er allmächtig ist, kann Er nach Belieben handeln, ohne Sich an materielle Gesetze und Pflichten halten zu müssen. So war es Ihm auch möglich, Romaharṣaṇa mit einem kuśa-Grashalm zu töten. Romaharṣaṇas plötzlicher Tod bestürzte alle Anwesenden natürlich sehr, und es erhob sich Geschrei und Wehklagen. Obwohl die brāhmaṇas und Weisen wußten, daß Balarāma der Höchste Persönliche Gott ist, zögerten sie nicht, gegen die Tat des Herrn zu protestieren, und in aller Demut gaben sie folgendes zu bedenken: »Lieber Herr, wir sind der Ansicht, daß Deine Tat nicht in Übereinstimmung mit den religiösen Prinzipien steht. Lieber Śrī Yadunandana, bitte laß Dir sagen, daß wir brāhmaṇas Romaharṣaṇa für die Dauer der großen Opferung die hohe Stellung überantworteten. Er kam durch unsere Wahl auf den Vyāsāsana, und wenn man auf dem Vyāsāsana sitzt, ist es unangemessen aufzustehen, um jemanden zu begrüßen. Außerdem gewährten wir Romarharṣaṇa Sūta ein unbeeinträchtigtes langes Leben. Daher kommt die Tat, die Deine Herrlichkeit beging, ohne von diesen Dingen zu wissen, in unseren Augen dem Totschlag eines brāhmaṇa gleich. Lieber Herr, Befreier aller gefallenen Seelen, wir wissen natürlich, daß Du alle vedischen Prinzipien kennst. Du bist der Herr aller mystischen Kräfte, und deshalb haben die vedischen Anweisungen im allgemeinen keine Gültigkeit für Dich. Dennoch bitten wir Dich, den anderen Lebewesen Deine grundlose Gnade zu erweisen und gütigerweise den Tod Romaharṣaṇa Sūtas wiedergutzumachen. Wir können Dir nicht vorschreiben, was Du tun sollst, um seinen Tod zu sühnen. Wir bitten Dich nur, eine beliebige Buße auf Dich zu nehmen, so daß andere Deinem Beispiel folgen. Was immer nämlich ein großer Mann tut, dem folgt der gewöhnliche Mensch.« Der Herr erwiderte: »Ja, Ich muß meine Handlung sühnen, die für Mich zwar gut und richtig gewesen ist, die für andere jedoch ein großes Vergehen bedeuten würde. Ich betrachte es deshalb als Meine Pflicht, Mir eine geeignete Buße aufzuerlegen, wie sie von den Schriften vorgeschrieben wird. Zugleich bin ich bereit, Romaharṣaṇa Sūta wieder zum Leben zu erwecken, und ihm eine lange Lebensdauer, ausreichend Kraft und die ganze Macht seiner Sinne zu verleihen. Nicht nur das, wenn ihr wollt, werde Ich ihm bereitwillig auch alles andere geben, worum ihr Mich bittet. Es wird Mir eine Freude sein, ihm all diese Segnungen zu erteilen, nur um eure Wünsche zu erfüllen.« Diese Worte Balarāmas bestätigen eindeutig, daß der Höchste Persönliche Gott völlige Freiheit hat, ganz nach Belieben zu handeln. Man könnte denken, es sei nicht richtig gewesen, daß Er Romarharṣaṇa Sūta tötete, doch Er war auch imstande, die Tat augenblicklich in solcher Weise wiedergutzumachen, daß alle ihren Vorteil daraus zogen. Man sollte daher nicht versuchen, die Handlungen des Höchsten Persönlichen Gottes nachzuahmen, sondern einfach den Anweisungen des Höchsten Herrn folgen. Die großen Weisen, die in Naimiṣaraṇya zugegen waren, erkannten, daß der Herr imstande war, Seine Tat, die sie für unrichtig hielten, zum Vorteil aller wiedergutzumachen. Weil sie jedoch Balarāma von Seiner Mission, Romaharṣaṇa Sūta zu töten, nicht abbringen wollten, beteten sie alle zu Ihm: »Lieber Herr, daß Du Romaharṣaṇa Sūta mit Deiner kuśa-Waffe tötetest, ist eine außerordentliche Tat, die belassen sein mag, wie sie geschehen ist. Weil es Dein Wunsch war, ihn zu töten, braucht er nicht wieder zum Leben erweckt zu werden. Gleichzeitig aber denke auch bitte daran, daß wir Weisen und brāhmaṇas ihm ein langes Leben versprachen; eine solche Segnung sollte nicht einfach aufgehoben werden.« Somit widersprachen sich die Bitten der gelehrten brāhmaṇas, denn einerseits wollten sie ihre Segnung, daß Romaharṣaṇa Sūta bis zum Ende der großen Opferzeremonie leben würde, nicht unerfüllt sehen, andererseits aber wollten sie auch nicht, daß Balarāma seinen Tod rückgängig machte. Der Höchste Persönliche Gott löste das Problem in einer Weise, wie sie Seiner erhabenen Stellung entsprach; Er sagte: »Da der Sohn vom Körper des Vaters erzeugt wird, ist der Sohn nach den Lehren der Veden der Vertreter des Vaters. Deshalb sage Ich, daß Ugraśravā Sūta, der Sohn Romaharṣaṇa Sūtas, die Stellung seines Vaters einnehmen und die Gespräche über die Purāṇas weiterführen soll. Und weil ihr Romaharṣaṇa ein langes Leben wünschtet, soll diese Segnung auf den Sohn übertragen werden. Ugraśravā wird mit allem gesegnet, was ihr seinem Vater verspracht – ein langes sorgenfreies Leben in einem guten und gesunden Körper, und die volle Kraft seiner Sinne.« Dann ersuchte Balarāma die Weisen und brāhmaṇas, Ihn, abgesehen von der Segnung, die Er Ugraśravā erteilte, um eine weitere Gunst zu bitten, die Er ihnen sofort erfüllen wollte. Der Herr gab somit das Beispiel, wie sich ein gewöhnlicher kṣatriya in einer solchen Lage zu verhalten hat, und sagte den Weisen, daß Er nicht wisse, auf welche Weise Er den Tod Romaharṣaṇas sühnen könne, und daß Er aber dankbar auf Sich nehmen würde, was immer sie Ihm vorschlügen. Die brāhmaṇas erkannten die Absicht des Herrn und rieten Ihm, Seine Tat in einer Weise zu sühnen, daß es ihnen allen zugute kommen würde. Sie sagten: »O lieber Herr. Es gibt einen Dämon mit Namen Balvala; er ist der Sohn Ilvalas und sehr mächtig. Alle vierzehn Tage, an den Vollmond- und Neumondtagen, sucht er diese heilige Opferstätte heim und stört uns bei der Ausführung unserer Opferpflichten. O Nachkomme der Familie Daśārhas, wir alle bitten Dich, diesen Dämon zu vernichten. Wenn Du Ihn in Deiner Güte tötest, so ist dies eine angemessene Buße uns gegenüber. Der Dämon kommt von Zeit zu Zeit hierher und bespritzt uns mit großen Mengen unreiner und widerlicher Substanzen wie Eiter, Blut, Kot, Urin und Wein; er besudelt diesen heiligen Ort, indem er uns mit solchem Unrat überschüttet. Wenn Du Balvala getötet hast, magst Du Deine Reise zu den heiligen Pilgerorten für zwölf Monate fortsetzen. Auf diese Weise wirst Du von allen Verunreinigungen befreit werden. Das ist unsere Anweisung. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 77. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Dantavakra, Vidūratha und Romaharṣaṇa werden getötet«. 78. KAPITEL Balvalas Befreiung und Śrī Balarāmas Reise zu den heiligen Orten Balarāma bereitete Sich auf die Begegnung mit dem Dämon Balvala vor. Als die Zeit nahte, zu welcher der Dämon gewöhnlich den heiligen Ort überfiel, setzte ein gewaltiger Hagelsturm ein; der ganze Himmel wurde von Staub verhüllt, und ein widerlicher Gestank erfüllte die Luft. Kurz darauf überschüttete der Dämon Balvala die Opferstätte mit Strömen von Kot, Urin und anderen unreinen Substanzen. Nach diesem Ansturm erschien er dann selbst mit einem großen Dreizack in der Hand. Er war ein Riese von Gestalt, und sein Körper glich einem gewaltigen Kohlenberg. Sein Haar, sein Bart und Schnauzbart waren rötlich wie Kupfer, und durch den großen Vollbart und Schnauzbart sah sein Rachen sehr bedrohlich und wild aus. Sowie Śrī Balarāma den Dämon erblickte, schickte Er Sich zum Angriff an. Zuvor überlegte Er kurz, wie Er den großen Dämon in Grund und Boden schlagen könne und rief Seinen Pflug und Seine Keule herbei, die sofort vor Ihm erschienen. Der Dämon Balvala flog in der Luft, doch Balarāma zog Ihn bei der ersten Gelegenheit mit Seinem Pflug zu Sich herunter und zerschmetterte ihm zornig mit der Keule den Schädel. Durch diesen Schlag brach die Stirn des Dämons auseinander; ein Blutschwall schoß hervor, und er begann laut zu schreien. So wurde der Dämon, der ein solcher Störenfried für die frommen brāhmaṇas gewesen war, zu Boden geschmettert. Er glich dabei einem großen Berg mit einer roten Oxyd-Spitze, der von einem Blitz getroffen zusammenstürzt. Die Bewohner Naimiṣāraṇyas, die gelehrten Weisen und brāhmaṇas, waren höchst erfreut, als sie dies sahen, und brachten Balarāma ihre verehrenden Gebete dar. Sie segneten den Herrn von ganzem Herzen und waren sich darin einig, daß alles, was Balarāma beginne, niemals mißlingen könne. Anschließend badeten die Weisen Balarāma in einer Badezeremonie, so wie die Halbgötter Indra baden, wenn er einen Sieg über die Dämonen errungen hat. Die brāhmaṇas und Weisen verehrten den Herrn, indem sie Ihm erlesene neue Gewänder, Geschmeide und die Lotosblumengirlande des Sieges überreichten, die den Inbegriff aller Schönheit darstellt und niemals verwelken kann, da sie ewig ist. Nach diesem Abenteuer reiste Balarāma mit Erlaubnis der brāhmaṇas von Naimiṣāraṇya weiter und pilgerte in Begleitung einiger anderer brāhmaṇas zum Fluß Kauṣikī. Nachdem Er an diesem heiligen Ort gebadet hatte, begab Er Sich zum Fluß Sarayū und besuchte dessen Quelle. Von dort reiste Er am Ufer des Flusses Sarayū weiter und erreichte bald Prayāga, wo der Ganges, die Yamunā, und die Sarasvatī zusammenfließen. Auch hier nahm Er Sein vorgeschriebenes Bad, verehrte die Tempel Gottes und brachte, wie es in den vedischen Schriften empfohlen wird, den Vorfahren und Weisen Opfergaben dar. Danach kam Er zum āśrama des Weisen Pulaha und fuhr von dort nach Gaṇḍakī am Fluß Gomatī. Anschließend nahm Er ein Bad im Fluß Vipāśā und begab Sich dann zum Śoṇa-Fluß, der noch heute einer der größten Flüsse in der Provinz Behar ist. Auch dort nahm Er ein Bad und vollzog vedische Rituale. Als Er Seine Reise weiter fortsetzte, kam Er auch zu der Pilgerstätte Gayā, an der ein berühmter Viṣṇu-Tempel steht. Dem Rat Seines Vaters Vasudeva folgend, brachte Er in diesem Tempel den Vorfahren Opfergaben dar. Von hier zog Er in das Mündungsgebiet des Ganges, wo der heilige Fluß sich mit dem Golf von Bengalen vermischt. Dieses heilige Gebiet wird Gaṅgāsāgara genannt, und noch heute findet dort alljährlich am Ende des Monats Januar eine große Versammlung von Heiligen und Frommen statt, ebenso wie auch in Prayāga jedes Jahr ein Treffen von Heiligen stattfindet, das Magh-Mela-Messe genannt wird. Nachdem Balarāma Sein Bad und die rituellen Zeremonien im Gaṅgāsāgara beendet hatte, pilgerte Er zu dem Berg, der als Mahendra Parvata bekannt ist. Dort traf Er Paruśurāma, eine Inkarnation Kṛṣṇas, und brachte Ihm Seine respektvollen Ehrerbietungen dar, indem Er Sich vor Ihm verneigte. Sodann wandte Er Sich allmählich Südindien zu und besuchte den Godāvarī-Fluß. Nachdem Er in der Godāvarī ein Bad genommen und die erforderlichen Rituale ausgeführt hatte, bereiste Er nach und nach die Flüsse Veṇā, Pampā und Bhīmarathī. Am Ufer der Bhīmarathī steht eine Bildgestalt, die den Namen Svāmī Kārttikeya trägt. Nachdem Balarāma Kārttikeya besichtigt hatte, setzte Er Seine Reise fort und erreichte nach einiger Zeit Śailapura, einen Wallfahrtsort in der Provinz Mahārāṣṭra. Śailapura ist eines der größten Gebiete in Mahārāṣtra. Von dort pilgerte Er in Richtung Draviḍadeśa weiter. Das südliche Indien ist in fünf Teile gegliedert, die man als Pañcadraviḍa bezeichnet. Nordindien ist ebenfalls in fünf Teile gegliedert, die das Pañcagaura bilden. Alle bedeutenden ācāryas der neueren Zeit, nämlich Śaṅkarācārya, Rāmānujācārya, Madhvācārya, Viṣṇusvāmī und Nimbārka, erschienen in den Draviḍa-Ländern. Śrī Caitanya dagegen erschien in Bengalen, das zu den fünf Gauradeśas gehört. Die wichtigste Pilgerstätte in Südindien oder Draviḍa ist Veṅkaṭācala, auch als Bālajī bekannt. Nach einem Besuch in Veṅkaṭācala reiste Balarāma nach Viṣṇukāñcī und besuchte auf dem Weg dorthin auch Śivakāñcī. Von Viṣṇukāñcī aus begab Er Sich zum Fluß Kāverī, in dem Er ebenfalls badete. Dann kam Er nach Raṅgakṣetra. In Raṅgakṣetra steht der größte Tempel der Welt, und dort wird die transzendentale Bildgestalt Śrī Viṣṇus als Raṅganātha verehrt. In Vṛndāvana befindet sich ein ähnlicher Tempel Raṅganāthas, doch ist er nicht so groß wie der in Raṅgakṣetra. Nachdem Balarāma in Raṅgakṣetra gewesen war, zog Er langsam nach Mathurā, das allgemein als das Mathurā Südindiens bekannt ist. Nach dem Besuch dieses Ortes reiste Er nach Setubandha. Setubandha ist der Ort, von dem aus Rāmacandra die Steinbrücke von Indien nach Laṅkā (Ceylon) baute. An diesem besonders heiligen Ort schenkte Śrī Balarāma den ansässigen brāhmaṇa-Priestern zehntausend Kühe. Es ist vedischer Brauch, daß ein reicher Mann, wenn er einen Pilgerort besucht, den Priestern des Ortes Geschenke, wie Pferde, Kühe, Schmuck und Gewänder, überreicht. Der Vorgang, Pilgerorte zu besuchen und die brāhmaṇa-Priester dort mit allen Lebensnotwendigkeiten zu versehen, hat im gegenwärtigen Kali-Zeitalter sehr an Wertschätzung verloren. Der reichere Teil der Bevölkerung fühlt sich, weil er die Prinzipien der vedischen Kultur mißachtet, nicht mehr zu Pilgerorten hingezogen, und auch die brāhmaṇa-Priester, die von solchen Besuchern abhängig sind, vernachlässigen immer mehr die Pflicht ihres Standes, den Besuchern behilflich zu sein. Die brāhmaṇa-Priester an den Pilgerorten werden paṇḍa oder paṇḍita genannt, was darauf hindeutet, daß dort früher sehr gelehrte brāhmaṇas lebten, die die Gäste in allen Einzelheiten, dem wirklichen Sinn ihres Besuches entsprechend, anleiteten; in dieser Weise erhielten sowohl die Besucher als auch die Priester einen Nutzen, da sie sich gegenseitig halfen. Aus dem, was das Śrīmad-Bhāgavatam berichtet, geht deutlich hervor, daß Balarāma, als Er die vielen Pilgerstätten besuchte, streng dem vedischen System folgte. Nachdem der Herr in Setubandha Kühe verschenkt hatte, pilgerte Er weiter, und zwar zu den Flüssen Kṛtamālā und Tāmraparṇī. Diese beiden Flüsse werden als heilig verehrt, und deshalb badete Balarāma in ihnen. Alsdann begab Er Sich zum Malayaberg, der sehr hoch ist, und von dem es heißt, daß er einer von sieben Bergkegeln ist, die das Malayagebirge bilden. Dort lebte der große Weise Agastya, den Balarāma besuchte und dem Er Seine Achtung erwies, indem Er Sich vor ihm verneigte. Nachdem Śrī Balarāma den Segen des Weisen empfangen hatte, reiste Er mit dessen Erlaubnis weiter, dem Indischen Ozean entgegen. An der Spitze des Südkaps der indischen Halbinsel steht ein großer Tempel der Göttin Durgā, die dort als Kanyākumārī bekannt ist. Der Tempel Kanyākumārīs war einst auch von Rāmacandra besucht worden, woraus zu schließen ist, daß er schon seit Millionen Jahren besteht. Von dort fuhr Balarāma zu der Pilgerstadt Phālgunatīrtha, die an der Küste des Indischen oder Südlichen Ozeans liegt. Phālgunatīrtha ist berühmt, weil Śrī Viṣṇu dort in Seiner Inkarnation als Ananta ruht. Von Phālgunatīrtha aus zog Balarāma weiter, um die als Paṅcāpsarasa bekannte Pilgerstätte aufzusuchen. Dort nahm Er gemäß den vorgeschriebenen Prinzipien ein Bad und vollzog die rituellen Zeremonien. Auch dieser Ort ist als ein Heiligtum Viṣṇus berühmt, weshalb Śrī Balarāma auch den brāhmaṇa-Priestern dieses Ortes zehntausend Kühe als Spende gab. Vom Kap Komorin wandte Sich Balarāma schließlich Kerala zu. Das Land Kerala gibt es noch immer in Südindien unter dem Namen Südkerala. Nach Seinem Besuch in Kerala kam Balarāma nach Gokarṇatīrtha, wo Śiva unablässig verehrt wird. Dann besuchte Balarāma den Tempel Āryādevīs, der ringsum von Wasser umgeben ist. Von dieser Insel begab Er Sich zu einem Ort, der als Śūrpāraka bekannt ist. Anschließend badete Er in den Flüssen Tāpī, Payoṣṇī und Nirvindhiyā und kam dann in den berühmten Wald Daṇḍakāraṇya, in dem Śrī Rāmacandra während Seiner Verbannung lebte. Schließlich gelangte Balarāma zur Narmadā, dem größten Strom Zentralindiens. Am Ufer der heiligen Narmadā liegt ein Pilgerort, der als Māhiṣmati bekannt ist. Nachdem Er dort gemäß den vorgeschriebenen Prinzipien ein Bad genommen hatte, kehrte Er nach Prabhāsatīrtha, dem Ausgangspunkt Seiner Reise, zurück. Als Śrī Balarāma nach Prabhāsatīrtha zurückkehrte, erfuhr Er von den ansässigen brāhmaṇas, daß inzwischen die meisten kṣatriyas der Welt in der Schlacht von Kurukṣetra umgekommen seien. Balarāma war erleichtert, als Er hörte, daß die Last der Welt verringert worden sei, denn Śrī Kṛṣṇa und Er Selbst waren auf der Erde erschienen, um die Last der Streitmächte zu vermindern, die von den machtgierigen kṣatriya-Königen aufgestellt worden waren. Diese Könige sind ein Beispiel materialistischer Lebensweise: Weil sich die Menschen nicht mit den baren Lebensnotwendigkeiten zufriedengeben, entwickeln sie in ihrer Gier unnötige Wünsche, und ihren widerrechtlichen Begierden wird durch die Naturgesetze, d. h. durch die Gesetze Gottes, Einhalt geboten, die in Form von Hungersnöten, Krieg, Seuchen und ähnlichen Katastrophen sichtbar werden. Śrī Balarāma erfuhr auch, daß die Kurus immer noch kämpften, obwohl bereits fast alle kṣatriyas getötet worden waren. Deshalb begab Er sich zum Schlachtfeld, und zwar gerade an dem Tag, an dem sich Bhīmasena und Dhuryodhana in einem Zweikampf die Stirn boten. Als wohlmeinender Freund beider wollte Balarāma den Streit schlichten, doch ließen sie nicht voneinander ab. Als Śrī Balarāma auf dem Schauplatz erschien, brachten Ihm König Yudhiṣṭhira und seine jüngeren Brüder Nakula, Sahadeva und Arjuna, wie auch Śrī Kṛṣṇa, sogleich ihre achtungsvollen Ehrerbietungen dar, doch sprachen sie kein Wort. Der Grund für ihr Schweigen war, daß Balarāmajī eine Art Zuneigung für Duryodhana empfand, und daß Duryodhana von Ihm die Kunst des Kampfes mit der Keule gelernt hatte. Als sich Duryodhana und Bhīmasena nun miteinander schlugen, befürchteten König Yudhiṣthira und die anderen, Balarāma sei vielleicht gekommen, um zugunsten Duryodhanas zu sprechen, und so schwiegen sie. Sowohl Duryodhana als auch Bhīmasena kämpften leidenschaftlich mit ihren Keulen, und umgeben von zahlreichen Zuschauern versuchte jeder von beiden mit viel Geschick, den anderen zu treffen, wobei es aussah, als tanzten sie. Doch obwohl es so schien, als tanzten sie, war es doch offensichtlich, das sie aufs äußerste ergrimmt waren. Śrī Balarāma wollte den Kampf beenden und sagte: »Mein lieber König Duryodhana und lieber Bhīmasena. Ich weiß, daß ihr beide hervorragende Kämpfer und auf der ganzen Welt als große Helden wohlbekannt seid. Trotzdem glaube Ich, daß Bhīmasena Duryodhana an Körperkraft überlegen ist, wohingegen Duryodhana Bhīmasena in der Kunst, mit der Keule zu kämpfen, übertrifft. Angesichts dieser Tatsache glaube ich, daß keiner von euch den anderen besiegen wird. Ich bitte euch daher, nicht eure Zeit zu verschwenden. Ich möchte, daß ihr diesen unnötigen Kampf einstellt.« Śrī Balarāmas guter Rat an Bhīmasena und Duryodhana war beiden gleichermaßen zum Besten bestimmt, doch diese waren so erbittert, daß sie nur an ihre langgehegte Feindschaft denken konnten. Jeder von beiden dachte nur daran, seinen Feind zu töten, und schenkte Balarāmas Rat kein Gehör. Sie waren beide wie von Sinnen, weil sie sich an die schweren Schmähungen und die üblen Dinge, die sie einander zugefügt hatten, erinnerten. Da Balarāma das Schicksal kannte, das sie erwartete, war Ihm nicht sonderlich daran gelegen, Sich noch weiter mit ihnen zu befassen. Statt also noch länger zu verweilen, beschloß Er, nach Dvārakā zurückzukehren. Bei Seiner Rückkehr nach Dvārakā wurde Er von Seinen Freunden und Verwandten, allen voran König Ugrasena, und anderen älteren Persönlichkeiten mit großem Jubel empfangen; sie alle kamen Balarāma entgegen, um Ihn willkommenzuheißen. Danach begab Sich Balarāma wieder zurück zu dem heiligen Pilgerort Naimiṣāraṇaya, wo Ihn alle Weisen, Heiligen und brāhmaṇas ehrerbietig in stehender Haltung empfingen. Sie begriffen, daß Balarāma, obwohl Er ein kṣatriya war, des Kriegerhandwerks entsagt hatte. Die brāhmaṇas und Weisen, die immer für Frieden und Ruhe waren, freuten sich darüber sehr. Sie umarmten Balarāma alle voller Zuneigung und bewegten Ihn dazu, an dem heiligen Ort von Naimiṣāraṇaya einige Opferungen durchzuführen. Im Grunde brauchte Balarāma natürlich keine Opfer durchzuführen, wie es für gewöhnliche Menschen empfohlen wird; Er ist der Höchste Persönliche Gott, und als solcher ist Er Selbst der Genießer all dieser Opfer. Daher wollte Balarāma, als Er damals, allen zum Beispiel, Opfer vollzog, lediglich die gewöhnlichen Menschen lehren, daß man die Anweisungen der Veden befolgen soll. Der Höchste Persönliche Gott belehrte die Weisen und Heiligen in Naimiṣāraṇaya über die Beziehung der individuellen Lebewesen zur kosmischen Manifestation; Er lehrte sie, wie das Universum zu verstehen ist, und welche Haltung man dem Kosmos gegenüber einnehmen soll, um das höchste Ziel der Vollkommenheit, nämlich das Verständnis, daß die gesamte kosmische Manifestation im Höchsten Persönlichen Gott ruht, zu erlangen, und daß der Höchste Persönliche Gott durch Seinen Paramātma-Aspekt alles durchdringt und Selbst im winzigsten Atom weilt. Schließlich nahm Śrī Balarāma das avabhṛta-Bad, dem man sich nach Opferhandlungen unterzieht. Als Er gebadet hatte, kleidete Er Sich in neue Seidengewänder und schmückte Sich inmitten Seiner Freunde und Verwandten mit herrlichen Juwelen. Dabei glich Er dem strahlenden Vollmond unter Sternen. Śrī Balarāma ist der Persönliche Gott, Ananta; deshalb befindet Er Sich jenseits des Begriffsvermögens von Geist, Intelligenz und Körper. Er erschien wie ein Mensch und verhielt Sich auch wie ein solcher – aus Gründen, die nur Er Selbst kennt. Wir können Seine Taten nur als die transzendentalen Spiele des Herrn erklären. Niemand kann das Ausmaß Seiner unbegrenzten offenbarten Spiele ermessen, denn Er ist allmächtig. Śrī Balarāma ist der ursprüngliche Viṣṇu; deshalb wird jeder, der sich morgens und abends an Seine hier geschilderten transzendentalen Spiele erinnert, gewiß ein großer Geweihter des Höchsten Persönlichen Gottes werden, und damit wird sein Leben in jeder Hinsicht erfolgreich werden. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 78. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Balvalas Befreiung und Balarāmas Pilgerfahrt zu den heiligen Orten«. 79. KAPITEL Der brāhmaṇa Sudāmā besucht Śrī Kṛṣṇa König Parīkṣit hörte die Berichte über die Spiele Śrī Kṛṣṇas und Balarāmas aus dem Mund Śukadeva Gosvāmīs. Über diese Spiele zu hören bereitet transzendentale Freude, und so sagte Mahārāja Parīkṣit zu Śukadeva Gosvāmī: »Mein lieber Herr, der Höchste Persönliche Gott gewährt sowohl Befreiung als auch Liebe zu Gott. Jeder, der ein Geweihter des Herrn wird, erlangt die Befreiung, ohne dafür eine besondere Anstrengung machen zu müssen. Der Herr ist unbegrenzt, und deshalb sind auch Seine transzendentalen Spiele und Handlungen hinsichtlich der Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung der kosmischen Manifestation unbegrenzt. Ich möchte auch von Seinen anderen Spielen hören, von denen Du mir noch nicht erzählt hast. Mein lieber Meister, die bedingten Seelen in der materiellen Welt werden bei ihren Versuchen, aus der Befriedigung ihrer Sinne Freude zu gewinnen, ständig enttäuscht, und dennoch durchbohren die Wünsche nach materiellem Genuß weiter ihre Herzen. Indes erfahre ich nun tatsächlich, daß man durch das Hören über die transzendentalen Spiele Śrī Kṛṣṇas davor bewahrt werden kann, materiellem Bestreben nach Befriedigung der Sinne anheimzufallen. Meiner Meinung nach kann kein intelligentes Wesen die Methode ablehnen, immer wieder über die transzendentalen Spiele des Herrn zu hören. Nur durch dieses Hören kann man ständig in transzendentale Freude vertieft bleiben und fühlt sich nicht länger zu materieller Sinnenfreude hingezogen.« In seiner Erklärung gebrauchte Mahārāja Parīkṣit zwei sehr wichtige Wörter, nämlich viṣaṇṇaḥ und viśeṣajñaḥ. Viṣaṇṇaḥ bedeutet »verdrießlich«. Die Materialisten erfinden ständig neue Mittel und Wege, um völlige Zufriedenheit zu erlangen, doch bleiben sie weiter stets verdrießlich. An dieser Stelle könnte man einwenden, daß manchmal auch die Transzendentalisten verdrießlich bleiben; doch Parīkṣit Mahārāja gebrauchte auch das Wort viśeṣajñaḥ. Es gibt nämlich zwei Arten von Transzendentalisten – die Unpersönlichkeitsvertreter und die Persönlichkeitsvertreter. Viśeṣajñaḥ bezieht sich auf die Vertreter der Persönlichkeitslehre, denen an transzendentaler Vielfalt gelegen ist. Diese Gottgeweihten erfahren Freude, wenn sie die Schilderungen der Taten des Persönlichen Gottes hören, wohingegen die Philosophen, die mehr zum unpersönlichen Aspekt des Höchsten Herrn neigen, sich nur oberflächlich zu den persönlichen Spielen des Herrn hingezogen fühlen. Obwohl sie mit den transzendentalen Spielen des Herrn in Berührung kommen, erfahren die Unpersönlichkeitsanhänger daher nicht den vollen Nutzen und bleiben so ihrer fruchtbringenden Handlungen wegen, ebenso verdrießlich wie die Materialisten. König Parīkṣit fuhr fort: »Die Fähigkeit zu sprechen kann nur vervollkommnet werden, wenn man mit ihrer Hilfe die transzendentalen Eigenschaften des Herrn beschreibt. Die Fähigkeit, mit den Händen zu arbeiten, kann man zur Vollkommenheit bringen, wenn man die Hände im Dienst des Herrn gebraucht. Ebenso kann der Geist nur dann friedvoll sein, wenn er ständig in völligem Kṛṣṇa-Bewußtsein an Kṛṣṇa denkt. Das bedeutet jedoch nicht, daß man sehr tiefsinnig sein muß; man muß nur verstehen, daß Kṛṣṇa, die Absolute Wahrheit, durch Seinen örtlichen Aspekt als Paramātmā alldurchdringend ist. Wenn man nur daran zu denken vermag, daß Kṛṣṇa als Paramātmā überall, selbst in den Atomen, gegenwärtig ist, kann man das Denken, Fühlen und Wollen seines Geistes zur Vollkommenheit bringen. Der vollkommene Gottgeweihte sieht die materielle Welt nicht wie sie materiellen Augen erscheint, sondern nimmt überall die Anwesenheit seines verehrenswerten Herrn in dessen Paramātmā-Aspekt wahr.« Mahārāja Parīkṣit sagte weiter, daß die Tätigkeit des Ohres vervollkommnet werden könne, wenn man das Ohr dazu gebraucht, über die transzendentalen Taten des Herrn zu hören. Er erklärte auch, daß die Funktion des Kopfes vollständig genutzt sei, wenn man ihn vor dem Herrn und Seinem Vertreter neige. Daß der Herr in den Herzen aller gegenwärtig ist, ist eine Tatsache, und deshalb bezeigt der wirklich fortgeschrittene Gottgeweihte jedem Lebewesen seine Achtung, da er den Körper als Tempel des Herrn betrachtet. Es ist jedoch nicht allen Menschen möglich, sofort auf diese Lebensstufe zu gelangen, denn sie ist dem Gottgeweihten ersten Ranges vorbehalten. Der Gottgeweihte zweiten Ranges ist imstande, die Vaiṣṇavas, die Geweihten des Herrn, als Vertreter Kṛṣṇas zu sehen, und der Gottgeweihte, der noch am Anfang steht, der Neuling oder drittrangige Gottgeweihte, ist immerhin bereits so weit, daß er sich vor der Bildgestalt Gottes im Tempel und vor dem geistigen Meister, der direkten Manifestation des Höchsten Persönlichen Gottes, verneigt. Auf der Anfänger- wie auch auf der mittleren Stufe und auf der wirklich fortgeschrittenen Stufe kann man die Tätigkeit des Kopfes zur Vollkommenheit bringen, indem man sich vor dem Herrn oder Seinem Vertreter verneigt. In ähnlicher Weise kann man die Tätigkeit seiner Augen vollkommen machen, indem man den Herrn und Seinen Vertreter ansieht. Jeder kann die Tätigkeiten seiner verschiedenen Körperteile zur höchsten Stufe der Vollkommenheit führen, indem er sie einfach in den Dienst des Herrn oder Seines Vertreters stellt. Wenn man keine besonderen Fähigkeiten besitzt, reicht es aus, sich vor dem Herrn und Seinem Vertreter zu verneigen und caraṇāmṛta zu trinken, das Wasser mit dem die Lotosfüße des Herrn oder Seines Geweihten gewaschen wurden. Als Śukadeva Gosvāmī diese Erklärungen Mahārāja Parīkṣits vernahm, wurde er durch König Parīkṣits tiefes Verstehen der Vaiṣṇava-Philosophie von ekstatischer Gottesliebe ergriffen. Śukadeva Gosvāmī hatte bereits viele Geschichten vom Herrn berichtet, und als Ihn Mahārāja Parīkṣit bat, weiter zu erzählen, fuhr er voller Freude fort, das Śrīmad-Bhāgavatam vorzutragen. Es war einmal ein brāhmaṇa, der ein sehr guter Freund Śrī Kṛṣṇas war. Als vollkommener brāhmaṇa war er in transzendentalem Wissen wohlbewandert, und durch seine fortgeschrittene Erkenntnis fühlte er sich in keiner Weise zu materiellen Genüssen hingezogen. Er war daher sehr friedvoll und beherrschte seine Sinne vollkommen. Das bedeutet, daß der brāhmaṇa ein vollkommener Gottgeweihter war; denn ohne ein vollkommener Gottgeweihter zu sein, kann man die höchste Stufe der Erkenntnis nicht erreichen. In der Bhagavad-gītā heißt es, daß sich jemand, der zu Vollkommenheit des Wissens gelangt ist, dem Höchsten Persönlichen Gott hingibt. Jeder also, der sein Leben dem Dienst für den Höchsten Persönlichen Gott geweiht hat, hat die Stufe des vollkommenen Wissens erreicht. Das Ergebnis vollkommenen Wissens ist, daß man nicht mehr an der materialistischen Lebensweise hängt. Diese Nichtanhaftung bedeutet völlige Beherrschung der Sinne, die stets von materiellen Freuden verlockt werden. Die Sinne des Gottgeweihten werden gereinigt, und auf dieser Stufe sind die Sinne ständig im Dienst des Herrn beschäftigt. Das ist das ganze Feld des Gott-geweihten Dienens. Obgleich der brāhmaṇa-Freund Kṛṣṇas ein Haushälter war, bemühte er sich nicht darum, Reichtum für ein bequemes Leben zu horten. Er war mit dem zufrieden, was er durch sein bereits bestimmtes Schicksal ohne Zutun erhielt. Das ist ein Zeichen vollkommenen Wissens. Wer über vollkommenes Wissen verfügt, weiß, daß man nicht glücklicher werden kann als es einem bestimmt ist. In der materiellen Welt ist es jedem vorbestimmt, ein gewisses Maß an Leid zu ertragen und ein gewisses Maß an Freude zu genießen. Niemand kann sein Glück im materialistischen Leben steigern oder vermindern. Aus diesem Grunde unternahm der brāhmaṇa keine Anstrengungen für mehr materielles Glück, sondern nutzte seine Zeit, im Kṛṣṇa-Bewußtsein vorwärtszukommen. Nach außen hin schien er sehr arm zu sein, da er weder selbst gut gekleidet war noch seiner Frau ein kostbares Gewand geben konnte. Auch waren seine Frau und er sehr mager, weil sie materiell so dürftig lebten, daß sie nicht einmal genug zu essen hatten. Die Frau des brāhmaṇa dachte nicht viel an ihr eigenes Wohlergehen, doch machte sie sich Sorgen um ihren Mann, der ein so frommer brāhmaṇa war. Sie zitterte vor Körperschwäche, als sie, obwohl sie ihrem Mann eigentlich keine Vorschriften machen wollte, eines Tages zu ihm sprach: »Mein lieber Gatte, ich weiß, daß Śrī Kṛṣṇa, der Gemahl der Glücksgöttin, Dein persönlicher Freund ist. Du bist Sein Geweihter, und Er ist immer bereit, Seinen Geweihten zu helfen. Selbst wenn Du glaubst, daß du Ihm nicht den kleinsten hingebungsvollen Dienst erweist, bist Du Ihm doch hingegeben, und der Herr ist der Beschützer der Ihm hingegebenen Seelen. Nicht nur das, ich weiß auch, daß Śrī Kṛṣṇa das Vorbild der vedischen Kultur darstellt. Er ist ein großer Freund der brahmanischen Kultur und den qualifizierten bṛāhmaṇas sehr geneigt. Und du Glücklicher hast den Höchsten Persönlichen Gott zum Freund. Śrī Kṛṣṇa ist die einzige Zuflucht für Persönlichkeiten wie du, der du Ihm völlig ergeben bist. Du bist heilig, weise und beherrschst völlig deine Sinne. Weil dem so ist, ist Kṛṣṇa deine einzige Zuflucht. Bitte gehe doch einmal zu Ihm. Ich bin sicher, daß Er Sich sofort daran erinnern wird, in welcher Armut du lebst. Auch bist du ein Haushälter und deshalb in Not, wenn du kein Geld hast. Sowie Krṣṇa sieht, wie es um dich bestellt ist, wird Er dir sicher so viel schenken, daß du gut leben kannst. Śrī Kṛṣṇa ist nun der König der Bhoja-, Vṛṣṇi- und Andhaka-Dynastie, und wie ich gehört habe, verläßt Er nie Seine Hauptstadt Dvārakā. Er lebt dort, ohne außerhalb der Stadt etwas zu tun zu haben. Er ist so gütig und großzügig, daß Er jedem, der sich Ihm hingegeben hat, sofort alles gibt – sogar Sich Selbst. Wenn Er sogar bereit ist, Seinen Geweihten Sich Selbst zu schenken, ist es nichts Außerordentliches, wenn Er einige materielle Dinge verschenkt. Natürlich gewährt Er Seinem Geweihten, wenn dieser nicht sehr gefestigt ist, nicht viel materiellen Wohlstand, aber was dich betrifft, so glaube ich, daß Er wohl weiß, wie stetig du im hingebungsvollen Dienst bist. Deshalb wird Er nicht zögern, dich mit einigen materiellen Gaben zu segnen, zumindest mit dem zum Leben Notwendigen.« In solcher Weise bat die Frau des brāhmaṇa ihren Mann immer wieder mit großer Demut und Ergebenheit, zu Kṛṣṇa zu gehen. Der brāhmaṇa hielt es zwar nicht für notwendig, Śrī Kṛṣṇa um eine materielle Gunst zu bitten, aber schließlich wurde er durch das wiederholte Bitten seiner Frau doch dazu bewegt, sich auf den Weg zu machen. Außerdem dachte er bei sich: »Wenn ich nach Dvārakā gehe, werde ich den Herrn persönlich sehen können. Das wird ein großes Erlebnis für mich sein, selbst wenn ich Ihn gar nicht um materielle Dinge bitte.« Als er sich also entschlossen hatte, Kṛṣṇa zu besuchen, fragte er seine Frau, ob sie etwas im Hause habe, was er Kṛṣṇa anbieten könne, da er seinem Freund ein Geschenk mitbringen müsse. Die Frau ging sogleich zur befreundeten Nachbarin und brachte durch deren Gaben vier Hände voll Bruchreis zusammen, die sie in einen kleinen, etwa taschentuchgroßen Lappen schnürte und ihrem Ehemann als Geschenk für Kṛṣṇa mitgab. Der brāhmaṇa nahm den Beutel und machte sich unverzüglich auf den Weg nach Dvārakā, um seinen Herrn zu sehen. Während der Wanderung war er völlig in den Gedanken vertieft, daß er Kṛṣṇa bald sehen würde. Er dachte im Herzen an nichts anderes als an Kṛṣṇa. Natürlich war es nicht leicht, in die Paläste der Yadu-Könige zu gelangen, doch den brāhmaṇas war es erlaubt, sie zu besuchen. Als Kṛṣṇas Freund, der brāhmaṇa Sudāmā, dorthin kam, mußte er mit anderen brāhmaṇas drei Wachbefestigungen passieren. In jedem Festungsring waren riesige Tore, durch die er hindurchschritt. Hinter den Befestigungen standen 16108 gewaltige Paläste – die Residenzen der 16108 Königinnen Śrī Kṛṣṇas. Der brāhmaṇa ging auf ein besonders prächtig ausgestattetes Gebäude zu, und als er den herrlichen Palast betrat war ihm, als schwimme er in einem Ozean transzendentaler Freude, in dem er immer wieder unterging und auftauchte. Währenddessen saß Śrī Kṛṣṇa gerade auf Königin Rukmiṇīs Bettstatt. Schon von weitem hatte Er den brāhmaṇa kommen sehen und ihn als Seinen Freund erkannt. Gleich bei Sudāmās Ankunft erhob Er Sich und ging Seinem Freund entgegen, um ihn zu begrüßen; als Er den brāhmaṇa erreichte, schloß Er ihn in Seine Arme. Kṛṣṇa ist die Quelle aller transzendentaler Freude, und dennoch freute Er Sich sehr, als Er den armen brāhmaṇa umarmte, weil Er Seinen lieben Freund wiedersah. Śrī Kṛṣṇa hieß den brāhmaṇa alsdann auf Seiner Bettstatt Platz nehmen und bot ihm allerlei Früchte und Getränke an, wie es beim Empfang eines ehrwürdigen Gastes angebracht ist. Śrī Kṛṣṇa ist der höchste Reine, doch weil Er die Rolle eines gewöhnlichen Menschen spielte, wusch Er dem brāhmaṇa die Füße und sprengte Sich das Wasser zu Seiner eigenen Läuterung über das Haupt. Dann bestrich Er den Körper des brāhmaṇa mit allerlei duftenden Pasten wie solchen aus Sandelholz, aguru und Safran; Er entzündete verschiedene Arten von Räucherwerk und brachte ihm, wie es Brauch ist, mit brennenden Lampen eine ārātrika dar. Nachdem Er so dem brāhmaṇa einen würdigen Empfang bereitet und dieser gespeist und getrunken hatte, sagte Śrī Kṛṣṇa zu ihm: »Mein lieber Freund, es ist ein großes Glück für Mich, daß du gekommen bist.« Wegen seiner Armut war der brāhmaṇa nur dürftig gekleidet; sein Gewand war zerrissen und verfärbt, und sein Körper war dürr und ausgemergelt. Er schien auch nicht sehr sauber zu sein, und an seinem abgezehrten Körper traten die Knochen deutlich hervor. Die Glücksgöttin Rukmiṇīdevī begann persönlich, ihm mit dem cāmara Kühlung zuzufächeln; doch die anderen Frauen im Palast erstaunte es sehr, daß Kṛṣṇa den brāhmaṇa in dieser Weise empfing. Sie wunderten sich, daß Er gerade diesen brāhmaṇa so herzlich begrüßte, und fragten sich, wie Śrī Kṛṣṇa persönlich einen brāhmaṇa empfangen konnte, der arm, ungepflegt und nur elend gekleidet war; zugleich konnten sie sich aber auch denken, daß dieser brāhmaṇa kein gewöhnliches Lebewesen sein konnte. Sie wußten, daß er viele fromme Werke vollbracht haben mußte, denn warum würde Śrī Kṛṣṇa, der Gemahl der Glücksgöttin, Sich wohl sonst so sehr um ihn bemühen. Sehr überrascht waren sie auch, daß der brāhmaṇa auf Śrī Kṛṣṇa Bettstatt sitzen durfte. Vor allem aber staunten sie, als Śrī Kṛṣṇa ihn genau wie seinen älteren Bruder Balarāmajī umarmte; Kṛṣṇa pflegte nämlich sonst nur Rukmiṇī und Balarāma zu umarmen, und niemand anderen. Nachdem Kṛṣṇa den brāhmaṇa herzlich empfangen hatte und dieser nun auf der gepolsterten Bettstatt des Herrn saß, sagte Er: »Mein lieber Freund und brāhmaṇa, du bist eine überaus intelligente Persönlichkeit und bist mit den Prinzipien des religiösen Lebens wohlvertraut. Ich nehme an, daß du, nachdem du Deine Ausbildung im Hause unseres Lehrers abgeschlossen und diesen gebührend belohnt hattest, nach Hause zurückgekehrt bist und eine geeignete Frau geheiratet hast. Wie ich sehr wohl weiß, fühltest du dich von Anfang an nicht im geringsten zum materiellen Leben hingezogen, noch begehrtest du, in materieller Hinsicht sehr begütert zu sein, und deshalb mangelt es dir an Geld. In der materiellen Welt sind Personen, die nicht an materiellen Gütern hängen, sehr selten. Solche Menschen ohne Anhaftung hegen nicht das geringste Verlangen, Reichtümer und Güter zu ihrer eigenen Sinnenbefriedigung zusammenzutragen; doch manchmal sieht man auch, daß sie Geld erwerben, um ein beispielhaftes Leben als Haushälter zu führen. Sie zeigen dann, wie man durch die richtige Verteilung seines Reichtums ein vorbildlicher Haushälter und zugleich ein großer Gottgeweihter sein kann. Solche vorbildliche Haushälter folgen, wie man verstehen sollte, Meinem Beispiel. Ich hoffe, Mein lieber Freund und brāhmaṇa, daß du dich noch an die Tage unserer Schulzeit erinnerst, als wir beide im āśrama unseres Lehrers lebten. Im Grunde erwarben wir alles Wissen, das wir in unserem Leben empfingen, während dieser Zeit als Schüler. Wenn jemand unter der Anleitung eines guten Lehrers während seiner Schulzeit eine gute Erziehung genießt, wird sein Leben später erfolgreich; er kann dann sehr leicht den Ozean der Unwissenheit überqueren und ist nicht mehr dem Einfluß der illusionierenden Energie ausgeliefert. Lieber Freund, jeder sollte seinen Vater als seinen ersten Lehrer betrachten, denn durch die Gnade des Vaters bekommt man den Körper. Der Vater ist deshalb der natürliche geistige Meister. Unser nächster geistiger Meister ist der, der uns in das transzendentale Wissen einweiht, und er muß in gleichem Maße verehrt werden wie Ich Selbst. Man kann mehr als nur einen geistigen Meister haben. Der geistige Meister, der den Schüler in spirituellen Dingen unterweist, wird śikṣa-guru genannt, und den geistigen Meister, der ihn einweiht, nennt man dīksā-guru. Sie sind beide Meine Vertreter. Es kann viele geistige Meister geben, die unterweisen, doch es gibt immer nur einen einweihenden geistigen Meister. Ein Mensch, der sich an diese geistigen Meister wendet und, da er wirkliches Wissen von ihnen empfängt, den Ozean des materiellen Daseins überquert, hat die menschliche Form des Lebens richtig genutzt. Er hat das Wissen verwirklicht, welches das endgültige Ziel des Lebens ist, und das man nur in der menschlichen Form erreichen kann. Es besteht darin, die spirituelle Vollkommenheit zu erlangen und nach Hause zurückzukehren, zurück zu Gott. »Mein lieber Freund, Ich bin Paramātmā, die Überseele im Herzen jedes Lebewesens, und es ist Meine direkte Anweisung, daß die menschliche Gesellschaft den Prinzipien des varṇa und āśrama folgen muß. Wie Ich in der Bhagavad-gītā erklärt habe, soll die menschliche Gesellschaft entsprechend den Eigenschaften und Tätigkeiten der Menschen in vier varṇas eingeteilt werden. Ebenso soll man sich auch sein Leben in vier Abschnitte einteilen. Den ersten Teil des Lebens sollte man dazu nutzen, ein guter Schüler zu werden, wobei man ausreichend Wissen empfangen und das Gelübde des brahmacāri einhalten sollte, so daß man sein Leben vollständig dem Dienst für den geistigen Meister widmen kann, ohne der Befriedigung der Sinne nachzugehen. Ein brahmacārī muß ein Leben der Entsagungen und der Buße führen. Der Haushälter darf ein Leben regulierter Sinnenbefriedigung führen, doch sollte niemand auch in seinem dritten Lebensabschnitt Haushälter bleiben. Im dritten Lebensabschnitt muß man wieder zu Entsagungen und Bußen zurückkehren, wie man sie früher als brahmacārī auf sich genommen hat, und sich so von der Anhaftung an das Haushälterleben lösen. Wenn man dann von allen Anhaftungen an die materialistische Lebensweise frei ist, kann man in den sannyāsa-Stand eintreten. »Als die Überseele der Lebewesen weile Ich im Herzen eines jeden und beobachte seine Handlungen in jedem Lebensstadium und Lebensstand. Wenn Ich sehe, daß jemand ernsthaft und gewissenhaft die Pflichten erfüllt, die ihm sein geistiger Meister aufgetragen hat, und sein Leben dem Dienst des geistigen Meister weiht, wird ein solcher Mensch Mir sehr lieb, ganz gleich, auf welcher Stufe er sich befindet. Was nun das Leben im brahmacarya-Stand betrifft, so ist es sehr zu begrüßen, wenn man immer das Leben eines brahmacārī unter der Anleitung eines geistigen Meisters führen kann. Wenn man jedoch während des brahmacāri-Lebens den Wunsch nach geschlechtlicher Betätigung verspürt, sollte man von seinem guru Abschied nehmen, ihn zuvor aber ganz nach dessen Wünschen zufriedenstellen. Nach vedischem Prinzip macht man dem geistigen Meister ein Geschenk, die guru-dakṣiṇā; dann sollte der Schüler in den Lebensstand des Haushälters treten, indem er gemäß der religiösen Riten heiratet.« Die Anweisungen, die Śrī Kṛṣṇa während des Gesprächs mit Seinem Freund, dem gelehrten brāhmaṇa, gab, eignen sich sehr gut als Anleitung für die menschliche Gesellschaft. Eine Zivilisation, die nicht das System des varṇa und āśrama fördert, ist nichts anderes als eine polierte tierische Gesellschaft. Verkehr zwischen unverheirateten Männern und Frauen ist in der menschlichen Gesellschaft nicht zulässig. Ein Mann soll entweder strikt den Prinzipien des brahmacārī-Lebens folgen oder mit Erlaubnis des geistigen Meisters heiraten. Unverehelicht zu bleiben und sich dennoch dem Geschlechtsleben hinzugeben bedeutet, ein tierisches Leben zu führen. Für Tiere gibt es keine Heirat. Die heutige Gesellschaft strebt nicht danach, der Bestimmung des menschlichen Lebens gerecht zu werden. Die Bestimmung des menschlichen Lebens ist es, nach Hause, zu Gott, zurückzukehren. Um dieses Ziel zu erreichen, muß man dem System des varṇa und āśrama folgen. Wenn dieses System genau und gewissenhaft befolgt wird, verhilft es zur Erfüllung der Bestimmung des Lebens; wenn es jedoch unrichtig und ohne die Führung einer höheren Autorität befolgt wird, richtet es nur Schaden in der menschlichen Gesellschaft an, für die es dann weder Frieden noch Wohlstand gibt. Kṛṣṇa sagte weiter zu Seinem Freund, dem brāhmaṇa: »Lieber Freund, Ich vermute, du erinnerst dich noch an unsere Erlebnisse während der Zeit, als wir als Schüler lebten. Sicherlich weißt du noch, wie wir einmal auf Anweisung der Frau unseres guru in den Wald gingen, um Brennholz zu sammeln. Als wir dann trockene Holzscheite zusammensuchten, gerieten wir unmerklich tief ins Walddickicht und verliefen uns. Unversehens zog ein Sandsturm auf, dem finstere Wolken, Blitze und krachende Donnerschläge folgten. Bald darauf ging die Sonne unter, und wir irrten mitten im dunklen Dschungel umher. Dann setzte heftiger Wolkenbruch ein, so daß der Boden mit Wasser überflutet wurde und es uns unmöglich war, den Weg zum āśrama unseres guru zurückzufinden. Gewiß erinnerst du dich noch an den furchtbaren Regen; doch eigentlich war es kein richtiger Regen, sondern mehr eine Art Sintflut. Wir litten sehr unter dem Sandsturm und dem heftigen Regen, und wohin wir uns auch wandten, wir fanden uns nicht zurecht. Wir faßten uns in der Not bei der Hand und versuchten, irgendwie zurückzufinden. Auf diese Weise verbrachten wir die ganze Nacht, bis unser gurudeva früh am Morgen von unserem Fortbleiben erfuhr und seine anderen Schüler aussandte, uns zu suchen. Er ging sogar persönlich mit ihnen, und als sie uns schließlich im Dschungel fanden, sahen sie, daß wir völlig erschöpft waren. Unser gurudeva sagte damals voller Mitleid: »Meine lieben Jungen, es ist ganz bemerkenswert, daß ihr so viele Schwierigkeiten für mich durchgestanden habt. Gewöhnlich neigt jeder dazu, zu allererst an seinen Körper zu denken, doch ihr seid mir, eurem guru, so angetan und ergeben, daß ihr so viele Beschwerlichkeiten für mich in Kauf genommen habt, ohne euch um euer körperliches Wohl zu kümmern. Es freut mich zu sehen, daß fähige Schüler wie ihr bereit sind, jedwede Unannehmlichkeit zur Zufriedenstellung des geistigen Meisters auf sich zu nehmen. Nur so kann ein Schüler seine Schuldigkeit gegenüber dem geistigen Meister abtragen. Es ist die Pflicht des Schülers, sein Leben dem Dienst für den geistigen Meister zu widmen. Meine lieben Besten der Zweimalgeborenen, Ich freue Mich sehr über euch und möchte euch segnen: »Mögen alle eure Wünsche und Neigungen ihre Erfüllung finden, und möge euer Verständnis von den Veden, das ihr von Mir erworben habt, immer in eurem Gedächtnis bleiben, so daß ihr euch zu jeder Zeit an die Lehren der Veden erinnern und ihre Anweisungen mühelos zitieren könnt. Dadurch werdet ihr weder in diesem noch im nächsten Leben Enttäuschungen erfahren.« Kṛṣṇa fuhr fort: »Lieber Freund, wie du weißt erlebten wir viele solche Begebenheiten, als wir im āśrama unseres geistigen Meisters lebten. Wir können jetzt verstehen, daß ohne den Segen des geistigen Meisters niemand glücklich sein kann. Durch die Barmherzigkeit des geistigen Meisters und durch seine Segnungen kann man Frieden und Wohlstand erlangen und befähigt werden, die Mission des menschlichen Lebens zu erfüllen.« Nachdem der gelehrte brāhmaṇa Kṛṣṇas Worte vernommen hatte, erwiderte er: »Mein lieber Kṛṣṇa, Du bist der Höchste Herr und der höchste geistige Meister eines jeden, und weil ich das Glück hatte, mit Dir im Hause unseres guru zu leben, glaube ich, daß ich nichts mehr mit den in den Veden vorgeschriebenen Pflichten zu schaffen habe. Mein lieber Herr, die verschiedenen Hymnen, die rituellen Zeremonien, die religiösen Werke und alle anderen Notwendigkeiten, die das menschliche Leben vollkommen machen, wie wirtschaftliche Entwicklung, Sinnenbefriedigung und Befreiung entspringen alle einem Ursprung, nämlich Deiner höchsten Persönlichkeit. Alle verschiedenen Lebenswege sollen letztlich dazu verhelfen, Deine Person zu verstehen. Sie sind, mit anderen Worten, also verschiedene Teile Deiner transzendentalen Gestalt, und dennoch spieltest Du die Rolle eines Schülers und lebtest mit uns im Hause unseres guru. Das bedeutet, daß Du Deine Spiele einzig zu Deiner Freude vollführst, denn Du hast es nicht nötig, die Rolle eines gewöhnlichen Menschen zu spielen.« Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 79. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Der brāhmaṇa Sudāmā besucht Śrī Kṛṣṇa«. 80. KAPITEL Der brāhmaṇa Sudāmā wird von Śrī Kṛṣṇa gesegnet Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, die Überseele aller Lebewesen, kennt das Herz eines jeden genau. Er ist besonders den brāhmaṇa-Gottgeweihten zugetan. Śrī Kṛṣṇa wird auch brahmaṇyadeva genannt, was bedeutet, daß Er von den brāhmaṇas verehrt wird. Ein Gottgeweihter, der dem Höchsten Persönlichen Gott völlig hingegeben ist, hat deshalb die Stufe des brāhmaṇa bereits erreicht. Ohne ein brāhmaṇa zu werden, kann man sich nicht dem Höchsten Brahman, Śrī Kṛṣṇa, nähern. Kṛṣṇa liegt besonders viel daran, die Nöte Seiner Geweihten zu beseitigen, und Er ist die einzige Zuflucht der reinen Gottgeweihten. Śrī Kṛṣṇa sprach lange Zeit mit Sudāmā Vipra über ihre früheren gemeinsamen Erlebnisse. Nur um Sich der Gesellschaft Seines alten Freundes zu erfreuen, begann der Herr unvermittelt zu lächeln und fragte: »Lieber Freund, was hast du Mir mitgebracht? Hat dir deine Frau nicht etwas Schönes zum Essen für Mich mitgegeben?« Während Śrī Kṛṣṇa Seinen Freund dies fragte, sah Er ihn an und lächelte liebevoll. Er sagte: »Lieber Freund, du mußt Mir doch ein Geschenk von zu Hause mitgebracht haben.« Śrī Kṛṣṇa wußte, daß Sudāmā sich schämte, Ihm den armseligen Bruchreis zu geben, der sich eigentlich nicht dafür eignet, vom Herrn gegessen zu werden. Da der Herr Sudāmās Gedanken kannte, versicherte Er ihm: »Lieber Freund, es mangelt Mir zweifellos an nichts, doch wenn Mir Mein Geweihter aus Liebe ein Geschenk anbietet, nehme Ich es, selbst wenn es etwas ganz Unbedeutendes ist, mit großer Freude an. Wenn andererseits jemand kein Gottgeweihter ist, nehme Ich, auch wenn er Mir noch so kostbare Dinge anbietet, Seine Gaben nicht gern an. Ich nehme im Grunde nur Gaben an, die mir in Liebe und Hingabe dargebracht werden; etwas anderes nehme Ich nicht an, ganz gleich, wie wertvoll es auch sein mag. Selbst wenn Mir Mein reiner Geweihter höchst unbedeutende Dinge anbietet, wie etwa eine kleine Blume, ein kleines Blatt oder ein wenig Wasser, die Opferung jedoch mit hingebungsvoller Liebe durchtränkt, nehme Ich sie nicht nur erfreut an, sondern esse sie auch mit großem Behagen.« Śrī Kṛṣṇa versicherte Sudāmā Vipra somit, daß Er Sich sehr glücklich schätzen würde, den Bruchreis, den dieser Ihm mitgebracht hatte, entgegenzunehmen, doch aus Schamhaftigkeit scheute sich Sudāmā immer noch, sein Geschenk dem Herrn zu übergeben. Er sagte sich: »Wie kann ich es wagen, Krṣṇa etwas so Unbedeutendes anzubieten?«, und so senkte er nur schamvoll den Kopf. Śrī Kṛṣṇa, die Überseele, weiß alles, was in den Herzen der Lebewesen vor sich geht, und kennt daher die Entschlüsse und Wünsche eines jeden. Deshalb war Ihm auch der Grund für Sudāmās Kommen bekannt. Er wußte, daß Sudāmā, durch äußerste Armut getrieben, Ihn auf Bitten seiner Frau aufgesucht hatte. Während Er Sudāmā als Seinen lieben Schulfreund betrachtete, wußte Er, daß Sudāmās freundschaftliche Liebe zu Ihm niemals durch ein materielles Verlangen befleckt war. Kṛṣṇa dachte: »Sudāmā ist nicht gekommen, um Mich um etwas zu bitten, sondern er ist gekommen, weil er sich dem Bitten seiner Frau verpflichtet fühlt und sie lediglich zufriedenstellen will.« Śrī Kṛṣṇa beschloß deshalb, Sudāmā Vipra mehr materiellen Reichtum zu geben als selbst der König des Himmels sich zu erträumen wagt. Unvermittelt griff Er nach dem kleinen Reisbündel, das an der Schulter des armen brāhmaṇa in einer Falte seines Übertuchs verborgen hing, und sagte: »Was ist das? Mein lieber Freund, du hast Mir ja wunderbaren, köstlichen Bruchreis gebracht!« Er ermutigte Sudāmā Vipra: »Ich glaube, daß diese Menge Reis nicht nur Mich, sondern auch die gesamte Schöpfung sättigen wird.« Aus dieser Bemerkung wird ersichtlich, daß Krṣṇa die Wurzel der gesamten Schöpfung ist, da ursprünglich alles aus Ihm hervorging. So wie es dem ganzen Baum nützt, wenn man seine Wurzel begießt, da das Wasser in alle Teile des Baumes verteilt wird, ist auch eine Opferung, die Kṛṣṇa dargebracht wird, d.h., jede Handlung, die für Kṛṣṇa getan wird, als die höchste Wohltätigkeit für jeden anzusehen, denn der Nutzen einer solchen Darbringung verteilt sich auf die ganze Schöpfung. Liebe zu Kṛṣṇa wird an alle Lebewesen verteilt. Während Śrī Kṛṣṇa mit Sudāmā Vipra sprach, aß Er ein wenig Bruchreis aus dem Bündel; als Er versuchte, einen zweiten Bissen zu nehmen, ergriff Rukmiṇīdevī, die Glücksgöttin, Seine Hand und sagte: »Mein lieber Herr, dieser eine Krumen Reis genügt, denjenigen, der ihn Dir darbrachte, in diesem Leben sehr reich zu machen und ihm auch für sein nächstes Leben Reichtum zu sichern. Mein Herr, Du bist so gütig zu Deinem Geweihten, daß schon dieser eine Bissen Bruchreis Dich überaus erfreut, und Deine Freude sichert dem Gottgeweihten sowohl in diesem als auch im nächsten Leben großen Reichtum.« Diese Worte deuten darauf hin, daß sich Rukmiṇī, die Glücksgöttin, wenn ein Gottgeweihter Kṛṣṇa mit Liebe und Hingabe etwas zu essen opfert, und Er Sich darüber freut und es von ihm annimmt, dem Gottgeweihten so sehr zu Dank verpflichtet fühlt, daß sie persönlich in sein Haus kommt, um es in das reichste Haus der Welt zu verwandeln. Wenn jemand Nārāyaṇa reichlich speist, wird damit auch die Glücksgöttin Lakṣmī ein Gast in seinem Haus, wodurch Wohlstand darin einkehrt. Der gelehrte brāhmaṇa Sudāmā verbrachte die Nacht in Kṛṣṇas Palast, und während seines Aufenthaltes fühlte er sich wie auf den Vaikuṇṭha-Planeten. Und in der Tat war er in Vaikuṇṭha, denn jeder Ort, an dem Śrī Kṛṣṇa, der ursprüngliche Nārāyaṇa, und Rukmiṇīdevī, die Glücksgöttin, weilen, ist nicht verschieden von Vaikuṇṭhaloka, den spirituellen Planeten. Der gelehrte brāhmaṇa Sudāmā schien kein sichtbares Geschenk von Śrī Kṛṣṇa zu erhalten, während er am Hof des Herrn weilte, und doch bat er Ihn um nichts. Am nächsten Morgen machte er sich auf den Weg nach Hause, wobei er ständig an den Empfang dachte, den Kṛṣṇa ihm bereitet hatte, und deshalb in transzendentale Glückseligkeit tauchte. Auf dem ganzen Heimweg dachte er nur an Kṛṣṇas Verhalten und war sehr glücklich, den Herrn gesehen zu haben. Der brāhmaṇa dachte bei sich: »Es ist so freudvoll, Śrī Kṛṣṇa, der den brāhmaṇas so ergeben ist, zu begegnen. Welch ein Freund der brahmanischen Kultur Er ist! Obwohl Selbst das Höchste Brahman, zeigt Er Sich den brāhmaṇas erkenntlich. Er achtet sie so sehr, daß Er einen armen brāhmaṇa wie mich an Seine Brust drückt, obwohl Er sonst niemanden außer der Glücksgöttin umarmt. Wie könnte man mich, einen armen, sündigen brāhmaṇa, im entferntesten mit dem Höchsten Herrn vergleichen, der die einzige Zuflucht der Glücksgöttin ist? Und dennoch schloß Er mich, weil Er mich als einen brāhmaṇa betrachtete, mit herzlicher Freude in Seine beiden transzendentalen Arme. Śrī Kṛṣṇa war so gütig, daß Er mir erlaubte, mich auf das Bett zu setzen, auf dem sonst die Glücksgöttin ruht. Er behandelte mich wie Seinen eigenen Bruder. Wie könnte ich jemals ermessen, wie sehr ich Ihm verpflichtet bin? Als ich müde war, fächelte mir Śrīmatī Rukmiṇīdevī persönlich Kühlung zu, wozu sie selbst den cāmara-Wedel in die Hand nahm. Sie dachte nie an ihre erhabene Stellung als erste Königin Śrī Kṛṣṇas. Der Höchste Persönliche Gott erwies mir Dienste, weil Er die brāhmaṇas so sehr schätzt, und indem Er mir die Beine massierte und mir eigenhändig zu Essen gab, verehrte Er mich geradezu! Jeder im Universum, ob er danach trachtet, die himmlischen Planeten zu erreichen, ob er Befreiung, materielle Güter oder die Vollkommenheit im Beherrschen mystischer yoga-Kräfte begehrt, verehrt die Lotosfüße Śrī Kṛṣṇas. Trotzdem war der Herr so gütig zu mir, mir nicht mal einen Heller zu geben, da Er ganz genau wußte, daß ich ein armer Mann bin, der, sowie er etwas Geld bekommt, stolz und verrückt nach materiellen Gütern werden und Ihn dadurch vergessen könnte.« Dieser Gedanke des brāhmaṇa Sudāmā ist berechtigt. Ein gewöhnlicher Mensch, der sehr arm ist und zum Herrn bittet, ihn mit materiellen Gütern zu segnen, vergißt, wenn er dann tatsächlich auf irgendeine Weise reicher wird, sofort seine Verpflichtung gegenüber dem Herrn. Deshalb bietet der Herr Seinem Geweihten keinen Reichtum, solange dieser nicht völlig hilflos ist. Der Herr verhindert sogar, daß ein neuer Gottgeweihter, der Ihm sehr ernsthaft dient, aber zugleich materielle Güter begehrt, diese erlangt. Mit solchen Gedanken näherte sich der gelehrte brāhmaṇa allmählich seinem Heim. Als er ankam wurde er von Verwunderung ergriffen, denn alles hatte sich in wunderbarer Weise verändert. Dort, wo früher einmal eine Hütte gewesen war, standen nun riesige Paläste aus kostbaren Edelsteinen und Juwelen, die wie Sonne, Mond und Feuer strahlten. Nicht nur große Paläste sah er, sondern auch in regelmäßigen Abständen wunderbar gepflegte Parks, in denen schöne Männer und Frauen lustwandelten. In diesen Parks gab es herrliche Teiche mit Lotosblumen, wunderbaren Lilien und Schwärmen farbenprächtiger Vögel. Als der brāhmaṇa die wundersame Veränderung seines Geburtshauses sah, dachte er: »Wie sind nur all diese Wandlungen zu erklären, die ich hier sehe? Ist dies alles etwa mein Eigentum, oder gehört es jemand anderem? Wenn dies tatsächlich dieselbe Stelle ist, an der ich früher lebte, wie hat sich dann alles in so wundervoller Weise verändert?« Während der gelehrte brāhmaṇa so hin und her überlegte, trat eine Gruppe schöner Männer und Frauen, die wie Halbgötter aussahen, begleitet von Sängern auf ihn zu, um ihn zu begrüßen. Sie sangen dabei glückbringende Lieder. Die Frau des brāhmaṇa eilte, als sie von der Ankunft ihres Mannes erfuhr, aus einem der Paläste herbei. Sie sah so lieblich aus, daß es schien, als sei die Glücksgöttin persönlich gekommen, um Sudāmā zu empfangen. Als sie ihren Gatten vor sich sah, strömten Tränen der Freude aus ihren Augen, und die Stimme versagte ihr, so daß sie ihrem Mann nicht einmal einige Worte zur Begrüßung sagen konnte. So schloß sie nur die Augen in Verzückung, verneigte sich voller Liebe vor ihm und umarmte ihn in Gedanken. Sie war mit einer Halskette und anderem Geschmeide köstlich geschmückt, und inmitten ihrer Dienerinnen sah sie aus, als sei sie die Frau eines Halbgottes und soeben aus ihrem Himmelsfahrzeug gestiegen. Der brāhmaṇa war überrascht, als er sah, wie schön seine Frau war, und erfüllt von Zuneigung, ging er, ohne ein Wort zu sagen, mit ihr in den Palast. Als der brāhmaṇa dann sein persönliches Gemach im Palast betrat, sah er, daß es nicht etwa eine schlichte Wohnung war, sondern geradezu eine Residenz für den König des Himmels. Der Palast war von vielen edelsteingeschmückten Säulen umgeben; die Diwane und Betten waren aus Elfenbein mit Gold und Juwelen verziert, und die Polster waren so weiß wie der Schaum auf der Milch und so weich und sanft wie Lotosblüten. Es waren viele Wedel mit goldenen Griffen zu sehen und mehrere goldene Thronsessel mit Sitzkissen, die gleichfalls so weich waren wie Lotosblüten. Überall hingen mit Perlen bestickte Baldachine aus Samt und Seide. Das Gebäude selbst bestand aus feinstem klaren Marmor, in den Verzierungen aus Smaragden eingelassen waren. Die Frauen im Palast trugen Lampen aus kostbaren Edelsteinen, die, weil der Flammenschein sich in den Edelsteinen brach, ein wundervoll strahlendes Licht verbreiteten. Als der brāhmaṇa sich in solchem Reichtum wiederfand und es ihm nicht gelang, den Grund dieses plötzlichen Wandels seiner Lage zu deuten, verfiel er in tiefes Nachdenken und überlegte, wie dies alles hatte geschehen können. Er dachte bei sich: »Von Anfang an lebte ich in äußerster Armut. Was kann also die Ursache für diesen gewaltigen und plötzlichen Wandel sein? Ich kann keine andere Ursache finden als den allbarmherzigen Blick meines Freundes Śrī Kṛṣṇa, des Führers der Yadu-Dynastie. Bestimmt ist all das, was ich hier sehe, eine Gabe aus Kṛṣṇas grundloser Gnade. Der Herr ist in Sich Selbst zufrieden; Er ist der Gemahl der Glücksgöttin und besitzt alle sechs Füllen. Er kennt die Gedanken Seiner Geweihten und erfüllt ihnen ihre Wünsche zur Genüge. Deshalb sind all diese wundersamen Geschehnisse auf meinen Freund Śrī Kṛṣṇa zurückzuführen. Mein schöner dunkler Freund Kṛṣṇa ist großzügiger als die Wolke, die den riesigen Ozean mit Wasser auffüllen kann. Weil die Wolke den Landmann nicht während des Tages mit ihrem Regen behelligen will, bringt sie ihm nachts großzügig Regen, um ihn zu erfreuen. Dennoch geschieht es manchmal, daß der Bauer, wenn er am Morgen aufwacht, meint, es habe nicht genug geregnet. Ebenso erfüllt der Herr die Wünsche aller Lebewesen je nach ihrer Position, und doch betrachtet jemand, der nicht Kṛṣṇa-bewußt ist, die Gaben des Herrn als seinen Wünschen nicht entsprechend. Der Herr dagegen betrachtet, wenn Er von Seinem Gottgeweihten mit Liebe und Hingabe ein kleines Geschenk bekommt, dieses als etwas sehr Großes und Wertvolles. Das beste Beispiel bin ich selbst: Ich brachte Ihm nur ein wenig Bruchreis, und Er gab mir dafür mehr Reichtum als der König des Himmels sein eigen nennt.« Der Herr benötigt das, was Sein Geweihter Ihm darbringt, im Grunde nicht, denn Er ist in Sich Selbst zufrieden. Wenn der Geweihte dem Herrn etwas opfert, wirkt sich das zu seinem eigenen Vorteil aus, denn alles, was er dem Herrn gibt, bekommt er millionenfach zurück. Man verliert also nichts, wenn man dem Herrn etwas gibt, sondern gewinnt millionenfach. Der brāhmaṇa Sudāmā fühlte sich Kṛṣṇa sehr zu Dank verpflichtet und dachte: »Ich bete darum, mit Śrī Kṛṣṇa Freundschaft zu halten und in Seinem Dienst beschäftigt zu sein, wie auch, mich Ihm in Liebe und Zuneigung völlig hingeben zu können – Leben für Leben. Ich begehre keinen Reichtum. Mein einziges Verlangen ist es, niemals zu vergessen, Ihm zu dienen, und ich wünsche mir nur, stets mit Seinen reinen Geweihten zusammenzusein. Mögen mein Geist und meine Handlungen immer Seinem Dienst geweiht sein. Der ungeborene Höchste Persönliche Gott Śrī Kṛṣṇa weiß, daß schon viele große Persönlichkeiten durch übergroßen Reichtum aus ihrer hohen Stellung stürzten. Deshalb gibt der Herr Seinem Geweihten nicht immer Reichtum, selbst wenn dieser Ihn darum bittet. Der Herr trägt achtsam Sorge für Seine Geweihten. Ein Gottgeweihter, der im hingebungsvollen Dienst noch nicht weit fortgeschritten ist, könnte, wenn sich ihm großer Reichtum böte, stürzen, da er sich in der materiellen Welt befindet, und deshalb bietet ihm der Herr keinen Reichtum an. Dies ist ebenfalls ein Zeichen der grundlosen Barmherzigkeit des Herrn gegenüber Seinen Geweihten. Kṛṣṇas erstes Anliegen ist es, Seine Geweihten vor dem Sturz zu bewahren. Er ist wie ein wohlmeinender Vater, der seinem unreifen Sohn nicht viel Geld in die Hand gibt, ihm aber, wenn er erwachsen ist und mit Geld umzugehen weiß, seine ganze Schatzkammer anvertraut.« Der gelehrte brāhmaṇa beschloß, allen Reichtum, den er vom Herrn bekommen hatte, nicht für ausschweifende materielle Befriedigung zu verschwenden, sondern im Dienst des Herrn zu gebrauchen. Er nahm den unverhofften Reichtum zwar an, doch tat er dies in einer entsagungsvollen Haltung und ohne Begehren nach der Befriedigung sinnenhafter Wünsche. So lebte er sehr friedlich mit seiner Frau, indem er alle Möglichkeiten, die der Reichtum ihm bot, als prasāda des Herrn entgegennahm und sich an ihnen erfreute. Er genoß, beispielsweise, vielerlei schöne Speisen, indem er sie dem Herrn opferte und dann als prasāda zu sich nahm. Auch wenn die Gnade des Herrn uns materielle Füllen, wie Reichtum, Ruhm, Macht, Wissen und Schönheit, gewährt, ist es unsere Pflicht, daran zu denken, daß dies alles vom Herrn verliehene Gaben sind und als solche in Seinem Dienst, und nicht zu unserem eigenen Sinnengenuß, verwendet werden müssen. Der gelehrte brāhmaṇa erinnerte sich stets daran, und statt durch den vielen Reichtum Schaden zu leiden, steigerte sich seine Liebe und Zuneigung zu Kṛṣṇa von Tag zu Tag. Materieller Reichtum kann zu Entartung sowie zur Erhebung führen, je nachdem, wie man ihn verwendet. Wenn der Reichtum zur Befriedigung der Sinne mißbraucht wird, führt er zur Entartung, wenn er jedoch im Dienst des Herrn verwendet wird, führt er zur Erhebung. An Śrī Kṛṣṇas Verhalten gegenüber Sudāmā Vipra wird deutlich, daß Sich der Höchste Persönliche Gott sehr über jemanden freut, der die brahmanischen Eigenschaften besitzt. Ein fähiger brāhmaṇa wie Sudāmā Vipra ist von Natur aus ein Geweihter Kṛṣṇas. Daher heißt es: brāhmaṇo vaiṣṇavaḥ – ein brāhmaṇa ist ein Vaiṣṇava. Und manchmal sagt man auch: brāhmaṇaḥ paṇḍitaḥ. Paṇḍita bedeutet soviel wie »hochgelehrter Mensch«. Ein brāhmaṇa darf nicht dumm oder ungebildet sein. Somit gibt es zwei Arten von brāhmaṇas, nämlich die Vaiṣṇavas und die paṇḍitas. Diejenigen, die nur gelehrt sind, sind paṇḍitas, aber noch keine Gottgeweihten oder Vaiṣṇavas. Mit diesen ist Śrī Kṛṣṇa nicht sonderlich zufrieden. Nur die Eigenschaft, ein gelehrter brāhmaṇa zu sein, reicht nicht aus, das Wohlgefallen des Höchsten Persönlichen Gottes zu erwerben. Ein brāhmaṇa sollte nicht nur die Anforderungen erfüllen, die Schriften wie die Śrīmad-Bhāgavad-gītā und das Śrīmad-Bhāgavatam an ihn stellen, sondern er muß auch gleichzeitig ein Geweihter Kṛṣṇas sein. Das vorbildliche Beispiel für einen solchen brāhmaṇa ist Sudāmā Vipra. Er war ein fähiger brāhmaṇa, der keinerlei Anhaftung an irgendeine Form materieller Sinnenfreude besaß, und zugleich ein großer Geweihter des Herrn. Śrī Kṛṣṇa, der Genießer aller Opfer und Bußen, ist einem brāhmaṇa wie Sudāmā Vipra sehr zugetan, und an Seinem Verhalten können wir tatsächlich sehen, wie sehr Er einen solchen brāhmaṇa schätzt. Es bedeutet daher Erreichung der höchsten Stufe menschlicher Vollkommenheit, ein brāhmaṇa-Vaiṣṇava wie Sudāmā Vipra zu werden. Sudāmā Vipra erkannte, daß Śrī Kṛṣṇa, obwohl Er unbezwingbar ist, Sich dennoch von Seinen Gottgeweihten erobern läßt. Ihm wurde bewußt, wie gütig Śrī Kṛṣṇa zu ihm war, und er war ständig in Verzückung, da er unaufhörlich an Ihn dachte. Da er auf diese Weise ständig mit Kṛṣṇa zusammen war, erhellte sich alle Finsternis materieller Verunreinigung, die noch in seinem Herzen übrig war, vollständig, und binnen kurzem wurde er in das spirituelle Königreich, das Ziel aller Heiligen auf der Lebensstufe der Vollkommenheit, erhoben. Śukadeva Gosvāmī erklärt, daß alle, die diese Geschichte von Sudāmā und Śrī Kṛṣṇa hören, erkennen werden, wie sehr Kṛṣṇa brāhmaṇa-Gottgeweihten wie Sudāmā Vipra zugetan ist. Jeder, der diese Geschichte anhört, wird deshalb nach und nach ebenso fähig werden wie Sudāmā und somit in das spirituelle Königreich Śrī Kṛṣṇas gelangen. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 80. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Der brāhmaṇa Sudāmā wird von Śrī Kṛṣṇa gesegnet«. 