- Die Lehren Śrī Kṛṣṇa Caitanyas -    
Original Version - Erste Auflage 1975
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von Seiner Göttlichen Gnade A.C Bhaktivedanta Swami Prabhupāda

Gründer und ācārya der Internationalen Gesellschaft für Kṛṣṇa-Bewußtsein


Die Lehren
Śrī Kṛṣṇa Caitanyas

von
Seine Göttliche Gnade
A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda

Gründer-Ācārya der Internationalen Gesellschaft
für Kṛṣṇa-Bewußtsein e.V.

Inhalt

Geleitwort ....................................................................
Vorwort .......................................................................
Prolog...........................................................................
Einleitung.....................................................................
Die Botschaft Śrī Kṛṣṇa Caitanyas - Śrī Śiksāṣṭaka.......
Die Unterweisung Rūpa Gosvāmīs..................................
Sanātana Gosvāmī........................................................
Die Unterweisung Sanātana Gosvāmīs...........................
Der Weise ...................................................................
Wie man Gott näherkommt..........................................
Kṛṣṇas unzählige Formen sind eins ..............................
Die unzähligen Formen Gottes .....................................
Die Avatāras ...............................................................
Die unermeßlichen Füllen Kṛṣṇas..................................
Die Schönheit Kṛṣṇas..................................................
Der Dienst für den Herrn ..............................................
Der Gottgeweihte.........................................................
Hingebungsvolles Dienen in transzendentaler Anhaftung..
Die Ekstase des Herrn und Seiner Geweihten .................
Erklärung des ātmārāma-Verses aus dem Bhāgavatam ..
Śrī Caitanya beendet Seine Unterweisung Sanātanas ......
Śrī Kṛṣṇa Caitanya, der Ursprüngliche Persönliche Gott ...
Gespräche mit Prakāṣānanda Sarasvatī..........................
Das Ziel des Vedānta ....................................................
Die Māyāvādī-Philosophen werden überzeugt ................
Weitere Gespräche mit Prakāṣānanda Sarasvatī.............
Prakāṣānanda Sarasvatī gibt sich hin..............................
Das Śrīmad-Bhāgavatam ..............................................
Gespräche mit Sārvabhauma Bhaṭṭācārya .....................
Persönliche und unpersönliche Verwirklichung.................
Sārvabhauma Bhaṭṭācārya ist überzeugt ......................
Śrī Caitanya und Rāmānanda Rāya ...............................
Die Erhabenheit des hingebungsvollen Dienens ..............
Die transzendentale Beziehung Rādhā und Kṛṣṇas ........
Reine Liebe zu Kṛṣṇa...................................................
Die höchste Vollkommenheit ........................................
Schlußfolgerung............................................................
Erklärung wichtiger Sanskritwörter und Eigennamen ......
16 farbige Bildtafeln aus dem Buch

 








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Die Lehren
Śrī Kṛṣṇa Caitanyas

Eine Abhandlung
über wirkliches spirituelles Leben

THE BHAKTIVEDANTA BOOK TRUST BBT

Titel der Originalausgabe:
Teachings of Lord Caitanya

Für die Übersetzung aus dem Englischen verantwortlich:

Vedavyāsa dāsa brahmacārī (Christian Jansen)
Śacīnandana dāsa brahmacārī (Thorsten Pettersson)
Nikhilānanda dāsa brahmacārī (Nikolay Jankowsky)

1. Auflage 1.-10. Tausend

BBT-Logo

Copyright © THE BHAKTIVEDANTA BOOK TRUST
Alle Rechte vorbehalten

Herausgeber:
Internationale Gesellschaft für Kṛṣṇa-Bewußtsein e.V.
6241 Schloß Rettershof/i. Ts.
Tel.: 06174/21357

Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck

Für seine unersetzliche Hilfe bei der Herausgabe
dieses Werkes gilt unser besonderer Dank
Prof. Dr. W. H. Wolf-Rottkay

Associate Professor Emeritus of German and
Linguistics at the University of Southern California.
Die Übersetzer


Gewidmet

dem heiligen Dienst
Śrīla Sac-cid-ānanda Bhaktivinoda Ṭhākuras
der die Lehren Śrī Kṛṣṇa Caitanyas im Jahre 1896
dem Jahr meiner Geburt
in die westliche Welt brachte
(McGill University, Canada)

A. C. Bhaktivedanta Swami    



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18. KAPITEL

Caitanya


Gespräche mit Prakāṣānanda Sarasvatī

Den Māyāvādī-sannyāsīs ist es strikt verboten, zu singen, zu tanzen oder auf Musikinstrumenten zu spielen. Sie bezeichnen diese Tätigkeiten als große Sünden. Von einem Māyāvādī-sannyāsī wird erwartet, daß er seine ganze Zeit dem Studium des Vedānta-sūtra widmet. Als nun die Māyāvādīs von Benares sahen, daß Śrī Kṛṣṇa Caitanya immerzu sang, tanzte, die mṛdanga-Trommel spielte und fortwährend »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« chantete, kamen sie zu dem Schluß, daß dieser sannyāsī keinerlei Erziehung besaß und aus Sentimentalität Anhänger in die Irre führte.

Śaṅkarācārya, der führende Philosoph der Māyāvādīs, sagte einmal, ein sannyāsī solle ausschließlich den Vedānta studieren, und seine Zeit nicht mit Singen und Tanzen vergeuden; doch weder studierte Śrī Caitanya den Vedānta noch hörte Er auf, zu singen und zu tanzen. Deshalb kritisierten Ihn die sannyāsīs von Benares und auch deren Anhänger auf immer üblere Weise. Als dem Herrn von Seinen Schülern davon berichtet wurde, lächelte Er nur und machte Sich auf den Weg nach Mathurā und Vṛndāvana. Auf der Rückreise von Mathurā nach Jagannātha Purī schließlich besuchte Er wieder Benares. Diesmal wohnte Er im Haus von Candraṣekhara, der als ṣūdra angesehen wurde, da er ein Beamter war. Doch Śrī Caitanya kümmerte Sich nicht darum und wählte dessen Haus als Quartier, um zu zeigen, daß Er keinen Unterschied zwischen einem brāhmaṇa und einem ṣūdra machte, sondern daß Er jeden annahm, der Śrī Kṛṣṇa hingegeben war. Für gewöhnlich sollte ein sannyāsī nur im Hause eines brāhmaṇa wohnen oder essen, doch Caitanya Mahāprabhu hatte als der unabhängige Höchste Persönliche Gott völlige Entscheidungsfreiheit, und so beschloß Er, im Haus Candraṣekharas zu wohnen.

In jenen Tagen hatten die brāhmaṇas ihren Einfluß mißbraucht und ein Gesetz erlassen, nach dem jeder, der nicht in einer brāhmaṇa-Familie geboren war, als ṣūdra anzusehen war. Nach diesem Gesetz wurden sogar die kṣatriyas und vaiṣyas als ṣūdras bezeichnet. Die vaiṣyas sind die Nachkommen von brāhmaṇa-Vätern und ṣūdra-Müttern, und sie wurden deshalb ebenfalls »ṣūdras« genannt. Aus diesem Grund wurde auch Candraṣekhara, obgleich er in einer vaiṣya-Familie geboren war, in Benares als ṣūdra angesehen. Śrī Caitanya achtete jedoch nicht darauf, sondern wohnte, solange Er Sich in Benares aufhielt, im Hause Candraṣekharas und speiste bei Tapana Miṣra, einem anderen Gottgeweihten.

Während dieser Zeit kam auch Sanātana Gosvāmī zu Śrī Caitanya, und lernte innerhalb der zwei Monate, in denen der Herr ihn fortwährend unterwies, die Prinzipien und den Vorgang des hingebungsvollen Dienens. (Die Unterweisungen, die er während dieser Zeit von Śrī Caitanya empfing, wurden bereits im ersten Teil dieses Buches ausführlich behandelt.) Zum Schluß Seiner Belehrungen ermächtigte der Herr Sanātana Gosvāmī, die Prinzipien des hingebungsvollen Dienens und die Botschaft des Śrīmad-Bhāgavatam zu verbreiten.

Während Sich Śrī Caitanya in Benares aufhielt, litten Tapana Miṣra und Candraṣekhara sehr unter der heftigen Kritik, die gegen den Herrn erhoben wurde, und so wandten sie sich eines Tages an Caitanya Mahāprabhu und baten Ihn, die Māyāvādīs zu besuchen, um mit ihnen zu sprechen, damit die üblen Reden über Ihn, die zu hören für sie nicht länger erträglich seien, ein Ende hätten.

Während sie dem Herrn ihre Bitte vortrugen, trat ein brāhmaṇa zu ihnen und lud Śrī Caitanya ein, bei ihm zu essen, wie auch alle anderen sannyāsīs der Stadt es tun würden. Nur Śrī Caitanya, so sagte er, sei noch nicht von ihm eingeladen worden, und daher wolle er nun das Versäumte nachholen. Der brāhmaṇa wußte, daß Śrī Caitanya Mahāprabhu die Māyāvādīs im allgemeinen mied, und daher fiel er dem Herrn zu Füßen und flehte Ihn an: »Obwohl mir bekannt ist, daß Du für gewöhnlich keine Einladungen annimmst, bitte ich Dich dennoch, so gütig zu sein und in meinem Haus zusammen mit den anderen sannyāsīs prasāda zu Dir zu nehmen. Das wäre mir eine ganz besondere Ehre!«

Die Einladung des brāhmaṇa war eine günstige Gelegenheit für Śrī Caitanya Mahāprabhu, den Konflikt mit den Māyāvāda-sannyāsīs zu bereinigen, und so sagte Er bereitwillig zu. All dies geschah nach dem höchsten Willen des Herrn, denn obgleich der brāhmaṇa eigentlich genau wußte, daß Śrī Caitanya grundsätzlich keine Einladungen annahm, war er dennoch gekommen, um Ihn zu bitten, sein Gast zu sein.