81. KAPITEL Śrī Kṛṣṇas und Balarāmas Wiedersehen mit den Bewohnern von Vṛndāvana Eines Tages, während Śrī Kṛṣṇa und Balarāma Sich friedlich in ihrer großen Stadt Dvārakā aufhielten, fand das seltene Ereignis einer völligen Sonnenfinsternis statt, wie sie sich auch am Ende jedes kalpas oder Tages Brahmās ereignet. Am Ende jedes kalpas wird die Sonne von einer riesigen Wolke verdeckt, und unaufhörliche Regenfälle überfluten alle niedrigen Planetensysteme bis hinauf zum Svargaloka. Anhand astronomischer Berechnungen konnte man den Leuten die große Sonnenfinsternis ankündigen, worauf alle, Männer sowie Frauen, beschlossen, in Samanta-pañcana, einem heiligen Ort bei Kurukṣetra, zusammenzukommen. Der Pilgerort Samanta-pañcana ist berühmt, weil Śrī Paraśurāma dort große Opfer darbrachte, nachdem Er einundzwanzigmal alle kṣatriyas der Welt besiegt hatte. Als Er alle kṣatriyas erschlagen hatte, vereinigte sich ihr Blut zu einem gewaltigen Strom, worauf Paraśurāma bei Samanta-pañcana fünf große Täler grub und sie mit dem Blut füllte. Paraśurāma gehört zum Viṣṇu-tattva. In der Śrī Īśopaniṣad wird erklärt, daß das Viṣṇu-tattva niemals von Sünden befleckt wird. Dennoch, obwohl Śrī Paraśurāma stets völlige Macht und Unbeflecktheit bewahrt, führte Er, um das Beispiel eines vorbildlichen Charakters zu geben, bei Samanta-pañcana große Opferungen durch, um für Sein scheinbar sündiges Töten der kṣatriyas Buße zu tun. Durch Sein Beispiel machte Paraśurāma deutlich, daß Töten, obwohl manchmal nötig, nichts Gutes ist. Śrī Paraśurāma hielt Sich wegen der sündigen Tat, die die Tötung der kṣatriyas darstellte, für schuldbeladen; um wieviel schuldbeladener müssen dann erst wir sein, wenn wir solch abscheuliche, unzulässige Handlungen begehen? Das Töten von Lebewesen ist seit unvordenklichen Zeiten überall auf der Welt verboten. Alle bedeutenden Persönlichkeiten der damaligen Zeit nahmen die Gelegenheit der Sonnenfinsternis wahr, den heiligen Pilgerort zu besuchen. Einige der Persönlichkeiten, die aufgezählt werden, sind folgende: Unter den Älteren befanden sich Akrūra, Vasudeva und Ugrasena und unter den Jüngeren Gada, Pradyumna, Sāmba und viele andere Angehörige der Yadu-Dynastie, die in der Absicht gekommen waren, ihre Sünden zu sühnen, die sie im Laufe der Zeit bei der Erfüllung ihrer jeweiligen Pflichten auf sich geladen hatten. Weil fast alle Angehörigen der Yadu-Dynastie nach Kurukṣetra zogen, blieben einige bedeutende Persönlichkeiten, wie Aniruddha, der Sohn Pradyumnas, und Kṛtavarmā, der Oberbefehlshaber der Yadus, gemeinsam mit Sucandra, Śuka und Sāraṇa zum Schutz der Stadt in Dvārakā zurück. Alle Angehörigen der Yadu-Dynastie waren bereits von Natur aus von außergewöhnlicher Schönheit, doch als sie mit goldenen Halsketten und Blumengirlanden geschmückt, in kostbare Gewänder gekleidet und wohlversehen mit ihren persönlichen Waffen in Kurukṣetra eintrafen, schien ihre natürliche Schönheit und Würde hundertmal größer. Sie kamen in prächtig verzierten, den Luftfahrzeugen der Halbgötter ähnlichen Wagen, die von stattlichen, sich wie Meereswellen bewegenden Pferden gezogen wurden. Einige ritten auch auf mächtigen, starken Elefanten, die wie am Himmel ziehende Wolken einherschritten, und die Frauen wurden von schönen Männern, die dem Aussehen nach Vidyādharas glichen, in prächtigen Sänften getragen. Die ganze Gesellschaft bot ein so schönes Bild wie eine Versammlung der Halbgötter des Himmels. Nachdem die Yadus in Kurukṣetra eingetroffen waren, nahmen sie ein rituelles Bad, mit aller Beherrschung der Sinne, wie die śāstras es vorschreiben, und fasteten für die ganze Dauer der Sonnenfinsternis, um die Reaktionen auf ihre Sünden zu tilgen. Da es vedischer Brauch ist, während einer Sonnenfinsternis so viele milde Gaben wie möglich zu verteilen, schenkten sie den brāhmaṇas Hunderte von Kühen, die reichlich mit schönen Decken und Gehängen geschmückt waren und als Besonderheit goldene Glöckchen an den Gelenken und um ihre Nacken Blumengirlanden trugen. Sodann nahmen alle Angehörigen der Yadu-Dynastie noch einmal ein Bad in den von Parasurāma geschaffenen Seen und speisten anschließend die brāhmaṇas mit vorzüglich gekochten Speisen, die alle in Butter zubereitet waren. Nach vedischer Lebenskultur gibt es zwei Arten von Speisen; die einen bezeichnet man als Rohkost und die anderen als Gebackenes. Rohkost bedeutet nicht etwa nur rohes Gemüse oder rohes Getreide, sondern auch alles in Wasser Gekochte; Gebackenes dagegen sind Speisen, die mit Ghee (Butterfett) hergestellt werden. Capatis, dhal, Reis und gewöhnliches Gemüse bezeichnet man also, ebenso wie Früchte und Salate, als Rohkost, wohingegen purīs, kacuris, saṅgosas, »Sweetballs« und ähnliche Speisen zu Gebackenem zählen. Alle brāhmaṇas, die von den Angehörigen der Yadu-Dynastie zu der Festlichkeit geladen waren, erhielten in Ghee gebackene Speisen in reichlicher Fülle. Die Zeremonien, die die Angehörigen der Yadu-Dynastie begingen, ähnelten oberflächlich betrachtet den Riten der karmīs. Wenn ein karmī Riten oder Zeremonien vollzieht, tut er dies zum Zwecke der Sinnenbefriedigung, d.h., er verspricht sich von solch frommen Handlungen eine gute Stellung, eine gute Frau, ein gutes Haus, gute Kinder oder viel Reichtum. Der Beweggrund der Angehörigen der Yadu-Dynastie war jedoch ein anderer. Sie wollten Kṛṣṇa ihr unerschütterliches Vertrauen und ihre ewigwährende Hingabe zeigen. Alle Angehörigen der Yadu-Dynastie waren große Gottgeweihte, die nach vielen Leben, während derer ihr karma durch fromme Taten bereichert worden war, die Gunst erhielten, mit Kṛṣṇa Zusammensein zu dürfen. Bei all ihren Tätigkeiten – während sie sich anschicken, an dem Pilgerort ihr Bad zu nehmen, während sie die bei einer Sonnenfinsternis empfohlenen Prinzipien befolgten und während sie die brāhmaṇas speisten – waren sie nur auf Hingabe an Kṛṣṇa bedacht. Ihr verehrter Höchster Herr war Kṛṣṇa, und niemand sonst. Es ist Brauch, daß nach der Speisung der brāhmaṇas der Gastgeber mit deren Erlaubnis selbst prasāda zu sich nimmt, und so nahmen auch die Angehörigen der Yadu-Dynastie, nachdem die brāhmaṇas eingewilligt hatten, ihr Mahl ein. Alsdann suchten sie sich Ruheplätze unter großen schattigen Bäumen, und als sie ausgiebig gerastet hatten, schickten sie sich an, Besucher, wie Verwandte, Freunde und viele Könige und Herrscher unterworfener Länder, zu begrüßen. Unter diesen befanden sich die Herrscher der Provinzen Matsya, Kuru, Uśīara, Kośala, Vidharba, Sṛñjaya, Kāmboja, Kekaya und noch vieler anderer Bezirke und Länder. Einige der Herrscher gehörten zu den Gegnern, andere zu den Freunden der Yadus. Doch von allen waren die Besucher aus Vṛndāvana am wichtigsten. Die Bewohner von Vṛndāvana, deren Führer Nanda Mahārāja war, hatten, getrennt von Kṛṣṇa und Balarāma, in großer Verzweiflung gelebt. Nun nutzten sie das Ereignis der Sonnenfinsternis dazu, Kṛṣṇa und Balarāma, ihr Leben und ihre Seele, wiederzusehen. Die Bewohner von Vṛndāvana waren der Yadu-Dynastie wohlgesinnt; einige waren sogar eng befreundet, und so war die Begegnung der beiden Gemeinschaften nach so langer Zeit der Trennung ein ergreifender Augenblick. Sowohl die Yadus als auch die Bewohner von Vṛndāvana empfanden solche Freude, daß die Begrüßung einem großen Schauspiel glich. Nun, da sie sich nach langer Trennung wiedersahen, erfüllte sie alle Jubel; ihre Herzen schlugen ihnen bis zum Halse, und ihre Gesichter glichen frisch erblühten Lotosblumen. Tränen standen ihnen in den Augen; ihre Körperhaare sträubten sich, und in ihrer großen Seligkeit waren sie für einige Zeit unfähig zu sprechen. Sie versanken in einem Meer des Glücks. Das Willkommen der Frauen war wie das der Männer. Man umarmte sich überaus herzlich und glücklich lächelte man sich an. Bei der Umarmung übertrug sich das Safran des kuṅkuma-Puders auf den Brüsten der Frauen von einer zur anderen, und alle verspürten himmlisches Glück. Während die Tränen der Freude in Strömen flössen, brachten die jüngeren den Älteren ihre Ehrerbietungen dar, und die Älteren segneten die Jüngeren. So begrüßten sie einander und erkundigten sich nach dem gegenseitigen Wohlergehen. Schließlich hatten ihre Gespräche nur noch Kṛṣṇa zum Gegenstand. Alle Nachbarn und Verwandten waren auf irgendeine Weise mit Kṛṣṇas Spielen in dieser Welt verbunden, und deshalb war Kṛṣṇa der Mittelpunkt all ihres Tuns. Jede ihrer Tätigkeiten, ob gesellschaftlicher, politischer, religiöser oder traditioneller Art, war völlig transzendental. Wirklicher Fortschritt im menschlichen Leben beruht auf Wissen und Entsagung. Wie im Śrīmad-Bhāgavatam im Ersten Canto erklärt wird, bringt hingebungsvoller Dienst für Kṛṣṇa ganz allein vollkommenes Wissen und Entsagung mit sich. Die Familienangehörigen der Yadu-Dynastie und die Kuhhirten aus Vṛndāvana richteten ihre Gedanken ständig auf Kṛṣṇa. Das ist das Zeichen wirklichen Wissens, und da sie in Gedanken stets bei Kṛṣṇa weilten, waren sie von allen materiellen Tätigkeiten frei. Diese Lebensstufe wird, wie Śrīla Rūpa Gosvāmī erklärt, yukta-vairāgya genannt. Wissen und Entsagung bedeuten daher nicht trockenes Spekulieren und Entsagungen aller Tätigkeiten. Vielmehr muß man beginnen, nur in Beziehung zu Kṛṣṇa zu handeln und zu sprechen. Bei der Begegnung zu Kurukṣetra trafen sich auch Kuntīdevī und Vasudeva, die Geschwister waren, nach langer Zeit der Trennung wieder, und zwar gemeinsam mit ihren Schwiegersöhnen, Schwiegertöchtern, Frauen, Kindern und anderen Familienangehörigen. Als sie miteinander sprachen, vergaßen sie bald ihre vergangenen Nöte. Kuntīdevī sagte zu ihrem Bruder Vasudeva: »Mein lieber Bruder, auf mir ruht das Unglück, denn nicht ein einziger meiner Wünsche ist jemals in Erfüllung gegangen. Wie sonst wäre es auch möglich gewesen, daß du, obwohl ich in dir einen so frommen Bruder habe, der in jeder Hinsicht vollkommen ist, nicht danach fragtest, wie ich meine Tage in so großem Leid zubrachte.« Ganz offenbar erinnerte sich Kuntīdevī an die leidvolle Zeit, da sie durch die üblichen Pläne Dhṛtarāṣṭras und Dhuryodhanas mit ihren Söhnen in der Verbannung leben mußte. Sie sagte weiter: »Mein lieber Bruder, ich weiß, daß selbst die engsten Verwandten jemanden vergessen, gegen den das Schicksal sich wendet. In einer solchen Lage wird man sogar von seinem Vater, seiner Mutter und den eigenen Kindern vergessen. Deshalb, mein lieber Bruder, mache ich dir keine Vorwürfe.« Vasudeva entgegnete seiner Schwester: »Liebe Schwester, sei nicht traurig und tadele mich bitte nicht auf diese Weise. Wir sollten uns stets vergegenwärtigen, daß wir nur Spielzeuge in den Händen des Schicksals sind. Jeder steht unter der Macht des Höchsten Persönlichen Gottes. Ganz allein unter Seiner Aufsicht finden alle fruchtbringenden Tätigkeiten und ihre Reaktionen statt. Liebe Schwester, du weißt, daß uns König Kaṁsa arg plagte und wir durch seine Verfolgung überallhin vertrieben wurden. Wir waren ständig voller Ängste. Erst vor kurzer Zeit konnten wir durch Gottes Gnade zu unseren Wohnsitzen zurückkehren.« Nach dieser Unterhaltung empfingen Vasudeva und Ugrasena die Könige, die gekommen waren, um sie zu treffen, und hießen sie gebührend willkommen. Als die Besucher sahen, daß auch Kṛṣṇa gekommen war, verspürten sie transzendentale Freude und wurden sehr friedvoll. Einige der bedeutendsten Besucher waren Bhīṣmadeva, Droṇācārya, Dhrtarāṣṭra, Duryodhana, Gāndhārī mit ihren Söhnen, König Yudhiṣṭhira mit seiner Frau, die anderen Pāṇḍavas und Kuntī, Sṛñjaya, Vidura, Kṛpācārya, Kuntibhoja, Virāṭa, König Nagnajit, Purujit, Drupada, Śalya, Dhṛṣṭaketu, der König von Kāśī, Damaghoṣa, der König von Mithilā, der König von Madras (früher als Madra bekannt), der König von Kekaya, Yudhāmanyu, Suśarmā, Bālīka mit seinen Söhnen und viele andere Herrscher, die König Yudhiṣṭhira Untertan waren. Als sie Śrī Kṛṣṇa mit Seinen vielen tausend Königinnen sahen, erfüllte sie angesichts so vieler Schönheit und transzendentaler Fülle völlige Zufriedenheit. Sie alle begaben sich persönlich vor Balarāma und Kṛṣṇa, und nachdem der Herr sie gebührend begrüßt hatte, begannen sie die Abkömmlinge der Yadu-Dynastie, insbesondere Kṛṣṇa und Balarāma, zu preisen. Weil König Ugrasena der König der Bhoja-Dynastie war, galt er auch als der führende Yadu, und deshalb sagten die Besucher zu ihm: »Eure Majestät, Ugrasena, König der Bhojas, die Yadus sind wirklich die einzigen Menschen auf dieser Welt, die in jeder Hinsicht vollkommen sind. Ruhm über euch! Ruhm über euch! Die Besonderheit eurer Vollkommenheit besteht darin, daß ihr ständig Śrī Kṛṣṇa seht, nach dem viele yoga-Mystiker suchen, indem sie sich viele Jahre lang Entsagungen und Bußen unterziehen. Ihr alle seid in jedem Augenblick unmittelbar mit Kṛṣṇa verbunden. Alle vedischen Hymnen preisen Kṛṣṇa, den Höchsten Persönlichen Gott. Das Gangeswasser gilt als heilig, weil es das Wasser ist, das dazu diente, Kṛṣṇas Lotosfüße zu waschen. Die vedischen Schriften sind nichts anderes als Śrī Kṛṣṇas Anweisungen. Das Ziel des Studiums der Veden ist es, Kṛṣṇa zu erkennen; daher haben Śrī Kṛṣṇas Worte und die Erzählungen von Seinen Spielen stets eine läuternde Wirkung. Durch den Einfluß von Zeit und Umständen waren alle Reichtümer dieser Welt fast vollständig aufgebraucht worden, doch mit Kṛṣṇas Erscheinen auf diesem Planeten sind durch die Berührung Seiner Lotosfüße alle glückverheißenden Zeichen wieder erschienen. Durch Seine Anwesenheit gehen nach und nach alle unsere Sehnsüchte und Wünsche in Erfüllung. Ihr, o Majestät, König von Bhoja, seid durch Heiraten und Blutsverwandschaft mit der Yadu-Dynastie verbunden. Infolgedessen seid ihr ständig mit Kṛṣṇa zusammen und könnt Ihn ohne weiteres jederzeit sehen. Śrī Kṛṣṇa bewegt Sich unter euch, spricht mit euch, sitzt mit euch, ruht mit euch und ißt mit euch. Die Yadus scheinen zwar weltlichen Tätigkeiten nachzugehen, die wie man sagt, auf königlichen Straßen zur Hölle führen, doch weil Śrī Kṛṣṇa, der ursprüngliche Höchste Persönliche Gott, der zur Kategorie Viṣṇus gehört und allwissend, allgegenwärtig und allmächtig ist, bei euch weilt, seid ihr alle von der materiellen Verunreinigung befreit und auf der transzendentalen Ebene der Befreiung und des Daseins im Brahman verankert.« Die Einwohner von Vṛndāvana, deren Oberhaupt Mahārāja Nanda war, hatten beschlossen, nach Kurukṣetra zu fahren, als sie davon hörten, daß auch Kṛṣṇa Sich anläßlich der Sonnenfinsternis dort aufhalten werde, und somit waren nun nahezu alle Angehörigen der Yadu-Dynastie versammelt. König Nanda hatte mit seinen Kuhhirten alles nötige Gepäck auf Ochsenwagen geladen, und dann waren alle Bewohner Vṛndāvanas nach Kurukṣetra gezogen, um ihre geliebten Söhne Kṛṣṇa und Balarāma wiederzusehen. Als die Kuhhirten aus Vṛndāvana in Kurukṣetra eintrafen, waren die Yadus alle hocherfreut. Sobald sie die Einwohner von Vṛndāvana erblickten, erhoben sie sich, um sie willkommen zu heißen, und es schien, als seien sie zu neuem Leben erwacht. Beide Seiten hatten sich sehr nach einer Begegnung gesehnt, und als sie sich nun endlich gegenüberstanden, umarmten sie sich nach Herzenslust und hielten sich für lange Zeit umfangen. Als Vasudeva Nanda Mahārāja gewahrte, machte er Luftsprünge und lief auf ihn zu um ihn liebevoll zu umarmen. Vasudeva erzählte, was sich zugetragen hatte, wie er nämlich von König Kaṁsa gefangen genommen wurde, wie seine neugeborenen Kinder getötet wurden, wie er Kṛṣṇa gleich nach der Geburt zum Haus Nanda Mahārājas brachte und wie Kṛṣṇa und Balarāma von Nanda und seiner Königin Yaśodā aufgezogen wurden, als seien sie deren eigene Kinder. Auch Balarāma und Kṛṣṇa umarmten König Nanda und Mutter Yaśodā und brachten ihren Lotosfüßen Ehrerbietungen dar, indem Sie Sich vor ihnen verneigten. Im Überschwang Ihrer liebevollen Gefühle für Nanda und Yaśodā, die denen von Kindern für ihre Eltern glichen, versagte Kṛṣṇa und Balarāma oft die Stimme, so daß Sie Augenblicke ganz stumm waren. Der glückliche König Nanda und Mutter Yaśodā nahmen ihre Söhne auf den Schoß und umarmten Sie innig. Die Trennung von Kṛṣṇa und Balarāma hatten sie beide lange Zeit stark empfunden, nun aber, da sie Sie wiedersahen und umarmten, schwand ihr Leid. Kṛṣṇas Mutter Devakī und Balarāmas Mutter Rohiṇī umarmten auch Mutter Yaśodā und sagten: »Liebe Königin Yaśodādevī, Du und Nanda Mahārāja, ihr seid uns stets gute Freunde gewesen, und sobald wir an euch denken, überkommt uns die Erinnerung an Eure Freundschaft. Wir stehen so tief in eurer Schuld, daß wir euch, selbst wenn wir eure Segnungen mit dem Reichtum des Himmelskönigs vergelten wollten, euer freundschaftliches Verhalten nicht danken könnten. Wir werden niemals eure Güte uns gegenüber vergessen. Kṛṣṇa und Balarāma wurden gleich nach Ihrer Geburt, noch bevor Sie Ihre wirkliche Eltern zu Gesicht bekamen, eurer Obhut anvertraut, und ihr habt Sie wie eure eigenen Kinder aufgezogen und Sie umhegt wie Vögel ihre Jungen im Nest. Ihr habt Sie ernährt, versorgt und geliebt und viele glückbringende Zeremonien zu Ihrem Wohl abgehalten.« »Im Grunde sind diese beiden gar nicht unsere Söhne, sondern gehören euch. Nanda Mahārāja und du, ihr seid die eigentlichen Eltern Kṛṣṇas und Balarāmas. Solange Sie in eurer Obhut lebten, gab es für Sie nicht die geringste Schwierigkeit. Unter eurem Schutz gab es für Sie niemals Anlaß zur Furcht. Die überaus liebevolle Fürsorge, die ihr Ihnen habt zukommen lassen, entspricht ganz eurer hohen Stellung. Wirklich hochherzige Persönlichkeiten machen keinen Unterschied zwischen ihren eigenen Söhnen und den Söhnen anderer, und es kann keine hochherzigeren Persönlichkeiten geben als Nanda Mahārāja und dich. Was nun die gopīs von Vṛndāvana betraf, so kannten sie von Anbeginn ihres Lebens nichts anderes als Kṛṣṇa. Kṛṣṇa und Balarāma waren ihr Leben und ihre Seele, und die gopīs hingen so sehr an Krṣṇa, daß es für sie sogar unerträglich war, Ihn für den Augenblick nicht zu sehen, wenn ihre Augenlider blinzelten und sie am Sehen hinderten. Sie verdammten Brahmā, den Schöpfer des Körpers, daß er so dumm gewesen sei, Augenlider zu machen, die blinzeln und sie davon abhielten, Kṛṣṇa zu sehen. Weil sie von Kṛṣṇa so viele Jahre getrennt gewesen waren, empfanden die gopīs, die mit Nanda Mahārāja und Mutter Yaśodā gekommen waren, höchste Verzückung, als sie Kṛṣṇa jetzt wiedersahen. Man kann sich nicht einmal annähernd vorstellen, wie sehr die gopīs sich danach gesehnt hatten, Kṛṣṇa wiederzusehen. Als sie Ihn nun erblickten, nahmen sie Ihn durch die Augen in ihre Herzen auf und umarmten Ihn nach Herzenslust. Obwohl sie Kṛṣṇa nur in Gedanken in die Arme nahmen, wurden sie so sehr von Seligkeit und Freude überwältigt, daß sie alles um sich herum vergaßen. Die Verzückung, die die gopīs erfuhren, als sie Kṛṣṇa im Geist umarmten, können nicht einmal die großen yogis erreichen, die ständig in Meditation über den Höchsten Persönlichen Gott versunken sind. Kṛṣṇa verstand, daß die gopīs in Ekstase verfielen, als sie Ihn in Gedanken umarmten, und da Er im Herzen eines jeden anwesend ist, erwiderte Er ihre Umarmungen im Innern. Kṛṣṇa saß bei Mutter Yaśodā und Seinen anderen Müttern Devakī und Rohiṇī, doch als sie sich angeregt unterhielten, nahm Er die Gelegenheit war und begab Sich an eine abgelegene Stelle, um Sich dort mit den gopīs zu treffen. Als Er den gopīs entgegenging, begann Er zu lächeln, und nachdem Er sie umarmt und Sich nach ihrem Wohlergehen erkundigt hatte, munterte Er sie auf, indem Er sagte: »Meine lieben Freundinnen, wie ihr wißt, verließen Balarāma und Ich Vṛndāvana nur, um Unseren Verwandten und Familienangehörigen eine Freude zu bereiten. Dann waren Wir lange davon in Anspruch genommen, mit Unseren Feinden zu kämpfen, weshalb Wir gezwungen waren, euch zu vergessen, die ihr mit so viel Liebe und Zuneigung an Mir hängt. Mir ist bewußt, daß Ich damit sehr undankbar gewesen bin, doch weiß Ich, daß ihr dennoch euren Glauben an Mich bewahrt habt. Darf ich euch fragen, ob ihr immer an Uns gedacht habt, obwohl Wir euch verlassen hatten? Oder, Meine lieben gopīs, mißfällt es euch, an Mich zu denken, weil ihr Mich für undankbar haltet? Nehmt ihr Mein schlechtes Betragen sehr ernst? Doch wie es auch sein mag, ihr solltet wissen, daß es nicht Meine Absicht war, euch zu verlassen. Unsere Trennung war eine Fügung der Vorsehung, die ohnehin die höchste Kontrolle ausübt und tut, was ihr beliebt. Sie führt manche Menschen zusammen und trennt sie dann wieder, ganz wie es ihr gefällt. An einem wolkigen Tag kann man beobachten, wie winzige Staubteilchen und zerrissene Baumwollfasern sich im starken Wind miteinander verwirren und, sobald sich der Sturm gelegt hat, wieder voneinander trennen und in verschiedene Richtungen geweht werden. Der Höchste Herr nun ist der Schöpfer alles Bestehenden. Alle Dinge, die wir sehen, sind verschiedene Manifestationen Seiner Energie. Durch Seinen höchsten Willen werden wir manchmal vereint und manchmal voneinander getrennt. Daraus können wir schließen, daß wir letzten Endes völlig von Seinem Willen abhängig sind. Ihr Glücklichen habt liebevolle Zuneigung zu Mir entwickelt, die das einzige ist, wodurch man die transzendentale Ebene der Gemeinschaft mit Mir erreichen kann. Jedes Lebewesen, das solch reine hingebungsvolle Zuneigung zu Mir entwickelt, geht ohne Zweifel am Ende zurück nach Hause, zurück zu Gott. Reines hingebungsvolles Dienen und Zuneigung zu Mir sind die Ursachen höchster Befreiung. Meine lieben gopī-Freundinnen, wisset von Mir, daß es allein Meine Energien sind, die überall wirken. Nehmt zum Beispiel einen irdenen Krug: Er ist nichts weiter als eine Zusammensetzung aus Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther und besteht immer aus den gleichen chemischen Bestandteilen – sowohl am Anfang als auch während seines Bestehens, wie auch nach seiner Vernichtung. Wenn der irdene Krug hergestellt wird, wird er aus Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther gemacht; während er besteht, ist seine Zusammensetzung die gleiche, und wenn er zerbrochen und vergangen ist, bleiben seine Bestandteile in verschiedenen Formen der materiellen Energie existent. In ähnlicher Weise ist bei der Schöpfung der kosmischen Manifestation, während ihrer Erhaltung und nach ihrer Auflösung alles Bestehende nur eine bestimmte Offenbarung Meiner Energie. Und da Meine Energie nicht von Mir getrennt ist, muß man wissen, daß Ich in allem vorhanden bin. Ebenso ist der Körper des Lebewesens nichts weiter als eine Zusammensetzung aus diesen fünf Elementen, und das Lebewesen, das sich in materieller Form verkörpert hat, ist ebenfalls ein Teil Meinerselbst. Das Lebewesen ist nur deshalb in der materiellen Bedingtheit gefangen, weil es die falsche Vorstellung hat, selbst der höchste Genießer zu sein. Diese falsche Ich-Vorstellung des Lebewesens ist die Ursache seiner Gefangenschaft im materiellen Dasein. Als die Höchste Absolute Wahrheit bin Ich transzendental zu den Lebewesen und ihren materiellen Verkörperungen. Die beiden Energien, nämlich die materielle und die spirituelle, wirken unter Meiner höchsten Aufsicht. Meine lieben gopīs, Ich bitte euch alles in philosophischer Haltung hinzunehmen, anstatt bekümmert zu sein. Dann werdet ihr nämlich verstehen, daß ihr immer bei Mir seid, und daß kein Grund zur Klage über eine Trennung von Mir besteht.« Diese wichtigen Unterweisung, die Śrī Kṛṣṇa den gopīs gab, kann von allen Gottgeweihten, die sich im Kṛṣṇa-Bewußtsein beschäftigen, genutzt werden. Die ganze Philosophie beruht auf dem unvorstellbaren gleichzeitigen Eins- und Verschiedensein des Herrn. In der Bhagavad-gītā sagt Kṛṣṇa, daß Er überall in Seinem unpersönlichen Aspekt anwesend ist. Alles ist in Ihm, aber zugleich ist Er nicht persönlich überall gegenwärtig. Die kosmische Manifestation ist nichts weiter als eine Entfaltung von Kṛṣṇas Energie, und weil die Energie vom Energieursprung nicht verschieden ist, unterscheidet sich nichts von Kṛṣṇa. Wenn es uns an diesem absoluten Bewußtsein, dem Kṛṣṇa-Bewußtsein, fehlt, sind wir von Kṛṣṇa getrennt; wenn wir jedoch so glücklich sind, Kṛṣṇa-Bewußtsein entwickelt zu haben, sind wir von Kṛṣṇa nicht getrennt. Der Vorgang des hingebungsvollen Dienens besteht in der Wiedererweckung des Kṛṣṇa-Bewußtseins, und wenn der Gottgeweihte in der glücklichen Lage ist zu verstehen, daß materielle Energie nicht von Kṛṣṇa getrennt ist, vermag er die materielle Energie und ihre Schöpfungen im Dienst des Herrn zu verwenden. Wenn es ihm jedoch an Kṛṣṇa-Bewußtsein mangelt, beansprucht das vergeßliche Lebewesen, obwohl es eigentlich ein Teil Kṛṣṇas ist, zu Unrecht die Stellung des Genießers der materiellen Welt, und da es hierdurch ins Materielle verstrickt wird, zwingt die materielle Energie es, im materiellen Dasein zu bleiben. Dies wird auch in der Bhagavad-gītā bestätigt: Obwohl das Lebewesen von der materiellen Energie zum Handeln gezwungen wird, bildet es sich fälschlich ein, selbst das ein und alles und der höchste Genießer zu sein. Wenn der Gottgeweihte wirklich begreift, daß die arcā-vigraha, die transzendentale Bildgestalt Śrī Kṛṣṇas im Tempel, genau die gleiche sac-cid-ānanda-vigraha ist wie Kṛṣṇa Selbst, wird sein Dienst für die transzendentale Bildgestalt im Tempel zu einem direkten Dienst für den Höchsten Persönlichen Gott. Ebenso wie die Bildgestalt, sind auch der Tempel, die Tempeleinrichtung und die Speisen, die der Bildgestalt geopfert werden, nicht von Kṛṣṇa getrennt. Man muß den Regeln und Vorschriften der ācāryas folgen, und kann so unter höherer Führung Kṛṣṇa schon im materiellen Dasein vollständig erkennen. Nachdem die gopīs von Kṛṣṇa in der Philosophie des gleichzeitigen Eins- und Verschiedenseins unterwiesen worden waren, blieben sie für immer im Kṛṣṇa-Bewußtsein und wurden so von aller materiellen Verunreinigung befreit. Das Bewußtsein eines Lebewesens, das sich fälschlich zum Genießer der materiellen Welt erklärt, wird jīva-kośa genannt, was soviel wie »Gefangensein durch das falsche Ich« bedeutet. Nicht nur die gopīs, sondern jeder, der den besagten Anweisungen Kṛṣṇas folgt, wird sogleich aus der jīva-kośa-Gefangenschaft befreit. Ein Mensch im Kṛṣṇa-Bewußtsein ist stets frei von falscher Selbstsucht; er verwendet alles in Kṛṣṇas Dienst und ist niemals von Kṛṣṇa getrennt. Die gopīs beteten daher zu Kṛṣṇa: »Lieber Kṛṣṇa, aus Deinem Nabel wuchs die ursprüngliche Lotosblume, der Geburtsort Brahmās, des Schöpfers. Niemand kann Deine Herrlichkeit und Deine Füllen ermessen, weshalb sie selbst den nachdenklichsten Menschen, den Meistern aller yoga-Kräfte, immer ein Geheimnis bleiben. Die bedingte Seele, die in den dunklen Brunnen des materiellen Daseins gefallen ist, kann jedoch sehr leicht Schutz bei Deinen Lotosfüßen suchen. Tut sie das, ist ihre Befreiung sicher.« Die gopīs fuhren fort: »Lieber Kṛṣṇa, wir sind ständig mit unseren Familienpflichten beschäftigt. Deshalb bitten wir Dich, wie die aufgehende Sonne in unseren Herzen zu bleiben! Das wäre für uns die allergrößte Segnung.« Die gopīs sind ewig befreite Seelen, denn sie sind völlig Kṛṣṇa-bewußt. Sie gaben nur vor, in Vṛndāvana in Haushaltspflichten gefangen zu sein. Trotz ihrer langen Trennung von Kṛṣṇa begehrten die Einwohner von Vṛndāvana, die gopīs, nicht, dem Herrn in Seine Hauptstadt Dvārakā zu begleiten. Sie wollten weiterhin in Vṛndāvana bleiben und Seine Anwesenheit dort in jedem Augenblick ihres Lebens erfahren. Daher luden sie Śrī Kṛṣṇa ein, nach Vṛndāvana zurückzukommen. Das transzendentale Gefühlsleben der gopīs bildet die Grundlage der Lehre Śrī Caitanyas. Das Ratha-yātrā-Fest, das Śrī Caitanya veranstaltete, stellt das Gefühlserlebnis der gopīs dar, als sie Kṛṣṇa nach Vṛndāvana zurückzuholen versuchten. Śrīmatī Rādhārāṇī lehnte es ab, mit Kṛṣṇa nach Dvārakā zu gehen und sich dort, in einer Umgebung königlichen Reichtums Seiner Gesellschaft zu erfreuen, denn Sie wollte Seine Gesellschaft in der ursprünglichen Umgebung Vṛndāvanas genießen. Śrī Kṛṣṇa verläßt, weil Er so sehr an den gopīs hängt, Vṛndāvana niemals, und deshalb verbleiben die gopīs und die anderen Bewohner Vṛndāvanas ewig völlig zufrieden im Kṛṣṇa-Bewußtsein. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 81. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Śrī Kṛṣṇas und Balarāmas Wiedersehen mit den Bewohnern von Vṛndāvana«. 82. KAPITEL Draupadī begegnet den Königinnen Kṛṣṇas Zu der Versammlung in Kurukṣetra waren viele Besucher eigens gekommen, um Kṛṣṇa zu sehen, wie z. B. auch die Pāṇḍavas, die von König Yudhiṣṭhira angeführt wurden. Nachdem Śrī Kṛṣṇa mit den gopīs gesprochen und ihnen die größten Segnungen erteilt hatte, ging Er zu Yudhiṣṭhira und den übrigen Verwandten, die um Seinetwillen gekommen waren, und begrüßte sie. Er fragte sie als erstes, ob sie in ihren jeweiligen Lebensumständen glücklich seien. Im Grunde kann für jemanden, der Śrī Kṛṣṇas Lotosfüße sieht, von Unglück keine Rede sein. Als Śrī Kṛṣṇa Mahārāja Yudhiṣṭhira aus Höflichkeit dennoch nach dessen Wohlergehen fragte, freute sich der König sehr über die Begrüßung und antwortete: »Mein lieber Śrī Kṛṣṇa, große Persönlichkeiten und Gottgeweihte in völligem Kṛṣṇa-Bewußtsein denken ständig an Deine Lotosfüße und erfreuen sich der größten Zufriedenheit, da sie den Nektar der transzendentalen Glückseligkeit kosten. Der Nektar, den sie immerzu trinken, strömt ihnen bisweilen über und ergießt sich in Form von Berichten über Deine transzendentalen Taten über Zuhörende. Der Nektar, der aus dem Mund eines Gottgeweihten strömt, ist so mächtig, daß jemand, der das Glück hat, ihn zu kosten, sogleich von seiner langen Reise durch Geburten und Tode erlöst wird. Unser materielles Dasein entstand, weil wir Deine Persönlichkeit vergaßen; doch zum Glück lichtet sich die Dunkelheit des Vergessens, sobald man die Möglichkeit genießt, von Deiner Herrlichkeit zu hören. Wie könnte es also für jemanden, lieber Herr, der fortwährend von Deinen ruhmvollen Taten hört, jemals Unglück geben? Weil wir Dir völlig hingegeben sind und keine andere Zuflucht haben als Deine Lotosfüße, sind wir uns unseres Glücks stets gewiß. Mein lieber Herr, Du bist der Ozean unbegrenzten Wissens und transzendentaler Glückseligkeit. Die Folge geistiger Ausschweifungen ist das Dasein in den drei Phasen des materiellen Lebens, nämlich Wachbewußtsein, Schlaf und Tiefschlaf. Doch diese Zustände kann es nicht im Kṛṣṇa-Bewußtsein geben. Diese Reaktionen werden alle durch die Übung im Kṛṣṇa-Bewußtsein außer Kraft gesetzt. Du bist das endgültige Ziel aller befreiten Seelen. Ganz aus Deinem unabhängigen Willen bist Du mit Hilfe Deiner inneren Kraft yoga-māyā auf die Erde gekommen, und um die vedischen Prinzipien des Lebens wieder einzuführen, bist Du scheinbar wie ein gewöhnlicher Mensch erschienen. Weil Du die Höchste Person bist, kann es für jemanden, der sich Dir völlig hingegeben hat, kein Unglück geben.« Während Śrī Kṛṣṇa damit beschäftigt war, die zahlreichen Besucher zu begrüßen, und diese Ihm ihre Gebete darbrachten, nahmen die weiblichen Angehörigen der Kuru- und Yadu-Dynastien die Gelegenheit wahr, zusammenzukommen und über Kṛṣṇas transzendentale Spiele zu sprechen. Die erste Frage richtete Draupadī an Kṛṣṇas Frauen; sie sprach: »Meine liebe Rukmiṇī, Bhadrā, Jāmbavatī, Satyā, Satyabhāmā, Kālindī, Śaibyā, Lakṣmaṇā, Rohiṇī und all ihr anderen Frauen Kṛṣṇas! Würdet ihr uns bitte erzählen, wie euch Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, zu Frauen nahm und euch in Hochzeitszeremonien, die denen gewöhnlicher Menschen glichen, heiratete?« Auf ihre Frage antwortete Rukmiṇī, die führende Königin: »Meine liebe Draupadī, es stand bereits so gut wie fest, daß ich mit Zustimmung von Fürsten wie Jarāsandha und anderen mit Siśupāla verheiratet werden sollte, und wie es bei solchen Anlässen üblich ist, waren alle Fürsten, die der Hochzeit beiwohnen wollten, bereit, gegen jeden Rivalen zu kämpfen, der es wagen sollte, die Heirat zu verhindern. Doch der Höchste Persönliche Gott entführte mich aus ihrer Mitte wie ein Löwe ein Lamm aus einer Schafherde raubt. Dies war allerdings keine außergewöhnliche Tat für Śrī Kṛṣṇa, denn jeder, der behauptet, ein großer Held oder König in dieser Welt zu sein, ist den Lotosfüßen des Herrn Untertan. Alle Könige berührten mit ihren Helmen Kṛṣṇas Lotosfüße. Meine liebe Draupadī, es ist mein ewiger Wunsch, Leben für Leben in Kṛṣṇas Dienst beschäftigt sein zu dürfen, denn Kṛṣṇa ist die Quelle aller Freude und Schönheit. Das ist mein einziger Lebenswunsch, mein einziges Bestreben.« Danach begann Satyabhāmā zu sprechen. Sie sagte: »Meine liebe Draupadī, mein Vater war über den Tod seines Bruders Prasena tief betrübt, und so beschuldigte er Śrī Kṛṣṇa völlig zu Unrecht, seinen Bruder getötet und das Syamantaka-Juwel gestohlen zu haben, das in Wirklichkeit Jāmbavān an sich genommen hatte. Um Seine Lauterkeit zu beweisen, kämpfte Śrī Kṛṣṇa mit Jāmbavān und errang das Syamantaka-Juwel, das Er dann meinem Vater überreichte. Mein Vater war tief beschämt, und es tat ihm sehr leid, Kṛṣṇa die Schuld am Tod seines Bruders gegeben zu haben. Nachdem er das Juwel zurückbekommen hatte, hielt er es für angebracht, seinen Fehler wiedergutzumachen, worauf er mich, obwohl er bereits einem anderen meine Hand versprochen hatte, mitsamt dem Juwel Kṛṣṇas Lotosfüßen darbrachte. Und so wurde ich von Kṛṣṇa als Dienerin und Frau angenommen.« Als nächstes gab Jāmbavatī ihre Erklärung zu Draupadīs Frage: »Meine liebe Draupadī, als Śrī Kṛṣṇa meinem Vater Jāmbavān, den König der ṛkṣas angriff, wußte dieser nicht, daß sein früherer Herr und Meister Rāmacandra, der Gemahl Sītās, vor ihm stand. Ohne zu wissen, wer Śrī Kṛṣṇa war, kämpfte er ohne Unterbrechung siebenundzwanzig Tage mit Ihm. Als er schließlich müde und erschöpft war, wurde ihm klar, daß sein Gegner Śrī Kṛṣṇa, Rāmacandra, sein mußte, da niemand außer Rāmacandra ihn besiegen konnte. Er besann sich daher und händigte Kṛṣṇa nicht nur auf der Stelle das Syamantaka-Juwel aus, sondern gab Ihm auch, um Ihn zu erfreuen, mich zur Frau. So wurde ich mit dem Herrn vermählt, und mein Wunsch, Leben für Leben eine Dienerin Kṛṣṇas sein zu dürfen, ging in Erfüllung.« Daraufhin sagte Kālindī: »Meine liebe Draupadī, ich nahm große Entsagungen und Bußen auf mich, um Kṛṣṇa zum Gemahl zu bekommen. Als Kṛṣṇa dies bemerkte, kam Er in Seiner Güte mit Seinem Freund Arjuna zu mir und nahm mich zur Frau. Kṛṣṇa nahm mich am Ufer der Yamunā mit Sich, und seitdem bin ich als Magd in Seinem Hause tätig. Trotzdem behandelt der Herr mich als Seine Frau.« Die nächste, die sprach, war Mitravindā: »Meine liebe Draupadī, zu meiner svayaṁvara-Zeremonie (Versammlung, bei der die Braut sich ihren Gemahl aussucht) waren viele Fürsten gekommen. Auch Śrī Kṛṣṇa war damals zugegen, und Er nahm mich als Seine Dienerin an, indem Er alle anderen Fürsten dort besiegte. Er brachte mich dann unverzüglich nach Dvārakā, so wie ein Löwe ein erbeutetes Reh von einer Hundemeute wegträgt. Als ich so von Kṛṣṇa entführt wurde, wollten meine Brüder mit ihm kämpfen, doch wurden sie alle besiegt. Auf diese Weise erfüllte sich mein Wunsch, Leben für Leben Kṛṣṇas Dienerin zu werden.« Alsdann sprach Satyā zu Draupadī: »Meine liebe Draupadī, mein Vater ließ zu meiner svayaṁvara eine Versammlung einberufen, und um die Stärke und Heldenhaftigkeit der Bewerber zu erproben, machte es mein Vater zur Bedingung, daß sie, ehe sie mich heiraten durften, mit sieben wilden Stieren kämpfen mußten, die alle lange geschwungene Hörner hatten. Viele Helden, die mich erringen wollten, versuchten die Stiere zu bezwingen, doch unglücklicherweise wurden sie alle schwer verwundet und kehrten als Krüppel nach Hause zurück. Als dann aber Śrī Kṛṣṇa kam und mit den Stieren kämpfte, waren sie für Ihn wie Spielzeugtiere. Er packte sie, zog ihnen einen Strick durch die Nüstern und brachte sie auf diese Weise in Seine Gewalt mit der Leichtigkeit, mit der Kinder kleine Zicklein bändigen. Mein Vater freute sich sehr darüber und vermählte mich mit großem Prunk mit Śrī Kṛṣṇa, wobei er mir als Mitgift viele Soldatenheere, Streitwagen und Elefanten wie auch viele hundert Dienerinnen mitgab. So beschenkt brachte mich Kṛṣṇa in Seine Hauptstadt Dvārakā. Auf dem Rückweg griffen ihn viele Fürsten an, doch Er besiegte sie alle, und so wurde mir die besondere Gunst zuteil, Seinen Lotosfüßen als Magd dienen zu dürfen.« Nach Satyā ergriff Bhadrā das Wort. Sie sagte: »Meine liebe Draupadī, Śrī Kṛṣṇa ist der Sohn meines Onkels mütterlicherseits. Zu meinem Glück gewann ich Zuneigung zu Seinen Lotosfüßen. Als mein Vater meine Gefühle bemerkte, ließ er meine Heirat vorbereiten und bat Śrī Kṛṣṇa, mich zur Frau zu nehmen. Als Mitgift gab er Ihm eine akṣauhiṇī bewaffneter Soldaten, viele Dienerinnen und andere für einen Hofstaat nützliche Gaben. Ich weiß nicht, ob ich Leben für Leben in Kṛṣṇas Obhut verbringen darf, doch bete ich zum Herrn, daß ich, wo auch immer ich geboren werde, niemals meine Beziehung zu Seinen Lotosfüßen vergessen möge.« Alsdann sprach Lakṣmaṇa: »Meine liebe Königin, oft hörte ich den großen Weisen Nārada die transzendentalen Spiele Kṛṣṇas preisen. Als ich dann von Nārada vernahm, daß die Glücksgöttin Lakṣmī voll Zuneigung zu Seinen Lotosfüßen sei, sehnte auch ich mich nach Seinen Lotosfüßen. Seit dieser Zeit mußte ich immerzu an Ihn denken, und so steigerte sich meine Zuneigung zu Ihm immer mehr. Meine liebe Königin, du mußt wissen, daß mich mein Vater sehr liebte. Als er erkannte, daß ich mich zu Kṛṣṇa hingezogen fühlte, ersann er einen Plan. Dieser Plan hatte große Ähnlichkeit mit dem deines Vaters; während meiner svayaṁvara mußte nämlich, wer mein Bräutigam werden wollte, mit seinen Pfeilen die Augen eines Fisches durchbohren. Der Wettkampf bei meiner svayaṁvara unterschied sich insofern von dem bei der deinen, als bei dir der Fisch deutlich sichtbar an der Decke hing, wohingegen er bei mir mit einem Tuch verhüllt war und nur durch das Spiegelbild des Tuches in einem Wasserbecken ausgemacht werden konnte. Das war die Besonderheit meiner svayaṁvara. Die Kunde von dem Wettkampf ging um die ganze Welt, und als die Prinzen davon hörten, kamen sie von überall her in die Hauptstadt meines Vaters; sie waren schwerbewaffnet und wurden von ihren Kampflehrern beraten. Jeder von ihnen begehrte mich zur Frau, und so erhob einer nach dem anderen Bogen und Pfeile, mit deren Hilfe man den Fisch durchbohren mußte. Viele konnten nicht einmal die Bogensehne an den Enden des Bogens befestigen und legten, ohne auch nur versucht zu haben, den Fisch zu durchbohren, den Bogen beiseite und begaben sich von dannen. Anderen gelang es zwar mit Mühe, die Sehne von einem Ende des Bogens zum anderen zu spannen, doch wurden sie, weil sie sie nicht am anderen Ende befestigen konnten, unvermittelt von dem zurückschnellenden Bogen zu Boden geschlagen. Meine liebe Königin, höre mit Staunen, daß bei meiner svayaṁvaṛa-Versammlung viele berühmte Könige und Helden zugegen waren. Einige Helden, wie Jarāsandha, Śiśupala, Bhīmasena, Duryodhana und Karṇa, konnten natürlich den Bogen spannen, doch gelang es ihnen nicht, den Fisch zu durchbohren, da dieser verdeckt war und sie ihn nach dem Spiegelbild nicht erkennen konnten. Arjuna, der gefeierte Held der Pāṇḍavas, war zwar imstande, das Spiegelbild im Wasser richtig zu deuten, aber obgleich er, nachdem er mit aller Sorgfalt gezielt hatte, einen Pfeil auf den Fisch abschoß, traf er ihn nicht an der richtigen Stelle. Sein Pfeil streifte jedoch immerhin den Fisch, und somit erwies er sich als allen anderen Prinzen überlegen. Die Prinzen, die versucht hatten, das Ziel zu treffen, waren enttäuscht, daß ihre Bemühungen fehlgeschlagen waren, und einige der Brautwerber hatten sogar die Zusammenkunft verlassen, ohne auch nur einen Versuch zu unternehmen. Als Śrī Kṛṣṇa dann jedoch zuletzt den Bogen ergriff, spannte Er die Sehne mit einer Leichtigkeit, daß Er einem Kind glich, das mit einem Spielzeug umgeht. Er legte den Pfeil an, und nachdem Er kurz auf das Spiegelbild des Fisches im Wasser geschaut hatte, schoß Er den Pfeil ab, worauf der Fisch getroffen von der Decke fiel. Dieser Sieg Kṛṣṇas ereignete sich mittags zu einem Zeitpunkt, der als bhajit bezeichnet wird und in der Astrologie als glückbringend gilt. In jenem Augenblick ertönte der Ruf »Jaya! Jaya!« überall auf der Welt, und vom Himmel drang das Dröhnen der Trommeln, die von den Himmelsbewohnern geschlagen wurden. Die großen Halbgötter waren außer sich vor Freude und überschütteten die Erde mit Blumen. Unterdessen betrat ich die Kampfarena, und bei jedem Schritt klingelten meine Fußglöckchen ganz lieblich. Ich hatte mich in neue feinste Seidengewänder gekleidet; Blumen schmückten mein Haar, und Kṛṣṇas Sieg hatte mich in ekstatische Freude versetzt, so daß ich überglücklich bezaubernd lächelte. In den Händen trug ich eine goldene Halskette, die juwelenbesetzt war und bisweilen funkelte. Lockiges Haar umrahmte mein Gesicht, das durch den Widerschein meiner vielen Ringe in hellem Glanz erstrahlte. Mit leuchtenden Augen blickte ich zunächst über die anwesenden Prinzen, und als ich meinen Herrn erreichte, legte ich Ihm ganz behutsam die Goldkette um den Hals. Wie ich dir bereits erzählte, fühlte ich mich von Anfang an zu Kṛṣṇa hingezogen, und deshalb empfand ich es als großen Triumph, dem Herrn die Kette umzulegen. Noch während ich sie dem Herrn umhängte, begann laute Musik von mṛdaṅgas, paṭahas, Muschelhörnern, Trommeln, Kesselpauken und anderen Instrumenten, und während die Musiker spielten, begannen geübte Tänzer und Tänzerinnen ihre Kunst vorzuführen, während Sänger herrlich zu singen begannen. Meine liebe Draupadī, als ich Śrī Kṛṣṇa als meinen Gemahl und Er mich als Seine Dienerin annahm, erhoben die enttäuschten Prinzen ein großes Geschrei: Alle waren sie von lüsternen Begierden erregt; doch ohne sie zu beachten, setzte mein Gemahl mich in Seiner vierarmigen Nārāyaṇa-Gestalt auf Seinen Streitwagen, der von vier prächtigen Pferden gezogen wurde. In der Erwartung, daß Ihn die Prinzen angreifen würden, bewaffnete Er Sich zum Kampf und ergriff auch Seinen Bogen Śārṅga, doch da fuhr uns unser berühmter Wagenlenker auch schon, ohne einen Augenblick länger zu warten, Dvārakā entgegen. So entführte mich Kṛṣṇa vor den Augen aller Prinzen geschwind wie ein Löwe, der ein Reh aus einem Rudel fortträgt. Einige der Prinzen wollten uns jedoch aufhalten, und stellten sich uns mit Waffen in den Weg wie Hunde, die versuchen, einen Löwen aufzuhalten. Als Śrī Kṛṣṇa daraufhin mit Seinem Bogen Śārṅga Pfeile auf sie abschoß, wurden einige der Prinzen an der linken Hand getroffen, manche verloren ihre Beine, andere büßten Kopf und Leben ein, und die übrigen flohen. Bald erreichte der Höchste Persönliche Gott Śrī Kṛṣṇa Dvārakā, die berühmteste Stadt im Universum, und erschien dort wie die strahlende Sonne. Zu diesem Anlaß war Dvārakā überreich geschmückt worden. Es gab dort so viele Girlanden, Fahnen und Torbögen, daß nicht ein einziger Sonnenstrahl in die Stadt dringen konnte. Wie ich dir bereits erzählte, liebte mein Vater mich sehr, und daher verschenkte er, als er sah, daß mein Wunsch, Kṛṣṇa zum Gemahl zu bekommen, in Erfüllung gegangen war, in seiner Freude vielerlei Gaben an Seine Freunde und Verwandten, wie kostbare Gewänder, Schmuck, Liegen und Sitzteppiche. Śrī Kṛṣṇa ist stets in Sich Selbst zufrieden. Trotzdem gab Ihm mein Vater aus eigenem Antrieb eine Mitgift, die aus Schätzen, Soldaten, Elefanten, Wagen, Pferden und vielen seltenen und wertvollen Waffen bestand. Diese Geschenke übergab er dem Herrn voll Begeisterung. Meine liebe Königin, damals sagte ich mir, daß ich in meinem vergangenen Leben außergewöhnlich fromme Werke getan haben muß, da ich in meinem jetzigen Leben eine der Dienerinnen im Haus des Höchsten Persönlichen Gottes sein darf.« Als die Königinnen ihre Schilderungen beendet hatten, berichtete Rohiṇī als Vertreterin der übrigen 16100 Königinnen, wie sie Kṛṣṇas Frauen geworden waren. »Meine liebe Königin«, sagte sie, »als Bhaumāsura überall auf der Welt Eroberungszüge unternahm, raubte er, wo immer sich ihm die Möglichkeit bot, uns, die schönen Töchter der Könige, und hielt uns in seinem Palast gefangen. Als Śrī Kṛṣṇa von unserer Gefangenschaft erfuhr, kämpfte Er mit Bhaumāsura und befreite uns. Kṛṣṇa tötete Bhaumāsura samt all seinen Soldaten, und obwohl Er eigentlich nicht eine einzige Frau benötigte, heiratete Er uns auf unser Bitten hin. Meine liebe Königin, unser einziger Vorzug war, daß wir ständig an Kṛṣṇas Lotosfüße dachten, worin der Weg besteht, aus der Gefangenschaft der sich wiederholenden Geburten und Tode befreit zu werden. Meine liebe Königin Draupadī, du kannst uns glauben, daß wir nicht nach materiellem Nutzen, wie einem Königreich, Macht oder einem Leben in himmlischen Freuden, begehren. Wir wollen keine materiellen Freuden genießen, noch wünschen wir uns, die Vollkommenheit des yoga oder die hohe Stellung Brahmās zu erlangen. Auch ersehnen wir keine der verschiedenen Befreiungsarten – weder sālokya noch sārṣṭi, noch sāmīpya, noch sāyujya. Wir fühlen uns zu keinem dieser Reichtümer hingezogen. Unser einziges Verlangen ist es, Leben für Leben die Staubkörnchen, die an Kṛṣṇas Lotosfüßen haften, auf unseren Köpfen tragen zu dürfen. Auch die Glücksgöttin wünschte sich, diesen Staub zusammen mit dem duftenden Safran auf ihrer Brust tragen zu dürfen. Wir sehnen uns nur nach dem Staub, der sich unter Kṛṣṇas Lotosfüßen sammelt, wenn er als Kuhhirte über das Land von Vṛndāvana zieht. Insbesondere die gopīs, aber auch die Hirten und ihre Frauen, wünschen sich stets, Gras und Stroh auf den Straßen Vṛndāvanas zu werden, um als solches von Kṛṣṇas Lotosfüßen berührt zu werden. Meine liebe Königin, wir wünschen uns, Geburt für Geburt ein solches Leben führen zu dürfen, und kennen kein anderes Verlangen.« Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 82. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Draupadī begegnet den Königinnen Kṛṣṇas«. 83. KAPITEL Vāsudevas Opferzeremonien Unter den Frauen, die während der Sonnenfinsternis in Kurukṣetra zugegen waren, befanden sich Kuntī, Gāndhārī, Draupadī, Subhadrā und die Frauen vieler anderer Könige wie auch die gopīs aus Vṛndāvana. Als Kṛṣṇas Königinnen erzählten, wie sie vom Herrn geheiratet worden waren, gerieten die Frauen der Kuru-Dynastie in grenzenloses Erstaunen. Sie bewunderten, mit wieviel Liebe Kṛṣṇas Königinnen an Kṛṣṇa hingen. Als sie hörten, wie stark die Liebe der Königinnen für Kṛṣṇa war, füllten sich ihre Augen unwillkürlich mit Tränen. Während die Frauen in ihre Gespräche vertieft waren und die Männer in die ihrigen, trafen fast alle bedeutenden Weisen und Asketen von überallher ein, um Kṛṣṇa und Balarāma zu sehen. Die berühmtesten unter ihnen waren Kṛṣṇa-dvaipāyana Vyāsa, der große Weise Nārada, Cyavana, Devala, Asita, Viśvāmitra, Śatānanda, Bharadvāja, Gautama und Śrī Paraśurāma mit seinen Schülern, weiterhin Vasiṣṭha, Gālava, Bhṛgu, Pulastya, Kaśyapa, Atri, Mārkaṇḍeya, Bṛhaspati, Dvita, Trita, Ekata, sodann die vier Kumāras, die Söhne Brahmās, nämlich Sanaka, Sanandana, Sanātana und Sanatkumāra, und schließlich Aṅgira und Agastya, Yājñavalkya und Vāmadeva. Bei der Ankunft der Weisen und Asketen erhoben sich alle Könige, auch Mahārāja Yudhiṣṭhira und die Pāṇḍavas und Śrī Kṛṣṇa und Balarāma, sofort von ihren Sitzen und brachten den im ganzen Universum verehrten Weisen ihre Ehrerbietungen dar, indem sie sich vor ihnen verneigten. Die Weisen wurden gebührend begrüßt, indem man ihnen Sitze und Wasser zum Waschen der Füße bot und wohlschmeckende Früchte, Blumengirlanden, Räucherwerk und Sandelholzsalbe reichte, worauf ihnen die Könige, allen voran Kṛṣṇa und Balarāma, nach den vedischen Regeln und Vorschriften ihre Verehrung bezeigten. Als die Weisen ihre bequemen Sitze eingenommen hatten, begann Kṛṣṇa, der zum Schutz des religiösen Lebens auf die Erde gekommen war, im Namen aller Könige zu ihnen zu sprechen. Sobald Kṛṣṇa das Wort erhob, verstummten alle Anwesenden, denn sie waren gespannt, Seine Begrüßungsrede an die Weisen zu hören und zu verstehen. Śrī Kṛṣṇa sagte: »Gepriesen seien die versammelten Weisen und Asketen! Wir alle spüren, daß heute unser Leben seinen Wert gefunden hat. Heute haben wir das ersehnte Ziel des Lebens erreicht, denn wir sehen die ehrwürdigen und befreiten Weisen von Angesicht zu Angesicht, die zu sehen selbst die großen Halbgötter der himmlischen Gefilde sich wünschen. Anfänger im hingebungsvollen Dienen, die nur der Bildgestalt im Tempel ihre Ehrerbietungen darbringen, aber nicht erkennen können, daß der Herr im Herzen eines jeden weilt, und diejenigen, die lediglich die verschiedenen Halbgötter verehren, um sich ihre lustvollen Wünsche erfüllen zu lassen, sind außerstande, die Bedeutsamkeit dieser Weisen zu begreifen. Sie können den Nutzen nicht erfahren, der einem zuteil wird, wenn man diese Weisen empfängt, indem man sie mit den Augen sieht, ihre Lotosfüße berührt, sich nach ihrem Wohlergehen erkundigt oder sie gewissenhaft verehrt.« Anfänger oder Frömmler können die Bedeutung der großen mahātmas nicht verstehen. Sie gehen nur der Form halber zum Tempel und bringen der Bildgestalt dort ihre Ehrerbietungen dar. Erst wenn man zur nächsten Stufe zum Trance-Bewußtsein erhoben worden ist, kann man die Wichtigkeit der mahātmās und Gottgeweihten begreifen, und auf dieser Stufe versucht der Geweihte, sie zu erfreuen. Das war der Grund, weshalb Śrī Kṛṣṇa sagte, die Anfänger könnten die Bedeutung der großen Weisen, Gottgeweihten oder Asketen nicht verstehen. Kṛṣṇa erklärte weiter: »Man kann sich nicht dadurch läutern, daß man nur zu heiligen Pilgerorten zieht und dort sein Bad nimmt oder die transzendentalen Bildgestalten in den Tempeln betrachtet. Hat man jedoch das Glück, einem mahātmā, einem großen Gottgeweihten, zu begegnen, der ein Vertreter des Persönlichen Gottes ist, wird man sogleich gereinigt. Zur Läuterung wird empfohlen, das Feuer, die Sonne den Mond, die Erde, das Wasser, die Luft, den Himmel und den Geist zu verehren. Wenn man alle Elemente und die über sie gebietenden Gottheiten verehrt, kann man vom Einfluß des Neides befreit werden, und selbst die sündhaften Reaktionen eines neidischen Menschen können ohne weiteres getilgt werden, wenn er einfach einer großen Seele dient. Liebe verehrte Weisen, ehrenwerte Könige, wer den materiellen Körper aus den drei Elementen Schleim, Galle und Luft für das Selbst hält, seine Familie und seine Verwandten als zu ihm gehörend betrachtet und materielle Dinge als der Verehrung würdig ansieht, oder jemand, der einen heiligen Pilgerort besucht, um dort nur ein Bad zu nehmen, aber nicht die großen Persönlichkeiten, Weisen und mahātmās aufsucht - eine solche Person ist selbst in der Form eines Menschen nichts als ein Tier, genau wie ein Esel.« Als die höchste Autorität, Śrī Kṛṣṇa, mit großem Ernst diese Worte sprach, verharrten alle Weisen und Asketen in tiefem Schweigen. Es wunderte sie sehr, den Herrn so direkt die absolute Philosophie des Lebens aussprechen zu hören. Wenn man nicht wirklich im Wissen fortgeschritten ist, hält man den Körper für das Selbst, seine Familienangehörigen für Freunde und Verwandte und sein Geburtsland für verehrenswert. Aus dieser Lebensvorstellung ist die neuzeitliche Ideologie des Nationalismus hervorgegangen. Śrī Kṛṣṇa aber verurteilte derartige Auffassungen wie auch die Menschen, die sich die Mühe machen, zu den heiligen Pilgerstätten zu gehen, um dann nur ein Bad zu nehmen und zurückzukehren, ohne die großen Gottgeweihten und mahātmās, die dort leben, besucht zu haben. Solche Menschen werden mit dem dümmsten Tier, dem Esel, verglichen. Alle, die Kṛṣṇa zuhörten, dachten eine Zeitlang über Seine Worte nach und kamen dann zu dem Schluß, daß Śrī Kṛṣṇa wirklich der Höchste Persönliche Gott sei, der die Rolle eines gewöhnlichen Sterblichen spielte, der gezwungen ist, als Folge seiner früheren Handlungen einen bestimmten Körper anzunehmen. Kṛṣṇa spielte diese Rolle nur, weil Er die Allgemeinheit lehren wollte, wie sie leben sollte, um die Bestimmung des menschlichen Lebens in vollkommener Weise zu erfüllen. Als die Weisen erkannt hatten, daß Śrī Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist, richteten sie folgende Worte an Ihn: »Lieber Herr, man erwartet von uns, daß wir, als Führer der menschlichen Gesellschaft, die rechte Lebensphilosophie haben, und doch werden wir durch den Einfluß Deiner äußeren Energie verwirrt. Uns versetzt Dein Verhalten in Erstaunen, das wie das eines gewöhnlichen menschlichen Wesens anmutet und Deine wahre Identität als der Höchste Persönliche Gott verbirgt, und so sind Deine Spiele für uns höchst wundersam. »Lieber Herr, wie die Erde zahllose unterschiedliche Steine und Bäume und viele andere Dinge mit den verschiedensten Namen und Formen hervorbringt und dennoch die gleiche bleibt, so erschaffst, erhältst und vernichtest Du durch Deine Energie die gesamte kosmische Manifestation der verschiedenen Namen und Formen. Doch obwohl Du durch Deine Energien die verschiedensten Manifestationen hervorbringst, wirst Du von diesen Vorgängen nicht berührt. Lieber Herr, wir staunen nur immer wieder über Deine wundervollen Taten. Obwohl Du transzendental zur gesamten materiellen Manifestation und der Höchste Herr und die Überseele in allen Lebewesen bist, erscheinst Du dennoch durch Deine innere Energie auf der Erde, um Deine Geweihten zu beschützen und die Schurken zu vernichten. Bei Deinem Erscheinen erneuerst Du die Prinzipien der ewigen Religion, die die menschliche Gesellschaft durch ihre lange Verbindung mit der materiellen Energie vergessen hat. Lieber Herr, Du bist der Schöpfer der gesellschaftlichen Einteilungen und spirituellen Lebensstufen der Menschen, die sich nach Eigenschaften und Tätigkeiten richten, und wenn diese Bestimmungen von gewissenlosen Menschen mißbraucht werden, erscheinst Du und stellst die Ordnung wieder her. »Lieber Herr, das vedische Wissen ist eine Manifestation Deines reinen Herzens. Entsagungen, das Studium der Veden und die Stufen der Trance in der Meditation führen zu unterschiedlichen Erkenntnissen Deinerselbst in Deinen manifestierten und unmanifestierten Aspekten. Die gesamte Erscheinungswelt ist eine Manifestation Deiner unpersönlichen Energie; doch als der ursprüngliche Persönliche Gott bist Du nicht in ihr manifestiert. Du bist die höchste Seele, das Höchste Brahman. Menschen, die der brahmanischen Kultur ernsthaft folgen, können daher die Wahrheit über Deine transzendentale Gestalt verstehen, weshalb Du stets die brāhmaṇas ehrst. Du wirst als der größte Vertreter der brahmanischen Kultur angesehen, und deshalb bist Du auch als brahmaṇya-deva bekannt. Lieber Herr, Du bist die letztliche Vollendung allen Glücks und die letzte Zuflucht aller Heiligen; deshalb glauben wir durch unsere Begegnung mit Dir die Vollkommenheit unseres Lebens, unserer Bildung, unsrer Bußen und der Aneignung transzendentalen Wissens erlangt zu haben. In der Tat bist du das Ziel aller transzendentalen Errungenschaften. »Lieber Herr, Dein unbegrenztes Wissen kennt kein Ende. Deine Gestalt ist transzendental und besteht ewig in völliger Glückseligkeit und vollkommenem Wissen. Du bist der Höchste Persönliche Gott, das Höchste Brahman und die Höchste Seele. Durch Deine innere Kraft, yoga-māyā, verbirgst Du gegenwärtig vorübergehend Deine unbegrenzten Kräfte, aber wir erkennen trotzdem Deine hohe Stellung und erweisen Dir deshalb unsere achtungsvollen Ehrerbietungen. Lieber Herr, Du erfreust Dich Deiner Spiele in der Rolle eines gewöhnlichen Menschen und verbirgst dabei Dein wirkliches Wesen, das voll transzendentaler Füllen ist. Demzufolge können alle hier anwesenden Könige, selbst die Abkömmlinge der Yadu-Dynastie, die ständig mit Dir verkehren, mit Dir essen und mit Dir zusammensitzen, nicht erkennen, daß Du die ursprüngliche Ursache aller Ursachen, die Überseele in allen Lebewesen und die ursprüngliche Ursache aller Schöpfung bist. »Wenn ein Mensch des Nachts träumt, hält er die eingebildeten Traumbilder für Realität und glaubt, der imaginäre Traumkörper sei sein wirklicher Körper. Für die Dauer des Traumes vergißt er, daß er im Wachzustand einen anderen als den in seiner Einbildung entstandenen Körper, einen wirklichen Körper, besitzt. In ähnlicher Weise hält die verwirrte bedingte Seele auch im Wachzustand Sinnengenuß für wirkliches Glück. »Durch ihr Bemühen, die Sinne des materiellen Körpers zu genießen, wird die spirituelle Seele bedeckt und ihr Bewußtsein materiell verunreinigt. Und weil sie ein materielles Bewußtsein hat, kann sie den Höchsten Persönlichen Gott Kṛṣṇa nicht verstehen. Alle großen yoga-Mystiker sind bestrebt, ihr Kṛṣṇa-Bewußtsein durch die fortgeschrittene Ausübung des yoga-Vorgangs wiederzuerwecken, und erkennen so schließlich Deine Lotosfüße, worauf sie über Deine transzendentale Gestalt zu meditieren beginnen. So werden die in ihnen durch ihre Sünden angehäuften Reaktionen ausgelöscht. Man sagt, das Wasser des Ganges könne eine große Anzahl von Sünden tilgen; es ist jedoch nur ruhmvoll, weil es von Deinen Lotosfüßen kommt. Das Gangeswasser ist der Schweiß, der von Deinen Lotosfüßen fließt, o Herr, und wir können uns so glücklich schätzen, heute die Gelegenheit zu haben, diese Deine heiligen Lotosfüße wahrzunehmen. Lieber Herr, wir alle sind Dir hingegebene Seelen, Geweihte Deiner Herrlichkeit, bitte sei deshalb so gütig und erweise uns Deine grundlose Gnade. Wir wissen sehr wohl, daß Menschen, die durch unablässige Betätigung in Deinem hingebungsvollen Dienst befreit worden sind, nicht mehr von den Erscheinungsweisen der materiellen Natur verunreinigt werden; damit erfüllen sie die Voraussetzung, in das Königreich Gottes in der spirituellen Welt erhoben zu werden.« Als die Weisen Śrī Kṛṣṇa ihre Gebete dargebracht hatten, wollten sie sich von König Dhṛtarāṣṭra und König Yudhiṣṭhira die Erlaubnis geben lassen, zu ihren jeweiligen āśramas zurückkehren zu dürfen. Doch da wandte sich Vasudeva, der Vater Śrī Kṛṣṇas, der berühmteste aller frommen Menschen, an die Weisen und erwies ihnen mit großer Demut seine Achtung, indem er ihnen zu Füßen fiel. Vasudeva sagte: »Meine lieben erhabenen Weisen, ihr werdet noch mehr geehrt als die Halbgötter, und deshalb bringe ich euch meine Ehrerbietungen dar. Ich wünsche mir, daß ihr mir, wenn es euch so beliebt, meine einzige Bitte erfüllt. Ich sähe es als eine große Segnung für mich an, wenn ihr so gütig wäret, mir die höchste fruchtbringende Tätigkeit zu erklären, durch die man die Reaktionen auf alle anderen Tätigkeiten beseitigen kann.« Da der große Weise Nārada Muni der Führer aller anwesenden Weisen war, ergriff er das Wort: »Meine lieben Weisen«, sprach er, »es ist durchaus verständlich, daß Vasudeva, der der Vater des Höchsten Persönlichen Gottes wurde, indem er Kṛṣṇa als seinen Sohn annahm, wegen seiner Güte und Einfachheit den Wunsch verspürt, uns zu seinem Wohl eine Frage zu stellen. Man sagt nicht umsonst, daß Vertraulichkeit Geringschätzung mit sich bringt. Weil Vasudeva Kṛṣṇa zum Sohn hat, behandelt er Ihn nicht mit Ehrfurcht und Scheu. Manchmal kann man beobachten, daß Menschen, die am Gangesufer leben, den Ganges für nicht so wichtig erachten und einen weiten Weg zurücklegen, um an einem entfernten Pilgerort zu baden. Weil Śrī Kṛṣṇa, dessen Wissen niemals seinesgleichen hat, höchst persönlich bei ihm ist, hat Vasudeva es eigentlich nicht nötig, uns um Unterweisung zu bitten. »Śrī Kṛṣṇa wird von den Vorgängen der Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung nicht berührt; Sein Wissen wird von keiner fremden Kraft beeinflußt. Er wird nicht durch die Wechselwirkungen der materiellen Eigenschaften gestört, die die Dinge im Laufe der Zeit verändern. Seine transzendentale Gestalt ist voller Wissen, das niemals durch Unwissenheit, Stolz, Anhaftung, Neid oder Sinnengenuß verunreinigt wird. Sein Wissen ist niemals den Gesetzen des karma im Hinblick auf fromme oder gottlose Handlungen unterworfen, noch wird es von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Energie beeinflußt. Niemand ist größer als Er oder kommt Ihm gleich, denn Er ist die höchste Autorität, der Persönliche Gott. »Der gewöhnliche bedingte Mensch mag denken, die bedingte Seele, die von den materiellen Sinnen, dem Gemüt und der Intelligenz überdeckt ist, komme Kṛṣṇa gleich. In Wirklichkeit aber ist Kṛṣṇa wie die Sonne, die nie von Wolken, Schnee, Nebel oder anderen Planeten verhüllt wird, auch wenn es manchmal den Anschein hat. Wenn die Sicht einfältiger Menschen von solchen Einflüssen verdeckt wird, halten sie die Sonne für unsichtbar. In ähnlicher Weise können auch Menschen, die unter dem Einfluß der Sinne stehen und dem materiellen Sinnengenuß verfallen sind, kein klares Bild vom Höchsten Persönlichen Gott haben.« Die Weisen schickten sich nun an, Vasudeva in Gegenwart Kṛṣṇas, Balarāmas und vieler anderer Könige ihre Unterweisung vorzutragen, wie er es gewünscht hatte. Sie sprachen zu ihm: »Um die Reaktionen des karma, d. h. die Wünsche, durch die man zu fruchtbringendem Tun gezwungen wird, zu überwinden, muß man mit Glauben und Hingabe die vorgeschriebenen Opfer vollziehen, die zur Verehrung Śrī Viṣṇus bestimmt sind. Śrī Viṣṇu ist der Genießer der Ergebnisse aller Opferhandlungen. Große Persönlichkeiten und Weise, die so viel Erfahrung gesammelt haben, daß sie Einsicht in die drei Phasen des Zeitelementes, nämlich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, haben, und jene, die imstande sind, aus der Sicht der offenbarten Schriften alles im richtigen Licht zu sehen, empfehlen einmütig, daß man Śrī Viṣṇu erfreuen muß, um den Staub der materiellen Verunreinigung, der sich im Herzen angesammelt hat, fortzuwaschen und den Pfad der Befreiung zu ebnen und hierdurch transzendentale Glückseligkeit zu erlangen. Jedem Haushälter, ob er zur Klasse der brāhmaṇas, kṣatriyas oder vaiśyas gehört, wird die Verehrung Śrī Viṣṇus, des Höchsten Persönlichen Gottes, der auch als Puruṣottama, die ursprüngliche Person, bekannt ist, als der einzig glückverheißende Pfad empfohlen. »Alle bedingten Seelen in der materiellen Welt hegen den tiefverwurzelten Wunsch, über die Reichtümer der materiellen Natur zu herrschen. Jeder möchte materielle Güter horten, das Leben genießen, Frau, Haus und Kinder haben, glücklich in der materiellen Welt leben und im nächsten Leben auf die himmlischen Planeten gelangen. Doch diese Wünsche sind die Ursache des Gefangenseins in der materiellen Welt. Um aus dieser Gefangenschaft befreit zu werden, muß man seinen ehrlich verdienten Besitz Viṣṇu zu Seiner Zufriedenheit opfern. Sich dem hingebungsvollen Dienst für Śrī Viṣṇu zu widmen, ist der einzige Weg, alle materiellen Wünsche zu bezwingen. Auf diese Weise sollte ein selbstbeherrschter Mensch, selbst wenn er als Haushälter lebt, die drei Arten materieller Wünsche aufgeben, nämlich den Wunsch, materielle Güter zu besitzen, den Wunsch, sich an Frau und Kindern zu erfreuen, und den Wunsch, höhere Planeten zu erreichen. Zuletzt sollte er dann sein Haushälterleben aufgeben und in den Lebensstand der Entsagung eintreten, um sich so völlig im hingebungsvollen Dienst für den Herrn zu beschäftigen. Jeder, selbst wenn er unter höheren Lebensbedingungen, nämlich als brāhmaṇa, kṣatriya oder vaiśya, geboren wurde, steht zweifellos in der Schuld der Halbgötter, Weisen, Vorfahren, Lebewesen im allgemeinen usw., und um diese Schuld zu begleichen, muß man Opfer darbringen, die vedischen Schriften studieren und in einem religiösen Haushälterleben Kinder zeugen. Wenn man in den Lebensstand der Entsagung eintritt, ohne diese Schuld beglichen zu haben, wird man mit Sicherheit wieder von seiner Stufe herunterfallen. Du hast bereits deine Schuld gegenüber den Vorfahren und Weisen getilgt. Wenn du nun auch noch Opfer darbringst, kannst du dich auch von deiner Schuld gegenüber den Halbgöttern befreien und dann völlige Zuflucht beim Höchsten Persönlichen Gott suchen. Lieber Vasudeva, du hast in deinen früheren Leben gewiß viele fromme Werke getan. Wie sonst hättest du der Vater Kṛṣṇas und Balarāmas, des Höchsten Persönlichen Gottes, werden können?« Nachdem der fromme Vasudeva allen Weisen zugehört hatte, brachte er ihren Lotosfüßen seine Ehrerbietungen dar. Er erfreute damit die Weisen und bat sie dann, die yajñas zu vollziehen. Als sie somit zu Opferpriestern bestimmt worden waren, erteilten die Weisen Vasudeva die Anweisung, für die zur Durchführung der yajñas an der Pilgerstätte benötigten Dinge zu sorgen. So wurde Vasudeva dazu bewegt, alsbald mit den yajñas zu beginnen. Als erstes nahmen die Mitglieder der Yadu-Dynastie ein Bad, kleideten sich prächtig, legten herrlichen Schmuck an und bekränzten sich mit Girlanden aus Lotosblumen. Dann gingen Vasudevas Frauen, angetan mit schönen Gewändern, Schmuckstücken und goldenen Halsketten, mit den für die Opfer erforderlichen Weihegaben zur Opferstätte. Als alles bereit war, ertönten mṛdaṅgas, Muschelhörner, Kesselpauken und andere Musikinstrumente, während Tänzer und Tänzerinnen ihre Kunst zu zeigen begannen. Die sūtas und māgadhas, berufsmäßige Sänger, sangen Gebete, und auch die Gandharvas und ihre Frauen mit ihren lieblichen Stimmen ließen viele glückverheißende Lieder vernehmen. Vasudeva beträufelte sich die Augen mit Augenwasser, rieb den Körper mit Butter ein und nahm dann mit seinen achtzehn Frauen, unter ihnen Devakī als erste, vor den Priestern Platz, um sich durch die abhiṣeka-Zeremonie läutern zu lassen. Solche Zeremonien wurden genau nach den Anweisungen der Schriften vollzogen, wie man es früher im Falle des Mondes mit den Sternen getan hatte. Weil Vasudeva für das Opfer eingeweiht werden sollte, hatte er sich ganz in Hirschhaut gekleidet, doch seine Frauen trugen alle kostbare saris, dazu Armreifen, Halsketten, Fußglöckchen, Ohrringe und anderen Schmuck. Vasudeva sah inmitten seiner Frauen so schön aus wie der König des Himmels, wenn er solche Opferzeremonien abhält. Als Śrī Kṛṣṇa und Balarāma unterdessen in Begleitung Ihrer Frauen, Kinder und anderer Verwandten an der großen Opferstätte Platz nahmen, war zu verspüren, daß der Höchste Persönliche Gott mit all Seinen ewigen Teilen, den Lebewesen, und Seinen mannigfachen Energien gegenwärtig war. Wir haben aus den śāstras gehört, daß Kṛṣṇa mannigfache Energien und Teile besitzt, doch damals, an jener Opferstätte, konnten alle Anwesenden die ewige Existenz des Höchsten Persönlichen Gottes mit Seinen verschiedenen Energien tatsächlich wahrnehmen. Śrī Kṛṣṇa erschien damals als Nārāyaṇa und Balarāma als Saṅkarṣaṇa, dem Ursprung aller Lebewesen. Vasudeva beging zu Śrī Viṣṇus Zufriedenheit Opfer wie jyotiṣṭoma, darṣa und pūrṇaṁāsa. Einige dieser yajñas bezeichnet man als prākṛta und andere als sauryasatra oder vaikṛta. Anschließend wurden auch die agnihotra-Opferungen vollzogen, wobei man darauf achtete, daß die vorgeschriebenen Gaben auf rechte Weise dargebracht wurden. Durch all dies wurde Śrī Viṣṇu erfreut. Der Sinn aller Opferdarbringungen liegt darin, Śrī Viṣṇu zu erfreuen. Doch in unserem Zeitalter, dem Kali-yuga, ist es äußerst schwierig, die für solche Opfer notwendigen Dinge zu bekommen. Die Menschen haben weder die Mittel, die erforderlichen Opfergaben zu beschaffen, noch verfügen sie über das notwendige Wissen, noch haben sie überhaupt die Neigung, solche Opfer durchzuführen. Daher wird für das Kali-yuga, in dem die Menschen äußerst bemitleidenswert sind und von Ängsten und Nöten verschiedener Art geplagt werden, nur ein Opfer, und zwar der saṅkīrtana-yajña, empfohlen. Śrī Kṛṣṇa Caitanya durch den saṅkīrtana-yajña zu verehren, ist der einzig empfohlene Vorgang für das gegenwärtige Zeitalter. Nach Durchführung der Opferungen gab Vasudeva den Priestern Reichtümer, Gewänder, Schmuck, Kühe, Ländereien und Dienerinnen. Dann nahmen Vasudevas Frauen ihr avabhṛta-Bad und vollzogen den Teil des Opfers, der als patnīsaṁyāja bezeichnet wird. Als sie auch dieses Opfer mit allem, was dazu erforderlich ist, beendet hatten, badeten sie alle gemeinsam in den Seen, die von Paraśurāma angelegt wurden und als Rāma-hrada bekannt sind. Nach dem Bad wurden schließlich die Gewänder und Schmuckstücke, die Vasudeva und seine Frauen während des Opfers getragen hatten, an die Untergebenen verteilt, die gesungen, getanzt oder ähnliches beigetragen hatten. Hier sei angemerkt, daß mit der Durchführung von Opfern unbedingt eine reichliche Verteilung von Gaben einhergehen muß. Gleich zu Anfang werden den Priestern und brāhmaṇas Spenden dargeboten, und nach dem Opfer werden den untergebenen Helfern die getragenen Gewänder und Schmuckstücke geschenkt. Als Vasudeva und seine Frauen, angetan mit neuen Gewändern und Schmuck, den Sängern und Vortragskünstlern die in der Zeremonie verwendeten benutzten Dinge geschenkt hatten, gaben sie jedem reichlich zu essen – von den brāhmaṇas bis hinunter zu den Hunden. Danach versammelten sich alle Freunde, Familienangehörigen und alle Frauen und Kinder Vasudevas und auch alle Könige und Bürger der Vidarbha-, Kośala-, Kuru-, Kāśī-, Kekaya- und Sṛñjaya-Dynastie. Die Priester, Halbgötter, gewöhnlichen Menschen, Vorfahren, Geister und Cāranas wurden daraufhin alle mit großzügigen Geschenken und achtungsvollen Verehrungen bedacht. Schließlich baten die Versammelten Śrī Kṛṣṇa, den Gemahl der Glücksgöttin, um Erlaubnis, sich verabschieden zu dürfen, und während sie die Vollkommenheit der von Vasudeva dargebrachten Opfer priesen, machten sie sich auf den Heimweg. König Dhṛtarāṣṭra, Vidura, Yudhiṣṭhira, Bhīma, Arjuna, Bhīṣmadeva, Droṇācārya, Kuntī, Nakula, Sahadeva, Nārada, Vyāsadeva und viele andere Verwandte und Nahestehende empfanden, als sie im Begriff waren aufzubrechen, das Gefühl des Abschiedsschmerzes und umarmten deshalb jedes einzelne Mitglied der Yadu-Dynastie voller Herzlichkeit. Mit ihnen brachen auch viele andere Besucher auf, die der Opferung beigewohnt hatten. Als sie gegangen waren, überreichten Kṛṣṇa und Balarāma wie auch König Ugrasena den Einwohnern von Vṛndāvana, die von Mahārāja Nanda und den Kuhhirten angeführt wurden, viele Geschenke, um sie zu erfreuen und zu verehren. Und weil die Einwohner von Vṛndāvana und die Yadus eine so enge Freundschaft verband, verweilten sie noch geraume Zeit gemeinsam in Kurukṣetra. Nach den Opferzeremonien fühlte sich Vasudeva in seiner Zufriedenheit überaus glücklich. Alle Mitglieder seiner Familie waren bei ihm, und in ihrer Gegenwart faßte er Nanda Mahārāja bei den Händen und sprach zu ihm: »Mein lieber Bruder, der Höchste Persönliche Gott hat starke Fesseln geschaffen, die als die Bande der Liebe und Zuneigung bekannt sind. Ich glaube, es fällt selbst den großen Weisen und Heiligen schwer, diese Bande der Liebe zu durchtrennen. Lieber Bruder, du hast mir gegenüber so viel Liebe bewiesen, wie ich sie in keiner Weise erwidern konnte. Ich habe daher das Gefühl, sehr undankbar zu sein. Du hast dich genau so verhalten, wie es einem Heiligen ansteht; ich werde mich dir niemals wirklich erkenntlich zeigen können. Ich habe nichts, womit ich dein Verhalten als echter Freund vergelten könnte. Nichtsdestoweniger vertraue ich darauf, daß das Band der Liebe, das uns miteinander verbindet, niemals zerreißen wird. Unsere Freundschaft muß, obwohl ich nicht imstande bin, sie dir zu lohnen, für immer bestehen bleiben. Ich kann nur hoffen, daß du mir meine Unfähigkeit verzeihst. »Mein lieber Bruder, früher konnte ich dir, weil ich im Kerker saß, nie als Freund dienen, und obwohl es mir im Augenblick sehr gut geht, kann ich dich auch jetzt nicht in rechter Weise zufriedenstellen, denn ich bin nun durch meinen materiellen Wohlstand blind geworden. Lieber Bruder, du bist so zuvorkommend und freundlich, daß du allen anderen Ehre erweist, doch niemals nach eigener Ehre trachtest. Ein Mensch, der glückverheißende Fortschritte im Leben machen will, darf nicht zuviel materiellen Wohlstand besitzen, der ihn nur blind und hochmütig macht, sondern sollte an seine Freunde und Verwandten denken.