Als Śrī Caitanya am nächsten Tag zum Hause des brāhmaṇa kam, waren die Māyāvādī-sannyāsīs bereits alle versammelt. Er brachte ihnen, wie es der Brauch vorschreibt, als erstes Seine Ehrerbietungen dar und begab Sich dann in die Waschecke, um Sich die Füße zu waschen. Danach ging Er jedoch nicht zu den Māyāvādī-sannyāsīs hinüber, sondern setzte Sich demütig an dem Platz nieder, wo das Waschwasser stand. Während Er Sich so im Hintergrund hielt, bemerkten die Māyāvādī-sannyāsīs mit Verwunderung, daß eine leuchtende Ausstrahlung von Seinem Körper ausging. Sie fühlten sich in unerklärlicher Weise zu Ihm hingezogen und standen auf, um Ihm Ehre zu erweisen. Prakāṣānanda Sarasvatī, ihr Führer, sprach Śrī Caitanya mit großem Respekt an und bat Ihn, Sich zu ihnen zu setzen. Er sagte: »Lieber Herr, warum setzt Du Dich an diesen unreinen Ort? Bitte komm doch herüber und ehre uns mit Deiner Gesellschaft.«

Śrī Kṛṣṇa Caitanya antwortete ihm jedoch: »Verzeiht, aber Ich bin nur ein sannyāsī niederen Ranges; Ich bin es nicht wert, mit euch zusammen zu sitzen. Es ist daher besser, wenn ich hier bleibe.«

Prakāṣānanda überraschte es, solche bescheidenen Worte von einem so berühmten Mann zu hören. Er nahm den Herrn bei der Hand und bat Ihn noch einmal, doch bitte vorn, bei den anderen sannyāsīs Platz zu nehmen. Śrī Caitanya gab schließlich nach, und als Er dann vor ihnen saß, fragte Ihn Prakāṣānanda Sarasvatī: »Wenn ich mich nicht irre, ist Dein Name Śrī Kṛṣṇa Caitanya, und ich weiß auch, daß Du zur Śaṅkara-Ordnung gehörst wie wir, denn Du wurdest von Keṣava Bhāratī eingeweiht, der der Śaṅkara-sampradāya angehört.«

Bei der Śaṅkara-Sekte gibt es zehn verschiedene Namen für die unterschiedlichen sannyāsīs. Die Titel tīrtha, āṣrama und sarasvatī bezeichnen die Erleuchtetsten und Gelehrtesten unter ihnen. Als Vaiṣṇava war Śrī Caitanya ganz natürlich demütig und bescheiden; deshalb wollte Er Prakāṣānanda, der den Titel Sarasvatī trug, den besseren Platz überlassen. Nach den Prinzipien Śaṅkaras wird ein Schüler der Bhāratī-Schule vor dem sannyāsa »Caitanya«, danach aber »Bhāratī« genannt; doch obwohl Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhu bereits in die Lebensstufe der Entsagung eingetreten war, behielt Er Seinen brahmacārī-Namen auch weiterhin bei.

Prakāṣānanda Sarasvatī fragte dann: »Mein Herr, Du gehörst zur Śaṅkara-Ordnung und lebst schon seit einiger Zeit hier in Benares; warum also verkehrst Du nicht mit uns? Was ist der Grund für Deine ablehnende Haltung? Und eigentlich solltest Du als sannyāsī Deine ganze Zeit dem Studium des Vedānta widmen, doch statt dessen sehen wir Dich auf den Straßen singen und tanzen. - Warum dies alles? So etwas tun nur gefühlsbetonte und sentimentale Menschen; doch Du bist ein durchaus qualifizierter sannyāsī. Warum studierst Du also nicht den Vedānta? Deine Ausstrahlung läßt Dich erscheinen wie der Höchste Persönliche Gott Nārāyaṇa, doch Dein Verhalten spricht nicht für Dich. Bitte erkläre uns den Grund für Deine seltsame Lebensweise.«

Śrī Caitanya antwortete: »Ihr müßt wissen, daß Mein geistiger Meister Mich einen großen Dummkopf hieß und Mich daher gewissermaßen bestrafte, indem er Mir verbot, den Vedānta zu lesen; er sagte, aufgrund Meiner Dummheit hätte Ich kein Recht dazu. Doch er war so gütig und lehrte Mich statt dessen das Chanten von Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare. Mein geistiger Meister erklärte Mir dazu: »Bitte chante immer diesen Hare-Kṛṣṇa-mantra, dann wirst Du in jeder Hinsicht vollkommen werden.«

In Wirklichkeit war Śrī Kṛṣṇa Caitanya natürlich kein Dummkopf, und Er kannte auch durchaus die Prinzipien des Vedānta. An Seinem Beispiel wollte Er lediglich der modernen Gesellschaft klarmachen, daß unwissende Menschen, die keinerlei Opfer und Bußen auf sich nehmen und den Vedānta nur zum Zeitvertreib studieren wollen, besser ihre Hände von dieser Schrift lassen sollten. Śrī Caitanya sagt im zweiten Vers Seines Śikṣāṣṭakam: »Man kann den heiligen Namen des Herrn in aller Demut chanten, sich niedriger dünkend als das Stroh in der Gasse, duldsamer als ein Baum, frei von allem falschen Geltungsbewußtsein und immer bereit, anderen Ehre zu erweisen. In solcher Geisteshaltung kann man die Vedānta-Philosophie bzw. die heiligen Namen Gottes ohne Unterlaß chanten.« Auch wollte Er die Menschen lehren, daß ein ernsthafter Schüler der transzendentalen Wissenschaft die Unterweisungen seines geistigen Meisters genau befolgen muß. In den Augen Seines geistigen Meisters war Śrī Caitanya ein Narr, und daher unterwies dieser Ihn, Sich nicht mit dem Studium des Vedānta zu befassen, sondern statt dessen den Hare-Kṛṣṇa-mantra zu chanten. Śrī Kṛṣṇa Caitanya gehorchte Seinem geistigen Meister widerspruchlos und machte auf diese Weise den Māyāvādīs klar, daß die Worte des geistigen Meisters genau befolgt werden müssen, denn nur so kann man die Vollkommenheit erreichen.

Den Vedānta wirklich zu verstehen bedeutet, Kṛṣṇa und seine ewige Beziehung zu Ihm zu erkennen. Vedaiṣ ca sarvair aham eva vedyo: »Das Ziel aller Veden ist es, Mich zu erkennen.« Wer Kṛṣṇa kennt, kennt alles und dient Ihm ständig in transzendentaler Liebe. Der Herr bestätigt dies in der Bhagavad-gītā: »Ich bin der Ursprung der spirituellen und der materiellen Welt. Alles geht von Mir aus. Die Weisen, die dies wissen, dienen Mir in Hingabe und verehren Mich von ganzem Herzen.« (Bg. 10.8)

Das Lebewesen ist der ewige Diener Kṛṣṇas und daher auf ewig mit Ihm verbunden. Wenn es sich jedoch nicht im Dienst des Höchsten beschäftigt, wenn es also nicht Kṛṣṇa-bewußt ist, bleibt alles Studieren des Vedānta nutzlos. Solange man nicht das Kṛṣṇa-Bewußtsein versteht, und solange man sich nicht im transzendentalen hingebungsvollen Dienen für Śrī Kṛṣṇa beschäftigt, erfüllt man nicht die Grundvoraussetzungen, die notwendig sind, um den Vedānta zu studieren und letztlich den Höchsten Persönlichen Gott zu erkennen.

Wer die Vedānta-Philosophie studieren möchte, sollte dem Beispiel Śrī Caitanyas folgen. Wer jedoch auf seine sogenannte Bildung stolz ist, kann nicht demütig sein und wird daher auch niemals bei einem geistigen Meister Zuflucht suchen. Er wird vielmehr denken, er benötige keinen guru und könne statt dessen durch eigene Anstrengungen die höchste Vollkommenheit erreichen. Toren dieser Art sind natürlich nicht in der Lage, den Vedānta zu studieren. Diejenigen, die unter dem Einfluß der materiellen Energie stehen, versuchen, ihren eigenen Weg zu gehen, statt den Anweisungen der guru paramparā (der Nachfolge der geistigen Meister) zu folgen, und verlassen somit den Bereich des Vedānta-Studiums. Ein autorisierter geistiger Meister ist dazu verpflichtet, solche intellektuellen Spekulanten zu verurteilen. Wenn der geistige Meister seinen Schüler einen Dummkopf nennt, so entspricht dies völlig den Tatsachen, denn jemand, der die Wissenschaft von Gott nicht kennt, kann nicht als gelehrt angesehen werden. Manchmal zeigt sich diese Dummheit daran, daß solche Unwissenden einen Menschen als guru annehmen, der nicht die geringsten spirituellen Kenntnisse besitzt.

Es ist ganz einfach unsere Pflicht, den Höchsten Persönlichen Gott zu erkennen, dessen Lotosfüße von allen Veden verehrt werden, und jeder, der den Höchsten Persönlichen Gott nicht erkannt hat, aber dennoch auf sein falsches Verständnis vom Vedānta-sūtra stolz ist, ist einfach ein Narr. Die Versuche weltlicher Gelehrter, mit Hilfe von akademischem Wissen den Vedānta zu verstehen, sind nur ein weiteres Zeichen von Torheit. Wer nicht begriffen hat, daß die kosmische Welt nichts weiter ist als eine Manifestation der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur, befindet sich im Dämmerzustand der Illusion, gefangen von der Dualität der materiellen Welt. Jeder, der das Wissen des Vedānta verwirklicht hat, dient dem Höchsten Herrn, der die gesamte kosmische Manifestation erhält und versorgt. Wer nicht transzendental zum Dienst für das Begrenzte geworden ist, kann auch die unbegrenzte Philosophie des Vedānta nicht verwirklicht haben. Wenn man noch gewinnbringenden Tätigkeiten nachgeht oder sich mit intellektuellen Spekulationen befaßt, kann man zwar das theoretische Wissen des Vedānta-sūtra studieren und möglicherweise sogar darüber lehren, doch man kann in diesem Zustand niemals die Ebene der vollkommenen Befreiung erreichen; auf der man die ewige, transzendentale, höchste Klangschwingung »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma, Rāma, Hare Hare« versteht. Mit anderen Worten: Wer die Vollkommenheit im Chanten des transzendentalen Hare-Kṛṣṇa-mantras erreicht hat, braucht nicht mehr die Philosophie des Vedānta zu studieren.

Wer nicht weiß, daß die transzendentale Klangschwingung von »Hare Kṛṣṇa« mit dem Höchsten identisch ist, aber versucht, ein Māyāvāda-Philosoph und Kenner der Philosophie des Vedānta-sūtra zu werden, ist nach den Lehren Śrī Kṛṣṇa Caitanyas ein ausgesprochener Narr. Der Versuch, das Vedānta-sūtra auf dem aufsteigenden Weg der Erkenntnis zu verstehen, ist ebenfalls ein Zeichen von Unverstand. Wem es jedoch gelungen ist, einen Geschmack am Chanten der transzendentalen Klangschwingung des Hare-Kṛṣṇa-mantras zu entwickeln, hat bereits die Essenz des Vedānta erfaßt. In diesem Zusammenhang gibt es zwei treffende Verse im Śrīmad-Bhāgavatam; der erste Vers besagt, daß ein Mensch, der die transzendentale Klangschwingung von »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa, Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« chantet, selbst wenn er von geringer Herkunft ist, als Heiliger anzusehen ist, da er bereits alle Arten von Entsagungen und Bußen auf sich genommen, alle Opfer durchgeführt und alle Vedānta-sūtras studiert haben muß. Im zweiten Vers wird gesagt, daß ein Mensch, der die beiden Silben »Ha-re« chantet, praktisch alle Veden (Ṛk, Atharva, Sāma und Yajuḥ) studiert hat.

Es gibt jedoch auch viele sogenannte Gottgeweihte, die der Ansicht sind, der Vedānta sei nur für eine bestimmte Gruppe von Gelehrten, und nicht für Gottgeweihte, bestimmt. Sie verkennen, daß die reinen Gottgeweihten in Wirklichkeit die Einzigen sind, die das Vedānta-sūtra verstehen können. Alle großen ācāryas der vier Vaiṣṇava-sampradāyas haben Kommentare zum Vedānta-sūtra verfaßt, doch die sogenannten Gottgeweihten, die als prākṛta-sahajiyā bekannt sind, vermeiden es peinlichst, ihre Schriften zu studieren, denn sie halten in ihrer Verblendung fälschlich auch die reinen Gottgeweihten und Vaiṣṇava-ācāryas für intellektuelle Spekulanten oder nach materiellem Gewinn Strebende. Als Folge dieses Irrtums werden sie letzten Endes zu Māyāvādīs und verlassen den transzendentalen Dienst für den Höchsten Herrn.

Wer nur ein akademisches Verständnis vom Vedānta-sūtra besitzt, kann nicht die Bedeutung der transzendentalen Klangschwingung von Hare Kṛṣṇa verstehen. Menschen, die sich in akademisches Wissen verloren haben, sind ganz gewöhnliche bedingte Seelen, die, da sie sich auf ihr beschränktes Begriffsvermögen verlassen, ständig verwirrt sind und kein rechtes Verständnis von »ich« und »mein« besitzen. Daher sind sie außerstande, ihre Gedanken von der materiellen Energie zu lösen und sich auf einer höheren Ebene zu bewegen. Sowie man die Stufe des transzendentalen Wissens erlangt, wird man von der Dualität der materiellen Welt frei und beschäftigt sich im liebevollen Dienst für den Höchsten Herrn. Solches transzendentale gottgeweihte Dienen ist das einzige Mittel, durch das man von allen materiellen Tätigkeiten unabhängig werden kann. Wer von einem echten geistigen Meister eingeweiht worden ist und beginnt, »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« zu chanten, wird nach und nach von der materiellen Vorstellung des »ich« und »mein« befreit und gewinnt Anziehung zum transzendentalen liebevollen Dienen für den Herrn in einer der fünf Beziehungen. Nur wenn man verwirklicht hat, daß es keinen Unterschied zwischen dem Höchsten und Seinem Namen gibt, kann man fest im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert sein. Dann legt man auch keinen Wert mehr auf Dinge, wie die Sprache des Vedānta auf ihren grammatikalischen Aufbau hin zu untersuchen. Auf dieser Stufe interessiert sich der Gottgeweihte nur noch für die Bedeutung des Hare-Kṛṣṇa-mantras: »O Rādha, o Kṛṣṇa, bitte beschäftigt mich im hingebungsvollen Dienen.«

Śrī Kṛṣṇa Caitanya erklärte Prakāṣānanda Sarasvatī all dies und sagte dann, Er habe lediglich die Worte Seines geistigen Meisters wiederholt. Er machte Prakāṣānanda Sarasvatī außerdem darauf aufmerksam, daß Sein geistiger Meister Ihm gesagt habe, der wirkliche Kommentar zum Vedānta-sūtra sei das Śrīmad-Bhāgavatam, was auch der Verfasser des Vedānta-sūtra, Śrīla Vyāsadeva, selbst im Śrīmad-Bhāgavatam bestätigt.

Wenn der Schüler verwirklicht hat, daß zwischen dem heiligen Namen und dem Herrn Selbst kein Unterschied besteht, hat er die Vollkommenheit erreicht. Wer sich nicht der Führung eines geistigen Meisters, der sich auf dieser vollkommenen Stufe befindet, anvertraut, kann kein wirkliches Verständnis vom Höchsten erlangen; zudem ist die Absolute Wahrheit nur durch Dienen und durch Hingabe zu erkennen. Śrī Caitanya erklärte den Māyāvādī-sannyāsīs, daß das aufrichtige Aussprechen des Namens »Kṛṣṇa« bzw. das vergehenlose Chanten des Hare-Kṛṣṇa-mahā-mantras jede bedingte Seele augenblicklich von der materiellen Verunreinigung befreien könne. Im gegenwärtigen Zeitalter des Kali gibt es keine andere Möglichkeit, befreit zu werden, als durch das Chanten des Hare-Kṛṣṇa-mantras. In den Veden wird gesagt, daß die Essenz aller Schriften im Chanten der heiligen Namen Kṛṣṇas »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« liegt.

Śrī Caitanya Mahāprabhu zitierte dann einen Vers aus dem Bṛhan-nāradīya Purāṇa, den Ihn Sein geistiger Meister gelehrt hatte, um Ihn von dieser wichtigen Tatsache zu überzeugen:

harer nāma harer nāma harer nāmaiva kevalam
kalau nāsty eva nāsty eva nāsty eva gatir anyathā

»Chantet die heiligen Namen Gottes, chantet die heiligen Namen Gottes, chantet die heiligen Namen Gottes, denn im Zeitalter des Zankes und der Heuchelei gibt es keinen anderen Weg, keinen anderen Weg, keinen anderen Weg, der zur Befreiung führt.« (Bn. 38.126)

In den drei anderen Zeitaltern, Satya-, Tretā- und Dvāpara-yuga, war es selbstverständlich und ehrenvoll, transzendentale Erkenntnis durch die Nachfolge der geistigen Meister zu empfangen. Heutzutage jedoch haben die Menschen durch den Einfluß des Kali-Zeitalters jegliches Interesse an der Nachfolge der geistigen Meister verloren und versuchen statt dessen, mit Hilfe von Argumentation und Logik ihre eigenen Wege zu fabrizieren. Doch die Veden billigen solche Vorgänge nicht, bei denen man durch das Entwickeln von Thesen versucht, die Absolute Wahrheit zu begreifen. Die Absolute Wahrheit muß Sich von der absoluten Ebene aus offenbaren, d. h., Sie kann nicht durch den spekulativen Vorgang verstanden werden. Der heilige Name des Herrn ist eine transzendentale Klangschwingung und kommt von der transzendentalen Ebene, aus dem höchsten Reich Kṛṣṇas, zu uns herab. Und weil kein Unterschied zwischen Kṛṣṇa und Seinem Namen besteht, ist der heilige Name ebenso rein, vollkommen und befreiend wie Kṛṣṇa Selbst. Die akademischen Gelehrten haben mit all ihrer Logik und ihren Argumenten keinen Zugang zum Geheimnis der transzendentalen Natur des heiligen Namens. Der einzige Weg, das transzendentale Wesen der Klangschwingung von »Hare Kṛṣṇa, Hare Krṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« zu verstehen ist das vertrauensvolle und ständige Chanten dieser Namen. Wer mit Geduld und Vertrauen chantet, wird allmählich von der irrtümlichen Identifizierung mit dem grob- und feinstofflichen Körper frei.

In diesem Zeitalter der logischen Argumentation und der Meinungsverschiedenheiten ist das Chanten des Hare-Kṛṣṇa-mantras die einzige Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, und weil allein diese transzendentale Klangschwingung die bedingte Seele befreien kann, ist sie die Essenz des Vedānta-sūtra. In der materiellen Welt besteht ein Unterschied zwischen dem Namen, der Gestalt, den Eigenschaften, den Gefühlen und den Handlungen einer Person und der Person selbst; doch die transzendentale Klangschwingung von »Hare Kṛṣṇa« kennt keine solche Begrenzungen, denn sie kommt direkt aus der spirituellen Welt. In der spirituellen Welt besteht kein Unterschied zwischen dem Namen einer Person und der Person, die den Namen trägt. Solche Unterschiede gibt es nur in der materiellen Welt. Die Māyāvāda-Philosophen können dies nicht verstehen und sind daher außerstande, die transzendentale Klangschwingung von »Hare Kṛṣṇa« auszusprechen.

Śrī Caitanya fuhr fort: »Auf Anweisung Meines geistigen Meisters hin chante Ich ständig »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare.« Dabei gerate Ich manchmal so in Ekstase, daß Ich Mich nicht mehr zurückhalten kann und anfange, wie ein Wahnsinniger zu tanzen, zu lachen, zu weinen und zu singen. Als Mich dies zuerst sehr verwunderte, und Ich dachte, Ich sei durch das Chanten von »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« verrückt geworden, ging Ich zu Meinem geistigen Meister und fragte ihn, was mit Mir geschehen sei.«

Im Nārada-pañcarātra wird gesagt, daß alle vedischen Rituale, mantras und Erkenntnisse in den acht Wörtern »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare« enthalten sind. In der Kali-santaraṇa Upaniṣad heißt es, daß die sechzehn Wörter „Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« ganz besonders dazu geeignet sind, dem verunreinigenden Einfluß des Kali-yugas entgegenzuwirken. Um sich vor dem negativen Einfluß des gegenwärtigen Zeitalters zu retten, gibt es also keine andere Möglichkeit, als Hare Kṛṣṇa zu chanten.

Śrī Caitanya berichtete weiter: Als Mein geistiger Meister sah, wie es um Mich stand, sagte er: »Es ist die transzendentale Eigenschaft des heiligen Namens, jeden in spirituelle Ekstase zu versetzen. Jeder, der aufrichtig die heiligen Namen chantet, wird schon bald auf die Ebene der Liebe zu Gott erhoben und wie verrückt nach Ihm werden. Diese ekstatische Liebe zu Gott ist die Vollkommenheit des menschlichen Lebens. Die meisten Menschen streben nach Vollkommenheit auf den Gebieten der Religiosität, wirtschaftlichen Entwicklung, Sinnenbefriedigung und Befreiung; doch die Liebe zu Gott steht über all diesen sogenannten Vollkommenheiten des Lebens.«

Der Vorgang, Liebe zu Gott zu entwickeln, ist im Grunde einfach: Der geistige Meister chantet »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare«, und die transzendentale Klangschwingung dringt in das Ohr des Schülers ein. Wenn der Schüler dann dem Beispiel des geistigen Meisters folgt und den heiligen Namen mit dem gleichen Respekt wie dieser chantet, wird der transzendentale Name durch sein aufrichtiges Chanten verehrt. Sobald der heilige Name von dem Gottgeweihten verehrt wird, entfaltet Er Seine Herrlichkeit im Herzen des Geweihten, und wenn dieser die Vollkommenheit im Chanten erreicht, kann er selbst geistiger Meister werden und alle Menschen in der materiellen Welt befreien. Das Chanten des heiligen Namens ist so mächtig, daß Er allmählich Seine Erhabenheit über alles andere in der materiellen Welt durchsetzt. Wenn ein Gottgeweihter den Hare-Kṛṣṇa-mantra aufrichtig chantet, erreicht er bald die Ebene der Transzendenz, und oft lacht und weint und tanzt er in Ekstase.