« Als Vasudeva so zu Nanda Mahārāja sprach, bewegte ihn ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit für König Nandas Freundschaft und die Wohltat, die dieser ihm erwiesen hatte, weshalb sich seine Augen mit Tränen füllten und er zu weinen begann. Weil Nanda Mahārāja seinem Freund Vasudeva eine Freude machen wollte, und er Kṛṣṇa und Balarāma so sehr liebte, verbrachte er noch drei Monate in ihrer Gesellschaft. Als dann die Zeit des Abschieds nahte, bemühten sich die Abkömmlinge der Yadu-Dynastie, die Bewohner von Vṛndāvana noch einmal mit allem, was ihr Herz begehrte, zu erfreuen. Die Yadus wollten Nanda Mahārāja und seinen Gefährten eine besondere Freude machen und beschenkten sie fürstlich mit Gewändern, Schmuck und vielen anderen Gaben. Vasudeva, Ugrasena, Śrī Kṛṣṇa, Śrī Balarāma, Uddhava und alle anderen Mitglieder der Yadu-Dynastie überreichten Nanda Mahārāja und seinen Gefährten ihre persönlichen Gaben, und mit diesen Abschiedsgeschenken gesegnet machte sich Vasudeva mit seinen Gefährten auf den Weg nach Vrajabhūmi in Vṛndāvana. Ihre Gedanken blieben jedoch bei Kṛṣṇa und Balarāma, und sie machten daher die Rückreise ohne ihre Gedanken. Als die Mitglieder der Vṛṣṇi-Dynastie ihre Freunde und Besucher scheiden sahen, bemerkten sie, daß die Regenzeit herannahte, und daher beschlossen sie, nach Dvārakā zurückzukehren. Sie waren völlig zufrieden, denn sie betrachteten Kṛṣṇa als ihr ein und alles. In Dvārakā angekommen erzählten sie voll Anerkennung von Vasudevas Opferzeremonie und berichteten von dem Wiedersehen mit ihren Freunden und Gönnern und vielen anderen Dingen, die sich auf der Reise zu den Pilgerorten ereignet hatten. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 83. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Vasudevas Opferzeremonien«. 84. KAPITEL Śrī Kṛṣṇa unterweist Vasudava in spirituellem Wissen und bringt Devakī ihre sechs toten Söhne zurück Es ist ein vedischer Brauch, daß die jüngeren Mitglieder der Familie jeden Morgen den älteren Persönlichkeiten ihre Achtung erweisen. Die Kinder oder Schüler sind gehalten, insbesondere am Morgen den Eltern bzw. dem geistigen Meister ihre Ehrerbietungen darzubringen. Auch Śrī Kṛṣṇa und Balarāma befolgten dieses vedische Prinzip und pflegten Ihrem Vater Vasudeva und seinen Frauen Ihre Ehrerbietungen zu erweisen. Als Kṛṣṇa und Balarāma eines Tages, nach der Rückkehr von den Opferzeremonien in Kurukṣetra, zu Vasudeva gingen, um ihm Ihre Ehrerbietungen darzubringen, nahm Vasudeva die Gelegenheit wahr, die Erhabenheit seiner beiden Söhne zu preisen. Vasudeva war von den großen Weisen, die an dem Pilgerort zusammengekommen waren, die Möglichkeit gegeben worden, Kṛṣṇas und Balarāmas hohe Stellung zu begreifen. Nicht nur hörte er von den großen Weisen, sondern er hatte schon mehrfach selbst tatsächlich erlebt, daß Kṛṣṇa und Balarāma keine gewöhnlichen Menschen, sondern höchst außergewöhnliche Persönlichkeiten waren. Deshalb glaubte er den Weisen, als sie sagten, daß seine Söhne Kṛṣṇa und Balarāma der Höchste Persönliche Gott seien. Mit festem Glauben an seine Söhne sagte er zu Ihnen: »Mein lieber Kṛṣṇa, Du bist die sac-cid-ānanda-vigraha, der Höchste Persönliche Gott, und Du, mein lieber Balarāma, bist Saṅkarṣaṇa, der Meister aller mystischen Kräfte. Ich habe nun begriffen, daß Ihr ewig seid. Ihr beide seid transzendental zur materiellen Manifestation und ihrer Ursache, der Höchsten Person Mahā-Viṣṇu. Ihr seid der ursprüngliche Beherrschende aller Dinge; Ihr seid der Ruheort der kosmischen Manifestation; Ihr seid ihr Schöpfer und zugleich die zu ihrer Schöpfung nötigen Bestandteile, und Ihr seid der Meister der kosmischen Manifestation, die im Grunde nur für Eure Spiele geschaffen wurde. Die verschiedenen Phasen des materiellen Kosmos, die sich von seinem Anfang bis zu seinem Ende unter verschiedenen Zeitformeln manifestierten, seid ebenfalls Ihr, denn Ihr seid sowohl die Ursache als auch die Wirkung dieser Manifestation. Die beiden Aspekte der materiellen Welt, nämlich der Herrscher und das Beherrschte, seid ebenfalls Ihr, und Ihr seid der höchste transzendentale Herrscher, der über ihnen steht; daher entzieht Ihr euch dem Wahrnehmungsvermögen unserer Sinne. Ihr seid die Höchste Seele, ungeboren und unwandelbar. Ihr werdet nicht von den sechsfachen Wandlungen betroffen, die im materiellen Körper stattfinden. Die wundervollen mannigfaltigen Manifestationen in der materiellen Welt werden ebenfalls von Euch geschaffen, und als die Überseele seid Ihr in jedes Lebewesen und selbst in die Atome eingegangen. O Herr, Du bist der Erhalter alles Bestehenden. Die Lebenskraft, die als das Lebensprinzip in allem wirkt, und die Schaffenskraft, die von ihr kommt, wirken nicht unabhängig, sondern sind von Dir, der Höchsten Person hinter diesen Kräften, abhängig. Ohne Deinen Willen können sie nichts ausrichten. Die materielle Energie hat keine Kenntnis. Sie kann nicht unabhängig wirken, d. h. ohne von Dir in Bewegung gesetzt zu werden. Weil die materielle Natur von Dir abhängig ist, können die Lebewesen in ihr lediglich versuchen zu handeln, jedoch sind sie nicht fähig, ohne Dein Einverständnis oder gegen Deinen Willen etwas zu unternehmen oder das gewünschte Ergebnis ihrer Bemühungen zu erlangen. Lieber Herr, die ursprüngliche Energie geht ebenfalls von Dir aus. Der Schein des Mondes, die Hitze des Feuers, die Strahlen der Sonne, das Leuchten der Sterne und der mächtige elektrische Blitz, das Gewicht der Berge, die Kraft der Erde und ihr Duft – all diese Dinge sind verschiedene Manifestationen Deinerselbst. Auch der reine Geschmack des Wassers und die Kraft, die alles Leben erhält, sind Aspekte Deinerselbst, o Herr. Das Wasser und sein Geschmack sind ebenfalls Du. Mein lieber Herr, die Macht der Sinne, die Fähigkeit des Geistes, zu denken, zu fühlen und zu wollen, wie auch die Stärke, die Bewegungen und das Wachstum des Körpers scheinen zwar von den sich bewegenden Lüften im Körper bewirkt zu werden, doch letzten Endes sind sie alle Manifestationen Deiner Energie. Auch ruht die Weite des Weltalls in Dir. Das Schwingen im Äther, das Donnern am Himmel, der höchste Klang oṁkāra und die Bildung verschiedener Wörter zur Unterscheidung einer Sache von einer anderen sind symbolische Repräsentationen Deinerselbst. Alles bist Du. Die Sinne, die Beherrscher der Sinne, die Halbgötter, das Erwerben von Wissen, das die Aufgabe der Sinne ist, sowie der Gegenstand des Wissens – das bist alles Du. Die Entscheidungskraft der Intelligenz und das scharfe Gedächtnis eines Lebewesens sind ebenfalls Du. Du bist das egoistische Prinzip der Unwissenheit, das die Ursache der materiellen Welt ist; Du bist das egoistische Prinzip der Leidenschaft, das die Ursache der Sinne darstellt, und Du bist auch, als das egoistische Prinzip der Tugend, der Ursprung der über die materielle Welt herrschenden Gottheiten. Māyā, die illusionierende Energie, die Ursache der fortwährenden Wanderung der bedingten Seelen von Körper zu Körper, ist ebenfalls eine Form Deinerselbst. Mein lieber Höchster Persönlicher Gott, Du bist die ursprüngliche Ursache aller Ursachen, ebenso wie die Erde die ursprüngliche Ursache vieler Arten von Bäumen, Pflanzen und ähnlichen mannigfaltigen Manifestationen ist. So wie die Erde in allem vorhanden ist, bist Du überall in der materiellen Manifestation als Überseele gegenwärtig. Du bist die höchste Ursache aller Ursachen, das ewige Prinzip. Alles Bestehende ist im Grunde eine Manifestation Deiner eigenen Energie. Die drei Eigenschaften der materiellen Natur, nämlich sattva (Tugend), rajas (Leidenschaft) und tamas (Unwissenheit), und die Folge ihrer Wechselwirkungen sind durch Deine yoga-māyā-Kraft mit Dir verbunden. Man glaubt zwar, sie seien unabhängig, doch in Wirklichkeit ruht die gesamte materielle Energie in Dir, der Überseele. Weil Du die höchste Ursache aller Dinge bist, sind die Wechsel materieller Manifestationen, nämlich Geburt, Dasein, Wachstum, Wandel, Zerfall und Vernichtung, nicht an Dir zu beobachten. Deine höchste Energie, yoga-māyā, ist in den verschiedenartigsten Manifestationen aktiv, und weil yoga-māyā Deine Energie ist, bist Du in allem gegenwärtig.« In der Bhagavad-gītā wird diese Tatsache sehr anschaulich im Neunten Kapitel erklärt, worin der Herr sagt: »In Meiner unpersönlichen Form bin Ich über die gesamte materielle Energie verbreitet. Alles ruht in Mir, doch Ich bin nicht dort.« Das gleiche wird hier von Vasudeva gesagt. Wenn man sagt, Kṛṣṇa sei nicht in allem, meint man damit, daß Er über allem steht, obwohl Seine Energie überall wirkt. Dies macht ein einfaches Beispiel verständlich: In einem großen Betrieb ist die Energie oder die Organisation des Direktors in jeder Ecke und jedem Winkel wirksam; doch obwohl die Beschäftigten in jeder einzelnen Abteilung die Anwesenheit des Eigentümers spüren, bedeutet dies nicht, daß er dort gegenwärtig ist. Wenn der Besitzer sich einmal persönlich in einer Abteilung aufhält, so ist dies nur eine Formalität, denn seine Energie wirkt ja bereits überall. Ebenso kann die Allgegenwart des Höchsten Persönlichen Gottes im Wirken Seiner Energien wahrgenommen werden. Die Philosophie, daß alles unvorstellbar gleichzeitig eins mit und verschieden vom Höchsten Herrn ist, bestätigt sich überall. Der Herr ist Einer, doch Er besitzt vielfache Energien. Vasudeva sagt weiter: »Die materielle Welt ist wie ein großer Strom, dessen Wellen die drei materiellen Erscheinungsweisen der Tugend, der Leidenschaft und der Unwissenheit sind. Der materielle Körper, seine Sinne, die Fähigkeit zu denken, zu fühlen und zu wollen, und die Zustände Leid, Glück, Anhaftung und Lust sind verschiedene Produkte dieser drei Eigenschaften der materiellen Natur. Die Verblendeten, die Deine transzendentale Persönlichkeit über den materiellen Vorgängen nicht zu erkennen vermögen, bleiben in fruchtbringendem Tun verstrickt und sind somit stets dem Kreislauf von Geburt und Tod unterworfen, ohne die Möglichkeit der Befreiung zu haben.« Das gleiche wird vom Herrn mit anderen Worten im Vierten Kapitel der Bhagavad-gītā bestätigt. Dort heißt es, daß jeder, der das Erscheinen und die Taten des Höchsten Herrn Śrī Kṛṣṇa kennt, aus der Gewalt der materiellen Natur befreit wird und zurück nach Hause, zurück zu Gott, geht. Kṛṣṇas transzendentaler Name, Seine Gestalt, Seine Taten und Seine Eigenschaften sind daher keine Schöpfungen der materiellen Natur. »Mein lieber Herr«, fuhr Vasudeva fort, »trotz all dieser Fehler erlangt die bedingte Seele, wenn sie auf die eine oder andere Weise mit dem hingebungsvollen Dienen in Berührung kommt, die zivilisierte menschliche Form des Lebens mit einem entwickelten Bewußtsein und wird dadurch fähig, weitere Fortschritte im hingebungsvollen Dienen zu machen. Die meisten Menschen jedoch nutzen nicht, verblendet von der äußeren Energie, diesen Vorteil des menschlichen Körpers. So lassen sie sich die Möglichkeit entgehen, ewige Freiheit zu erlangen, und bringen sich unnötigerweise um den ganzen Fortschritt, den sie nach Tausenden von Leben gemacht haben. Jemand mit der körperlichen Lebensauffassung hängt falscher Ich-Bezogenheit wegen an Abkömmlingen des Körpers, und jeder im bedingten Leben ist von falschen Beziehungen und falscher Zuneigung gefangen. Die ganze Welt bewegt sich unter diesem falschen Eindruck vom materiellen Gefangensein. Ich weiß, daß eigentlich keiner von Euch beiden mein Sohn ist; Ihr seid der ursprüngliche Herr und Zeuger, die Persönlichkeiten Gottes, die als Pradhāna und Puruṣa bekannt sind. Ihr seid auf dem Erdplaneten erschienen, um durch das Töten der kṣatriya-Könige, die ihre Streitmächte ungeheure Ausmaße annehmen ließen, der Welt ihre Last zu nehmen. Dies habt Ihr mir bereits früher offenbart. Lieber Herr, Du bist die Zuflucht der Dir hingegebenen Seelen und der höchste Gönner der Bescheidenen und Demütigen. Deshalb suche ich den Schutz Deiner Lotosfüße, die uns allein aus der Verstrickung in das materielle Dasein befreien können. Lange Zeit habe ich meinen Körper für mein Selbst gehalten, und obwohl Du der Höchste Persönliche Gott bist, halte ich Dich für meinen Sohn. Mein lieber Herr, damals, als Du das erste Mal in Kaṁsas Kerker vor mir erschienst, wurde ich davon unterrichtet, daß Du der Höchste Persönliche Gott bist und sowohl zum Schutz der religiösen Prinzipien als auch zur Vernichtung der Gottlosen herabgekommen bist. Obgleich ungeboren, erscheinst Du in jedem Zeitalter, um Dein Anliegen zu erfüllen. Mein lieber Herr, so wie am Himmel viele Wolkenformen erscheinen und verschwinden, so erscheinst auch Du in vielen ewigen Formen. Wer könnte jemals Deine transzendentalen Spiele oder das Mysterium Deines Erscheinens und Fortgehens verstehen? Unsere einzige Tätigkeit sollte es sein, ständig Deine erhabene Größe zu preisen.« Als Vasudeva so mit seinen göttlichen Söhnen sprach, lächelten Kṛṣṇa und Balarāma. Weil Sie Ihren Geweihten sehr zugetan sind, nahmen Sie Vasudevas Lobpreisungen mit freundlichem Lächeln entgegen, und Śrī Kṛṣṇa bestätigte Vasudevas Worte. Er sagte: »Mein lieber Vater, Wir sind, was immer Du sagen magst, trotz allem Deine Söhne. Was Du über Uns gesagt hast, zeugt zweifellos von einem hohen philosophischen Verständnis vom spirituellen Wissen. Ich stimme ausnahmslos allem zu.« Vasudeva befand sich auf der Stufe der höchsten Vollkommenheit des Lebens, da er Śrī Kṛṣṇa und Balarāma als seine Söhne ansah; doch weil die an dem heiligen Pilgerort von Kurukṣetra versammelten Weisen vom Herrn als der höchsten Ursache aller Dinge gesprochen hatten, wiederholte Vasudeva aus Liebe zu Kṛṣṇa und Balarāma einfach ihre Worte. Śrī Kṛṣṇa wollte nicht Seine und Vasudevas Beziehung als Sohn und Vater beeinträchtigen; deshalb erklärte Er schon am Anfang Seiner Antwort, daß Er der ewige Sohn Vasudevas und Vasudeva Sein ewiger Vater sei. Nun erklärte Śrī Kṛṣṇa Seinem Vater die spirituelle Identität aller Lebewesen. Er teilte ihm mit: »Mein lieber Vater, alle Wesen, auch Ich Selbst und Mein älterer Bruder Balarāma sowie die Einwohner von Dvārakā und die gesamte kosmische Manifestation sind genau so, wie Du sie beschrieben hast. Doch zugleich sind wir auch alle der Qualität nach eins.« Śrī Kṛṣṇa wollte, daß Vasudeva alles aus der Sicht eines mahā-bhāgavata, eines Gottgeweihten ersten Ranges, sehen sollte. Ein Gottgeweihter ersten Ranges sieht, daß alle Lebewesen ewige Teile des Höchsten Herrn sind, und daß der Höchste Herr im Herzen eines jeden weilt. Eigentlich ist jedes Lebewesen von der Identität her spirituell, doch im materiellen Dasein wird es von den materiellen Erscheinungsweisen der Natur beeinflußt. Es wird von der körperlichen Lebensauffassung bedeckt und vergißt, daß seine spirituelle Seele von gleicher Natur ist wie der Höchste Persönliche Gott. Wir sehen verschiedenartiger körperlicher Bedeckungen wegen fälschlich Unterschiede zwischen den Individuen. Die Unterschiede zwischen den Körpern machen uns glauben, auch zwischen den spirituellen Seelen gebe es Unterschiede. Śrī Kṛṣṇa gab dann ein anschauliches Beispiel mit den fünf groben materiellen Elementen. Die materiellen Elemente Himmel, Luft, Feuer, Wasser und Erde sind überall in der materiellen Welt vorhanden, sei es in einem irdenen Krug, einem Berg, einem Baum oder einem Ohrring. Diese fünf Elemente sind in unterschiedlichen Mengenverhältnissen in allen Dingen. Ein Berg z. B. ist ein riesiges Gebilde aus der Verbindung dieser fünf Elemente, und ein kleiner Krug besteht aus den gleichen Elementen in kleinerer Menge. Alle materiellen Manifestationen also bestehen, wenngleich sie von unterschiedlicher Form sind, aus den gleichen Bestandteilen. In ähnlicher Weise sind alle Lebewesen von gleicher spiritueller Eigenschaft – sowohl Kṛṣṇa als auch das Viṣṇu-tattva mit Millionen von Viṣṇu-Formen, als auch die Lebewesen in den verschiedenen Körpern, angefangen mit Brahmā, bis hinunter zur kleinen Ameise. Einige sind quantitativ groß und andere sind klein, doch qualitativ sind alle von gleicher Art. In den Upaniṣaden wird deshalb bestätigt, daß Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Herr, das Oberhaupt aller Lebewesen ist und sie erhält und mit allem zum Leben Notwendigen versorgt. Jeder, der diese Philosophie kennt, besitzt vollkommenes Wissen. Die vedische Offenbarung »tat tvam asi« – »du bist das Gleiche« – bedeutet deshalb nicht, daß jeder Gott ist, sondern vielmehr, daß jeder qualitativ von gleichem Wesen ist wie Gott. Nachdem Vasudeva Kṛṣṇa die gesamte Philosophie des spirituellen Lebens in einer kurzen Zusammenfassung hatte sprechen hören, freute er sich sehr über seinen Sohn. Er vermochte kein Wort hervorzubringen und verharrte deshalb in Schweigen. Die ganze Zeit über hatte Devakī, die Mutter Kṛṣṇas, still neben ihrem Mann gesessen. Sie hatte früher einmal gehört, daß Kṛṣṇa und Balarāma so gütig zu Ihrem Lehrer gewesen waren, ihm seinen toten Sohn aus der Gewalt Yamarājas, des Todesgottes, zurückzubringen. Seit sie davon erfuhr, mußte sie an ihre eigenen Söhne denken, die von Kaṁsa getötet worden waren, und während sie sich an sie erinnerte, wurde sie von Trauer überwältigt. Im tiefen Mitleiden mit ihren toten Söhnen sagte Devakī schließlich zu Kṛṣṇa und Balarāma: »Mein lieber Balarāma, schon Dein Name weist darauf hin, daß Du jedem alle Freude und Stärke gewährst. Deine grenzenlose Kraft ist jenseits der Reichweite unserer Gedanken und Worte, und Du, mein lieber Kṛṣṇa, bist der Herr aller yoga-Mystiker. Mir ist auch bekannt, daß Du der Herr der Prajāpatis, wie Brahmā und seine Helfer, und der ursprüngliche Persönliche Gott Nārāyaṇa bist. Außerdem weiß ich sehr wohl, daß Du auf die Erde gekommen bist, um die Schurken zu vernichten, die im Laufe der Zeit Irrwege beschritten. Sie verloren die Herrschaft über Geist und Sinne und sind von der Stufe der Tugend hinabgesunken. Sie mißachten bewußt die Anweisungen der offenbarten Schriften, indem sie ein Leben des Überflusses und der Schamlosigkeit führen. Du bist auf die Erde gekommen, um durch das Töten solch verworfener Herrscher der Welt ihre schwere Last zu nennen. Mein lieber Kṛṣṇa, ich weiß, daß Mahā-Viṣṇu, der im Ozean der Ursachen der kosmischen Manifestation liegt und der Ursprung der gesamten Schöpfung ist, nichts weiter als eine Erweiterung eines Deiner vollkommenen Teile darstellt. Die Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung der kosmischen Manifestation wird ganz allein von diesem Deinem vollständigen Teil bewirkt. Ich suche deshalb rückhaltlos Zuflucht bei Dir. Ich habe davon gehört, daß Balarāma und Du, als Ihr Euren Lehrer Sāndīpani Muni belohnen wolltet und er Euch bat, ihm seinen toten Sohn zurückzubringen, auf der Stelle Sāndīpani Munis Sohn aus Yamarājas Gewahrsam holtet, obwohl der Junge bereits seit langer Zeit tot war. Diese Tat macht mir verständlich, daß Du der höchste Meister aller yoga-Mystiker bist. Daher bitte ich Dich, mir meinen Wunsch, der von gleicher Art ist, zu erfüllen. Ich möchte Dich also, mit anderen Worten, bitten, all meine Söhne zurückzubringen, die von Kaṁsa getötet wurden. Wenn Du sie mir wiedergibst, wird mein Herz zufrieden sein; es wäre schon eine große Freude für mich, sie auch nur einmal zu sehen.« Als Kṛṣṇa und Balarāma den Wunsch Ihrer Mutter vernommen hatten, riefen Sie sogleich nach dem Beistand yoga-māyās und begaben Sich nach Sutala, einem der niederen Planetensysteme. Einstmals war der Höchste Persönliche Gott in Seiner Inkarnation als Vāmana von Bali Mahārāja, dem König der Dämonen, erfreut worden, da dieser Ihm alles schenkte, was er besaß. Danach erhielt Bali Mahārāja ganz Sutala als Residenz und Königreich. Als dieser große Gottgeweihte nun sah, daß Kṛṣṇa und Balarāma auf seinen Planeten gekommen waren, versank er im Ozean des Glücks. Sowie er Kṛṣṇa und Balarāma vor sich erblickte, erhoben er und seine Familienangehörigen sich von ihren Sitzen und verneigten sich vor den Lotosfüßen des Herrn. Bali Mahārāja bot Śrī Kṛṣṇa und Balarāma die besten Sitze, die er besaß, und als die beiden göttlichen Brüder geruhsam saßen, wusch er Ihnen die Lotosfüße. Anschließend sprengte er sich und seinen Familienangehörigen das Wasser über die Köpfe. Das Wasser, mit dem Kṛṣṇas und Balarāmas Lotosfüße gewaschen wurden, ist selbst für die größten Halbgötter, wie Brahmā, läuternd. Alsdann brachte Bali Mahārāja wertvolle Gewänder, Schmuck, Sandelholzpaste, Betelnüsse, Lampen und viele nektargleiche Speisen herbei und verehrte den Herrn gemeinsam mit den Mitgliedern seiner Familie nach allen Regeln der Schriften. All seinen Reichtum und auch seinen Körper brachte er den Lotosfüßen des Herrn dar. König Bali empfand solch transzendentale Freude, daß er mehrmals die Lotosfüße des Herrn ergriff und sie an seine Brust drückte; manchmal setzte er sie auch auf sein Haupt, und auf diese Weise verspürte er transzendentale Glückseligkeit. Tränen der Liebe strömten ihm aus den Augen, und sein Haar stand ihm zu Berge. Als er dann dem Herrn seine Gebete darbrachte, versagte ihm immer wieder die Stimme: »O mein Herr, Balarāma, Du bist der ursprüngliche Anantadeva. Du bist so gewaltig, daß Anantadeva Śeṣa und viele andere transzendentale Formen ursprünglich aus Dir und Śrī Kṛṣṇa hervorgingen. Du bist der ursprüngliche Persönliche Gott, und Deine ewige Gestalt ist ganz und gar glückselig und voll allumfassenden Wissens. Du bist der Schöpfer der ganzen Welt. Du bist der Urheber und ursprüngliche Verkünder des jñāna- und des bhakti-yoga. Du bist das Höchste Brahman, der ursprüngliche Persönliche Gott, und deshalb bringe ich Euch beiden voller Achtung meine Ehrerbietungen dar. Meine lieben Herren und Meister, es ist sehr schwer für die Lebewesen, Euch zu Gesicht zu bekommen; doch wenn Ihr Euren Geweihten barmherzig seid, können diese Euch ohne weiteres sehen. Ihr habt Euch somit einzig aus Eurer grundlosen Gnade bereitgefunden, hierherzukommen und uns sichtbar zu sein, die wir für gewöhnlich unter dem Einfluß von Unwissenheit und Leidenschaft stehen. »Mein lieber Herr, wir gehören zu den daityas, den Dämonen. Die Dämonen oder dämonischen Personen, wie die Gandharvas, Siddhas, Vidyādharas, Cāraṇas, Yakṣas, Rākṣasas, Piśācas, Geister und Kobolde, sind von Natur aus unfähig, Dich zu verehren oder Deine Geweihte zu werden. Statt Gottgeweihte zu werden, werden sie nur zu Hindernissen auf dem Pfad der Hingabe. Doch im Gegensatz zu ihnen bist Du der Höchste Persönliche Gott, der alle Veden repräsentiert und Sich in der Erscheinungsweise der unbefleckten Tugend befindet. Deine Stellung ist immer transzendental. Aus diesem Grund haben einige von uns, obwohl sie in der Erscheinungsweise der Leidenschaft und Unwissenheit geboren wurden, Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen gesucht, und sind Gottgeweihte geworden. Manche von uns sind sogar reine Gottgeweihte, und einige haben aus dem Wunsch nach Gewinn Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen gesucht. »Nur durch Deine grundlose Barmherzigkeit dürfen wir Dämonen jetzt persönlich mit Dir Zusammensein. Diese direkte Verbindung mit Dir können nicht einmal die großen Halbgötter herstellen. Niemand weiß, wie Du durch Deine yoga-māyā-Energie wirkst. Selbst die Halbgötter vermögen nicht das Ausmaß der Tätigkeiten Deiner inneren Energie zu ermessen. Wie also könnte dies uns möglich sein? Ich bringe Dir daher meine demütigen Ehrerbietungen dar: Sei mir bitte barmherzig, der ich Dir völlig hingegeben bin, und begünstige mich mit Deiner grundlosen Gnade, daß ich mich Leben für Leben nur an Deine Lotosfüße erinnern darf. Es ist mein einziger Wunsch, allein zu leben wie die paramahaṁsas, die, während sie umherziehen, voll inneren Friedens sind und sich ganz von Deinen Lotosfüßen abhängig wissen. Wenn ich trotzdem mit jemandem zusammen sein muß, dann bitte nur mit Deinen reinen Geweihten und niemand anderem, denn Deine reinen Geweihten sind allen Lebewesen stets wohlgesinnt. »Mein lieber Herr, Du bist der Höchste Meister und Führer der ganzen Welt. Bitte beschäftige mich in Deinem Dienst, und laß mich so von allen materiellen Verunreinigungen frei werden. Dir ist es möglich, mich auf diese Weise zu läutern, denn sobald jemand Deiner Herrlichkeit liebevoll dient, wird er von allen regulierenden Prinzipien befreit, die in den Veden vorgeschrieben werden.« Das Wort paramahaṁsa, das an dieser Stelle gebraucht wird, bedeutet » der höchste Schwan«. Es heißt, daß der Schwan Milch aus Wasser zu ziehen vermag, d. h., er nimmt nur die Milch und läßt das Wasser zurück. Daher wird ein Mensch, der den spirituellen Teil aus der materiellen Welt nehmen und allein leben kann, während er einzig und allein vom Höchsten Spirituellen Wesen, und nicht von der materiellen Welt, abhängig ist, paramahaṁsa genannt. Wenn man die Stufe des paramahaṁsa erreicht hat, ist man nicht länger an die regulierenden Prinzipien der vedischen Anweisungen gebunden. Ein paramahaṁsa begibt sich nur in die Gesellschaft reiner Gottgeweihter und zieht sich von anderen, die zu viele materielle Neigungen hegen, zurück. Diejenigen nämlich, die materiellem Genuß verfallen sind, wissen nicht den Wert des paramahaṁsa zu schätzen, doch solche, die so glücklich sind, in spiritueller Hinsicht fortgeschritten zu sein, suchen bei dem paramahaṁsa Zuflucht und erfüllen dadurch erfolgreich die Bestimmungen der menschlichen Form des Lebens. Nachdem Śrī Kṛṣṇa die Gebete Bali Mahārājas angehört hatte, sprach Er: »Mein lieber König der Dämonen, im Zeitalter des Svāyambhuva-Manu zeugte der Prajāpati Marīci mit seiner Frau Ūrṇā sechs Söhne, von denen jeder ein Halbgott war. Als nun eines Tages Brahmā von der Schönheit seiner Tochter betört wurde und ihr, getrieben von lüsterner Begierde, folgte, äußerten sich diese sechs Halbgötter mit Abscheu über Brahmās Verhalten. Die Kritik der Halbgötter an Brahmās Handlung war ein großes Vergehen ihrerseits, und zur Strafe wurden sie dazu verdammt, als die Söhne des Dämons Hiraṇyakaśipu geboren zu werden. Diese Söhne Hiraṇyakaśipus wurden später in Mutter Devakīs Schoß versetzt und einer nach dem anderen sofort nach der Geburt von Kaṁsa getötet. Mein lieber König der Dämonen, Mutter Devakī sehnt sich sehr danach, ihre sechs toten Söhne wiederzusehen, und sie ist über ihren frühen Tod von der Hand Kaṁsas tief betrübt. Ich weiß, daß sie alle bei dir leben. Ich habe beschlossen, sie mit Mir zu nehmen, um Meine Mutter Devakī zu beruhigen. Nachdem diese sechs bedingten Seelen Meine Mutter gesehen haben, werden sie befreit und zu ihrer Freude wieder zu ihrem früheren Planeten versetzt werden. Dort werden sie wieder ihre frühere Stellung als Halbgötter einnehmen. Ihre Namen sind Smara, Udgītha, Pariṣvaṅga, Pataṅga, Kṣudrabhṛt und Ghṛṇī.« Als Kṛṣṇa dem König der Dämonen dies mitgeteilt hatte, schwieg Er, und Bali Mahārāja verstand, was der Herr wünschte. Er verehrte Ihn noch einmal gebührend, und dann nahmen Kṛṣṇa und Balarāma die sechs bedingten Seelen mit Sich und kehrten nach Dvārakā zurück, wo Sie sie als kleine Kinder Ihrer Mutter Devakī übergaben. Mutter Devakī wurde von Freude überwältigt, und sie war so von ekstatischen mütterlichen Gefühlen ergriffen, daß Milch aus ihren Brüsten floß und sie die Kinder glückerfüllt stillte. Sie nahm die Kinder immer wieder auf den Schoß, atmete den Duft ihres Haupthaars ein und dachte bei sich: »Kṛṣṇa hat mir meine verlorenen Kinder zurückgebracht.« Viṣṇus Energie kam in diesen Augenblicken über sie, und voll mütterlicher Zärtlichkeit begann sie sich ihrer verlorenen Kinder zu erfreuen. Die Milch aus Devakīs Brust war transzendentaler Nektar, denn die gleiche Milch hatte einst Śrī Kṛṣṇa getrunken. Daher wurden die Kinder, als sie an Devakīs Brust tranken, die von Śrī Kṛṣṇas Körper berührt worden war, auf der Stelle selbstverwirklicht und brachten Śrī Kṛṣṇa, Seinem Bruder Balarāma, ihrem Vater Vasudeva und Mutter Devakī ihre Ehrerbietungen dar. Alsdann wurden sie gleich auf ihre jeweiligen himmlischen Planeten versetzt. Devakī war ganz verwundert darüber, daß ihre toten Kinder soeben erst zurückgekommen und sogleich wieder zu ihren jeweiligen Planeten gebracht worden waren. Sie konnte sich die Geschehnisse nur als Kṛṣṇas transzendentale Spiele erklären, in denen, da Śrī Kṛṣṇas Kräfte unfaßbar sind, nichts unmöglich ist, ganz gleich wie wundersam es auch sein mag. Ohne die unfaßbaren und unbegrenzten Kräfte des Herrn anzuerkennen, kann man nicht verstehen, daß Kṛṣṇa die Höchste Seele ist. Durch Seine unbegrenzten Kräfte vollführt Er auch unbegrenzte Spiele, und niemand kann sie in ihrer ganzen Fülle beschreiben oder sie alle kennen. Sūta Gosvāmī, der zu den Weisen von Naimiṣāraṇya, deren Führer Śaunaka Rṣi war, das Śrīmad-Bhāgavatam sprach, tat folgenden, in diesem Zusammenhang treffenden Ausspruch: »Ihr großen Weisen, bitte erkennt, daß die transzendentalen Spiele Śrī Kṛṣṇas ewig sind. Ihre Schilderungen sind keine gewöhnlichen Erzählungen historischer Begebenheiten. Vielmehr sind solche Erzählungen mit dem Höchsten Persönlichen Gott identisch. Deshalb wird jeder, der Erzählungen von den Spielen des Herrn hört, sogleich von der durch das materielle Dasein entstandenen Verunreinigung befreit. Die reinen Gottgeweihten genießen diese Erzählungen als Nektar, der in ihre Ohren strömt.« Śukadeva Gosvāmī, der erhabene Sohn Vyāsadevas, sprach solche Erzählungen, und jeder, der sie hört, wie auch jeder, der sie vorträgt, damit andere sie hören können, wird Kṛṣṇa-bewußt. Und es sind einzig und allein die Kṛṣṇa-bewußten Seelen, welche die Voraussetzungen erfüllen, die nötig sind, um nach Hause, zu Gott, zurückzugehen. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 84. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa unterweist Vasudeva in spirituellem Wissen und bringt Devakī ihre sechs toten Söhne zurück«. 85. KAPITEL Die Entführung Subhadrās Nachdem König Parīkṣit die Schilderung der im vorherigen Kapitel berichteten Begebenheit vernommen hatte, wurde er noch begieriger, von Kṛṣṇa und Seinen transzendentalen Spielen zu hören, weshalb er Śukadeva Gosvāmī fragte, auf welche Weise seine Großmutter Subhadrā auf den Rat Śrī Kṛṣṇas hin von seinem Großvater Arjuna entführt wurde. Mahārāja Parīkṣit brannte darauf zu erfahren, wie sein Großvater seine Großmutter entführte und heiratete. So begann Śukadeva Gosvāmī denn, die Geschichte zu erzählen: »Es begab sich einst, daß dein Großvater Arjuna, der große Held, mehrere heilige Pilgerorte besuchte, und als er so durch die Lande zog, kam er auch nach Prabhāsakṣetra. Dort erfuhr er, daß Śrī Balarāma beabsichtigte, Subhadrā, die Tochter des Onkels von Arjuna mütterlicherseits, Vasudeva, gegen den Willen ihres Vaters Vasudeva und ihres Bruders Kṛṣṇa mit Duryodhana zu verheiraten. Arjuna jedoch begehrte selbst Subhadrās Hand. Wie nun Arjuna an Subhadrā und ihre Schönheit dachte, wurde der Wunsch in ihm, sie zu heiraten, immer stärker, und so verkleidete er sich, einen geheimen Plan im Sinn, als Vaiṣṇava-sannyāsī und nahm einen tridaṇḍa in die Hand. Der Māyāvādī-sannyāsī trägt einen ekadaṇḍa oder einfachen Stab, wohingegen der Vaiṣṇava-sannyāsī einen tridaṇḍa trägt, der aus drei Stäben oder daṇḍas besteht. Die drei Stäbe oder der tridaṇḍa bedeuten, daß der Vaiṣṇava-sannyāsī gelobt, dem Höchsten Persönlichen Gott mit Körper, Geist und Worten zu dienen. Den Brauch des tridaṇḍi-sannyāsa gibt es schon seit langer Zeit, und die Vaiṣṇava-sannyāsīs werden demgemäß tridaṇḍīs, tridaṇḍi-svāmīs oder tridaṇḍi-gosvāmīs genannt. Die sannyāsīs müssen normalerweise durch das Land ziehen und predigen, doch während der vier Monate der Regenzeit in Indien (September-Dezember) reisen sie nicht, sondern suchen sich eine Unterkunft, wo sie bis zum Ende der Regenzeit verweilen. Die Zeit, während der die sannyāsīs nicht reisen, wird Cāturmāsya-vrata genannt. Die Einwohner des Ortes, in dem sich ein sannyāsī diese vier Monate aufhält, nutzen seine Anwesenheit, um spirituelle Fortschritte zu machen. Arjuna blieb in der Verkleidung eines sannyāsī vier Monate in der Stadt Dvārakā und sann währenddessen auf einen Plan, wie er Subhadrā zur Frau bekommen könne. Die Bewohner von Dvārakā und selbst Balarāma bemerkten nicht, daß der vorgebliche sannyāsī Arjuna war, und so erwiesen sie ihm ahnungslos ihre Achtung und Ehrerbietungen. Eines Tages lud Balarāma den sannyāsī zu einem Gastmahl in Seinem Hause ein. Balarāmajī brachte ihm voll Achtung vielerlei köstliche Speisen dar, an denen sich der sogenannte sannyāsī gütlich tat. Während Arjuna so bei Balarāmajī aß, sah er die ganze Zeit nur die unvergleichlich schöne Subhadrā an, die sogar die großen Helden und Könige bezauberte. Aus Liebe zu ihr leuchteten Arjunas Augen, und mit funkelnden Blicken schaute er sie ständig an. Er faßte insgeheim den Entschluß, Subhadrā auf irgendeine Weise zur Frau zu bekommen, und sein starkes Verlangen wirbelte seine Gedanken durcheinander. Arjuna, der Großvater Mahārāja Parīkṣits, war selbst von außergewöhnlicher Schönheit, und seine wohlgeformte Gestalt übte eine starke Anziehungskraft auf Subhadrā aus. Sie beschloß innerlich, niemanden außer Arjuna zum Gemahl zu nehmen. Als einfaches Mädchen lächelte sie voll Wohlgefallen, während sie Arjuna ansah, weshalb sich Arjuna immer mehr zu ihr hingezogen fühlte. Subhadrā widmete sich Arjuna so offen, daß dieser beschloß, das Mädchen unter allen Umständen zu heiraten. Von da an konnte er vierundzwanzig Stunden am Tag an nichts anderes mehr denken als daran, wie er Subhadrā zur Frau bekommen könne. Dieser Gedanke drängte so stark in ihm, daß er keinen Augenblick zur Ruhe kam. Schließlich begab es sich, daß Subhadrā in einem Wagen aus dem Palast fuhr, um die Gottheiten im Tempel zu besuchen. Sogleich nahm Arjuna die günstige Gelegenheit wahr und entführte sie mit Vasudevas und Devakīs Erlaubnis. Sowie er auf Subhadrās Wagen gesprungen war, machte er sich zum Kampf bereit. Er nahm seinen Bogen zur Hand, und indem er mit Pfeilen die Soldaten, die ihn aufhalten sollten, abwehrte, führte er Subhadrā fort. Als Subhadrā so von Arjuna geraubt wurde, stimmten ihre Verwandten und Nahestehenden ein lautes Wehgeschrei an, doch Arjuna entführte sie ohne Zögern wie ein Löwe, der sich seinen Anteil holt und dann verschwindet. Balarāma wurde sehr zornig, als Ihm berichtet wurde, daß der vermeintliche sannyāsī Arjuna sei, daß er seine Rolle in der Absicht gespielt habe, Subhadrā zu entführen, und daß er sie nun tatsächlich geraubt habe. Gleich den Wogen des Meeres an einem Vollmondtag geriet Balarāmas Gemüt in Aufruhr. Doch Śrī Kṛṣṇa stand auf Arjunas Seite; deshalb versuchte Er zusammen mit anderen Familienmitgliedern, Balarāma zu besänftigen, indem Er Ihm zu Füßen fiel und Ihn anflehte, Arjuna zu vergeben. Schließlich konnte Śrī Balarāma davon überzeugt werden, daß Subhadrā Arjuna liebte, und so freute Er Sich schließlich doch, daß sie Arjuna zum Gemahl haben wollte. Auf diese Weise wurde die ganze Angelegenheit friedlich beigelegt. Weil Balarāma dem neuvermählten Paar eine Freude machen wollte, ließ Er ihnen eine riesige Mitgift zukommen, die aus großen Reichtümern, Elefanten, Streitwagen, Pferden, Dienern und Dienerinnen bestand. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 85. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Entführung Subhadrās«. 86. KAPITEL Kṛṣṇa besucht Śrutadeva und Bahulāśva Mahārāja Parīkṣit verlangte es sehr danach, noch mehr über Kṛṣṇa zu hören, und so erzählte Śukadeva Gosvāmī, nachdem er berichtet hatte, wie Arjuna Subhadrā entführte, eine weitere Geschichte: Es lebte einst ein Haushälter und brāhmaṇa in Mithilā, der Hauptstadt des Königreiches Videha. Dieser brāhmaṇa – er hieß Śrutadeva – war ein großer Geweihter Śrī Kṛṣṇas. Weil er völlig Kṛṣṇa-bewußt war und sich ständig in Kṛṣṇas Dienst beschäftigte, war er sehr friedfertig und frei von allen Wünschen nach materiellen Dingen. Auch war er sehr gelehrt, und wünschte sich nichts anderes, als völlig im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert zu sein. Obwohl er im Haushälterstand lebte, unternahm er niemals große Anstrengungen, etwas für seinen Lebensunterhalt zu verdienen; er war mit dem zufrieden, was er ohne viel Mühe bekam, und konnte sich auf diese Weise irgendwie am Leben halten. Jeden Tag hatte er nur gerade das zum Leben unbedingt Nötige. Das war sein Schicksal. Der brāhmaṇa wünschte sich eben nicht mehr, als er unbedingt brauchte, und so lebte er in Frieden nach den regulierenden Prinzipien der brāhmaṇas, wie sie in den offenbarten Schriften vorgeschrieben werden. Glücklicherweise war der König von Mithilā ein ebenso guter Gottgeweihter wie der brāhmaṇa. Der Name dieses berühmten Königs lautete Bahulāśva. Er war überall dafür bekannt, ein guter König zu sein, und war völlig frei von dem Wunsch, sein Königreich zur Befriedigung seiner Sinne auszudehnen. So lebten sowohl der brāhmaṇa als auch König Bahulāśva als reine Geweihte Śrī Kṛṣṇas in Mithilā. Da Kṛṣṇa dem König Bahulāśva und dem brāhmaṇa Śrutadeva überaus wohlgesinnt war, bat Er eines Tages Seinen Wagenlenker Dāruka, Ihn zur Hauptstadt Mithilā zu fahren. Śrī Kṛṣṇa wurde von den großen Weisen Nārada, Vāmadeva, Atri, Vyāsadeva, Paraśurāma, Asita, Aruṇi, Bṛhaspati, Kaṇva, Maitreya, Cyavana und anderen begleitet. Er und die Weisen kamen auf ihrer Fahrt durch viele Dörfer und Städte, und überall empfingen die Bürger sie mit großer Achtung und brachten ihnen zur Verehrung Gaben dar. Wenn die Bürger herbeiliefen, um den Herrn zu sehen, und sie sich alle versammelten, schien die Sonne mit den sie umgebenden Planeten gegenwärtig zu sein. Auf ihrer Reise fuhren Kṛṣṇa und die Weisen durch die Königreiche Ānarta, Dhanva, Kurujāṅgala, Kaṅka, Matsya, Pāñcāla, Kunti, Madhu, Kekaya, Kośala und Arṇa, und so bekamen alle Bewohner, Männer sowie Frauen, die Gelegenheit, Kṛṣṇa von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Dadurch genossen sie mit weitoffenen Herzen, die voll Liebe zum Herrn waren, himmlisches Glück, und als sie Kṛṣṇas Antlitz sahen, war ihnen, als tränken ihre Augen Nektar. Sobald sie Kṛṣṇa erblickten, verschwanden all ihre aus Unwissenheit entstandenen falschen Lebensauffassungen. Als Kṛṣṇa durch die besagten Länder fuhr und die Menschen herbeikamen, um Ihn zu sehen, segnete der Herr sie einfach durch Seinen Blick mit allem Glück und befreite sie somit aus aller Unwissenheit. An einigen Orten gesellten sich sogar die Halbgötter zu den Menschen, und ihre Lobpreisungen reinigten alles ringsum von allen unheilvollen Dingen. So erreichte Kṛṣṇa schließlich das Königreich Videha. Die Bewohner des Königreichs freuten sich grenzenlos, als sie die Nachricht von Kṛṣṇas Ankunft vernahmen, und kamen mit Geschenken in den Händen herbeigelaufen, um den Herrn zu begrüßen. Sobald sie Śrī Kṛṣṇa sahen, erblühten ihre Herzen in transzendentaler Glückseligkeit wie Lotosblumen, die sich beim Sonnenaufgang öffnen. Sie hatten zwar schon die Namen der großen Weisen gehört, doch hatten sie diese niemals selbst zu Gesicht bekommen. Nun war es ihnen durch Śrī Kṛṣṇas Gnade vergönnt, sowohl die großen Weisen als auch den Herrn Selbst zu sehen. König Bahulāśva und der brāhmaṇa Śrutadeva, die wohl wußten, daß Kṛṣṇa im Grunde nach Videha gekommen war, um sie mit Seiner Gunst zu segnen, fielen sofort vor den Lotosfüßen des Herrn nieder und erwiesen Ihm ihre Ehrerbietungen. Dann luden sowohl der König als auch der brāhmaṇa den Herrn und die Weisen mit gefalteten Händen zu sich ein. Um beide zu erfreuen, erweiterte Sich Kṛṣṇa sogleich in zwei Gestalten und besuchte sie gleichzeitig, wobei aber weder der König noch der brāhmaṇa wußte, daß der Herr auch zum Haus des anderen gegangen war. Jeder dachte, der Herr sei nur zu seinem eigenen Haus gegangen. Daß Kṛṣṇa und Seine Begleiter in beiden Häusern zugleich anwesend waren, obgleich sowohl der brāhmaṇa als auch der König dachte, Kṛṣṇa sei nur bei ihm zu Gast, ist eine der Füllen des Höchsten Persönlichen Gottes. Diese Fülle wird in den offenbarten Schriften als Vaibhava-prakāśa bezeichnet. In ähnlicher Weise erweiterte Sich Kṛṣṇa auch, als Er 16000 Frauen heiratete, in 16000 Formen, von denen jede einzelne so mächtig war wie Er Selbst. Und als Brahmā in Vṛndāvana Kṛṣṇas Kühe, Kälber und Hirtenjungen stahl, erweiterte Sich Kṛṣṇa in viele neue Kühe, Kälber und Hirtenjungen. Bahulāśva, der König von Videha, war sehr intelligent und ein vollkommener Ehrenmann. Es erstaunte ihn sehr, daß so viele große Weise und sogar der Höchste Persönliche Gott persönlich in seinem Palast zugegen waren; er wußte nämlich sehr wohl, daß die bedingte Seele, besonders, wenn sie weltlichen Angelegenheiten nachgeht, niemals ganz rein sein kann, wohingegen der Höchste Persönliche Gott und Seine reinen Geweihten immer transzendental zur weltlichen Verunreinigung sind. Als er den Höchsten Persönlichen Gott mit allen großen Weisen in seinem Palast sah, war daher seine Verwunderung groß, und er dankte Śrī Kṛṣṇa für Seine grundlose Gnade. Da er sich seinen Gästen gegenüber sehr verpflichtet fühlte und sie nach bestem Vermögen empfangen wollte, ließ er bequeme Stühle und Kissen bringen, auf die sich Kṛṣṇa und die Weisen behaglich niederließen. König Bahulāśva war innerlich aufgeregt, doch nicht irgendwelcher Probleme wegen, sondern weil er von einer tiefen Ekstase der Liebe und Hingabe ergriffen war. Sein Herz war von Liebe zum Herrn und Seinen Gefährten erfüllt, und in seinen Augen standen Tränen der Glückseligkeit. Er übernahm es persönlich, seinen göttlichen Gästen die Füße zu waschen, und sprengte dann sich und seinen Familienangehörigen das Wasser auf den Kopf. Danach überreichte er seinen Gästen hübsche Blumengirlanden, Sandelholzpaste, Räucherwerk, neue Gewänder, Schmuck, Lampen, Kühe und Stiere. So verehrte er jeden von ihnen in einer Art, die seiner königlichen Stellung entsprach. Als schließlich alle reichlich gespeist waren und in Behagen beieinander saßen, ging Bahulāśva zu Śrī Kṛṣṇa und berührte Seine Lotosfüße. Er nahm sie auf seinen Schoß, und während er sie massierte, begann er mit wohltönender Stimme die Herrlichkeit des Herrn zu rühmen. »Mein lieber Herr, Du bist die Überseele aller Lebewesen, und als Zeuge in allen Herzen kennst Du die Handlungen eines jeden. Daher denken wir, gezwungenermaßen gleichsam, ständig an Deine Lotosfüße, so daß wir auf einer sicheren Ebene bleiben können, indem wir niemals von dem ewigen Dienst für Dich abweichen. Weil wir uns unablässig an Deine Lotosfüße erinnerten, warst Du so gütig, persönlich hierherzukommen, um mich mit Deiner grundlosen Gnade zu segnen. Wir haben, mein lieber Herr, gehört, Du habest mehrfach erklärt, Deine reinen Geweihten seien Dir lieber als Balarāma oder Deine ständige Dienerin, die Glücksgöttin. Du liebst Deine reinen Geweihten mehr als Brahmā, Deinen ersten Sohn, und deshalb bin ich mir sicher, daß Du in Deiner Güte meinen Palast besucht hast, um Deine göttliche Verkündung zu bestätigen. Es ist unvorstellbar für mich, wie man selbst dann noch gottlos und dämonisch sein kann, wenn man von Deiner grundlosen Barmherzigkeit und Zuneigung für Deine Geweihten weiß, die unablässig im Kṛṣṇa-Bewußtsein tätig sind. Wie nur können sie Deine Lotosfüße vergessen? »Mein lieber Herr, wir wissen, daß Du so gütig und großmütig bist, Dich jemandem, der alles aufgibt, um sich ausschließlich im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu beschäftigen, manchmal für sein lauteres Dienen Selbst zu geben. Du bist in der Yadu-Dynastie erschienen, um Deine Mission zu erfüllen, die bedingten Seelen, die im Sündenpfuhl des materiellen Daseins verderben, zu Dir zurückzuholen, und dafür bist Du bereits auf der ganzen Welt berühmt. Mein lieber Herr, Du bist der Ozean grenzenloser Barmherzigkeit, Liebe und Zuneigung. Deine transzendentale Gestalt ist voll Glückseligkeit, Wissen und Ewigkeit. Du kannst das Herz eines jeden durch Deine herrliche Gestalt als Śyāmasundara, Kṛṣṇa, bezaubern. Dein Wissen kennt keine Grenzen, und um alle Menschen das hingebungsvolle Dienen zu lehren, hast Du Deine Inkarnation Nara-Nārāyaṇa geschickt, der sich in Badarīnārāyaṇa große Entsagungen und Bußen auferlegt. Sei daher bitte so gütig und nimm meine demütigen Ehrerbietungen entgegen, die ich Deinen Lotosfüßen erweise. Mein lieber Herr, Ich möchte Dich und Deine Begleiter, die großen Weisen und brāhmaṇas, bitten, in meinem Haus zu verweilen, so daß unsere Familie des berühmten Königs Nimi wenigstens für einige Tage durch den Staub Deiner Lotosfüße geheiligt wird.« Śrī Kṛṣṇa konnte Seinem reinen Geweihten diese Bitte nicht abschlagen, und so blieb Er mit den Weisen einige Tage bei ihm, um die Stadt Mithilā und all ihre Einwohner zu heiligen. Unterdessen wurde der brāhmaṇa, der Śrī Kṛṣṇa und dessen Gefährten zur gleichen Zeit in seinem Hause empfing, von transzendentaler Freude ergriffen. Nachdem er seine Gäste gebeten hatte, sich niederzulassen, begann er zu tanzen, wobei er sich den Umhang um den Körper warf. Weil Śrutadeva wirklich nicht sehr reich war, bot er seinen ehrwürdigen Gästen, Kṛṣṇa und den Weisen, nur Sitzkissen, hölzerne Liegen, Strohteppiche und ähnliches zum Sitzen, doch empfing auch er sie nach bestem Vermögen. Er sprach vom Herrn und von den Weisen voll höchster Achtung und wusch, gemeinsam mit seiner Frau, jedem von ihnen die Füße. Danach nahm er das Wasser und besprengte damit seine Familienangehörigen; zu dieser Zeit war der brāhmaṇa, obwohl er, materiell gesehen, sehr arm erschien, doch wirklich vom Glück gesegnet. Während Śrutadeva Śrī Kṛṣṇa und Seine Gefährten willkommen hieß, vergaß er sich völlig in seiner transzendentalen Freude. Nach dem Empfang der Gäste brachte er an Früchten, Räucherstäben, Duftwasser, wohlriechendem Ton, tulasī-Blättern, kuśa-Stroh und Lotosblumen, was immer seine Mittel ihm erlaubten. Es waren dies zwar keine teuren Dinge, und sie ließen sich sehr leicht beschaffen, doch weil sie in hingegebener Liebe dargebracht wurden, nahmen Śrī Kṛṣṇa und Seine Gefährten sie mit Freude entgegen. Die Frau des brāhmaṇa kochte ganz einfache Gerichte, wie Reis und dhal, und doch nahmen Kṛṣṇa und Seine Gefährten sie dankbar zu sich, denn auch sie wurden ihnen mit Hingabe und Liebe dargebracht. Als Kṛṣṇa und Seine Begleiter auf diese Weise gespeist wurden, dachte der brāhmaṇa Śrutadeva bei sich: »Ich bin in den tiefen, dunklen Brunnen des Haushälterlebens gefallen, und ich bin der unglücklichste aller Menschen. Wie kann es unter diesen Umständen nur möglich sein, daß Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, und Seine Gefährten, die großen Weisen, deren bloße Gegenwart jeden Ort so heilig macht wie eine Pilgerstätte, sich dazu herabgelassen haben, in meine Hütte zu kommen?« Während der brāhmaṇa darüber nachdachte, beendeten seine Gäste ihr Mahl und lehnten sich behaglich zurück. Sogleich traten Śrutadeva, seine Frau, seine Kinder und andere Verwandte vor ihre ehrwürdigen Gäste, um ihnen zu dienen. Während der brāhmaṇa Kṛṣṇas Lotosfüße berührte, sagte er: »Mein lieber Herr, Du bist die Höchste Person, Puruṣottama, und somit transzendental zur manifestierten und nicht manifestierten materiellen Schöpfung. Die Aktionen der materiellen Welt und der bedingten Lebewesen können Dich in Deiner Stellung nicht berühren. Wir wissen, daß Du mich nicht nur heute mit Deiner Anwesenheit beehrst; vielmehr bist Du seit Anbeginn der Schöpfung als Paramātmā mit allen Lebewesen zusammen.« Die Worte des brāhmaṇa sind sehr lehrreich. Es ist eine Tatsache, daß der Höchste Herr, der Persönliche Gott, in Seinem Paramātmā-Aspekt als Mahā-Viṣṇu, Garbhodakaśāyī-Viṣṇu und Kṣīrodakaśāyī-Viṣṇu in die Schöpfung der materiellen Welt eingegangen ist und in Seiner großen Güte neben der bedingten Seele im Körper weilt. Deshalb ist jedes Lebewesen schon seit Anbeginn mit dem Herrn zusammen, doch weil es ein falsches Bewußtsein vom Leben hat, vermag es dies nicht zu erkennen. Wenn jedoch sein Bewußtsein in Kṛṣṇa-Bewußtsein gewandelt wird, kann es ohne weiteres erkennen, wie Kṛṣṇa versucht, der bedingten Seele zu helfen, der materiellen Verstrickung zu entkommen. Śrutadeva fuhr fort: »Mein lieber Herr, Du bist in einem schlafähnlichen Zustand in diese Welt eingegangen. Die bedingte Seele schafft im Schlaf falsche, d. h. zeitweilige Welten, und beschäftigt sich dabei mit so vielen illusorischen Dingen. Manchmal wird sie König; ein anderes Mal wird sie ermordet; dann wieder besucht sie eine unbekannte Stadt – doch all diese Dinge sind nur vorübergehend existent. In ähnlicher Weise begibst Du Dich, o Herr, scheinbar ebenfalls wie im Schlaf in die materielle Welt, um eine vorübergehende Manifestation zu schaffen – allerdings nicht eigener Bedürfnisse wegen, sondern für die bedingte Seele, die Dich, o Herr, als Genießer nachahmen möchte. Der Genuß der bedingten Seele in der materiellen Welt ist zeitweilig und eine Täuschung, doch ist die bedingte Seele nicht selbst in der Lage, die zeitweiligen Gegebenheiten für ihren illusionären Genuß zu schaffen. Obwohl also die Wünsche der bedingten Seele vorübergehend sind und eine Täuschung darstellen, gehst Du, um sie zu erfüllen und dem Lebewesen zu helfen, in die zeitweilige Manifestation ein. Somit bist Du von dem Zeitpunkt an, zu dem die bedingte Seele in die materielle Welt kommt, ihr ständiger Begleiter. Wenn aber die bedingte Seele einem reinen Gottgeweihten begegnet und sich dem hingebungsvollen Dienen zuwendet, das damit beginnt, daß man von Deinen transzendentalen Spielen hört, Deine transzendentalen Taten preist, Deine ewige Gestalt im Tempel verehrt, Dir Gebete darbringt und Gespräche führt, um Deine transzendentale Stellung zu verstehen, so wird sie allmählich von der Verunreinigung des materiellen Daseins befreit. Das Herz eines solchen Gottgeweihten wird dann von allem materiellen Staub gereinigt, und so wirst Du nach und nach in seinem Herzen sichtbar. Obwohl Du ständig mit der bedingten Seele zusammen bist, wirst Du ihr nur dann offenbar, wenn sie durch hingebungsvolles Dienen für Dich rein geworden ist. Andere, die durch fruchtbringende Tätigkeiten – ob sie nun nach den vedischen Anweisungen ausgeführt werden oder auf alltägliche Weise vor sich gehen – in Verwirrung geraten und sich nicht dem hingebungsvollen Dienst zuwenden, werden von den äußeren Freuden angelockt, die die körperliche Lebensauffassung mit sich bringt. Solchen Menschen offenbarst Du Dich nicht, sondern bleibst für sie in sehr weiter Ferne. Wer sich jedoch Deinem hingebungsvollen Dienst widmet und sein Herz durch unablässige Anrufung Deines heiligen Namens gereinigt hat, erkennt Dich leicht als seinen ewigen Begleiter. »Es heißt, daß Du, o Herr, dem Gottgeweihten vom Herzen her die Anleitung gibst, wie er schnell nach Hause, zurück zu Dir, gelangen kann. Diese direkte Führung offenbart dem Gottgeweihten Deine Anwesenheit in seinem Herzen. Nur ein Gottgeweihter vermag ohne weiteres, Deine Anwesenheit in seinem Herzen wahrzunehmen, wohingegen Du für jemanden, der nur eine körperliche Lebensauffassung hat und der Befriedigung seiner Sinne nachjagt, immer durch den Schleier der yoga-māyā verborgen bleibst. Ein solcher Mensch kann nicht erkennen, daß Du – ihm ganz nah – in seinem Herzen weilst. Der Nichtgottgeweihte nimmt Dich nur als endgültigen Tod wahr. Der Unterschied zwischen seiner Sicht und der eines Gottgeweihten gleicht dem Unterschied zwischen dem Empfinden eines Katzenjungen und dem einer Ratte, wenn sie im Maul einer Katze fortgetragen werden: Die Ratte erfährt im Katzenmaul den Tod, während das Katzenjunge im Maul der Katze deren mütterliche Zuneigung verspürt. Ebenso erfahren, obwohl Du für jeden da bist, die Nichtgottgeweihten Dich nur als den endgültigen, grausamen Tod, wohingegen Du für den Gottgeweihten der höchste Lehrer und Philosoph bist. Der Atheist erkennt also Gottes Existenz als Tod; der Gottgeweihte dagegen erkennt Gottes Gegenwart stets in seinem Herzen, nimmt Anweisungen von Ihm entgegen und lebt völlig transzendental, da er nicht von der verunreinigenden materiellen Natur berührt wird. »Du bist der höchste Herrscher und der über das Wirken der materiellen Natur Wachende. Die Atheisten beobachten lediglich die Vorgänge der materiellen Natur, doch können sie Dich nicht als die Grundlage ihrer Existenz erkennen. Ein Gottgeweihter dagegen sieht Deine Hand in jeder Regung der materiellen Natur. Der Schleier yoga-māyās kann nicht die Augen Deiner Geweihten, o Herr, bedecken; er kann sich nur über die Augen der Nichtgottgeweihten breiten. Der Nichtgottgeweihte ist außerstande, Dich von Angesicht zu Angesicht zu sehen, ebenso wie ein Mensch, dessen Sicht von einer Wolke begrenzt ist, die Sonne nicht sehen kann, obwohl ein anderer, der über der Wolkendecke fliegt, das Sonnenlicht so hell sieht, wie es ist. Mein lieber Herr, ich bringe Dir meine achtungsvollen Ehrerbietungen dar. Mein lieber aus Dir selbst strahlender Herr, ich bin Dein ewiger Diener. Bitte befiehl mir deshalb was kann ich für Dich tun? Die bedingte Seele erfährt die Schmerzen der materiellen Verunreinigung in Form der dreifachen Leiden, solange Du ihr nicht sichtbar bist. Doch sobald sie Dich durch ihr wiedererlangtes Kṛṣṇa-Bewußtsein sehen kann, überwindet sie damit sogleich alle Leiden des materiellen Daseins.« Der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, ist Seinen Geweihten natürlicherweise sehr zugetan. Als Er daher Śrutadevas in reiner Hingabe gesprochenen Gebete hörte, freute Er Sich sehr; Er nahm ihn bei den Händen und sagte: »Mein lieber Śrutadeva, all die großen Weisen und Heiligen hier sind so gütig zu dir, daß sie persönlich gekommen sind, um dich zu besuchen. Betrachte dies als ein großes Glück für dich. Sie sind so gütig, Mich auf Meiner Reise zu begleiten, und wohin sie auch kommen, machen sie alles allein durch den Staub von ihren Lotosfüßen so rein wie die transzendentale Sphäre. Die Menschen pflegen zu der Tempeln Gottes zu gehen und die heiligen Pilgerorte zu besuchen. Wenn sie dies lange Zeit getan und viele Tage in deren Bereich und mit ihrer Verehrung verbracht haben, werden sie allmählich geläutert. Der Einfluß großer Heiliger und Weiser indessen ist so mächtig, daß man, allein wenn man sie nur sieht, sogleich geläutert wird. »Darüber hinaus kommt einem auch die reinigende Kraft zugute, die dem Besuch der Pilgerstätten oder der Verehrung verschiedener Halbgötter durch die Gnade Heiliger entspringt. Ein Pilgerort wird durch die Anwesenheit der Heiligen dort zu einem heiligen Ort. Mein lieber Śrutadeva, wenn jemand als brāhmaṇa geboren wird, zählt er bereits zu den Besten der Menschen. Und wenn ein solcher brāhmaṇa, während er stets selbstgenügsam bleibt, Bußen auf sich nimmt, die Veden studiert und sich, wie es die Pflicht des brāhmaṇa ist, in Meinem hingebungsvollen Dienst beschäftigt – wenn er also, mit anderen Worten, ein Vaiṣṇava wird, wie wunderbar ist dann seine Vortrefflichkeit! Meine Erweiterung als vierarmiger Nārāyaṇa ist Mir nicht so lieb wie ein brāhmaṇa-Vaiṣṇava. Brāhmaṇa bedeutet »jemand, der mit dem vedischen Wissen vertraut ist«; ein brāhmaṇa ist der Inbegriff vollkommenen Wissens, und Ich bin die vollständige Manifestation aller Götter. Die weniger Intelligenten erkennen nicht, daß Ich das höchste Wissen bin, noch haben sie eine Vorstellung von der Bedeutung der brāhmaṇa-Vaiṣṇavas. Sie stehen unter dem Einfluß der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur und wagen es daher sogar in ihrer Unwissenheit, Mich und Meine reinen Geweihten zu schmähen. Ein brāhmaṇa-Vaiṣṇava, d. h. ein Gottgeweihter, der bereits die brahmanische Ebene erreicht hat, kann Mich in seinem Herzen erkennen und gelangt daher zu dem eindeutigen Schluß, daß die gesamte kosmische Manifestation mit ihren verschiedenen Aspekten durch Meine verschiedenen Energien geschaffen wurde. Damit hat er ein klares Verständnis von der gesamten materiellen Natur und der materiellen Energie, und in allem, was geschieht, sieht ein solcher Gottgeweihter Mich allein, und nichts anderes. »Mein lieber Śrutadeva, du kannst deshalb all diese großen Heiligen, brāhmaṇas und Weisen als Meine echten Vertreter betrachten. Wenn du sie gläubig verehrst, verehrst du Mich damit in noch vortrefflicher Weise. Ich sehe es lieber, daß man Meine Geweihten, als daß man Mich unmittelbar Selbst verehrt. Wenn man versucht, Mich direkt zu verehren, ohne Meine Geweihten zu verehren, nehme Ich eine solche Verehrung nicht an, selbst wenn sie sehr prunkvoll ist.« So verehrten der brāhmaṇa Śrutadeva und der König von Mithilā, unter der Anleitung des Herrn, Kṛṣṇa und dessen Gefolge, die großen Weisen und heiligen brāhmaṇas, als auf gleicher Stufe spiritueller Bedeutung Stehende. Der brāhmaṇa und der König erreichten beide letztlich das höchste Ziel und gelangten in die spirituelle Welt. Der Gottgeweihte kennt niemanden außer Kṛṣṇa, und Kṛṣṇa ist Seinem Geweihten sehr zugeneigt. Śrī Kṛṣṇa verweilte noch einige Zeit im Hause des brāhmaṇa Śrutadeva wie auch im Palast König Bahulāśvas in Mithilā, und nachdem Er beide in reichem Maße mit transzendentalen Unterweisungen gesegnet hatte, begab Er Sich wieder nach Seiner Hauptstadt Dvārakā. Die Lehre, die wir aus dieser Begebenheit ziehen können, besteht darin, daß der Herr den König Bahulāśva und den brāhmaṇa Śrutadeva gleich behandelte, da beide reine Gottgeweihte waren. Ein reiner Gottgeweihter zu sein, ist die einzige Eigenschaft, durch die man die Anerkennung des Höchsten Persönlichen Gottes findet. Da es eine Erscheinung des gegenwärtigen Zeitalters ist, daß Menschen sich zu Unrecht etwas auf ihre Geburt in einer kṣatriya- oder brāhmaṇa-Familie einbilden, können wir häufig beobachten, wie Menschen, ohne eine andere Eignung als ihre Herkunft zu besitzen, die Behauptung aufstellen, brāhmaṇa, kṣatriya oder vaiśya zu sein. In den Schriften steht jedoch: kalau śūdra-sambhava: »Im Zeitalter des Kali ist jeder ein śūdra.« Das liegt daran, daß heute keine der als saṁskāra bekannten Läuterungsvorgänge mehr durchgeführt werden. Niemand kann seiner Herkunft wegen zu einer bestimmten Kaste gezählt werden, insbesondere nicht zu einer der höheren Kasten, den brāhmaṇas, kṣatriyas oder vaiśyas! Wenn man nicht durch die Samengebungszeremonie, die des Garbhādhāna-saṁskāra, gereinigt worden ist, gehört man auf jeden Fall von Geburt an zu den śūdras, denn nur die śūdras unterziehen sich nicht diesem Läuterungsvorgang. Ein Geschlechtsleben ohne den Reinigungsvorgang des Kṛṣṇa-Bewußtseins ist nichts anderes als der Begattungsakt bei śūdras und Tieren. Kṛṣṇa-Bewußtsein jedoch ist die höchste Vollkommenheit des Lebens, durch die jeder auf die Ebene eines Vaiṣṇava gelangen kann. Diese Stufe schließt bereits mit ein, daß man alle Eigenschaften eines brāhmaṇa besitzt. Die Vaiṣṇavas werden dazu erzogen, von den vier Arten der Sünde frei zu werden, die darin bestehen, daß man unzulässige sexuelle Beziehungen unterhält, Rauschmittel einnimmt, sich an Glücksspielen beteiligt oder Essen zu sich nimmt, das aus Tierleichen zubereitet wurde. Niemand kann sich auf der brahmanischen Ebene befinden, ohne zumindest diese Grundvoraussetzungen zu erfüllen, und ohne ein echter brāhmaṇa zu sein, kann man kein reiner Gottgeweihter werden. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 86. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa besucht Śrutadeva und Bahulāśva«. 87. KAPITEL Die Gebete der Veden in Person König Parīkṣit stellte Śukadeva Gosvāmī als nächstes eine Frage, deren Inhalt für das Verstehen transzendentaler Themen von großer Bedeutung ist. Sie lautete: »Das vedische Wissen befaßt sich hauptsächlich mit den drei Eigenschaften oder Erscheinungsweisen der materiellen Natur – wie kann es sich also mit der Transzendenz befassen, die jenseits der Reichweite der materiellen Erscheinungsweisen liegt? Wie kann sich, wenn doch der Geist materiell und die Artikulation gesprochener Worte materieller Klang sind, das vedische Wissen, das durch materielle Klänge die Gedanken des Geistes wiedergibt, mit der Transzendenz befassen? Wenn man eine Sache beschreiben will, muß man ihren Ursprung, ihre Eigenschaften und ihr Wirken beschreiben. Das ist nur dadurch möglich, daß man mit dem materiellen Geist denkt und materielle Worte spricht. Obwohl das Brahman, die Absolute Wahrheit, keine materiellen Eigenschaften besitzt, reicht unser Sprechvermögen nicht über die materiellen Eigenschaften hinaus. Wie also kannst du das Brahman, die Absolute Wahrheit, mit deinen Worten beschreiben? Ich kann mir nicht vorstellen, wie es möglich sein soll, die Transzendenz durch das Vernehmen materieller Worte zu verstehen.« König Parīkṣit stellte seine Frage in der Absicht, von Śukadeva Gosvāmī zu erfahren, ob die Veden die Absolute Wahrheit letztlich als unpersönlich oder als persönlich beschreiben. Wenn man im Verstehen der Absoluten Wahrheit fortschreitet, erkennt man drei Aspekte: das unpersönliche Brahman, den Paramātmā im Herzen eines jeden und schließlich den Höchsten Persönlichen Gott Śrī Kṛṣṇa. Die Veden behandeln drei Aktivitätsbereiche. Der erste Bereich wird karma-kāṇḍa genannt und umfaßt Handlungen nach den Anweisungen der Veden, durch die man allmählich so weit geläutert wird, daß man seine wesenseigene Stellung erkennt; der nächste Bereich wird als jñāna-kāṇḍa bezeichnet und besteht aus Vorgängen, die Absolute Wahrheit durch Spekulation zu verstehen, und der dritte Bereich heißt upāsanā-kāṇḍa oder die Verehrung des Höchsten Persönlichen Gottes und manchmal auch der Hauptgötter. Die Verehrung der Halbgötter wird in den Veden nur denen empfohlen, die die Beziehung der Halbgötter zum Persönlichen Gott verstehen. Der Höchste Persönliche Gott hat viele Teile; die einen bezeichnet man als svāṁśa, Seine persönlichen Erweiterungen, und die anderen als vibhinnāṁśa, die Lebewesen. All diese Erweiterungen, sowohl die svāṁśa als auch die vibhinnāṁśa, gehen vom Höchsten Persönlichen Gott aus. Die svāṁśa-Erweiterungen werden Viṣṇu-tattva genannt, die vibhinnāṁśa-Erweiterungen jīva-tattva. Auch die Halbgötter zählen zum jīva-tattva. Die bedingten Seelen werden gewöhnlich in das Geschehen der materiellen Welt gesetzt, damit sie der Sinnenbefriedigung nachgehen können, und daher wird, wie die Bhagavad-gītā erklärt, zur Einschränkung derer, die stark nach bestimmten Arten der Sinnenbefriedigung trachten, manchmal die Verehrung von Halbgöttern empfohlen. Menschen, beispielsweise, die unbedingt Fleisch essen wollen, dürfen nach den vedischen Anweisungen erst dann Fleisch essen, wenn sie das Bildnis der Göttin Kalī verehrt und ihr nach den karma-kāṇḍa-Regeln eine Ziege (kein anderes Tier) geopfert haben. Dies soll jedoch nicht zum Fleischessen auffordern, sondern erlaubt es lediglich jemandem, der sich des Fleischgenusses nicht enthalten kann, ihm unter bestimmten einschränkenden Bedingungen zu frönen. Die Verehrung der Halbgötter ist also nicht dasselbe wie die Verehrung der Absoluten Wahrheit; vielmehr gelangt man durch die Verehrung der Halbgötter dahin, den Höchsten Persönlichen Gott indirekt anzuerkennen. Dieses indirekte Anerkennen wird in der Bhagavad-gītā als avidhi bezeichnet. Avidhi bedeutet »nicht vorbehaltlos anerkannt«. Weil die Verehrung der Halbgötter nicht vorbehaltloser Anerkennung entspringt, betonen die Unpersönlichkeitsphilosophen den unpersönlichen Aspekt der Absoluten Wahrheit. König Parīkṣits eigentliche Frage lautete: »Was ist das endgültige Ziel des vedischen Wissens – die Konzentration auf den unpersönlichen Aspekt der Absoluten Wahrheit oder die Konzentration auf den persönlichen Aspekt? Schließlich entziehen sich sowohl der unpersönliche als auch der persönliche Aspekt des Höchsten Herrn unserem materiellen Vorstellungsvermögen. Der unpersönliche Aspekt des Absoluten, das leuchtende Brahman, ist nichts anderes als die Ausstrahlung der persönlichen Gestalt Kṛṣṇas; sie strahlt über die ganze Schöpfung des Herrn, und den Teil der Ausstrahlung, der von der materiellen Wolke verhüllt wird, bezeichnet man als den erschaffenen Kosmos der drei materiellen Eigenschaften sattva, rajas und tamas. Wie können diejenigen, die sich in diesem bewölkten Teil, nämlich in der materiellen Welt befinden, die Absolute Wahrheit durch Spekulation verstehen?« Als Antwort auf König Parīkṣits Frage erwiderte Śukadeva Gosvāmī, daß der Höchste Persönliche Gott den Geist, die Sinne und die Lebenskraft sowohl zum Zwecke der Sinnenbefriedigung auf der Wanderung von einem Körper zum anderen wie auch als Möglichkeit zur Befreiung von den materiellen Bedingungen geschaffen habe. Der Geist, die Sinne und die Lebenskraft können, mit anderen Worten, also entweder zur Befriedigung der Sinne und damit zur Wanderung von Körper zu Körper oder zur Befreiung gebraucht werden. Die vedischen Anweisungen sollen der bedingten Seele die Möglichkeit zu einer durch Prinzipien geregelten Sinnenbefriedigung geben und ihr dadurch zugleich helfen, zu höheren Lebensbedingungen zu gelangen; wenn dann schließlich ihr Bewußtsein gereinigt ist, kann sie ihre ursprüngliche Position verstehen und heim, zurück zu Gott, gehen. Die Lebenskraft besitzt Intelligenz. Man muß daher seine Intelligenz gebrauchen, um Geist und Sinne zu beherrschen. Wenn der Geist und die Sinne durch den richtigen Gebrauch der Intelligenz geläutert sind, ist die bedingte Seele befreit. Wird die Intelligenz jedoch nicht richtig verwendet, d. h. nicht dazu, Sinne und Geist zu beherrschen, wandert die bedingte Seele auf der Suche nach Sinnenbefriedigung weiter von Körper zu Körper. Ein anderer Punkt, den Śukadeva Gosvāmī in seiner Antwort deutlich herausstellte, ist die Tatsache, daß der Herr den Geist, die Sinne und die Intelligenz der individuellen Lebenskraft geschaffen hat. Es wird jedoch nicht gesagt, daß die Lebewesen an sich jemals erschaffen wurden. Wie die leuchtenden Partikel der Sonnenstrahlen immer zusammen mit der Sonne existieren, bestehen die Lebewesen als Teile des Höchsten Persönlichen Gottes ewig. Obwohl die bedingten Seelen als Teile des Höchsten Herrn ewig bestehen, werden sie manchmal in die Wolke der materiellen Auffassung vom Leben und damit in die Finsternis der Unwissenheit gesetzt. Alle vedischen Anweisungen sind dazu bestimmt, einem in dieser finsteren Lage Erleichterung zu verschaffen. Wenn die Sinne und der Geist des bedingten Lebewesens schließlich völlig gereinigt sind, erreicht es wieder seine ursprüngliche Position, Kṛṣṇa-Bewußtsein genannt, und das ist die Befreiung. Das erste sūtra im Vedānta-sūtra stellt die Frage nach der Absoluten Wahrheit: athāto brahma-jijñāsā, »Was ist die Natur der Absoluten Wahrheit?