Manchmal legen weniger intelligente Menschen der Verbreitung des Hare-Kṛṣṇa-mantras Hindernisse in den Weg, doch ein Gottgeweihter, der fest in der Liebe zu Kṛṣṇa verankert ist, läßt sich nicht davon abhalten, den heiligen Namen zum Nutzen aller Anwesenden laut zu chanten. Folglich wird allmählich die ganze Welt in das Chanten von »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« eingeweiht. Das Chanten und Hören der heiligen Namen Gottes ermöglichen es der bedingten Seele, sich wieder an die Form und die Eigenschaften Śrī Kṛṣṇas zu erinnern.

19. KAPITEL

Caitanya

Das Ziel des Vedānta

Wenn man versteht, daß der Name Kṛṣṇa und die Person Kṛṣṇa miteinander identisch sind, entwickelt man eine transzendentale und ekstatische Zuneigung zum Höchsten Persönlichen Gott; diese Zuneigung wird bhāva genannt. Wer die Stufe der bhāva erreicht hat, wird nicht mehr vom unreinen Einfluß der materiellen Natur berührt. Er erfreut sich statt dessen fortwährend transzendentaler Glückseligkeit. Wenn sich die bhāva intensiviert, wird sie »Liebe zu Gott« genannt.

Śrī Caitanya erklärte Prakāṣānanda Sarasvatī, daß der heilige Name auf jeden, der ihn chante, einen ganz besonderen Einfluß ausübe, durch den der Chantende sehr bald auf die Stufe der Liebe zu Gott erhoben werde. Diese Liebe zu Gott ist die größte Notwendigkeit im menschlichen Leben. Im Vergleich zur Liebe zu Gott sind alle anderen Notwendigkeiten der menschlichen Gesellschaft im Bereich von Religiosität, wirtschaftlicher Entwicklung, Sinnenbefriedigung und Befreiung höchst unbedeutend. Wer in die Welt der vergänglichen Bezeichnungen versunken ist, strebt entweder nach Sinnenfreude oder nach Befreiung; beides hat jedoch Anfang und Ende. Die Liebe zu Gott dagegen ist die ewige Natur der Seele; sie ist unwandelbar, ohne Anfang und ohne Ende. Daher sind die vergängliche Sinnenfreude oder das Verlangen nach Befreiung nicht mit der transzendentalen Liebe zu Gott vergleichbar. Die Liebe zu Gott wird die fünfte Dimension, d.h. das höchste aller Ziele im Leben genannt. Im Vergleich zu dem Ozean der transzendentalen Freude, die man aus der Liebe zu Gott erfährt, ist die Freude, die man aus der unpersönlichen Brahman-Erkenntnis gewinnt, nicht einmal so groß wie ein Wassertropfen.

Śrī Caitanyas geistiger Meister sah mit Freude die Ekstase, die der Herr beim Chanten der heiligen Namen erfuhr, und er erklärte Ihm, daß es die Essenz aller vedischer Schriften sei, Liebe zu Gott zu erreichen. Er sagte, der Herr sei einer der Glücklichsten, da Er eine solch hohe Stufe der Liebe zu Gott erreicht habe. Jeder, der eine derartige transzendentale Liebe zu Gott entwickelt hat, sehnt sich mit ganzem Herzen danach, direkt mit dem Herrn zusammenzusein. In dieser transzendentalen Sehnsucht lacht er manchmal, weint, singt oder tanzt er wie ein Verrückter oder läuft ziellos hin und her.

Auch zeigen sich am Körper eines Menschen, der in Liebe zu Gott versunken ist, Symptome von Ekstase wie Tränenausbrüche, Wechsel der Hautfarbe, Verrücktheit, Sprachlosigkeit, Stolz, Begeisterung und Freundlichkeit, und oft beginnt ein solcher Gottgeweihter zu tanzen. Dieses Tanzen taucht ihn tief in den Nektar-Ozean der Liebe zu Kṛṣṇa. Īṣvara Purī sagte daher zu seinem Schüler: »Es ist außerordentlich beglückend für mich, daß Du eine so hohe Stufe der Liebe zu Gott erreicht hast, und daher bin ich Dir sehr dankbar.«

Ein Vater wird sehr zufrieden, wenn er sieht, daß sein Sohn eine höhere Position erreicht als er selbst. Ebenso freut sich der geistige Meister, wenn er sieht, daß sein Schüler Fortschritte macht, mehr darüber als über seinen eigenen Fortschritt. Īṣvara Purī segnete den Herrn also voller Freude und trug Ihm auf: »Singe, tanze, und verbreite die saṅkīrtana-Bewegung überall; befreie die Menschen aus ihrer Unwissenheit, indem Du ihnen von Kṛṣṇa erzählst!«

Īṣvara Purī lehrte Śrī Caitanya bei dieser Gelegenheit einen schönen Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam (Elfter Canto, 2. Kapitel): »Wer Śrī Kṛṣṇa fortwährend dient, indem er den heiligen Namen des Herrn chantet, entwickelt eine solch starke transzendentale Anhaftung an das Chanten, daß er, selbst ohne es zu merken, sanftmütig im Herzen wird. Auf dieser Stufe zeigt er viele Symptome transzendentaler Ekstase, so daß er manchmal lacht, weint, singt oder tanzt - nicht sehr künstlerisch, sondern eher wie ein Verrückter.« Śrī Caitanya sagte weiter zu Prakāṣānanda Sarasvatī: »Ich habe völliges Vertrauen in die Worte Meines geistigen Meisters, und daher chante Ich ständig »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare«. Ich weiß selbst nicht, wie es dazu kam, daß Ich wie toll geworden bin; der Name »Kṛṣṇa« hat ganz von allein diese Ekstase in Mir ausgelöst. Die transzendentale Freude, die man beim Chanten von »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« erfährt, ist wie ein Ozean, und im Vergleich zu diesem Ozean sind alle anderen Freuden, selbst die Freude, die man aus der unpersönlichen Erkenntnis der Absoluten Wahrheit gewinnt, wie das seichte Wasser im Straßengraben.«

Aus den Worten Śrī Caitanyas geht eindeutig hervor, daß man niemals den ersehnten Erfolg beim Chanten der Namen Kṛṣṇas erreichen kann, wenn man nicht auf die Worte des geistigen Meisters vertraut, sondern versucht, unabhängig von ihm zu handeln. In den vedischen Schriften wird gesagt, daß nur dem die wahre Bedeutung der transzendentalen Schriften offenbart wird, der unerschütterliches Vertrauen in den Höchsten Herrn und ebenso großes Vertrauen in seinen geistigen Meister hat. Śrī Caitanya glaubte fest an die Worte Seines geistigen Meisters und vernachlässigte niemals dessen Anweisung, die saṅkīrtana-Bewegung zu verbreiten. Daher begeisterte die transzendentale Energie des heiligen Namens Ihn immer mehr für das Chanten des Hare-Kṛṣṇa-mahā-mantras.

Śrī Kṛṣṇa Caitanya erklärte Prakāṣānanda Sarasvatī, daß die meisten Menschen im heutigen Zeitalter jegliche spirituelle Intelligenz verloren haben. Wenn solche Menschen von Śaṅkarācāryas Māyāvāda- bzw. Unpersönlichkeitsphilosophie hören, ohne vorher den vertraulichsten Teil des Vedānta-sūtra verstanden zu haben, wird ihre natürliche Neigung, dem Höchsten gehorsam zu sein, vernichtet. Ehrfurcht vor dem Höchsten Ursprung alles Existierenden ist ganz natürlich, doch durch die Unpersönlichkeitslehre wird diese natürliche Neigung ausgelöscht. Aus diesem Grund hatte Īṣvara Purī Śrī Caitanya angewiesen, lieber nicht den Śārīraka-bhāṣya-Kommentar zum Vedānta-sūtra zu studieren, da die falschen Interpretationen Śaṅkarācāryas schon bei vielen Menschen großen Schaden angerichtet hätten. Der gewöhnliche Mensch besitzt nicht mehr die notwendige Intelligenz, aus den Wortspielereien Śaṅkarācāryas klug zu werden. Es wird daher empfohlen, den mahā-mantra »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« zu chanten. Im Zeitalter des Kali, der Zeit des Streites und der Heuchelei, gibt es außer dem Chanten des Hare-Kṛṣṇa-mantras keine andere Möglichkeit, selbstverwirklicht zu werden.

Als Śrī Caitanya geendet hatte, waren die Māyāvādī-sannyāsīs von den Argumenten und Erklärungen des Herrn sichtlich beeindruckt. »Lieber Herr«, sagten sie freundlich, »alles was Du gesagt hast, ist wahr. Ein Mensch, der Liebe zu Gott entwickelt hat, befindet sich zweifellos in einer sehr glücklichen Lage, und Du kannst Dich gewiß glücklich schätzen, daß Du eine so hohe Stufe der Verwirklichung erreichen konntest. Doch was hast Du gegen das Vedānta-sūtra einzuwenden, daß Du Deine Pflicht als sannyāsī versäumst und diese essentielle Schrift nicht studierst?«

Die Māyāvādī-Philosophen verstehen unter »Vedānta« den Śārīraka-Kommentar Śaṅkarācāyas; mit »Vedānta« und »Upaniṣaden« meinen sie daher »nach dem Kommentar Śaṅkarācāryas.« Nach Śaṅkarācāryas Tod wurde Sadānanda Yogī der führende Māyāvādī-Philosoph, und er verkündete, daß der Vedānta und die Upaniṣaden nur durch den Kommentar Śaṅkarācāryas zu verstehen seien. Das ist jedoch nicht richtig, denn es gibt zur Vedānta-Philosophie und zu den Upaniṣaden auch viele Kommentare von Vaiṣṇava-ācāryas, die dem Kommentar Śaṅkaras in vieler Hinsicht vorzuziehen sind. Doch die Māyāvādī-Philosophen, die der Schule Śaṅkarācāryas angehören, messen diesen Schriften der Vaiṣṇavas keinerlei Bedeutung bei.

Die Vaiṣṇava-ācāryas teilen sich in vier Gruppen, die entweder viṣiṣṭādvaita-, dvaidādvaita-, ṣuddhādvaita- oder acintya-bhedābheda-Philosophie vertreten. Sie alle haben vortreffliche Kommentare zum Vedānta-sūtra geschrieben, die aber von den törichten Māyāvādī-Philosophen nicht anerkannt werden. Die Māyāvādīs unterscheiden zwischen Kṛṣṇa, Kṛṣṇas Körper und Kṛṣṇas Namen und halten daher nichts von der Verehrung der Höchsten Person, wie es die Vaiṣṇavas tun.

Als sie nun Śrī Caitanya fragten, warum Er nicht den Vedānta studiere, erwiderte Er: »Um diese Frage richtig zu beantworten, möchte Ich, wenn ihr nichts dagegen habt, etwas ausführlicher werden. Nur fürchte Ich, daß Ich euch damit kränken könnte.« Alle Māyāvādīs beteuerten sofort: »Wir freuen uns, von Dir hören zu dürfen, denn Du hast starke Ähnlichkeit mit Nārāyaṇa und sprichst außerdem so wunderbar, daß es uns große Freude bereitet, Deinen Worten zu lauschen. Wir sind dankbar, daß wir

Dich sehen und von Dir hören dürfen. Daher werden wir Dir aufmerksam zuhören und alles, was du sagst, vorurteilslos annehmen.«

Daraufhin begann der Herr das Vedānta-sūtra auf die richtige Weise zu erläutern; Er sagte: »Das Vedānta-sūtra wurde vom Höchsten Herrn Selbst gesprochen, der in Seiner Inkarnation als Vyāsadeva diese bedeutende philosophische Abhandlung zusammenfaßte. Da Vyāsadeva eine Inkarnation des Höchsten Herrn ist, kann Er nicht mit einem gewöhnlichen Menschen verglichen werden, der, wie jede bedingte Seele, mit vier Unvollkommenheiten behaftet ist: 1) Fehler zu begehen, 2) falsche Vorstellungen zu haben, 3) die Neigung zu besitzen, andere zu betrügen, und 4) begrenzte Sinne zu haben. Wenn wir von einer Inkarnation Gottes sprechen, so müssen wir wissen, daß sie transzendental zu den obengenannten Unvollkommenheiten des bedingten Lebewesens ist. Aus diesem Grunde muß alles, was von Vyāsadeva geschrieben und gesprochen wurde, als vollkommen angesehen werden. Die Upaniṣaden und das Vedānta-sūtra befassen sich mit dem gleichen Thema wie Vyāsadeva, nämlich der Absoluten Wahrheit. Wenn wir die wichtigen Aussagen des Vedānta-sūtra und der Upaniṣaden ohne Interpretation annehmen, werden wir ein tiefes Verständnis von der Absoluten Wahrheit bekommen. Śaṅkarācāryas Kommentar hingegen enthält nur indirekte Formulierungen und ist deshalb für den gewöhnlichen Menschen äußerst gefährlich; jeder nämlich, der beginnt, die Upaniṣaden auf eine indirekte und irreführende Weise zu verstehen, wird praktisch der Möglichkeit beraubt, spirituelle Verwirklichung zu erlangen.«

Nach den Aussagen des Skaṇḍa Purāṇa und des Vāyu Purāṇa bedeutet »sūtra« eine kompakte Folge von Worten, die völlig frei von Fehlern und Irrtümern ist und deren Bedeutungen und Inhalte von unermeßlicher spiritueller Kraft sind. Mit »Vedānta« ist das Ende des vedischen Wissens gemeint. Mit anderen Worten: Jede Schrift, die sich mit dem Ziel aller Veden befaßt, wird Vedānta genannt. Die Bhagavad-gītā z. B. zählt auch zum Vedānta, denn in ihr sagt der Herr, daß Er das Ziel aller vedischen Schriften ist (Bg. 15.15). Ebenso wird auch das Śrīmad-Bhāgavatam als Vedānta angesehen, denn sein einziges Thema ist Śrī Kṛṣṇa.

Die Transzendenz kann mit Hilfe von drei Arten des Wissens verwirklicht werden, die unter den Oberbegriff »prasthāna-trai« fallen. Wissen, das von den vedischen Schriften wie den Upaniṣaden bestätigt wird, gilt als ṣruti-prasthāna, und Wissen, das aus maßgeblichen Büchern bezogen wird, die sich ebenfalls mit der Absoluten Wahrheit befassen, und die von befreiten Seelen wie Vyāsadeva geschrieben wurden, wird »nāya-prasthāna« genannt. Zu diesen Büchern zählt man z. B. die Bhagavad-gītā, das Mahābhārata und die Purāṇas (ganz besonders das Śrīmad-Bhāgavatam, das Mahā Purāṇa).

Die Veden gingen ursprünglich aus dem Atem Nārāyaṇas hervor, und Vyāsadeva, der eine Inkarnation der Energie Nārāyaṇas ist, faßte später das Vedānta-sūtra zusammen. In Śaṅkaras Kommentar taucht jedoch fälschlich der Name Apāntartamā Ṛṣi auf, von dem ebenfalls behauptet wird, er habe die Aphorismen des Vedānta geschrieben.

In den ersten beiden Kapiteln des Vedānta-sūtra wird die Beziehung des Lebewesens zum Höchsten Herrn erklärt, und im 3. Kapitel der Vorgang des gottgeweihten Dienens. Das 4. Kapitel handelt vom Ergebnis des gottgeweihten Dienens.

Das Śrīmad-Bhāgavatam ist der natürliche Kommentar zum Vedānta-sūtra. Alle großen ācāryas der vier Vaiṣṇava-Gemeinschaften, nämlich Rāmānujācārya, Madhvācārya, Viṣṇu Svāmī und Nimbarka Svāmī haben Kommentare zum Vedānta-sūtra verfaßt, wobei sie den im Śrīmad-Bhāgavatam dargelegten Prinzipien folgten. Darüber hinaus gibt es noch viele Bücher, die von den Nachfolgern der ācāryas geschrieben wurden, und die sich ebenfalls auf die Prinzipien des Śrīmad-Bhāgavatam stützen. Śaṅkarācāryas Kommentar zum Vedānta-sūtra, der als Śārīraka-bhāṣya bekannt ist, wird von den Anhängern der Unpersönlichkeitslehre sehr geschätzt; doch seine Interpretationen, die von einem materialistischen Standpunkt ausgehen, widersprechen völlig der transzendentalen Philosophie des hingebungsvollen Dienens für den Herrn. Aus diesem Grunde sagte Śrī Caitanya, daß der direkte Kommentar zu den Upaniṣaden und dem Vedānta-sūtra den einzigen Weg zum wirklichen spirituellen Verständnis bilde, und daß jeder, der dem Śārīraka-bhāṣya-Kommentar Śaṅkarācāryas, und nicht dem direkten Pfad, folge, verloren sei.

Śrī Kṛṣṇa Caitanya erklärte weiter, daß Śaṅkarācārya eine Inkarnation Śivas gewesen sei, der zu den großen Gottgeweihten, den mahājanas der Bhāgavata-Lehre zähle. Es gibt zwölf bedeutende Autoritäten im hingebungsvollen Dienen, die mahājanas, und Śiva ist eine von ihnen. - Doch warum lehrte er dann die Māyāvāda-Philosophie? Im Padma Purāṇa finden wir eine Erklärung hierfür, die von Śiva selbst gegeben wird; er sagt: »Die Māyāvāda-Philosophie ist in Wirklichkeit nichts anderes als verschleierter Buddhismus.« Mit anderen Worten: In der Philosophie der Unpersönlichkeitsanhänger wird mit kleinen Abweichungen noch einmal die buddhistische Lehre vom »Nichts« wiederholt. Im Gegensatz zu den Buddhisten behaupten die Māyāvādīs jedoch, ihre Lehre beruhe auf den Schlußfolgerungen der Veden. Śiva erklärt im Padma Purāṇa weiter, daß er im Zeitalter des Kali als brāhmaṇa-Junge die Māyāvāda-Philosophie verkündet, um die Atheisten in die Irre zu führen, und sagt dann: »In Wirklichkeit hat der Höchste Persönliche Gott einen transzendentalen Körper, doch ich beschreibe den Höchsten als unpersönlich. Und auch das Vedānta-sūtra erkläre ich im Sinne der Māyāvāda-Philosophie.«

Im Śiva Purāṇa sagt der Höchste Herr persönlich zu diesem Thema: »Am Anfang des Dvāpara-yuga wird es auf Meine Anweisung hin viele Weise geben, die die Menschen mit der Māyāvāda-Philosophie verwirren werden.« Im Padma Purāṇa erklärt Śiva der Bhāgavatī Devi: »Ich verkünde von Zeit zu Zeit die Māyāvāda-Philosophie, um diejenigen zu verwirren, die unter dem Einfluß der Erscheinungsweise der Unwissenheit stehen. Doch auch Menschen, die sich in der Erscheinungsweise der Reinheit befinden, fallen herunter, wenn sie dieser Philosophie Gehör schenken. In meiner Lehre behaupte ich, das Lebewesen und der Höchste Herr seien eins.«

Sadānanda Yogīndra, einer der größten Māyāvādī-ācāryas schrieb in Seinem Buch Vedānta-sāra folgendes: »Die Absolute Wahrheit, die aus Ewigkeit, Wissen und Glückseligkeit besteht, ist das Brahman. Unwissenheit und all das, was aus Unwissenheit hervorgeht, ist Nicht-Brahman, denn alles, was von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur geschaffen wird, unterscheidet sich von der Höchsten Ursache. Unwissenheit zeigt sich sowohl individuell als auch kollektiv. Die kollektive Unwissenheit bezeichnet man als »visuddhasatva-pradhāna«. Wenn sich diese visuddhasatva-pradhāna in der materiellen Natur manifestiert, nennt man sie »der Höchste Herr«, und dieser Höchste Herr wiederum manifestiert ebenfalls alle möglichen Arten von Unwissenheit. Daher ist Er auch als Sarvajana bekannt.« Die Māyāvādīs behaupten also, auch der Herr sei ein Produkt der materiellen Natur, und die Lebewesen befänden sich auf der tiefsten Stufe der Unwissenheit. Diese These bildet den Kern ihrer Philosophie.

Wenn wir jedoch die wirkliche Bedeutung der Upaniṣaden, ohne falsche Interpretation, vernehmen, werden wir schon sehr bald erkennen, daß der Höchste Gott eine Person mit unbegrenzter Macht ist. In der Bṛhad-ārṇyak Upaniṣad z. B. wird gesagt, daß der Höchste Persönliche Gott der Ursprung alles Existierenden ist, und daß Er mannigfache verschiedene Energien besitzt; es heißt dort: »Der Höchste Persönliche Gott ist transzendental zur kosmischen Manifestation, die unter der Aufsicht der ewigen Zeit und der materiellen Energie geschaffen wurde. Er ist der Ursprung aller Religiosität; Er ist der höchste Befreier, und Er birgt alle Füllen in Sich. Ich habe nur einen Wunsch - den Höchsten Persönlichen Gott zu verstehen, der so freigiebig wie die Sonne Seine verschiedenen Energien überall hin verbreitet, während Er Selbst Sich jenseits der Wolke der kosmischen Manifestation befindet. Er ist der Meister aller Meister und der Erhabenste aller Erhabenen. Er ist als der Höchste Herr bekannt, der Persönliche Gott, und Seine mannigfaltigen Energien und Kräfte wirken überall und sind alldurchdringend.«

Aus den vedischen Schriften erfahren wir, daß Viṣṇu die höchste Person ist, und daß sich alle Heiligen danach sehnen, Seine Lotosfüße zu sehen. In der Aitariya Upaniṣad wird erklärt, daß der Herr so mächtig ist, daß Er nur einen Blick über die materielle Natur zu werfen brauchte, um die gesamte kosmische Manifestation zu erschaffen. Das gleiche wird auch in der Praṣna Upaniṣad bestätigt.