« Das nächste sūtra antwortet, daß es die Natur der Absoluten Wahrheit ist, die Ursache aller Dinge zu sein. Alles, was wir wahrnehmen, auch im materiellen, bedingten Leben, ist nichts weiter als eine von Ihm ausgehende Erweiterung. Die Absolute Wahrheit schuf den Geist, die Sinne und die Intelligenz. Also kann die Absolute Wahrheit nicht ohne Geist, Intelligenz und Sinne sein. Schon allein das Wort »schuf« deutet darauf hin, daß Er transzendentale Intelligenz besitzt. Wenn ein Mann z. B. ein Kind zeugt, wird das Kind Sinne haben, weil auch der Vater Sinne hat. Das Kind kommt mit Händen und Füßen zur Welt, weil auch der Vater Hände und Füße hat. Deshalb sagt man, der Mensch sei nach Gottes Ebenbild geschaffen. Die Absolute Wahrheit ist also die Höchste Persönlichkeit, die einen transzendentalen Geist, transzendentale Sinne und transzendentale Intelligenz besitzt. Wenn der Geist, die Intelligenz und die Sinne der bedingten Seele von der materiellen Verunreinigung frei geworden sind, kann sie die ursprüngliche Gestalt der Absoluten Wahrheit als Person verstehen. Die vedischen Anweisungen erheben die bedingte Seele nach und nach von der Erscheinungsweise der Unwissenheit zur Erscheinungsweise der Leidenschaft und von dort zur Erscheinungsweise der Tugend. In der Erscheinungsweise der Tugend hat man genügend Licht, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Ein Beispiel mag diesen Vorgang verdeutlichen: Aus der Erde wächst ein Baum; vom Baum erhält man Brennholz, und mit dem Brennholz kann man ein Feuer entfachen. Beim Anzünden entsteht zuerst Rauch, dann Wärme und schließlich Feuer. Das Feuer kann für viele Zwecke verwendet werden, und daher ist Feuer das erstrebte Ziel. In übertragenem Sinne sieht man als erstes, daß auf der gröbsten materiellen Stufe des Lebens die Erscheinungsweise der Unwissenheit vorherrscht. Mit der allmählichen Entwicklung vom Barbarendasein zum zivilisierten Leben weicht diese Unwissenheit, und man kann somit sagen, daß jemand, der zu einer zivilisierten Lebensweise gelangt ist, sich in der Erscheinungsweise der Leidenschaft befindet. Auf der Stufe des Barbarendaseins, in der Erscheinungsweise der Unwissenheit, werden die Sinne auf sehr grobe Weise befriedigt, und in der Erscheinungsweise der Leidenschaft oder auf der zivilisierten Stufe des Lebens geschieht dies in verfeinerter Form. Erreicht man jedoch die Erscheinungsweise der Tugend oder Reinheit, kann man verstehen, daß sich die Sinne und der Geist nur deshalb mit materiellen Tätigkeiten befassen, weil sie von einem widernatürlichen Bewußtsein bedeckt sind. Wenn dieses widernatürliche Bewußtsein allmählich in Kṛṣṇa-Bewußtsein umgewandelt wird, tut sich einem der Pfad zur Befreiung auf. Es ist also nicht unmöglich, mit den Sinnen und dem Geist der Absoluten Wahrheit näherzukommen. Die richtige Schlußfolgerung lautet vielmehr, daß Sinne, Geist und Intelligenz im groben Zustand der Verunreinigung zwar nicht imstande sind, das Wesen der Absoluten Wahrheit wahrzunehmen, daß man aber mit ihnen, wenn sie geläutert sind, verstehen kann, was die Absolute Wahrheit ist. Der Reinigungsvorgang ist hingebungsvolles Dienen oder Kṛṣṇa-Bewußtsein. In der Bhagavad-gītā wird eindeutig gesagt, daß es das Ziel des vedischen Wissens ist, Kṛṣṇa zu erkennen, und Kṛṣṇa wiederum ist durch liebevolles Dienen zu verstehen, das mit Hingabe beginnt. Auch wird in der Bhagavad-gītā gesagt, daß man ständig an Kṛṣṇa denken muß. Man muß Kṛṣṇa ständig dienen, Ihn stets verehren und sich vor Ihm verneigen. Nur durch diesen Vorgang kann man in das Königreich Gottes eingehen. Daran besteht kein Zweifel. Wenn man durch hingebungsvolles Dienen in der Erscheinungsweise der Tugend erleuchtet ist, wird man von den Erscheinungsweisen der Unwissenheit und Leidenschaft befreit. Das Wort ātmane bezeichnet die Stufe, auf der man die brahmanischen Eigenschaften erlangt hat und deshalb die als Upaniṣaden bekannten vedischen Schriften studieren darf. Die Upaniṣaden beschreiben auf vielerlei Weise die transzendentalen Eigenschaften des Höchsten Herrn. Die Absolute Wahrheit, der Höchste Herr, wird auch nirguṇa genannt. Das bedeutet jedoch nicht, daß Er keine Eigenschaften hat. Nur weil Er Eigenschaften hat, können die bedingten Lebewesen Eigenschaften haben. Der Sinn des Studiums der Upaniṣaden ist die Erkenntnis, daß die transzendentalen Eigenschaften der Absoluten Wahrheit den materiellen Eigenschaften der Unwissenheit, Leidenschaft und Tugend völlig entgegengesetzt sind. Dahin soll das Verständnis der Veden führen. Große Weise, wie die vier Kumāras, von denen Sanaka der Führende ist, folgten diesen Prinzipien des vedischen Wissens und gelangten so allmählich von der Auffassung des Unpersönlichen zur Verehrung des Höchsten Herrn als Person. Es wird uns daher empfohlen, dem Beispiel solch großer Persönlichkeiten zu folgen. Śukadeva Gosvāmī ist eine dieser großen Persönlichkeiten, und seine Antwort auf Mahārāja Parīkṣits Frage ist daher maßgeblich. Wer den Fußstapfen solch großer Persönlichkeiten folgt, kann mit Sicherheit den Pfad der Befreiung sehr leicht beschreiten und kehrt schließlich heim, zurück zu Gott. Auf diese Weise kann man in der menschlichen Form des Lebens die Vollkommenheit erreichen. Śukadeva Gosvāmī sagte weiter zu Parīkṣit Mahārāja: »Mein lieber König, ich will dir nun als Antwort auf deine Frage eine Geschichte erzählen. Diese Geschichte ist von großer Bedeutung, da sie mit Nārāyaṇa, dem Höchsten Persönlichen Gott, zusammenhängt. Sie schildert ein Gespräch zwischen Nārāyaṇa Ṛṣi und dem großen Weisen Nārada. Nārāyaṇa Ṛṣi hält sich noch heute in Badarīkāśrama im Himalaya auf und wird als Inkarnation Nārāyaṇas angesehen. Als einst Nārada, der große Geweihte und Asket unter den Halbgöttern, wieder einmal verschiedene Planeten bereiste, verspürte er den Wunsch, den Asketen Nārāyaṇa in Badarīkāśrama zu besuchen und ihm seine Ehrerbietungen zu erweisen. Nārāyaṇa Ṛṣi, die Inkarnation Gottes als großer Weiser, unterzieht sich schon seit Beginn der Schöpfung schweren Bußen und Opfern, um die Bewohner Bhāratavarṣas [* Name des Planeten Erde *] zu lehren, wie man die höchste Stufe der Vollkommenheit erreichen, d. h. zu Gott zurückkehren kann. Die Entbehrungen und Bußen, die er sich auferlegt, sind beispielhaft für alle Menschen.« Badarīkāśrama liegt im nördlichsten Teil des Himalaya und ist mit ewigem Schnee bedeckt. Religiöse Inder besuchen heute noch, während des Sommers, wenn es nicht so heftig schneit, diesen Ort. Einst hielt sich Nārāyaṇa Ṛṣi, die Inkarnation Gottes, in dem Dorf Kalāpagrāma auf, wo er mit vielen Gottgeweihten, die keine gewöhnlichen Weisen waren, zusammensaß. Schließlich erschien auch der große Weise Nārada in ihrer Mitte, und nachdem er Nārāyaṇa Ṛṣi seine Ehrerbietungen erwiesen hatte, stellte er diesem die gleiche Frage, die König Parīkṣīt später an Śukadeva Gosvāmī richtete. Nārāyaṇa Ṛṣi beantwortete daraufhin Nāradas Frage, indem er den Fußstapfen seiner Vorgänger folgte. Er erzählte, wie diese Frage einst auf dem als Janaloka bekannten Planeten erörtert wurde. Janaloka liegt über den Svargaloka-Planeten wie dem Mond und der Venus. Auf diesem Planeten leben große Weise und Heilige, und auch sie erörterten einst die Frage nach dem richtigen Verständnis vom Brahman und Seiner wirklichen Identität. Der große Weise Nārāyaṇa sprach also: »Mein lieber Nārada, ich will dir von einer Begebenheit erzählen, die sich vor langer, langer Zeit zutrug. Es hielten einst die Bewohner der himmlischen Planeten eine große Zusammenkunft ab, der fast alle bedeutenden brahmacārīs beiwohnten und so auch die vier Kumāras Sanat, Sanāndana, Sanaka und Sanātana. Gegenstand ihres Gesprächs war das Verständnis von der Absoluten Wahrheit, dem Brahman. Du selbst warst bei dem Treffen nicht zugegen, da du damals gerade meine Erweiterung Aniruddha besuchtest, welcher auf der Insel Śvetadvīpa lebt. In jener Versammlung sprachen die großen Weisen und brahmacārīs sehr ausführlich über die gleiche Frage, die auch du mir gestellt hast, und was dabei vorgebracht wurde, war wirklich sehr interessant. Ihr Gespräch bewegte sich auf einer so hohen Ebene, daß selbst die Veden nicht imstande waren, die auftretenden komplizierten Fragen zu beantworten.« Nārāyaṇa Ṛṣi sagte zu Nārada also, daß dieselbe Frage, die er ihm gestellt habe, bereits bei der Zusammenkunft auf Janaloka besprochen worden sei. Das ist der Weg, Dinge durch die paramparā oder Schülernachfolge zu verstehen. Mahārāja Parīkṣit stellte Śukadeva Gosvāmī eine Frage; Śukadeva Gosvāmī bezog sich bei seiner Antwort auf Nārada, der seinerseits Nārāyaṇa Ṛṣi gefragt hatte. Nārāyaṇa Ṛṣi, schließlich, berief sich bei seiner Antwort auf noch höhere Autoritäten auf dem Planeten Janaloka, wo dieses Thema von den großen Kumāras Sanat, Sanātana, Sanaka und Sanandana erörtert worden war. Diese vier brahmacārīs sind anerkannte Gelehrte der Veden und śāstras. Ihr unbegrenzter, von Entsagungen und Bußen gestützter Wissensschatz wird an ihrem erhabenen und vorbildlichen Charakter deutlich. Sie sind voll liebenswürdiger Sanftheit und machen keinen Unterschied zwischen Freunden, Gönnern oder Feinden. Da Persönlichkeiten wie die Kumāras in der Transzendenz verankert sind, stehen sie über allen materiellen Betrachtungen. Materiellen Dualitäten stehen sie stets gleichgültig gegenüber. Bei den Erörterungen, die die vier Brüder miteinander führten, wählten sie einen von ihnen, Sanandana, zum Sprecher, und die drei anderen Brüder wurden seine Zuhörer. Sanandana sagte: »Nach der Auflösung der gesamten kosmischen Manifestation geht die gesamte Energie und die ganze Schöpfung in ihrer Kernform in den Körper Garbhodakaśāyī Viṣṇus ein. Dann schläft der Herr lange, lange Zeit, und wenn der Schöpfungsakt wiederum notwendig wird, versammeln sich die Veden in Person um Ihn und beginnen, Ihn zu preisen, indem sie Seine wundervollen transzendentalen Spiele schildern. Dies ist mit dem Wecken eines Königs vergleichbar. Wenn der König morgens noch schläft, versammeln sich auserwählte Sänger um das Schlafgemach und beginnen, seine Heldentaten zu besingen, und während der König den Ruhm seiner Taten hört, erwacht er ganz sanft. Die vedischen Vortragskünstler, die Veden in Person, singen also: »O Unüberwindlicher, Du bist die höchste Persönlichkeit. Niemand kommt Dir gleich oder ist größer als Du, Es gibt niemanden, dessen Taten ruhmreicher sein könnten als die Deinen. Sei gepriesen! Sei gepriesen über alles! Durch Deine transzendentale Natur besitzt Du alle sechs Füllen in vollem Ausmaß, und daher kannst Du alle bedingten Seelen aus der Gewalt māyās befreien. O Herr, wir flehen Dich inständig an, dies gütigerweise zu tun. Weil alle Wesen Deine Teile sind, sind sie von Natur aus glückselig, ewig und voller Wissen, doch in ihrer eigenen Unvollkommenheit versuchen sie, Dich nachzuahmen und selbst der höchste Genießer zu werden. Damit widersetzen sie sich Deiner höchsten Herrschaft und werden zu Frevlern. Aufgrund ihrer Vergehen hat sich die materielle Energie ihrer angenommen, worauf ihre transzendentalen Eigenschaften der Ewigkeit, Glückseligkeit und Weisheit von den Wolken der drei materiellen Eigenschaften verhüllt wurden. Die aus den drei materiellen Eigenschaften geschaffene kosmische Manifestation ist wie ein Gefängnis für die bedingten Seelen. Die bedingten Seelen kämpfen verzweifelt darum, der materiellen Gefangenschaft zu entkommen, und je nach ihrer jeweiligen Lebenslage sind sie zu bestimmten Tätigkeiten verpflichtet. All ihre Tätigkeiten gründen sich auf Dein Wissen. Man kann nur fromme Werke tun, wenn man durch Deine Gnade dazu angeregt wird. Deshalb kann niemand den Einfluß der materiellen Energie überwinden, ohne bei Deinen Lotosfüßen Zuflucht zu suchen. Wir, als vedisches Wissen in Person, dienen Dir ständig, indem wir den bedingten Seelen helfen, Dich zu verstehen.« Dieses Gebet der Veden in Person macht deutlich, daß die Veden dazu bestimmt sind, den bedingten Seelen zu helfen, Kṛṣṇa zu erkennen. Die versammelten śrutis oder Veden in Person priesen den Herrn immer wieder, indem sie »Jaya! Jaya!« sangen. Dies deutet darauf hin, daß der Herr für Seine Herrlichkeit gepriesen wird. Die wichtigste Seiner glorreichen Eigenschaften ist Seine grundlose Gnade gegenüber den bedingten Seelen, die sich darin zeigt, daß Er sie aus der Gewalt der materiellen Natur zu Sich zurückzurufen versucht. Es gibt unzählige Lebewesen in den verschiedenartigsten Körpern, von denen einige sich bewegen und andere ortsgebunden sind. Das bedingte Dasein dieser Lebewesen hat seine Ursache allein darin, daß sie ihre ewige Beziehung zum Höchsten Persönlichen Gott vergessen haben. Wenn das Lebewesen über die materielle Natur herrschen und Kṛṣṇa nachahmen will, wird es sogleich von der materiellen Energie gefangen und bekommt je nach Wunsch einen Körper aus den 8 400 000 verschiedenen Arten. Obgleich es ständig die drei Leiden des materiellen Daseins ertragen muß, hält sich das verblendete Lebewesen fälschlich für den Herrn über alles, was es wahrnimmt. Im Bann der materiellen Energie, die sich in den drei materiellen Eigenschaften offenbart, ist es so sehr verstrickt, daß es nicht die geringste Möglichkeit hat, frei zu werden, wenn der Herr ihm nicht gnädig ist. Das Lebewesen kann den Einfluß der materiellen Erscheinungsweisen der Natur nicht durch eigene Anstrengungen überwinden; doch weil die materielle Natur unter der Aufsicht des Höchsten Herrn wirkt, steht Er über ihrem Herrschaftsbereich. Außer Ihm sind alle Lebewesen, angefangen mit Brahmā, bis hinunter zur Ameise, durch die Berührung mit der materiellen Natur überwältigt worden. Weil der Herr die sechs Füllen Reichtum, Kraft, Ruhm, Schönheit, Wissen und Entsagung in Vollkommenheit besitzt, steht Er als einziger nicht im Bann der materiellen Natur. Solange das Lebewesen nicht Kṛṣṇa-bewußt ist, kann es sich nicht dem Höchsten Persönlichen Gott nähern; doch der Herr kann dem Lebewesen in Seiner Allmacht von innen her als Überseele Anweisungen geben. In der Bhagavad-gītā (9.27) empfiehlt der Herr: »Alles, was du tust, tue es für Mich; alles, was du ißt, opfere es erst Mir; alles, was du als Spende geben willst, gib es zuerst Mir, und alle Opfer und Bußen, die du tun willst, tue sie für Mich«. Durch diese Anweisungen werden die karmīs dorthin geführt, allmählich Kṛṣṇa-Bewußtsein zu entwickeln. Ebenso führt Kṛṣṇa auch die Philosophen dahin, sich Ihm zu nähern, indem Er sie zwischen Brahman und māyā unterscheiden lehrt. Wenn man schließlich im Wissen gereift ist, gibt man sich Kṛṣṇa hin. Kṛṣṇa Selbst sagt in der Bhagavad-gītā (7.19): »Nach vielen, vielen Geburten gibt der weise Philosoph sich Mir hin.« Die yogīs werden dahin geführt, über Kṛṣṇa im Herzen zu meditieren, und wenn sie sich durch diesen Vorgang fortgesetzt im Kṛṣṇa-Bewußtsein üben, können sie aus der Gewalt der materiellen Energie frei werden. Doch die Gottgeweihten werden, wie in der Bhagavad-gītā erklärt wird, weil sie dem Herrn von Anfang an mit Liebe und Hingabe dienen, vom Herrn geführt, so daß sie sich Ihm ohne Schwierigkeiten und ohne Abweichung nähern können. Nur durch die Gnade des Herrn kann man die Bedeutung des Brahman, die des Paramātmā und die Bhagavāns verstehen. Die Worte der Veden in Person besagen eindeutig, daß uns die vedischen Schriften einzig dafür gegeben sind, ein Verständnis von Kṛṣṇa zu bekommen. Auch in der Bhagavad-gītā (15.15) wird bestätigt, daß es allein Kṛṣṇa ist, der durch alle Veden zu erkennen ist. Kṛṣṇa genießt ständig, sei es in der materiellen oder in der spirituellen Welt; weil Er der Höchste Genießer ist, besteht für Ihn kein Unterschied zwischen der materiellen Welt und den spirituellen Welten. Die materielle Welt setzt den gewöhnlichen Lebewesen Schranken, denn diese werden stets von ihr beherrscht; doch weil Kṛṣṇa auch die materielle Natur beherrscht, bestehen für Ihn nicht die Hindernisse, die sie den Lebewesen setzt. Die Veden erklären daher an mehreren Stellen in den Upaniṣaden: »Das Brahman ist ewig und voll von allem Wissen und aller Glückseligkeit, doch der eine Höchste Persönliche Gott weilt im Herzen jedes Lebewesens.« Durch Seine Fähigkeit, alles zu durchdringen, vermag Er nicht nur in die Herzen der Lebewesen einzugehen, sondern auch in die Atome. Als Überseele lenkt Er alle Tätigkeiten der Lebewesen. Er lebt in ihnen allen und beobachtet ihr Tun, wobei Er ihnen erlaubt, nach ihren Wünschen zu handeln, und ihnen dann die Ergebnisse ihrer Tätigkeiten zukommen läßt. Er ist die Lebenskraft in allem, und doch ist Er transzendental zu den materiellen Eigenschaften. Er ist allmächtig; Er stellt alles in meisterhafter Weise her, und durch Sein erhabenes, natürliches Wissen vermag Er jeden unter Seine Führung zu bringen. Somit ist Er der Meister eines jeden. Manchmal zeigt Er Sich auch auf dem Erdplaneten, doch weilt Er zugleich überall in der Materie. Als Er den Wunsch hatte, Sich durch viele Formen zu erweitern, warf Er einen Blick über die materielle Natur, worauf unzählige Lebewesen erschienen. Alles wurde durch Seine höhere Energie erschaffen, und alles in Seiner Schöpfung scheint vollkommen, ohne Unzulänglichkeit, gemacht worden zu sein. Diejenigen, die aus der materiellen Natur befreit werden möchten, müssen daher den Höchsten Persönlichen Gott, die endgültige Ursache aller Ursachen, verehren. Er ist mit der Gesamtmasse der Erde zu vergleichen, aus der unter anderem eine Vielzahl an Töpfen hergestellt wird: Die Töpfe werden zuerst aus Erde angefertigt, dann stehen sie auf der Erde, und wenn sie zerbrochen sind, gehen ihre Bestandteile wieder in die Erde ein. Doch obgleich der Höchste Persönliche Gott die ursprüngliche Ursache aller verschiedenen Manifestationen ist, messen die Unpersönlichkeitsanhänger dem vedischen Ausspruch sarvaṁ khalv idam brahma, »alles ist Brahman«, besondere Bedeutung bei. Die Unpersönlichkeitsphilosophen übersehen jedoch die vielfältigen Manifestationen, die aus der höchsten Ursache, dem Brahman, hervorgehen. Sie sehen nur, daß alles vom Brahman ausgeht, daß alles nach der Zerstörung wieder in das Brahman eingeht, und daß der dazwischenliegende Zustand der Manifestation ebenfalls Brahman ist. Obwohl die Māyāvādīs glauben, der Kosmos sei vor der Schöpfung im Brahman gewesen, er bleibe nach der Schöpfung im Brahman und werde nach der Zerstörung wieder in das Brahman eingehen, wissen sie nicht, was das Brahman eigentlich ist. Diese Tatsache wird deutlich in der Brahma-saṁhitā wiedergegeben, wo es heißt, daß die Lebewesen, Raum, Zeit und die materiellen Elemente, wie Feuer, Erde, Himmel, Wasser und Geist, die gesamte kosmische Manifestation bilden, die als bhūr bhuvaḥ svaḥ bekannt ist und von Govinda manifestiert wird. Sie erblüht durch die Kraft Govindas, geht nach der Vernichtung in Govinda ein und wird in Ihm bewahrt. Brahmā sagt deshalb: »Ich verehre Govinda, die ursprüngliche Persönlichkeit, die Ursache aller Ursachen.« Das Wort ›Brahman‹ weist auf den größten von allen hin, auf den Erhalter alles Bestehenden. Die Unpersönlichkeitsphilosophen fühlen sich zur Größe und Weite des Himmels hingezogen; doch weil sie nur ein geringes Maß an Wissen haben, fühlen sie sich nicht zur Größe Kṛṣṇas hingezogen. Indes werden wir selbst im alltäglichen Leben von der Größe einer Person und nicht von der Größe eines Berges angezogen. Im Grunde kann der Begriff ›Brahman‹ nur für Kṛṣṇa gebraucht werden; deshalb sagt Arjuna in der Bhagavad-gītā (10.12-13), daß Kṛṣṇa der Parambrahman ist, der höchste Ruheort alles Existierenden. Kṛṣṇa ist der Höchste Brahman, weil Er über grenzenloses Wissen, grenzenlose Kräfte, grenzenlose Stärke, grenzenlosen Einfluß, grenzenlose Schönheit und die Eigenschaft grenzenloser Entsagung verfügt. Das ist der Grund, weshalb das Wort ›Brahman‹ nur auf Śrī Kṛṣṇa bezogen werden kann. Arjuna bestätigt, daß Kṛṣṇa der Parambrahman ist, da das unpersönliche Brahman die Ausstrahlung ist, die von Kṛṣṇas transzendentalem Körper ausgeht. Alles ruht auf dem Brahman, doch das Brahman ruht auf Kṛṣṇa. Deshalb ist Kṛṣṇa das endgültige Brahman oder der Parambrahman. Die materiellen Elemente gelten als die niederen Energien Kṛṣṇas, denn durch ihre Wechselwirkung findet die kosmische Manifestation statt, ruht auf Kṛṣṇa und geht nach der Zerstörung als Seine feine Energie wieder in Ihn ein. Kṛṣṇa ist somit die Ursache der Manifestation wie auch der Auflösung. Sarvaṁ khalv idaṁ brahma bedeutet, daß alles Kṛṣṇa ist; so sehen Ihn die mahā-bhāgavatas. Sie sehen alles in Beziehung zu Kṛṣṇa. Die Verfechter der Unpersönlichkeitslehre behaupten, Kṛṣṇa sei zu vielen geworden, und daher sei alles Kṛṣṇa und die Verehrung von irgend etwas Beliebigem sei eine Verehrung Kṛṣṇas. Dieser falschen Behauptung wird von Kṛṣṇa Selbst in der Bhagavad-gītā widersprochen. Es heißt dort nämlich, daß Er, obwohl alles eine Umwandlung Seiner Energie ist, nicht in allem persönlich gegenwärtig ist. Er ist zugleich gegenwärtig und nicht gegenwärtig. Durch Seine Energie ist Er überall gegenwärtig, doch als der Ursprung der Energie ist Er nicht überall gegenwärtig. Diese gleichzeitige Gegenwart und Nichtgegenwart ist für unsere derzeitigen Sinne unfaßbar. Doch in der Śrī Iśopanisad wird am Anfang eine deutliche Erklärung gegeben, die besagt, daß der Höchste Herr so vollkommen ist, daß Sich Seine Persönlichkeit nicht im mindesten ändert, obwohl unbegrenzte Energien und deren Umwandlungen aus Ihm hervorgehen. Da Kṛṣṇa die Ursache aller Ursachen ist, sollten daher die Intelligenten Zuflucht bei Seinen Lotosfüßen suchen. Kṛṣṇa gibt jedem den Rat, sich einfach Ihm allein hinzugeben, und das ist letztlich die Aussage aller vedischen Anweisungen. Weil Kṛṣṇa die Ursache aller Ursachen ist, wird er von allen Weisen und Heiligen durch das Befolgen der regulierenden Prinzipien verehrt. Wenn große Persönlichkeiten meditieren wollen, meditieren sie über die transzendentale Gestalt Kṛṣṇas im Herzen. Auf diese Weise befassen sich die Gedanken großer Persönlichkeiten stets mit Kṛṣṇa. Wenn die Gedanken der Gottgeweihten sich mit Kṛṣṇa beschäftigen, sprechen die so Bezauberten eben einfach nur von Kṛṣṇa. Von Kṛṣṇa zu sprechen oder zu singen wird kīrtana genannt. Auch Śrī Caitanya empfiehlt »kīrtanīyaḥ sadā hariḥ«, was bedeutet, ständig an Kṛṣṇa zu denken und nur von Ihm, und nichts anderem, zu sprechen. Das wird Kṛṣṇa-Bewußtsein genannt. Kṛṣṇa-Bewußtsein ist so erhaben, daß jeder, der diesen Vorgang aufnimmt, zur höchsten Vollkommenheit des Lebens erhoben wird, eine Vollkommenheit, die den Gedanken der Befreiung weit übersteigt. In der Bhagavad-gītā (9.34) rät Kṛṣṇa deshalb jedem, ständig an Ihn zu denken, Ihm hingebungsvolle Dienste zu erweisen, Ihn zu verehren und Ihm Ehrerbietungen darzubringen. Auf diese Weise wird der Gottgeweihte völlig »Kṛṣṇa-isiert« und geht schließlich, da er stets im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert ist, zurück zu Kṛṣṇa. Wenn auch in den Veden die Verehrung der Halbgötter als individuelle Teile Kṛṣṇas empfohlen wird, muß man doch wissen, daß diese Anweisungen nur für weniger intelligente Menschen gelten, die noch immer vom materiellen Sinnengenuß angelockt sind. Ein Mensch dagegen, der die Bestimmung des menschlichen Lebens auf vollkommene Weise erfüllen will, sollte einfach Śrī Kṛṣṇa verehren; das wird für ihn alles vereinfachen und ihm den völligen Erfolg seines menschlichen Lebens gewährleisten. Obgleich sowohl Himmel als auch Wasser als auch Land Bestandteile der materiellen Welt sind, steht man natürlich viel sicherer auf dem Land als in der Luft oder auf dem Wasser. Ein intelligenter Mensch stellt sich deshalb nicht unter den Schutz der Halbgötter, obwohl sie Teile Kṛṣṇas sind. Er steht vielmehr auf dem festen Boden des Kṛṣṇa-Bewußtseins. Das gibt ihm einen soliden und sicheren Stand. Die Unpersönlichkeitsanhänger geben manchmal das Beispiel, daß man auch auf dem Land stehe, wenn man sich auf einen Stein oder Holzklotz stelle, denn der Stein oder das Holz lägen ja auf der Erdoberfläche. Doch ihnen sei erwidert, daß man, wenn man unmittelbar auf der Erde steht, einen sichereren Stand hat als auf einem Holzklotz oder Stein, die auf der Erde liegen. Zuflucht beim Paramātma oder beim unpersönlichen Brahman zu suchen ist, mit anderen Worten, nicht eine so sichere Sache wie die direkte Zuflucht bei Kṛṣṇa im Kṛṣṇa-Bewußtsein. Die Stellung des jñāni und des yogī ist deshalb nicht so sicher wie die des Gottgeweihten. Kṛṣṇa sagt deshalb in der Bhagavad-gītā (7.20), daß nur jemand, der »seine Vernunft verloren« hat, die Halbgötter verehrt. Und über Menschen, die sich zum unpersönlichen Brahman hingezogen fühlen, sagt das Śrīmad-Bhāgavatam: »Mein lieber Herr, diejenigen, die sich einbilden, durch intellektuelles Spekulieren befreit worden zu sein, sind in Wirklichkeit nicht von der Unreinheit der materiellen Natur befreit, da sie noch nicht Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen finden konnten. Obwohl sie zum transzendentalen Daseinszustand im unpersönlichen Brahman aufsteigen mögen, fallen sie mit Sicherheit wieder von dieser hohen Stufe, da sie es versäumten, nach Deinen Lotosfüßen zu streben.« Śrī Kṛṣṇa erklärt also, daß die Verehrer der Halbgötter nicht sehr klug sind, da ihnen nur vergängliche und erschöpfliche Ergebnisse zuteil werden. Ihre Anstrengungen sind die wenig intelligenter Menschen. Der Herr versichert, daß Sein Geweihter keinen Fall zu fürchten braucht. Die Veden in Person fuhren in ihrem Gebet fort: »Lieber Herr, wenn man ohnehin einen Höherstehenden verehren muß, sollte man sich um des rechten Verhaltens willen der Verehrung Deiner Lotosfüße zuwenden, denn Du bist der alle Schöpfung, Erhaltung und Auflösung letztlich Regelnde. Du beherrscht die drei Welten bhūr, bhuvaḥ und svaḥ; Du beherrschst die vierzehn höheren und niederen Welten, und Du bist der Beherrscher der drei materiellen Eigenschaften. Halbgötter und im spirituellen Wissen fortgeschrittene Menschen hören und chanten ständig über Deine transzendentalen Spiele, denn dies hat die besondere Kraft, die angesammelten Reaktionen auf ein sündhaftes Leben auszulöschen. Intelligente Menschen tauchen ein in den Ozean Deiner nektargleichen Taten und hören über sie mit großer Ausdauer. Auf diese Weise werden sie schon nach kurzer Zeit von der Verunreinigung durch die materiellen Eigenschaften befreit und brauchen sich keinen schweren Opfern und Bußen zu unterziehen, um Fortschritte im spirituellen Leben zu machen. Das Chanten und Hören über Deine transzendentalen Spiele ist der einfachste Weg zur Selbstverwirklichung. Einfach durch das ergebene Hören Deiner transzendentalen Botschaft reinigt man sein Herz von allen unreinen Dingen, und so festigt sich das Kṛṣṇa-Bewußtsein im Herzen des Gottgeweihten. »Auch die große Autorität Bhīṣmadeva war der Ansicht, daß das Chanten und Hören über den Höchsten Persönlichen Gott die Essenz aller vedischen Rituale ist. Lieber Herr, ein Gottgeweihter, der sich durch Tätigkeiten im hingebungsvollen Dienst erheben möchte, vor allem durch Hören und Chanten, entkommt schon sehr bald der Gewalt der Dualitäten des materiellen Daseins. Durch diese einfache Art der Buße und Entsagung wird die Überseele im Herzen des Gottgeweihten sehr erfreut und gibt ihm Anweisungen, so daß er zurück nach Hause, zurück zu Gott, gehen kann. In der Bhagavad-gītā wird gesagt, daß jemand, der all seine Handlungen und Sinne in den Dienst des Herrn stellt, voller Frieden wird, da die Überseele mit ihm zufrieden ist. So wird der Gottgeweihte transzendental zu allen Dualitäten wie Hitze und Kälte oder Ehre und Schmach. Befreit von allen Dualitäten erfährt er ständig transzendentale Glückseligkeit und leidet nicht länger unter Sorgen und Ängsten, die aus dem materiellen Dasein entstehen. Die Bhagavad-gītā bestätigt, daß sich ein Gottgeweihter, der ständig ins Kṛṣṇa-Bewußtsein vertieft ist, keine Sorgen um seine Erhaltung und seinen Schutz zu machen braucht. Da er ständig ins Kṛṣṇa-Bewußtsein vertieft ist, erreicht er schließlich die höchste Vollkommenheit. Für die Zeit, die er sich noch in der materiellen Welt befindet, lebt er sehr friedvoll und glücklich, ohne alle Sorgen und Ängste, und nachdem er den Körper aufgegeben hat, kehrt er zurück nach Hause, zurück zu Gott. Der Herr erklärt in der Bhagavad-gītā (8.21): 'Mein höchstes Reich ist ein transzendentaler Ort, aus dem niemand, der ihn einmal erreicht hat, in die materielle Welt zurückkehrt. Jeder, der auf der Stufe der Vollkommenheit steht, da er sich in jenem ewigen Reich in Meinem hingebungsvollen Dienst beschäftigt, hat die höchste Vollendung des menschlichen Lebens erreicht und braucht nicht wieder in die leidvolle materielle Welt zurückzukehren.' »Lieber Herr, die Lebewesen müssen sich ganz einfach im Kṛṣṇa-Bewußtsein betätigen, Dir ständig hingebungsvolle Dienste durch vorgeschriebene Vorgänge, wie Hören und Chanten, darbringen und Deine Anordnungen ausführen. Wenn sich ein Mensch nicht im hingebungsvollen Dienst oder Kṛṣṇa-Bewußtsein beschäftigt, ist es sinnlos, daß er überhaupt Lebenszeichen von sich gibt. Gewöhnlich gilt ein Mensch als lebendig, solange er noch atmet; doch ein Mensch ohne Kṛṣṇa-Bewußtsein ist mit dem Blasebalg einer Schmiedewerkstatt zu vergleichen. Der große Blasebalg ist ein Sack aus Tierhaut, der Luft ein- und auspumpt, und ein Mensch, der lediglich in seinem Körper, einem Sack aus Haut und Knochen, dahinvegetiert, ohne sich dem liebenden hingebungsvollen Dienst im Kṛṣṇa-Bewußtsein zuzuwenden, ist nicht besser als ein Blasebalg. In ähnlicher Weise wird das lange Leben eines Nichtgottgeweihten mit dem eines Baumes verglichen, seine Gefräßigkeit mit der von Hunden und Schweinen und sein Genuß im Geschlechtsleben mit dem der Schweine und Ziegen.« »Die kosmische Manifestation wurde möglich, weil der Höchste Persönliche Gott als Mahā-Viṣṇu in die materielle Welt einging. Die gesamte materielle Energie wird durch den Blick Mahā-Viṣṇus in Bewegung gesetzt, und erst dann beginnen die Wechselwirkungen der drei materiellen Eigenschaften. Hieraus sollte man schließen, daß uns alle materiellen Gegebenheiten, die wir zu genießen suchen, durch die Gnade des Höchsten Persönlichen Gottes zur Verfügung stehen. »Im Körper gibt es fünf verschiedene Daseinszustände, die man als annamaya, prāṇamaya, manomaya, vijñānamaya und schließlich ānandamaya bezeichnet. Am Anfang des Lebens ist jedes Lebewesen nahrungsbewußt. Ein Kind wie auch ein Tier ist nur dann zufrieden, wenn es etwas Gutes zu essen bekommt. Diese Bewußtseinsebene, auf der das Hauptziel darin besteht, gut zu essen, wird als annamaya bezeichnet. Anna bedeutet Nahrung. Als nächstes folgt die Stufe, auf der man sich des Lebens bewußt ist. Wenn man leben kann, ohne angegriffen oder getötet zu werden, wähnt man sich glücklich. Diese Stufe nennt sich prāṇamaya oder »das Bewußtsein, daß man existiert.« Wenn man sich, nach dieser Stufe, auf der verstandesmäßigen Ebene bewegt, nennt man dieses Bewußtsein manomaya. Die Angehörigen der materialistischen Zivilisation befinden sich hauptsächlich auf diesen drei Bewußtseinsebenen: annamaya, prāṇamaya und manomaya. Das erste Anliegen zivilisierter Menschen ist wirtschaftliche Entwicklung, darauf folgt das Bestreben, sich gegen Vernichtung zu verteidigen, und die dritte Bewußtseinsstufe ist gedankliches Spekulieren, d. h. das philosophische Streben nach den Werten des Lebens. »Wenn man durch Fortschritte auf der philosophischen Ebene die intellektuelle Betrachtungsweise erreicht und versteht, daß man nicht der materielle Körper, sondern spirituelle Seele ist und sich somit auf der vijṇāna-Stufe befindet, kommt man durch Fortschritte im spirituellen Leben zur Erkenntnis des Höchsten Herrn, der Höchsten Seele. Wenn man seine Beziehung zu Ihm entwickelt und hingebungsvolles Dienen ausführt, wird diese Stufe Kṛṣṇa-Bewußtsein oder die ānanda-maya-Stufe genannt. Ānandamaya ist das glückselige Leben in Wissen und Ewigkeit. Im Vedānta-sūtra heißt es ānandamayo 'bhyāsāt. Sowohl der Höchste Brahman als auch das untergeordnete Brahman, d. h. sowohl der Höchste Persönliche Gott als auch die Lebewesen, sind von Natur aus voller Freude. Solange sich die Lebewesen auf den vier niederen Stufen des Daseins, nämlich annamaya, prāṇamaya, manomaya und vijñānamaya, bewegen, befinden sie sich im materiellen Leben. Doch sobald man die Stufe der ānandamaya erreicht, wird man zu einer befreiten Seele. Diese ānandamaya-Stufe wird in der Bhagavad-gītā als brahma-bhūta-Stufe erklärt. Es heißt dort, daß es auf der brahma-bhūta-Stufe keine Sorge und kein Verlangen gibt. Diese Stufe beginnt, wenn man allen Lebewesen gleichgesinnt wird, und daraufhin entwickelt sie sich zur Stufe des Kṛṣṇa-Bewußtseins, auf der man sich ständig danach sehnt, dem Höchsten Persönlichen Gott zu dienen. Dieses Verlangen nach Fortschritt im hingebungsvollen Dienen ist keinesfalls das gleiche wie das Verlangen nach Sinnenbefriedigung im materiellen Dasein. Das heißt, Wünsche bleiben auch im spirituellen Leben, doch sind sie dann rein. Wenn unsere Sinne rein werden, werden sie von den materiellen Bewußtseinsebenen annamaya, prāṇamaya, manomaya und vijñānamaya frei und bleiben fest auf der höchsten Ebene ānanda-maya, der Stufe des glückseligen Lebens im Kṛṣṇa-Bewußtsein, verankert. Die Māyāvādī-Philosophen glauben, ānandamaya sei ein Zustand, bei dem man in den Höchsten eingegangen sei. Ihrer Auffassung nach bedeutet ānandamaya das Einswerden der Überseele und der individuellen Seele. Doch in Wahrheit bedeutet Einheit nicht, in den Höchsten einzugehen und seine individuelle Existenz zu verlieren. In das spirituelle Dasein einzugehen bedeutet, daß das Lebewesen seine qualitative Einheit mit dem Herrn hinsichtlich seiner Ewigkeits- und Wissensaspekte erfährt. Doch die wirkliche ānandamaya- oder glückselige Stufe wird erst erreicht, wenn man sich in hingebungsvollem Dienst beschäftigt. Dies wird in der Bhagavad-gītā (18.54) mit den Worten mad-bhaktiṁ labhate parām bestätigt, die besagen, daß die brahma-bhūta- oder ānandamaya-Stufe nur dann vollkommen ist, wenn zwischen dem Höchsten und den untergeordneten Lebewesen ein Austausch von Liebe stattfindet. Solange der Mensch nicht zu dieser ānandamaya-Stufe kommt, ist sein Atmen wie das »Atmen« des Blasebalgs in der Schmiede, seine Lebensdauer wie die eines Baumes und er selbst nicht besser als die niederen Tiere wie Kamele, Schweine oder Hunde. Zweifellos kann das Lebewesen niemals vernichtet werden; doch ist es so, daß es in niederen Lebensformen ein leidvolles Dasein fristet, wohingegen es, wenn es im hingebungsvollen Dienst für den Herrn tätig ist, sich auf der freudvollen oder ānandamaya-Stufe des Lebens befindet. Die erwähnten verschiedenen Ebenen stehen alle in Beziehung zum Höchsten Persönlichen Gott. Obgleich sowohl der Höchste Persönliche Gott als auch die Lebewesen unter allen Umständen existieren, besteht ein Unterschied zwischen ihnen. Der Höchste Persönliche Gott nämlich befindet Sich immer auf der ānandamaya-Ebene, wohingegen die untergeordneten Lebewesen wegen ihrer Winzigkeit als fragmentarische Teilchen des Höchsten Herrn gefährdet sind, auf tiefere Daseinsebenen herabzufallen. Obwohl der Höchste Herr wie auch die Lebewesen auf allen Daseinsstufen bestehen, ist der Höchste Persönliche Gott immer transzendental zu unseren Lebensauffassungen, seien wir materiell bedingt oder bereits befreit. Die ganze kosmische Manifestation wird durch die Gnade des Höchsten Herrn möglich, sie besteht durch die Gnade des Höchsten Herrn, und wenn sie vernichtet wird, geht sie wieder in das Dasein des Höchsten Herrn ein. Somit ist der Höchste Herr das höchste Dasein und die Ursache aller Ursachen. Es ergibt sich daher die Schlußfolgerung, daß unser Leben, wenn wir kein Kṛṣṇa-Bewußtsein entwickeln, nichts weiter als Zeitverschwendung ist. Diejenigen, die zu materialistisch sind und nicht die Natur der spirituellen Welt verstehen können, vermögen auch nicht, das Reich Śrī Kṛṣṇas zu erkennen. Für solche Menschen haben große Weise einen yoga-Vorgang empfohlen, bei dem man mit der Meditation beim Bauch beginnt und allmählich zu höheren Ebenen der Meditation aufsteigt, was mūlādhāra- oder maṇipūraka-Meditation genannt wird. Mūlādhāra und manipūraka sind technische Bezeichnungen für die Eingeweide. Grob-materialistische Menschen glauben, wirtschaftlicher Fortschritt sei von größter Bedeutung, denn sie stehen unter dem Eindruck, das Lebewesen existiere nur durch Essen. Sie übersehen dabei, daß wir so viel essen können, wie wir wollen, und dennoch die Nahrung, wenn sie nicht verdaut wird, nur Leiden, wie Verdauungsstörung und Übersäuerung, hervorruft. Um die Nahrung zu verdauen, benötigen wir die Hilfe einer höheren Energie, die in der Bhagavad-gītā als vaiśvānara beschrieben wird. Śrī Kṛṣṇa erklärt in der Bhagavad-gītā, daß Er in der Form der vaiśvānara für die Verdauung sorgt. Der Höchste Persönliche Gott ist alldurchdringend; daher ist es nicht weiter verwunderlich, daß Er auch als vaiśvānara gegenwärtig ist. Kṛṣṇa ist tatsächlich überall gegenwärtig. Der Vaiṣṇava kennzeichnet seinen Körper deshalb mit Tempeln Viṣṇus; er malt zuerst einen tilaka-Tempel auf den Bauch, dann einen auf die Brust, dann einen auf den Halsansatz zwischen den Schlüsselbeinen, dann einen auf die Stirn und kommt so allmählich zur Schädeldecke, dem brahma-randhra. Die Namen der dreizehn Tempel aus tilaka, die den Körper des Vaiṣṇava kennzeichnen, sind folgende: Auf der Stirn befindet sich der Tempel Śrī Keśavas, am Bauch der Tempel Śrī Nārāyaṇas, an der Brust der Tempel Śrī Mādhavas, am Halsansatz, zwischen den beiden Schlüsselbeinen, der Tempel Śrī Govindas, an der rechten Hüftseite der Tempel Śrī Viṣṇus, am rechten Arm der Tempel Śrī Madhusūdhanas, rechts vom Schlüsselbein der Tempel Trivikramas, in ähnlicher Weise an der linken Hüftseite der Tempel Vāmanadevas, am linken Arm der Tempel Śrīdharas, links vom Schlüsselbein der Tempel Hṛṣīkeśas, am Nacken der Tempel Padmanābhas, am unteren Teil des Rückens der Tempel Dāmodaras, und an der Schädeldecke schließlich befindet sich der Tempel Vāsudevas. So meditiert man über die Gegenwart des Herrn in den verschiedenen Teilen des Körpers; doch für die, die keine Vaiṣṇavas sind, empfehlen große Weise Meditation über die körperliche Auffassung vom Leben – über die Eingeweide, das Herz, den Hals, die Augenbrauen, die Stirn und dann die Schädeldecke. Einige Weise in der Nachfolge des großen Heiligen Aruṇa meditieren über das Herz, da die Überseele mit dem Lebewesen im Herzen weilt. Diese Tatsache wird in der Bhagavad-gītā im 15. Vers des Fünfzehnten Kapitels bestätigt, wo der Herr erklärt: »Ich weile im Herzen eines jeden.« Für den Vaiṣṇava ist der Schutz des Körpers für den Dienst des Herrn Bestandteil des hingebungsvollen Dienens. Im Gegensatz zu ihm halten die groben Materialisten den Körper für das Selbst. Sie verehren den Körper durch den yoga-Vorgang der Meditation über einzelne Körperteile, wie maṇipūraka, dahara und hṛdaya, wobei sie langsam zum brahma-randhra an der Schädeldecke gelangen. Wenn ein vortrefflicher yogī die Vollkommenheit in der Ausübung des besagten yoga-Vorgangs erreicht hat, begibt er sich zuletzt durch den brahma-randhra zu einem beliebigen Planeten in den materiellen oder spirituellen Welten. Auf welche Weise sich der yogī auf einen anderen Planeten versetzt, wird ausführlich im Zweiten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam beschrieben. In diesem Zusammenhang empfiehlt Śukadeva Gosvāmī den Anfängern, den virāta puruṣa, d. h. die gigantische universale Form des Herrn zu verehren. Jemandem, der nicht glauben kann, daß der Herr mit gleichem Erfolg in der transzendentalen Bildgestalt, der arcā-Form, verehrt werden kann, oder der nicht imstande ist, seinen Geist auf diese Form zu konzentrieren, wird geraten, die universale Form des Herrn zu verehren. Der untere Teil des Universums wird als die Füße und Beine der universalen Form des Herrn angesehen, der mittlere Teil gilt als Sein Nabel oder Bauch, die höheren Planetensysteme, wie Janaloka und Maharloka, sind das Herz des Herrn und das höchste Planetensystem, Brahmaloka, wird als der obere Teil Seines Hauptes betrachtet. Es gibt vielerlei Vorgänge, die von den Weisen, entsprechend der Bewußtseinsstufe der Verehrenden, empfohlen werden; doch das endgültige Ziel aller Meditations- und yoga-Vorgänge ist die Heimkehr, die Rückkehr zu Gott. Wie in der Bhagavad-gītā (8.21) erklärt wird, braucht niemand, der den höchsten Planeten, das Reich Kṛṣṇas, oder auch einen der Vaikuṇṭha-Planeten erreicht, jemals wieder in das leidvolle materielle Leben zurückzukehren. Die vedischen Schriften empfehlen uns deshalb, die Lotosfüße Śrī Viṣṇus zum Ziel all unserer Bemühungen zu machen: tad viṣṇoḥ paramaṁ padaṁ. Viṣṇuloka oder vielmehr die Viṣṇu-Planeten befinden sich über allen materiellen Planeten. Diese Vaikuṇṭha-Planeten sind als sanātana-dhāma bekannt, und sie sind ewig. Sie werden niemals vernichtet, auch nicht bei der Zerstörung der materiellen Welt. Die Schlußfolgerung lautet, daß ein Mensch, der die Bestimmung seines Lebens durch Verehrung des Höchsten nicht erfüllt und nicht zu Gott zurückkehrt, den eigentlichen Sinn des menschlichen Lebens verfehlt hat. Das nächste Gebet der Veden in Person an den Herrn handelt von Seinem Eingehen in die verschiedenen Arten des Lebens. In der Bhagavad-gītā wird im Vierzehnten Kapitel gesagt, daß in jeder Lebensart und -form das spirituelle winzige Teil des Herrn anwesend ist. Der Herr Selbst erklärt in der Bhagavad-gītā, daß Er der samengebende Vater aller Arten und Formen von Lebewesen ist, und deshalb sind diese als Söhne des Herrn anzusehen. Das Eingehen des Höchsten Herrn in jedes Herz als Paramātmā verwirrt die Unpersönlichkeitsphilosophen bisweilen, da in ihrer Vorstellung die Lebewesen dem Höchsten Herrn ebenbürtig sind. Sie glauben, weil der Höchste Herr zusammen mit der individuellen Seele in die verschiedenen Körper eingehe, bestehe kein Unterschied zwischen dem Herrn und den individuellen Lebewesen. Sie stellen die herausfordernde Frage: »Warum sollen die individuellen Seelen den Paramātmā, die Überseele, verehren?« Ihrer Auffassung nach befinden sich die Überseele und die individuelle Seele auf derselben Ebene; sie sind eins, ohne einen Unterschied. Doch wie im 15. Vers des Fünfzehnten Kapitels der Bhagavad-gītā erklärt wird, besteht durchaus ein Unterschied zwischen der Überseele und der individuellen Seele. Dort sagt der Herr nämlich, daß Er dem Lebewesen übergeordnet ist, obwohl Er mit ihm im gleichen Körper weilt. Er gibt der individuellen Seele von innen Anweisungen und Intelligenz. In der Gītā wird eindeutig erklärt, daß der Herr der individuellen Seele Intelligenz gibt, und daß sowohl Erinnerung als auch Vergessen auf den Einfluß der Überseele zurückzuführen sind. Niemand kann unabhängig vom Einverständnis der Überseele handeln. Die individuelle Seele handelt entsprechend ihrem früheren karma, an das sie vom Herrn erinnert wird. Es ist die Eigenschaft der individuellen Seele zu vergessen, doch der Herr in ihrem Herzen erinnert sie daran, was sie in ihrem vorherigen Leben tun wollte. Die Intelligenz der individuellen Seele manifestiert sich wie das Feuer im Holz. Obwohl Feuer immer Feuer ist, richtet sich seine Größe nach der Größe des Holzes, durch das es brennt. In ähnlicher Weise verhält es sich mit der individuellen Seele: Obwohl sie immer qualitativ eins mit dem Höchsten Herrn ist, entfaltet sie sich entsprechend ihrem jeweiligen Körper. Der Höchste Herr, die Überseele, ist als eka-rasa bekannt. Eka bedeutet ›eins‹, und rasa ›Geschmack‹. Der Höchste Herr ist in Seiner transzendentalen Stellung stets voller Ewigkeit, Glückseligkeit und Wissen. Seine eka-rasa-Stellung wandelt sich nicht im geringsten, wenn Er zum Zeugen und Ratgeber der individuellen Seele in jedem individuellen Körper wird. Die individuelle Seele, angefangen mit Brahmā, bis hinunter zur Ameise, entfaltet ihre spirituelle Kraft je nach ihrem jeweiligen Körper. Die Halbgötter gehören zur gleichen Kategorie wie die individuellen Seelen in den Körpern von Menschen oder niederen Tieren. Die Intelligenten verehren deshalb nicht die Halbgötter, die nur winzige Vertreter Kṛṣṇas sind und sich in bedingten Körpern manifestieren. Die individuelle Seele kann ihre Kräfte und Energien nur entsprechend der Größe und Beschaffenheit ihres Körpers entfalten. Der Höchste Persönliche Gott dagegen kann Seine vollen Kräfte in jeder Form oder Gestalt ohne Einschränkung manifestieren. Die These der Māyāvādī-Philosophen, nach der Gott und die individuelle Seele ein und dasselbe sind, bleibt unannehmbar, da die individuelle Seele ihre Kräfte und Energien nur gemäß der Entwicklung der verschiedenen Körper zu entfalten vermag. Die individuelle Seele im Körper eines Säuglings z. B. kann niemals die Kraft und Energie eines erwachsenen Mannes aufbringen; der Höchste Persönliche Gott Śrī Kṛṣṇa jedoch konnte sogar als kleines Kind auf dem Schoß Seiner Mutter Seine ganze Kraft und Energie entfalten, was sich zeigte, als Er Pūtanā und andere Dämonen, die Ihm etwas antun wollten, tötete. Die spirituelle Kraft des Höchsten Persönlichen Gottes wird daher als eka-rasa im Sinne von ›unveränderlich‹ bezeichnet. Der Höchste Persönliche Gott ist also der einzig Verehrenswerte. Diejenigen, die nicht durch den Zwang der materiellen Natur verunreinigt sind, sind sich dessen völlig bewußt, d. h. nur die befreiten Seelen können den Höchsten Persönlichen Gott verehren. Weniger intelligente Māyāvādīs wenden sich der Verehrung von Halbgöttern zu, da sie die Halbgötter mit dem Höchsten Persönlichen Gott gleichsetzen. Die Veden in Person brachten dem Herrn weiter ihre Ehrerbietungen dar: »Lieber Herr«, beteten sie, »diejenigen, die nach vielen Geburten und Toden weise geworden sind, beginnen, in vollkommenem Wissen, Deine Lotosfüße zu verehren.« Dies wird in der Bhagavad-gītā (7.19) bestätigt, in der Kṛṣṇa erklärt, daß sich eine große Seele, ein mahātmā, nach vielen, vielen Leben dem Herrn hingibt, da er erkannt hat, daß Vāsudeva, Kṛṣṇa, die Ursache aller Ursachen ist. Die Veden fuhren fort: »Weil uns Geist, Intelligenz und Sinne von Gott gegeben sind, gibt es für uns, wie bereits erklärt wurde, wenn diese Werkzeuge gereinigt sind, keine andere Möglichkeit, als sie im hingebungsvollen Dienst des Herrn zu beschäftigen.« Die Verstrickung des Lebewesens in verschiedene Lebensformen ist auf seinen Mißbrauch von Geist, Intelligenz und Sinnen zu materiellen Handlungen zurückzuführen. Die verschiedenartigen Körper werden dem Lebewesen als Ergebnisse seiner Handlungen gegeben, und sie werden nach dem Wunsch des Lebewesens von der materiellen Natur geschaffen. Weil das Lebewesen eine bestimmte Art von Körper begehrt und verdient, wird ihm dieser auf Anordnung des Höchsten Herrn von der materiellen Natur gegeben. Im Dritten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam wird erklärt, daß das Lebewesen unter der Aufsicht höherer Autorität in den Samen eines männlichen Wesens versetzt und später in den Schoß eines entsprechenden weiblichen Wesens gezeugt wird, so daß es dort einen ganz bestimmten Körper entwickeln kann. Das Lebewesen gebraucht seine Sinne, seine Intelligenz, seinen Geist und seine anderen Körperwerkzeuge nach eigenem Belieben auf bestimmte Weise und entwickelt so eine bestimmte Art von Körper, in dem es gefangen wird. So wird das Lebewesen, je nach den Umständen, in die verschiedensten Lebensarten versetzt, sei es in den Körper eines Halbgottes, Menschen oder Tieres. In den verschiedenen Schriften wird erklärt, daß die Lebewesen, die in verschiedenen Lebensformen gefangen sind, individuelle Teile des Höchsten Herrn sind. Die Māyāvādī-Philosophen halten das Lebewesen für den Paramātmā, der jedoch in Wahrheit das Lebewesen als Freund begleitet. Weil der Paramātmā, der lokalisierte Aspekt des Höchsten Persönlichen Gottes, und das individuelle Lebewesen gemeinsam im gleichen Körper weilen, tritt zuweilen das Mißverständnis auf, es gebe keinen Unterschied zwischen ihnen. Jedoch besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen der individuellen Seele und der Überseele, und dieser Unterschied wird im Varāha Purāṇa folgendermaßen dargelegt: ›Der Höchste Herr hat zwei Arten von ewigen Teilen, einmal das Lebewesen, das vibhinnāmśa genannt wird, und den Paramātmā oder die vollständige Erweiterung des Höchsten Herrn, die man als svāṁśa bezeichnet. Die vollständige Erweiterung des Höchsten Persönlichen Gottes, svāṁśa, ist ebenso mächtig wie der Höchste Persönliche Gott Selbst. Es besteht nicht der geringste Unterschied zwischen der Macht der Höchsten Person und der Seiner vollständigen Erweiterung als Paramātmā, wohingegen die vibhinnāṁśa-Teile nur über einen geringen Teil der Kräfte des Herrn verfügen. Das Nārāyaṇa-pañcarātra erklärt, daß die Lebewesen, die die mittlere oder marginale Energie des Herrn bilden, zweifellos von gleicher spiritueller Natur sind wie der Herr Selbst, daß sie aber, im Unterschied zu Ihm, dazu neigen, von materiellen Eigenschaften befleckt zu werden. Weil das winzige Lebewesen dazu neigt, dem Einfluß der materiellen Eigenschaften zu erliegen, nennt man es jīva. Manchmal wird der Höchste Persönliche Gott auch ›Śiva‹ oder ›der ganz und gar Glückverheißende‹ genannt. Der Unterschied zwischen Śiva und jīva liegt darin, daß der ganz und gar glückverheißende Höchste Persönliche Gott niemals von den materiellen Eigenschaften berührt wird, wohingegen die winzigen Teile des Höchsten Persönlichen Gottes von den Eigenschaften der materiellen Natur beeinflußt werden können. Obwohl die Überseele im Körper des individuellen Lebewesens ein vollständiges Teil des Höchsten Persönlichen Gottes ist, muß Er von dem individuellen Lebewesen verehrt werden. Große Weise haben daher erkannt, daß der Vorgang der Meditation so beschaffen sein muß, daß das individuelle Lebewesen seine Aufmerksamkeit auf die Lotosfüße der Überseele, der Gestalt Viṣṇus, richten kann. Das ist wirklicher samādhi. Das Lebewesen kann nicht durch eigene Kraft aus der materiellen Verstrickung befreit werden. Es muß deshalb beginnen, den Lotosfüßen des Herrn oder vielmehr der Überseele in seinem Innern mit Hingabe zu dienen. Śrīla Śrīdhara Svāmī, der große Kommentator des Śrīmad-Bhāgavatam, verfaßte einen in diesem Zusammenhang wunderbaren Vers, der sinngemäß folgendermaßen lautet: »Mein lieber Herr, ich bin ewig Dein Teil; jedoch bin ich von den materiellen Kräften gefangen worden, die ebenfalls von Dir ausgehen. Als Ursache aller Ursachen bist Du in meinen Körper in Form der Überseele eingegangen, und so habe ich das Recht, mich mit Dir des höchsten glückseligen Lebens in Wissen zu erfreuen. Deshalb, mein lieber Herr, gib mir bitte den Befehl, Dir in Liebe zu dienen, so daß ich wieder in meine ursprüngliche Lage transzendentaler Glückseligkeit versetzt werde.« Große Persönlichkeiten verstehen, daß ein Lebewesen, das in der materiellen Welt gefangen ist, nicht durch eigene Kraft freikommen kann. Mit festem Vertrauen und voll Hingabe vertiefen sich solch große Persönlichkeiten darin, dem Herrn transzendentale Dienste in Liebe darzubringen. Das ist die Aussage der Veden. Die Veden in Person fuhren fort: »Lieber Herr, es ist sehr schwer, vollkommenes Wissen von der Absoluten Wahrheit zu erlangen. In Deiner Güte gegenüber den gefallenen Seelen erscheinst Du, o Herr, in mannigfachen Inkarnationen und vollbringst vielerlei Taten. Manchmal erscheinst Du sogar als historische Persönlichkeit der materiellen Welt, und deine transzendentalen Spiele werden sehr schön in den vedischen Schriften geschildert. Solche Spiele sind so anziehend wie der Ozean transzendentaler Glückseligkeit. Die meisten Menschen haben die natürliche Neigung, Erzählungen zu lesen, in denen gewöhnliche jīvas gepriesen werden; wenn sie sich jedoch zu den vedischen Schriften hingezogen fühlen, die Deine ewigen Spiele beschreiben, tauchen sie wahrhaftig in den Ozean der transzendentalen Glückseligkeit. Wie ein Erschöpfter erfrischt wird, wenn er in einen See taucht, wird eine bedingte Seele, die allen materiellen Tuns wirklich müde ist, neu belebt und vergißt alles Elend materiellen Tuns, wenn sie einfach in den Ozean Deiner transzendentalen Spiele taucht. Schließlich geht sie dann in den Ozean transzendentaler Glückseligkeit ein. Die intelligentesten Gottgeweihten widmen sich daher keiner anderen Methode der Selbstverwirklichung außer hingebungsvollem Dienst und den neun verschiedenen Vorgängen des hingebungsvollen Lebens, vor allem Hören und Chanten. Wenn diese Gottgeweihten über Deine transzendentalen Spiele hören und chanten, ist ihnen sogar die transzendentale Glückseligkeit gleichgültig, die man bei der Befreiung oder dem Eingehen in die Existenz des Höchsten erfährt. Solchen Gottgeweihten liegt also nicht einmal etwas an sogenannter Befreiung, ganz zu schweigen von materiellen Tätigkeiten, durch die man zur Sinnenbefriedigung auf die himmlischen Planeten erhoben werden will. Reine Gottgeweihte suchen nur die Gesellschaft von paramahaṁsas, von großen, befreiten Gottgeweihten, damit sie fortwährend über Deine Herrlichkeit hören und chanten können. Um dies tun zu können, sind die reinen Gottgeweihten bereit, auf alle Annehmlichkeiten des Lebens, wie ein bequemes Familienleben und sogenannte Gesellschaft, Freundschaft und Liebe, zu verzichten. Diejenigen, die vom Nektar der Hingabe gekostet haben, indem sie sich an der transzendentalen Klangschwingung des Chantens über Deine Herrlichkeit – »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare – Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« – erfreuten, machen sich nichts aus jedweder anderen spirituellen Glückseligkeit oder aus materiellen Annehmlichkeiten, die dem reinen Gottgeweihten weniger bedeuten als das Stroh in der Gasse.« Die Veden in Person fuhren fort: »Lieber Herr, wenn es jemandem gelingt, Geist, Sinne und Intelligenz durch hingebungsvollen Dienst in völligem Kṛṣṇa-Bewußtsein zu läutern, wird der Geist zum Freund. Andernfalls ist der Geist stets ein Feind. Wenn der Geist im hingebungsvollen Dienst des Herrn beschäftigt ist, wird er ein guter Freund des Lebewesens, weil er dann ständig an den Höchsten Herrn denken kann. Du, o Herr, hast zu allen Zeiten eine liebevolle Beziehung zum Lebewesen, und wenn daher der Geist in Gedanken an Dich vertieft ist, erfährt man sofort die wahre Zufriedenheit, nach der man sich Leben für Leben gesehnt hat. Wenn der Geist auf die Lotosfüße des Höchsten Persönlichen Gottes gerichtet ist, befaßt man sich nicht länger mit einer niederen Art der Verehrung, noch versucht man, Selbstverwirklichung durch billige Mittel zu erreichen. Ein Lebewesen, das versucht, einen Halbgott zu verehren, oder irgendeinem anderen Weg zur Selbstverwirklichung folgt, wird ein Opfer der sich ständig wiederholenden Geburten und Tode. Man kann sich nicht vorstellen, wie sehr sich ein solches Lebewesen erniedrigt, wenn es in solch abscheuliche Lebensformen wie die der Katzen und Hunde eingeht.« Śrī Narottama dāsa Ṭhākura sang in einem seiner Lieder, daß Menschen, die sich nicht dem hingebungsvollen Dienst des Herrn zuwenden, sondern an philosophischer Spekulation und fruchtbringenden Tätigkeiten Gefallen finden, die giftigen Ergebnisse dieser Handlungen trinken müssen. Solche Menschen sind dazu gezwungen, in bestimmten Lebensformen wiedergeboren zu werden und widerliche Gewohnheiten, wie Fleischessen und Berauschung, anzunehmen. Materialistische Menschen verehren im allgemeinen den vergänglichen materiellen Körper und vergessen darüber das Wohl der spirituellen Seele im Körper. Manche von ihnen suchen zur Verbesserung der Annehmlichkeiten für den Körper bei der materialistischen Wissenschaft Zuflucht, und manche beginnen, die Halbgötter zu verehren, um zu einem der himmlischen Planeten erhoben zu werden. Ihr einziges Ziel im Leben ist es, dem materiellen Körper Annehmlichkeiten zu verschaffen, worüber sie die Bedürfnisse der spirituellen Seele vergessen. Solche Menschen werden in den vedischen Schriften als selbstmörderisch bezeichnet, denn die Anhaftung an den materiellen Körper und seine Freuden zwingen das Lebewesen, immer wieder Geburt und Tod durchzumachen und die materiellen Qualen als scheinbar unumgänglich zu ertragen. Die menschliche Form des Lebens bietet einem die Möglichkeit, seine wirkliche Identität zu verstehen, und deshalb wenden sich die wirklich Intelligenten dem hingebungsvollen Dienst zu, um Geist, Sinne und Körper ohne Abweichung im Dienst des Herrn zu beschäftigen. Die Veden in Person fuhren fort: »Lieber Herr, es gibt viele yoga-Mystiker, die sehr gelehrt sind und darauf bedacht, die höchste Vollkommenheit des menschlichen Lebens zu erreichen. Sie widmen sich dem yoga-Vorgang, bei dem man die Lebensluft im Körper beherrscht, während sie den Geist auf die Gestalt Viṣṇus richten und streng die Sinne zügeln. Doch selbst nach vielen mühseligen Entsagungen, Bußen und Opfern erreichen sie letzten Endes auch nur das gleiche Ziel wie diejenigen, die Dir feindlich gesinnt sind. Das heißt, die yogīs und die großen, spekulierenden Philosophen erreichen schließlich die unpersönliche Brahman-Ausstrahlung, die auch von den Dämonen, Deinen erklärten Feinden, erreicht wird. Dämonen wie Kaṁsa, Śiśupāla und Dantavakra gingen ebenfalls in die Brahman-Ausstrahlung ein, denn sie meditierten ständig über Dich, den Höchsten Persönlichen Gott. Frauen wie die gopīs, die an Dir, o Kṛṣṇa, hingen, waren von Deiner Schönheit bezaubert und ihre innerliche Meditation über Dich war durch Lust hervorgerufen worden. Sie wollten von Deinen Armen umschlossen werden, die der wundervollen runden Form nach Schlangenkörpern gleichen. Ebenso richten auch wir, die vedischen Hymnen, unseren Geist auf die Lotosfüße Deiner Herrlichkeit. Frauen wie die gopīs meditieren über Dich von Lust getrieben, und wir meditieren über Deine Lotosfüße, weil wir zurück nach Hause, zurück zu Dir gehen möchten. Auch Deine Feinde richten ihren Geist auf Dich, da sie immer daran denken, wie sie Dich töten können, und die yogīs nehmen schwere Bußen und Strengen auf sich, um in Deine unpersönliche Ausstrahlung einzugehen. Alle diese unterschiedlichen Menschen erreichen, obgleich sie ihre Gedanken auf verschiedene Weise konzentrieren, entsprechend ihrer jeweiligen Betrachtungsweise spirituelle Vollkommenheit, da Du allen Gottgeweihten gleichgesinnt bist.« Śrīdhara Svāmī verfaßte einen wunderbaren, in diesem Zusammenhang sehr treffenden Vers: »Mein lieber Herr, immer an Deine Lotosfüße zu denken ist sehr schwierig. Es ist dies nur großen Gottgeweihten möglich, die bereits Liebe zu Dir entwickelt haben und sich Dir im transzendentalen liebevollen Dienst widmen. Mein lieber Herr, ich wünsche mir, daß auch mein Geist sich irgendwie Deinen Lotosfüßen zuwenden möge, und sei es nur für kurze Zeit.« Welche spirituelle Vollkommenheit jeweils die unterschiedlichen Spiritualisten erreichen, wird in der Bhagavad-gītā (4.11) erklärt, in der der Herr sagt, daß Er Seinem Geweihten die erstrebte Vollkommenheit in dem Maße gewährt, wie dieser sich Ihm hingibt. Die Unpersönlichkeitsphilosophen, die yogīs und die Feinde des Herrn gehen in Seine transzendentale Ausstrahlung ein; doch die Verehrer des Persönlichen, die den Fußstapfen der Einwohner Vṛndāvanas folgen, d. h., die sich strikt auf dem Pfad des hingebungsvollen Dienens halten, werden in das persönliche Reich Kṛṣṇas, Goloka Vṛndāvana, oder zu einem der Vaikuṇṭha-Planeten erhoben. Sowohl die Unpersönlichkeitsverehrer als auch die Persönlichkeitsverehrer gelangen also in das spirituelle Reich oder in den spirituellen Himmel, doch wird den Unpersönlichkeitsverehrern nur ein Platz in der unpersönlichen Brahman-Ausstrahlung des Herrn gewährt, wohingegen die Persönlichkeitsverehrer, je nach ihrem Wunsch, dem Herrn in einer bestimmten Beziehung zu dienen, auf einem der Vaikuṇṭha-Planeten oder auf dem Vṛndāvana-Planeten aufgenommen werden. Die Veden in Person sagten, daß jene, die nach der Schöpfung der materiellen Welt geboren wurden, unmöglich die Existenz des Höchsten Persönlichen Gottes verstehen können, indem sie ihr materielles Wissen bemühen. Ebensowenig wie jemand die Lebenslage seines Urgroßvaters verstehen kann, der lange vor seiner Geburt lebte, können wir den Höchsten Persönlichen Gott Nārāyaṇa, Kṛṣṇa, nicht begreifen, der ewig in der spirituellen Welt lebt. Im Achten Kapitel der Bhagavad-gītā wird deutlich erklärt, daß man Gott, der Höchsten Person, der ewig in Seinem spirituellen Königreich (sanātana-dhāma) weilt, nur durch hingebungsvolles Dienen näherkommen kann. Was die materielle Schöpfung betrifft, so ist in ihr Brahmā das erstgeschaffene Lebewesen. Vor Brahmā gab es kein Lebewesen in der materiellen Welt; sie war leer und finster, bis er auf der Lotosblume geboren wurde, die aus dem Nabel Garbhodakaśāyī Viṣṇus wuchs. Garbhodakaśāyī Viṣṇu ist eine Erweiterung Kāraṇodakaśāyī Viṣṇus. Kāraṇodakaśāyī Viṣṇu wiederum ist eine Erweiterung Saṅkarṣaṇas, und Saṅkarṣaṇa ist eine Erweiterung Balarāmas. Balarāma schließlich ist eine unmittelbare Erweiterung Śrī Kṛṣṇas. Nach der Schöpfung Brahmās wurden zwei Arten von Halbgöttern geboren: zum einen Halbgötter wie die vier Kumāras – Sanaka, Sanātana, Sananda und Sanat-kumāra –, die das Beispiel geben, der Welt zu entsagen, und zum anderen Halbgötter wie Marīci und seine Nachkommen, die die materielle Welt genießen sollen. Von diesen beiden Arten von Halbgöttern wurden nach und nach alle anderen Lebewesen im Universum, einschließlich der Menschen, hervorgebracht. Deshalb ist jedes Lebewesen in der materiellen Welt, selbst Brahmā, die anderen Halbgötter und die rākṣasas, als jung anzusehen, und zwar in dem Sinne, daß sie alle erst vor kurzer Zeit geboren wurden. Wie jemand, der erst vor kurzem in einer Familie geboren wurde, unmöglich seine Vorfahren kennen kann, so kann jemand in der materiellen Welt nicht die Stellung des Herrn in der spirituellen Welt verstehen; denn die materielle Welt wurde erst vor kurzer Zeit geschaffen. Obwohl die Manifestation der materiellen Welt, nämlich die Zeitelemente, die Lebewesen, die Veden und die groben und feinen Elemente von langer Existenzdauer sind, wurden sie doch alle irgendwann einmal geschaffen. Alles, was in dieser erschaffenen Welt hergestellt wird oder als Mittel gilt, die ursprüngliche Ursache der Schöpfung zu verstehen, ist als neuzeitlich anzusehen. Durch einen Vorgang der Selbstverwirklichung oder Gotteserkenntnis, der aus fruchtbringendem Tun, philosophischem Spekulieren oder yoga-Mystik besteht, kann man daher der höchsten Quelle aller Dinge nicht näherkommen. Bei der vollständigen Vernichtung der Schöpfung, wenn weder die Veden noch die materielle Zeit, noch die groben und feinen Elemente bestehen und alle Lebewesen in einem unmanifestierten Zustand in Nārāyaṇa ruhen, werden all diese Vorgänge null und nichtig und können nichts bewirken. Hingebungsvoller Dienst dagegen wird für immer in der ewigen spirituellen Welt weitergeführt. Der einzig wirkliche Vorgang der Selbstverwirklichung oder Gotteserkenntnis ist daher hingebungsvolles Dienen, und wenn man mit diesem Vorgang beginnt, beginnt man den eigentlichen Vorgang zur Gotteserkenntnis. Deshalb verfaßte Śrīla Śrīdhara Svāmī den erwähnten Vers, der die Tatsache hervorhebt, daß die höchste Ursache alles Bestehenden, der Höchste Persönliche Gott, so groß und unbegrenzt ist, daß das Lebewesen nicht vermag, Ihn durch materielle Errungenschaften zu verstehen. Jeder sollte aus diesem Grund zum Herrn darum beten, ewig in Seinem hingebungsvollen Dienst beschäftigt sein zu dürfen, so daß man durch Seine Gnade die höchste Ursache der Schöpfung verstehen kann. Die höchste Ursache der Schöpfung, der Höchste Herr, offenbart sich nur Seinen Geweihten. Im 3. Vers des Vierten Kapitels der Bhagavad-gītā verkündet der Herr Arjuna: »Mein lieber Arjuna, weil du Mein Geweihter und Mein vertrauter Freund bist, will Ich dir nun den Vorgang offenbaren, durch den Du mich verstehen kannst.« Die höchste Ursache der Schöpfung, den Höchsten Persönlichen Gott, können wir also nicht durch unsere eigene gedankliche Bemühung verstehen. Wir müssen Ihn statt dessen durch hingebungsvollen Dienst erfreuen; dann wird Er Sich uns offenbaren, und wir können Ihn bis zu einem gewissen Maß begreifen. Es gibt verschiedene Arten von Philosophen, die versucht haben, die höchste Ursache durch verstandesmäßiges Spekulieren zu erfassen. Man nennt sie ṣaḍ-darśana und unterscheidet sie im allgemeinen nach sechs Arten. Sie alle sind Māyāvādīs, Anhänger des Unpersönlichen, und haben versucht, ihre eigene Auffassung durchzusetzen, obwohl sie dann später Kompromisse schlossen und erklärten, alle Auffassungen führten zum gleichen Ziel, und daher sei jede Auffassung richtig. Doch wie aus den Gebeten der Veden in Person hervorgeht, ist keine ihrer Meinungen richtig, denn der Vorgang, durch den sie sich ihr Wissen aneigneten, wurde in der zeitweiligen materiellen Welt ersonnen. Sie alle haben den eigentlichen Punkt verfehlt: Der Höchste Persönliche Gott, die Absolute Wahrheit, kann allein durch hingebungsvollen Dienst verstanden werden. Eine Gruppe von Philosophen, die als Mīmāṁsaka bekannt sind und von Weisen wie Jaimini vertreten werden, ist zu dem Schluß gekommen, daß jeder sich frommen Werken oder seinen vorgeschriebenen Pflichten widmen solle, da er so die höchste Vollkommenheit erreichen werde. Doch dieser Auffassung wird im Neunten Kapitel der Bhagavad-gītā widersprochen, wo Śrī Kṛṣṇa im 21. Vers erklärt, daß man durch fromme Werke zwar zu den himmlischen Planeten gelangen kann, daß man sich aber, sobald das Verdienst für fromme Werke aufgebraucht ist, wieder von dem Genuß des höheren materiellen Lebensstandards auf den himmlischen Planeten trennen und zu den niederen Planeten zurückkehren muß, wo die Lebensdauer äußerst kurz und die Ebene materiellen Glücks von niederer Art ist. Die genauen Worte, die in der Bhagavad-gītā gebraucht werden, lauten: kṣīṇe puṇye martya-lokaṁ viśanti. Daher ist die Schlußfolgerung der Mīmāṁsaka-Philosophen, fromme Handlungen führten einen zur Absoluten Wahrheit, nicht richtig. Ein reiner Gottgeweihter hat zwar die natürliche Neigung, fromm zu handeln, doch kann niemand die Gunst des Höchsten Persönlichen Gottes nur durch frommes Handeln erlangen. Durch frommes Handeln mag man von der durch Unwissenheit und Leidenschaft erzeugten Verunreinigung geläutert werden, doch das erreicht ein Gottgeweihter ohnehin, der ständig die transzendentale Botschaft in Form der Bhagavad-gītā, des Śrīmad-Bhāgavatam und ähnlicher Schriften hört. Aus der Bhagavad-gītā erfahren wir, daß selbst ein Mensch, der nicht das vorbildliche Maß frommer Werke erfüllt, aber absolut im hingebungsvollen Dienst beschäftigt ist, den sicheren Pfad zur spirituellen Vollkommenheit beschreitet. Auch heißt es in der Bhagavad-gītā (10,10), daß jemand, der sich mit Liebe und Vertrauen im hingebungsvollen Dienst beschäftigt, von innen her vom Höchsten Persönlichen Gott gelenkt wird. Der Höchste Herr gibt dem Gottgeweihten als Paramātmā, als spiritueller Meister im Herzen, genaue Anweisungen, wie er allmählich zurück heim, zurück zu Gott, gelangen kann. Die Schlußfolgerung der Mīmāṁsaka-Philosophen ist also nicht die Wahrheit, die einen zum rechten Verständnis führen kann. Ähnlich den Mīmāṁsaka gibt es Sāṅkhya-Philosophen, d. h. Metaphysiker oder materielle Wissenschaftler, die die kosmische Manifestation mit Hilfe ihre selbsterfundenen wissenschaftlichen Methoden studieren und nicht die Höchste Autorität Gottes als den Schöpfer der kosmischen Manifestation anerkennen. Statt dessen gelangen sie zu dem falschen Schluß, daß bestimmte Reaktionen materieller Elemente die ursprüngliche Ursache der Schöpfung seien. Die Bhagavad-gītā jedoch erkennt diese Theorie nicht an. Es wird in der Gītā (9.10) unmißverständlich gesagt, daß hinter allem, was im Kosmos geschieht, die lenkende Hand des Höchsten Persönlichen Gottes ist. Diese Tatsache wird auch in dem vedischen Ausspruch asad vā idam agra āsīt bestätigt, der besagt, daß der Ursprung der Schöpfung schon vor der kosmischen Manifestation existierte. Materielle Elemente können daher nicht die Ursache der materiellen Schöpfung sein. Die materiellen Elemente werden zwar als materielle Ursachen anerkannt, aber die endgültige Ursache ist der Höchste Persönliche Gott. Deshalb erklärt die Bhagavad-gītā (9.10), daß die materielle Natur unter Kṛṣṇas Führung wirkt. Die Schlußfolgerung der atheistischen Sāṅkhya-Philosophie geht dahin, daß auch die Ursache selbst illusorisch sein müsse, weil die materiellen Welten als Auswirkung zeitweilig und illusorisch seien. Die Sāṅkhya-Philosophen neigen zur Lehre vom Nichts; in Wirklichkeit jedoch ist die ursprüngliche Ursache der Höchste Persönliche Gott, und die kosmische Manifestation ist die zeitweilige Manifestation Seiner materiellen Energie. Wenn diese zeitweilige Manifestation vernichtet wird, bleibt ihre Ursache, die ewige spirituelle Welt, bestehen wie zuvor. Sie wird deshalb auch sanātana-dhāma, das ewige Reich, genannt. Die Schlußfolgerung der Sāṅkhya-Philosophen ist also unrichtig. Weiterhin gibt es eine Art von Philosophen, deren Führer Gautama und Kaṇāda sind. Sie sind nach eingehendem Studium der Ursachen und Wirkungsweisen der materiellen Elemente zu dem Schluß gekommen, daß Atomverbindungen die ursprüngliche Ursache der Schöpfung seien. Die heutigen materiellen Wissenschaftler vertreten die gleichen Ansichten wie einst Gautama und Kaṇāda, die die Theorie des paramānuvāda aufstellten. Ihrer Theorie kann jedoch nicht zugestimmt werden, da die ursprüngliche Ursache alles Bestehenden niemals unschöpferische Atome sein können. Dies wird sowohl in der Bhagavad-gītā und im Śrīmad-Bhāgavatam als auch in den übrigen Veden bestätigt, in denen es unter anderem heißt: eko nārāyaṇa āsīt. »Allein Nārāyaṇa existierte vor der Schöpfung.« Das Śrīmad-Bhāgavatam erklärt ebenso wie das Vedānta-sūtra, daß die ursprüngliche Ursache empfindet und Sich sowohl direkt als auch indirekt aller Dinge innerhalb der Schöpfung bewußt ist. In der Bhagavad-gītā (10.8) erklärt Kṛṣṇa: ahaṁ sarvasya prabhavaḥ. »Ich bin die ursprüngliche Ursache aller Dinge.« Und: mattaḥ sarvaṁ pravartate. »Von Mir wird alles manifestiert.« Es mag also durchaus sein, daß Atome die Grundverbindungen der materiellen Manifestation bilden, doch diese Atome wurden vom Höchsten Persönlichen Gott erzeugt. Deshalb kann die Philosophie Gautamas und Kaṇādas nicht befürwortet werden. In ähnlicher Weise halten die Unpersönlichkeitsphilosophen, die zu den Anhängern Aṣṭāvakras und des späteren Śaṅkarācārya gehören, die unpersönliche Brahman-Ausstrahlung für die Ursache allen Seins. Nach ihrer Theorie ist die materielle Manifestation zeitweilig und unwirklich, das unpersönliche Brahman hingegen Wirklichkeit und als solches der Ursprung. Doch auch diese Theorie ist nicht annehmbar, denn, wie der Herr Selbst in der Bhagavad-gītā (14.27) sagt, ruht die Brahman-Ausstrahlung auf Seiner Persönlichkeit. In der Brahma-saṁhitā wird bestätigt, daß das leuchtende Brahman aus den Strahlen besteht, die von Kṛṣṇas Körper ausgehen. Daher kann das unpersönliche Brahman nicht die ursprüngliche Ursache der kosmischen Manifestation sein. Die ursprüngliche Ursache ist der allvollkommene, empfindungsfähige Persönliche Gott, Govinda. Die gefährlichste Theorie der Unpersönlichkeitsanhänger besagt, daß Gott, wenn Er als Inkarnation erscheint, einen materiellen, von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur geschaffenen Körper annehme. Diese Māyāvādī-Theorie wurde von Śrī Caitanya als übelste Blasphemie verurteilt. Er sagte, daß jeder, der den transzendentalen Körper des Persönlichen Gottes für eine Schöpfung der materiellen Natur halte, sich des größten Vergehens gegen die Lotosfüße Śrī Viṣṇus schuldig mache. Ebenso erklärt die Bhagavad-gītā (9.11), daß nur die Dummköpfe und Schurken den Persönlichen Gott verspotten, wenn Er in menschenähnlicher Gestalt erscheint. Śrī Kṛṣṇa, Śrī Rāma und Śrī Caitanya verhalten Sich nämlich wie Menschen unter den Menschen. Die Veden in Person verurteilen die unpersönliche Auffassung als eine grobe Entstellung der Wahrheit. In der Brahma-saṁhitā wird der Körper des Höchsten Persönlichen Gottes als ānanda-cin-maya-rasa beschrieben, d. h., der Höchste Persönliche Gott hat einen spirituellen, keinen materiellen Körper. Er kann mit jedem Teil dieses Körpers nach Belieben alles genießen, und deshalb ist Er allmächtig. Die Teile eines materiellen Körpers können nur jeweils eine bestimmte Funktion erfüllen. Zum Beispiel können die Hände etwas festhalten, aber man kann mit ihnen nicht sehen oder hören. Weil der Körper des Höchsten Persönlichen Gottes ānanda-cin-maya-rasa oder sac-cid-ānanda-vigraha ist, kann Er mit jedem Seiner Körperteile alles genießen und alles tun. Die Annahme, der spirituelle Körper des Herrn sei materiell, ergibt sich zwangsläufig aus dem Bestreben, den Höchsten Persönlichen Gott der bedingten Seele gleichzusetzen. Die bedingte Seele hat nämlich einen materiellen Körper, und wenn man daher verkündet, Gott habe ebenfalls einen materiellen Körper, läßt sich die unpersönliche Theorie, nach der der Höchste Persönliche Gott und das Lebewesen ein und dasselbe sind, sehr leicht vertreten. Die Wahrheit sieht jedoch anders aus. Wenn der Höchste Persönliche Gott erscheint, entfaltet Er Seine mannigfaltigen Spiele, und doch besteht kein Unterschied zwischen Seinem Kinderkörper, mit dem Er auf dem Schoß Seiner Mutter Yaśodā lag, und Seinem sogenannten Erwachsenenkörper, mit dem Er gegen große Dämonen kämpfte. Schon in Seinem Körper als kleines Kind kämpfte Er mit der gleichen Kraft gegen Dämonen wie Pūtanā, Tṛṇāvarta und Aghāsura, mit der Er in Seiner Jugend Dämonen wie Dantavakra, Śiśupāla und andere vernichtete. Wenn eine bedingte Seele im materiellen Leben ihren Körper wechselt, vergißt sie alles über ihren vorherigen Körper, doch, wie wir aus der Bhagavad-gītā (4.5) erfahren, vergaß Kṛṣṇa, da Er einen sac-cid-ānanda-Körper hat, nicht, daß Er Millionen von Jahren zuvor den Sonnengott in den Lehren der Bhagavad-gītā unterwiesen hatte. Weil der Herr also sowohl zur materiellen wie auch zur spirituellen Existenz transzendental ist, ist Er auch als Puruṣottama bekannt. Daß Er die Ursache aller Ursachen ist, bedeutet, daß Er die Ursache sowohl der materiellen als auch der spirituellen Welt ist. Der Höchste Persönliche Gott ist allmächtig und allwissend. Weil ein materieller Körper weder allmächtig noch allwissend sein kann, ist der Körper des Herrn demzufolge nicht materiell. Die Māyāvādī-Theorie, nach der der Persönliche Gott in einem materiellen Körper in die materielle Welt kommt, kann somit unter keinen Umständen anerkannt werden. Abschließend läßt sich sagen, daß alle Theorien der materiellen Philosophen vom zeitweiligen, illusorischen Dasein hergeleitet werden und daher Schlußfolgerungen in einem Traum gleichen. Solche Schlußfolgerungen können uns zweifellos nicht zur Absoluten Wahrheit führen. Wie der Herr Selbst in der Bhagavad-gītā (18.55) erklärt, kann die Absolute Wahrheit nur durch hingebungsvolles Dienen verstanden werden: bhaktyā mām abhijānāti. »Nur durch hingebungsvolles Dienen bin Ich zu verstehen.« Śrīla Śrīdhara Svāmī schrieb hierzu einen wundervollen Vers mit dem Wortlaut: »Mein lieber Herr, mögen andere sich mit falschen Argumenten und trockenen Spekulationen auseinandersetzen und über ihre großartigen philosophischen Thesen theoretisieren. Laß sie in der Finsternis der Unwissenheit und Illusion umherirren, während sie sich in dem falschen Glauben wähnen, hochbewanderte Gelehrte zu sein, obwohl sie vom Höchsten Persönlichen Gott nicht das geringste wissen. Was aber mich betrifft, so wünsche ich mir nur Befreiung durch das Chanten der heiligen Namen des unvergleichlich schönen Höchsten Persönlichen Gottes – Mādhava, Vāmana, Trinayana, Saṇkarṣaṇa, Śrīpati und Govinda. Durch das bloße Chanten Seiner transzendentalen Namen laß mich bitte von der Verunreinigung des materiellen Daseins frei werden.« In diesem Sinne sagten die Veden in Person: »Lieber Herr, wenn ein Lebewesen durch Deine Gnade zum richtigen Verständnis Deiner erhabenen, transzendentalen Stellung gelangt, zerbricht es sich nicht länger den Kopf über die verschiedenen Theorien, die von den intellektuell Spekulierenden oder sogenannten Philosophen erdacht wurden.« Diese Feststellung bezieht sich auf die spekulativen Theorien Gautamas, Kaṇādas, Patañjalis und Kapilas (Nirīśvara). Es gibt zwei Kapilas: der eine Kapila, der Sohn Kardama Munis, ist eine Inkarnation Gottes, und der andere ist ein Atheist der neueren Zeit. Der atheistische Kapila wird oft fälschlich als der Höchste Persönliche Gott dargestellt, der als der Sohn Kardama Munis lange zuvor während der Zeit des Svāyambhuva-Manu erschien. Das gegenwärtige Zeitalter ist das Zeitalter des Vaivasvata-Manu, und Kapila, die Inkarnation Gottes, erschien zur Zeit des Svāyambhuva-Manu. Nach der Māyāvādī-Philosophie ist die manifestierte oder materielle Welt mithyā oder māyā, d. h. unwirklich oder Trug. Das Predigen der Māyāvādīs beruht auf dem Grundsatz brahma-satya jagat-mithyā, womit sie sagen wollen, daß nur das leuchtende Brahman Wirklichkeit sei, die kosmische Manifestation hingegen illusorisch oder unwirklich. Doch nach der Vaiṣṇava-Philosophie wurde die kosmische Manifestation vom Höchsten Persönlichen Gott hervorgebracht. In der Bhagavad-gītā erklärt der Herr, daß Er durch eines Seiner vollständigen Teile in die materielle Welt eingeht, worauf die Schöpfung stattfindet. Auch aus den Veden erfahren wir, daß die asat- oder zeitweilige Manifestation vom Höchsten sat, von der Höchsten Wirklichkeit, ausgeht. Aus dem Vedānta-sūtra wird deutlich, daß alles aus dem Höchsten Brahman hervorgegangen ist. Deshalb betrachten die Vaiṣṇavas die kosmische Manifestation nicht als Trug. Der Vaiṣṇava-Philosoph sieht alles in der materiellen Welt in Beziehung zum Höchsten Herrn. Dieses Verständnis von der materiellen Welt ist sehr schön von Śrīla Rūpa Gosvāmī erklärt worden, der sagte, daß es ohne praktischen Wert sei, der materiellen Welt als einer illusorischen oder unwirklichen zu entsagen, ohne zu wissen, daß auch sie eine Manifestation des Höchsten Herrn ist. Die Vaiṣṇavas sind völlig frei von jeglicher Anhaftung an die materielle Welt, denn im allgemeinen wird die materielle Welt als ein Objekt der Sinnenbefriedigung angesehen. Der Vaiṣṇava jedoch findet keinen Gefallen an der Befriedigung der Sinne und fühlt sich deshalb auch zu materiellen Handlungen nicht hingezogen. Er versteht die materielle Welt im Sinne der regulierenden Prinzipien der vedischen Anweisungen. Weil der Höchste Persönliche Gott die ursprüngliche Ursache alles Existierenden ist, sieht der Vaiṣṇava alles, selbst die Dinge in der materiellen Welt, in Beziehung zu Kṛṣṇa. Durch sein fortgeschrittenes Wissen wird alles, was er sieht, spiritualisiert, d. h., alles in der materiellen Welt ist bereits spirituell, und nur, weil es uns am Wissen mangelt, betrachten wir etwas als materiell. Die Veden in Person gaben in diesem Zusammenhang das Beispiel, daß jemand, der nach Gold trachtet, niemals goldene Ohrringe, goldene Armreifen oder irgend etwas anderes aus Gold zurückweise, nur weil diese Dinge von anderer Form sind als das ursprüngliche Gold. Übertragen bedeutet dies: Alle Lebewesen sind ewige Teile des Höchsten Herrn und als solche qualitativ mit Ihm eins, doch befinden sie sich, ähnlich wie das Gold aus der gleichen Mine zu verschiedenen Schmuckstücken verarbeitet ist, gegenwärtig in den verschiedenen Körpern der 8 400000 Arten des Lebens. Ebenso wie jemand, der den Wert des Goldes zu schätzen weiß, alle verschieden geformten goldenen Schmuckstücke annimmt, so betrachtet ein Vaiṣṇava, da er stets weiß, daß alle Lebewesen der Qualität nach mit dem Höchsten Persönlichen Gott eins sind, alle Lebewesen als ewige Diener Gottes. Als Vaiṣṇava hat man schon dadurch, daß man den bedingten, irregeführten Lebewesen hilft, indem man Kṛṣṇa-Bewußtsein lehrt und sie zurück nach Hause, zurück zu Gott, führt, reichlich Gelegenheit, dem Höchsten Persönlichen Gott zu dienen. Die Gedanken der Lebewesen werden gegenwärtig durch die drei materiellen Eigenschaften erregt, weshalb sie, wie im Traum, von Körper zu Körper wandern. Wenn sich ihr Bewußtsein jedoch zu Kṛṣṇa-Bewußtsein gewandelt hat, nehmen sie sogleich Śrī Kṛṣṇa fest in ihr Herz auf, und so öffnet sich ihnen der Pfad zur Befreiung. In allen Veden wird erklärt, daß der Höchste Persönliche Gott und die Lebewesen von der gleichen Qualität, daß sie caitanya oder spirituell sind. Dies wird auch im Padma Purāṇa bestätigt, in dem es heißt, daß es zwei Arten von spirituellen Wesen gibt: die eine Art wird jīva genannt, und die andere ist der Höchste Herr Selbst. Angefangen mit Brahmā, bis hinunter zur Ameise, sind alle Lebewesen jīvas, wohingegen der Herr der höchste vierarmige Viṣṇu oder Janārdana ist. Das Wort ātmā trifft eigentlich nur auf den Höchsten Persönlichen Gott zu; doch weil die Lebewesen Seine Teile sind, wird dieses Wort auch für sie verwendet. Die Lebewesen werden daher jīvātmā und der Höchste Herr Paramātmā genannt. Da sich sowohl der Paramātmā als auch der jīvātmā in der materiellen Welt aufhalten, muß die materielle Welt einem anderen Zweck dienen als der Sinnenbefriedigung. Die Vorstellung, das Leben sei zur Befriedigung der Sinne bestimmt, ist Täuschung, wohingegen die Auffassung, daß der jīvātmā selbst in der materiellen Welt dem Paramātmā dienen muß, gewiß keine Täuschung ist. Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch vergißt diese Tatsache nie, und deshalb hält er die materielle Welt nicht für Trug, sondern handelt in der Wirklichkeit des transzendentalen Dienens. Der Gottgeweihte betrachtet alle Dinge in der materiellen Welt als eine Gelegenheit, dem Herrn zu dienen. Er lehnt nichts als materiell ab, sondern stellt alles in den Dienst des Höchsten. Deshalb ist er immer gleichbleibend transzendental, und alles, was er gebraucht, wird dadurch, daß es im Dienst des Herrn verwendet wird, spirituell geläutert. Śrīla Śrīdhara Svāmī verfaßte hierzu einen schönen Vers: »Ich verehre den Höchsten Persönlichen Gott, der immer als Wirklichkeit manifestiert ist – selbst in der materiellen Welt, die von einigen als unwirklich angesehen wird.« Die Auffassung, die materielle Welt sei Trug, ist auf mangelndes Wissen zurückzuführen. Ein Mensch im Kṛṣṇa-Bewußtsein sieht den Höchsten Persönlichen Gott in allem. Das ist die wahre Verwirklichung des vedischen Aphorismus sarvaṁ khalv idaṁ brahma: »Alles ist Brahman.« Die Veden in Person fuhren fort: »Lieber Herr, die weniger Intelligenten wenden sich anderen Wegen der Selbstverwirklichung zu; doch es ist tatsächlich nicht möglich, von der materiellen Verunreinigung frei zu werden oder dem sich wiederholenden Kreislauf von Geburt und Tod ein Ende zu bereiten, solange man nicht ein völlig reiner Gottgeweihter ist. Lieber Herr, alles ruht in Deinen vielfachen Kräften, und wie in den Veden erklärt wird (eko bahūnāṁ yo vidadhāti kāmān), wird jeder von Dir erhalten. Daher bist du, o Herr, der Erhalter und Versorger aller Lebewesen – Halbgötter, Menschen und Tiere. Jeder wird von Dir erhalten, und Du weilst im Herzen eines jeden. Du bist somit die Wurzel der gesamten Schöpfung. Diejenigen, die sich stets in Deinem hingebungsvollen Dienst bemühen, verehren Dich deshalb, ohne abzuweichen. Solche Gottgeweihten begießen wahrlich die Wurzel des »universalen Baumes«. Durch hingebungsvolles Dienen dient man nämlich nicht nur dem Höchsten Persönlichen Gott, sondern auch allen anderen Lebewesen, da jedes von Ihm erhalten und versorgt wird. Weil der Gottgeweihte das alldurchdringende Wesen des Höchsten Persönlichen Gottes versteht, ist er der wahre Menschenfreund und Menschengönner. Solche reinen Gottgeweihten, die sich mit ganzer Kraft im Kṛṣṇa-Bewußtsein bemühen, überwinden mit Leichtigkeit den Kreislauf von Geburt und Tod und springen gleichsam über den Kopf des Todes hinweg.« Ein Gottgeweihter fürchtet sich niemals vor dem Tod oder dem Wechsel seines Körpers; sein Bewußtsein hat sich zu Kṛṣṇa-Bewußtsein gewandelt, und selbst wenn er nicht sogleich heimkehrt, zurück zu Gott, sondern zu einem anderen materiellen Körper wandert, hat er nichts zu befürchten. Ein gutes Beispiel für einen solchen Gottgeweihten ist Bharata Mahārāja. Er ging zwar nach dem Tod in den Körper eines Rehbocks ein, doch schon in dem Leben darauf wurde er völlig von aller materiellen Verunreinigung befreit und in das Königreich Gottes erhoben. In der Bhagavad-gītā (6.40) wird deshalb erklärt, daß ein Gottgeweihter niemals verloren ist. Dem Gottgeweihten ist die Rückkehr zum spirituellen Königreich, die Heimkehr zu Gott, sicher. Selbst wenn ihm in einem Leben ein Fehltritt unterläuft, erhebt ihn sein Festhalten am Kṛṣṇa-Bewußtsein höher und höher, bis er schließlich zu Gott zurückkehrt. Ein reiner Gottgeweihter läutert nicht nur sein eigenes Dasein, sondern auch jeder, der sein Schüler wird, wird allmählich geläutert und kann schließlich ohne weiteres in das Königreich Gottes eingehen. Ein reiner Gottgeweihter überwindet somit nicht nur selbst sehr leicht den Tod; durch seine Gnade gelingt dies auch seinen Anhängern ohne Schwierigkeiten. Die Macht des hingebungsvollen Dienens ist so groß, daß ein reiner Gottgeweihter auch andere durch seine transzendentalen Unterweisungen befähigen kann, den Ozean der Unwissenheit zu überqueren. Die Anweisungen eines reinen Gottgeweihten an seine Schüler sind zudem von sehr einfacher Art. Niemandem fällt es schwer, den Fußstapfen eines reinen Gottgeweihten zu folgen. Jedem, der sich einer Schülernachfolge anschließt, die auf anerkannte Geweihte des Herrn zurückgeht, wie Brahmā, Śiva, die Kumāras, Manu, Kapila, König Prahlāda, König Janaka, Śukadeva Gosvāmī und Yamarāja, findet das Tor zur Befreiung sehr leicht offen. Jene hingegen, die keine Gottgeweihten sind, sondern sich unsicheren Methoden der Selbstverwirklichung widmen, wie denen des jñāna, yoga und karma, sind, wie man wissen sollte, immer noch verunreinigt. Solche verunreinigten Menschen können, obgleich es den Anschein hat, als seien sie in der Selbstverwirklichung sehr fortgeschritten, sich nicht einmal selbst befreien, und schon gar nicht ihre Anhänger. Solche Nichtgottgeweihten werden mit angeketteten Tieren verglichen, denn sie sind nicht in der Lage, über die Äußerlichkeiten ihrer jeweiligen Glaubensrichtung hinauszugehen. In der Bhagavad-gītā (2.41-43) werden sie als veda-vādah verurteilt, d. h. sie begreifen nicht, daß sich die Veden nur mit Vorgängen befassen, die sich auf die materiellen Erscheinungsweisen der Natur, nämlich Tugend, Leidenschaft und Unwissenheit beziehen. Kṛṣṇa erklärte Arjuna, daß man die in den Veden vorgeschriebenen Pflichten hinter sich lassen und sich dem hingebungsvollen Dienst im Kṛṣṇa-Bewußtsein zuwenden muß. In der Bhagavad-gītā (2.45) heißt es an dieser Stelle: nistraiguṇyo bhavārjuna: »Mein lieber Arjuna, versuche, zu den vedischen Ritualen transzendental zu werden.« Transzendendental selbst zu den vedischen Ritualen zu sein bedeutet, sich dem hingebungsvollen Dienst zu widmen. An einer anderen Stelle in der Bhagavad-gītā (14.26) sagt der Herr unmißverständlich, daß jene, die sich ohne Falschheit in Seinem hingebungsvollen Dienst beschäftigen, bereits ins Brahman eingetreten sind. Das Brahman erkannt zu haben, bedeutet also, Kṛṣṇa-bewußt zu sein und sich im hingebungsvollen Dienst zu vertiefen. Die wahre Verwirklichung der Brahman-Erkenntnis bedeutet Kṛṣṇa-Bewußtsein und hingebungsvolles Dienen. Die Gottgeweihten sind daher wirkliche brahmacārīs, denn ihre Tätigkeiten befinden sich immer auf der Ebene des Kṛṣṇa-Bewußtseins oder hingebungsvollen Dienens. Die Bewegung für Kṛṣṇa-Bewußtsein ist ein erhabener Aufruf an alle religiösen Menschen, der sie mit wahrer Autorität auffordert, sich dieser Bewegung anzuschließen, durch die man lernen kann, Gott zu lieben, und durch die man schließlich alle Regeln und Formalitäten der Schriften hinter sich lassen kann. Ein Mensch, der über die Stufe stereotyper religiöser Prinzipien nicht hinausgelangen kann, wird mit einem Tier verglichen, das von seinem Meister an die Kette gelegt worden ist. Der Sinn aller Religion besteht darin, Gott zu verstehen und seine schlummernde Liebe zu Ihm zu erwecken. Wenn man jedoch nur an den religiösen Formeln und Formalitäten festhält und keine Liebe zu Gott entwickelt, gilt man als angekettetes Tier. All dies bedeutet mit anderen Worten: Jemand, der nicht Kṛṣṇa-bewußt ist, kann nicht von der Verunreinigung des materiellen Daseins befreit werden. Śrīla Śrīdhara Svāmī verfaßte einen vortrefflichen Vers, der besagt: »Sollen andere sich strenge Entsagungen auferlegen; sollen andere sich von den Gipfeln der Berge stürzen, um ihr Leben zu opfern; sollen andere zu vielen heiligen Pilgerstätten reisen, um Befreiung zu erlangen, und sollen andere sich in das eingehende Studium der Philosophie und der vedischen Schriften versenken; laß die yogīs sich ihrer Meditation widmen, und laß die verschiedenen Sekten sinnlos miteinander streiten, welche von ihnen die beste sei. Es ist jedoch eine Tatsache, daß man, solange man nicht im hingebungsvollen Dienst tätig ist und die Gnade des Höchsten Persönlichen Gottes erlangt hat, den Ozean des materiellen Daseins nicht überqueren kann.« Ein intelligener Mensch gibt daher alle schablonenhaften Vorstellungen auf und schließt sich der Bewegung für Kṛṣṇa-Bewußtsein an, um wirklich befreit zu werden. Die Veden in Person setzten ihre Gebete weiter fort, indem sie sagten: »Lieber Herr, Dein unpersönlicher Aspekt wird in den Veden wie folgt erklärt: Du hast zwar keine Hände, doch Du kannst alle Opfer entgegennehmen; Du hast keine Beine, doch Du kannst schneller laufen als jeder andere; obwohl Du keine Augen hast, kannst Du alle Geschehnisse in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sehen; obwohl Du keine Ohren hast, kannst Du alles hören, was gesagt wird; obwohl Du keinen Geist hast, kennst Du die Handlungen jedes einzelnen, sowohl die der Gegenwart als auch die der Vergangenheit und Zukunft, doch niemand weiß, wer Du bist. Du kennst jeden, doch niemand kennt Dich; deshalb bist Du die älteste und erhabenste Persönlichkeit.« An einer anderen Stelle in den Veden heißt es: »Du brauchst nichts zu tun. Du bist so vollkommen in Deinem Wissen und Deiner Macht, daß sich alles allein durch Deinen Willen manifestiert. Niemand kommt Dir gleich oder überragt Dich; vielmehr ist jeder Dein ewiger Diener.« Die Veden erklären also, daß der Absolute weder Beine, Arme, Augen, Ohren noch einen Geist hat, und dennoch durch Seine Kräfte wirken und die Bedürfnisse aller Lebewesen erfüllen kann. Wie in der Bhagavad-gītā (13.14) erklärt wird, sind Seine transzendentalen Arme und Beine überall; Er ist alldurchdringend. Die Arme, Beine, Ohren und Augen der Lebewesen bewegen sich nach der Weisung der Überseele, die im Herzen jedes Lebewesen weilt. Wenn die Überseele nicht gegenwärtig ist, können sich die Arme und Beine nicht bewegen. Der Höchste Persönliche Gott ist so gewaltig, unabhängig und vollkommen, daß Er, obwohl Er keine Augen, Beine und Ohren besitzt, von niemandem in Seinen Handlungen abhängig ist. Vielmehr sind alle anderen im Gebrauch ihrer verschiedenen Sinnesorgane von Ihm abhängig. Solange das Lebewesen nicht von der Überseele angeregt und geführt wird, kann es nicht handeln. Es ist eine Tatsache, daß die Absolute Wahrheit letzten Endes die Höchste Person ist. Doch weil Er, die Höchste Person, durch Seine verschiedenen Kräfte wirkt, die den groben Materialisten nicht sichtbar sind, glauben diese, Er sei unpersönlich. In einem Blumengemälde beispielsweise kann man die Kunstfertigkeit einer Person wahrnehmen, und man kann verstehen, daß die Farbkomposition und Formgebung die sorgfältige Aufmerksamkeit des Künstlers erfordert haben. In einem Gemälde blühender Blumen kommt deutlich das Bemühen des Künstlers zum Ausdruck. Dennoch kommt der abgestumpfte Materialist, der die künstlerische Hand Gottes in solchen Kunstwerken, wie die wirklichen Blumen es sind, die in der Natur blühen, nicht erkennen kann, zu dem Schluß, die Absolute Wahrheit sei unpersönlich. In Wirklichkeit ist der Absolute eine Person – nur ist Er von nichts abhängig. Er braucht nicht zu Pinsel und Farbe zu greifen, um die Blumen zu malen; Seine Kräfte wirken so wunderbar, daß es scheint, als seien die Blumen ohne die Hilfe eines Künstlers entstanden. Unintelligente Menschen gelangen zu der Auffassung, die Absolute Wahrheit sei unpersönlich, denn solange sie nicht im Dienst des Herrn tätig sind, können sie nicht verstehen, wie der Höchste wirkt; sie können nicht einmal Seinen Namen erfahren. Nur einem Gottgeweihten wird durch seine liebevolle und dienende Haltung alles über die Taten und Aspekte des Höchsten offenbart. In der Bhagavad-gītā wird unmißverständlich gesagt: bhoktāraṁ yajña tapasām, was bedeutet, daß der Herr der Genießer aller Arten von Opfern und der Ergebnisse aller Bußen ist. Dann wieder erklärt der Herr: sarva loka maheśvaram. »Ich bin der Besitzer aller Planeten.« Das also ist die Stellung des Höchsten Persönlichen Gottes.« Obwohl Er Sich stets in Vṛndāvana aufhält und dort in der Gemeinschaft Seiner ewigen Gespielen, den gopīs und den Kuhhirtenjungen, transzendentale Freude genießt, wirken gleichzeitig Seine Kräfte unter Seiner Führung überall in der Schöpfung. Sie beeinflussen nicht Seine ewigen Spiele. Nur durch hingebungsvolles Dienen kann man verstehen, wie der Höchste Persönliche Gott durch Seine unvorstellbaren Kräfte gleichzeitig unpersönlich und als Person wirkt. Er handelt wie der höchste Herrscher, unter dessen Aufsicht viele tausend Könige und Oberhäupter regieren. Der Höchste Persönliche Gott ist die höchste unabhängig herrschende Person, während alle Halbgötter, selbst Brahmā, der Himmelskönig Indra, der König des Mondplaneten und der König des Sonnenplaneten unter Seiner Führung handeln. In den Veden wird bestätigt, daß aus Furcht vor dem Höchsten Persönlichen Gott die Sonne scheint, der Wind weht und das Feuer Wärme abgibt. Die materielle Natur erzeugt alle möglichen sich bewegenden und sich nicht bewegenden Manifestationen, von denen keine unabhängig vom Höchsten Herrn, ohne Seine Führung, etwas tun oder erschaffen kann. Sie alle gleichen tributpflichtigen, untergebenen Königen, die dem Kaiser ihre jährlichen Abgaben entrichten müssen. Die vedischen Anweisungen schreiben es jedem Lebewesen vor, von den Überresten der Speisen zu leben, die dem Persönlichen Gott geopfert wurden. Eine Anweisung besagt, daß bei großen Opferungen Nārāyaṇa als die höchste herrschende Gottheit des Opfers zugegen sein muß. Nach dem Opfer werden die Überreste der Speisen an die Halbgötter verteilt. Dies wird yajña-bhāga genannt. Jeder Halbgott bekommt seinen bestimmten Anteil am yajña-bhāga, den er als prasāda annimmt. Hier wird deutlich, daß die Halbgötter in ihrer Macht nicht unabhängig sind; sie werden unter der Aufsicht des Höchsten Persönlichen Gottes als Verwalter verschiedener Bereiche eingesetzt, und sie essen prasāda, d. h. die Reste der Opfer. Sie führen den Befehl des Höchsten Herrn genau nach Seinem Plan aus. Der Höchste Persönliche Gott hält Sich im Hintergrund, während Seine Befehle von anderen ausgeführt werden. Mit unserer grob-materialistischen Denkweise können wir uns nicht vorstellen, wie die Höchste Person über den unpersönlichen Vorgängen der materiellen Natur stehen kann. Daher erklärt der Herr in der Bhagavad-gītā (7.7), daß es nichts Höheres als Ihn gibt, und daß Ihm das unpersönliche Brahman als eine Manifestation der Strahlen Seines Körpers untergeordnet ist. Śrīpāda Śrīla Śrīdhara Svāmī schrieb darauf bezogen einen wunderbaren Vers. Er lautet: »Laßt mich meine achtungsvollen Ehrerbietungen dem Höchsten Persönlichen Gott darbringen, der keine materiellen Sinne hat, unter dessen Führung und Willen aber alle materiellen Sinne tätig sind. Er ist die höchste Kraft aller materiellen Sinne oder Sinnesorgane. Er ist allmächtig, und Er ist der höchste Vollbringer aller Dinge. Deshalb gebührt es Ihm, von jedem verehrt zu werden. Dieser Höchsten Person bringe ich meine respektvollen Ehrerbietungen dar.« Kṛṣṇa Selbst erklärt in der Bhagavad-gītā (15.18), daß Er Puruṣottama, die Höchste Persönlichkeit, ist. Puruṣa bedeutet »Person« und uttama bedeutet »höchste« oder »transzendental«. So erklärt Śrī Kṛṣṇa in der Bhagavad-gītā, daß Er, da Er transzendental zu den fehlbaren wie auch den unfehlbaren Lebewesen ist, als Puruṣottama bekannt ist. An einer anderen Stelle (Bg. 9.6) sagt der Herr, daß jeder sich in Ihm befindet wie die Luft im alldurchdringenden Raum, und daß jeder unter Seiner Führung handelt. Die Veden in Person fuhren fort: »Unser lieber Herr«, beteten sie, »Du bist jedem gleichgesinnt; Du bist keiner Art von Lebewesen besonders zugetan oder abgeneigt. Alle Lebewesen sind Deine Teile und genießen und leiden unter verschiedenen Lebensbedingungen. Sie sind wie die Funken eines Feuers. Wie Funken in einem lodernden Feuer tanzen, so tanzen alle Lebewesen allein durch Deine Hilfe. Du versorgst sie mit allem, was sie sich wünschen, und doch bist Du nicht für ihre Freuden und Leiden verantwortlich. Es gibt vielerlei Arten von Lebewesen, wie Halbgötter, Menschen, Säugetiere, Vögel, Insekten, Würmer, Bakterien, Bäume und Wassertiere und -pflanzen, und sie alle genießen oder leiden, während Du ihre Grundlage bist. Man unterscheidet sie nach zwei Arten, nämlich den ewig Befreiten (nitya-mukta) und den ewig Bedingten (nitya-baddha). Die nitya-mukta-Lebewesen halten sich im spirituellen Königreich auf, die nitya-baddha hingegen in der materiellen Welt.« In der spirituellen Welt befinden sich sowohl der Herr als auch die Lebewesen in ihrem ursprünglichen Zustand wie leuchtende Funken in einem Feuer. In der materiellen Welt dagegen haben die Lebewesen, obschon der Herr in Seinem unpersönlichen Aspekt alldurchdringend ist, ihr Kṛṣṇa-Bewußtsein verloren, ebenso wie Funken manchmal aus dem lodernden Feuer fallen und ihre ursprüngliche Leuchtkraft verlieren. Einige Funken fallen auf trockenes Gras und entzünden ein neues Feuer. Mit diesen Funken werden die reinen Gottgeweihten verglichen, die sich der armen und unschuldigen Lebewesen erbarmen. Der reine Gottgeweihte erleuchtet die Herzen der bedingten Lebewesen mit Kṛṣṇa-Bewußtsein, und so kommt das lodernde Feuer der spirituellen Welt selbst in der materiellen Welt zum Vorschein. Einige der Funken fallen auch ins Wasser, wo sie augenblicklich ihr ursprüngliches Leuchten verlieren und fast erlöschen. Sie stehen für die Lebewesen, die unter groben Materialisten geboren werden, worauf ihr ursprüngliches Kṛṣṇa-Bewußtsein fast erlischt. Einige der Funken fallen auch auf den Boden, wo sie weder richtig brennen noch erlöschen. So mangelt es einigen Lebewesen gänzlich an Kṛṣṇa-Bewußtsein, einige stehen zwischen Kṛṣṇa-Bewußtsein und Nicht-Kṛṣṇa-Bewußtsein, und wieder andere befinden sich völlig im Kṛṣṇa-Bewußtsein. Die Halbgötter auf den himmlischen Planeten, wie Brahmā, Indra, Candra, der Sonnengott, und viele andere, sind alle Kṛṣṇa-bewußt. Die menschliche Gesellschaft steht auf einer Stufe zwischen den Tieren und den Halbgöttern, weshalb einige Menschen mehr oder weniger Kṛṣṇa-bewußt sind und andere das Kṛṣṇa-Bewußtsein vollständig verloren haben. Den Lebewesen dritten Ranges, nämlich den Tieren, Pflanzen, Wassertieren und Wasserpflanzen ist das Kṛṣṇa-Bewußtsein gänzlich verlorengegangen. Das in den Veden angeführte Beispiel von den Funken des lodernden Feuers ist sehr hilfreich für das Verstehen der Lage verschiedenster Arten von Lebewesen. Doch über allen Lebewesen steht Kṛṣṇa oder Puruṣottama, der immer von allen materiellen Bedingungen frei ist. Es mag sich die Frage erheben, warum die Lebewesen zufällig in die verschiedenen materiellen Lebenslagen gefallen sind. Um die Antwort auf diese Frage verstehen zu können, muß man wissen, daß die Lebewesen kein Zufall beeinflussen kann; Zufälle gibt es nur für unbelebte Dinge. Nach den vedischen Schriften haben die Lebewesen Wissen, und deshalb werden sie caitanya genannt, was »wissend« bedeutet. Ihr Dasein unter bestimmten Lebensbedingungen ist deshalb nicht zufällig; es wurde vielmehr durch ihre Wahl herbeigeführt, denn sie verfügten ja über Wissen. In der Bhagavad-gītā (18.66) erklärt der Herr: »Gib alles auf und gib Dich einfach Mir hin.« Dieser Vorgang, durch den man den Höchsten Persönlichen Gott erkennen kann, ist für jeden da, doch es bleibt immer der Wahl des Lebewesens überlassen, diesen Vorschlag anzunehmen oder abzulehnen. Im letzten Teil der Bhagavad-gītā (18.63) sagt Śrī Kṛṣṇa ganz offen zu Arjuna: »Mein lieber Arjuna, ich habe dir nun alles erklärt. Alles weitere hängt von Deiner Wahl ab.« Die Lebewesen, die in die materielle Welt herabgekommen sind, haben die Wahl getroffen, diese materielle Welt zu genießen. Es ist nicht etwa so, daß Kṛṣṇa sie in die materielle Welt geschickt hat. Die materielle Welt wurde für den Genuß der Lebewesen geschaffen, die den ewigen Dienst des Herrn aufgeben wollten, um selbst der höchste Genießer zu werden. Nach der Vaiṣṇava-Philosophie wird dem Lebewesen, wenn es nach Sinnenbefriedigung begehrt und den Dienst des Herrn vergißt, ein Platz in der materiellen Welt zugewiesen, wo es ganz nach Belieben handeln kann, und so schafft es sich Lebensbedingungen, unter denen es entweder genießt oder leidet. Wir sollten zweifellos wissen, daß sowohl der Herr als auch die Lebewesen ewig bewußt sind. Geburt und Tod gibt es weder für den Herrn noch für die Lebewesen. Wenn die Schöpfung stattfindet, werden die Lebewesen nicht erschaffen. Der Herr erschafft vielmehr die materielle Welt, um den Lebewesen die Möglichkeit zu geben, sich auf die höhere Ebene des Kṛṣṇa-Bewußtseins zu erheben. Wenn die bedingte Seele diese Gelegenheit nicht wahrnimmt, geht sie nach der Auflösung der materiellen Welt in den Körper Nārāyaṇas ein und bleibt dort in tiefem Schlaf, bis die Zeit für eine neue Schöpfung gekommen ist. In diesem Zusammenhang ist das Beispiel der Regenzeit sehr treffend. Der jahreszeitliche Regenfall kann als erschaffende Kraft bezeichnet werden, denn die nach den Regengüssen feuchte Erde eignet sich sehr gut für den Anbau aller möglichen Nutzpflanzen. Übertragen bedeutet dies, daß die Lebewesen, sobald die Schöpfung durch den Blick des Herrn über die materielle Natur stattfindet, in ihren unterschiedlichen Lebensbedingungen erscheinen, ebenso wie nach dem Regen allerlei Gewächse hervorsprießen. Der Regenfall ist nur einer, doch die Gemüsearten z. B., die hervorgebracht werden, sind ihrer viele. Der Regen verteilt sich gleichmäßig auf das gesamte Feld, und entsprechend der Samen, die gesät wurden, sprießen verschiedene Gemüsearten in unterschiedlichen Größen und Formen aus der Erde hervor. Ebenso sind die Samen unserer Wünsche von vielfältiger Art. Jedes Lebewesen hegt einen anderen Wunsch, und dieser Wunsch ist der Same, der es in einem bestimmten Körper heranwachsen läßt. Von Rūpa Gosvāmī wird dies mit dem Begriff pāpa-bīja erklärt. Pāpa bedeutet »sündig«. All unsere materiellen Wünsche müssen als pāpa-bīja oder »Samen von Sünden« verstanden werden. Die Bhagavad-gītā erklärt, daß unser sündhaftes Verlangen darin besteht, daß wir uns dem Höchsten Herrn nicht hingeben wollen. Der Herr versichert uns deshalb in der Bhagavad-gītā (18.66): »Ich werde dich vor allen Reaktionen auf sündhafte Wünsche beschützen.« Diese sündhaften Wünsche manifestieren sich in den unterschiedlichsten Körperarten. Niemand kann daher dem Herrn vorwerfen, Er sei voreingenommen, weil Er einem Lebewesen diesen Körper gebe und einem anderen jenen. Alle Körper der 8400000 Lebensformen entstehen entsprechend der Geisteshaltung der individuellen Lebewesen. Puruṣottama, der Höchste Persönliche Gott, gibt ihnen lediglich die Möglichkeit, nach ihren Wünschen zu handeln. Wenn also die Lebewesen handeln, nutzen sie nur die vom Herrn gegebenen Möglichkeiten. Die Lebewesen werden aus dem transzendentalen Körper des Herrn geboren. Diese Beziehung zwischen dem Herrn und den Lebewesen wird in den vedischen Schriften erklärt, in denen es heißt, daß der Höchste Herr all Seine Kinder erhält und ihnen gibt, was immer sie wollen. In der Bhagavad-gītā (14.4) sagt der Herr: »Ich bin der samengebende Vater aller Lebewesen.« Jeder weiß, daß der Vater zwar für die Geburt der Kinder verantwortlich ist, die Kinder dann aber nach ihren eigenen Wünschen handeln. Daher ist der Vater später nicht für das jeweilige Schicksal seiner Kinder verantwortlich. Jedes Kind kann das Eigentum und die Ratschläge seines Vaters nutzen, doch obgleich allen Kindern der gleiche Erbteil und das gleiche Maß an guten Ratschlägen geboten wird, wählt sich jedes Kind, je nach seinen Wünschen, seinen eigenen Lebensweg und genießt und leidet dementsprechend. Ebenso sind die Anweisungen der Bhagavad-gītā für jeden da: Jedes Lebewesen sollte sich dem Höchsten Herrn hingeben, der Sich seiner annehmen und es vor allen sündigen Reaktionen schützen wird. Alles zum Leben in der Schöpfung des Herrn Notwendige ist allen Lebewesen in gleichermaßen ausreichender Fülle gegeben. Alles Bestehende, sei es auf dem Land, im Wasser oder in der Luft, ist für alle Lebewesen in gleichem Maße da. Weil sie Söhne des Höchsten Herrn sind, dürfen sie alle die materiellen Möglichkeiten genießen, die ihnen vom Herrn gegeben sind; doch unglückselige Lebewesen bekämpfen sich statt dessen und schaffen so unerträgliche Lebensbedingungen. Die Verantwortung für das Kämpfen und das Schaffen günstiger und ungünstiger Lebensbedingungen liegt bei den Lebewesen, und nicht beim Höchsten Persönlichen Gott. Wenn die Lebewesen die Anweisungen des Herrn in der Bhagavad-gītā nutzen und Kṛṣṇa-Bewußtsein entwickeln, wird ihr Leben erhaben, und sie können zu Gott zurückgehen. Manche Menschen werden behaupten, der Herr sei für die Zustände in der materiellen Welt verantwortlich, da er diese Welt Selbst geschaffen habe. Zweifellos ist der Herr indirekt für die Schöpfung und Erhaltung der materiellen Welt verantwortlich, jedoch ist Er niemals für die jeweiligen Lebensbedingungen der Lebewesen verantwortlich zu machen. Die vom Herrn bewirkte Schöpfung der materiellen Welt ist mit der von der Wolke bewirkten Schöpfung einer frischen Vegetation zu vergleichen. In der Regenzeit erzeugen die Wolken vielerlei Arten von Gemüse. Während sie dabei ihr Wasser auf die Erdoberfläche schütten, berühren sie niemals den Boden. Ebenso erschafft der Herr die materielle Welt, indem Er einfach nur über die materielle Energie blickt. Diese Tatsache wird in den Veden bestätigt: »Er warf Seinen Blick über die materielle Natur, und da fand die Schöpfung statt.« Auch die Bhagavad-gītā bestätigt, daß der Herr nur durch Seinen transzendentalen Blick über die materielle Natur verschiedene Arten von Daseinsformen erschafft – sowohl sich bewegende als auch sich nicht bewegende, lebende wie auch tote. Die Schöpfung der materiellen Welt kann daher als eines der Spiele des Herrn verstanden werden; sie wird als eines der Spiele des Herrn bezeichnet, weil Er die materielle Welt erschafft, wenn Ihm der Wunsch danach kommt. Dieser Wunsch des Höchsten Persönlichen Gottes ist Seine ganz besondere Gnade, denn Er gibt den bedingten Seelen somit weitere Gelegenheit, ihr ursprüngliches Bewußtsein wieder zu entwickeln und so zu Ihm zurückzukehren. Deshalb kann niemand den Höchsten Herrn für die Schöpfung der materiellen Welt tadeln. Das Thema, von dem wir sprechen, vermittelt ein klares Verständnis von dem Unterschied zwischen den Unpersönlichkeitsphilosophen und den Verehrern des Persönlichen. Die Unpersönlichkeitslehre empfiehlt, in das Sein des Höchsten einzugehen, und die Philosophie vom Nichts empfiehlt, alle materiellen Mannigfaltigkeiten aufzuheben. Beide Philosophien sind als Māyāvāda bekannt. Zweifellos ist es richtig, daß die kosmische Manifestation zu Ende geht und sich auflöst, wenn die Lebewesen in den Körper Nārāyaṇas eingehen, um dort bis zur nächsten Schöpfung zu ruhen, und dies kann auch als unpersönlicher Zustand bezeichnet werden, doch sind derartige Zustände niemals ewig. Die Aufhebung der Mannigfaltigkeit in der materiellen Welt und das Verweilen der Lebewesen im Körper des Allerhöchsten sind nicht ewig, denn die Schöpfung findet immer wieder aufs neue statt, und die Lebewesen, die in den Körper des Herrn eingegangen sind, ohne ihr Kṛṣṇa-Bewußtsein entwickelt zu haben, erscheinen bei der nächsten Schöpfung erneut in der materiellen Welt. Die Bhagavad-gītā (9.8) bestätigt die Tatsache, daß die materielle Welt immer wieder erschaffen und vernichtet wird. Dies wiederholt sich unaufhörlich, und die bedingten Seelen, die nicht Kṛṣṇa-bewußt werden, kommen immer wieder, sobald die materielle Schöpfung manifestiert ist, in sie zurück. Wenn solche bedingten Seelen jedoch die Gelegenheit wahrnehmen, unter der direkten Führung des Herrn Kṛṣṇa-Bewußtsein zu entwickeln, werden sie in die spirituelle Welt erhoben, von wo sie nicht wieder in die materielle Schöpfung zurückzukehren brauchen. Weil die Philosophen der Unpersönlichkeitslehre und der Lehre vom Nichts nicht bei den Lotosfüßen des Herrn Zuflucht suchen, gelten sie als nicht sehr intelligent. Und weil sie unintelligent sind, nehmen sie die verschiedensten Entsagungen auf sich, um entweder das nirvāṇa zu erreichen, was die Beendigung des materiellen Daseinszustandes bedeutet, oder den Zustand des Einsseins durch das Eingehen in den Körper des Herrn zu erlangen. Sie alle kommen jedoch wieder zu Fall, weil sie die Lotosfüße des Herrn nicht zu würdigen wissen. Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī, der Autor des Śrī Caitanya-caritāmṛta, brachte, nachdem er alle vedischen Schriften studiert und von allen Autoritäten gehört hatte, in seinem Werk sein Urteil zum Ausdruck, daß Kṛṣṇa der einzige und erhabene Meister und alle Lebewesen Seine ewigen Diener sind. Seine Erklärung wird von den Veden in Person in ihren Gebeten bestätigt. Die letztliche Erkenntnis ist daher, daß jeder unter der Aufsicht des Höchsten Persönlichen Gottes steht, daß jeder dem Höchsten Herrn unter dessen Führung dient, und daß jeder den Höchsten Persönlichen Gott fürchtet. Nur aus Furcht vor Ihm werden alle Tätigkeiten richtig ausgeführt. Jeder ist dem Höchsten Herrn untergeordnet, und der Herr bevorzugt oder benachteiligt kein Lebewesen. Er ist wie der grenzenlose Himmel; die Lebewesen sind alle wie Funken, die im Feuer tanzen, oder Vögel, die am grenzenlosen Himmel fliegen. Einige von ihnen fliegen in großer Höhe, andere etwas tiefer, und wieder andere noch tiefer. Die Vögel fliegen also je nach ihrem Vermögen in unterschiedlichen Höhen, doch der Himmel hat nichts mit ihren Flugfähigkeiten zu tun. Der Herr erklärt in der Bhagavad-gītā (4.11), daß Er allen Lebewesen, entsprechend ihrer Hingabe, unterschiedliche Stellungen im Leben zuweist, doch sind diese von Fall zu Fall verschieden. Zuwendungen des Höchsten Persönlichen Gottes sind kein Zeichen von Voreingenommenheit. Obwohl sich die Lebewesen in unterschiedlichen Stellungen, Lebensbereichen und Lebensformen befinden, unterstehen sie alle stets der Aufsicht des Höchsten Persönlichen Gottes, und dennoch ist Er in keinem Fall für ihre jeweiligen Lebensumstände verantwortlich. Es ist also töricht und falsch sich einzubilden, man sei dem Höchsten Persönlichen Gott ebenbürtig, und es ist noch törichter zu glauben, man habe Gott noch nicht gesehen. Jeder sieht Gott in einigen Seiner Aspekte. Im Gegensatz zum Theisten, der Gott als die Höchste Persönlichkeit, das liebste Wesen, Śrī Kṛṣṇa, sieht, sieht der Atheist die Absolute Wahrheit als Tod. Die Veden in Person beteten weiter: »Lieber Herr, aus allen vedischen Schriften geht hervor, daß Du der Höchste Herrscher bist, und daß alle Lebewesen beherrscht werden.« Sowohl der Herr als auch die Lebewesen werden als nitya oder ewig bezeichnet und sind somit der Qualität nach eins, doch der eine nitya, der Höchste Herr, ist der Herrscher, wohingegen die vielen anderen nityas beherrscht werden. Das individuelle, beherrschte Lebewesen wohnt zwar gemeinsam mit dem Höchsten Herrscher, der Überseele, im Körper, doch beherrscht die Überseele die individuelle Seele. Das ist die Aussage der Veden. Würde die individuelle Seele nicht von der Überseele beherrscht, wie wäre dann die Feststellung der Veden zu erklären, daß das Lebewesen von Körper zu Körper wandert und die Folgen seiner früheren Taten erleidet? Manchmal wird es zu einer höheren Lebensebene erhoben, und ein andermal wird es in eine niedere Lebenslage versetzt. Die bedingten Lebewesen stehen also nicht nur unter der Aufsicht des Höchsten Herrn, sondern werden dazu noch durch die sie beherrschende materielle Natur bedingt. Die Beziehung zwischen den Lebewesen und dem Höchsten Herrn als den Beherrschten und dem Herrscher zeigt deutlich, daß die individuelle Seele im Gegensatz zur alldurchdringenden Überseele niemals allgegenwärtig ist. Wenn die individuellen Seelen allgegenwärtig wären, stünde es völlig außer Frage, daß sie beherrscht würden. Die Theorie, die besagt, die Seele und die Überseele seien gleich, ist ein unreiner Fehlschluß, den kein vernünftiger Mensch annehmen kann; statt dessen sollte man versuchen, die Unterschiede zwischen dem Höchsten Ewigen und den untergeordneten Ewigen zu verstehen. Die Veden in Person kamen deshalb zu folgendem Schluß: »O Herr, sowohl Du als auch die begrenzten dhruvās, die Lebewesen, sind ewig.« Die Gestalt des unbegrenzten Ewigen wird manchmal als die universale Form wahrgenommen, und in den vedischen Schriften, wie den Upaniṣaden, wird auch die Gestalt des begrenzten Ewigen ausführlich beschrieben. Es wird dort gesagt, daß die ursprüngliche spirituelle Gestalt des Lebewesens den zehntausendsten Teil einer Haarspitze mißt. Außerdem steht dort, daß das Spirituelle größer als das Größte und kleiner als das Kleinste ist. Die individuellen Lebewesen, die ewige Teile Gottes sind, sind kleiner als das Kleinste. Mit unseren materiellen Sinnen können wir weder den Höchsten wahrnehmen, der größer als das Größte ist, noch die individuelle Seele, die kleiner als das Kleinste ist. Deshalb müssen wir sowohl daß Größte als auch das Kleinste durch die maßgeblichen Quellen, die vedischen Schriften, verstehen. Die vedischen Schriften erklären, daß die Überseele im Körper des Lebewesens weilt und die Größe eines Daumens hat. An dieser Stelle wird manch einer einwenden, wie es denn möglich sein könne, daß etwas Daumengroßes in das Herz einer Ameise passe. Die Erklärung ist, daß man sich das Daumenmaß der Überseele im Verhältnis zu dem Körper des jeweiligen Lebewesens vorstellen muß. Die Überseele und die individuelle Seele können also niemals als identisch angesehen werden, obwohl sie beide in den materiellen Körper des individuellen Lebewesens eingehen. Die Überseele weilt im Herzen, um das individuelle Lebewesen zu führen und zu kontrollieren. Obwohl beide dhruva oder ewig sind, steht das Lebewesen immer unter der Führung des Höchsten. Manchmal wird auch behauptet, die Lebewesen seien alle gleich und unabhängig, weil sie aus der materiellen Natur geboren seien. In den vedischen Schriften heißt es jedoch, daß der Höchste Persönliche Gott die materielle Natur mit den Lebewesen befruchtet, worauf diese in den Lebensformen erscheinen. Somit ist das Erscheinen der Lebewesen nicht allein auf die materielle Natur zurückzuführen ebenso wie ein Kind, das von einer Mutter geboren wird, nicht von ihr allein erzeugt wurde. Die Frau muß zuerst von einem Mann befruchtet werden – dann kommt das Kind zur Welt. Daher ist das Kind, das von der Frau geboren wird, ein Teil des Mannes. Ebenso erschafft zwar augenscheinlich die materielle Natur die Lebewesen, doch kann sie dies nicht unabhängig tun. Nur weil der Höchste Vater die materielle Natur befruchtete, sind die Lebewesen in ihr gegenwärtig. Aus diesem Grund kann die Behauptung, die Lebewesen seien keine Teile des Höchsten, nicht aufrechterhalten werden. Die einzelnen Teile eines Körpers können niemals mit dem ganzen Körper gleichgesetzt werden; vielmehr beherrscht der ganze Körper die einzelnen Glieder. Ebenso sind die individuellen Teile des höchsten Ganzen immer abhängig und werden immer von ihrem Ursprung beherrscht. In der Bhagavad-gītā (15.7) wird ebenfalls bestätigt, daß die Lebewesen ewige Teile Kṛṣṇas sind, und zwar mit dem Wort mamaivāṁśo. Kein vernünftiger Mensch wird deshalb der Theorie zustimmen, daß die Überseele und die individuelle Seele zur gleichen Kategorie gehören. Sie sind zwar der Qualität nach gleich, doch quantitativ ist die Überseele stets die Höchste und die individuelle Seele stets der Überseele untergeordnet. Das ist die Schlußerkenntnis der Veden. Es gibt zwei in diesem Zusammenhang sehr wichtige Worte, nämlich yanmaya und cinmaya. Nach der Grammatik des Sanskrit wird das Wort mayat im Sinne von »Umwandlung« gebraucht, und manchmal bedeutet es auch »hinreichende Menge«. Die Māyāvādī-Philosophen interpretieren, yanmaya oder cinmaya weise darauf hin, daß das Lebewesen dem Höchsten stets ebenbürtig sei. Es muß jedoch hierbei bedacht werden, ob die Beifügung mayat im Sinne von »hinreichende Menge« oder im Sinne von »Umwandlung« gebraucht wird. Das Lebewesen besitzt niemals etwas in genau dem gleichen Umfang wie der Höchste Persönliche Gott, und daher kann die Beifügung mayat unmöglich bedeuten, daß das Lebewesen sich selbst-genügend ist. Das Lebewesen besitzt niemals hinreichendes Wissen; wie hätte es sonst unter die Herrschaft māyās, der materiellen Energie, geraten können? Das Wort »genügend« kann daher nur im Verhältnis zur Größe des Lebewesens als treffende Bedeutung anerkannt werden. Die spirituelle Einheit des Höchsten Herrn und der Lebewesen darf auf keinen Fall als Gleichartigkeit angesehen werden. Jedes einzelne Lebewesen ist individuell. Wären alle Lebewesen eins, so hieße das, daß bei der Befreiung einer einzigen individuellen Seele auch alle anderen individuellen Seelen sofort Befreiung erlangten. Doch die Wirklichkeit sieht so aus, daß jede individuelle Seele auf ihre eigene Weise in der materiellen Welt genießt und leidet. Das Wort mayat wird auch im Sinne von Umwandlung gebraucht, und manchmal bedeutet es auch Nebenprodukt. Die Theorie der Unpersönlichkeitsanhänger besagt, das Brahman habe verschiedene Körper angenommen, und dies sei Sein līlā oder Spiel. Es gibt jedoch viele Hunderttausende von Lebensformen in unterschiedlichen Lebensbedingungen, wie Menschen, Halbgötter, Vögel und Säugetiere, und wenn sie alle Erweiterungen der Absoluten Wahrheit wären, könnte von Befreiung keine Rede sein, denn das Brahman ist bereits befreit. Nach einer anderen Vorstellung der Māyāvādīs werden in jedem Zeitalter die verschiedenen Arten von Körpern manifestiert, und am Ende des Zeitalters werden die vielen Körper, die im Grunde Erweiterungen des Brahman sind, von selbst eins, wobei sich alle Manifestationen auflösen. Im nächsten Zeitalter dann, so besagt ihre Theorie, erweitert sich dann das Brahman aufs neue in verschiedene Körperformen. Wäre diese Vorstellung zutreffend, so würde dies bedeuten, daß das Brahman einem Wandel unterworfen würde. Und das kann unmöglich der Fall sein. Aus dem Vedānta-sūtra erfahren wir nämlich, daß das Brahman von Natur aus voller Freude ist. Es kann Sich daher nicht in einen Körper umwandeln, der Leiden ausgesetzt ist. In Wahrheit sind die Lebewesen winzige Teilchen des Brahman, die leicht von der illusionierenden Energie bedeckt werden können. Wie bereits erklärt, sind die winzigen Teile des Brahman Funken, die fröhlich im Feuer tanzen, und denen es geschehen kann, daß sie aus dem Feuer fallen und, statt zu brennen, nur noch qualmen, obgleich Rauch im Grunde auch nur ein anderer Zustand des Feuers ist. Die materielle Welt ist wie Rauch, und die spirituelle Welt gleicht einem lodernden Feuer. Den unzähligen Lebewesen kann es geschehen, daß sie unter den Einfluß der illusionierenden Energie geraten und von der spirituellen Welt in die materielle Welt hinabfallen, und ebensogut ist es für das Lebewesen auch möglich, wieder erlöst zu werden, wenn es durch die Entwicklung wirklichen Wissens vollständig von der Unreinheit der materiellen Welt befreit wird. Die asuras sind der Meinung, die Lebewesen seien, nachdem die materielle Natur (prakṛti) vom puruṣa berührt wurde, aus dieser geboren worden. Doch auch diese Theorie kann nicht anerkannt werden, denn sowohl die materielle Natur als auch der Höchste Persönliche Gott sind ewig, weshalb weder die materielle Natur noch der Höchste Persönliche Gott geboren worden sein können. Der Höchste Herr ist daher als aja oder ungeboren bekannt, und ebenso wird auch die materielle Natur ajā genannt. Beide Wörter, aja sowie ajā, bedeuten »ungeboren«. Und weil sowohl die materielle Natur als auch der Höchste Herr ungeboren sind, ist es nicht möglich, daß sie die Lebewesen zeugen. Wie Wasser in Verbindung mit Luft unzählige Bläschen erzeugt, so bewirkt die Verbindung der materiellen Natur mit der Höchsten Person das Erscheinen der Lebewesen in der materiellen Welt. Und ebenso wie die Luftblasen im Wasser in unterschiedlichen Größen erscheinen, so erscheinen die Lebewesen unter dem Einfluß der Erscheinungsweisen der materiellen Natur in verschiedenen Formen und Lebenslagen. Es ist daher nicht falsch, den Schluß zu ziehen, daß alle Lebewesen, die in der materiellen Welt in verschiedenen Formen erscheinen, beispielsweise als Menschen, Halbgötter, Vögel und Säugetiere, ihre betreffenden Körper aufgrund ihrer Wünsche bekommen. Niemand kann eigentlich sagen, wann solche Wünsche in ihnen erwacht sind, und daher heißt es: anādi-karma. »Die Ursache des materiellen Daseins ist unauffindbar.« Niemand weiß, wann das materielle Leben begann, was jedoch nichts an der Tatsache ändert, daß es einen Anfang hat, denn ursprünglich ist jedes Lebewesen ein spiritueller Funken. Ebenso wie die Funken des Feuers zu einem bestimmten Zeitpunkt zu Boden gefallen sind, so sind auch die Lebewesen zu einem bestimmten Zeitpunkt in die materielle Welt gekommen. Wann dies war, vermag jedoch niemand zu sagen. Zur Zeit der Vernichtung gehen diese Lebewesen in den spirituellen Körper des Höchsten Herrn ein und verweilen dort in einem tiefschlafähnlichen Zustand, doch ihre ursprünglichen Wünsche, über die materielle Welt zu herrschen, vergehen nicht, und wenn erneut eine kosmische Manifestation stattfindet, kommen die Lebewesen wieder hervor, um diese Wünsche zu erfüllen, und erscheinen in verschiedenen Lebensformen. Das Eingehen der Lebewesen in den Höchsten zur Zeit der Vernichtung wird mit der Verbindung des Blütennektars verglichen, der zu Honig wird. In einer Honigwabe bleiben die Geschmäcker der verschiedenen Blüten und Früchte, aus deren Nektar der Honig gewonnen wurde, erhalten. Wenn man Honig kostet, kann man zwar nicht genau feststellen, welcher Honig von welcher Blütenart stammt, doch der köstliche Geschmack des Honigs beweist, daß der Honig keine einheitliche Masse ist, sondern eine Mischung aus verschiedenen Geschmacksrichtungen. Ein anderes Beispiel ist das der Flüsse, die, obwohl sie sich letztlich mit dem Meerwasser vermischen, ihre individuellen Identitäten niemals verlieren. Obwohl sich also das Wasser des Ganges und das der Yamunā mit dem Wasser des Meeres vermischt, bleiben sowohl der Ganges als auch die Yamunā weiterhin gesondert bestehen. Beim Eingehen der Lebewesen in das Brahman zur Zeit der Vernichtung werden auch die verschiedenen Körperarten vernichtet. Was jedoch die Lebewesen betrifft, so bleiben diese mit ihren jeweiligen Geschmäckern bis zur nächsten Manifestation der materiellen Welt als Individuen im Brahman. Ganz so wie sich der salzige Geschmack des Meerwassers und der süße Geschmack des Gangeswassers voneinander unterscheiden und dieser Unterschied stets bestehen bleibt, so bleibt auch der Unterschied zwischen dem Höchsten Herrn und den Lebewesen ewig bestehen, wenngleich es so scheint, als würden sie zur Zeit der Vernichtung eins. Hieraus ergibt sich, daß die Lebewesen, selbst wenn sie von allen Unreinheiten der materiellen Bedeckung frei werden und in das spirituelle Königreich eingehen, ihre individuellen Geschmäcker in Beziehung zum Höchsten Herrn bewahren. Die Veden in Person fuhren fort: »Lieber Herr, unsere Schlußfolgerung lautet, daß alle Lebewesen sich zu Deiner materiellen Energie hingezogen fühlen, und nur weil sie sich irrtümlich für Geschöpfe der materiellen Natur halten, wandern sie, ihre ewige Beziehung zu Dir vergessend, von Körper zu Körper. Aus Unwissenheit identifizieren sich diese Lebewesen fälschlich mit verschiedenartigen Lebensformen, und wenn sie zur menschlichen Form des Lebens gelangen, glauben sie sogar, einer bestimmten Menschenklasse, Nation, Rasse oder sogenannten Religion anzugehören, worüber sie ihre wirkliche Identität als Deine ewigen Diener ganz vergessen. Aufgrund dieser falschen Lebensauffassung sind sie wiederholten Geburten und Toden unterworfen. Wenn eines von vielen Millionen solcher Lebewesen zu wahrer Intelligenz kommt, erlangt es durch die Gemeinschaft mit reinen Gottgeweihten ein Verständnis vom Kṛṣṇa-Bewußtsein und entkommt dem Einfluß der materiellen Fehlauffassungen.« Im Caitanya-caritāmṛta erklärt Śrī Kṛṣṇa Caitanya, daß die Lebewesen im Universum durch viele verschiedene Lebensarten wandern; wenn jedoch eines durch die Gnade des spirituellen Meisters und Kṛṣṇas, des Höchsten Persönlichen Gottes, zu ausreichender Intelligenz gelangt, beginnt es sein hingebungsvolles Leben im Kṛṣṇa-Bewußtsein. Es steht geschrieben: hariṁ vinā na mṛtim taranti. »Ohne die Hilfe des Höchsten Persönlichen Gottes kann man der Gewalt der wiederholten Geburten und Tode nicht entkommen. Das heißt, mit anderen Worten, nur der Höchste Herr, der Persönliche Gott, kann die bedingten Seelen aus dem Kreislauf der sich wiederholenden Geburten und Tode erlösen. Die Veden in Person fuhren fort: »Der Einfluß der Zeit, in Form von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, und die materiellen Plagen, wie sengende Hitze, klirrende Kälte, Geburt, Tod, Alter und Krankheit, sind allesamt nichts weiter als die Bewegung Deiner Augenbrauen. Alles geschieht unter Deiner Führung.« In der Bhagavad-gītā wird gesagt, daß alle materiellen Abläufe unter der Führung Kṛṣṇas, des Höchsten Persönlichen Gottes, vonstatten gehen. Für Menschen, die sich Dir nicht hingegeben haben, stellen die Bedingungen des materiellen Daseins nur Widrigkeiten dar, aber bei denen, die hingegebene Seelen und im Kṛṣṇa-Bewußtsein völlig verankert sind, können diese Dinge keine Quelle der Furcht sein. Als, beispielsweise, Śrī Nṛsiṁhadeva erschien, fürchtete sich Prahlāda nicht im geringsten vor Ihm, wohingegen sein atheistischer Vater sogleich dem Tod in Person gegenüberstand und von ihm zerrissen wurde. Obwohl Nṛsiṁhadeva Atheisten wie Hiraṇyakaśipu als Tod erscheint, ist Er zu einem Gottgeweihten wie Prahlāda stets gütig und ist für ihn der Quell aller Freude. Ein reiner Gottgeweihter fürchtet sich daher nicht vor Geburt, Tod, Alter und Krankheit. Śrīpāda Śrīdhara Svāmī verfaßte einst einen vortrefflichen Vers, der lautet: »Mein lieber Herr, ich bin ein Lebewesen, das ständig unter den Bedingungen des materiellen Daseins leidet. Ich bin vom alles-niederwälzenden Rad des materiellen Daseins in Stücke gemahlen worden, und weil ich während meines Aufenthaltes in der materiellen Welt so viele Sünden auf mich geladen habe, brenne ich im lodernden Feuer materieller Reaktionen. Auf irgendeine Weise, mein lieber Herr, bin ich nun endlich dahingelangt, Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen zu suchen. Bitte nimm mich an, und gewähre mir Schutz.« Und Śrīla Narottama dāsa Ṭhākura betete: »Mein lieber Herr, o Sohn Nanda Mahārājas, Gefährte der Tochter Vṛṣabhānus, nun endlich, nachdem ich unter den materiellen Bedingungen des Lebens furchtbar gelitten habe, suche ich Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen, und ich flehe Dich an, mir gnädig zu sein. Bitte stoß mich nicht von Dir; ich habe keine andere Zuflucht als Dich.« Die Schlußfolgerung lautet, daß jeder Vorgang der Selbstverwirklichung oder Gotteserkenntnis außer bhakti-yoga oder hingebungsvollem Dienen äußerst schwierig ist. In völligem Kṛṣṇa-Bewußtsein beim hingebungsvollen Dienst für den Herrn Zuflucht zu suchen ist deshalb, ganz besonders im gegenwärtigen Zeitalter, der einzige Weg, von der Unreinheit des materiellen, bedingten Lebens frei zu werden. Diejenigen, die sich nicht im Kṛṣṇa-Bewußtsein betätigen, verschwenden nur ihre Zeit und haben nicht das geringste mit spirituellem Leben zu tun. Śrī Rāmacandra sagte einmal: »Jedem, der sich Mir hingibt und endgültig beschließt, Mein ewiger Diener zu sein, gebe ich Vertrauen und Sicherheit, denn das ist Meine natürliche Neigung.« Ähnliches erklärt Śrī Kṛṣṇa in der Bhagavad-gītā (7.14): »Der Einfluß der materiellen Natur ist unüberwindlich; doch wer sich Mir hingibt, kann diesen Einfluß der materiellen Natur sehr leicht hinter sich lassen.« Die Gottgeweihten sind nicht im geringsten daran interessiert, sich mit den Nichtgottgeweihten zu streiten, um deren Theorien zu widerlegen. Statt ihre Zeit zu verschwenden, widmen sie sich in völligem Kṛṣṇa-Bewußtsein dem transzendentalen liebevollen Dienst für den Herrn. Die Veden in Person fuhren fort: »Lieber Herr, einige große yoga-Mystiker mögen zwar vollständige Herrschaft über den Elefanten des Geistes und den Sturm der Sinne besitzen, doch wenn sie nicht bei einem echten spirituellen Meister Zuflucht suchen, fallen sie dem Einfluß der materiellen Natur zum Opfer und scheitern immer wieder in ihren Versuchen, selbstverwirklicht zu werden. Solche führerlosen Menschen werden mit Kaufleuten verglichen, die versuchen, auf einem Schiff ohne Kapitän über das Meer zu fahren. Durch eigene Anstrengungen kann also niemand der Gewalt der materiellen Natur entkommen. Man muß einen echten spirituellen Meister annehmen und nach seiner Weisung handeln. Erst dann kann man die Unwissenheit materieller Bedingtheiten hinter sich lassen. Śrīpāda Śrīdhara Svāmī dichtete einen in diesem Zusammenhang sehr schönen Vers, in welchem er sagt: »O allbarmherziger spiritueller Meister, Vertreter des Höchsten Persönlichen Gottes, wann wird mein Geist Deinen Lotosfüßen völlig hingegeben sein? Erst dann werde ich durch Deine Gnade von allen Hindernissen auf dem Pfad des spirituellen Lebens befreit werden können und immer voller Glückseligkeit sein.« Wahres, ekstatisches samādhi oder vielmehr Versenkung in die Vergegenwärtigung des Höchsten Persönlichen Gottes kann man nur dadurch erlangen, daß man sich ständig dem Dienst des Herrn widmet, und dies ist nur möglich, wenn man unter der Führung eines echten spirituellen Meisters handelt. Die Veden geben deshalb die Anweisung, daß man sich, um die Wissenschaft des hingebungsvollen Dienens zu erlernen, einem echten spirituellen Meister unterwerfen muß. Ein echter spiritueller Meister ist jemand, der die Wissenschaft vom hingebungsvollen Dienst in der Nachfolge der Schüler erfahren hat. Die Nachfolge der Schüler wird śrotriyam genannt. Das Hauptmerkmal desjenigen, der ein spiritueller Meister in der Nachfolge der Schüler geworden ist, besteht darin, daß er vollkommen im bhakti-yoga tätig ist. Manchmal unterlassen es Menschen, einen spirituellen Meister anzunehmen, und bemühen sich statt dessen durch yoga-Mystik um Selbstverwirklichung, doch sind sie, wie sich in vielen Fällen, selbst bei so großen yogīs wie Viśvāmitra gezeigt hat, zum Scheitern verurteilt. Arjuna sagte in der Bhagavad-gītā (6.34), daß die Beherrschung des Geistes schwieriger sei als einen Sturm aufzuhalten, und manchmal wird der Geist auch mit einem tollwütigen Elefanten verglichen. Ohne der Weisung eines spirituellen Meisters zu folgen, kann man den Geist und die Sinne nicht beherrschen. Wenn man sich also in yoga-Mystik übt, aber keinen echten spirituellen Meister annimmt, wird man mit Sicherheit scheitern. Auf diese Weise verschwendet man nur seine kostbare Zeit. Die Veden geben zu verstehen, daß niemand über vollkommenes Wissen verfügen kann, der nicht von einem ācārya geführt wird: ācāryavān puruṣo veda. »Wer einen ācārya angenommen hat, weiß, was richtig und was falsch ist.« Die Absolute Wahrheit kann nicht durch Argumentation verstanden werden. Wer die Stufe des vollendeten brāhmaṇa erreicht hat, beginnt, sich in Entsagung zu üben, d. h,, er strebt nicht nach materiellem Gewinn, denn er ist durch spirituelle Erkenntnis zu dem Schluß gekommen, daß es in der Welt an nichts mangelt. Für alles ist vom Höchsten Persönlichen Gott in ausreichendem Maße gesorgt. Ein wirklicher brāhmaṇa bemüht sich deshalb nicht um materielle Vollkommenheit; vielmehr wendet er sich an einen echten spirituellen Meister, um von ihm Anweisungen entgegenzunehmen. Das Merkmal, durch das sich ein spiritueller Meister auszeichnet, wird als brahmaniṣṭham bezeichnet. Es bedeutet, daß er alle anderen Tätigkeiten aufgeben und sein Leben ausschließlich dem Dienst Śrī Kṛṣṇas, des Höchsten Persönlichen Gottes, geweiht hat. Wenn ein echter Schüler sich an einen echten spirituellen Meister wendet, betet er ergeben zu dem spirituellen Meister: »Lieber Herr, bitte nimm mich als deinen Schüler an und erziehe mich so, daß ich alle anderen Vorgänge der Selbstverwirklichung aufgeben und mich einfach nur dem hingebungsvollen Dienst im Kṛṣṇa-Bewußtsein widmen kann.« Der Gottgeweihte, der dem Herrn unter der Führung des spirituellen Meisters transzendentale liebevolle Dienste darbringt, denkt im Innern: »Mein lieber Herr, Du bist der Speicher der Freude. Was ist nun, da Du gegenwärtig bist, die vergängliche Freude wert, die man aus Gesellschaft, Freundschaft und Liebe gewinnt? Menschen, die nicht wissen, daß Du der höchste Speicher der Freude bist, bemühen sich törichterweise, Freude aus der Befriedigung der Sinne zu gewinnen, doch diese Art der Freude ist vergänglich und illusorisch.« In diesem Sinne erklärte Vidyāpati, ein großer Vaiṣṇava-Gottgeweihter und Poet: »Mein lieber Herr, zweifellos ist in Gesellschaft, Freundschaft und Liebe so etwas wie Freude zu finden, auch wenn sie nur materiell ist, doch kann solche Freude meinem Herzen, das wie eine Wüste ist, keine Zufriedenheit schenken.« In der Wüste ist ein ganzes Meer von Wasser vonnöten. Wenn man aber nur einen Tropfen Wasser auf den Wüstensand gießt, was ist dann dieses Wasser wert? In ähnlicher Weise lassen sich die zahllosen Wünsche in unseren materiell-verunreinigten Herzen niemals in einer materiellen Gesellschaft der Freundschaft und Liebe zufriedenstellen. Wenn unsere Herzen jedoch Freude aus dem höchsten Speicher der Freude empfangen, können wir wirkliche Befriedigung finden. Diese transzendentale Befriedigung kann man nur im hingebungsvollen Dienst, im völligen Kṛṣṇa-Bewußtsein erfahren. Die Veden in Person fuhren fort: »Lieber Herr, Du bist sac-cid-ānanda-vigraha, die ewig-glückselige Gestalt des Wissens, und weil die Lebewesen Teile Deiner Persönlichkeit sind, sind sie sich in ihrem natürlichen Daseinszustand Deiner völlig bewußt. Jeder in der materiellen Welt, der solches Kṛṣṇa-Bewußtsein erweckt, hat kein Interesse mehr an der materialistischen Lebensweise. Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch verliert jegliches Interesse an Familienleben oder üppigen Lebensverhältnissen; er benötigt nur ein wenig, um den Ansprüchen seines Körpers zu genügen. Ihm ist, mit anderen Worten, überhaupt nicht mehr an Sinnenbefriedigung gelegen. Die Vollkommenheit des menschlichen Lebens gründet sich auf Wissen und Entsagung, doch ist es sehr schwer, die Stufe der Entsagung und des Wissens zu erreichen, solange man noch dem Familienleben verhaftet ist. Kṛṣṇa-bewußte Menschen suchen deshalb Zuflucht in der Gemeinschaft Gottgeweihter oder an heiligen Pilgerstätten. Sie sind sich der Beziehung zwischen der Überseele und den individuellen Lebewesen bewußt und werden niemals von der körperlichen Auffassung des Lebens beeinflußt. Da sie Dich stets ganz bewußt in ihren Herzen tragen, sind sie so rein, daß jeder Ort, an den sie sich begeben, in eine Pilgerstätte verwandelt wird, und das Wasser, mit dem ihre Füße gewaschen werden, viele sündige Menschen, die in der materiellen Welt umherirren, erlösen kann.