Wenn in manchen vedischen Schriften wie z. B. der Apandi-pada gesagt wird, daß der Herr formlos ist, so soll dies lediglich darauf hinweisen, daß der Herr keinen materiellen Körper und deshalb auch keine materielle Form hat. Der Herr besitzt einen ganz und gar spirituellen Körper, eine völlig transzendentale Gestalt. Die Māyāvādī-Philosophen können die transzendentale Persönlichkeit des Höchsten Herrn nicht verstehen, und erklären deshalb in ihrer Unwissenheit, der Höchste Gott sei unpersönlich. Doch der Herr Selbst, Sein Name, Seine Gestalt, Seine Eigenschaften, Seine Gefährten, Sein Reich und alles, was sonst noch zu ihm gehört, befinden sich in der transzendentalen Welt. Wie könnte Er also ein Produkt der materiellen Natur sein? Alles in Verbindung zum Höchsten Herrn ist ewig, glückselig und voller Wissen.

Śaṅkarācārya verbreitete die Māyāvāda-Philosophie nur, um die Atheisten zu verwirren. In Wirklichkeit meinte er niemals, daß der Höchste Herr, der Persönliche Gott, unpersönlich bzw. ohne Körper und formlos sei. Intelligente Menschen sollten es daher vermeiden, Vorträgen über die Māyāvāda-Philosophie beizuwohnen. Wir sollten uns eindeutig dessen bewußt sein, daß der Höchste Persönliche Gott Śrī Viṣṇu niemals unpersönlich ist. Er ist eine völlig transzendentale Person, und in Seiner Energie ruht die gesamte kosmische Manifestation. Die Māyāvādī-Philosophen wollen nicht anerkennen, daß der Herr Energien besitzt, obwohl alle vedischen Schriften zahlreiche Beispiele für die unterschiedlichen Manifestationen der Energien des Herrn anführen. Viṣṇu ist also keinesfalls eine Manifestation der materiellen Natur, sondern vielmehr ist die materielle Natur eine Manifestation der Energien Viṣṇus. Die Māyāvādīs propagieren in ihrer Unwissenheit genau das Gegenteil. Sie glauben, Viṣṇu sei ein Produkt der materiellen Natur. Wenn dies der Fall wäre, müßte Er zu den vielen Halbgöttern gezählt werden - und wer Viṣṇu mit den Halbgöttern auf eine Stufe stellt, befindet sich in finsterster Unwissenheit. In der Bhagavad-gītā wird die hoffnungslose Lage solcher irregeführten Spekulanten erklärt; Kṛṣṇa sagt dort: »Meine materielle Energie ist so mächtig, daß es sogar für den größten Gelehrten unmöglich ist, ihrem Bann zu entkommen.«

20. KAPITEL

Caitanya

Die Māyāvādī-Philosophen werden überzeugt

Aus den vedischen Schriften erfahren wir, daß Śrī Kṛṣṇa oder Viṣṇu nicht zur materiellen, sondern zur spirituellen Welt gehört. Jeder, der Ihn als einen Halbgott der materiellen Welt bezeichnet, macht sich eines großen Vergehens schuldig, denn er beleidigt damit den Höchsten. Śrī Viṣṇu kann weder mit den groben Sinnen noch durch intellektuelles Spekulieren erkannt werden. Zwischen Seinem Körper und Seiner Seele besteht kein Unterschied, wie es bei einer Person in der materiellen Welt der Fall ist.

Weil das Lebewesen von höherer Natur ist, genießt es die qualitätsmäßig niedere Materie. Es kann jedoch niemals Viṣṇu genießen, denn der Höchste Herr hat nicht das geringste mit der materiellen Energie zu tun. Niemand sollte denken, er könne den Höchsten Persönlichen Gott zum Gegenstand seiner Spekulationen machen und Ihn genießen. Vielmehr ist es allein Viṣṇu vorbehalten, »Genießer« zu sein - alles Erschaffene, auch die Lebewesen, ist zu Seiner Freude bestimmt. Wenn jemand dennoch versucht, Viṣṇu auszubeuten, lädt er das denkbar größte Vergehen auf sich, denn die größte Blasphemie besteht darin, zu glauben, Viṣṇu und die Lebewesen befänden sich auf der gleichen Ebene.

Die Höchste Absolute Wahrheit, der Persönliche Gott, kann mit einem Feuer verglichen werden, von dem die individuellen Lebewesen wie Funken ausgehen. Der Höchste Herr und die Lebewesen sind zwar von gleicher Qualität, doch Viṣṇu ist unbegrenzt, wohingegen die Lebewesen winzig klein sind. Weil die winzigen Lebewesen ursprünglich von der unendlich großen spirituellen Person ausgehen, haben sie in ihrer wesenseigenen Position als unendlich kleine spirituelle Seelen nicht das geringste mit Materie zu tun.

Die Lebewesen sind nicht annähernd so groß wie Nārāyaṇa, Viṣṇu, der Sich jenseits der materiellen Welt befindet. Selbst Śaṅkarācārya bestätigte, daß Nārāyaṇa transzendental zur materiellen Schöpfung ist. Weder Viṣṇu noch die Lebewesen gehören also zur materiellen Welt.

Aufgrund der unbegrenzten Wünsche des Höchsten Persönlichen Gottes gibt es die spirituelle Welt, und aufgrund der begrenzten Verlangen der Lebewesen existiert die materielle Welt. Wenn die Lebewesen ihr Verlangen nach materiellem Genuß erfüllen, werden sie als jīva ṣakti »bedingte Seelen« bezeichnet; doch wenn sie sich den Wünschen des Unbegrenzten anpassen, werden sie »befreite Seelen« genannt.

Man mag sich vielleicht fragen, warum die kleinen begrenzten Teilchen des spirituellen Ganzen überhaupt erschaffen wurden. Die Antwort lautet: Dies zeigt die Vollkommenheit der Höchsten Absoluten Wahrheit, die sowohl unbegrenzt als auch begrenzt ist. Wäre Er nur unbegrenzt, aber nicht begrenzt, könnte Er nicht vollkommen sein. Der unbegrenzte Teil ist der Höchste Absolute Persönliche Gott, und die begrenzten Teilchen sind die Lebewesen. Damit wäre beantwortet, warum Gott die Lebewesen schuf: Der Unbegrenzte muß notwendigerweise auch winzig kleine Teilchen haben. Sie sind untrennbare Teile der Höchsten Seele.

Weil die Lebewesen winzige individuelle Teile des Höchsten sind, kann zwischen ihnen und dem Höchsten ein Austausch von Gefühlen stattfinden. Gäbe es keine winzig kleinen Lebewesen, so wäre der Höchste Herr inaktiv, was bedeuten würde, daß es im spirituellen Leben keine Mannigfaltigkeit gäbe; denn wie es ohne Untertanen keinen König geben könnte, so könnte es ohne Lebewesen keinen Höchsten Gott geben. Das Wort »Herr« verlöre seine Bedeutung, wenn es niemanden gäbe, den Er »beherrschen« könnte. Dazu ist es wichtig zu verstehen, daß die Lebewesen Erweiterungen der Energie des Höchsten Herrn sind, und daß der Höchste Herr, Śrī Kṛṣṇa, der Ursprung dieser Energie ist. In allen vedischen Schriften, wie z. B. der Bhagavad-gītā und im Viṣṇu Purāṇa, gibt es zahllose Textstellen, die darauf hinweisen, daß die Energie und der Energie-Ursprung voneinander verschieden sind.

In der Bhagavad-gītā wird im 5. Vers des Siebten Kapitels eindeutig gesagt, daß die materielle Welt aus den fünf grobstofflichen Elementen Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther und den drei feinstofflichen Elementen Geist, Intelligenz und falsches Ich besteht. Die gesamte materielle Natur setzt sich aus diesen acht Elementen der niederen Energie zusammen, die auch māyā (Illusion) genannt wird. Doch über diesen acht Elementen der niederen Natur, der aparā prakṛti, gibt es noch eine andere, höhere Natur, die als parā prakṛti bezeichnet wird. Diese parā prakṛti bilden die Lebewesen, die überall in der materiellen Welt existieren. Der Höchste Herr ist als die Absolute Wahrheit der Ursprung aller Energien - sowohl der höheren als auch der niederen. Wenn die höhere Energie zeitweilig manifestiert oder vom Schatten der Illusion bedeckt wird, nennt man sie māyā-ṣakti. Die gesamte kosmische Manifestation ist ein Produkt dieser māyā-ṣakti.

In ihrer wesenseigenen Position sind die Lebewesen transzendental zur niederen Energie und leben ein reines, spirituelles Leben mit einer reinen Identität und reinen Gedanken. Im ursprünglichen Zustand befinden sich der Geist, die Intelligenz und die Identität des Lebewesens außerhalb des Einflußbereiches der materiellen Welt; doch wenn das Lebewesen durch sein Verlangen, über Materie zu herrschen, die materielle Welt betritt, werden sein reiner Geist, seine reine Intelligenz und sein spiritueller Körper von der materiellen Energie überdeckt. Sowie der Schleier der materiellen bzw. niederen Energie wieder entfernt ist, ist das Lebewesen befreit; wenn es befreit ist, besitzt es kein falsches Ich mehr, und sein wirkliches Ich kommt zum Vorschein. Törichte Spekulanten denken, das Lebewesen verliere bei der Befreiung seine Identität, doch dies ist ein gewaltiger Irrtum. Weil das Lebewesen ewiglich ein individuelles Teil des Herrn ist, erlangt es vielmehr bei der Befreiung seine ursprüngliche Identität wieder als ewiges Bestandteil des Höchsten. Aham brahmāsmi - »Ich bin nicht der Körper, ich bin Brahman« - bedeutet keinesfalls, daß man bei der Befreiung seine Identität verliert. Im bedingten Leben identifiziert sich das Lebewesen mit Materie, doch bei seiner Befreiung wird es verstehen, daß es nicht aus Materie besteht, sondern aus spiritueller Energie, daß es Seele ist, Teil des unbegrenzten Ganzen. Kṛṣṇa-bewußt zu werden, d. h. das ursprüngliche Bewußtsein wiederzuerlangen und im liebevollen transzendentalen Dienst für Śrī Kṛṣṇa tätig zu sein, ist wirkliche Befreiung. Im Viṣṇu Purāṇa wird im 7. Vers des 6. Kapitels unmißverständlich gesagt: »Die Energien des Höchsten Herrn manifestieren sich als parā, kṣetrajña und avidya.« Die parā-Energie ist die direkte Energie des Höchsten Herrn; unter der kṣetrajña-Energie versteht man die Lebewesen, und die avidya-Energie manifestiert sich als materielle Welt bzw. māyā. Die materielle Energie wird avidya (Unwissenheit) genannt, weil ein Lebewesen unter ihrem Einfluß seine eigentliche Identität und seine Beziehung zum Höchsten Herrn vergißt. Das Lebewesen, auch jīva genannt, bildet ebenfalls eine der Energien des Höchsten Herrn und ist als solches ein kleines Bestandteil des Höchsten. Wer also den Fehler begeht, die winzige jīva mit dem unbegrenzten Höchsten gleichzusetzen, und versucht, diesen Irrtum damit zu begründen, daß beide Brahman, d. h. spirituell seien, stiftet nur Verwirrung.

Die Māyāvādī-Philosophen müssen, wenn sie von einem gelehrten Vaiṣṇava gefragt werden, weshalb die Lebewesen in die materielle Welt verstrickt worden seien, wenn sie doch angeblich Gott-gleich seien, die Antwort schuldig bleiben. Sie sagen zwar, das Lebewesen sei aufgrund von Unwissenheit bedingt, doch können sie nicht erklären, wie der Höchste von dieser Unwissenheit befleckt worden sein soll. Die wirkliche Antwort lautet: »Die Lebewesen sind nur winzig klein, und keineswegs unbegrenzt, obgleich sie dieselben Eigenschaften wie der Höchste haben. Wären sie unbegrenzt, könnten sie niemals von Unwissenheit bedeckt werden, doch weil sie nur winzig klein sind, kann eine andere Energie sie bedecken. Den Unverstand und die Unwissenheit der Māyāvādī-Philosophen kann man daran erkennen, daß sie versuchen zu erklären, das Unbegrenzte werde von Unwissenheit bedeckt. Mit dieser Behauptung begehen sie übelste Blasphemie.

Obwohl Śaṅkarācārya versuchte, mit seiner Māyāvāda-Philosophie die Wahrheit über den Höchsten Herrn zu verschleiern, führte er doch nur den Befehl des Höchsten Herrn aus, denn seine Lehre war eine zeitgegebene Notwendigkeit - keineswegs eine bleibende Wahrheit.

Im Vedānta-sūtra wird von Anfang an zwischen der Energie und dem Ursprung der Energie unterschieden. Der erste Aphorismus erklärt eindeutig, daß die Höchste Absolute Wahrheit der Ursprung aller Erweiterungen ist. Śaṅkarācārya behauptete unverfroren, die Höchste Absolute Wahrheit könne nicht unverändert bleiben, weil alle Dinge Umwandlungen der Absoluten Wahrheit seien. Doch diese Schlußfolgerung ist nicht richtig, denn es ist eine ewige Tatsache, daß die Höchste Absolute Wahrheit stets unverändert bleibt - obwohl unzählige Energien von Ihm ausgehen. Śaṅkarācāryas Theorie, nach der die gesamte Manifestation nur Illusion ist, muß daher als falsch bezeichnet werden. Rāmānujācārya erklärte zu diesem Punkt: »Die Unpersönlichkeitsphilosophen argumentieren, daß, wenn es vor der Schöpfung der materiellen Welt nur Ihn, die Absolute Wahrheit gab, nur dadurch die vielen Lebewesen aus Ihm hervorgegangen sein könnten, daß Er Sich Selbst umwandelte. Wie sonst könnte Er, der Er doch allein war, all die Lebewesen erschaffen haben?« Zu dieser Streitfrage erklären die Upaniṣaden, daß alles von Ihm, der Absoluten Wahrheit, manifestiert wurde, daß alles von Ihm erhalten wird, daß nach der Vernichtung alles wieder in Ihn zurückkehrt, und daß Er, eben weil Er absolut ist, dennoch stets der Gleiche bleibt. Aus dieser Aussage der Upaniṣaden geht eindeutig hervor, daß die Lebewesen bei ihrer Befreiung in die Höchste Existenz eingehen, ohne ihre ursprüngliche Identität zu verlieren oder aufzuhören, aktiv zu sein.

Wir sollten niemals vergessen, daß der Höchste Herr der mächtigste Schöpfer ist. Auch die winzigen Lebewesen haben gewisse schöpferische Fähigkeiten, die nach der Befreiung nicht etwa verlorengehen, sondern im Gegenteil erst dann wirklich zur Entfaltung kommen. Wenn das Lebewesen schon im bedingten Zustand existent und aktiv ist, wie könnte es dann jemals in seinem befreiten Zustand ins Nichts eingehen, wie es die Māyāvādīs behaupten? Das Eingehen in den Höchsten muß so verstanden werden wie das Fliegen eines Vogels in den Wipfel eines Baumes, das Eintreten eines Tieres in den Wald oder das Verschwinden eines Flugzeugs am Himmel. Das Lebewesen verliert also niemals seine spirituelle Individualität.

In seinem Kommentar zum 1. Kapitel des Vedānta-sūtra versucht Śaṅkarācārya unberechtigterweise aufzuzeigen, das Brahman bzw. die Höchste Absolute Wahrheit sei unpersönlich. In ähnlicher Weise versuchte er später sehr geschickt, aus der »Lehre von Ursprung und Produkt« eine »Lehre von der Umwandlung« zu machen. Doch in Wirklichkeit verändert oder wandelt Er, die Höchste Absolute Person, Sich niemals. Er läßt vielmehr durch Seine unvorstellbare Macht alle Manifestationen als Produkte Seiner Energien entstehen. Um die Lehre von der Umwandlung zu rechtfertigen, führt Śaṅkarācārya das Beispiel vom rohen Holz an, aus dem ein Stuhl angefertigt wird. Nach seiner Erklärung muß die Absolute Wahrheit Sich umwandeln, um etwas zu erzeugen, so wie das Holz verwandelt wird, damit ein Stuhl entsteht. Im gleichen Sinne gebraucht Śaṅkara das Beispiel von der Milch, die sich in Yoghurt umwandelt. Wir können zwar tatsächlich feststellen, daß die Lebewesen und die kosmische Manifestation nicht von der Absoluten Wahrheit verschieden sind, wenn wir in diesem Sinne die Dinge betrachten, doch sind diese beiden Beispiele im Grunde nicht zutreffend, da sie sich auf Relatives beziehen. - Warum aber sollte die Höchste Person, die doch absolut ist, Sich wandeln müssen, um etwas zu erzeugen? Die vedischen Schriften erklären deshalb, daß die Absolute Wahrheit mannigfache Energien besitzt; die Lebewesen und die kosmische Manifestation bilden nur einen kleinen Teil dieser Energien. Da Energien niemals vom Energieursprung getrennt werden können, sind auch die Erweiterungen der Energien des Höchsten Absoluten, d. h. die Lebewesen und die kosmische Manifestation, als Teile der Absoluten Wahrheit zu betrachten. Keinem vernünftigen Menschen wird es schwerfallen, diese Schlußfolgerungen über die Absolute Wahrheit und die relativen Wahrheiten anzunehmen.

Die Höchste Absolute Wahrheit besitzt unvorstellbare Energien, und durch diese mächtigen Energien wurde auch die kosmische Manifestation geschaffen. Mit anderen Worten: Die Höchste Absolute Wahrheit ist die Grundsubstanz, aus der die Lebewesen und die kosmische Manifestation als Produkte hervorgegangen sind. In der Taittiriya Upaniṣad heißt es dazu: yato va imāni bhūtāni jayande, was unmißverständlich darauf hinweist, daß die ursprüngliche Absolute Wahrheit die Gesamtheit aller Bestandteile enthält, und daß die materielle Welt und alle Lebewesen aus diesen Bestandteilen entstanden sind.

Weniger intelligente Menschen, die das Prinzip von der Ursache und den Produkten nicht begreifen können, verstehen auch nicht, daß die kosmische Manifestation und die Lebewesen zur gleichen Zeit eins mit und doch verschieden von der Absoluten Wahrheit sein können. Wenn man dann, ohne diese Wahrheit zu verstehen, zu dem Schluß kommt, daß die kosmische Manifestation und die Lebewesen Trug sind, indem man sich, wie Śaṅkarācārya, auf Beispiele wie die Verwechslung eines Seils mit einer Schlange oder glänzenden Perlmutts mit Gold beruft, betrügt man sich selbst und andere. Diese Beispiele, die man in der Māṇḍūkya Upaniṣad findet, werden in ganz anderen Zusammenhängen gebraucht und sind folgendermaßen zu verstehen: Das Lebewesen ist seiner ursprünglichen Beschaffenheit nach reine spirituelle Seele, doch wenn es sich mit dem materiellen Körper identifiziert, gleicht es einem, der ein Seil mit einer Schlange oder Perlmutt mit Gold verwechselt. In Wirklichkeit ist das Lebewesen nicht mit dem Körper identisch; hält man sich dennoch für den Körper, so wird man auch der These zustimmen, daß alles eine Umwandlung des ursprünglichen Zustands ist. Diese falsche Vorstellung stellt zweifellos eine Verunreinigung dar, der praktisch jede bedingte Seele unterliegt.

Das bedingte Leben ist ein krankhafter Zustand, denn eigentlich wandeln sich weder das Lebewesen noch die ursprüngliche Ursache der kosmischen Manifestation. Diese Irrtümer und falschen Argumente können deshalb nur einen Menschen überwältigen, der die unvorstellbaren Energien und Aktivitäten des Höchsten vergessen hat.

Selbst in der materiellen Welt gibt es viele Beispiele für die Unzulänglichkeit der Lehre von der Umwandlung des ursprünglichen Zustandes. Die Sonne z. B. erzeugt schon seit unvordenklichen Zeiten unbegrenzte Energien, und es entstehen viele Produkte aus ihren Strahlen, wie z. B. Bäume und Pflanzen, aber dennoch verändert sich ihre Konstitution niemals. Wenn schon die Sonne, die nur aus materieller Energie besteht, ihren ursprünglichen Zustand beibehalten kann, obwohl so viel Energie von ihr ausgeht, ist es nicht schwierig zu verstehen, daß auch Er, die Höchste Absolute Wahrheit, Sich niemals verändert, obgleich Er durch Seine unvorstellbare Energie unzählige Produkte erzeugt. Die vedischen Schriften berichten uns vom Stein der Weisen, der einfach durch Berührung Eisen in Gold verwandelt. Schon ein einziger Stein kann unbegrenzte Mengen Gold erzeugen, ohne sich jemals dabei zu verändern. Nicht nur diese Beispiele, sondern auch viele Belege aus den Schriften zeigen deutlich, wie sehr sich die Māyāvādī-Philosophen mit ihrer Theorie irren, nach der die kosmische Manifestation und die Lebewesen Trug oder Illusion sind.

Kein vernünftiger Mensch wird also behaupten, die Absolute Wahrheit habe etwas mit Unwissenheit oder Illusion zu tun, denn Er ist ja in jeder Hinsicht absolut und kann Sich deshalb nie ändern, geschweige denn in Illusion oder gar Unwissenheit geraten. Die Höchste Absolute Wahrheit ist stets transzendental und läßt Sich durch keine materielle Vorstellung erfassen. Es sollte deshalb nicht schwerfallen zu verstehen, daß die Höchste Absolute Wahrheit unvorstellbar mächtige Energien besitzt und stets unverändert bleibt.