« Als Prahlāda Mahārāja eines Tages von seinem atheistischen Vater gefragt wurde, was er denn heute Schönes gelernt habe, erwiderte er, daß es für ständig mit Sorgen behaftete Materialisten, die sich mit zeitweiligen und relativen Wahrheiten befassen, das allerbeste sei, den dunklen Brunnen des Familienlebens zu verlassen und in den Wald zu ziehen, um dort Zuflucht beim Höchsten Herrn zu suchen. Die wirklich reinen Gottgeweihten werden als mahātmās gerühmt, als große Weise oder Persönlichkeiten, die vollkommenes Wissen besitzen. Sie denken ständig an den Höchsten Herrn und Seine Lotosfüße und werden somit ohne weiteres befreit. Die Gottgeweihten, die sich ständig auf dieser Ebene befinden, werden mit den unfaßbaren Kräften des Herrn aufgeladen, und so werden sie selbst zur Ursache der Befreiung für ihre Nachfolger und Geweihten. Eine Kṛṣṇa-bewußte Person ist voll spiritueller Energie, und daher wird jeder, der mit einem solchen Gottgeweihten in Berührung kommt oder bei ihm Zuflucht sucht, ebenfalls von spirituellen Kräften erfüllt. Ein solcher Gottgeweihter ist niemals stolz auf materielle Füllen. Unter materiellen Füllen versteht man im allgemeinen eine gute Herkunft, Bildung, Schönheit und Reichtum. Ein Gottgeweihter aber wird, selbst wenn er all diese vier materiellen Füllen besitzt, niemals von Stolz auf solche Vorzüge überwältigt. Große Geweihte des Herrn reisen durch die ganze Welt, von einer Pilgerstätte zur anderen, wobei sie vielen bedingten Seelen begegnen, die sie durch ihre Gesellschaft und ihr transzendentales Wissen befreien. Sie leben an Orten wie Vṛndāvana, Mathurā, Dvārakā, Jagannātha Purī und Navadvīpa, weil dort ausschließlich Gottgeweihte zusammenkommen. Auf diese Weise nutzen sie die Gesellschaft Heiliger, durch die sie immer mehr Fortschritte im Kṛṣṇa-Bewußtsein machen. Solcher Fortschritt ist im gewöhnlichen Haushälterleben, in dem Kṛṣṇa-Bewußtsein fehlt, nicht möglich. Die Veden in Person fuhren fort: »Lieber Herr, es gibt zwei Arten von Transzendentalisten, die Unpersönlichkeitsverehrer und die Verehrer des Persönlichen. Die Unpersönlichkeitsverehrer sind der Ansicht, die materielle Welt sei Trug, und nur die Absolute Wahrheit sei Wirklichkeit. Nach der Auffassung der Verehrer des Persönlichen jedoch ist die materielle Welt, obwohl sie nur zeitweilig besteht, keine Täuschung, sondern Wirklichkeit. Die Transzendentalisten beider Arten führen vielerlei Argumente an, die für die Richtigkeit ihrer Philosophien sprechen. Im Grunde ist die materielle Welt zugleich wirklich und unwirklich. Sie ist Wirklichkeit, weil alles eine Erweiterung der Höchsten Absoluten Wahrheit ist, und sie ist unwirklich, weil ihr Dasein zeitweilig ist, denn sie wird erschaffen und vernichtet. Weil die kosmische Manifestation sich ständig wandelt, befindet sie sich nie in einem bleibenden Zustand. Diejenigen, nach deren Ansicht die materielle Welt als unwirklich zu verstehen ist, vertreten gewöhnlich den Grundsatz: brahma satya jagat mithyā [* »Das Brahman ist Wahrheit, die materielle Welt ist Trug« *]. Sie verweisen darauf, daß alles in der materiellen Welt aus Materie bestehe. Zum Beispiel gebe es viele Dinge aus Ton wie irdene Töpfe, Teller und Kugeln. Nach ihrer Vernichtung würden sie zwar vielleicht in andere materielle Dinge umgewandelt, doch blieben sie unter allen Umständen weiterhin der Beschaffenheit nach Ton. Ein irdener Wassertopf z. B. werde, nachdem er zerbrochen sei, vielleicht zu einer Schüssel oder einem Teller, doch die Erde bleibe, ganz gleich, ob sie zu einem Teller, einer Schüssel oder einem Wasserkrug geformt werde, immer die gleiche. Deshalb seien die Formen des Wassertopfes, der Schüssel oder des Tellers Trug, ihre Beschaffenheit als Erde hingegen Wirklichkeit. Das jedenfalls ist die Ansicht der Unpersönlichkeits-Philosophen. Ebenso, so sagen sie, sei die kosmische Manifestation zwar von der Absoluten Wahrheit geschaffen worden, doch weil ihr Dasein zeitweilig ist, sei sie falsch. In den Augen der Unpersönlichkeitsphilosophen ist nämlich die Absolute Wahrheit, da sie ewig besteht, die einzige Wahrheit. Andere Transzendentalisten jedoch sind der Auffassung, die materielle Welt sei, da sie von der Absoluten Wahrheit erzeugt wurde, ebenfalls wahr. Das Gegenargument der Unpersönlichkeitsanhänger lautet, daß die materielle Welt nicht Wirklichkeit sein könne, da man manchmal beobachte, daß Materie von der spirituellen Seele und ein anderes Mal die spirituelle Seele aus der Materie erzeugt werde. Sie verweisen dabei darauf, daß bisweilen Skorpione aus Kuhdung hervorkröchen, obwohl Kuhdung tote Materie sei, und daß andererseits tote Materie, wie Nägel und Haare, aus dem lebenden Körper wachse. Deshalb, so sagen sie, seien die Dinge, die von einem Objekt geschaffen worden seien, nicht immer ihrem Ursprung gleich. Auf dieses Argument stützen die Māyāvādī-Philosophen ihre These, die kosmische Manifestation sei, obwohl sie aus der Absoluten Wahrheit hervorgehe, nicht unbedingte Wirklichkeit. Ihrer Ansicht nach soll die Absolute Wahrheit, das Brahman, als Wahrheit verstanden werden, die kosmische Manifestation dagegen nicht, obwohl sie ein Produkt der Absoluten Wahrheit ist. Diese Auffassung der Māyāvādī-Philosophen wird in der Bhagavad-gītā (16.8) als die Betrachtungsweise der asuras, der Dämonen, beschrieben. Der Herr erklärt dort: asatyam apratiṣṭhaṁ te jagad āhur anīśvaram. »In den Augen der asuras ist die gesamte Schöpfung Trug. Die asuras glauben, die Wechselwirkungen der Materie seien die Schöpfungsursache, und es gebe keinen Kontrollierenden oder Gott. Doch in Wirklichkeit verhält es sich nicht so. Aus dem Siebten Kapitel der Bhagavad-gītā erfahren wir, daß die fünf groben Elemente – Erde, Wasser, Luft, Feuer und Himmel – und die feinen Elemente – Geist, Intelligenz und falsches Ich – die acht abgesonderten Energien des Höchsten Herrn sind. Außer dieser niederen, materiellen Energie gibt es noch eine spirituelle Energie, die Lebewesen. Die Lebewesen gehören zur höheren Energie des Herrn. Die gesamte kosmische Manifestation ist eine Verbindung der niederen mit der höheren Energie; der Ursprung beider ist der Höchste Persönliche Gott. Der Höchste Persönliche Gott besitzt viele verschiedene Arten von Energien, wie es in den Veden mit den Worten parāsya śaktir vividhaiva śrūyate bestätigt wird. Die transzendentalen Energien des Herrn sind von mannigfaltiger Art, und weil diese Mannigfaltigkeit vom Höchsten Herrn ausgeht, kann sie nicht Trug sein. Der Herr existiert ewig, und auch Seine Energien existieren ewig. Ein Teil dieser Energie ist zwar zeitweilig, d. h. manchmal manifestiert und manchmal unmanifestiert, doch das bedeutet keinesfalls, daß dieser Teil falsch ist. Am Beispiel eines Menschen, der, wenn er in Wut gerät, Dinge tut, die er gewöhnlich nicht täte, läßt sich dies veranschaulichen. Daß sein Zorn nur vorübergehend erscheint und dann wieder verschwindet, bedeutet nicht, daß der Zorn als Energie Täuschung ist. Die Behauptung der Māyāvādī-Philosophen, die materielle Welt sei Trug, kann daher von den Vaiṣṇava-Philosophen nicht befürwortet werden. Der Herr Selbst erklärt, daß die Auffassung, es gebe keine höchste Ursache der kosmischen Manifestation, es existiere kein Gott und alles Bestehende sei nur eine Schöpfung von Wechselwirkungen der Materie, der Betrachtungsweise der asuras entspricht. Die Māyāvādī-Philosophen führen manchmal das Beispiel von der Schlange und dem Seil als Argument an: abends, wenn es dunkel sei, halte man manchmal ein aufgerolltes Seil für eine Schlange. Doch daß man das Seil für eine Schlange hält, bedeutet nicht, daß das Seil oder die Schlange unwirklich sind, und deshalb ist dieses Beispiel der Māyāvādīs, an dem sie die Unwirklichkeit der materiellen Welt deutlich machen wollen, nicht zutreffend. Nur dann, wenn man glaubt, etwas, das es überhaupt nicht gibt, sei Wirklichkeit, ist die betreffende Sache als unwirklich zu bezeichnen. Doch wenn etwas mit etwas anderem nur verwechselt wird, bedeutet dies noch lange nicht, daß es unwirklich ist. Die Vaiṣṇavas gebrauchen in diesem Zusammenhang ein sehr treffendes Beispiel, indem sie die materielle Welt mit einem irdenen Topf vergleichen. Wenn wir einen irdenen Topf ansehen, verschwindet er nicht sogleich vor unseren Augen oder wandelt sich in etwas anderes. Er mag zwar zeitweilig sein, aber man kann ihn zum Wassertragen benutzen, und wir sehen ihn weiterhin als irdenen Topf. Wir können daher, obwohl der irdene Topf zeitweilig und von der ursprünglichen Erde verschieden ist, nicht sagen, er sei unwirklich. Wir sollten vielmehr zu dem Schluß kommen, daß sowohl die gesamte Erde als auch der irdene Krug Wirklichkeit sind, denn das eine geht aus dem anderen hervor. Aus der Bhagavad-gītā erfahren wir, daß die Energie des Herrn nach der Auflösung der kosmischen Manifestation in den Höchsten Persönlichen Gott eingeht. Der Höchste Persönliche Gott existiert ewig mit Seinen mannigfachen Energien, und weil die kosmische Manifestation von Ihm ausgeht, können wir nicht sagen, sie sei aus einem »Nichts« entstanden. Kṛṣṇa ist kein »Nichts«. Immer, wenn wir von Kṛṣṇa sprechen, ist Er mit Seiner Gestalt, Seinen Eigenschaften, Seinem Namen, Seiner Umgebung und allem sonst noch zu Ihm Gehörenden gegenwärtig. Daher ist Kṛṣṇa nicht unpersönlich. Die ursprüngliche Ursache alles Bestehenden ist weder ein Nichts noch unpersönlich, sondern die Höchste Person. Dämonen mögen behaupten, die materielle Schöpfung sei anīśvara, d. h. ohne einen Kontrollierenden, ohne Gott, doch letzten Endes sind solche Behauptungen unhaltbar. Das Beispiel der Māyāvādī-Philosophen, daß unbelebte Materie, wie Nägel und Haare, aus dem lebenden Körper komme, ist kein sehr stichhaltiges Argument. Nägel und Haare sind zwar unzweifelhaft leblos, doch wachsen sie nicht aus dem lebendigen Wesen, sondern aus seinem leblosen materiellen Körper. Ebensowenig ist das Beispiel, daß der Skorpion aus dem Kuhdung komme, ein Beweis dafür, daß das Lebewesen aus Materie entsteht. Der Skorpion, der aus dem Kuhdung kommt, ist zwar ein Lebewesen, doch das Lebewesen entsteht nicht aus dem Kuhdung. Nur der materielle Körper des Lebewesens oder vielmehr des Skorpions geht aus dem Kuhdung hervor. Wie wir aus der Bhagavad-gītā (14.3-4) erfahren, werden die spirituellen Funken, die Lebewesen, in die materielle Welt versetzt und erscheinen dann in ihr. Die verschiedenen Körper der Lebewesen werden von der materiellen Natur gegeben, doch das Lebewesen selbst wird vom Höchsten Herrn gezeugt. Der Vater und die Mutter geben dem Lebewesen einen Körper, den es unter bestimmten Lebensumständen benötigt. Das Lebewesen wandert seinen verschiedenen Wünschen folgend von Körper zu Körper. Die Wünsche in Form der feinen Elemente Intelligenz, Geist und falsches Ich begleiten das Lebewesen von einem Körper zum anderen, und so wird es durch höhere Fügung immer wieder in die Gebärmutter eines bestimmten Körpers gesetzt, wo es einen ähnlichen Körper entwickelt. Die spirituelle Seele wird also nicht von Materie erzeugt, sondern nimmt vielmehr unter der Aufsicht höherer Autoritäten einen bestimmten materiellen Körper an. Bis jetzt haben wir erkannt, daß die materielle Welt eine Verbindung von Materie und Spirituellem ist, und weiterhin, daß das Spirituelle die Materie bewegt. Die spirituelle Seele, das Lebewesen, und die Materie sind verschiedene Energien des Höchsten Herrn. Weil beide Energien Produkte des höchsten Ewigen, der höchsten Wahrheit sind, sind sie wirklich – sie sind nicht Trug. Und da das Lebewesen ein Teil des Höchsten ist, existiert es ewig. Von Geburt und Tod kann daher keine Rede sein. Was man Geburt und Tod nennt, bezieht sich auf den materiellen Körper. Der vedische Ausspruch sarvaṁ khalv idaṁ brahma besagt: Weil sowohl die materielle als auch die spirituelle Energie aus dem Höchsten Brahman hervorgegangen sind, ist alles in unserer Erfahrung nicht verschieden vom Brahman. Es gibt viele Erklärungen für das Vorhandensein der materiellen Welt, doch die philosophische Schlußfolgerung der Vaiṣṇavas ist die beste. Ihr Beispiel vom irdenen Krug ist sehr treffend. Die Form des irdenen Topfes mag zeitweilig sein, doch dient sie einem bestimmten Zweck. Der Zweck des irdenen Kruges besteht darin, Wasser von einem Ort zu einem anderen zu befördern. In ähnlicher Weise ist auch unser materieller Körper, obwohl er zeitweilig ist, von einem besonderen Nutzen. Dem Lebewesen ist von Anbeginn der Schöpfung die Möglichkeit gegeben, entsprechend der Wünsche, die ihm von seinen seit unvordenklichen Zeiten angesammelten Wünschen geblieben sind, verschiedene Arten materieller Körper zu entwickeln. Der menschliche Körper bietet die besondere Möglichkeit, von einem hochentwickelten Bewußtsein Gebrauch zu machen. Manchmal stellen die Māyāvādī-Philosophen die herausfordernde Frage: »Wenn die materielle Welt Wahrheit ist, warum wird dann den Haushältern geraten, ihre Verbindung mit der materiellen Welt aufzugeben und sannyāsa anzunehmen? Doch nach dem Verständnis der Vaiṣṇava-Philosophen muß man nicht deshalb materielle Tätigkeiten aufgeben, weil die Welt Trug ist. Vielmehr ist es der Sinn des Vaiṣṇava-sannyāsa, daß man die Dinge ihrer eigentlichen Bestimmung gemäß benutzt. Wenn ein Vaiṣṇava die materialistische Lebensweise aufgibt und sannyāsa annimmt, tut er dies nicht, weil er die materielle Welt für Trug hält, sondern um sich ganz der Aufgabe widmen zu können, alles in den Dienst des Herrn zu stellen. Śrīla Rūpa Gosvāmī gab uns daher folgende zwei Grundregeln für unser Verhalten gegenüber der materiellen Welt: »Man sollte nicht an der materiellen Welt haften, denn materielle Anhaftung ist unsinnig. Die ganze materielle Welt, die gesamte kosmische Manifestation ist das Eigentum Gottes, Kṛṣṇas. Deshalb sollte alles für Kṛṣṇa gebraucht werden, und der Gottgeweihte sollte nicht an materiellen Dingen haften.« Das ist der Sinn des Vaiṣṇava-sannyāsa. Ein Materialist hängt an der Welt, weil er nach Sinnenbefriedigung begehrt, doch ein Vaiṣṇava-sannyāsī, der die Kunst kennt, alles im Dienst des Herrn zu benutzen, nimmt nichts zur eigenen Sinnenbefriedigung. Śrīla Rūpa Gosvāmī tadelte deshalb die Māyāvādī-sannyāsīs, da sie nicht wissen, daß alles im Dienst des Herrn verwendet werden kann. Statt dessen halten sie die Welt für Trug und bilden sich ein, sie seien von der Unreinheit der materiellen Welt befreit. Doch weil alles eine Erweiterung der Energie des Herrn ist, sind die Erweiterungen ebenso Wirklichkeit wie der Höchste Herr Selbst. Daß die kosmische Welt nur zeitweilig manifestiert ist, bedeutet keineswegs, daß sie Trug ist, oder daß der Ursprung ihrer Manifestation Trug ist. Da der Ursprung ihrer Manifestation Wirklichkeit ist, ist auch die Manifestation Wirklichkeit. Man muß nur wissen, wie sie zu nutzen ist. Hier läßt sich noch einmal das Beispiel des Krugs anführen: Der zeitweilige irdene Krug wird zwar aus Erde hergestellt, doch wenn er richtig verwendet wird, ist er keineswegs Täuschung. Die Vaiṣṇava-Philosophen wissen die zeitweilige Konstruktion der materiellen Welt zu nutzen, ebenso wie ein vernünftiger Mensch die zeitweilige Form eines irdenen Kruges zu nutzen weiß. Wenn der irdene Krug jedoch falsch gebraucht wird, ist er Trug. In ähnlicher Weise sind die menschliche Form des Lebens oder die materielle Welt Trug, wenn sie zu falscher Sinnenbefriedigung mißbraucht werden. Wenn aber der menschliche Körper und die materielle Schöpfung in den Dienst des Höchsten Herrn gestellt werden, sind ihre Tätigkeiten keinesfalls falsch. In der Bhagavad-gītā (2.40) wird bestätigt, daß schon ein kleiner Dienst, bei dem der Körper und die materielle Welt für den Herrn benutzt werden, wenn er mit etwas Hingabe versehen wird, den Menschen vor der größten Gefahr des Lebens bewahren kann. Wenn die höheren und niederen Energien, die beide vom Höchsten Herrn ausgehen, richtig verwendet werden, ist keine von ihnen falsch. Was jedoch fruchtbringende Tätigkeiten betrifft, so liegen sie hauptsächlich auf der Ebene der Sinnenbefriedigung. Deshalb gibt sich ein im Kṛṣṇa-Bewußtsein Fortgeschrittener nicht mit ihnen ab. Das Ergebnis fruchtbringender Tätigkeiten kann einen Menschen zwar zu höheren Planeten befördern, doch müssen, wie in der Bhagavad-gītā (9.21) erklärt wird, törichte Personen, nachdem sie die Ergebnisse ihrer frommen Werke im himmlischen Königreich aufgebraucht haben, wieder auf einen der niederen Planeten zurückkommen, wo sie dann aufs neue versuchen, zu himmlischen Planeten zu gelangen. Das einzige, was sie dabei ernten, sind die Schwierigkeiten des Hin- und Zurückwanderns. Sie gleichen hierin den vielen materiellen Wissenschaftlern unserer Tage, die ihre Zeit mit dem Versuch verschwenden, zum Mond zu reisen und die dann wieder zurückkehren. Diejenigen, die solchen Tätigkeiten nachgehen, werden von den Veden in Person als andha-paramparā oder blinde Anhänger der rituellen vedischen Zeremonien beschrieben. Diese Zeremonien werden zwar in den Veden erwähnt, doch sind sie nicht für intelligente Menschen bestimmt. Nur diejenigen, die zu sehr an materiellem Genuß hängen, werden von der Aussicht verlockt, zu den höheren Planetensystemen befördert zu werden, und widmen sich solchen Riten. Ein intelligenter Mensch aber, d. h. jemand, der Zuflucht bei einem spirituellen Meister gesucht hat, um die Dinge zu erkennen, wie sie wirklich sind, befaßt sich nicht mit fruchtbringenden Tätigkeiten, sondern weiht sich dem transzendentalen liebevollen Dienst für den Herrn. Die Nichtgottgeweihten wenden sich aus materialistischen Motiven den vedischen Ritualzeremonien zu, wodurch sie jedoch nur in Verwirrung geraten. Um den Unterschied zwischen den Vaiṣṇava- und Māyāvādī-Philosophen deutlich zu machen, gibt es ein anschauliches Beispiel: Ein intelligenter Mensch, der eine Million Mark in gültigen Scheinen besitzt, läßt sein Geld nicht ungenutzt, obwohl er sehr gut weiß, daß die Geldscheine an sich nichts weiter als Papier sind. Wenn man eine Million Mark in Scheinen besitzt, hat man im Grunde nur ein großes Bündel Papier, doch wenn man mit dem Geld etwas kauft, ist das von großem Nutzen. In ähnlicher Weise verhält es sich mit der materiellen Welt. Obwohl sie unwirklich sein mag, ebenso wie das Geld nur aus Papier besteht, hat sie doch ihre richtige und nutzbringende Verwendung. Weil die Geldscheine vom Staat ausgegeben werden, haben sie, obwohl sie nur aus Papier bestehen, großen Wert. Ebenso mag die materielle Welt Täuschung oder zeitweilig sein; doch weil sie eine Erweiterung des Höchsten Herrn ist, hat auch sie ihren Wert. Der Vaiṣṇava-Philosoph erkennt den Wert der materiellen Welt und weiß sie richtig zu nutzen, wohingegen der Māyāvādī-Philosoph, der die Banknoten für falsch hält, weil sie aus Papier bestehen, das Geld fortwirft und es damit ungenutzt läßt. Śrīla Rūpa Gosvāmī erklärt daher, daß es wenig Wert habe, die materielle Welt als falsch abzulehnen, nur weil man ihre Bedeutung als Mittel, dem Höchsten Persönlichen Gott zu dienen, nicht erkennt; solche Entsagung sei wertlos. Wer sich dagegen des wahren Wertes der materiellen Welt, nämlich für den Dienst des Herrn, bewußt ist, nicht an der materiellen Welt hängt und ihr entsagt, indem er sie nicht zur Befriedigung seiner eigenen Sinne benutzt, übt wirkliche Entsagung. Die materielle Welt ist eine Erweiterung der materiellen Energie des Herrn, und deshalb ist sie Wirklichkeit. Sie ist nicht Trug, wie manchmal aus dem Beispiel von der Schlange und dem Seil geschlossen wird. Die Veden in Person fuhren fort: »Die kosmische Manifestation erscheint weniger intelligenten Menschen aufgrund der flackernden Natur ihres vorübergehenden Daseins als unwirklich.« Die Māyāvādīs nehmen die flackernde Natur der kosmischen Manifestation als Beweis für ihre These, die ganze Welt sei Trug. Nach den Veden war die Welt vor der Schöpfung nicht existent und wird auch nach ihrer Auflösung nicht länger manifestiert sein. Die Philosophen der Lehre vom Nichts legen diese vedische Wahrheit in ihrem Sinne aus und schließen, daß der Ursprung der materiellen Welt das »Nichts« sei. Die vedischen Schriften sagen jedoch niemals, daß der Ursprung das Nichts ist. Die Veden definieren den Ursprung der Schöpfung und Auflösung als yato vā imāni bhūtāni jāyante, d. h. »Er, aus dem die kosmische Manifestation hervorgegangen ist, und in den nach der Vernichtung alles eingehen wird«. Das gleiche wird im Vedānta-sūtra und im Vers 1 des Śrīmad-Bhāgavatam mit dem Wort janmādyasya erklärt, das bedeutet: »Er, von dem alle Dinge ausgehen.« Alle diese vedischen Anweisungen deuten darauf hin, daß die kosmische Manifestation ihre Ursache im Höchsten Absoluten Persönlichen Gott hat, und daß sie, wenn sie aufgelöst wird, wieder in Ihn eingeht. Das gleiche wird in der Bhagavad-gītā (9.7-8) bestätigt: » Die kosmische Manifestation wird erschaffen und wieder aufgelöst und tritt nach der Auflösung ins Dasein des Höchsten Herrn ein.« Diese Aussage spricht eindeutig dafür, daß die bahiraṅgā-māyā oder die äußere Energie, obwohl von flackernder Natur, eine Energie des Höchsten Herrn ist und als solche nicht unwirklich sein kann. Sie scheint nur unwirklich zu sein. Die Māyāvādī-Philosophen glauben vor allem deshalb, die materielle Natur sei Trug, weil sie zu Anfang und nach ihrer Auflösung nicht existiert. Doch am Beispiel der irdenen Krüge und Teller wird das vedische Verständnis dargelegt. Obwohl das Dasein der einzelnen Produkte der Absoluten Wahrheit zeitweilig ist, ist die Energie des Höchsten Herrn immerwährend. Der irdene Krug oder Wassertopf mag zerbrochen oder zu etwas anderem umgeformt werden, wie z. B. zu einem Teller oder einer Schüssel, doch der Grundstoff, Erde, bleibt der gleiche. Ebenso ist das Grundprinzip der kosmischen Manifestation immer das gleiche, nämlich das Brahman oder die Absolute Wahrheit; die Māyāvādī-Theorie, die besagt, die Welt sei unwirklich, ist daher zweifellos lediglich ein Hirngespinst. Daß die kosmische Manifestation flackernd und zeitweilig ist, bedeutet nicht, daß sie unwirklich ist. Die Definition für »unwirklich« lautet, »das, was es niemals gab, sondern nur dem Namen nach existiert.« Pferdeeier, Luftblumen oder Kaninchenhörner bespielsweise sind Dinge, die nur dem Namen nach existieren. In Wirklichkeit gibt es keine Pferdeeier oder Kaninchenhörner, noch Blumen, die in der Luft wachsen. Man könnte viele Dinge nennen, die nur dem Namen nach oder in der Phantasie existieren, doch im Grunde gar nicht vorhanden sind. Solche Dinge sind zu Recht als unwirklich zu bezeichnen. Die materielle Welt jedoch kann von den Vaiṣṇavas nicht als unwirklich angesehen werden, nur weil sich ihre zeitweilige Natur manifestiert und wieder auflöst. Die Veden in Person sagten als nächstes, daß Paramātmā und jīvātmā, die Überseele und die individuelle Seele, einander niemals gleich sein könnten, obwohl sie gemeinsam im selben Körper weilen wie zwei Vögel, die auf dem gleichen Baum sitzen. In den Veden wird erklärt, daß die beiden Vögel, obwohl sie als Freunde im gleichen Körper sitzen, einander nicht ebenbürtig sind. Der eine ist nur Zeuge. Dieser Vogel ist der Paramātmā oder die Überseele. Und der andere ißt die Früchte des Baumes. Das ist der jīvātmā. Wenn die kosmische Manifestation stattfindet, erscheinen die jīvātmās, die individuellen Seelen, je nach ihren früheren fruchtbringenden Tätigkeiten, in verschiedenen Lebensformen, und weil sie schon seit langer Zeit ihr wirkliches Dasein vergessen haben, identifizieren sie sich mit dem jeweiligen Körper, der ihnen durch die Gesetze der materiellen Natur gegeben wird. Wenn der jīvātmā einen materiellen Körper angenommen hat, wird er den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur unterworfen, handelt unter ihrem Einfluß und setzt somit seinen Aufenthalt in der materiellen Welt fort. Während er so in Unwissenheit eingehüllt ist, sind seine natürlichen Füllen, die er in winzigem Ausmaß besitzt, fast gänzlich geschwunden. Die Füllen der Überseele oder des Höchsten Persönlichen Gottes indes verringern sich, auch wenn Er in der materiellen Welt erscheint, niemals. Er behält stets alle Füllen und Vollkommenheiten und hält Sich immer von allen Widerwärtigkeiten der materiellen Welt fern. Die bedingte Seele verstrickt sich in die materielle Welt, wohingegen die Überseele oder der Höchste Persönliche Gott sie ohne Anhaftung verläßt, ähnlich wie eine Schlange ihre Haut abwirft. Der Unterschied zwischen der Überseele und der bedingten individuellen Seele liegt darin, daß die Überseele oder der Höchste Persönliche Gott immer Seine natürlichen Füllen behält, die man als ṣaḍ-aiśvarya, aṣṭa-siddhi und aṣṭa-guṇa kennt. Weil die Māyāvādī-Philosophen nur ein dürftiges Maß an Wissen besitzen, übersehen sie die Tatsache, daß Kṛṣṇa von sechs Füllen, acht transzendentalen Eigenschaften und acht Vollkommenheiten erfüllt ist. Die sechs Füllen Kṛṣṇas sind Sein unübertrefflicher Reichtum, Seine unübertreffliche Kraft, Seine unübertreffliche Schönheit, Sein unübertrefflicher Ruhm, Sein unübertreffliches Wissen und Seine unübertreffliche Entsagung. Die erste der sechs transzendentalen Eigenschaften Kṛṣṇas ist, daß Er stets von der Unreinheit des materiellen Daseins unberührt bleibt. Diese Eigenschaft wird auch in der Īśopaniṣad erwähnt, und zwar als apāpa viddham: Ebenso wie die Sonne niemals durch Verunreinigung befleckt wird, so wird der Höchste Herr niemals durch irgendwelche sündhaften Handlungen verunreinigt. Obwohl Kṛṣṇas Handlungen zuweilen unfromm erscheinen mögen, wird Er niemals durch sie befleckt. Die zweite transzendentale Eigenschaft Kṛṣṇas ist, daß Er niemals stirbt. In der Bhagavad-gītā (4.5) klärt der Herr Arjuna darüber auf, daß Er und Arjuna schon viele Male in der materiellen Welt erschienen sind, daß aber nur Er Sich an ihre Erlebnisse in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erinnern kann. Dies bedeutet, daß Kṛṣṇa niemals stirbt, denn Vergessen hat seine Ursache im Tod. Wenn wir sterben, wechseln wir unsere Körper und vergessen somit. Kṛṣṇa jedoch vergißt nie. Er kann Sich an alles erinnern, was jemals geschah. Wie sonst hätte Er Sich entsinnen können, daß Er das yoga-System der Bhagavad-gītā zuerst dem Sonnengott Vivasvān lehrte? Er stirbt also nie. Auch wird Er niemals alt. Obwohl Kṛṣṇa bereits Großvater war, als Er auf dem Schlachtfeld von Kurukṣetra zu sehen war, erschien Er nicht als alter Mann. Kṛṣṇa kann niemals von Sünden befleckt werden, Kṛṣṇa stirbt nie, Kṛṣṇa wird niemals alt, Kṛṣṇa braucht niemals zu klagen, Kṛṣṇa ist niemals hungrig, noch fühlt Er Sich jemals durstig. Was auch immer Er wünscht, ist vollkommenes Gesetz, und Sein Beschluß kann von niemandem geändert werden. Dies sind Kṛṣṇas transzendentale Eigenschaften. Überdies ist Er auch als Yogeśvara bekannt, d. h., Er besitzt alle Macht und Möglichkeiten mystischer Kräfte, wie z. B. aṇima-siddhi, die Macht, kleiner als das Kleinste zu werden. In der Brahma-saṁhitā (5.35) wird erklärt, daß Kṛṣṇa sogar in jedes Atom eingegangen ist, aṇdāntarastha-paramāṇu cayāntarastham. Auch weilt Kṛṣṇa als Garbhodakaśāyī Viṣṇu im riesigen Universum und liegt als Mahā-Viṣṇu im Ozean der Ursachen mit einem Körper, der so ungeheuer groß ist, daß beim Ausatmen Millionen und Abermillionen von Universen aus ihm hervorgehen. Das wird mahima-siddhi genannt. Kṛṣṇa besitzt auch die laghimā-Vollkommenheit, d. h., Er kann der Leichteste werden. In der Bhagavad-gītā (15.13) wird erklärt, daß die Planeten im Raum schweben, weil Kṛṣṇa in das Universum und die Atome eingegangen ist. Das ist die Erklärung für die Schwerelosigkeit. Kṛṣṇa besitzt weiterhin die prāpti-Vollkommenheit, d. h., Er kann alles bekommen, was Er will, und ebenso gebietet Er vollständig über die īśitā-siddhi, die Macht zu herrschen, weshalb Er auch Parameśvara, der höchste Herrscher, genannt wird. Schließlich kann Er noch jeden unter Seinen Einfluß bringen, was als vaśitā-siddhi bezeichnet wird. Kṛṣṇa ist der Besitzer sämtlicher Füllen, transzendentaler Eigenschaften und mystischer Kräfte; kein gewöhnliches Lebewesen ist mit Ihm zu vergleichen. Die Theorie der Māyāvādīs, daß die Überseele und die individuelle Seele ebenbürtig sind, ist ein Irrtum. Die Schlußfolgerung lautet daher, daß Kṛṣṇa zu verehren ist und daß alle anderen Lebewesen Seine Diener sind. Dieses Verständnis nennt man Selbstverwirklichung. Jedes Verständnis vom Selbst außerhalb der Beziehung zu Kṛṣṇa als ewiger Diener ist ein Werk māyās. Es heißt deshalb, māyā gebrauche ihre letzte Schlinge, wenn sie dem Lebewesen befehle zu versuchen, dem Höchsten Persönlichen Gott ebenbürtig zu werden. Der Māyāvādī-Philosoph behauptet, Gott ebenbürtig zu sein, doch kann er keine Antwort auf die Frage geben, warum er dann der materiellen Verstrickung zum Opfer gefallen sei. Wenn er wirklich Gott sei, wie habe er dann unfrommen Handlungen anheimfallen und damit dem leidbringenden Gesetz des karma unterworfen werden können? Wenn man die Māyāvādīs dieses fragt, können sie keine richtige Antwort geben. Die spekulative Behauptung, dem Höchsten Persönlichen Gott ebenbürtig zu sein, ist das Symptom eines sündhaften Lebens. Solange man nicht von allen Sünden befreit ist, kann man sich nicht dem Kṛṣṇa-Bewußtsein zuwenden. Allein die Tatsache, daß die Māyāvādīs erklären, sie könnten mit dem Höchsten Herrn eins werden, zeigt, daß sie noch nicht von den Reaktionen auf ihre Sünden befreit sind. Das Śrīmad-Bhāgavatam bezeichnet solche Menschen als aviśuddha-buddhayā, was bedeutet, daß sie sich fälschlich für befreit halten, obwohl sie sich zugleich der Absoluten Wahrheit ebenbürtig wähnen. Ihre Intelligenz ist nicht rein. Die Veden in Person sagten, daß die yogīs und jñānīs in ihrem jeweiligen Vorgang der Selbstverwirklichung niemals Erfolg hätten, wenn sie sich nicht von sündigen Wünschen befreiten. »Lieber Herr«, fuhren die Veden in Person fort, »wenn sich die Heiligen nicht bemühen, die Wurzeln sündhafter Begierden gänzlich auszumerzen, können sie die Überseele niemals wahrnehmen, obwohl Sie direkt neben der individuellen Seele weilt. Samādhi oder Meditation bedeutet, die Überseele im Innern zu erkennen. Wer jedoch nicht von sündhaften Reaktionen frei ist, kann die Überseele nicht sehen. Wenn jemand ein Juwelmedaillon an seiner Halskette hängen hat, aber das Juwel vergißt, ist es fast so, als besitze er keines. In ähnlicher Weise hat eine individuelle Seele, die meditiert, aber nicht die Gegenwart der Überseele im Innern wahrnimmt, die Überseele nicht erkannt. Menschen, die sich dem Pfad der Selbstverwirklichung zugewandt haben, müssen also sehr darauf bedacht sein, nicht durch māyās Einfluß verunreinigt zu werden. Śrīla Rūpa Gosvāmī sagte, daß ein Gottgeweihter von allen Arten materieller Begierden völlig frei sein solle. Ein Gottgeweihter soll sich nicht um die Wirkungen von karma und jñāna kümmern. Man braucht nur Kṛṣṇa zu verstehen und Seine Wünsche zu erfüllen. Das ist die Stufe reiner Hingabe. Yoga-Mystiker, die immer noch unreine Wünsche nach Sinnenbefriedigung hegen, werden bei ihren Bemühungen niemals Erfolg haben, noch können sie die Überseele im individuellen Selbst erkennen. Sogenannte yogīs und jñānīs, die ihre Zeit mit verschiedenen Arten der Sinnenbefriedigung verschwenden, indem sie sich entweder in intellektuellen Spekulationen ergehen oder ihre begrenzten mystischen Kräfte zur Schau stellen, werden deshalb vom bedingten Leben niemals frei und müssen weiterhin immer wieder Geburt und Tod durchmachen. Für solche Sünder werden sowohl das gegenwärtige als auch das nächste Leben nichts anderes sein als Quellen des Leids. Sie leiden bereits im jetzigen Leben, und da sie nicht die Vollkommenheit in der Selbstverwirklichung erreicht haben, werden sie auch im nächsten Leben von Widrigkeiten geplagt werden. Trotz all ihrer Bemühungen, die Vollkommenheit zu erlangen, werden solche yogīs, die von Begierden nach Sinnenbefriedigung verunreinigt sind, in diesem wie auch im nächsten Leben weiter leiden. Śrīla Viśvanātha Cakravartī Ṭhākura bemerkte einmal zu diesem Thema, daß sannyāsīs und andere im Lebensstand der Entsagung Stehende, die ihr Heim um der Selbstverwirklichung willen verlassen haben, sich jedoch nicht im hingebungsvollen Dienst für den Herrn betätigen, sondern sich statt dessen vom Ansporn zu wohltätigen Werken, wie dem Errichten von Bildungsstätten, Krankenhäusern oder auch Klöstern, Kirchen oder Tempeln für Halbgöttern verlocken lassen, mit solchen Bemühungen nur Schwierigkeiten ernten würden, und zwar nicht nur in diesem Leben, sondern auch im nächsten. Sannyāsīs, die ihr Leben nicht dazu nutzen, Kṛṣṇa zu erkennen, vergeuden nur Zeit und Energie mit Tätigkeiten, die im Grunde mit der Lebensstufe der Entsagung nichts zu tun haben. Wenn jedoch ein Gottgeweihter seine Kräfte für Dinge wie der Errichtung eines Viṣṇu-Tempels einsetzt, sind seine Bemühungen niemals vertan. Solche Tätigkeiten werden kṛṣṇāṛthe akhilaceṣṭā genannt, was bedeutet »vielerlei Tätigkeiten zur Freude Kṛṣṇas«. Die Eröffnung einer Schule durch einen sogenannten Menschenfreund und die Errichtung eines Tempels durch einen Gottgeweihten sind zwei Dinge, die sich durchaus nicht auf der gleichen Ebene befinden. Obwohl es ein frommes Werk sein mag, wenn ein Philanthrop eine Schule gründet, fällt diese Handlung immer noch unter das Gesetz des karma, wohingegen der Bau eines Tempels für Viṣṇu hingebungsvoller Dienst ist. Hingebungsvoller Dienst untersteht niemals dem Gesetz des karma. Wie in der Bhagavad-gītā erklärt wird, stehen die Gottgeweihten transzendental zum Walten der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur und handeln auf der Ebene der Brahman-Erkenntnis: brahma-bhūyāya kalpate. In der Bhagavad-gītā (14.26) heißt es: sa guṇān samatityaitān brahma-bhūyāya kalpate. »Die Geweihten des Persönlichen Gottes transzendieren alle Reaktionen der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur und sind auf der transzendentalen Brahman-Ebene verankert.« Somit sind die Gottgeweihten sowohl in diesem als auch im nächsten Leben befreit. Was immer in der materiellen Welt für Yajña oder vielmehr Viṣṇu oder Kṛṣṇa getan wird, gilt als Handlung auf der Stufe der Befreiung, doch solange man keine Beziehung zu Acyuta, dem unfehlbaren Höchsten Persönlichen Gott, entwickelt hat, ist es unmöglich, den Reaktionen, die sich durch das Gesetz des karma ergeben, ein Ende zu bereiten. Das Leben im Kṛṣṇa-Bewußtsein ist das Leben der Befreiung. Ein Gottgeweihter ist also durch die Gnade des Herrn sowohl in diesem als auch im nächsten Leben befreit, wohingegen die karmīs, jñānīs und yogīs niemals befreit werden – weder in diesem Leben noch im nächsten. Die Veden in Person fuhren fort: »Lieber Herr, jeder, der durch Deine Gnade die Herrlichkeit Deiner Lotosfüße erkannt hat, macht sich nichts mehr aus materiellem Glück und Leid.« Materielle Qualen sind unvermeidlich, solange wir uns in der materiellen Welt befinden, doch der Gottgeweihte lenkt seine Aufmerksamkeit niemals auf solche Aktionen und Reaktionen, die lediglich Folgen frommer und sündiger Handlungen sind. Auch ist ein Gottgeweihter nicht besonders betrübt oder erfreut, wenn die Leute ihn schmähen oder loben. Manchmal wird der Gottgeweihte für seine transzendentalen Tätigkeiten über alle Maßen gelobt, und ein anderes Mal tadelt man ihn, obgleich eigentlich gar kein Grund dazu besteht. Der reine Gottgeweihte bleibt jedoch stets gleichmütig gegenüber Lob oder Tadel. Tatsächlich befinden sich die Handlungen des Gottgeweihten auf der transzendentalen Ebene, und so schert er sich nicht um Lob oder Tadel seitens Menschen, die materiellen Tätigkeiten nachgehen. Wenn der Gottgeweihte also seine transzendentale Stellung wahren kann, sorgt der Höchste Persönliche Gott für seine Befreiung sowohl im gegenwärtigen wie auch im nächsten Leben. Die transzendentale Stellung des Gottgeweihten in der materiellen Welt wird dadurch erhalten, daß er in der Gemeinschaft reiner Gottgeweihter stets über die ruhmvollen Taten hört, die der Herr in verschiedenen Zeitaltern und Inkarnationen vollbrachte. Die Bewegung für Kṛṣṇa-Bewußtsein beruht auf diesem Prinzip. Śrīla Narottama dāsa Ṭhākura singt in einem seiner Lieder: »Mein lieber Herr, bitte laß mich Dir transzendentale liebevolle Dienste darbringen, wie es uns die vorangegangenen ācāryas aufgetragen haben, und laß mich bitte in der Gemeinschaft reiner Gottgeweihter bleiben. Das ist mein Wunsch – Leben für Leben.« Es kümmert also einen Gottgeweihten wenig, ob er befreit ist oder nicht; er sehnt sich lediglich nach hingebungsvollem Dienen. Hingebungsvoller Dienst bedeutet, nichts unabhängig vom Einverständnis der ācāryas zu tun. Die Unternehmungen der Bewegung für Kṛṣṇa-Bewußtsein werden von den vorangegangenen ācāryas, vor allem Śrīla Rūpa Gosvāmī, gelenkt. In der Gemeinschaft von Gottgeweihten, die diesen Prinzipien folgen, kann ein Gottgeweihter in vollkommener Weise seine transzendentale Stellung aufrechterhalten. In der Bhagavad-gītā (7.17) sagt der Herr, daß Ihm ein Gottgeweihter, der Ihn in Vollkommenheit kennt, sehr lieb ist. Es gibt vier Arten frommer Menschen, die sich dem hingebungsvollen Dienst zuwenden: Ein frommer Mensch, der sich in Not befindet, wendet sich an den Herrn, damit dieser sein Leid vermindere. Ein frommer Mensch, der materieller Hilfe bedarf, bittet ebenfalls den Herrn, ihm zu helfen. Ein frommer Mensch, der wirklich neugierig ist, die Wissenschaft Gottes kennenzulernen, nähert sich gleichfalls Kṛṣṇa, dem Höchsten Persönlichen Gott, und ebenso einer, der einfach den Wunsch hat, die Wissenschaft Gottes zu verstehen. Von diesen vier Arten wird die letztgenannte von Śrī Kṛṣṇa persönlich in der Bhagavad-gītā (7.17) gelobt. Wer versucht, Kṛṣṇa mit Wissen und Hingabe zu verstehen, und dem Beispiel der vorangegangenen ācāryas folgt, die mit dem wissenschaftlichen Wissen vom Höchsten Persönlichen Gott vertraut sind, ist rühmenswert. Ein solcher Gottgeweihter begreift, daß alle Lebenslagen, seien sie angenehm oder unangenehm, durch den Höchsten Willen des Herrn entstehen. Wenn er den Lotosfüßen des Höchsten Herrn völlig hingegeben ist, macht es ihm nichts aus, ob seine Lebenslage angenehm oder unangenehm ist. Ein Gottgeweihter sieht selbst widrige Umstände als eine besondere Gnade des Persönlichen Gottes an. Im Grunde gibt es für einen Gottgeweihten so etwas wie widrige Umstände nicht, denn ihm ist alles, das durch den Willen des Herrn auf ihn zukommt, willkommen, und so folgt er in jeder Lebenslage mit Begeisterung seiner Aufgabe im hingebungsvollen Dienst. Eine solche Haltung der Hingabe wird in der Bhagavad-gītā (2.57) wie folgt erklärt: »Ein Gottgeweihter läßt sich nicht durch widrige Lebensumstände bekümmern, noch frohlockt er in angenehmen Situationen.« Auf den höheren Stufen des hingebungsvollen Dienstes kümmert sich der Gottgeweihte nicht einmal mehr um die Liste von Geboten und Verboten. Eine solche Stufe kann man nur erreichen, wenn man den Fußstapfen der ācāryas folgt. Weil ein reiner Gottgeweihter dem Beispiel der ācāryas folgt, sollte man verstehen, daß sich jede Handlung, die er im hingebungsvollen Dienst verrichtet, auf der transzendentalen Ebene befindet. Śrī Kṛṣṇa erklärt deshalb, daß der ācārya über alle Kritik erhaben ist. Ein neuer Gottgeweihter soll niemals denken, er befinde sich auf der gleichen Ebene wie der ācārya. Vielmehr sollte er wissen, daß die ācāryas auf der gleichen Ebene stehen wie der Höchste Persönliche Gott, und daher sollten die neuen Gottgeweihten weder Kṛṣṇa noch Seinen Vertreter zum Gegenstand abfälliger Kritik machen. Die Veden in Person verehrten den Höchsten Persönlichen Gott somit auf vielfältige Weise. Den Höchsten Herrn durch Gebete zu verehren bedeutet, sich Seine transzendentalen Eigenschaften, Spiele und Taten zu vergegenwärtigen. Doch die Spiele und Eigenschaften des Herrn sind unbegrenzt, weshalb es uns nicht möglich ist, an alle Eigenschaften des Herrn zu denken. Die Veden in Person verehrten den Herrn daher nach bestem Vermögen und schlossen mit folgenden Worten: »Unser lieber Herr, obwohl Brahmā, der über Brahmaloka, den höchsten Planeten herrschende Halbgott, und König Indra, der über die himmlischen Planeten herrschende Halbgott, wie auch die herrschenden Halbgötter der Sonne, des Mondes und anderer Gestirne hohe Herrscher der materiellen Welt sind, wissen wir sehr wenig über Dich, von gewöhnlichen Sterblichen und intellektuellen Spekulanten ganz zu schweigen. Es gibt niemanden, o Herr, der Deine unbegrenzten transzendentalen Eigenschaften aufzählen könnte. Niemand, auch nicht die intellektuellen Spekulanten und die Halbgötter auf den höheren Planetensystemen, vermag das Ausmaß Deiner Gestalt und Deiner Merkmale zu erfassen. Wir glauben, daß selbst Du, o Herr, Deine transzendentalen Eigenschaften nicht vollständig kennst. Das liegt daran, daß Du unbegrenzt bist. Es ist zwar eigentlich nicht sehr respektvoll zu sagen, Du kenntest Dich Selbst nicht, doch ist es nichtsdestoweniger hilfreich zu wissen, daß zwischen Deiner Erkenntnis und der Erweiterung Deiner Energie, weil Du unbegrenzte Eigenschaften und Energien und eine ebenso unbegrenzte Erkenntnis besitzt, unbegrenztes Wetteifern stattfindet.« Mit dieser Feststellung ist gemeint, daß Gott, weil Er und Sein Wissen unbegrenzt sind, sobald Er Sich eines gewissen Teils Seiner Energien bewußt ist, entdeckt, daß Er noch mehr Energien hat. Auf diese Weise nehmen sowohl Seine Energien als auch Sein Wissen ständig zu. Da beides unbegrenzt ist, sind sowohl Seine Energien als auch Sein Wissen, mit dem Er die Energien erkennt, ohne Ende. Gott ist unzweifelhaft allwissend, und doch sagen die verkörperten Veden, daß nicht einmal Er Selbst das volle Ausmaß Seiner Energien kenne. Das bedeutet jedoch nicht, daß Gott nicht allwissend ist. Gewöhnlich spricht man, wenn jemand eine Tatsache nicht kennt, von Unwissenheit oder einem Mangel an Wissen, das aber läßt sich nicht auf Gott beziehen, denn Er kennt Sich vollkommen. Jedoch nehmen Seine Energien und Taten ständig zu, und deshalb nimmt auch Sein Wissen zu, um sie zu verstehen. Beides nimmt unbegrenzt zu und hat kein Ende. In diesem Sinne läßt sich sagen, daß selbst Gott die Grenzen Seiner Energien und Eigenschaften nicht kennt. Jedes vernünftige und nüchtern denkende Lebewesen kann sich eine vage Vorstellung davon machen, wie grenzenlos Gott und die Erweiterung Seiner Energien und Tätigkeiten sind. In den vedischen Schriften heißt es, daß unzählige Universen aus Mahā-Viṣṇu hervorgehen, wenn Er in Seinem yoga-nidrā-Schlummer ausatmet, und unzählige Universen wieder in Seinen Körper eingehen, wenn Er einatmet. Wir müssen uns nur einmal vorstellen, daß diese Universen, die sich nach unserem begrenzten Wissen grenzenlos ausdehnen, so unfaßbar groß sind, daß sich ihre groben Bestandteile, die fünf Elemente der kosmischen Manifestation, nämlich Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther, nicht nur in ihnen befinden, sondern sie sogar in sieben Schichten bedecken, von denen jede zehnmal so dick ist wie die vorherige. So ist jedes einzelne der zahllosen Universen sicher verpackt. Sie alle schweben in den unzähligen Poren des transzendentalen Körpers Mahā-Viṣṇus. Wie die Atome und Staubteilchen mit den Vögeln in der Luft schweben, deren Zahl unermeßlich ist – so wird es beschrieben –, so schweben in den Poren des transzendentalen Körpers des Herrn unzählige Universen. Aus diesem Grund erklären die Veden, daß Sich Gott jenseits der Reichweite unseres Wissens befindet. Es heißt: abāṅmanasagocara – »die Weite Gottes zu verstehen entzieht sich dem Vermögen unserer intellektuellen Spekulationen.« Wer wahrhaft gelehrt und vernünftig ist, behauptet daher nicht, Gott zu sein, sondern versucht, Gott kennenzulernen, indem er zwischen spiritueller und materieller Natur unterscheidet. Durch solch gründliche Unterscheidung kann man klar verstehen, daß die Höchste Seele transzendental zur höheren und niederen Energie ist, obwohl Sie eine direkte Verbindung zu beiden hat. In der Bhagavad-gītā (9.4-5) erklärt Śrī Kṛṣṇa Selbst: »Obwohl alles in Meiner Energie ruht, bin Ich dennoch verschieden oder vielmehr getrennt von ihr.« Die Natur und die Lebewesen werden manchmal als prakṛti und puruṣa bezeichnet. Die kosmische Manifestation ist eine Verbindung von prakṛti und puruṣa. Die Natur ist die Bestandteil-Ursache und die Lebewesen sind die bewirkende Ursache. Diese beiden Ursachen verbinden sich, und das Ergebnis ist die kosmische Manifestation. Wenn man so glücklich ist, zum richtigen Verständnis von der kosmischen Manifestation und allem, was in ihr geschieht, zu gelangen, weiß man, daß sie direkt und indirekt vom Höchsten Persönlichen Gott bewirkt wurde. Die Brahma-saṁhitā (5.1) kommt deshalb zu dem Schluß: īśvaraḥ paramaḥ kṛṣṇaḥ sac-cid-ānanda vigrahaḥ anādir ādir govindaḥ sarva-kāraṇa-kāraṇam. Wenn man nach vielen Betrachtungen und Überlegungen die Vollkommenheit des Wissens erlangt hat, kommt man zu der Schlußfolgerung, daß Kṛṣṇa oder Gott die ursprüngliche Ursache aller Ursachen ist. Statt über die Größe Gottes Spekulationen aufzustellen oder herumzuphilosophieren, ob Er soundso lang oder soundso breit ist, sollte man die Schlußfolgerung der Brahma-saṁhitā annehmen: sarva kāraṇa kāraṇam. »Kṛṣṇa, Gott, ist die Ursache aller Ursachen.« Das ist die Vollkommenheit des Wissens. So trug Sanandana seinen Brüdern, die wie er von Brahmā geboren waren, als erster in der Schülernachfolge die Veda-stuti vor, die Gebete der Veden in Person an Garbhodakaśāyī Viṣṇu. Die Kumāras, die von Brahmā am Anfang geschaffen wurden, sind die erstgeborenen Lebewesen, und deshalb sind sie als pūrva-jāta bekannt. In der Bhagavad-gītā (4.1) wird gesagt, daß das paramparā-System oder die Nachfolge von spirituellen Meistern mit Kṛṣṇa Selbst beginnt. Auch hier, aus den Gebeten der verkörperten Veden, wird ersichtlich, daß das paramparā-System mit Nārāyaṇa Ṛṣi, dem Persönlichen Gott, beginnt. Wie bereits erklärt, wurde die Veda-stuti von dem Kumāra Sanandana erzählt und dann von Nārāyaṇa Ṛṣi in Bodi Āśrama wiedergegeben. Nārāyaṇa Ṛṣi ist die Inkarnation Kṛṣṇas, die uns den Pfad der Selbstverwirklichung durch harte Bußen zeigt. So wie im gegenwärtigen Zeitalter Kṛṣṇa als Śrī Caitanya den Pfad des reinen hingebungsvollen Dienens wies, wozu Er die Rolle eines reinen Gottgeweihten annahm, war Nārāyaṇa Ṛṣi eine Inkarnation Kṛṣṇas in der Vergangenheit, die sich im Himalaya schweren Bußen unterzog. Von ihm schließlich hörte Nārada Muni die Veda-stuti. Aus der Unterweisung, die Nārāyaṇa Ṛṣi Nārada Muni gab, wie sie zuvor von Kumāra Sanandana in Form der Veda-stuti vorgetragen worden war, geht unmißverständlich hervor, daß Gott der Eine Höchste ist und daß alle anderen Seine Diener sind. Im Śrī Caitanya-caritāmṛta heißt es: ekalā īśvara kṛṣṇa. »Kṛṣṇa ist der einzige Höchste Gott.« Āra sava bhṛtya: »Alle anderen sind seine Diener.« Yāre yaīche nācāya, se taīche kare nṛtya: »Der Höchste Herr beschäftigt alle Lebewesen ganz nach Seinem Willen in vielerlei Tätigkeiten, und so können sie ihre unterschiedlichen Fähigkeiten und Neigungen entfalten.« Die Veda-stuti ist die ursprüngliche Darlegung der Beziehung zwischen dem Lebewesen und dem Höchsten Persönlichen Gott. Die höchste Ebene der Verwirklichung besteht für ein Lebewesen darin, die Stufe des hingebungsvollen Lebens zu erreichen. Jedoch man kann sich dem hingebungsvollen Dienst oder dem Kṛṣṇa-Bewußtsein nicht widmen, solange man nicht von aller materiellen Verunreinigung frei ist. Nārāyaṇa Ṛṣi teilte Nārada mit, daß alle Veden und vedischen Schriften (die vier Veden, die Upaniṣaden und die Purāṇas) in der Essenz transzendentales liebevolles Dienen für den Herrn lehren. In diesem Zusammenhang gebrauchte Nārāyaṇa Ṛṣi das besondere Wort rasa. Im hingebungsvollen Dienen ist der rasa das Medium oder die Grundlage für den Austausch einer Beziehung zwischen dem Herrn und dem Lebewesen. Ein rasa wird in den Veden auch als īśāvāsya beschrieben: »Der Höchste Herr ist der Speicher aller Freude.« Alle vedischen Schriften, wie die Purāṇas, die Veden, die Upaniṣaden und das Vedānta-sūtra, lehren das Lebewesen, wie es die Stufe des rasa erlangen kann. Im Śrīmad-Bhāgavatam (1.1.2) wird gesagt, daß die Darlegungen im Mahā Purāṇa, im Śrīmad-Bhāgavatam, die Essenz der rasas aller vedischen Schriften enthalten: nigama-kalpa-taror galitaṁ phalaṁ. »Das Bhāgavatam ist die Essenz der reifen Frucht am Baum der vedischen Schriften.« Wir erfahren, daß mit dem Atem des Höchsten Persönlichen Gottes die vier Veden von Ihm ausgingen, nämlich der Ṛg-veda, Sāma-veda, Yajur-veda und Atharva-veda, sowie die Geschichtsbücher, wie das Mahābhārata und alle Purāṇas, in denen, wie man weiß, ebenfalls die Geschichte der Welt aufgezeichnet ist. Diese vedischen Geschichtsbücher, wie die Purāṇas und das Mahābhārata, werden als der fünfte Veda bezeichnet. Die Verse der Veda-stuti müssen als die Essenz allen vedischen Wissens verstanden werden. Die vier Kumāras und alle anderen anerkannten Weisen wissen sehr wohl, daß hingebungsvoller Dienst im Kṛṣṇa-Bewußtsein die Essenz aller vedischen Schriften darstellt, und das verkünden sie auf vielen Planeten, während sie durch den Weltraum reisen. Wie in den Gebeten erwähnt wird, reisen solche Weisen wie Nārada Muni fast nie über Land, sondern immer durch den Weltraum. Weise wie Nārada und die Kumāras ziehen durch das Universum, um die bedingten Seelen zu belehren und ihnen zu zeigen, daß ihre Aufgabe in dieser Welt nicht in Sinnenbefriedigung besteht, sondern darin, ihre ursprüngliche Position im hingebungsvollen Dienst des Höchsten Persönlichen Gottes wiedereinzunehmen. An mehreren Stellen in den vedischen Schriften werden die Lebewesen mit den Funken eines Feuers verglichen und der Höchste Persönliche Gott mit dem Feuer selbst. Wenn die Funken aus dem Feuer springen, verlieren sie ihre natürliche Leuchtkraft; in ähnlicher Weise kommen die Lebewesen in die materielle Welt wie Funken, die aus einem großen Feuer fallen. Der Grund für diesen Sturz ist, wie die sechs Gosvāmīs erklärt haben, der Wunsch nach Befriedigung der eigenen Sinne. Das Lebewesen möchte Kṛṣṇa nachahmen und versucht deshalb, über die materielle Natur zu herrschen. Infolgedessen vergißt es seine ursprüngliche Stellung, so daß seine Leuchtkraft, seine spirituelle Identität, erlischt. Wenn sich das Lebewesen jedoch wieder dem Kṛṣṇa-Bewußtsein zuwendet, wird es wieder in seine ursprüngliche Stellung zurückversetzt. Die Weisen und Heiligen, wie Nārada und die Kumāras, reisen durch das ganze Universum, lehren die Menschen und regen ihre Schüler an, den Vorgang des hingebungsvollen Dienens zu predigen, so daß alle bedingten Seelen die Möglichkeit haben, ihr ursprüngliches Bewußtsein, Kṛṣṇa-Bewußtsein, wiederzubeleben und auf diese Weise vom materiellen Leben und seinen leidvollen Bedingungen frei zu werden. Śrī Nārada Muni ist ein naiṣṭika-brahmacārī. Es gibt insgesamt vier Arten von brahmacāris, von denen man die erste Kategorie sāvitra nennt. Mit sāvitra bezeichnet man einen brahmacārī, der nach seiner Einweihung und der Heiligen-Schnur-Zeremonie wenigstens drei Tage im Zölibat leben muß. Den Beititel prājāpatya gibt man dem brahmacārī, der nach der Einweihung mindestens ein Jahr streng das Zölibat einhält. Weiterhin gibt es den brahma-brahmacārī, der von der Einweihung bis zur Vollendung seines Studiums der vedischen Schriften im Zölibat lebt, und schließlich den brahmacārī auf der naiṣṭika-Stufe, der sein ganzes Leben unverheiratet bleibt. Die ersten drei brahmacārīs werden upakurvāna genannt, was bedeutet, daß sie heiraten können, wenn ihre Zeit als brahmacārī zu Ende ist. Der naiṣṭika-brahmacārī jedoch lehnt es völlig ab, jemals Umgang mit dem anderen Geschlecht zu haben. Die Kumāras und Nārada sind als naiṣṭika-brahmacārīs bekannt. Der Lebensstand des brahmacārī ist vor allem deshalb von Vorteil, weil er das Erinnerungsvermögen und die Entschlußkraft stärkt. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird in diesem Zusammenhang besonders darauf hingewiesen, daß sich Nārada, da er ein naiṣṭika-brahmacārī war, an alles erinnern konnte, was er von seinem spirituellen Meister jemals gehört hatte, und es niemals vergaß. Jemand, der sich stets an alles erinnern kann, wird śruta-dhara genannt. Ein śruta-dhara-brahmacārī ist in der Lage, alles einmal Gehörte wortwörtlich zu wiederholen, ohne sich mit Notizen oder Büchern behelfen zu müssen. Der große Weise Nārada besitzt diese Fähigkeit, und deshalb ist er, während er von Nārāyaṇa Ṛṣi Unterweisungen empfängt, eifrig dabei, die Philosophie des hingebungsvollen Dienens im ganzen Universum zu verkünden. Weil solche Weisen sich an alles erinnern können, sind sie sehr gedankenvoll, selbstverwirklicht und völlig im Dienst des Herrn verankert. Auch der große Weise Nārada besaß, nachdem er seinen spirituellen Meister Nārāyaṇa Ṛṣi angehört hatte, vollkommene Erkenntnis. Er gewann völlige Einsicht in die Wahrheit und wurde so glücklich, daß er Nārāyaṇa Ṛṣi Gebete darbrachte. Ein weiterer Name für den naiṣṭika-brahmacārī lautet vīra-vrata. Nārada Muni sprach Nārāyaṇa Ṛṣi als Inkarnation Kṛṣṇas an und nannte Ihn den höchsten Gönner der bedingten Seelen. In der Bhagavad-gītā (4.8) heißt es, daß Kṛṣṇa in jedem Zeitalter erscheint, um die Gottgeweihten zu beschützen und die Nichtgottgeweihten zu vernichten, und daher wurde Nārāyaṇa Ṛṣi, als Inkarnation Kṛṣṇas, der Gönner der bedingten Seele genannt. In der Bhagavad-gītā wird erklärt, daß sich jeder bewußt sein sollte, daß es keinen zweiten Gönner wie Kṛṣṇa gibt. Jeder sollte einsehen, daß Kṛṣṇa der Freund eines jeden ist, und Zuflucht bei Ihm suchen. Dann kann man stets zuversichtlich und zufrieden sein, da man weiß, daß man jemanden hat, der einen vollkommen beschützen kann. Kṛṣṇa Selbst, Seine Inkarnationen und Seine vollständigen Erweiterungen sind die höchsten Gönner der bedingten Seelen, ja, Kṛṣṇa ist sogar der Gönner der Dämonen, denn Er gewährte allen asuras, die nach Vṛndāvana kamen, um Ihn zu töten, Befreiung. Deshalb sind Kṛṣṇas Taten absolut, denn ob Er einen Dämonen vernichtet oder einen Gottgeweihten beschützt ist das gleiche. So heißt es z. B., daß die Hexe Pūtanā durch Seine Gnade die gleiche spirituelle Stellung wie Seine Mutter erreichte. Man sollte wissen, daß ein Dämon, den Kṛṣṇa tötet, in höchster Weise gesegnet ist. Ein reiner Gottgeweihter jedoch wird vom Herrn stets beschützt. Nārada Muni begab sich, nachdem er seinem spirituellen Meister Ehrerbietungen dargebracht hatte, zum āśrama Vyāsadevas, und nachdem dieser ihn gebührend begrüßt und ihm einen bequemen Sitz dargeboten hatte, wiederholte Nārada vor ihm, seinem Schüler, alle Unterweisungen, die er von Nārāyaṇa Ṛṣi vernommen hatte. Hiermit beantwortete Śukadeva Gosvāmī die Frage Mahārāja Parīkṣits nach der Essenz des vedischen Wissens und der endgültigen Schlußfolgerung der Veden. Es ist das höchste Ziel im Leben, nach den transzendentalen Segnungen des Höchsten Persönlichen Gottes zu streben und sich deshalb dem liebevollen Dienen für den Herrn zu widmen. Man sollte dem Beispiel Śukadeva Gosvāmīs und aller anderen Vaiṣṇavas in der Nachfolge der Schüler folgen und Śrī Kṛṣṇa, dem Höchsten Persönlichen Gott Hari, achtungsvolle Ehrerbietungen darbringen. Die vier Zweige der Vaiṣṇava-Nachfolge der Schüler, nämlich die Madhva-sampradāya, Rāmānuja-sampradāya, Viṣṇusvāmī-sampradāya und Nimbārka-sampradāya, erklären auf der Grundlage aller vedischen Schlußfolgerungen einstimmig, daß man sich dem Höchsten Persönlichen Gott hingeben muß. Die vedischen Schriften sind zweifach unterteilt, und zwar in die śrutis und die smṛtis. Die śrutis sind die vier Veden (Ṛg, Sāma, Atharva und Yajur) und die Upaniṣaden, und unter smṛtis versteht man die Purāṇas und das Mahābhārata, in dem die Bhagavad-gītā enthalten ist. Die Schlußfolgerung all dieser Schriften ist, daß man Kṛṣṇa als den Höchsten Persönlichen Gott erkennen soll. Er ist der Parampuruṣa, der Höchste Persönliche Gott, unter dessen Oberaufsicht sich die materielle Natur bewegt und geschaffen, erhalten und vernichtet wird. Nach der Schöpfung inkarniert Sich der Höchste Herr als Brahmā, Viṣṇu und Śiva. Diese sind für die drei Eigenschaften der materiellen Natur zuständig, doch die endgültige Führung obliegt Śrī Viṣṇu. Der Ablauf aller Geschehnisse in der materiellen Natur steht unter dem Einfluß der drei Erscheinungsweisen unter der Führung Kṛṣṇas, des Höchsten Persönlichen Gottes. Dies wird in der Bhagavad-gītā mit dem Wort nyadarśana und in einem anderen Teil der Veden mit sa aikṣata bestätigt. Die atheistischen Sāṅkhya-Philosophen behaupten, die materielle kosmische Manifestation habe ihre Ursachen in prakṛti und puruṣa. Sie bringen vor, daß die Natur und die materielle Energie sowohl die inaktive materielle Ursache als auch die aktive bewirkende Ursache seien. In Wahrheit aber ist Kṛṣṇa die Ursache aller Ursachen. Er ist die Ursache aller materiellen und bewirkenden Ursachen. Prakṛti und puruṣa sind also nicht endgültige Ursachen. Oberflächlich gesehen scheint ein Kind aufgrund der Verbindung von Vater und Mutter geboren zu werden, doch letzten Endes ist die Ursache des Vaters und der Mutter Kṛṣṇa. Er ist also die ursprüngliche Ursache oder vielmehr die Ursache aller Ursachen, wie dies auch in der Brahma-saṁhitā (5.1) bestätigt wird. Sowohl der Höchste Herr als auch die Lebewesen gehen in die materielle Natur ein. Der Höchste Herr, Śrī Kṛṣṇa, manifestiert Sich durch eine Seiner vollständigen Erweiterungen als Kṣīrodakaśāyī Viṣṇu und Mahā-Viṣṇu, die gigantische Viṣṇu-Gestalt, die im Ozean der Ursachen ruht. Von der gigantischen Gestalt Mahā-Viṣṇus erweitert Sich Garbhodakaśāyī-Viṣṇu und geht in jedes Universum ein. Von Ihm erweitern sich dann Brahmā, Viṣṇu und Śiva. Viṣṇu geht in die Herzen aller Lebewesen, in alle materiellen Elemente und sogar in das Atom ein. Die Brahma-saṁhitā bestätigt dies folgendermaßen: aṇḍāntarastha-paramāṇu-cayāntarastham. »Er weilt in diesem Universum und auch in jedem einzelnen Atom.« In ähnlicher Weise wie das Lebewesen seinen kleinen materiellen Körper von verschiedenen Arten und Formen hat, hat der Höchste Persönliche Gott einen materiellen Körper, der aus dem gesamten Universum besteht. Dieser Körper wird in den śāstras als virāṭa-rūpa bezeichnet. Und ebenso wie das individuelle Lebewesen seinen Körper aufrechterhält, so erhält der Höchste Persönliche Gott die gesamte Schöpfung und alles in ihr. Sobald das individuelle Lebewesen seinen materiellen Körper verläßt, vergeht dieser, und ebenso wird alles vernichtet, wenn Śrī Viṣṇu die kosmische Manifestation verläßt. Nur dann, wenn sich das Lebewesen dem Höchsten Persönlichen Gott hingibt, ist ihm die Befreiung vom materiellen Dasein gewiß. Dies wird in der Bhagavad-gītā (7.14) wie folgt bestätigt: mān eva ya prapadyante māyām etaṁ taranti te. Man erlangt also durch die Hingabe an den Höchsten Persönlichen Gott Befreiung, und durch nichts anderes. Auf welche Weise das Lebewesen von den Erscheinungsweisen der materiellen Natur befreit ist, verdeutlicht das Beispiel vom schlafenden Mann: Einen schlafenden Mann kann zwar jeder sehen, doch in Wirklichkeit befindet er sich nicht in seinem Körper, denn während er schläft, vergißt er, obgleich andere noch sehen mögen, daß sein Körper vorhanden ist, sein körperliches Dasein. Ähnlich verhält es sich mit einem befreiten Menschen, der sich dem hingebungsvollen Dienst des Herrn widmet: Andere mögen ihn z. B. damit beschäftigt sehen, die Haushälterpflichten der materiellen Welt zu verrichten, doch weil sein Bewußtsein ganz auf Kṛṣṇa gerichtet ist, lebt er nicht in der materiellen Welt. Dabei mag er gewöhnliche Dinge tun, ebenso wie ein Schlafender im Traum Dinge tut, die sich von seinen Tätigkeiten mit dem Körper unterscheiden. In der Bhagavad-gītā (14.26) wird bestätigt, daß ein Gottgeweihter, der sich ganz dem liebevollen Dienst für den Höchsten Persönlichen Gott widmet, den Einfluß der drei materiellen Erscheinungsweisen bereits überwunden hat. Er ist auf der Brahman-Ebene spirituellen Bewußtseins verankert, auch wenn es den Anschein hat, als lebe er noch im Körper oder in der materiellen Welt. Śrīla Rūpa Gosvāmī erklärt in diesem Sinne in seiner Schrift Bhakti-rasāmṛta-sindhu, daß jemand, dessen einziger Wunsch es ist, dem Höchsten Persönlichen Gott zu dienen, ganz gleich unter welchen Umständen er sich in der materiellen Welt befinden mag, als jīvanmukta zu verstehen sei, was bedeutet, daß er als befreit anzusehen ist, während er mit dem materiellen Körper in der materiellen Welt lebt. Die Schlußfolgerung ist also, daß jemand, der sich ganz dem Kṛṣṇa-Bewußtsein widmet, eine befreite Seele ist. Er hat im Grunde nichts mit der materiellen Welt zu schaffen. Diejenigen, die nicht Kṛṣṇa-bewußt sind, werden entweder als karmīs oder als jñānis bezeichnet; sie bewegen sich auf der körperlichen oder intellektuellen Ebene und sind daher nicht befreit. Ihre Lage nennt man kaivalya-nirasta-yoni. Ein Mensch jedoch, der sich auf der transzendentalen Ebene befindet, wird von dem Kreislauf der Geburten und Tode befreit. Dies wird im Vierten Kapitel der Bhagavad-gītā bestätigt. Einfach dadurch, daß man das transzendentale Wesen Kṛṣṇas, des Höchsten Persönlichen Gottes kennt, wird man von den Ketten der wiederholten Geburten und Tode frei und geht, nachdem man seinen gegenwärtigen Körper aufgegeben hat, zurück nach Hause, zurück zu Gott. So lautet die Schlußfolgerung aller Veden. Man sollte sich daher, nachdem man die Gebete der Veden in Person verstanden hat, den Lotosfüßen Śrī Kṛṣṇas hingeben. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 87. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Gebete der Veden in Person«. 88. KAPITEL Die Rettung Śivas Als reiner Geweihter Śrī Kṛṣṇas war König Parīkṣit bereits befreit, doch weil er einige Dinge klären wollte, stellte er Śukadeva Gosvāmī vielerlei Fragen. Im vorangegangenen Kapitel hatte König Parīkṣit gefragt: »Was ist das endgültige Ziel der Veden?« Und Śukadeva erklärte es ihm, indem er die autoritativen Darlegungen der Schülernachfolge vortrug, die mit Sanandana begann und über Nārāyaṇa Ṛṣi, Nārada und Vyāsadeva bis zu ihm selbst herabreichte. Die Schlußfolgerung lautete, daß hingebungsvolles Dienen oder bhakti das endgültige Ziel der Veden ist. Ein neuer Gottgeweihter könnte nun fragen: »Wenn es das endgültige Ziel oder die Schlußfolgerung der Veden ist, daß man die Ebene des hingebungsvollen Dienens erreicht, wie kommt es dann, daß ein Geweihter Śrī Viṣṇus meist materiell nicht besonders wohlhabend ist, wohingegen ein Geweihter Śivas in der Regel ziemlich reich ist? Um diesen Punkt zu klären, fragte auch Mahārāja Parīkṣit Śukadeva Gosvāmī: »Mein lieber Śukadeva Gosvāmī, für gewöhnlich kann man beobachten, daß diejenigen, die Śiva verehren, seien es Menschen, Dämonen oder Halbgötter, materiell sehr wohlhabend sind, obwohl Śiva selbst wie ein Bedürftiger lebt. Die Geweihten Viṣṇus, des Herrn der Glücksgöttin, dagegen, scheinen nie sehr begütert zu sein. Manchmal sieht man sogar einige von ihnen völlig besitzlos leben. Śiva lebt unter einem Baum oder im Schnee des Himalaya. Er baut sich nicht einmal ein Haus, und dennoch sind die Verehrer Śivas meist sehr reich. Kṛṣṇa oder Viṣṇu dagegen lebt sowohl in Vaikuṇṭha als auch in der materiellen Welt in aller Pracht, und trotzdem scheinen seine Geweihten in Armut zu leben. Warum ist dies so?« Mahārāja Parīkṣits Fragestellung zeugt von Klugheit. Die Geweihten Śivas und die Geweihten Viṣṇus sind sich stets uneinig. Selbst heute noch kritisieren sich in Indien diese beiden Arten von Geweihten, und vor allem in Südindien halten die Anhänger Rāmānujācāryas und die Śaṅkarācāryas hin und wieder Versammlungen ab, bei denen sie die vedischen Schlußfolgerungen erörtern. Die Anhänger Rāmānujācāryas gehen in der Regel aus solchen Begegnungen siegreich hervor. Mahārāja Parīkṣit nun wollte mit seiner Frage an Śukadeva Gosvāmī erfahren, wie der ganze Sachverhalt zu verstehen sei. Die Tatsache, daß Śiva in Armut lebt, obwohl seine Geweihten stets reich erscheinen, und daß Śrī Kṛṣṇa oder Śrī Viṣṇu stets reich ist und dennoch Seine Geweihten sehr arm zu sein scheinen, muß für den Außenstehenden widersprüchlich und verwunderlich sein. Śukadeva Gosvāmī war sogleich bereit, König Parīkṣits Frage nach den scheinbaren Widersprüchlichkeiten, die man bei der Verehrung Śivas und bei der Verehrung Viṣṇus beobachtet, zu beantworten. Śiva ist der Herr über die materielle Energie. Die materielle Energie ist nämlich in Śivas Frau, der Göttin Durgā, verkörpert, und weil Durgā völlig unter dem Einfluß Śivas steht, gilt Śiva als der Meister der materiellen Energie. Die materielle Energie manifestiert sich in drei Eigenschaften oder Erscheinungsformen, nämlich Tugend, Leidenschaft und Unwissenheit, und somit ist Śiva der Herr über diese drei Eigenschaften. Obgleich Śiva sich zum Wohl der bedingten Lebewesen mit den materiellen Eigenschaften befaßt, bleibt er ihr Lenker und wird nicht von ihnen beeinflußt. Die bedingte Seele wird von den drei Eigenschaften beherrscht, doch Śiva gerät, da er ihr Meister ist, niemals unter ihren Einfluß. Aus den Erklärungen Śukadeva Gosvāmīs geht hervor, daß die Ergebnisse der Verehrung verschiedener Halbgötter nicht, wie es von einigen, weniger intelligenten Menschen behauptet wird, die gleichen sind wie die der Verehrung Śrī Viṣṇus. Er sagt ganz deutlich, daß man durch die Verehrung Śivas einen ganz anderen Gewinn erhält als durch die Verehrung Viṣṇus. Das gleiche wird in der Bhagavad-gītā (9.25) bestätigt: Diejenigen, die die Halbgötter verehren, bekommen ihren Wünschen entsprechend das, was die jeweiligen Halbgötter gewähren können. Ebenso erhalten diejenigen, die die materielle Energie verehren, den entsprechenden Gewinn, und auch die Verehrer der pitās erhalten ihre Ergebnisse in gleicher Weise. Diejenigen aber, die sich dem hingebungsvollen Dienst oder vielmehr der Verehrung des Höchsten Herrn, Viṣṇu oder Kṛṣṇa, widmen, gelangen zu den Vaikuṇṭha-Planeten oder nach Kṛṣṇaloka. Man kann dem transzendentalen Bereich, dem paravyoma oder spirituellen Himmel, nicht dadurch näherkommen, daß man Śiva, Brahmā oder irgendeinen anderen Halbgott verehrt. Weil die materielle Welt ein Erzeugnis der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur ist, sind all die vielfältigen Manifestationen aus diesen drei Eigenschaften entstanden. Mit Hilfe der materialistischen Wissenschaft hat die moderne Zivilisation viele Maschinen und Annehmlichkeiten für das tägliche Leben geschaffen, die jedoch auch nur verschiedene, aus Wechselwirkungen der materiellen Erscheinungsweisen entstandene Erzeugnisse sind. Obwohl die Geweihten Śivas oft viele materielle Güter bekommen, sollten wir doch wissen, daß sie nur Erzeugnisse ansammeln, die von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur hervorgebracht wurden. Die drei Eigenschaften unterteilen sich wiederum sechzehnfach, nämlich in die zehn Sinne (fünf Handlungssinne und fünf Sinne zum Ansammeln von Wissen), den Geist und die fünf Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther. Diese sechzehn Dinge sind weitere Ausdehnungen der drei Eigenschaften. Materielles Glück oder Wohlstand bedeutet Möglichkeiten, die Sinne zu befriedigen, vor allem durch die Genitalien, die Zunge und den Geist. Durch den Gebrauch unseres Geistes schaffen wir viele Annehmlichkeiten zum Genuß mit den Genitalien und der Zunge. Der Reichtum eines Menschen in der materiellen Welt wird daran gemessen, inwieweit er von seinen Genitalien und seiner Zunge Gebrauch machen kann oder, mit anderen Worten, wie gut er es vermag, seinen Geschlechtstrieb auszuschöpfen und seinen verwöhnten Gaumen mit köstlichen Speisen zu befriedigen. Zum materiellen Fortschritt der Zivilisation gehört unbedingt, daß man alle möglichen genußvollen Dinge erfindet, die einen auf der Grundlage dieser beiden Prinzipien glücklich machen sollen: Freuden für die Genitalien und Freuden für die Zunge. Hierin liegt die Antwort auf König Parīkṣits Frage an Śukadeva Gosvāmī, weshalb die Verehrer Śivas so reich seien: Die Geweihten Śivas sind nur in bezug auf materielle Eigenschaften reich. Im Grunde ist solch sogenannter Fortschritt der Zivilisation, wie sie ihn begehren, nur die Ursache weiterer Verstrickung ins materielle Dasein. Es ist kein wirklicher Fortschritt, sondern Erniedrigung. Schließlich ist es so, daß Śiva, weil er der Meister der drei Erscheinungsweisen ist, seinen Geweihten zur Befriedigung der Sinne Güter zukommen läßt, die durch die Wechselwirkungen dieser Erscheinungsweisen geschaffen werden. Śrī Kṛṣṇa jedoch gibt uns in der Bhagavad-gītā (2.45) die Anweisung, das von den drei Erscheinungsweisen beeinflußte Dasein zu transzendieren: nistraiguṇyo bhavārjuna. »Es ist die Bestimmung des menschlichen Lebens, daß man transzendental zu den drei Erscheinungsweisen wird.« Man kann nicht aus der materiellen Verstrickung freikommen, solange man nicht nistrai-guṇya ist. Die Segnungen Śivas nützen daher den bedingten Seelen in Wirklichkeit nichts, obwohl sie dem Anschein nach große Gewinne sind. Śukadeva Gosvāmī fuhr fort: »Der Höchste Persönliche Gott Hari ist transzendental zu den drei Eigenschaften der materiellen Natur.« In der Bhagavad-gītā (7.14) wird gesagt, daß jeder, der sich Ihm hingibt, der Gewalt dieser drei Erscheinungsweisen entkommt. Wenn sich schon die Geweihten Haris transzendental zur Gewalt der materiellen Erscheinungsweisen verhalten, muß Er Selbst erst recht transzendental sein. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird deshalb erklärt, daß Hari oder Kṛṣṇa die ursprüngliche und höchste Persönlichkeit ist. Es gibt zwei prakṛtis oder Energien, nämlich die innere und die äußere Energie, und Kṛṣṇa ist der Herr beider prakṛtis. Er ist sarva dṛk, der Beherrschende aller Tätigkeiten der inneren und der äußeren Energien, und Er wird als der upadraṣṭa, der höchste Ratgeber, bezeichnet. Da Er der höchste Ratgeber ist, steht Er über allen Halbgöttern, die lediglich Seinen Befehlen folgen. Wenn man deshalb direkt nach den Anweisungen des Höchsten Herrn handelt, wie es in der Bhagavad-gītā und dem Śrīmad-Bhāgavatam eindringlich nahegelegt wird, wird man nach und nach nirguṇa, d. h. transzendental zu den Wechselwirkungen der materiellen Erscheinungsweisen. Nirguṇa zu sein bedeutet, keine materiellen Güter zu besitzen, denn der Besitz materieller Vorteile bedeutet, wie bereits erklärt, eine Steigerung der Aktionen und Reaktionen der drei materiellen Erscheinungsweisen. Wenn man den Höchsten Persönlichen Gott verehrt, wird man, statt materieller Reichtümer wegen eingebildet zu werden, reich an spirituellem Fortschritt im Wissen vom Kṛṣṇa-Bewußtsein. Nirguṇa zu werden bedeutet, ewigen Frieden, Furchtlosigkeit, Religiosität, Wissen und die Fähigkeit zur Entsagung zu erreichen. All dies sind Merkmale der Befreiung von der Verunreinigung durch die materiellen Erscheinungsweisen. Als Antwort auf Parīkṣit Mahārājas Frage sprach Śukadeva Gosvāmī als nächstes von einer historischen Begebenheit, die mit Mahārāja Parīkṣits Großvater König Yudhiṣṭhira zusammenhing. Er sagte, daß König Yudhiṣṭhira, nachdem er das aśvamedha-Opfer an der großen Opferstätte beendet hatte, in Gegenwart bedeutender Autoritäten die gleiche Frage stellte wie später sein Enkel – wie es nämlich komme, daß die Geweihten Śivas materiell wohlhabend seien, die Geweihten Viṣṇus hingegen nicht. Śukadeva sprach dabei von König Yudhiṣṭhira als »dein Großvater«, um Mahārāja Parīkṣit daran zu erinnern, daß er mit Kṛṣṇa verwandt sei und seine Großväter eine enge Beziehung zum Höchsten Persönlichen Gott hatten. Kṛṣṇa ist zwar bereits von Natur aus stets zufrieden, doch wurde Er, als Mahārāja Yudhiṣṭhira diese Frage stellte, noch zufriedener, denn Fragen solcher Art und ihre Beantwortungen, sind für die gesamte Kṛṣṇa-bewußte Gesellschaft von großer Bedeutung. Wenn Kṛṣṇa mit einem Gottgeweihten über etwas spricht, sind Seine Worte nicht nur für den betreffenden Gottgeweihten bestimmt, sondern für die gesamte Menschheit. Die Anweisungen des Höchsten Persönlichen Gottes sind selbst für die Halbgötter, deren Führer Brahmā, Śiva und andere sind, von großem Wert, und jemand, der die Anweisungen des Höchsten Persönlichen Gottes, der zum Wohl aller Lebewesen in der materiellen Welt erscheint, nicht nutzt, ist zweifellos sehr unglückselig. Śrī Kṛṣṇa beantwortete Mahārāja Yudhiṣṭhiras Frage wie folgt: »Wenn Ich einem Gottgeweihten sehr geneigt bin und ihm ganz besonders helfen möchte, nehme Ich ihm als erstes allen Reichtum fort.« Wenn der Gottgeweihte dann entweder bettelarm wird oder in verhältnismäßig große Armut gerät, verlieren seine Verwandten und Familienangehörigen das Interesse an ihm und lösen in den meisten Fällen ganz die Verbindung. Der Gottgeweihte wird dann doppelt so unglücklich: Erst wird er unglücklich, weil ihm von Kṛṣṇa aller Reichtum genommen wurde, und dann wird er noch unglücklicher, weil ihn seine Verwandten seiner Armut wegen verlassen. Wir müssen in diesem Zusammenhang verstehen, daß es nicht auf karma-phala oder sündige Taten des Gottgeweihten zurückzuführen ist, wenn er auf diese Weise in Not gerät, sondern daß die Armut des Gottgeweihten vom Höchsten Persönlichen Gott veranlaßt wird. Ebenso ist es nicht auf fromme Handlungen des Gottgeweihten zurückzuführen, wenn er materiell reich wird. Ob ein Gottgeweihter ärmer oder reicher wird, immer geschieht es durch die Fügung des Höchsten Persönlichen Gottes. Kṛṣṇa schafft solche Situationen für Seinen Geweihten, um ihn völlig von Sich abhängig zu machen und ihn von allen materiellen Pflichten zu befreien. Dann kann dieser seine Energien, Geist und Körper – alles – dem Dienst des Herrn weihen, und das wird reines hingebungsvolles Dienen genannt. Im Nārada-pañcarātra wird deshalb erklärend die Wendung sarvopādhi-vinirmuktam gebraucht, was bedeutet »von allen Bezeichnungen befreit«. Alles, das man für die Familie, Gesellschaft, Gemeinschaft, Heimat oder Menschheit tut, ist mit Bestimmungen verbunden wie »ich gehöre zu dieser Gesellschaft«, »ich gehöre zu dieser Nation«, oder »ich gehöre zu dieser Gemeinschaft«. Solche Identifizierungen sind jedoch nichts weiter als Bestimmungen. Wenn ein Gottgeweihter durch die Gnade des Herrn von allen Bestimmungen befreit ist, befindet sich sein hingebungsvoller Dienst auf der Stufe wirklichen naiṣkarmas. Die jñānīs fühlen sich sehr zur Stufe des naiṣkarma hingezogen, auf der die Handlungen, die man begeht, keine materiellen Nachwirkungen haben. Wenn die Handlungen des Gottgeweihten von allen materiellen Reaktionen frei sind, gehören sie nicht mehr zur Kategorie des karma-phalam, der fruchtbringenden Tätigkeiten. Wie von den Veden in Person bereits erklärt wurde, werden das Glück und Leid des Gottgeweihten vom Höchsten Persönlichen Gott für ihn geschaffen, und deshalb ist es dem Gottgeweihten gleichgültig, ob er Glück oder Unglück erfährt. Er erfüllt einfach weiter seine Pflichten im hingebungsvollen Dienst. Und obwohl seine Handlungen anscheinend den Aktionen und Reaktionen fruchtbringenden Tuns unterworfen sind, ist er in Wirklichkeit von den Folgen des Handelns frei. Es mag sich die Frage stellen, warum ein Gottgeweihter überhaupt vom Höchsten Persönlichen Gott in Schwierigkeiten gebracht wird. Die Antwort lautet, daß das Verhalten des Herrn, wenn Er Seinen Geweihten in solche Situationen versetzt, wie das eines Vaters zu verstehen ist, der zu seinen Söhnen manchmal etwas grob wird. Weil der Gottgeweihte eine hingegebene Seele ist und der Herr Sich Seiner angenommen hat, sollte man wissen, ganz gleich, in welche Lebenslage er vom Herrn gebracht wird, sei sie glück- oder leidvoll, daß hinter jeglicher Fügung der große Plan des Höchsten Persönlichen Gottes steht. So ließ Kṛṣṇa zum Beispiel die Pāṇḍavas in so große Not geraten, daß selbst Großvater Bhīṣma dies nicht begreifen konnte. Er klagte, daß die Pāṇḍava-Familie all diese Nöte ertragen mußte, obwohl sie von König Yudhiṣṭhira, dem frömmsten König, und von den beiden mächtigen Kriegern Bhīma und Arjuna beschützt wurde, und obwohl die Pāṇḍavas enge Freunde und Verwandte Kṛṣṇas waren. Später jedoch stellte sich heraus, daß all dies vom Höchsten Persönlichen Gott Śrī Kṛṣṇa als Teil Seiner Mission, die Schurken zu vernichten und die Gottgeweihten zu beschützen, so eingerichtet worden war. An dieser Stelle könnte sich eine weitere Frage erheben, und zwar: Worin besteht der Unterschied, wenn ein Gottgeweihter durch den Willen des Höchsten Persönlichen Gottes in vielerlei glückliche und unglückliche Situationen versetzt wird und ein gewöhnlicher Mensch als Ergebnis seiner früheren Taten in solche Lebenslagen gerät? Inwiefern ist der Gottgeweihte besser als ein gewöhnlicher karmī? Die Antwort lautet, daß sich die karmīs und die Gottgeweihten niemals auf gleicher Ebene befinden, denn ganz gleich in welcher Lebenslage sich der karmī befindet, er bleibt dem Kreislauf von Geburt und Tod unterworfen, da der Same des karma oder des fruchtbringenden Handelns in ihm steckt und keimt, sobald sich die Gelegenheit bietet. Durch das Gesetz des karma ist der gewöhnliche Mensch für immer an wiederholte Geburten und Tode gefesselt, wohingegen das Leid und Glück eines Gottgeweihten, das nicht dem Gesetz des karma untersteht, Teil einer zeitweiligen Fügung des Höchsten Persönlichen Gottes ist, die den Gottgeweihten nicht fesselt. Solche Fügungen läßt der Herr nur für einen ganz bestimmten Zweck geschehen. Wenn ein karmī segensreiche Werke vollbringt, wird er zu den himmlischen Planeten erhoben, und wenn er gottlos handelt, wird er in höllische Lebensumstände versetzt. Doch ob ein Gottgeweihter auf sogenannte fromme oder auf unfromme Weise handelt – er wird nicht erhoben und fällt auch nicht, sondern wird in das spirituelle Königreich versetzt. Deshalb befinden sich das Glück und Leid eines Gottgeweihten und das eines karmī nicht auf gleicher Ebene. Diese Tatsache bestätigte Yamarāja einst in einer Ansprache an seine Diener im Zusammenhang mit der Befreiung Ajāmilas. Dabei trug Yamarāja seinen Anhängern auf, Menschen zu ergreifen, die niemals den heiligen Namen des Herrn ausgesprochen, noch jemals an die Gestalt, die Eigenschaften und die Spiele des Herrn gedacht hätten. Gleichzeitig gab Yamarāja seinen Häschern auch die Anweisung, niemals die Gottgeweihten zu bedrohen. Vielmehr sollten sie, wie er ihnen befahl, jedem Gottgeweihten, dem sie begegneten, ihre achtungsvollen Ehrerbietungen darbringen. Es steht damit nicht zur Frage, daß ein Gottgeweihter innerhalb der materiellen Welt erhoben wird oder herabfällt. Ebenso wie ein himmelweiter Unterschied zwischen der Strafe der Mutter und der eines Feindes besteht, ist auch die Notlage eines Gottgeweihten etwas völlig anderes als die eines gewöhnlichen karmī. An dieser Stelle mag eine weitere Frage auftauchen: Wenn Gott allmächtig ist, warum sollte Er versuchen, Seinen Geweihten zu bessern, indem Er ihn in Schwierigkeiten bringt? Die Antwort darauf lautet, daß es nicht ohne Absicht geschieht, wenn der Höchste Persönliche Gott Seinen Geweihten in eine schwierige Situation bringt. Manchmal ist der Grund, daß sich bei einem Gottgeweihten die Gefühle der Anhaftung an Kṛṣṇa in Notlagen noch steigern. Als Kṛṣṇa zum Beispiel einmal, ehe Er die Hauptstadt der Pāṇḍavas verließ, um nach Hause zurückzukehren, Seine Angehörigen dazu um Erlaubnis bat, sagte Kuntīdevī: »Mein lieber Kṛṣṇa, wenn wir uns in Not befinden, weilst Du stets bei uns; nun aber, da wir zu Königswürde gelangt sind, verläßt Du uns. Ich entscheide mich eher dafür, in Not zu leben, als Dich zu verlieren.« Wenn ein Geweihter in Not gerät, steigern sich seine Bemühungen im hingebungsvollen Dienst. Der Herr versetzt daher, um Seinem Geweihten eine besondere Gunst zu erweisen, diesen manchmal in Not. Abgesehen davon ist, wie man sagt, die Süße des Glücks süßer für jene, die Bitterkeit gekostet haben. Der Höchste Herr kommt in die materielle Welt herab, nur um Seine Geweihten vor Nöten zu bewahren; das bedeutet, der Herr käme nicht, wenn sich die Geweihten nie in Not befänden. Was die Vernichtung der Dämonen und Schurken betrifft, so kann dieses ohne weiteres von Seinen vielfachen Energien erledigt werden; zum Beispiel werden viele Dämonen durch die äußere Energie, die Göttin Durgā, getötet. Der Herr braucht also nicht persönlich zu erscheinen, um die asuras oder Dämonen zu töten. Doch wenn Sein Geweihter in Not ist, muß Er kommen. Śrī Nṛsiṁhadeva erschien nicht, um Hiraṇyakaśipu zu töten, sondern um Prahlāda zu sehen und ihn zu segnen. Der Herr erschien also, weil Prahlāda Mahārāja sich in Not befand. Wenn nach der finsteren Nacht schließlich am Morgen die Sonne aufgeht, ist dies sehr freudvoll. Bei sengender Hitze empfindet man kaltes Wasser als sehr wohltuend, und in der eisigen Kälte des Winters freut man sich über heißes Wasser. Ähnlich ergeht es einem Gottgeweihten, der sich, nachdem er die Bedingungen der materiellen Welt erfahren hat, der spirituellen Glückseligkeit erfreut, die der Herr ihm schenkt, denn für ihn wird das Dasein noch glückseliger und genußreicher. Der Herr fuhr fort: »Wenn Mein Geweihter aller materiellen Güter bar ist und seine Verwandten, Freunde und Familienangehörigen ihn verlassen haben, sucht er völlig bei den Lotosfüßen des Herrn Zuflucht, da er niemanden sonst hat, der sich um ihn kümmert. Śrīla Narottama dāsa Ṭhākura sang deshalb in einem seiner Lieder: »Mein lieber Śrī Kṛṣṇa, o Sohn Nanda Mahārājas, Du stehst nun vor mir zusammen mit Śrīmatī Rādhārāṇī, der Tochter König Vṛṣabhānus. Nun gebe ich mich Dir hin. Bitte nimm mich an. Bitte stoße mich nicht von Dir. Ich habe keine andere Zuflucht als Dich.« Wenn ein Gottgeweihter in scheinbar beklagenswerte Umstände gerät und ohne materielle Güter und Familie dasteht, versucht er zunächst, seinen früheren materiellen Wohlstand wiederzuerlangen; doch obwohl er es immer wieder versucht, nimmt Kṛṣṇa ihm immer wieder seinen Besitz fort. So wird der Gottgeweihte schließlich enttäuscht von seinen Bemühungen, und auf dieser Stufe der Überdrüssigkeit aller materiellen Handlungen kann er sich dem Höchsten Persönlichen Gott ganz hingeben. Solchen Menschen gibt der Herr von innen her den Rat, die Gesellschaft von Gottgeweihten aufzusuchen. Wenn sie dann mit Gottgeweihten zusammen sind, entwickeln sie ganz von selbst die Neigung, dem Höchsten Persönlichen Gott zu dienen, und bekommen sogleich vom Herrn alle Möglichkeiten, im Kṛṣṇa-Bewußtsein Fortschritte zu machen. Die Nichtgottgeweihten dagegen sind sehr darauf bedacht, ihren materiellen Daseins-Status aufrechtzuerhalten. Für gewöhnlich kommen sie nicht dazu, den Höchsten Persönlichen Gott zu verehren, sondern huldigen Śiva oder anderen Halbgöttern, um sich rasch materiellen Gewinn zu verschaffen. In der Bhagavad-gītā (4.12) wird deshalb gesagt: kāṇkṣantaḥ karmaṇāṁ siddhiṁ yajanta iha devatāḥ. »Die karmīs verehren die vielen Halbgötter, um in der materiellen Welt zu Erfolg zu gelangen.« Śrī Kṛṣṇa sagt auch, daß diejenigen, die die Halbgötter verehren, keine reife Intelligenz besitzen. Die Geweihten des Höchsten Persönlichen Gottes wenden sich aufgrund Ihrer starken Zuneigung zu Ihm und nicht, wie die Toren, an die Halbgötter. Śrī Kṛṣṇa sagte weiter zu König Yudhiṣṭhira: »Mein Geweihter läßt sich nicht durch widrige Lebensumstände beirren; er bleibt immer fest und stetig. Daher gebe Ich Mich ihm Selbst und erweise ihm Meine Gunst, so daß er den höchsten Erfolg im Leben erreichen kann. Die Gnade, die der Höchste Persönliche Gott dem geprüften Gottgeweihten erweist, wird als Brahman bezeichnet, was darauf hindeutet, daß das Ausmaß dieser Gnade nur dem Ausmaß des alldurchdringenden Brahman zu vergleichen ist. »Brahman« bedeutet »grenzenlos groß« und »sich grenzenlos ausdehnend«. Kṛṣṇas Gnade wird auch als parama (erhaben) beschrieben, dann sie kann mit nichts in der materiellen Welt verglichen werden, und manchmal wird sie auch als sūkṣmam bezeichnet, was »höchst vortrefflich« bedeutet. Die Gnade des Herrn gegenüber dem bewährten Geweihten ist nämlich nicht nur groß und unendlich, sondern auch von der vortrefflichsten transzendentalen Liebe durchdrungen, die der Gottgeweihte und der Herr füreinander empfinden. Diese Gnade wird weiter als cinmātram, als »völlig spirituell« bezeichnet. Das Wort mātram bezieht sich auf absolut Spirituelles, ohne eine Spur materieller Eigenschaften. Schließlich nennt man die Gnade des Herrn auch sat (ewig) und anantakam (grenzenlos). Warum sollte der Gottgeweihte, dem ein solch grenzenloser spiritueller Segen zuteil wird, noch die Halbgötter verehren? Ein Geweihter Kṛṣṇas verehrt weder Śiva noch Brahmā, noch irgendeinen anderen Halbgott niederen Ranges. Er weiht sich ganz dem transzendentalen liebevollen Dienst des Höchsten Persönlichen Gottes. Śukadeva Gosvāmī fuhr fort: »Die Halbgötter wie Indra, Candra, Varuṇa und andere, allen voran Brahmā und Śiva, neigen dazu, sehr schnell Wohlgefallen zu zeigen, wenn ihre Geweihten ihnen Gutes tun, und sehr schnell zornig zu werden, wenn diese Fehler begehen. Mit dem Höchsten Persönlichen Gott Śrī Viṣṇu indes verhält es sich nicht so; dies erklärt sich dadurch, daß jedes Lebewesen in der materiellen Welt, auch die Halbgötter, von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur gelenkt wird und die Eigenschaften Unwissenheit und Leidenschaft in der materiellen Welt vorherrschen. Diejenigen, die von den Halbgöttern als deren Geweihte Segnungen empfangen, sind ebenfalls von den materiellen Eigenschaften befallen, vor allem von Leidenschaft und Unwissenheit. Śrī Kṛṣṇa erklärt deshalb in der Bhagavad-gītā (7.23), daß es nicht besonders klug ist, von den Halbgöttern Segnungen zu erstreben, denn die Ergebnisse solcher Segnungen sind vergänglich. Es ist ein leichtes, durch die Verehrung der Halbgötter zu materiellem Reichtum zu gelangen, doch die Folgen sind oftmals unheilvoll. Deshalb schätzen nur die weniger intelligenten Menschen die Segnungen der Halbgötter. Diejenigen, die Segnungen von den Halbgöttern empfangen, werden mit der Zeit stolz auf ihren materiellen Besitz und mißachten ihre Gönner. Śukadeva Gosvāmī erklärte König Parīkṣit: »Mein lieber König, Brahmā, Viṣṇu und Śiva, die drei bedeutendsten Persönlichkeiten der materiellen Schöpfung, können jeden segnen oder verdammen. Brahmā und Śiva sind sehr leicht zufriedenzustellen, aber auch sehr leicht zu erzürnen. Wenn sie zufrieden sind, erteilen sie, ohne viel Überlegung, ihre Segnungen, und wenn sie erzürnt sind, verdammen sie ihren Geweihten ohne Überlegung. Śrī Viṣṇu ist anders. Śrī Viṣṇu ist sehr bedachtsam. Wenn ein Gottgeweihter etwas von Viṣṇu haben möchte, erwägt Viṣṇu erst, ob die Segnung wirklich gut für Seinen Geweihten sein werde. Viṣṇu gewährt niemals einen Segen, der sich letzten Endes für den Gottgeweihten als unheilvoll erweist, denn Er ist durch Sein transzendentales Wesen stets gnadenvoll. Bevor Er deshalb eine Segnung erteilt, überlegt Er, ob diese auch tatsächlich vorteilhaft für Seinen Geweihten ist. Weil der Höchste Persönliche Gott immer gnadenvoll ist, ist Sein Verhalten immer segensreich, selbst wenn Er einen Dämon tötet, oder wenn Er allem Anschein nach auf einen Gottgeweihten zornig wird. Der Höchste Persönliche Gott ist deshalb als absolut gut bekannt. Alles, was Er tut, ist gut. Was die Segnungen der Halbgötter wie Śiva betrifft, so gibt es in diesem Zusammenhang eine historische Begebenheit, die von großen Weisen berichtet wird. Und zwar geriet einst Śiva, nachdem er dem Sohn Śakunis, einem Dämon namens Vṛkāsura, eine Segnung erteilt hatte, in große Gefahr. Vṛkāsura trachtete nach einer Segnung, und deshalb versuchte er festzustellen, welche der drei herrschenden Gottheiten er verehren müsse, damit sein Wunsch in Erfüllung gehen möge. Eines Tages traf er den großen Weisen Nārada, den er fragte, an wen er sich wenden solle, um so schnell wie möglich die Ergebnisse der Bußen zu erzielen, die er sich auferlegt hatte. Er sagte: »Welche der drei Gottheiten Brahmā, Viṣṇu und Śiva ist am ehesten zufriedenzustellen?« Nārada durchschaute die Absicht des Dämonen, und deshalb riet er ihm: »Das beste ist, du verehrst Śiva; dann wirst du sehr schnell das Ersehnte bekommen. Śiva ist sehr schnell zufrieden und wird auch sehr schnell ungehalten. Versuche also Śivas Wohlgefallen zu erringen.« Nārada führte Beispiele von Dämonen wie Rāvaṇa und Bāṇāsura an, die zu großem Reichtum kamen, weil sie mit ihren Gebeten Śivas Gunst erlangt hatten. Da der große Weise das Wesen des Dämons Vṛkāsura kannte, riet er ihm nicht, sich an Viṣṇu oder Brahmā zu wenden; denn Menschen wie Vṛkāsura, die sich in der materiellen Erscheinungsweise der Unwissenheit befinden, vermögen die Verehrung Viṣṇus nicht durchzuführen. Nachdem der Dämon Vṛkāsura von Nārada unterwiesen worden war, begab er sich nach Kedāranātha. Dieser Pilgerort, der in der Nähe von Kaschmir liegt, besteht noch heute. Es liegt fast immer Schnee dort, doch zu einer bestimmten Zeit im Jahr, nämlich während des Monats Juli, ist es möglich, dort die Bildgestalt Śivas zu besuchen. Dann pilgern die Geweihten Śivas dorthin, um ihre Ehrerbietungen darzubringen. Kedāranātha ist den Geweihten Śivas vorbehalten. Nach den vedischen Prinzipien werden Gaben, die den Halbgöttern zum Essen dargeboten werden, in einem Feuer geopfert. Deshalb ist bei allen Zeremonien ein Feueropfer notwendig. Der Umstand, daß den Halbgöttern etwas durch das Feuer zum Essen dargebracht werden muß, wird in den śāstras besonders betont. So begab sich der Dämon Vṛkāsura also nach Kedāranātha und entfachte dort ein Opferfeuer, um Śiva zu erfreuen. Nachdem er im Namen Śivas das Feuer entzündet hatte, machte er sich daran, sein eigenes Fleisch zu opfern, indem er es aus seinem Körper schnitt. So wollte er Śivas besonderes Wohlgefallen erwecken. Es ist dies ein Beispiel für Verehrung in der Erscheinungsweise der Unwissenheit. In der Bhagavad-gītā (17.11-13) werden verschiedene Arten von Opfern aufgeführt. Einige befinden sich in der Erscheinungsweise der Tugend, andere in Leidenschaft und wieder andere in der Erscheinungsweise der Unwissenheit. Es gibt verschiedene Arten von tapasya und Verehrung, weil die Menschen auf der Welt verschieden sind. Doch der endgültige tapasya, das Kṛṣṇa-Bewußtsein, ist der höchste yoga und das höchste Opfer. Wie in der Bhagavad-gītā (6.47) bestätigt wird, besteht der höchste yoga darin, ständig im Herzen an Śrī Kṛṣṇa zu denken, und das höchste Opfer ist der saṅkīrtana-yajña. In der Bhagavad-gītā (7.20 + 23) wird gesagt, daß die Verehrer der Halbgötter ihre Intelligenz verloren haben. Wie wir später in diesem Kapitel erfahren, wollte Vṛkāsura Śiva zufriedenstellen, um eine materielle Segnung dritten Ranges zu erhalten, die vergänglich und ohne wirklichen Nutzen war. Nur asuras oder Personen in der Erscheinungsweise der Unwissenheit lassen sich solche Segnungen von den Halbgöttern erteilen. Im Gegensatz zum Opfer in der Erscheinungsweise der Unwissenheit ist der arcanā-viddhi-Vorgang der Verehrung Viṣṇus oder Kṛṣṇas sehr einfach. Śrī Kṛṣṇa sagt in der Bhagavad-gītā (9.26), daß Er von Seinem Geweihten schon ein Stück Frucht, eine Blume oder etwas Wasser annimmt, was sich jeder, ob arm oder reich, ohne weiteres beschaffen kann. Natürlich sollen Menschen, die wohlhabend sind, dem Herrn nicht nur ein wenig Wasser, ein Stück Frucht oder ein kleines Blatt opfern. Das Opfer eines reichen Mannes sollte seiner Stellung entsprechen; doch wenn der Gottgeweihte ein armer Mann ist, wird der Herr auch die bescheidenste Gabe von ihm annehmen. Die Verehrung Viṣṇus oder Kṛṣṇas ist sehr einfach und kann von jedem auf dieser Welt durchgeführt werden. Die Verehrung in der Erscheinungsweise der Unwissenheit dagegen, wie sie von Vṛkāsura betrieben wurde, ist nicht nur überaus schwierig und leidvoll, sondern auch sinnlose Zeitverschwendung. Aus diesem Grunde sagt die Bhagavad-gītā, daß die Verehrer der Halbgötter jeglicher Intelligenz beraubt sind. Ihr Vorgang der Verehrung ist äußerst schwierig, und die Ergebnisse, die sie erhalten, sind flackernd und zeitweilig. Obgleich Vṛkāsura sein Opfer sechs Tage lang fortsetzte, erreichte er sein Ziel nicht, denn es gelang ihm nicht, Śiva persönlich zu Gesicht zu bekommen. Er wollte aber Śiva unmittelbar vor sich sehen, um ihn um eine Segnung zu bitten. Hier finden wir einen weiteren Unterschied zwischen dem Dämon und dem Gottgeweihten. Ein Gottgeweihter weiß ganz sicher, daß alles, was er der Bildgestalt des Herrn in hingebungsvoll dienender Haltung darbringt, angenommen wird; der Dämon dagegen möchte die von ihm verehrte Gottheit von Angesicht zu Angesicht sehen, damit er sich die gewünschte Segnung direkt geben lassen kann. Der Gottgeweihte verehrt Viṣṇu oder Kṛṣṇa nicht um einer Segnung willen. Ein Gottgeweihter wird als akāma oder »frei von allen Wünschen« bezeichnet, der Nichtgottgeweihte hingegen als sarva-kāma oder »nach allem verlangend«. Am siebten Tag schließlich beschloß der Dämon, sich den Kopf abzuschlagen und ihn zu opfern, um Siva zu erfreuen. Er nahm also ein Bad im nahegelegenen See, und ohne zuvor Körper und Haare abzutrocknen, schickte er sich an, sich zu enthaupten. Nach vedischen Vorschriften muß ein Tier, das als Opfer dargebracht werden soll, zuerst gebadet werden und wird dann, während es noch naß ist, geopfert. Als der Dämon also im Begriff war, sich den Kopf abzuschlagen, empfand Śiva großes Mitleid mit ihm. Dieses Mitleid ist ein Merkmal der Erscheinungsweise der Tugend. Śiva wird triliṅga genannt. Daß er Mitleid mit dem Dämon hatte, war daher ein Anzeichen der Erscheinungsweise der Tugend. Mitleid ist jedem Lebewesen eigen. Śivas Mitleid regte sich, weil der Dämon sein Fleisch im Opferfeuer darbrachte. Solches Mitleid ist ganz natürlich. Selbst ein gewöhnlicher Mensch weiß, wenn er sieht, daß ein anderer Selbstmord begehen will, daß es seine Pflicht ist, etwas zu dessen Rettung zu unternehmen, und er wird dies von sich aus tun, ohne daß man ihn erst darum zu bitten braucht. Als Śiva daher schließlich aus dem Feuer erschien, um den Dämon am Selbstmord zu hindern, war dies keine besondere Gunst von ihm. Der Dämon wurde durch die Berührung Śivas vor dem Selbstmord bewahrt; seine Wunden heilten sogleich, und sein Körper wurde wiederhergestellt wie er zuvor gewesen war. Darauf sprach Śiva zu dem Dämon: »Mein lieber Vṛkāsura, du brauchst dir doch nicht den Kopf abzuschlagen. Du kannst mich bitten, worum du willst, ich werde dir jeden Wunsch erfüllen. Es ist mir unverständlich, warum du dir den Kopf abschlagen wolltest, um mich zu erfreuen, denn ich bin schon zufrieden, wenn man mir ein wenig Wasser opfert.« Nach vedischem Brauch wird die Śiva-liṅga oder die Form Śivas im Tempel tatsächlich nur durch das Opfern von Gangeswassern verehrt, denn es heißt, daß Śiva sehr erfreut ist, wenn Gangeswasser auf sein Haupt gegossen wird. Deshalb opfern ihm seine Geweihten gewöhnlich Gangeswasser und die Blätter des bilva-Baumes, die ganz besonders als Opfer für Śiva und die Göttin Durgā gedacht sind. Auch die Früchte dieses Baumes werden Śiva dargebracht. Śiva erklärte Vṛkāsura, daß er schon mit einer sehr einfachen Art der Verehrung zufrieden sei. Er frage sich, so sagte Śiva, weshalb also Vṛkāsura so bestrebt sei, sich zu enthaupten, und warum er sich so große Schmerzen bereitet habe, als er seinen Körper in Stücke schnitt und diese im Feuer opferte. Solch strenge Bußen seien doch überhaupt nicht nötig. Aber sei es wie es wolle – aus Mitleid und Zuneigung sei er, Śiva, bereit, ihm jede Segnung zu erteilen, die er begehre. Als Śiva dem Dämon solche Gelegenheit bot, sprach dieser einen furchtbaren und niederträchtigen Wunsch aus. Der Dämon war sehr sündig, und sündige Menschen wissen nicht, um welche Segnungen man die Gottheiten bitten soll. Er bat also Śiva um eine Kraft, durch die, sobald er jemandes Kopf berühre, dieser zerspringen und der Betreffende sterben würde. Die Dämonen werden in der Bhagavad-gītā (7.15) als duṣkṛtina oder Schurken beschrieben. Kṛtī bedeutet »sehr lobenswert«, doch wenn die Silbe duṣ hinzugefügt wird, ergibt sich die Bedeutung »abscheulich«. Statt sich dem Höchsten Persönlichen Gott zuzuwenden, verehren die duṣkṛtinas Halbgötter um abscheulicher materieller Segnungen willen. Manchmal erfinden solche Dämonen, wie z. B. die materialistischen Wissenschaftler, todbringende Waffen. Sie vermögen es nicht, ihre anerkennenswerten Fähigkeiten zur Schaffung etwas Lobenswerten zu nutzen und z. B. etwas zu entdecken, das den Menschen vor dem Tod rettet. Statt dessen erfinden sie Waffen, die den Tod nur noch beschleunigen. Da Śiva so mächtig ist, daß er jede Segnung gewähren kann, hätte der Dämon ihn um etwas bitten können, was der gesamten Menschheit zum Wohl gereicht hätte, aber aus Selbstsucht wünschte er sich, daß jeder, dessen Kopf er mit der Hand berühre, auf der Stelle sterben werde. Śiva erkannte nun die Beweggründe des Dämons und bereute es deshalb, daß er versprochen hatte, ihm jeden Wunsch zu erfüllen. Er wollte zwar sein Versprechen nicht zurücknehmen, doch tat es ihm im Herzen leid, daß er Vṛkāsura eine Segnung geben mußte, die für die Menschheit so bedrohlich war. Die Dämonen werden als duṣkṛtina oder Schurken bezeichnet, weil sie zwar Intelligenz und andere Fähigkeiten besitzen, diese jedoch dazu gebrauchen, abscheuliche Handlungen zu begehen. So erfinden z. B. die materialistischen Dämonen, wie bereits erwähnt, unter anderem todbringende Waffen. Die wissenschaftliche Forschungsarbeit für solche Erfindungen erfordert unzweifelhaft viel Intelligenz, doch statt etwas zu erfinden, das dem Wohl der gesamten Menschheit diente, entdecken sie etwas, das den Tod, der ohnehin bereits jedem Menschen gewiß ist, nur noch schneller herbeiführt. Ähnlich verhielt es sich mit Vṛkāsura, der, statt Śiva um etwas für alle Menschen Segensreiches zu bitten, etwas verlangte, das der Menschheit sehr gefährlich werden konnte. Śiva war deswegen im Innern bekümmert. Die Geweihten des Persönlichen Gottes bitten Viṣṇu oder Kṛṣṇa niemals um eine Segnung, und wenn sie den Herrn doch einmal um etwas bitten, ist es für die Menschheit in keiner Weise gefährlich. Darin zeigt sich der Unterschied zwischen den Dämonen und den Gottgeweihten oder den Verehrern Śivas und den Verehrern Viṣṇus. Als Śukadeva Gosvāmī die Geschichte von Vṛkāsura erzählte, nannte er Mahārāja Parīkṣit »Bhārata«, womit er an König Parīkṣits Geburt in einer Familie von Gottgeweihten erinnerte. Mahārāja Parīkṣit war einst von Kṛṣṇa gerettet worden, als er sich noch im Schoß seiner Mutter befand. Nun hätte er Kṛṣṇa bitten können, ihn in ähnlicher Weise vor dem Fluch des brāhmaṇa-Knaben zu schützen, doch tat er es nicht. Der Dämon dagegen wollte jeden durch die Berührung mit seiner Hand töten und dadurch unsterblich werden. Śiva wußte dies, doch weil er sein Versprechen gegeben hatte, erteilte er ihm die gewünschte Segnung. Der Dämon war so sündig, daß er sogleich beschloß, die Segnung zu mißbrauchen, um Śiva zu töten und Gaurī (Pārvatī), dessen Frau, zu seinem eigenen Genuß mit sich zu nehmen. Er wollte deshalb sofort seine Hand auf Śivas Kopf legen. So geriet Śiva, bedroht durch seine eigene Segnung, die er einem Dämon erteilt hatte, in äußerste Bedrängnis. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, wie ein Verehrung betreibender Materialist seine von den Halbgöttern erhaltene Macht mißbraucht. Ohne lange zu überlegen, trat Vṛkāsura auf Śiva zu, um ihn an den Kopf zu fassen. Śiva packte solche Angst, daß er am ganzen Körper zu zittern begann, und sofort floh er von der Erde in den Himmel und dort von Planet zu Planet, bis er schließlich die Grenzen des Universums über den höheren Planetensystemen erreichte. Von einem Ort zum anderen floh Śiva, doch der Dämon jagte überallhin hinter ihm her. Selbst die herrschenden Gottheiten der anderen Planeten, wie Brahmā, Indra und Candra, sahen keine Möglichkeit, Śiva aus der Gefahr zu retten, und so verharrten sie in Schweigen, an wen Śiva sich auch wandte. Zuletzt kam Śiva zu Viṣṇu, der in unserem Universum auf einem Planeten mit Namen Śvetadvipa weilt. Śvetadvīpa ist ein Vaikuṇṭha-Planet jenseits des Einflußbereichs der äußeren Energie. Śrī Viṣṇu befindet Sich in Seinem alldurchdringenden Aspekt überall, aber dort, wo Er Sich persönlich aufhält, ist Vaikuṇṭha. In der Bhagavad-gītā (18.61) heißt es, daß der Herr in den Herzen aller Lebewesen weilt. Er befindet Sich also auch in den Herzen der niederen Lebewesen, was jedoch nicht bedeutet, daß Er ebenfalls von niederer Art ist. Ein jeder Ort, an dem Er Sich aufhält, wird in Vaikuṇṭha verwandelt. Deshalb ist auch der Planet Śvetadvīpa in unserem Universum Vaikuṇṭhaloka. Wie in den śāstras erklärt wird, ist das Wohnen im Wald in der Erscheinungsweise der Reinheit oder Tugend, Wohnen in Großstädten, Städten und Dörfern in der Erscheinungsweise der Leidenschaft, und Wohnen in einer Umgebung, in der die vier sündigen Tätigkeiten, nämlich außereheliche geschlechtliche Beziehungen, Berauschung, Fleischessen und die Veranstaltung von Glücksspielen, vorherrschen, in der Erscheinungsweise der Unwissenheit. Wer jedoch in einem Tempel Viṣṇus, des Höchsten Herrn, wohnt, lebt in Vaikuṇṭha. Ganz gleich wo der Tempel sich befindet, es ist immer Vaikuṇṭha. In ähnlicher Weise ist auch der Planet Śvetadvīpa, obwohl er in der materiellen Welt liegt, Vaikuṇṭha. Śiva gelangte also schließlich nach Śvetadvīpa, Vaitkuṇṭha. Auf Śvetadvīpa leben große Heilige, die völlig frei sind vom Neid der materiellen Welt und über dem Bereich der vier Prinzipien materieller Tätigkeit – Religiosität, wirtschaftlicher Fortschritt, Sinnenbefriedigung und Befreiung – stehen. Jeder, der einmal zu diesem Planeten gelangt, kehrt nicht wieder in die materielle Welt zurück. Nārāyaṇa wird als liebevoller Freund Seiner Geweihten verehrt, und sobald Er erkannte, daß Śiva in großer Gefahr schwebte, nahm Er die Gestalt eines brahmacārī an und ging Śiva persönlich entgegen, um ihn von weitem zu begrüßen. Der Herr erschien vor ihm als echter brahmacārī mit einem Gurt um die Hüften, einer heiligen Schnur, einer Hirschhaut, einem brahmacārī-Stab und einer raudra-Perlenkette [* Raudra-Perlenketten sind nicht mit tulasī-Ketten zu verwechseln. Sie werden von den Geweihten Śivas benutzt. *] Die leuchtende Ausstrahlung, die von Seinem Körper ausging, zog nicht nur Śiva an, sondern auch den Dämon Vṛkāsura. Śrī Nārāyaṇa erwies Vṛkāsura sogleich Seine Ehrerbietung, um dessen Aufmerksamkeit und Wohlwollen zu gewinnen. Auf diese Weise hielt er den Dämon auf und sagte zu ihm: »Mein lieber Sohn Śakunis, du siehst sehr müde aus, als habest du einen weiten Weg hinter dir. Was ist dein Anliegen? Warum bist du von so weit hergekommen. Ich sehe, daß du sehr erschöpft bist, und deshalb bitte Ich dich – ruhe dich doch ein wenig aus! Du solltest deinen Körper nicht unnötig überanstrengen, Jeder weiß, wie wertvoll der Körper ist, denn nur mit dem Körper kann man alle Wünsche des Geistes erfüllen. Wir sollten daher den Körper nicht unnötig plagen.« Der brahmacārī sprach Vṛkāsura als »Sohn Śakunis« an, um ihm so das Gefühl zu geben, Er kenne seinen Vater Śakuni. Vṛkāsura betrachtete den Herrn daraufhin tatsächlich als einen Bekannten der Familie, und Seine schmeichelnden Worte sprachen ihn sehr an. Ehe der Dämon einwenden konnte, er habe keine Zeit, sich auszuruhen, machte der Herr ihn auf die Wichtigkeit des Körpers aufmerksam, was den Dämon überzeugte. Jeder Mensch, besonders wenn er ein Dämon ist, sieht den Körper als etwas überaus Wichtiges an, und so ließ sich auch Vṛkāsura überzeugen. Um den Dämon weiter zu beschwichtigen, sagte der brahmacārī: »Mein lieber Herr, wenn du meinst, du dürftest mir den Grund verraten, weshalb du dir die Mühe gemacht hast hierherzukommen, dann sage es Mir bitte; vielleicht kann Ich dir helfen, deinen Wunsch zu erfüllen.« Indirekt gab der Herr damit zu verstehen, daß Er, als das Höchste Brahman, ohne weiteres in der Lage war, das Unheil abzuwenden, das Śiva heraufbeschworen hatte. Der Dämon wurde durch die süßen Worte Nārāyaṇas in der Gestalt des brahmacārī besänftigt, und so vertraute er Ihm schließlich alles an, was in Zusammenhang mit Śivas Segnung geschehen war. Der Herr sagte daraufhin: »Ich kann nicht glauben, daß Śiva dir wirklich eine solche Segnung gewährt hat. Soviel Ich nämlich weiß, befindet Sich Śiva in keiner gesunden Geistesverfassung. Er hatte Streit mit seinem Schwiegervater Dakṣa, der ihn verfluchte, ein piśāca (Geist) zu werden. So ist er zum Oberhaupt der Geister und Kobolde geworden. Ich traue deshalb seinen Worten nicht. Doch wenn du, Mein lieber König der Dämonen, immer noch den Worten Śivas glaubst, warum machst du dann nicht einmal eine Probe, indem du dir die Hand auf den Kopf legst? Wenn sich herausstellt, daß die Segnung ein Betrug war, kannst du Śiva, diesen Lügner, auf der Stelle töten, so daß er es nicht noch einmal wagen kann, falsche Segnungen zu erteilen.« Auf diese Weise wurde der Dämon durch Nārāyaṇas betörende Worte und den Einfluß Seiner höheren, illusionierenden Energie verwirrt und vergaß tatsächlich die Macht Śivas und seiner Segnung. Er ließ sich also dazu verleiten, seine Hand an den Kopf zu führen, und sowie der Dämon dies tat, zersprang sein Kopf wie vom Blitz getroffen, und er war auf der Stelle tot. Die Halbgötter des Himmels überschütteten Śrī Nārāyaṇa mit Blumen, priesen ihn voll Dankbarkeit und brachten Ihm ihre Ehrerbietungen dar. Beim Tod Vṛkāsuras begannen alle Bewohner der himmlischen Planetensysteme, auch die pitās, Gandharvas und Bewohner Janalokas, Blumen auf den Persönlichen Gott regnen zu lassen. So errettete Śrī Viṣṇu in der Gestalt eines brahmacārī Śiva aus höchster Gefahr und wendete alles zum Guten. Śrī Nārāyaṇa erklärte Śiva dann, daß der Dämon Vṛkāsura als Folge seines sündhaften Tuns getötet worden sei. Der größte Frevel des Sünders war es gewesen, daß er sich gegen seinen eigenen Meister, Śiva, hatte vergehen wollen. Śrī Nārāyaṇa sagte des weiteren zu Śiva: »Lieber Herr, wer sich ein Vergehen gegen große Seelen zuschulden kommen läßt, kann nicht bestehen bleiben; er wird durch seine eigenen Sünden verderben, wie es ganz offensichtlich bei diesem Dämon der Fall war, der ein solch schweres Vergehen gegen dich auf sich lud.« So wurde Śiva durch die Gnade des Höchsten Persönlichen Gottes Nārāyaṇa, der transzendental zu allen materiellen Eigenschaften steht, davor gerettet, von einem Dämon umgebracht zu werden. Jeder, der diese Geschichte mit Glauben und Hingabe hört, wird mit Sicherheit aus der materiellen Verstrickung wie auch aus der Gewalt seiner Feinde befreit werden. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 88. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Rettung Śivas«. 89. KAPITEL Die unvergleichliche Macht Śrī Kṛṣṇas Vor langer, langer Zeit fand einmal am Ufer des Flusses Sarasvatī eine Zusammenkunft großer Weisen statt, die dort ein gewaltiges Opfer, Satrayajña genannt, vollzogen. Bei solchen Versammlungen erörtern die Weisen für gewöhnlich vedisches Wissen und philosophische Fragen. Bei diesem Treffen nun erhob sich folgende Frage: Jeder der drei über die materielle Welt herrschenden Gottheiten – Brahmā, Viṣṇu und Śiva – lenkt die Geschehnisse im Kosmos. Wer von ihnen aber ist der Höchste? Nach langer Erörterung wurde der große Weise Bhṛgu, der Sohn Brahmās, beauftragt, alle drei herrschenden Gottheiten auf die Probe zu stellen und der Versammlung dann zu berichten, wer von ihnen der Größte sei. Mit diesem Auftrag begab sich der große Weise Bhṛgu als erstes zur Residenz seines Vaters auf Brahmaloka. Die drei genannten Gottheiten sind die Beherrscher der drei materiellen Erscheinungsweisen Unwissenheit, Leidenschaft und Tugend. Der Plan, den die Weisen Bhṛgumuni dargelegt hatten, sah vor, daß Bhṛgumuni feststellen sollte, welche der drei herrschenden Gottheiten die Eigenschaft der Güte oder Tugend in Vollkommenheit besitzt. Als Bhṛgumuni vor seinen Vater Brahmā trat, unterließ er es daher absichtlich, ihm Achtung zu erweisen, indem er ihm weder Ehrerbietungen noch Gebete darbrachte; er wollte so prüfen, ob sein Vater die Eigenschaft der Güte besitze. Ein Sohn oder Schüler hat die Pflicht, wenn er sich seinem Vater oder spirituellen Meister nähert, diesem Ehrerbietungen zu erweisen und Gebete zu sprechen. Bhṛgumuni jedoch unterließ es absichtlich, Brahmā seine Ehrerbietung zu bezeigen, weil er sehen wollte, wie Brahmā auf seine Nachlässigkeit reagieren würde. Brahmā wurde der Unverschämtheit seines Sohnes wegen sehr zornig, wie einige Merkmale es deutlich anzeigten. Er war sogar schon im Begriff, Bhṛgu zu verwünschen, doch weil dieser sein Sohn war, zügelte er klug seinen Zorn. Das zeigt, daß Brahmā, obwohl in ihm die Eigenschaft der Leidenschaft vorherrschte, die Macht hatte, über sie zu gebieten. Brahmās Zorn und das Zügeln seines Zorns werden mit Wasser und Feuer verglichen. Wasser wird vom Feuer erzeugt, doch zugleich kann Feuer mit Wasser gelöscht werden. In ähnlicher Weise wurde Brahmā aufgrund seiner leidenschaftlichen Natur sehr zornig, doch konnte er immer noch seine Leidenschaft beherrschen, weil Bhṛgumuni sein Sohn war. Nachdem Bhṛgumuni Brahmā geprüft hatte, begab er sich unverzüglich zu dem Planeten Kailāsa, auf dem Śiva lebt. Bhṛgumuni war Śivas Bruder, daher freute sich Śiva sehr, als er ihn kommen sah und stand auf, um ihn zu umarmen. Doch als Śiva auf Bhṛgumuni zukam, wich dieser seiner Umarmung aus. »Mein lieber Bruder«, sagte er, »du bist immer sehr unrein. Weil du deinen Körper mit Asche einreibst, bist du nicht sehr sauber. Bitte berühre mich nicht.« Als Bhṛgumuni es ablehnte, seinen Bruder zu umarmen und sagte, Śiva sei unrein, wurde dieser sehr zornig auf ihn. Es heißt, daß ein Vergehen entweder mit dem Körper, in Gedanken oder durch Worte begangen werden kann. Bhṛgumunis Vergehen gegen Brahmā war ein Vergehen durch Gedanken. Sein zweites Vergehen, das er sich gegen Śiva zuschulden kommen ließ, indem er ihm in verletzender Weise unsaubere Gewohnheiten vorwarf, war ein Vergehen mit Worten. Weil in Śiva die Erscheinungsweise der Unwissenheit überwiegt, liefen ihm sofort, als er Bhṛgus Schmähung vernahm, vor Zorn die Augen rot an. In unbezähmbarer Wut hob er seinen Dreizack und schickte sich an, Bhṛgumuni zu töten, doch war gerade Śivas Frau Pārvatī zugegen. Ihre Persönlichkeit ist eine Mischung der drei Erscheinungsweisen, weshalb sie Triguṇamayī genannt wird. In diesem Fall rettete sie die Situation, indem sie in Śiva die Eigenschaft der Güte weckte. Sie fiel ihrem Gatten zu Füßen und brachte ihn mit sanfter Worten von dem Vorsatz ab, Bhṛgumuni zu töten. Nachdem Bhṛgumuni vor Śivas Zorn gerettet worden war, begab er sich geradenwegs zu dem Planeten Śvetadvīpa, wo Śrī Viṣṇu auf einem Bett aus Blumen lag, während Seine Gemahlin, die Glücksgöttin, Ihm mit Hingabe die Lotosfüße massierte. Als Bhṛgumuni dort ankam, beging er in voller Absicht die größte Sünde, indem er Śrī Viṣṇu durch eine körperliche Tat schmähte. Das erste Vergehen hatte Bhṛgumuni mit dem Geist begangen, das zweite mit Worten und das dritte mit dem Körper. Diese Vergehen nahmen jedesmal an Stärke zu. Ein Vergehen, das mit dem Geist verübt wird, bezeichnet man als einfaches Vergehen; wenn das gleiche Vergehen mit Worten begangen wird, ist es schon schwerwiegender, und wenn es mit dem Körper verübt wird, ist es am schlimmsten. Bhṛgumuni beging somit das größte Vergehen, indem er in Anwesenheit der Glücksgöttin die Brust des Herrn mit dem Fuß berührte. Doch wie man weiß, ist Śrī Viṣṇu allgnadenvoll. Er wurde deshalb nicht zornig auf Bhṛgumuni, denn Bhṛgumuni war ein ehrenwerter brāhmaṇa. Einem brāhmaṇa muß verziehen werden, wenn er sich einmal ein Vergehen zuschulden kommen läßt, und Viṣṇu gab durch Sein körperliches Beispiel das Vorbild. Man sagt jedoch, daß die Glücksgöttin Lakṣmī seit jenem Vorfall den brāhmaṇas nicht sehr wohlgesinnt sei, und weil Lakṣmī somit den brāhmaṇas ihre Segnungen versagt, sind diese für gewöhnlich sehr arm. Als Bhṛgumuni Śrī Viṣṇus Brust mit dem Fuß berührte, lud er zweifellos ein großes Vergehen auf sich; doch Viṣṇu ist so großmütig, daß Er es ihm nicht übelnahm. Die vorgeblichen brāhmaṇas des Kali-yuga bilden sich manchmal viel darauf ein, daß sie die Brust Viṣṇus mit ihren Füßen berühren dürfen; doch als Bhṛgumuni Viṣṇus Brust mit dem Fuß berührte, war es etwas ganz anderes, denn obwohl dies das größte Vergehen war, nahm es Viṣṇu in Seiner Gnade nicht sehr ernst. Statt zornig zu werden oder Bhṛgumuni zu verfluchen, erhob Sich Śrī Viṣṇu sogleich zusammen mit Seiner Frau, der Glücksgöttin, von Seiner Bettstatt und brachte dem brāhmaṇa achtungsvolle Ehrerbietungen entgegen. Dann sprach er zu Bhṛgumuni: »Mein lieber brāhmaṇa, es tut Mir leid, daß Ich dich nicht gleich bei deiner Ankunft richtig empfangen konnte. Dieses Versäumnis war ein großes Vergehen Meinerseits, und Ich bitte dich, Mir zu vergeben. Du bist so rein und erhaben, daß das Wasser, mit dem deine Füße gewaschen wurden, selbst Pilgerorte noch läutern kann. Ich möchte dich daher bitten, auch diesen Vaikuṇṭha-Planeten zu läutern, auf dem Ich mit Meinen Gefährten lebe. Mein lieber Vater, o großer Weiser, Ich weiß, daß deine Füße sanft wie Lotosblüten sind und Meine Brust dagegen hart wie ein Blitzschlag. Ich befürchte, es könnte dir Schmerz bereitet haben, Meine Brust mit deinen Füßen zu berühren. Erlaube Mir deshalb, deine Füße zu berühren, um deine Schmerzen zu lindern.« Alsdann begann Śrī Viṣṇu, Bhṛgumunis Füße zu massieren. Der Herr sagte weiter zu Bhṛgumuni: »Mein lieber Herr, Meine Brust ist nun durch die Berührung deiner Füße geheiligt worden, und so bin ich Mir sicher, daß die Glücksgöttin Lakṣmī mit Freuden für immer an ihr bleiben wird.« Ein anderer Name Lakṣmīs ist Cañcalā, was bedeutet, daß sie nie lange an einem Ort verweilt. Deshalb geschieht es oft, daß die Familie eines reichen Mannes nach einigen Generationen plötzlich arm wird und die Familie eines Armen unvermittelt zu Reichtum gelangt. Lakṣmī, die Glücksgöttin, ist in der materiellen Welt Cañcalā; doch auf den Vaikuṇṭha-Planeten weilt sie ewig bei den Lotosfüßen des Herrn. Weil also Lakṣmī als Cañcalā bekannt sei, so deutete Nārāyaṇa an, sei sie normalerweise vielleicht nicht für immer an Seiner Brust geblieben, doch nun, da Seine Brust durch die Berührung von Bhṛgumunis Füßen geheiligt worden sei, sei nicht mehr daran zu denken, daß sie Ihn jemals verlassen werde. Bhṛgumuni aber kannte sehr wohl seine eigene Stellung und die des Herrn, und deshalb war seine Verwunderung über das Verhalten des Höchsten Persönlichen Gottes grenzenlos. Vor Beschämung über solchen Großmut versagte ihm die Stimme, und er war außerstande, dem Herrn etwas zu erwidern. Seine Augen standen in Tränen, und er konnte kein Wort hervorbringen. Er verharrte ganz einfach stumm vor dem Herrn. Als Bhṛgumuni also Brahmā, Śiva und Śrī Viṣṇu geprüft hatte, kehrte er zur Versammlung der großen Weisen am Ufer der Sarasvatī zurück und berichtete über seine Erlebnisse. Die Weisen gelangten, nachdem sie ihn mit großer Aufmerksamkeit angehört hatten, zu dem Schluß, daß Viṣṇu Sich von allen herrschenden Gottheiten im höchsten Maße in der Erscheinungsweise der Güte befinde. Im Śrīmad-Bhāgavatam werden die großen Weisen als brahma-vādinām bezeichnet. Brahma-vādinām bezieht sich auf diejenigen, die zwar über die Absolute Wahrheit sprechen, jedoch noch nicht zu einer Schlußfolgerung gelangt sind. Für gewöhnlich wird das Wort brahma-vādi für die Unpersönlichkeitsphilosophen oder die Studierenden der Veden gebraucht. Die versammelten Weisen waren also allesamt ernsthaft Studierende der vedischen Schriften, doch hatten sie noch nicht völlig erkannt, wer der Höchste Absolute Persönliche Gott ist. Nachdem die Weisen aber von Bhṛgumunis Erlebnissen bei seinen Begegnungen mit den drei herrschenden Gottheiten Brahmā, Śiva und Viṣṇu erfahren hatten, kamen sie zu dem Schluß, daß Viṣṇu die Höchste Wahrheit, der Persönliche Gott, ist. Im Śrīmad-Bhāgavatam heißt es, daß die Weisen, als sie von Bhṛgumuni alle Einzelheiten vernahmen, sehr darüber staunten, daß Viṣṇu, im Gegensatz zu Brahmā und Śiva, die sogleich zornig wurden, nicht die geringste Erregung zeigte, obwohl Bhṛgumuni Seine Brust mit dem Fuß berührte. Hier paßt das Beispiel, daß kleine Lampen schon beim geringsten Luftzug zu flackern beginnen, wohingegen der größte aller Leuchtkörper, die Sonne, sich nicht einmal beim schwersten Sturm bewegt. Die Größe einer Person ist daran zu messen, inwieweit diese fähig ist, Herausforderungen zu ertragen. Die Weisen, die sich am Ufer der Sarasvatī versammelt hatten, kamen zu dem Schluß, daß jeder, der wahren Frieden und wahre Freiheit von aller Furcht ersehnt, am besten bei Śrī Viṣṇus Lotosfüßen Zuflucht sucht. Wenn Brahmā und Śiva schon bei einer geringfügigen Kränkung ihren Gleichmut verloren, wie könnten sie dann ihren Geweihten bleibenden Frieden oder beständige Ausgeglichenheit geben? Was jedoch Viṣṇu betrifft, so erklärt die Bhagavad-gītā, daß jeder, der Viṣṇu oder Kṛṣṇa als den höchsten Freund anerkennt, die höchste Vollkommenheit friedvollen Lebens erreicht. Die Weisen gelangten also zu der Erkenntnis, daß man wahrhaft vollkommen werden kann, wenn man den Prinzipien des vaiṣṇava-dharma folgt. Wenn man aber allen religiösen Prinzipien einer Glaubensrichtung nachkommt und dabei keine Fortschritte in der Erkenntnis des Höchsten Persönlichen Gottes Viṣṇu macht, sind all solche Anstrengungen vergebliche Liebesmüh. Religiöse Prinzipien zu befolgen bedeutet, zur Ebene vollkommenen Wissens zu gelangen. Wenn man die Ebene vollkommenen Wissens erreicht hat, verliert man jedes Interesse an materiellen Angelegenheiten. Vollkommenes Wissen bedeutet, sowohl sich selbst als auch das Höchste Selbst zu kennen. Das Höchste Selbst und das individuelle Selbst sind, obwohl der Qualität nach eins, quantitativ voneinander verschieden. Dieses analytische Verständnis von Wissen ist vollkommen. Nur zu verstehen »ich bin nicht Materie; ich bin von spiritueller Natur«, ist noch kein vollkommenes Wissen. Das wahre religiöse Prinzip ist hingebungsvolles Dienen oder bhakti. Dies wird in der Bhagavad-gītā (18.66) bestätigt, in der Śrī Kṛṣṇa sagt: »Gib alle anderen religiösen Prinzipien auf und gib dich einfach Mir hin.« Daher gilt der Begriff dharma nur für den vaiṣṇava-dharma oder bhagavat-dharma, durch dessen Befolgung man alle guten Eigenschaften und Errungenschaften, die man im Leben erlangen kann, wie von selbst erhält. Das höchste und vollkommene Wissen besteht darin, den Höchsten Herrn zu kennen. Der Herr kann durch keinen anderen religiösen Vorgang erkannt werden als durch hingebungsvolles Dienen. Somit ist also vollkommenes Wissen das unmittelbare Ergebnis des hingebungsvollen Dienstes. Wenn man solches Wissen erlangt hat, verliert man all sein Interesse an der materiellen Welt. Dies geschieht jedoch nicht etwa durch trockene philosophische Spekulation. Die Gottgeweihten verlieren ihr Interesse an der materiellen Welt nicht durch rein theoretische Erkenntnis, sondern durch praktische Erfahrung. Wenn der Gottgeweihte die Wirkung des Zusammenseins mit dem Höchsten Herrn erfährt, verabscheut er naturgemäß den Umgang mit sogenannter Gesellschaft, Freundschaft und Liebe. Seine Loslösung von diesen Dingen ist nicht trocken, sondern beruht vielmehr darauf, daß er durch den Genuß transzendentaler Freuden eine höhere Lebensebene erreicht hat. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird weiter erklärt, daß man nach der Erlangung solchen Wissens und der Loslösung von materieller Sinnenbefriedigung ohne zusätzliche Anstrengungen Fortschritte in der Entwicklung der acht Kräfte macht, die man sonst nur durch die Übung mystischen yogas erwirbt, wie die animā-siddhi, laghimā-siddhi und prāpti-siddhi. Das vollkommene Beispiel ist Mahārāja Ambarīṣa. Er war kein yoga-Mystiker, sondern ein großer Gottgeweihter; doch als der mächtige yogi Durvāsā einen Streit mit ihm begann, geriet er durch Mahārāja Ambarīṣas Gotteshingabe ins Hintertreffen. Ein Gottgeweihter braucht sich also nicht im mystischen yoga zu üben, um zu Macht zu kommen. Die Macht steht ihm durch Kṛṣṇas Gnade bereits zur Verfügung, ebenso wie ein kleines Kind, das seinem mächtigen Vater gehorsam ist, die ganze Macht des Vaters hinter sich hat. Wenn jemand als Geweihter des Herrn berühmt wird, vergeht sein Ruhm niemals. Śrī Caitanya stellte einst in einem Gespräch mit Rāmānanda Rāya die Frage: »Welcher ist der größte Ruhm? Rāmānanda Rāya erwiderte, daß der vollkommene Ruhm darin bestehe, als reiner Geweihter Śrī Kṛṣṇas bekannt zu sein. Hieraus kann man schließen, daß der Viṣṇu-dharma oder die Religion des hingebungsvollen Dienstes für den Höchsten Persönlichen Gott für gedankenvolle Menschen bestimmt ist. Durch die richtige Nutzung seiner Besinnlichkeit gelangt man zu der Stufe, auf der man an den Höchsten Persönlichen Gott denkt. Und wenn man an den Höchsten Persönlichen Gott denkt, wird man von der unreinen und schädlichen Verbindung mit der materiellen Welt frei und somit von Frieden erfüllt. Die Welt befindet sich nur deshalb in einem Zustand der Unruhe, weil es der menschlichen Gesellschaft an solch friedvollen Gottgeweihten fehlt. Solange man kein Gottgeweihter ist, kann man nicht allen Lebewesen gleichgesinnt sein. In den Augen eines Gottgeweihten sind Tiere, Menschen und alle anderen Lebewesen gleich, denn er sieht ein jedes als ewiges Teil des Höchsten Herrn. In der Śrī Īśopaniṣad wird deutlich erklärt, daß jemand, der auf die Stufe gelangt ist, auf der er alle Lebewesen als gleich ansieht, niemanden verabscheut oder bevorzugt. Der Gottgeweihte strebt auch nicht nach mehr Besitz als er benötigt. Deshalb werden die Gottgeweihten akiñcana genannt, was bedeutet, daß sie in jeder Lebenslage zufrieden sind. Es heißt, daß ein Gottgeweihter immer Gleichmut wahrt, ganz gleich ob er sich im Himmel oder in der Hölle befindet. Einem Gottgeweihten ist alles, das nichts mit seinem hingebungsvollen Dienst zu tun hat, gleichgültig. Diese Art zu leben ist die Stufe der höchsten Vollkommenheit, von der aus man in die spirituelle Welt, zurück nach Hause, zurück zu Gott, gelangen kann. Die Geweihten des Höchsten Persönlichen Gottes fühlen sich besonders zur höchsten materiellen Eigenschaft, zur Erscheinungsweise der Tugend hingezogen, und ein fähiger brāhmaṇa ist die symbolische Verkörperung dieser Tugend. Deshalb hält sich der Gottgeweihte an die brahmanische Lebensstufe. Er befaßt sich nicht gern mit Leidenschaft oder Unwissenheit, wenngleich auch diese Erscheinungsweisen vom Höchsten Herrn, Viṣṇu, ausgehen. Im Śrīmad-Bhāgavatam werden die Gottgeweihten als nipuṇa-buddhayaḥ beschrieben, was bedeutet, daß sie die Intelligentesten unter den Menschen sind. Unbeeinflußt von Anhaftung oder Haß lebt der Gottgeweihte voller Frieden und wird nicht durch Leidenschaft oder Unwissenheit beirrt. Es mag die Frage aufkommen, warum sich ein Gottgeweihter zur Erscheinungsweise der Tugend hingezogen fühlen sollte, wenn er doch transzendental zu allen materiellen Erscheinungsweisen ist. Die Antwort lautet, daß die Menschen in den verschiedenen Erscheinungsweisen von verschiedener Art sind. Diejenigen, die sich in der Erscheinungsweise der Unwissenheit befinden, bezeichnet man als rākṣasas, jene in der Erscheinungsweise der Leidenschaft als asuras und solche in der Erscheinungsweise der Tugend als suras oder Halbgötter. Diese drei Arten von Menschen werden unter der Aufsicht des Höchsten Herrn von der materiellen Natur geschaffen, doch diejenigen, die sich in der Erscheinungsweise der Tugend befinden, haben am ehesten die Möglichkeit, in die spirituelle Welt erhoben zu werden und zurück nach Hause, zurück zu Gott zu gelangen. So wurden alle Weisen, die sich am Ufer des Flußes Sarasvatī versammelt hatten, um herauszufinden, wer die höchste herrschende Gottheit sei, von allen Zweifeln an der Verehrung Viṣṇus befreit. Sie alle wandten sich danach dem hingebungsvollen Dienst zu, erreichten somit das Ziel ihrer Wünsche und kehrten zu Gott zurück. Wer den ernsthaften Wunsch hat, von aller materiellen Verstrickung befreit zu werden, tut gut daran, ohne Zögern Śukadeva Gosvāmīs Schlußfolgerung anzunehmen, die er uns am Anfang des Śrīmad-Bhāgavatam mitteilt. Es heißt an dieser Stelle, daß das Hören des Śrīmad-Bhāgavatam auf dem Weg zur Befreiung außerordentlich hilfreich ist, da dieses Werk von Śukadeva Gosvāmī gesprochen wurde. Das gleiche wurde später von Sūta Gosvāmī bestätigt, der sagte: »Wenn jemand, der hilflos in der materiellen Welt umherirrt, bereit ist, den nektargleichen Worten Śukadeva Gosvāmīs zuzuhören, wird er mit Sicherheit zur richtigen Schlußfolgerung gelangen und ganz einfach durch hingebungsvolles Dienen für den Höchsten Persönlichen Gott der ermüdenden Wanderung von Körper zu Körper ein für allemal ein Ende bereiten. Dies bedeutet, mit anderen Worten, daß man durch richtiges Hören im liebevollen Dienst Śrī Viṣṇus gefestigt und dadurch von der Reise durch das materielle Dasein erlöst werden kann. Der Vorgang ist sehr einfach: man muß den köstlichen Worten Gehör schenken, die von Śukadeva Gosvāmī in der Form des Śrīmad-Bhāgavatam gesprochen wurden. Wichtig ist auch, daß man niemals denken sollte, Halbgötter wie Brahmā und Śiva befänden sich auf der gleichen Ebene wie Śrī Viṣṇu. Tun wir dies nämlich, werden wir, wie das Padma Purāṇa erklärt, auf der Stelle zu Atheisten. Im Harivaṁśa, einer anderen vedischen Schrift, wird gesagt, daß ganz allein der Höchste Persönliche Gott, Viṣṇu, verehrt werden soll. Deshalb muß man ständig den Hare-Kṛṣṇa-mahā-mantra oder einen anderen Viṣṇu-mantra chanten. Im Zweiten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam sagt Brahmā: »Śiva und ich selbst sind vom Höchsten Persönlichen Gott mit verschiedenen Aufgaben betraut worden und handeln bei ihrer Erfüllung unter Seiner Führung.« Auch im Caitanya-caritāmṛta wird bestätigt, daß Kṛṣṇa der einzige Meister ist und alle anderen Lebewesen in den verschiedenen Arten des Lebens Kṛṣṇas Diener sind. In der Bhagavad-gītā (7.7) erklärt der Herr, daß es keine Wahrheit über Ihm, Kṛṣṇa, gibt. Weil auch Śukadeva auf die Tatsache aufmerksam machen wollte, daß von allen Viṣṇu-tattvas Kṛṣṇa zu 100% der Höchste Persönliche Gott ist, erzählte er von einer Begebenheit, die sich ereignete, als Kṛṣṇa auf Erden war. Es begab sich einst, daß die Frau eines brāhmaṇa ein Kind zur Welt brachte. Unglücklicherweise jedoch starb das Kind, kurz nachdem es bei der Geburt den Boden berührt hatte. Der brāhmaṇa-Vater nahm sogleich das tote Kind und ging auf direktem Wege nach Dvāraka zum Palast des Königs. Er war sehr bestürzt über den frühen Tod seines Kindes in Anwesenheit seiner jungen Eltern, und so erregte der Vorfall sein Gemüt. Früher, d. h. bis zur Zeit des Erscheinens Śrī Kṛṣṇas am Ende des Dvāpara-yuga, als es noch Könige gab, die Verantwortung trugen, konnten dem Herrscher sogar für den frühzeitigen Tod eines Kindes, das im Beisein seiner Eltern starb, Vorwürfe gemacht werden. Ähnlich verhielt es sich auch mit der Verantwortlichkeit des Königs während der Regierungszeit Rāmacandras. Wie wir im Ersten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam erklärt haben, war der König in solchem Maße für das Wohlergehen der Bürger verantwortlich, daß er sogar dafür sorgen mußte, daß in seinem Königreich keine ungewöhnliche Hitze oder Kälte herrschte. Obwohl den König in diesem Fall keine Schuld traf, begab sich der brāhmaṇa, der so früh sein Kind verloren hatte, auf der Stelle zum Tor des Palastes und klagte den König mit folgenden Worten an: »Der gegenwärtige König, Ugrasena, ist den brāhmaṇas übelgesinnt.« Das genaue Wort, das er gebrauchte, war brāhma-dviṣaḥ. Jemand, der gegen die Veden, einen befähigten brāhmaṇa oder die brāhmaṇa-Kaste Mißgunst hegt, wird als brahma-dvit bezeichnet. Dem König wurde also vorgeworfen, ein brahma-dvit zu sein. Auch wurde er bezichtigt, śaṭha-dhī, nicht wirklich intelligent zu sein. Der Führer eines Staates muß sehr intelligent sein, um für das Wohl seiner Bürger sorgen zu können. Nach der Ansicht des brāhmaṇa verfügte König Ugrasena nicht über die geringste Intelligenz, obwohl er auf dem Königsthron saß. Deshalb bezeichnete er ihn auch als lubdha, gierig. Ein König oder Staatsführer, der gierig oder selbstsüchtig ist, sollte nicht das hohe Amt der Präsidentschaft oder Königswürde ausüben. Es ist nur natürlich, daß ein Staatsführer selbstsüchtig wird, wenn er an materiellem Genuß hängt. Deshalb gebrauchte der brāhmaṇa auch das Wort viṣayātmanaḥ. Weiterhin zieh er den König, ein kṣatra-bandhu zu sein, womit ein Mensch gemeint ist, der zwar in einer kṣatriya-Familie oder in einem Königsgeschlecht geboren wurde, aber nicht die Eigenschaft eines Edelmannes besitzt. Ein König muß die brahmanische Kultur schützen und über das Wohl seiner Untertanen wachen; er sollte niemals aus Anhaftung an materiellem Genuß gierig werden. Wenn sich jemand als kṣatriya oder Angehöriger des königlichen Standes ausgibt, ohne die Eigenschaften eines solchen zu besitzen, ist er kein kṣatriya, sondern ein kṣatra-bandhu. In ähnlicher Weise wird jemand, der zwar als Sohn eines brāhmaṇa geboren wurde, jedoch keine brahmanischen Fähigkeiten besitzt, als brahma-bandhu oder dvija-bandhu bezeichnet. Das bedeutet, daß man nicht allein seiner Herkunft wegen als brāhmaṇa oder kṣatriya gilt. Vielmehr muß man sich für die betreffende Stellung eignen; nur dann kann man als brāhmaṇa oder kṣatriya anerkannt werden. Der brāhmaṇa warf dem König also vor, sein Neugeborenes sei durch dessen Unfähigkeit gestorben. Der brāhmaṇa hielt den König dafür verantwortlich, weil ihm das Ganze höchst unnatürlich erschien. Es sind aus der vedischen Geschichte auch Beispiele von kṣatriya-Königen bekannt, die, weil sie unverantwortlich handelten, durch einen Zusammenschluß beratender brāhmaṇas, die der Adel unterhielt, entthront wurden. An all dem wird deutlich, daß das Königsamt zur Zeit der vedischen Zivilisation ein hohes Maß an Verantwortung mit sich brachte. Der brāhmaṇa sagte deshalb: »Niemand sollte einem König, der nur Mißgunst im Sinn hat, Achtung erweisen oder ihn verehren. Ein solcher König verbringt seine Zeit damit, entweder Tiere im Wald zu jagen und umzubringen oder Untertanen für ihre Verbrechen zu töten. Er kennt keine Selbstbeherrschung und hat einen üblen Charakter. Wenn die Bürger einen solchen König verehren oder respektieren, werden sie niemals glücklich sein. Sie werden immer in Armut leben, voller Ängste und Kümmernisse und stets unglücklich.« Obgleich die Politik der Gegenwart das Königsamt abgeschafft hat, wird der Präsident nicht für das Wohl der Bürger verantwortlich gemacht. Im Zeitalter des Kali ist es üblich, daß sich jemand auf diese oder jene Weise seine Stimmenmehrheit verschafft und so zur hohen Stellung des Staatsführers gelangt. Das Leben der Bürger aber bleibt, wie zuvor, voller Ängste, Leid, Kummer und Unzufriedenheit. Auch das zweite Kind des brāhmaṇas kam tot zur Welt und ebenso das dritte. Der brāhmaṇa hatte insgesamt neun Kinder, und jedes von ihnen wurde tot geboren. Jedesmal kam er zum Palasttor und klagte den König an. Als der brāhmaṇa zum neunten Mal kam, um dem König von Dvārakā Vorwürfe zu machen, waren auch Arjuna und Kṛṣṇa zugegen. Als Arjuna hörte, wie der brāhmaṇa den König beschuldigte, ihn nicht gebührend zu beschützen, wurde er neugierig und fragte: »Mein lieber brāhmaṇa, wie kommst du dazu zu sagen, es gebe keine echten kṣatriyas, die die Bürger deines Landes beschützen? Ist nicht einmal jemand da, der vorgeben kann, kṣatriya zu sein, und Bogen und Pfeile zu tragen vermag, um wenigstens so zu tun, als könne er jemanden beschützen? Denkst du vielleicht, alle Männer aus königlichem Geschlecht in diesem Land brächten ihre Zeit nur damit zu, mit den brāhmaṇas Opfer auszuführen, doch besäßen sie weder Tapferkeit noch Kraft?« Mit diesen Worten wies Arjuna darauf hin, daß sich kṣatriyas nicht gemütlich zur Ruhe setzen dürfen, um sich nur noch der Ausführung vedischer Rituale zu widmen. Vielmehr müssen sie mit aller Tapferkeit die Bürger beschützen. Da die brāhmaṇas spirituellen Tätigkeiten nachgehen, darf man von ihnen nichts erwarten, das körperlicher Anstrengung bedarf. Sie müssen deshalb von den kṣatriyas beschützt werden, so daß sie bei ihren höheren Pflichten und Tätigkeiten nicht gestört werden. Arjuna sagte weiter: »Wenn die brāhmaṇas wider Willen von ihren Frauen oder Kindern getrennt werden und die kṣatriya-Könige ihnen nicht helfen, sind solche kṣatriyas nicht höher einzuschätzen als Schauspieler.« In einem Schauspiel auf der Bühne kann ein Darsteller zwar die Rolle eines Königs spielen, doch niemand erwartet von einem solchen vorgeblichen König wirklichen Nutzen. Ebenso muß ein König oder Staatsführer, der den Kopf des gesellschaftlichen Körpers nicht zu schützen vermag, als Schwindler angesehen werden. Solche Führer denken, während sie die hohen Ämter von Staatsoberhäuptern bekleiden, nur an ihr eigenes Auskommen. »Mein lieber Herr«, fuhr Arjuna fort, »ich verspreche dir, daß ich deine künftigen Kinder beschützen werde, und sollte mir dies nicht gelingen, werde ich mich in ein lodernes Feuer stürzen, damit die sündige Unreinheit, die über mich gekommen ist, getilgt wird.« Als der brāhmaṇa diese Worte Arjunas vernahm, entgegnete er: »Mein lieber Arjuna, Śrī Balarāma lebt hier, doch Selbst Er konnte meine Kinder nicht beschützen, und auch Śrī Kṛṣṇa weilt unter uns und konnte ihnen keinen Schutz bieten. Es sind hier noch viele andere Helden, wie Pradyumna und Aniruddha, die mit Bogen und Pfeilen umzugehen wissen, doch keiner von ihnen war imstande, meine Kinder zu beschützen.« Der brāhmaṇa gab Arjuna somit deutlich zu verstehen, daß dieser nicht etwas vollbringen könne, was für den Höchsten Persönlichen Gott unmöglich gewesen sei. Er hatte das Gefühl, Arjuna verspreche etwas, das jenseits seiner Möglichkeiten liege. Der brāhmaṇa sagte: »In meinen Augen gleicht dein Versprechen dem eines unerfahrenen Kindes. Ich kann deine Worte nicht ernst nehmen.« Arjuna erkannte, daß der brāhmaṇa alles Vertrauen in die kṣatriya-Könige verloren hatte. Um ihm daher wieder Zuversicht zu geben, sprach Arjuna in solcher Weise zu ihm, daß es schien, als tadele er sogar seinen Freund Śrī Kṛṣṇa. Während Kṛṣṇa und einige andere ihm zuhörten, wandte er sich vor allem gegen Kṛṣṇa, indem er sagte: »Mein lieber brāhmaṇa, ich bin weder Saṅkarṣaṇa noch Kṛṣṇa, noch einer von Kṛṣṇas Söhnen wie Pradyumna und Aniruddha. Mein Name ist Arjuna, und ich trage den bekannten Gāṇḍīva-Bogen. Zu Unrecht schmähst du mich, denn ich zog selbst Śivas Wohlgefallen durch meine Kühnheit auf mich, als wir beide im Wald jagten. Ich kämpfte damals mit Śiva, der als Jäger vor mir erschienen war, und als ich ihn schließlich durch meine Kühnheit erfreute, gab er mir die Waffe, die als paśupatāstra berühmt ist. Zweifle also nicht an meiner Tapferkeit. Ich werde dir deine Söhne zurückbringen – selbst wenn ich mit dem Tod in Person kämpfen muß.« Der brāhmaṇa war, als Arjuna ihm mit solch stolzen Worten Zuversicht einflößte, mit einem Mal überzeugt und kehrte also nach Hause zurück. Als die Frau des brāhmaṇa wieder ein Kind zur Welt bringen sollte, chantete der brāhmaṇa: »Mein lieber Arjuna, bitte komme schnell und rette mein Kind!« Als Arjuna sein Gebet vernahm, machte er sich bereit, indem er Weihwasser berührte und heilige mantras sprach, um Bogen und Pfeile vor Gefahr zu schützen. Er achtete besonders darauf, den Pfeil mitzunehmen, den Śiva ihm geschenkt hatte. Auf dem Weg dachte er an Śiva und dessen große Gunst, und so erschien er mit seinem Bogen Gāṇdīva und mancherlei anderen Waffen vor dem Haus des brāhmaṇa. Offensichtlich hatte Arjuna die ganze Zeit über Dvārakā nicht verlassen, da er sein Versprechen an den brāhmaṇa erfüllen mußte. Es war Nacht, als er gerufen wurde, weil die Frau des brāhmaṇa ihr Kind gebären sollte. Während Arjuna zum Haus des brāhmaṇa ging, um bei der Geburt zugegen zu sein, gedachte er Śivas, und nicht seines Freundes Kṛṣṇa, Er hielt es für klüger, bei Śiva Zuflucht zu suchen, weil, wie er meinte, Kṛṣṇa dem brāhmaṇa nicht hatte helfen können. Dies ist ein Beispiel eines Menschen, der Zuflucht bei den Halbgöttern sucht. In der Bhagavad-gītā (7.20) wird dies wie folgt erklärt: kāmais tais tair hṛta jñānāḥ. »Ein Mensch, der aufgrund von Gier und Lust seine Intelligenz verliert, vergißt den Höchsten Persönlichen Gott und sucht Zuflucht bei den Halbgöttern.« Arjuna war natürlich kein gewöhnliches Lebewesen, doch weil er mit Kṛṣṇa freundschaftlichen Umgang pflegte, glaubte er, der Herr sei nicht imstande, die brāhmaṇas zu beschützen, und er täte daher besser daran, sich an Śiva zu erinnern. Wie sich später herausstellen sollte, hatte Arjuna nicht den geringsten Erfolg damit, daß er bei Śiva statt bei Kṛṣṇa Zuflucht suchte. Jedoch gab sich Arjuna größte Mühe, indem er vielerlei mantras chantete und seinen Bogen bereithielt, um das Haus des brāhmaṇa von allen Seiten zu schützen. Die Frau des brāhmaṇa gebar ein männliches Kind, das sogleich, wie es natürlich ist, zu schreien begann. Doch plötzlich, innerhalb weniger Minuten, verschwanden sowohl das Kind als auch Arjunas Pfeile in der Luft. Es war nämlich so, daß das Haus des brāhmaṇa in der Nähe von Kṛṣṇas Residenz lag, und daß Śrī Kṛṣṇa – scheinbar Seiner Macht zum Hohne – an allem, was geschah, Seine Freude hatte. Er war es auch, der den Streich gespielt hatte, das Kind des brāhmaṇa und die Pfeile Arjunas – auch den Śivas, der Arjunas ganzer Stolz gewesen war – verschwinden zu lassen. Tad bhavaty-alpa-medhasām: Weniger Intelligente suchen aus Verwirrung Zuflucht bei den Halbgöttern und sind mit den Segnungen zufrieden, die diese ihnen gewähren. Der brāhmaṇa begann sogleich in Gegenwart Kṛṣṇas und anderer, Arjuna anzuklagen: »Ein jeder sehe meine Dummheit! Ich habe den Worten Arjunas vertraut, der ein Schwächling ist und sich auf nichts versteht, außer auf falsche Versprechungen. Er versprach, mein Kind zu beschützen, obwohl selbst Pradyumna, Aniruddha, Śrī Balarāma und Śrī Kṛṣṇa dies nicht vermochten. Wenn schon diese großen Persönlichkeiten meine Kinder nicht zu retten vermochten, wer könnte es dann noch tun? Verwünscht sei daher Arjuna wegen seines falschen Versprechens, verwünscht sei sein berühmter Bogen Gāṇḍīva und seine Unverschämtheit, mit der er behauptete, er sei mächtiger als Śrī Balarāma, Śrī Kṛṣṇa, Pradyumna und Aniruddha. Niemand vermag mein Kind zu retten, denn es ist bereits auf einem anderen Planeten gebracht worden. Aus reiner Dummheit nur dachte Arjuna, er könne mein Kind von einem anderen Planeten zurückholen.« Als Arjuna so von dem brāhmaṇa verdammt worden war, stattete er sich mit einer mystischen yoga-Kraft aus, die es ihm ermöglichte, zu jedem beliebigen Planeten zu reisen, denn er wollte versuchen, das Kind des brāhmaṇa zu finden. Wie es scheint beherrschte Arjuna die mystische Kraft, vermittels derer die yogīs auf Wunsch zu jedem Planeten reisen können. Als erstes begab er sich zu dem Planeten Yamaloka, auf dem Yamarāja, der Oberaufseher des Todes, lebt. Er konnte jedoch das Kind trotz allen Suchens nicht finden. Darauf begab er sich zu dem Planeten, auf dem Indra, der König des Himmels herrscht. Als er auch dort das Kind nicht entdecken konnte, reiste er zu den Planeten des Feuergottes, Nairṛti, und von dort zum Mond. Auf Vāyuloka und Varuṇloka setzte er seine Suche fort, und als auch dort das Kind nicht aufzufinden war, fuhr er hinab zu den Rasātala-Planeten, dem niedrigsten Planetensystem im Universum. Nachdem er all diese Planeten bereist hatte, begab er sich schließlich nach Brahmaloka, wohin nicht einmal die mystischen yogīs gehen können. Durch Kṛṣṇas Gnade besaß Arjuna auch dazu die Macht, und so reiste er hoch über die himmlischen Planeten hinaus nach Brahmaloka. Zu guter Letzt, als er das Kind nicht finden konnte, obwohl er auf allen nur denkbaren Planeten geforscht hatte, wollte sich Arjuna ins Feuer stürzen, wie er es dem brāhmaṇa für den Fall versprochen hatte, daß es ihm nicht gelingen sollte, das Kind zurückzubringen. Śrī Kṛṣṇa jedoch war Arjuna sehr wohlgesinnt, denn Arjuna war der engste Freund des Herrn. Er redete Arjuna zu, nicht der Schande wegen ins Feuer zu gehen, und wies ihn darauf hin, daß Arjuna Ihm, da er Sein Freund sei, indirekt schaden werde, wenn er eine solche Verzweiflungstat begehe. Indem Er Arjuna noch versicherte, daß Er das Kind schon finden werde, hielt Er ihn davon ab, sich das Leben zu nehmen. Er sagte zu Arjuna: »Begehe nicht aus Torheit Selbstmord.« Nachdem Kṛṣṇa so zu Arjuna gesprochen hatte, rief Er Seinen transzendentalen Streitwagen herbei, bestieg ihn mit Arjuna und lenkte ihn nach Norden. Śrī Kṛṣṇa, der allmächtige Höchste Persönliche Gott, hätte das Kind natürlich ohne weiteres zurückbringen können, doch müssen wir stets bedenken, daß Er die Rolle eines gewöhnlichen Menschen spielte. Weil ein Mensch eine Anstrengung unternehmen muß, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen, verließ Kṛṣṇa Dvārakā wie ein gewöhnlicher Sterblicher oder wie Sein Freund Arjuna, um das Kind des brāhmaṇas zurückzuholen. Als Kṛṣṇa einem Menschen ähnlich unter den Menschen erschien und Seine transzendentalen Spiele entfaltete, zeigte Er deutlich, daß keine Persönlichkeit größer ist als Er. »Gott ist groß«, so lautet die Definition für den Höchsten Persönlichen Gott. Kṛṣṇa bewies also zumindest, als Er in der materiellen Welt gegenwärtig war, daß es im ganzen Universum keine größere Persönlichkeit gibt als Ihn. Kṛṣṇa fuhr mit Arjuna nordwärts und ließ viele Planetensysteme hinter sich. Im Śrīmad-Bhāgavatam werden diese Planetensysteme als sapta-dvīpa bezeichnet. Dvīpa bedeutet »Insel«. Alle Planeten werden in den vedischen Schriften als dvīpas beschrieben. Der Planet zum Beispiel, auf dem wir leben, heißt Jambūdvīpa. Der Weltraum wird als großer Ozean aus Luft betrachtet, in dem sich viele Inseln befinden, nämlich die Planeten. Auch auf jedem der Planeten gibt es Ozeane. Einige bestehen aus Salzwasser, andere aus Milch, wieder andere aus alkoholartigen Flüssigkeiten, und auf manchen Planeten gibt es Ozeane aus Butterfett oder Öl. Die Gebirge auf den einzelnen Planeten sind ebenfalls von unterschiedlichster Art, und so sind es auch die Atmosphären, die sie umgeben. Kṛṣṇa ließ all diese Planeten hinter sich und erreichte die Umhüllung des Universums. Diese Umhüllung wird im Śrīmad-Bhāgavatam als »große Dunkelheit« beschrieben. Die ganze materielle Welt ist, wie dort erklärt wird, dunkel. Der offene Weltraum wird zwar von den Strahlen der Sonne erhellt, doch in der Umhüllung ist es völlig dunkel, weil dort kein Sonnenlicht hingelangt. Als Kṛṣṇa auf die Umhüllung des Universums zufuhr, schienen die vier Pferde, die Seinen Wagen zogen – Śaibya, Sugrīva, Meghapuṣpa und Balāhaka – vor der Dunkelheit zurückzuschrecken. Dieses Scheuen von Kṛṣṇas Pferden ist ein Teil der transzendentalen Spiele Śrī Kṛṣṇas, denn Seine Pferde sind nicht von gewöhnlicher Art. Gewöhnliche Pferde könnten niemals durch das ganze Universum laufen und dann in die umhüllenden Schichten eindringen. Ebenso wie Kṛṣṇa transzendental ist, sind auch Seine Streitwagen, Seine Pferde und alles sonst noch mit Ihm Verbundene transzendental, d. h. jenseits der Erscheinungsweisen der materiellen Welt. Wir müssen stets bedenken, daß Kṛṣṇa die Rolle eines gewöhnlichen Menschen spielte, und ebenso spielten auch seine Pferde, ganz nach Seinem Willen, die Rollen gewöhnlicher Pferde, als sie zögerten, in die Dunkelheit zu laufen. Wie im letzten Teil der Bhagavad-gītā steht, ist Kṛṣṇa als Yogeśvara bekannt. Es heißt dort »yogeśvara hari«, was bedeutet, daß alle mystischen Kräfte von Ihm beherrscht werden. Auch heute gibt es viele Menschen, die mystische yoga-Kräfte beherrschen und zuweilen eindrucksvolle Wundertaten vollbringen; Kṛṣṇa aber ist der Meister aller mystischen Kräfte. Als solcher schleuderte Er, als Er saḥ, daß Seine Pferde vor der Dunkelheit scheuten, Sein Feuerrad, den berühmten Sudarśana-cakra, der den Raum um ein Tausendfaches heller erleuchtete als es das Licht der Sonne vermocht hätte. Die Dunkelheit der Umhüllung des Universums ist ebenfalls eine Schöpfung Kṛṣṇas, und der Sudarśana-cakra ist Kṛṣṇas ständiger Begleiter. Der Herr durchdrang die Finsternis, indem Er den Sudarśana-cakra vor Sich herfliegen ließ. Das Śrīmad-Bhāgavatam erklärt an dieser Stelle, daß der Sudarśana-cakra die Dunkelheit ebenso durchdrang wie ein Pfeil von Rāmacandras Śārṅga-Bogen das Heer Rāvaṇas. Su bedeutet »sehr gut« und darśana bedeutet »Sicht«; dank Śrī Kṛṣṇas Feuerrad Sudarśana war alles sehr gut zu sehen, und nichts blieb in der Dunkelheit. So durchquerten Kṛṣṇa und Arjuna den weiten Bereich der Dunkelheit, die das Universum bedeckt. Nach einiger Zeit gewahrte Arjuna das strahlende Licht des brahmajyoti. Das brahmajyoti liegt außerhalb der Bedeckung des Universums, und da wir es mit unseren gegenwärtigen Augen nicht sehen können, wird es auch als avyakta bezeichnet. Diese spirituelle Ausstrahlung ist das endgültige Ziel der Unpersönlichkeitsanhänger oder Vedāntis. Das brahmajyoti wird auch als ananta-pāram, als unbegrenzt und unergründlich beschrieben. Als Kṛṣṇa und Arjuna den Bereich des brahmajyoti erreichten, mußte Arjuna die Augen schließen, weil er das gleißende Licht nicht ertragen konnte. Auf welche Weise Kṛṣṇa und Arjuna das brahmajyoti erreichten, wird im Harivaṁśa geschildert. In diesem Teil der vedischen Schriften teilt Kṛṣṇa Arjuna mit: »Mein lieber Arjuna, die gleißenden Strahlen des transzendentalen Lichts, das du siehst, sind die Ausstrahlungen Meines Körpers. O Oberhaupt der Nachkommen Bharatas, Ich Selbst bin das brahmajyoti.« So wie der Sonnenplanet und das Sonnenlicht nicht voneinander zu trennen sind, sind auch Kṛṣṇa und die Strahlen Seines Körpers, das brahmajyoti, nicht voneinander zu trennen. Daher sagt Kṛṣṇa, Er Selbst sei das brahmajyoti. Dies wird im Harivamśa deutlich zum Ausdruck gebracht, als Kṛṣṇa sagt: ahaṁ saḥ. Das brahmajyoti setzt sich aus winzigen Teilchen zusammen, den spirituellen Funken oder Lebewesen, die man auch als citkana bezeichnet. Der vedische Ausspruch so'ham, »Ich bin das brahmajyoti«, kann auch auf die Lebewesen bezogen werden, die sich ebenfalls als zum brahmajyoti gehörend bezeichnen können. Kṛṣṇa erklärte weiter im Harivaṁśa: »Das brahmajyoti ist eine Erweiterung Meiner spirituellen Energie.« Kṛṣṇa sagte zu Arjuna: »Das brahmajyoti liegt jenseits des Bereichs Meiner äußeren Energie, māyā śakti.« Wenn man sich in der materiellen Welt befindet, kann man die Brahman-Ausstrahlung nicht wahrnehmen. Diese Ausstrahlung ist also in der materiellen Welt nicht manifestiert, sondern nur in der spirituellen. Das ist die Erklärung des Begriffs vyakta-avyakta. In der Bhagavad-gītā (8.20) heißt es avyakto'vyaktāt sanātanaḥ: »Beide Energien sind ewig manifestiert.« Als nächstes begaben sich Śrī Kṛṣṇa und Arjuna in ein riesiges spirituelles Gewässer. Dieses spirituelle Gewässer wird der Kāraṇārṇava-Ozean oder Virajā genannt, was bedeutet, daß dieser Ozean der Schöpfungsursprung der materiellen Welt ist. Im Mṛtyuñjaya-tantra, einer vedischen Schrift, findet sich eine ausführliche Beschreibung des Kāraṇa-Ozeans oder Virajā. Es heißt dort, daß das höchste Planetensystem in der materiellen Welt Satyaloka oder Brahmaloka ist, daß jedoch weit entfernt davon Rudraloka und Mahā-Viṣṇuloka liegen. Von Mahā-Viṣṇuloka wird in der Brahma-saṁhitā gesagt: yaḥ kāraṇārnava-jale bhajati sma yoga: »Śrī Mahā Viṣṇu liegt auf dem Kāraṇa-Ozean.« Wenn Er ausatmet, treten unzählige Universen ins Dasein, und wenn Er einatmet, gehen sie wieder in Ihn ein.« Auf diese Weise wird die materielle Schöpfung hervorgebracht und wieder zurückgezogen. Als Kṛṣṇa und Arjuna in das Wasser eingingen, schien dort ein heftiger Sturm transzendentaler Ausstrahlung in der Luft zu liegen, denn das Wasser des Kāraṇa-Ozeans war sehr aufgewühlt. Durch die Gnade Kṛṣṇas hatte Arjuna so das einzigartige Erlebnis, den herrlichen Kāraṇa-Ozean zu sehen. Gemeinsam mit Kṛṣṇa sah Arjuna einen gewaltigen Palast im Wasser. Er wurde von Tausenden von Pfeilern und Säulen aus kostbaren Edelsteinen getragen, deren leuchtendes Funkeln so überaus schön anzusehen war, daß Arjuna ganz bezaubert wurde. Im Innern des Palastes sahen Kṛṣṇa und Arjuna die gigantische Gestalt Anantadevas, der auch als Śeṣa bekannt ist. Śrī Anantadeva oder Śeṣanāga hatte die Gestalt einer großen Schlange mit Tausenden von Köpfen, von denen jeder einzelne mit köstlich strahlenden Juwelen geschmückt war, die wunderbar funkelten. Aus jedem Kopf Anantadevas schauten zwei grimmige Augen; Sein Körper war weiß wie der Berggipfel von Kailāsa, der immer von Schnee bedeckt ist, und Sein Hals hatte, genau wie seine Zungen, eine blaue Tönung. Arjuna sah nicht nur die Gestalt Śeṣanāgas, sondern er gewahrte auch, daß Śrī Mahā-Viṣṇu in bequemer Haltung auf dem sanften, weißen Körper Śesanāgas ruhte. Man sah Ihm an, daß Er alldurchdringend und überaus mächtig war, und so verstand Arjuna, warum der Höchste Persönliche Gott in der vor ihm gegenwärtigen Gestalt als Puruṣottama bekannt ist. Man nennt Ihn deshalb Puruṣottama oder den Besten, den Höchsten Persönlichen Gott, weil aus Ihm eine weitere Gestalt Viṣṇus hervorgeht, die in der materiellen Welt als Garbhodakaśāyī Viṣṇu bekannt ist. Puruṣottama, die Gestalt des Höchsten Herrn als Mahā-Viṣṇu, befindet Sich jenseits der materiellen Welt. Daher nennt man Ihn Uttama. Tama bedeutet Dunkelheit, und ut bedeutet »über« oder »transzendental«. Uttama bedeutet also »über der materiellen Welt, dem dunkelsten Bereich, stehend.« Arjuna sah auch, daß die Körpertönung Puruṣottamas, Mahā-Viṣṇus, dunkel war wie eine frische Wolke zur Regenzeit; Er war in herrliche, gelbe Gewänder gekleidet; auf Seinem Antlitz lag stets ein bezauberndes Lächeln, und Seine Augen, die Lotosblüten glichen, waren von zauberhafter Schönheit. Mahā-Viṣṇus Helm war reich mit kostbaren Edelsteinen verziert, und Seine köstlichen Ohrringe hoben die Schönheit Seines lockigen Haares noch mehr hervor. Śrī Mahā-Viṣṇu hatte acht Arme, die alle sehr lang waren und Ihm deshalb bis an die Knie reichten; Seinen Hals schmückte das Kaustubha-Juwel, und auf Seiner Brust war das śrīvatsa-Zeichen zu sehen, das den Aufenthaltsort der Glücksgöttin kennzeichnet. Dazu trug der Herr eine Girlande aus Lotosblüten, die Ihm bis an die Knie reichte. Diese lange Girlande ist als vaijayantī bekannt. In nächster Nähe des Herrn standen Seine vertrauten Gefährten Nanda und Sunanda und der Sudarśana-cakra in Person. Wie in den Veden erklärt wird, besitzt der Herr unzählige Energien, und diese standen ebenfalls als Personen bei Ihm. Die bedeutendsten waren: puṣṭi, die Energie der Ernährung, śrī, die Energie der Schönheit, kīrti, die Energie des Ruhms, und ajā, die Energie der materiellen Schöpfung. All diese Energien sind den Verwaltern der materiellen Welt Brahmā, Śiva und Viṣṇu und den Königen der himmlischen Planeten Indra, Candra, Varuṇa und dem Sonnengott verliehen worden. Die Halbgötter, die also vom Herrn durch bestimmte Energien mit Macht versehen sind, stehen alle im transzendentalen liebevollen Dienst des Höchsten Persönlichen Gottes. Die Gestalt Mahā-Viṣṇu ist eine Erweiterung von Kṛṣṇas Körper. Auch in der Brahma-saṁhitā wird bestätigt, daß Mahā-Viṣṇu ein Teil einer vollständigen Erweiterung Kṛṣṇas ist. All diese Erweiterungen sind zwar nicht vom Persönlichen Gott verschieden, weil aber Kṛṣṇa in die materielle Welt kam, um Seine Spiele zu entfalten, bei denen Er wie ein Mensch erscheinen wollte, brachten Er und Arjuna Mahā-Viṣṇu sogleich ihre Ehrerbietungen dar, indem sie sich vor Ihm verneigten. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird tatsächlich berichtet, daß Śrī Kṛṣṇa Mahā-Viṣṇu Ehrerbietungen darbrachte; hierbei ist zu verstehen, daß Er Mahā-Viṣṇu Ehrerbietungen erwies, weil dieser nicht von Ihm verschieden ist. Kṛṣṇas Ehrfurcht vor Mahā-Viṣṇu hat jedoch nichts mit der Art der Verehrung zu tun, die als ahaṅgraha-upāsanā bekannt ist und Menschen empfohlen wird, die versuchen, durch das Opfer des Wissens die spirituelle Welt zu erreichen. In der Bhagavad-gītā (9.15) heißt es in diesem Zusammenhang: jñāna-yajñena cāpy anye yajanto mām upāsate. Obwohl Kṛṣṇa an sich nicht verpflichtet war, Mahā-Viṣṇu Seine Ehrerbietungen darzubringen, zeigte Er Arjuna, als höchster Lehrer, daß man Mahā-Viṣṇu Achtung erweisen muß. Arjuna jedoch wurde sehr ängstlich, als Er die gigantische Form alles Existierenden sah, die sich mit keiner Form im materiellen Bereich vergleichen läßt. Als er sah, wie Kṛṣṇa Mahā-Viṣṇu Ehrerbietungen darbrachte, folgte er sogleich Seinem Beispiel und stellte sich sodann mit gefalteten Händen vor den Herrn. Mahā-Viṣṇu war sehr erfreut, und mit wohlwollendem Lächeln sagte Er in Seiner gigantischen Gestalt: »Mein lieber Kṛṣṇa und Mein lieber Arjuna, Ich sehnte Mich sehr danach, euch beide zu sehen, und deshalb entführte Ich die Kinder des brāhmaṇa und behielt sie hier. Ich erwartete, daß ihr beide daraufhin zu Meinem Palast kommen würdet. Ihr seid als Meine Inkarnation in der materiellen Welt erschienen, um die Macht der Dämonen zu verringern, die die Welt plagten. Da Ihr nun diese unerwünschten Dämonen alle getötet habt, kommt bitte bald wieder zu Mir zurück. Ihr beide seid Inkarnationen des großen Weisen Nara-Nārāyaṇa. Um die Gottgeweihten zu schützen und die Dämonen zu vernichten und vor allem, um die religiösen Prinzipien zu erneuern, damit in Zukunft Frieden und Ordnung herrschen können, lehrt ihr, obwohl ihr in euch selbst vollkommen seid, die grundlegenden Prinzipien wahrer Religion, so daß die Menschen der Welt eurem Vorbild folgen und dadurch friedvoll und glücklich werden können.« Schließlich erwiesen Śrī Kṛṣṇa und Arjuna Mahā-Viṣṇu noch einmal ihre Ehrerbietungen, nahmen die Kinder des brāhmaṇa mit sich und kehrten auf dem gleichen Wege, auf dem sie in die spirituelle Welt gekommen waren, nach Dvārakā zurück. Die Kinder, die mittlerweile aufgewachsen waren, übergaben Kṛṣṇa und Arjuna, nachdem sie in Dvārakā eingetroffen waren, dem brāhmaṇa. Arjuna dachte stets voller Verwunderung an seinen Besuch der transzendentalen Welt durch die Gnade Śrī Kṛṣṇas. Durch Kṛṣṇas Gnade begriff er, daß alles Wunderbare, das es in der materiellen Welt geben mag, vom Herrn kommt. Jeglicher Wohlstand, den jemand in der materiellen Welt besitzen mag, ist Kṛṣṇas Gnade zu verdanken. Somit sollte man sich Kṛṣṇas immer voller Dankbarkeit bewußt sein, denn alles, was man besitzt, ist nichts anderes als Seine Barmherzigkeit. Arjunas wundervolles Erlebnis, das ihm durch Kṛṣṇas Gnade widerfuhr, war eines von vielen tausend Spielen, die Kṛṣṇa während Seines Aufenthaltes in der materiellen Welt offenbarte. Seine Spiele waren alle einzigartig und finden in der Weltgeschichte nicht ihresgleichen. Obwohl sie eindeutig beweisen, daß Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist, verhielt Er Sich, als Er in der materiellen Welt weilte, wie ein gewöhnlicher Mensch, der vielen weltlichen Pflichten nachkommen muß. Er spielte die Rolle eines vorbildlichen Haushälters, und obwohl Er mehr als 16000 Frauen, 16000 Paläste und 160000 Kinder hatte, brachte Er viele Opfer dar, um den königlichen Stand zu lehren, wie man in der materiellen Welt zum Wohl der Menschheit leben muß. Als die vorbildliche, höchste Persönlichkeit erfüllte Er die Wünsche eines jeden, angefangen mit den brāhmaṇas, den vortrefflichsten Persönlichkeiten der Gesellschaft, bis hinunter zu den gewöhnlichen Lebewesen, zu denen auch die Niedrigsten der Menschen zählen. So wie es König Indra obliegt, Regen über die ganze Welt zu verteilen, um jeden in angemessener Weise zufriedenzustellen, so erfreut Śrī Kṛṣṇa jeden, indem Er Seine grundlose Gnade ausschüttet. Seine Mission bestand darin, die Gottgeweihten zu beschützen und die dämonischen Könige zu vernichten, weshalb Er Tausende von Dämonen tötete. Einige tötete Er persönlich; andere wurden von Arjuna getötet, den Er dazu beauftragte. Gleichzeitig überantwortete Er vielen frommen Königen, wie beispielsweise Yudhiṣṭhira, die Regelung des Weltgeschehens. Durch Seinen göttlichen Willen schuf Er die gute Regierung König Yudhiṣṭhiras und ließ daraufhin Frieden und Ruhe folgen. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 89. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die unvergleichliche Macht Śrī Kṛṣṇas«. 90. KAPITEL Eine kurze Darstellung der Spiele Śrī Kṛṣṇas Nachdem Arjuna aus dem spirituellen Königreich zurückgekehrt war, das er gemeinsam mit Kṛṣṇa hatte besuchen dürfen, war er voller Staunen. Er dachte daran, daß es ihm, obwohl er nur ein gewöhnliches Lebewesen war, durch Kṛṣṇas Gnade vergönnt wurde, die spirituelle Welt zu sehen. Und nicht nur das: Er hatte sogar mit eigenen Augen den ursprünglichen Mahā-Viṣṇu, die Ursache der materiellen Schöpfung erblickt. Es heißt, daß Kṛṣṇa Vṛndāvana niemals verläßt: vṛndāvanaṁ parityajya na pādam ekaṁ gacchati. Kṛṣṇa ist wunderbar in Mathurā. Wunderbarer noch ist Er in Dvārakā, und Er ist am wunderbarsten in Vṛndāvana. Kṛṣṇas Spiele in Dvārakā werden von Seiner Teilerweiterung Vāsudeva vollführt, doch es besteht kein Unterschied zwischen Seiner in Mathurā und Dvārakā manifestierten Teilerweiterung als Vāsudeva und der ursprünglichen Manifestation Kṛṣṇas in Vṛndāvana. Zu Beginn dieses Buches wurde erläutert, daß bei Kṛṣṇas Erscheinen all Seine Inkarnationen, vollständigen Teile und die Teile Seiner vollständigen Teile mit Ihm kommen. Einige Seiner Spiele wurden daher nicht vom ursprünglichen Kṛṣṇa Selbst offenbart, sondern von Seinen vielfachen Teilen und vollständigen Teilen. Arjuna wunderte sich deshalb, daß Kṛṣṇa den Kāraṇārṇavaśāyī Viṣṇu in der spirituellen Welt so einfach hatte besuchen können. Dieses Thema wird in den Abhandlungen Śrīla Viṣvanātha Cakravartī Ṭhākuras aufs ausführlichste erläutert. Den Worten Mahā-Viṣṇus ist zu entnehmen, daß Er Sich sehr danach sehnte, Kṛṣṇa zu sehen. Man könnte einwenden, daß Mahā-Viṣṇu, als Er die Söhne des brāhmaṇa entführte, Sich nach Dvārakā habe begeben müssen. Warum also habe Er Kṛṣṇa nicht gleich dort aufgesucht? Eine mögliche Antwort wäre, daß Kṛṣṇa nicht einmal von Mahā-Viṣṇu gesehen werden kann, der im Ozean der Ursachen in der spirituellen Welt liegt, solange Kṛṣṇa es nicht erlaubt. Also entführte Mahā-Viṣṇu nacheinander alle Söhne des brāhmaṇa, damit Kṛṣṇa persönlich zu Ihm kommen möge, um sie zurückzuholen, und Er Ihn dann würde sehen können. Wenn es sich so verhält, stellt sich die nächste Frage: Warum kam Mahā-Viṣṇu persönlich nach Dvārakā, wenn er Kṛṣṇa dort doch nicht sehen konnte? Warum schickte Er nicht einfach einen Seiner Gefährten, die Söhne des brāhmaṇa zu entführen? Eine einleuchtende Antwort ist, daß es sehr schwierig war, die Bewohner Dvārakās in Anwesenheit Kṛṣṇas zu behelligen. Deshalb war es keinem von Mahā-Viṣṇus Gefährten möglich, die Söhne des brāhmaṇa zu rauben. Mahā-Viṣṇu mußte also Selbst kommen, um sie zu holen. Eine weitere Frage in diesem Zusammenhang wäre folgende: Wie kommt es, daß der Herr, der doch als brahmaṇyadeva, die verehrenswerte Gottheit der brāhmaṇas bekannt ist, bereit war, einem brāhmaṇa so großes Leid zuzufügen, indem Er ihm, einen nach dem anderen, alle neun Söhne fortnahm? Die Antwort lautete, daß Mahā-Viṣṇu Sich so sehr danach sehnte, Kṛṣṇa zu sehen, daß er Sich nicht einmal scheute, einem brāhmaṇa Kummer zu bereiten. Obwohl es eigentlich unzulässig ist, einem brāhmaṇa Leid zuzufügen, war Śrī Viṣṇu bereit, alles zu tun, um Kṛṣṇa sehen zu können – so sehr sehnte Er Sich nach Ihm. Er sah voraus, daß der brāhmaṇa jedesmal, wenn er einen Sohn verlieren würde, zum Palasttor kommen und dem König vorwerfen würde, daß er die brāhmaṇas nicht beschützen könne und deshalb ungeeignet sei, auf dem Königsthron zu sitzen. Es war also Mahā-Viṣṇus Plan, daß der brāhmaṇa die kṣatriyas und Kṛṣṇa anklagen würde, so daß Kṛṣṇa verpflichtet wäre, zu Ihm zu kommen und die Söhne des brāhmaṇa zurückzuholen. Hieraus schließlich könnte sich eine weitere Frage ergeben: Wenn Mahā-Viṣṇu Kṛṣṇa nicht nach Wunsch sehen konnte, wieso war Kṛṣṇa dann am Ende verpflichtet, zu Ihm zu kommen und die Söhne des brāhmaṇa zurückzuholen? Die Antwort ist, daß Kṛṣṇa im Grunde nicht zu Mahā-Viṣṇu fuhr, um die Söhne des brāhmaṇa zu holen, sondern vielmehr um Arjunas willen. Seine Freundschaft mit Arjuna war so eng, daß Er ihn, als dieser im Begriff war, sich ins Feuer zu stürzen, um alles in der Welt davor bewahren wollte. Arjuna hätte seinen Entschluß nicht geändert, wenn er die Kinder nicht hätte zurückbringen können. Deshalb versprach Kṛṣṇa ihm: »Ich werde die Söhne des brāhmaṇa zurückholen. Versuche nicht, dir das Leben zu nehmen.« Wenn Kṛṣṇa Sich nur zu Viṣṇu begeben hätte, um die Söhne des brāhmaṇa zurückzufordern, hätte Er nicht gewartet, bis auch der neunte Sohn verschwand. Doch als schließlich der neunte Sohn von Mahā-Viṣṇu geholt wurde und Arjuna deshalb ins Feuer gehen wollte, da sich zeigte, daß er sein Versprechen nicht halten konnte, entschloß sich Kṛṣṇa angesichts der ernsten Situation, mit Arjuna Mahā-Viṣṇu aufzusuchen. Es heißt, Arjuna sei eine ermächtigte Inkarnation Nara-Nārāyaṇas. Die Nara-Nārāyaṇa-Inkarnation ist eine der vollständigen Erweiterungen Śrī Viṣṇus. Daher muß Arjuna, als er mit Kṛṣṇa Śrī Viṣṇu besuchte, dies in seiner Eigenschaft als Nara-Nārāyaṇa getan haben ähnlich wie Kṛṣṇa, als Er Seine Spiele in Dvārakā offenbarte, in Seinem Aspekt als Vāsudeva handelte. Nach seinem Besuch in der spirituellen Welt kam Arjuna zu dem Schluß, daß alle Herrlichkeiten, die man in den materiellen oder spirituellen Welten besitzen kann, Gaben Śrī Kṛṣṇas sind. Śrī Kṛṣṇa ist auf zweierlei Art manifestiert, nämlich als Viṣṇu-tattva und als jīva-tattva. Das Viṣṇu-tattva kennt man auch als sāmśa und das jīva-tattva als vibhinnāṁśa. Von daher kann Sich der Herr durch Seine transzendentalen Spiele ganz nach Wunsch sowohl im sāṁśa-Teil als auch im vibhinnāṁśa-Teil manifestieren und bleibt doch immer der ursprüngliche Höchste Persönliche Gott. Die Beschreibung der transzendentalen Spiele Kṛṣṇas wird im 90. Kapitel des Zehnten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam abgeschlossen. In diesem Kapitel sollte Śukadeva Gosvāmī darlegen, wie Kṛṣṇa glücklich und in aller Pracht in Dvārakā lebte. Kṛṣṇas besondere Stärke, die Er in vielen Spielen offenbarte, wurde bereits mehrfach beschrieben, doch nun soll geschildert werden, wie der Herr in Seiner Residenz in Dvārakā Seine Füllen des Reichtums und der Schönheit entfaltete. In der materiellen Welt, die nur eine verzerrte Spiegelung der spirituellen Welt ist, gelten Reichtum und Schönheit als die bedeutendsten aller Füllen. Daher fanden Kṛṣṇas Reichtum und Schönheit, während Er als der Höchste Persönliche Gott auf der Erde weilte, in allen drei Welten nicht ihresgleichen. Kṛṣṇa erfreute Sich an mehr als 16000 Frauen, und was sehr bedeutsam ist – Er lebte in Dvārakā als ihr einziger Gemahl. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird an dieser Stelle besonders hervorgehoben, daß Er der einzige Gatte von mehr als 16000 Frauen war. Natürlich ist es bereits einige Male vorgekommen, daß sich ein mächtiger König Hunderte von Königinnen hielt, doch wenn ein König der einzige Ehemann so vieler Frauen war, konnte er sich doch niemals zur gleichen Zeit mit ihnen allen vergnügen. Kṛṣṇa aber erfreute Sich gleichzeitig aller Seiner 16000 Frauen. Man könnte einwenden, auch yogīs seien fähig, ihre Körper zu vervielfachen, doch die Erweiterungen der yogīs und die Śrī Kṛṣṇas sind keineswegs von gleicher Art. Kṛṣṇa wird auch Yogeśvara, der Meister aller yogīs, genannt. Aus den vedischen Schriften erfahren wir, daß sich der yogī Saubhari Muni in acht Formen erweiterte. Solche Erweiterungen sind jedoch mit den »Erweiterungen« beim Fernsehen zu vergleichen. Das Fernsehbild wird in millionenfachen Erweiterungen wiedergegeben, doch können diese Erweiterungen sich niemals unabhängig voneinander bewegen; sie sind lediglich Abbilder des ursprünglichen Bildes und können sich nur genauso wie diese bewegen. Kṛṣṇas Vervielfachung hingegen ist nicht materiell wie beim Fernsehen oder wie die eines yogī. Nārada Muni sah daher bei seinen Besuchen in Kṛṣṇas Palästen, daß Kṛṣṇa in Seinen verschiedenen Erweiterungen in jedem einzelnen der Paläste der Königinnen etwas anderes tat. Es heißt auch, daß Kṛṣṇa in Dvārakā als der Gemahl der Glücksgöttin lebte. Königin Rukmiṇī ist die Göttin des Glücks, und die anderen Königinnen sind Ihre Erweiterungen. So vergnügte Sich Kṛṣṇa, das Oberhaupt der Vṛṣṇi-Dynastie, in aller Pracht mit der Glücksgöttin. Die Königinnen Kṛṣṇas werden als ewig jugendlich und schön beschrieben. Obwohl Kṛṣṇa bereits Enkel und Urenkel hatte, sahen weder Er noch Seine Königinnen älter aus als sechzehn bis zwanzig Jahre. Die jungen Königinnen waren so schön, daß ihr Gang wie am Himmel wanderndes Wetterleuchten anmutete. Sie trugen stets erlesensten Schmuck und feinste Gewänder und widmeten sich Vergnügungen wie Tanzen, Singen und Ballspielen auf den Dächern der Paläste. Das Tanzen und Ballspielen der Mädchen in der materiellen Welt scheint also eine verzerrte Nachahmung der ursprünglichen Spiele des urersten Höchsten Persönlichen Gottes Śrī Kṛṣṇa und Seiner Frauen zu sein. Auf den Alleen und Straßen Dvārakās bewegten sich ständig zahlreiche Elefanten, Pferde, Wagen und Fußsoldaten. Wenn man Elefanten in seinem Dienst beschäftigt, gibt man ihnen alkoholische Getränke, und man sagt, daß die Elefanten in Dvārakā so viel Alkohol bekamen, daß sie, obwohl sie große Mengen davon auf den Straßen versprühten, immer noch trunken durch die Straßen schritten. Die Soldaten des Fußheeres, die man auf den Straßen sah, waren prachtvoll mit goldenem Geschmeide angetan, und goldene Pferdewagen fuhren durch die Stadt. Wohin das Auge auch blickte, sah man in Dvārakā Parkanlagen und Gärten voller Bäume und Sträucher, die mit Früchten und Blumen überladen waren. Weil überall so viele herrliche Obst- und Blütenbäume standen, schlossen sich die lieblich zwitschernden Vögel und die summenden Hummeln zusammen, um wohlklingende Schwingungen zu erzeugen. So entfaltete die Stadt Dvārakā alle Herrlichkeit in ganzer Fülle. Die Helden der Yadu-Dynastie betrachteten sich als die glücklichsten Bewohner der Stadt, und tatsächlich erfreuten sie sich aller transzendentalen Gegebenheiten. Alle 16000 Paläste der Königinnen Kṛṣṇas standen in dieser wundervollen Stadt Dvārakā, und Kṛṣṇa, der höchste, ewige Genießer all dieser Vortrefflichkeiten, widmete sich, in 16000 Gestalten erweitert, gleichzeitig den verschiedenen Familienangelegenheiten in jedem der 16000 Paläste. Zu jedem Palast gehörten prächtig gestaltete Gärten und Teiche. Das kristallklare Wasser der Teiche trug viele vollaufgeblühte Lotosblumen von verschiedener Farbe, wie blau, gelb, und rot-weiß, und ihr safranfarbener Blütenstaub wurde von den sanften Winden überallhin getragen. In allen Teichen tummelten sich prächtige Schwäne, Enten und Kraniche, die von Zeit zu Zeit wohlklingende Laute von sich gaben. Hin und wieder begaben Sich Kṛṣṇa und Seine Frauen in die Seen oder Flüsse und vergnügten sich beim Schwimmen in aller Fröhlichkeit. Dabei geschah es des öfteren, daß Kṛṣṇas Frauen, die alle Glücksgöttinnen waren, den Herrn beim Schwimmen oder Baden mitten im Wasser umarmten, worauf das Zinnoberrot des kuṅkuma-Puders, das die Schönheit ihrer Brüste hervorhob, die Brust des Herrn schmückte. Die Unpersönlichkeitsphilosophen würden es niemals wagen, auch nur daran zu denken, daß es in der spirituellen Welt eine solche Vielfalt des Genießens gibt. Um den wirklichen, ewig glückseligen Genuß in der spirituellen Welt zu offenbaren, kam Śrī Kṛṣṇa auf diesen Planeten herab und zeigte, daß es in der spirituellen Welt an solchen Lebensfreuden durchaus nicht mangelt. Der Unterschied besteht nur darin, daß solche Dinge in der spirituellen Welt ewige, niemals endende Erlebnisse, in der materiellen Welt hingegen vorübergehende verzerrte Spiegelungen sind. Wenn Sich Kṛṣṇa Seiner genußreichen Spiele erfreute, priesen Ihn die Gandharavas und andere berufsmäßige Musiker mit wohlklingenden Konzerten, die von mṛdaṅgas, Trommeln, Kesselpauken, Saiteninstrumenten und Messinghörnern begleitet wurden, und so wurde das Ganze zu einem fröhlichen Freudenfest. In ihrer fröhlichen Ausgelassenheit bespritzten Kṛṣṇas Frauen den Herrn manchmal mit einem Gerät, das wie eine Spritzpistole aussah, was Kṛṣṇa ihnen dann auf gleiche Weise vergalt. Wenn sich Kṛṣṇa und die Königinnen so vergnügten, konnte man meinen, der Himmelskönig Yakṣarāja vergnüge sich mit seinen vielen Frauen. Yakṣarāja ist auch als Kuvera bekannt und gilt als der Schatzmeister des himmlischen Königreichs. Als die Frauen Kṛṣṇas auf diese Weise völlig naß wurden, erhöhte sich die Schönheit ihrer Brüste und Schenkel um ein Tausendfaches, und ihr langes Haar öffnete sich und fiel nieder, um diese Körperteile zu bedecken. Die prachtvollen Blumen, die in ihrem Haar steckten, fielen gleichfalls herab, und weil die Königinnen sich scheinbar darüber ärgerten, daß der Herr sie mit Wasser bespritzte, pflegten sie sich Kṛṣṇa unter dem Vorwand zu nähern, Ihm das spritzenähnliche Instrument fortnehmen zu wollen. Bei diesem Versuch entstand eine Situation, in der der Herr Sie in die Arme schließen konnte, als sie Ihm widerwillig näherkamen. Während Śrī Kṛṣṇa Seine Frauen umarmte, spürten sie auf ihren Lippen ein deutliches Zeichen inniger Liebe, und dies erzeugte eine Stimmung spiritueller Glückseligkeit. Wenn die Blumengirlanden des Herrn die Brüste der Königinnen berührten, wurden sie am ganzen Körper mit Safrangelb bestäubt. Bei ihren himmlischen Spielen vergaßen sich die Königinnen völlig, und ihr geöffnetes Haar glich den anmutigen Wellen eines Flusses. Wenn die Königinnen den Körper Kṛṣṇas mit Wasser besprühten oder Kṛṣṇa die Körper der Königinnen bespritzte, war es, als vergnüge sich ein Elefantenbulle mit vielen Elefantenkühen in einem See. Wenn sich Kṛṣṇa und die Königinnen schließlich nach Herzenslust miteinander vergnügt hatten, stiegen sie aus dem Wasser und ließen ihre nassen, sehr kostbaren Gewänder zurück, die sich die berufsmäßigen Sänger und Tänzer nehmen durften. Diese Sänger und Tänzer hatten kein anderes Einkommen als die wertvollen Gewänder und Schmuckstücke, die ihnen bei solchen Anlässen von den Königinnen und Königen überlassen wurden. Zur damaligen Zeit bestand ein solch gutes Gesellschaftssystem, daß es niemandem in seiner gesellschaftlichen Stellung als brāhmaṇa, kṣatriya, vaiśya oder śūdra schwerfiel, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Es gab auch keinen Wettstreit zwischen den einzelnen Teilen der Gesellschaft. Ursprünglich war das Kastensystem so eingerichtet, daß keine Menschengruppe mit einer Menschengruppe, die andere Pflichten besaß, in Konflikt geriet. So pflegte Sich Śrī Kṛṣṇa der Gesellschaft Seiner 16000 Frauen zu erfreuen. Geweihte des Herrn, die den Höchsten Persönlichen Gott in einer intimen Liebesbeziehung lieben möchten, erhalten die Gunst, Kṛṣṇas Frauen zu werden, und werden dann durch Sein gütiges Verhalten für immer an Ihn gefesselt. Kṛṣṇas Umgang mit Seinen Frauen, Seine Bewegungen, Seine Gespräche mit ihnen, Sein Lächeln, Seine Umarmungen und ähnliche Verhaltensmerkmale, die wie die eines liebevollen Gatten waren, ketteten sie fest an Ihn. Das ist die höchste Vollkommenheit im Leben. Wenn jemand immer an Kṛṣṇa festhält, bedeutet dies, daß er befreit und daß sein Leben erfolgreich ist. Kṛṣṇa erwidert die Liebe jedes Gottgeweihten, der Ihn von ganzem Herzen und ganzer Seele liebt, in solcher Weise, daß der Gottgeweihte unmöglich ohne Anhaftung an Ihn bleiben kann. Der Austausch von Gefühlen zwischen Kṛṣṇa und Seinem Geweihten ist so anziehend, daß der Gottgeweihte an nichts anderes mehr denken kann als an Kṛṣṇa. Alle Königinnen verehrten allein Kṛṣṇa. Sie weilten ständig in Gedanken bei Ihm, dem lotosäugigen und herrlich blauschwarzen Persönlichen Gott. Wenn sie an Kṛṣṇa dachten, waren sie bisweilen ganz still, und ein anderes Mal sprachen sie in der Ekstase der bhāva und anubhāva wie im Wahn. Manchmal schilderten sie sogar in Kṛṣṇas Gegenwart sehr lebendig die Spiele, an denen sie sich mit Ihm in einem See oder einem Fluß erfreut hatten. Einige dieser Gespräche seien im Folgenden wiedergegeben. Eine Königin sagte zu dem Vogel kurarī: »Meine liebe kurarī, nun ist es bereits sehr spät am Abend. Jeder schläft. Die ganze Welt ist nun ruhig und friedlich. Um diese Zeit schläft der Höchste Persönliche Gott, obwohl Sein Wissen jederzeit unbeeinträchtigt bleibt. Warum aber schläfst du nicht? Warum klagst du die ganze Nacht hindurch so herzergreifend? Meine liebe Freundin, solltest du dich etwa, genau wie ich, zu den Lotosaugen des Höchsten Persönlichen Gottes, Seinem lieblichen Lächeln und Seinen betörenden Worten hingezogen fühlen? Zehren dir diese Züge des Höchsten Persönlichen Gottes ebenso am Herzen wie mir? He, cakravākī! Warum hältst du deine Augen geschlossen? Suchst du nach deinem Gatten, weil du fürchtest, er sei in die Fremde geflogen? Warum klagst du so mitleiderregend? O weh, du scheinst wirklich sehr traurig zu sein. Oder sollte es wahr sein, daß auch du ein ewiger Diener des Höchsten Persönlichen Gottes werden möchtest? Ich glaube, du sehnst dich danach, eine Blumengirlande auf die Lotosfüße des Herrn zu legen und sie dann auf dein Haar zu tun. O mein lieber Ozean, warum tost du Tag und Nacht? Willst du gar nicht Schlafengehen? Du bist wohl von Schlaflosigkeit befallen, oder aber mein liebster Śyāmasundara hat dir, wenn ich mich nicht irre, geschickt deine Würde und Geduld fortgenommen, die sonst deine natürlichen Eigenschaften sind. Stimmt es, daß du aus diesem Grunde ebenso an Schlaflosigkeit leidest wie ich? Ja, ich stimme dir zu, daß es keine Mittel gegen diese Krankheit gibt. Mein lieber Mondgott, ich glaube, du bist von einer ernstzunehmenden Schwindsucht befallen. Aus diesem Grund wirst du von Tag zu Tag dünner. O mein Herr, du bist bereits so schwach, daß deine blassen Strahlen nicht mehr die Kraft haben, die Dunkelheit der Nacht zu vertreiben. Oder ist es richtig, daß du, genau wie ich, von den geheimnisvoll süßen Worten Śyāmasundaras, meines Herrn, bezaubert worden bist? Bist du vielleicht aus Sehnsucht nach Ihm so fahl geworden? O Wind vom Himalaya, was habe ich dir getan, daß du so darauf bedacht bist, mich zu quälen, indem du in mir das Verlangen weckst, bei Kṛṣṇa zu sein? Weißt du nicht, daß ich durch die Schwindeleien des Persönlichen Gottes bereits im Innern verwundet bin? Mein lieber Himalayawind, wisse bitte, daß ich bereits bekümmert bin, du brauchst mir nicht noch mehr wehzutun. Meine liebe Wolke, die Farbe deines herrlichen Körpers gleicht genau der Hauttönung meines liebsten Śyāmasundara. Ich glaube daher, daß du meinem Herrn, dem Oberhaupt der Yadu-Dynastie, sehr lieb bist, und weil Er dich so lieb hat, bist du, genau wie ich, in Meditation über Ihn vertieft. Ich kann gut verstehen, daß dein Herz voller Sehnsucht nach Śyāmasundara ist. Dir scheint sehr daran gelegen zu sein, Ihn zu sehen, und ich kann erkennen, daß dir einzig aus diesem Grund Tränen aus den Augen rollen, und so geht es auch mir. Meine liebe schwarze Wolke, laß uns offen eingestehen: eine vertraute Beziehung zu Śyāmasundara zu erlangen bedeutet, nichts als unnötige Sorgen auf sich zu nehmen, sonst nämlich säßen wir gemütlich zu Hause.« Gewöhnlich läßt der Kuckuck am Ende der Nacht oder früh am Morgen seinen Ruf ertönen, und wenn die Königinnen ihn am Ende der Nacht vernahmen, sagten sie: »Lieber Kuckuck, deine Stimme klingt gar lieblich. Sowie du deine süße Stimme ertönen läßt, erinnern wir uns an Śyāmasundara, denn deine Stimme klingt genau wie Seine. Wir müssen offen gestehen, daß deine Stimme von Nektar erfüllt ist; sie ist so belebend, daß sie es vermag, denen das Leben zurückzugeben, die fast tot sind in der Trennung von ihrem liebsten Freund. Wir sind dir deshalb sehr zu Dank verpflichtet. Bitte laß uns wissen, wie wir dich begrüßen und was wir für dich tun können.« Die Königinnen fuhren fort, so zu sprechen, und sie wandten sich sogar an die Berge: »Lieber Berg, du bist sehr großmütig. Nur durch dein Gewicht wird die Erdoberfläche zusammengehalten, und weil du deine Pflichten sehr gewissenhaft versiehst, denkst du nicht daran, dich zu bewegen. Weil du so gewichtig bist, bewegst du dich niemals hin und her, noch sagst du etwas. Vielmehr scheinst du stets tief in Gedanken versunken zu sein. Vielleicht sinnst du immer über etwas sehr Ernstes und Wichtiges nach; doch wir können uns gut denken, womit sich deine Gedanken beschäftigen. Sicherlich denkst du darüber nach, wie du die Lotosfüße Śyāmasundaras auf deine hohen Gipfel setzen kannst, ebenso wie wir Seine Lotosfüße an unsere hohen Brüste halten wollen. Liebe Flüsse, wir wissen, daß in der Sommerhitze eure Läufe ausgetrocknet sind und ihr deshalb kein Wasser mit euch führt. Weil euer Wasser verdunstet ist, schmücken euch auch nicht mehr die blühenden Lotosblumen. Ihr seht nun sehr unscheinbar und dünn aus, und daran können wir erkennen, daß ihr ähnliches durchmacht wie wir. Wir haben alles verloren, weil wir von Śyāmasundara getrennt sind und nicht länger Seine wohltuenden Worte hören. Unsere Herzen arbeiten nicht mehr richtig, und deshalb sind auch wir sehr dünn und hager geworden. Wir glauben daher, daß es euch ebenso geht wie uns. Ihr seid nur deshalb so dünn und schwach, weil ihr von eurem Gemahl, dem Ozean, kein Wasser mehr durch die Wolken bekommt.« Das Beispiel, das die Königinnen anführten, ist sehr zutreffend. Wenn der Ozean aufhört, die Flüsse durch die Wolken mit Wasser zu versorgen, trocknen die Flußbetten aus. Der Ozean gilt als der Gemahl des Flusses und muß ihn daher versorgen. Wenn eine Frau von ihrem Mann nicht mit dem zum Leben Notwendigen versorgt wird, wird sie ebenso dürr wie ein ausgetrockneter Fluß. Eine andere Königin sagte zu einem Schwan: »Lieber Schwan, komm, komm bitte her zu mir. Du bist mir willkommen. Setz dich doch bitte nieder und nimm ein wenig Milch zu dir. Lieber Schwan, kannst du mir sagen, ob du eine Botschaft von Śyāmasundara für mich hast? Ich glaube nämlich, daß du Sein Bote bist. Wenn du irgendwelche Nachrichten von Ihm besitzt, dann verrate sie mir bitte. Unser lieber Śyāmasundara ist immer sehr selbständig. Er gerät niemals unter jemandes Herrschaft. Keiner von uns ist es gelungen, Ihn zu beherrschen, und so möchten wir dich fragen, ob Er Sich auch gut beträgt. Ich muß dir sagen, daß Śyāmasundara sehr wankelmütig ist. Seine Freundschaft ist nie von Dauer. Schon beim kleinsten Anlaß zerbricht sie. Kannst du mir bitte erklären, aus welchem Grund Er so herzlos zu mir ist? Früher versicherte Er mir, ich allein sei Seine liebste Frau. Erinnert Er Sich nicht mehr daran? Doch wie dem auch sei, du bist mir willkommen. Bitte setze dich zu mir. Ich kann aber unmöglich deine Bitte erfüllen, zu Śyāmasundara zu gehen. Wenn ich Ihm so gleichgültig bin, warum sollte ich dann vernarrt in Ihn sein? Es tut mir sehr leid, dir sagen zu müssen, daß du der Bote einer kleinmütigen Seele geworden bist. Auch wenn du mich noch so sehr bittest, zu Ihm zu gehen, werde ich es nicht tun. Doch höre ich recht, du sagst, Er werde zu mir kommen? Möchte Er meine langgehegte Sehnsucht nach Ihm stillen? Nun gut, du kannst Ihn hierherholen. Aber bringe nicht Seine Liebste, die Glücksgöttin, mit. Oder denkst du etwa, Er könne Sich nicht einmal einen Augenblick lang von ihr trennen? Kann Er nicht allein, ohne Lakṣmī, hierherkommen? Sein Betragen stimmt mich traurig. Sollte Śyāmasundara etwa ohne Lakṣmī nicht glücklich sein können? Kann Er mit keiner anderen Frau glücklich sein? Bedeutet das, daß die Glücksgöttin ozeangleiche Liebe für Ihn empfindet und sich keine von uns mit ihr messen kann?« Alle Frauen Kṛṣṇas waren ganz in Gedanken an Ihn vertieft. Kṛṣṇa ist auch als Yogeśvara, der Meister aller yogīs bekannt, und all Seine Frauen in Dvārakā trugen Yogeśvara in ihren Herzen. Statt zu versuchen, ein Meister aller mystischen yoga-Kräfte zu werden, ist es besser, einfach den höchsten yogeśvara, Kṛṣṇa, in seinem Herzen zu tragen. Auf diese Weise kann das Leben vollkommen werden, und man kann sehr leicht in das Königreich Gottes gelangen. Man muß wissen, daß die Königinnen, die mit Kṛṣṇa in Dvārakā lebten, in ihren vorangegangenen Leben große Gottgeweihte gewesen sind, die sich gewünscht hatten, eine innige Liebesbeziehung zu Kṛṣṇa zu haben. Deshalb wurde ihnen die Gunst gewährt, Kṛṣṇas Frauen zu werden und sich einer ständigen Liebesbeziehung zu Ihm zu erfreuen. Am Ende ihres Lebens wurden sie alle zu den Vaikuṇṭha-Planeten erhoben. Die Höchste Absolute Wahrheit, der Persönliche Gott, ist niemals unpersönlich. Alle vedischen Schriften preisen Seine mannigfachen transzendentalen Taten und Spiele. Es heißt, daß in den Veden und im Rāmāyaṇa nur die Taten des Herrn geschildert werden. In allen vedischen Schriften wird Sein Ruhm besungen. Sobald weichherzige Menschen, wie z. B. Frauen, von den transzendentalen Spielen Kṛṣṇas hören, fühlen sie sich unvermittelt zu Ihm hingezogen. Empfindsame Frauen und Mädchen sind deshalb der Bewegung für Kṛṣṇa-Bewußtsein oft sehr leicht näherzubringen. Wer sich somit zur Bewegung für Kṛṣṇa-Bewußtsein hingezogen fühlt und sich bemüht, ständig mit dem Kṛṣṇa-Bewußtsein verbunden zu bleiben, erlangt ganz sicher die höchste Befreiung, indem er zurück zu Kṛṣṇa nach Goloka Vṛndāvana geht. Wenn man schon, indem man einfach Kṛṣṇa-Bewußtsein entwickelt, in die spirituelle Welt erhoben wird, kann man sich leicht vorstellen, wie glücklich und gesegnet die Königinnen Śrī Kṛṣṇas gewesen sein müssen, die persönlich mit dem Herrn sprachen und Ihn von Angesicht zu Angesicht sahen. Niemand kann das Glück der Frauen Śrī Kṛṣṇas auch nur annähernd beschreiben. Sie umsorgten Ihn persönlich, indem sie Ihm vielerlei transzendentalen Dienst darbrachten wie Ihn baden, Ihn speisen, Ihn erfreuen und Ihn bedienen. Es gibt also niemanden, dessen Bußen sich mit dem Dienst der Königinnen in Dvārakā vergleichen ließen. Śukadeva Gosvāmī erklärte Mahārāja Parīkṣit, daß die Opfer und Bußen der Königinnen von Dvārakā, gemessen daran, wie förderlich etwas zur Selbstverwirklichung ist, beispiellos seien. Das Ziel aller Arten der Selbstverwirklichung ist eines: Kṛṣṇa. Daher muß man, auch wenn die Beziehung der Königinnen zu Kṛṣṇa wie die gewöhnliche Beziehung zwischen Mann und Frau erscheinen mag, vor allem die Zuneigung der Königinnen zu Kṛṣṇa beachten. Der Sinn aller Opfer und Bußen liegt darin, daß man sich durch sie von der materiellen Welt löst und seine Zuneigung zu Kṛṣṇa, dem Höchsten Persönlichen Gott, vergrößert. Kṛṣṇa ist die Zuflucht aller, die in der Selbstverwirklichung vorwärtsschreiten. Als vorbildlicher Haushälter lebte Er mit Seinen Frauen und folgte den vedischen Ritualen, nur, um den weniger intelligenten Menschen zu zeigen, daß der Höchste Herr niemals unpersönlich ist. Kṛṣṇa lebte in aller Pracht mit Frau und Kindern genau wie eine gewöhnliche bedingte Seele, nur um den Seelen, die wirklich bedingt sind, ein Beispiel dafür zu geben, daß man durchaus ein Familienleben führen kann, solange Kṛṣṇa der Mittelpunkt ist. Die Mitglieder der Yadu-Dynastie zum Beispiel lebten in Kṛṣṇas Familie, und Kṛṣṇa war der Mittelpunkt all ihres Tuns. Entsagung zu üben ist nicht so wichtig, wie seine Anhaftung an Kṛṣṇa zu verstärken. Die Bewegung für Kṛṣṇa-Bewußtsein ist für eben diesen Zweck bestimmt. Wir predigen nach dem Grundsatz, daß es gleichgültig ist, ob jemand sannyāsī oder gṛhastha ist. Wichtig ist nur, daß man seine Zuneigung zu Kṛṣṇa vergrößert; dann ist sein Leben erfolgreich. Wenn man dem Beispiel Śrī Kṛṣṇas folgt, kann man ohne weiteres im Kreis seiner Familie und auch als Mitglied der Gesellschaft oder Nation leben – nicht zum Zweck der Sinnenbefriedigung, sondern um Kṛṣṇa zu erkennen, indem man seine Zuneigung zu Ihm vergrößert. Es gibt vier Prinzipien auf dem Weg vom bedingten Leben zum Leben der Befreiung; sie werden technisch als dharma, artha, kāma und mokṣa (Religion, wirtschaftlicher Fortschritt, Sinnenbefriedigung und Befreiung) bezeichnet. Wenn man ein Familienleben führt, indem man dem Beispiel der Familienangehörigen Śrī Kṛṣṇas folgt und Kṛṣṇa zum Mittelpunkt allen Tuns macht, kann man diese vier Prinzipien des Erfolgs gleichzeitig erfüllen. Wie wir bereits wissen, hatte Kṛṣṇa 16108 Frauen. Sie alle waren hochstehende, befreite Seelen, und Rukmiṇī nahm unter ihnen den ersten Rang ein. Nach Rukmiṇī gab es sieben weitere vorrangige Frauen, deren Söhne bereits genannt wurden. Kṛṣṇa hatte nicht nur von jeder Seiner acht führenden Frauen zehn Kinder, sondern auch von jeder der übrigen Königinnen. Insgesamt belief sich also die Zahl der Söhne des Herrn auf 16108 X 10. Es sollte uns nicht sehr verwundern, daß Kṛṣṇa so viele Söhne hatte. Wir müssen stets bedenken, daß Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist und unbegrenzte Kräfte besitzt. Er erklärt, daß alle Lebewesen Seine Söhne sind. Selbst wenn Er also sechzehn Millionen Söhne gehabt hätte, die persönlich mit Ihm verwandt gewesen wären, gäbe es keinen Grund zur Verwunderung. Von Kṛṣṇas überaus mächtigen Söhnen waren achtzehn mahā-rathas. Die mahā-rathas konnten es allein mit Tausenden von Soldaten, Streitwagen, berittenen Soldaten und Elefanten aufnehmen. Der Ruhm der achtzehn Söhne war weithin bekannt, und sie werden in fast allen vedischen Schriften beschrieben. Ihre Namen sind: Pradyumna, Aniruddha, Dīptimān, Bhānu, Sāmba, Madhu, Bṛhadbhānu, Citrabhānu, Vṛka, Aruṇa, Puṣkara, Vedabāhu, Śrutadeva, Sunandana, Citrabāhu, Virūpa, Kavi und Nyagrodha. Von den achtzehn mahā-ratha-Söhnen gilt Pradyumna als der vortrefflichste. Pradyumna war der älteste Sohn Rukmiṇis und erbte alle Vorzüge Seines einzigartigen Vaters Śrī Kṛṣṇa. Er heiratete die Tochter Rukmīs, seines Onkels mütterlicherseits, und aus dieser Verbindung ging Aniruddha hervor. Aniruddha war so machtvoll, daß er gegen zehntausend Elefanten kämpfen konnte. Er heiratete die Enkelin Rukmīs, des Bruders Seiner Großmutter Rukmiṇī. Als Vetter und Kusine waren beide nur entfernt miteinander verwandt, und eine solche Heirat war zur damaligen Zeit durchaus nicht selten. Aniruddha hatte einen Sohn mit Namen Vajra. Als schließlich die ganze Yadu-Dynastie durch den Fluch eines brāhmaṇa vernichtet wurde, war Vajra der einzige Überlebende. Vajra zeugte einen Sohn namens Pratibāhu; der Sohn Pratibāhus bekam den Namen Subāhu; Subāhus Sohn hieß Śāntasena, und der Sohn Śāntasenas schließlich war Śatasena. Śukadeva Gosvāmī berichtet, daß alle Angehörigen der Yadu-Dynastie viele Kinder hatten. Wie Kṛṣṇa zahlreiche Söhne, Enkel und Urenkel hatte, so hatte auch jeder der oben genannten Könige eine große Anzahl Nachkommen und Verwandte. Die Könige der Yadus hatten jedoch nicht nur sehr viele Kinder, sie waren auch außerordentlich reich und wohlhabend. Kein einziger von ihnen war schwach oder kurzlebig, und dazu waren sie alle echte Anhänger der brahmanischen Kultur. Es ist die Pflicht der kṣatriya-Könige, die brahmanische Kultur zu beschützen, und alle Könige der Yadu-Dynastie versahen ihre Pflichten in bester Weise. Die Angehörigen der Yadu-Dynastie waren so zahlreich, daß es selbst dann noch schwierig wäre, sie alle zu beschreiben, wenn man eine Lebensdauer von vielen tausend Jahren hätte. Śrīla Śukadeva Gosvāmī sagte zu Mahārāja Parīkṣit, er habe aus verläßlichen Quellen erfahren, daß allein zur Erziehung der Kinder der Yadu-Dynastie nicht weniger als 38 800 000 Lehrer oder ācāryas benötigt wurden. Wenn man bedenkt, daß schon so viele Lehrer vonnöten waren, die Kinder der Yadu zu erziehen, kann man sich einen Begriff davon machen, wie gewaltig die Zahl aller Familienangehörigen gewesen sein muß. Was die Größe ihrer Streitkräfte anbelangt, so heißt es, daß allein Ugrasenas persönliche Leibwache aus zehn Billiarden Soldaten bestand. Bevor Kṛṣṇa in unserem Universum erschien, hatten viele Schlachten zwischen den Halbgöttern und den Dämonen stattgefunden. In den Kämpfen starben viele Dämonen, die später die Gunst erhielten, in hohen Königsfamilien auf der Erde geboren zu werden. Ihre hohe Stellung als Herrscher machte sie stolz, und sie hatten nichts anderes im Sinn, als ihre Untertanen zu peinigen. Śrī Kṛṣṇa erschien am Ende des Dvāpara-yuga auf der Erde, um diese dämonischen Könige zu töten. In der Bhagavad-gītā (4.8) heißt es dazu paritrāṇāya sādhūnāṁ vināśāya ca duṣkṛtām. »Der Herr erscheint, um die Gottgeweihten zu beschützen und die Schurken zu vernichten.« Auch wurden einige Halbgötter gebeten, mit Kṛṣṇa auf der Erde zu erscheinen, um Ihm in Seinen transzendentalen Spielen zu dienen. Als also Kṛṣṇa erschien, kam Er zwar in der Gesellschaft Seiner ewigen Diener, doch wurden auch die Halbgötter aufgefordert, auf die Erde herabzukommen, um Ihn zu unterstützen, und so wurden sie alle in der Yadu-Dynastie geboren. Die Angehörigen dieser Familien ehrten Kṛṣṇa in einer Weise, die Seiner Göttlichkeit entsprach, und sie alle waren mit Herz und Seele Seine Geweihten. Somit waren alle Angehörigen der Yadu-Dynastie sehr mächtig, glücklich und wohlhabend, und sie kannten keine Sorgen. Weil sie bedingungsloses Vertrauen in Kṛṣṇa hatten und Ihm völlig hingegeben waren, wurden sie niemals von anderen Königen besiegt. Ihre Liebe zu Kṛṣṇa war so stark, daß sie bei ihren alltäglichen Tätigkeiten, beim Sitzen, Schlafen, Reisen, Sprechen, Sich-Vergnügen, Reinigen und Baden ganz in Gedanken bei Kṛṣṇa waren und den Bedürfnissen ihres Körpers keine Aufmerksamkeit schenkten. Das ist das Merkmal eines reinen Geweihten Śrī Kṛṣṇas. Wie ein Mensch, der völlig von einem bestimmten Gedanken in Anspruch genommen wird, zuweilen alle körperlichen Belange vergißt, so sorgten die Yadus nur unbewußt für die Bedürfnisse des Körpers; ihre eigentliche Aufmerksamkeit richtete sich ständig auf Kṛṣṇa. Ganz mechanisch führten sie ihre körperlichen Tätigkeiten aus, während ihr Geist ständig im Bewußtsein Kṛṣṇas vertieft war. Śrīla Śukadeva beschloß das 90. Kapitel des Zehnten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam mit einer Darlegung der fünf Besonderheiten Kṛṣṇas. Die erste Besonderheit des Herrn wird folgendermaßen beschrieben: Bis zu Kṛṣṇas Erscheinen in der Familie der Yadu war der Fluß Ganges als das Reinste von allem bekannt; selbst unreine Dinge konnten gereinigt werden, wenn sie das Wasser des Ganges berührten. Die Erklärung für diese außerordentliche Kraft des Gangeswassers lautet, daß es von den Zehen Śrī Viṣṇus fließt. Als dann aber Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Viṣṇu, in der Familie der Yadu-Dynastie erschien und persönlich durch das Königreich der Yadus reiste, wurde durch den vertraulichen Umgang mit Ihm die ganze Familie der Yadus nicht nur sehr berühmt, sondern bekam auch eine noch größere reinigende Kraft, als sie dem Gangeswasser innewohnt. Die nächste Besonderheit an Śrī Kṛṣṇas Erscheinen ist, daß die Gottgeweihten und Dämonen, obwohl es so schien, als schütze Er die Gottgeweihten und vernichte die Dämonen, letzten Endes das gleiche erhielten. Śrī Kṛṣṇa erteilt fünf Arten der Befreiung, von denen Er die sāyujya-mukti, die Befreiung, bei der man eins mit dem Höchsten wird, Dämonen wie Kaṁsa zukommen ließ, wohingegen Er den gopīs die Gunst gewährte, mit Ihm persönlich zusammensein zu dürfen. Die gopīs behielten ihre Individualität, um sich des Zusammenseins mit Śrī Kṛṣṇa zu erfreuen, doch Kaṁsa wurde in die unpersönliche Brahman-Ausstrahlung des Herrn aufgenommen. Sowohl die Dämonen als auch die gopīs wurden also spirituell befreit, aber weil die Dämonen Kṛṣṇas Feinde waren und die gopīs Seine Freundinnen, wurden die Dämonen getötet und die gopīs beschützt. Die dritte Besonderheit an Śrī Kṛṣṇas Erscheinen ist die Tatsache, daß die Glücksgöttin, die von Halbgöttern wie Brahmā, Indra und Candra verehrt wird, Kṛṣṇa unablässig diente, obwohl der Herr die gopīs bevorzugte. Laksmījī, die Glücksgöttin, versuchte ihr Bestes, die gleiche Ebene wie die gopīs zu erreichen, was ihr jedoch nicht gelang. Dessen ungeachtet blieb sie Kṛṣṇa ergeben, wenngleich sie sonst, auch wenn sie von Halbgöttern wie Brahmā verehrt wird, nicht längere Zeit am gleichen Ort bleibt. Die vierte Besonderheit bei Kṛṣṇas Erscheinen ist die Herrlichkeit Seines Namens. In den vedischen Schriften wird erklärt, daß man, wenn man tausendmal die verschiedenen Namen Viṣṇus chantet, den gleichen Nutzen erfährt wie durch das dreimalige Chanten des heiligen Namens »Śrī Rāma«. Und den gleichen Segen empfängt man, wenn man nur einmal den heiligen Namen »Kṛṣṇa« chantet. Das bedeutet also, mit anderen Worten, daß von allen heiligen Namen des Höchsten Persönlichen Gottes – einschließlich der Namen »Viṣṇu« und »Rāma« – der heilige Name »Kṛṣṇa« der mächtigste ist. Die vedischen Schriften messen deshalb dem Chanten des heiligen Namens »Kṛṣṇa« ganz besondere Bedeutung bei, vor allem in der Form von »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare – Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare«. Śrī Caitanya führte das Chanten der heiligen Namen Kṛṣṇas im gegenwärtigen Zeitalter ein und machte es damit viel leichter als in anderen Zeitaltern, Befreiung zu erlangen. Śrī Kṛṣṇa ist also vortrefflicher als Seine anderen Inkarnationen, obwohl sie alle im gleichen Maße der Höchste Persönliche Gott sind. Die fünfte Besonderheit an Śrī Kṛṣṇas Erscheinen ist, daß Er durch einen einzigen Ausspruch in der Bhagavad-gītā (18.66) das vortrefflichste aller religiösen Prinzipien verkündete. Dieser Ausspruch besagt, daß man alle Grundsätze religiöser Riten ganz einfach dadurch erfüllen kann, daß man sich Ihm hingibt. In den vedischen Schriften werden zwanzig Arten religiöser Prinzipien erwähnt, von denen jede in einer anderen śāstra beschrieben wird. Doch Śrī Kṛṣṇa ist so gütig zu den gefallenen und bedingten Seelen dieses Zeitalters, daß Er persönlich erschien und jeden bat, alle religiösen Riten aufzugeben und sich ganz einfach Ihm hinzugeben. Im Zeitalter des Kali, so heißt es, sind drei Viertel der religiösen Prinzipien verlorengegangen, und auch das noch verbliebene Viertel wird kaum noch eingehalten. Durch Śrī Kṛṣṇas Gnade jedoch ist diesem Mangel des Kali-yuga nicht nur völlig abgeholfen, sondern die Ausübung der Religion ist zudem so einfach gemacht worden, daß man schon dadurch, daß man dem Herrn durch das Chanten Seiner heiligen Namen »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare – Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« transzendentalen liebevollen Dienst darbringt, das höchste Ergebnis der Religion erreichen kann, das darin besteht, zum höchsten Planeten in der spirituellen Welt, nach Goloka Vṛndāvana, zu gelangen. Hieran wird der Segen von Śrī Kṛṣṇas Erscheinen deutlich, und man kann verstehen, daß es in keiner Weise ungewöhnlich war, daß Er den Menschen der Welt durch Sein Erscheinen Erleichterung verschaffte. Śrīla Śukadeva Gosvāmī beendete seine Beschreibung der einzigartigen Vortrefflichkeit Śrī Kṛṣṇas, indem er Ihn mit folgenden Worten pries: »O Śrī Kṛṣṇa, gepriesen seiest Du. Du weilst im Herzen eines jeden als Paramātmā. Deshalb bist Du auch als Jananivāsa bekannt, als ›einer, der im Herzen eines jeden weilt‹«. In der Bhagavad-gītā (18.61) wird dies wie folgt bestätigt: īśvaraḥ sarva bhūtānāṁ hṛd-deśe 'rjuna tiṣṭhati. »Der Höchste Herr weilt in Seinem Aspekt als Paramātmā im Herzen eines jeden.« Das heißt jedoch nicht, daß Kṛṣṇa kein davon gesondertes Dasein als der Höchste Persönliche Gott führt. Die Māyāvādī-Philosophen erkennen zwar den alldurchdringenden Aspekt des Parabrahman an, doch wenn der Parabrahman, der Höchste Herr, Selbst erscheint, glauben sie, Sein Erscheinen unterstehe dem Diktat der materiellen Natur. Weil Kṛṣṇa als der Sohn Devakīs erschien, halten die Māyāvādīs Ihn für ein gewöhnliches Lebewesen, das in der materiellen Welt geboren wird. Deshalb warnt Śukadeva Gosvāmī sie, indem er erklärt devakī-janma-vāda, was bedeutet, daß Kṛṣṇa, obwohl Er als der Sohn Devakīs berühmt ist, in Wirklichkeit die Überseele ist oder der alldurchdringende Höchste Persönliche Gott. Die Gottgeweihten jedoch verstehen den Ausspruch devakī-janma-vāda noch auf eine andere Weise. Sie wissen, daß Kṛṣṇa eigentlich der Sohn Mutter Yaśodās war, denn obwohl Kṛṣṇa zunächst als Sohn Devakīs erschien, ließ Er Sich sogleich zum Schoß Yaśodās bringen. Yaśodā und Nanda Mahārāja freuten sich voller Glückseligkeit an Seinen Kindheitsspielen. Dies gab auch Vasudeva zu, als er Nanda Mahārāja und Mutter Yaśodā in Kurukṣetra begegnete. Er erklärte damals, daß Kṛṣṇa und Balarāma in Wirklichkeit die Söhne Mutter Yaśodās und Nanda Mahārājas seien. Vasudeva und Devakī waren nur oberflächlich betrachtet ihre Eltern. Ihre wirklichen Eltern waren Nanda und Yaśodā. Daher also nannte Śukadeva Gosvāmī Śrī Kṛṣṇa devakī-janma-vāda. Śukadeva Gosvāmī pries den Herrn weiterhin als den, der vom yadu-vara-pariṣat, vom Versammlungshaus der Yadu-Dynastie, geehrt wird, und als den Vernichter vieler Dämonen. Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, hätte die Dämonen auch alle durch Seine vielfältigen materiellen Energien töten können, doch Er wollte sie lieber persönlich vernichten, um ihnen Befreiung zu geben. Kṛṣṇa hätte nicht persönlich in die materielle Welt herabzukommen brauchen, nur um Dämonen zu töten, denn schon allein durch Seinen Willen hätten Hunderte und Tausende von Dämonen auch ohne Sein persönliches Auftreten getötet werden können. Im Grunde erschien Er nur für Seine reinen Geweihten, um z. B. als Kind mit Mutter Yaśodā und Nanda Mahārāja zu spielen und die Einwohner Dvārakās zu erfreuen. Als Śrī Kṛṣṇa die Dämonen tötete und die Gottgeweihten beschützte, lehrte Er das wahre religiöse Prinzip – Liebe zu Gott. Durch das Befolgen der echten religiösen Prinzipien der Liebe zu Gott wurden selbst die Lebewesen, die man als sthira-cara bezeichnet, von aller materiellen Verunreinigung befreit und in das spirituelle Königreich erhoben. Unter sthira versteht man die sich nicht bewegenden Lebewesen, wie Bäume und Sträucher, und cara bezieht sich auf die sich bewegenden Lebewesen, vor allem die Kühe. Als Kṛṣṇa gegenwärtig war, erlöste Er alle Bäume, Affen und viele andere Tiere und Pflanzen, die Ihm begegneten und Ihm in Vṛndāvana oder Dvārakā dienten. Śrī Kṛṣṇa wird ganz besonders für die Freude gepriesen, die Er den gopīs und den Königinnen von Dvārakā schenkte. Śukadeva Gosvāmī pries Śrī Kṛṣṇa für Sein bezauberndes Lächeln, mit dem Er nicht nur die gopīs in Vṛndāvana, sondern auch die Königinnen in Dvārakā in Bann schlug. Das Wort, das in diesem Zusammenhang gebraucht wird, lautet vardhayan kāmadevam. In Vṛndāvana als Freund vieler gopīs und in Dvārakā als Gemahl vieler Königinnen entfachte Kṛṣṇa die lustvollen Wünsche Seiner Geweihten, sich mit Ihm zu erfreuen. Um Gott kennenzulernen oder sich selbst zu verwirklichen, muß man sich für gewöhnlich für viele Tausende von Jahren schwere Entsagungen und Bußen auferlegen und kann erst dann möglicherweise Gott erkennen. Den gopīs und den Königinnen von Dvārakā indessen wurde die höchste Art der Befreiung einfach dadurch zuteil, daß sie ihre lustvollen Wünsche, sich mit Kṛṣṇa als Freund oder Gemahl zu vergnügen, steigerten. Śrī Kṛṣṇas Beziehung zu den gopīs und den Königinnen ist einzigartig in der Geschichte der Selbstverwirklichung. Im allgemeinen glauben die Menschen, zur Selbstverwirklichung müsse man sich in den Wald oder in die Berge begeben und dort schwere Entsagungen und Bußen auf sich nehmen; doch die gopīs und Königinnen erlangten einfach dadurch, daß sie in intimer Liebe an Kṛṣṇa hingen und sich Seiner Gesellschaft in einem scheinbar sinnengenießerischen Leben voller Pracht und Herrlichkeit erfreuten, die höchste Art der Befreiung, die nicht einmal den großen Weisen und Heiligen erreichbar ist. In ähnlicher Weise erhielten auch Dämonen, wie Kaṁsa, Dantavakra und Śiśupāla, die höchste Segnung, indem sie in die spirituelle Welt erhoben wurden. Zu Beginn des Śrīmad-Bhāgavatam bringt Śrīla Vyāsadeva der Höchsten Wahrheit Vāsudeva, Kṛṣṇa, seine achtungsvollen Ehrerbietungen dar. Danach lehrte er seinen Sohn Śukadeva Gosvāmī, das Śrīmad-Bhāgavatam zu predigen, und pries in diesem Zusammenhang den Herrn als jayati. Den Fußstapfen Śrīla Vyāsadevas, Śukadeva Gosvāmīs und aller ācāryas in der Nachfolge der Schüler folgend sollte die gesamte Weltbevölkerung Śrī Kṛṣṇa preisen und sich zu ihrem eigenen Besten der Bewegung für Kṛṣṇa-Bewußtsein anschließen. Der Vorgang ist einfach und wirksam: Man braucht nur den mahā-mantra zu chanten »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare – Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare«. Der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, die Überseele aller Lebewesen, kommt aus Seiner grundlosen Gnade in die materielle Welt herab und offenbart in Seinen verschiedenen Inkarnationen Seine vielfältigen transzendentalen Spiele. Das Hören über die anziehenden Spiele der verschiedenen Inkarnationen Śrī Kṛṣṇas stellt für die bedingte Seele eine Möglichkeit zur Befreiung dar, und die wundersamen und freudvollen Taten, die Śrī Kṛṣṇa Selbst vollbrachte, sind ganz besonders anziehend, denn Śrī Kṛṣṇa Selbst ist allesanziehend. Den heiligen Fußstapfen Śrīla Śukadeva Gosvāmīs folgend haben wir versucht, das Buch »Kṛṣṇa« vorzulegen, damit es von den bedingten Seelen des gegenwärtigen Zeitalters gelesen und gehört werden kann. Wenn man über die transzendentalen Spiele Śrī Kṛṣṇas hört, wird man mit Sicherheit und Gewißheit Befreiung erlangen und nach Hause, zu Gott, zurückkehren. Śrīla Śukadeva Gosvāmī versichert, daß wir dadurch, daß wir über die transzendentalen Spiele und Taten des Herrn hören, nach und nach alle Fesseln materieller Verunreinigung abstreifen. Deshalb muß man, ganz gleich wer oder was man sein mag, wenn man mit Śrī Kṛṣṇa im transzendentalen Königreich Zusammensein will, um dort in Ewigkeit und Glückseligkeit zu leben, über Śrī Kṛṣṇas Spiele hören und den mahā-mantra chanten – »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare – Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare«. Die transzendentalen Spiele des Höchsten Persönlichen Gottes Śrī Kṛṣṇa sind so machtvoll, daß man, wenn man nur aus dem Buch »Kṛṣṇa« hört, liest oder sich seines Inhalts erinnert, mit Sicherheit in die spirituelle Welt erhoben werden wird, was für gewöhnlich nur sehr schwer zu erreichen ist. Die Schilderungen der Spiele Śrī Kṛṣṇas wirken so anziehend, daß sie uns von selbst dazu anregen, sie immer wieder zu studieren, und je mehr wir die Spiele des Herrn kennenlernen, desto mehr Zuneigung werden wir zu Ihm gewinnen. Und allein diese Zuneigung zu Kṛṣṇa gibt uns die Eignung, in Sein Reich, nach Goloka Vṛndāvana zu gelangen. Wie wir aus dem vorangegangenen Kapitel erfahren haben, muß man, um die materielle Welt hinter sich zu lassen, die strengen Gesetze der materiellen Natur überwinden. Die strengen Gesetze der materiellen Natur können jedoch nicht den Fortschritt einer Seele hemmen, die sich zur spirituellen Natur hingezogen fühlt. Dies wird vom Herrn Selbst in der Bhagavad-gītā (7.14) bestätigt; es heißt dort: »Obwohl die strengen Gesetze der materiellen Natur sehr schwer zu überwinden sind, kann man, wenn man sich dem Herrn hingibt, die Unwissenheit sehr leicht hinter sich lassen.« In der spirituellen Welt hat die materielle Natur keinen Einfluß. Wie wir aus dem Zweiten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam wissen, sind die Macht der herrschenden Halbgötter und der Einfluß der materiellen Natur so deutlich wahrnehmbar, weil es sie in der spirituellen Welt nicht gibt. Śrīla Śukadeva Gosvāmī legt Mahārāja Parīkṣit daher zu Anfang des Zweiten Cantos nahe, daß jede bedingte Seele von den transzendentalen Spielen des Herrn hören und chanten solle. Śrīla Śukadeva Gosvāmī sagte zu König Parīkṣit weiterhin, daß in früheren Zeiten viele Könige und Kaiser in den Dschungel gezogen seien und sich dort schweren Strengen und Bußen unterzogen hätten, um nach Hause, zu Gott, zurückzukehren. In Indien ist es oftmals heute noch üblich, daß fortgeschrittene Transzendentalisten ihr Familienleben aufgeben und nach Vṛndāvana ziehen, um sich dort vollauf dem Hören und Chanten über die heiligen Spiele des Herrn zu widmen. Dieser Vorgang wird im Śrīmad-Bhāgavatam empfohlen, und die sechs Gosvāmīs von Vṛndāvana folgten dieser Weisung. Leider jedoch haben gegenwärtig viele karmīs und Pseudo-Gottgeweihte, die den von Śukadeva Gosvāmī empfohlenen Vorgang nachahmen wollten, das heilige Vṛndāvana übervölkert. Zwar heißt es, daß früher viele Könige und Kaiser zu diesem Zweck in den Wald gingen, doch Śrīla Bhaktisiddhānta Sarasvatī Ṭhākura verurteilte die Absicht, das weltabgewandte Leben in Vṛndāvana verfrüht zu beginnen. Wer sich verfrüht nach Vṛndāvana begibt, um dort gemäß den Anweisungen Śukadeva Gosvāmīs zu leben, wird, obwohl er sich in Vṛndāvana befindet, wieder māyā zum Opfer fallen. Um sich gegen unrechtes Sich-Niederlassen in Vṛndāvana zu wenden, verfaßte Śrīla Bhaktisiddhānta Sarasvatī Thākura ein in diesem Zusammenhang sehr zutreffendes Lied, es lautet: »Mein lieber Geist, warum bist du so stolz darauf, ein Vaiṣṇava zu sein? Dein einsiedlerisches Verehren und Chanten des heiligen Namens des Herrn beruht auf dem Wunsch nach billiger Bewunderung, und deshalb ist dein Chanten des heiligen Namens Heuchelei. Dieses Trachten nach nichtigem Ansehen ist mit dem Kot von Schweinen vergleichbar, denn solche Bewunderung ist eine weitere Erscheinung von māyās Einfluß.« Zwar kann man sich auch um billiger Bewunderung willen nach Vṛndāvana begeben und, statt ins Kṛṣṇa-Bewußtsein vertieft zu sein, immerzu an Geld und Frauen denken, die doch nur vergängliche Quellen der Freude sind, doch ist es viel ratsamer, alles, was man an Geld und Frauen besitzen mag, in den Dienst des Herrn zu stellen, denn Sinnengenuß ist nicht für die bedingten Seelen bestimmt. Der Meister der Sinne ist Hṛṣīkeśa, Śrī Kṛṣṇa. Deshalb sollten die Sinne stets in Seinem Dienst gebraucht werden. Was materiellen Ruhm betrifft, so hat es viele Dämonen, wie z. B. Rāvaṇa, gegeben, die sich dieses Ruhmes wegen gegen die Gesetze der materiellen Natur vergehen wollten, doch sie alle scheiterten. Man sollte deshalb nicht so dämonisch handeln und sich aus falscher Geltungssucht als Vaiṣṇava gebärden, ohne dem Herrn zu dienen. Wenn man sich aber dem hingebungsvollen Dienst für den Herrn widmet, wird einem der Ruhm eines Vaiṣṇava von selbst zufallen. Es gibt kaum einen Grund, gegen die Gottgeweihten Mißgunst zu hegen, die den Ruhm des Herrn verkünden. Wir selbst haben es erlebt, daß uns die sogenannten bābājīs in Vṛndāvana sagten, es sei nicht vonnöten zu predigen, und man tue besser daran, in Vṛndāvana an einem abgeschiedenen Ort zu leben und den heiligen Namen zu chanten. Solche bābājīs wissen nicht, daß einem, wenn man sich dem Predigen oder der Verkündung des Ruhmes des Höchsten Persönlichen Gottes widmet, ganz von selbst der gute Ruf eines Predigers folgen wird. Man sollte also nicht voreilig das ehrenwerte Leben eines Haushälters aufgeben, um in Vṛndāvana ein Leben des Müßiggangs zu führen. Śrīla Śukadeva Gosvāmīs Empfehlung, das Zuhause zu verlassen und in den Wald zu gehen, um nach Kṛṣṇa zu forschen, gilt nicht für unreife Menschen. Mahārāja Parīkṣit war reif. Vom Anfang seines Lebens an und auch als Haushälter verehrte er den mūrti Śrī Kṛṣṇas. In seiner Kindheit verehrte er Śrī Kṛṣṇas transzendentale Bildgestalt, und obwohl er später Haushälter wurde, blieb er doch immer frei von Anhaftung. So gab er auch, als er von seinem bevorstehenden Tod erfuhr, sogleich alle Verbindungen zum Haushälterleben auf und setzte sich am Ufer des Ganges nieder, um in der Gemeinschaft von Gottgeweihten das Śrīmad-Bhāgavatam zu hören. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 90. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Eine kurze Darstellung der Spiele Śrī Kṛṣṇas«. ENDE