In der Śvetāṣvatara Upaniṣad wird gesagt, daß der Höchste Absolute Persönliche Gott von unzähligen und unvorstellbaren Energien erfüllt ist wie kein Zweiter. Wenn man jedoch die unvorstellbaren Energien für das Höchste hält, kann man leicht denken, die Höchste Absolute Wahrheit sei unpersönlich. Diesem Trugschluß kann nur ein Lebewesen unterliegen, das sich in einem höchst krankhaften Zustand befindet. Auch im Śrīmad-Bhāgavatam und in der Brahma-saṁhitā wird mehrfach bestätigt, daß der Höchste Ātma, der Herr, unvorstellbare und unzählige Energien besitzt.

In der Absoluten Wahrheit kann es keine Unwissenheit geben, denn Unwissenheit und Wissen sind Begriffe, die nur in der Welt der Dualität zu finden sind - im Absoluten jedoch kann es nicht die geringste Spur von Unwissenheit geben. Daher ist es eine große Dummheit zu glauben, die Absolute Wahrheit werde von Unwissenheit bedeckt. Wie könnte die Absolute Wahrheit als absolut bezeichnet werden, wenn Unwissenheit Sie bedecken könnte? Man kann für die Dualität der materiellen Welt nur dann eine Erklärung finden, wenn man die unvorstellbaren Energien des Absoluten anerkennt. Mit anderen Worten: Die unermeßlichen Energien des Absoluten sind die Ursache für die Dualität. Durch Seine unvorstellbare Energie schafft die Absolute Wahrheit, ohne Sich auch nur im geringsten zu verändern, die gesamte kosmische Manifestation und die Lebewesen. Er gleicht in dieser Hinsicht dem Stein der Weisen, der unbegrenzte Mengen Gold produzieren kann, ohne sich zu wandeln. Da die Absolute Wahrheit über solch unvorstellbare Energie verfügt, ist es nur töricht, zu glauben, Er könnte von Unwissenheit überwältigt werden. Selbst die Mannigfaltigkeit, die in Ihm existiert, ist ein Ergebnis dieser unvorstellbaren Energie, und somit gibt es keinen Zweifel daran, daß die kosmische Manifestation ein Produkt der unermeßlichen Energie des Höchsten ist. Und wenn wir erkennen, daß der Höchste Herr diese unvergleichliche Energie besitzt, gibt es für uns keine Dualität mehr.

Die Energie, die vom Höchsten Herrn ausgeht, ist ebenso Realität wie der Höchste Herr Selbst. Es ist also völlig falsch zu glauben, der Höchste Herr müsse Sich Selbst wandeln, um Seine höchste Energie zu manifestieren. In diesem Zusammenhang läßt sich noch einmal das Beispiel vom Stein der Weisen anführen, der unverändert bleibt, obwohl er unbegrenzte Mengen Gold erzeugt. Die Weisen bezeichnen daher den Höchsten als »das allem Existierenden zugrundeliegende Element« oder »als die Ursache der kosmischen Manifestation«.

Das Beispiel des Mannes, der ein Seil mit einer Schlange verwechselt, findet auch hier seine Anwendung: Wenn man ein Seil für eine Schlange hält, ist dies ein Beweis dafür, daß man weiß, wie eine Schlange aussieht. Wie sonst könnte man das Seil mit einer Schlange verwechseln? Daher ist der Gedanke an eine Schlange an sich nicht falsch. Falsch ist lediglich, daß man das Seil für eine Schlange hält. Wenn jemand fest davon überzeugt ist, daß das Seil vor ihm eine Schlange ist, befindet er sich in Unwissenheit. Doch die Vorstellung, daß es eine Schlange gibt, ist an sich keine Unwissenheit. Ein anderes Beispiel mag dies verdeutlichen. Wenn man z. B. glaubt, das Wasser in der Fata Morgana sei wirkliches Wasser, ist das ein Irrtum; doch das bedeutet nicht, daß es kein Wasser gibt. Wasser ist Wirklichkeit, doch der Gedanke, es gebe Wasser in der Wüste, ist eine Täuschung. Ebenso ist auch die kosmische Manifestation keineswegs falsch, wie Śaṅkarācārya behauptet. Nichts in der materiellen Welt ist falsch. Jeder, der die Māyāvāda-Theorie akzeptiert und glaubt, die materielle Manifestation sei unwirklich, zeigt damit, daß er sich in größter Unwissenheit befindet. Im Gegensatz zu solchen Unwissenden erkennen die Vaiṣṇava-Philosophen, daß die kosmische Manifestation ein Produkt der unvorstellbaren Energie des Herrn ist.

Das wichtigste Wort in den Veden, das Wort »A. U. M.« bzw. »om«, genannt praṇāva omkāra, ist die Klangrepräsentation des Höchsten Herrn. Deshalb ist das omkāra als die erhabenste Klangschwingung anzusehen. Śaṅkarācārya jedoch verkündete fälschlich, tat tvam asi sei die höchste Klangschwingung der Veden. Omkāra ist die Quelle aller Energien des Höchsten Herrn, und somit unterlag Śaṅkarācārya einem großen Irrtum, als er behauptete, tat tvam asi sei die erhabenste Klangschwingung. Das tat tvam asi ist nämlich nur zweitrangig, denn es ist nur eine teilhafte Repräsentation der Veden. In der Bhagavad-gītā betont der Höchste Herr ganz besonders die Wichtigkeit des omkāra, und auch im Atharva-veda und in der Māṇḍūkya Upaniṣad wird auf das omkāra besonders hingewiesen. Ebenso mißt Śrīla Jīva Gosvāmī dieser erhabenen Klangschwingung in seiner Bhāgavata-sandharbha große Bedeutung bei. Er erklärt dort: »Das omkāra ist die vertraulichste Klangrepräsentation des Höchsten Herrn.« Die Klangrepräsentation oder der Name des Höchsten Herrn sind mit Ihm Selbst identisch. Wenn man daher ständig Klangschwingungen wie »om« oder »Hare Kṛṣṇa. Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« chantet, kann man von der Verunreinigung durch die materielle Welt befreit werden. Im Nārada-pañcarātra wird dazu gesagt, daß der Höchste auf der Zunge einer bedingten Seele tanzt, die solche transzendentalen Klangschwingungen chantet, und in der Māṇḍūkya Upaniṣad wird erklärt, daß die spirituelle Sicht dann ihre Vollkommenheit erreicht, wenn man omkāra hinzufügt. In der spirituellen Welt, oder wenn man mit spirituellen Augen sieht, gibt es nichts außer dem omkāra bzw. om, dem Repräsentanten des Herrn. Doch unglücklicherweise lehnte Śaṅkarācārya dieses »om« als das wichtigste Wort ab und erklärte völlig unbegründet tat tvam asi zur erhabensten Klangschwingung der Veden. An dem Umstand, daß er soviel Wert auf das zweitrangige Wort »tat tvam asi« legte, und dabei das wichtigste Wort »omkāra« außer acht ließ, wird deutlich, daß er seine indirekte Interpretation der direkten Interpretation der Schriften vorzog.

21. KAPITEL

Caitanya

Weitere Gespräche mit Prakāṣānanda Sarasvatī

Śrīpāda Śaṅkarācārya entstellte das Kṛṣṇa-Bewußtsein, das im Puruṣa Vedānta beschrieben wird, indem er statt der direkten Interpretation seine eigene Auslegung propagierte. Eigentlich war er nicht dazu berechtigt, denn solange man nicht alle Aussagen des Vedānta-sūtra als für sich selbst sprechend anerkennt, sollte man gar nicht erst versuchen, den Vedānta zu studieren. Die Verse des Vedānta-sūtra nach eigenem Gutdünken auszulegen ist der schlechteste Dienst, den man den in sich selbst vollkommenen Veden erweisen kann.

Das praṇāva omkāra wird als die Klanginkarnation des Höchsten Persönlichen Gottes angesehen und ist als solche ewig, unbegrenzt, transzendental und unzerstörbar. Es, das omkāra, hat keinen Anfang; vielmehr ist Es der Anfang, die Mitte und das Ende alles Existierenden. Wenn man dies verwirklicht hat, erlangt man Unsterblichkeit. Man sollte außerdem wissen, daß Sich das omkāra als die Repräsentation des Höchsten in jedem Herzen befindet. Jeder, der daher versteht, daß omkāra und Viṣṇu eins sind und alles durchdringen, hat niemals Grund zum Klagen, sondern hat die Möglichkeit, selbst wenn er bis dahin ein ṣūdra war, die Vollkommenheit des Lebens zu erreichen.

Das omkāra hat zwar keine materielle Form, doch erweiterte Es Sich ständig ins Unendliche und besitzt daher eine unbegrenzte Form. Wenn man das omkāra versteht, kann man von der Dualität der materiellen Welt befreit und im absoluten Wissen verankert werden. Daher ist das omkāra die segensreichste Repräsentation des Höchsten Herrn.

Man sollte nicht so töricht sein, diese Beschreibung der Upaniṣaden falsch zu interpretieren und zu denken, das omkāra, die Klangrepräsentation des Herrn, befinde Sich nur deshalb in der materiellen Welt, weil der Höchste Gott unfähig sei, persönlich in Seiner ursprünglichen Gestalt unter uns zu erscheinen. Durch diese falsche Interpretation zieht man das omkāra auf die materielle Ebene herab, was leicht zu der Ansicht verleitet, die Lobpreisung des omkāra sei eine maßlose Übertreibung. In Wirklichkeit ist das omkāra ebenso gut wie jede andere Inkarnation des Höchsten Herrn.

Der Herr erscheint in unzähligen Inkarnationen, von denen das omkāra Seine Klanginkarnation ist. Dies wird in der Bhagavad-gītā im 25. Vers des Zehnten Kapitels bestätigt, wo der Höchste Herr sagt: »Von den Silben bin Ich das omkāra«. Das bedeutet, daß das omkāra von Kṛṣṇa nicht verschieden ist. Die Unpersönlichkeitsanhänger machen den Fehler, dem omkāra mehr Bedeutung beizumessen als dem Höchsten Persönlichen Gott Śrī Kṛṣṇa; doch in Wirklichkeit ist jede Inkarnation, die den Höchsten Herrn repräsentiert, nicht von Ihm verschieden. Eine solche Inkarnation oder Repräsentation ist im absoluten Sinne ebenso gut wie der Höchste Herr Selbst. Das omkāra ist daher die endgültige Repräsentation aller Veden. Die vedischen mantras bzw. Hymnen besitzen nur deshalb transzendentale Kraft, weil sie das omkāra enthalten.

Die Vaiṣṇavas interpretieren das omkāra (A. U. M.) auf folgende Weise: Der Buchstabe »A« weist auf Kṛṣṇā, den Höchsten Persönlichen Gott, hin; der Buchstabe »U« bedeutet Kṛṣṇas ewige Gefährtin, Śrīmatī Rādhārāṇī, und der Buchstabe »M« bezieht sich auf den ewigen Diener des Höchsten Herrn, das Lebewesen. Śaṅkarācārya hielt das omkāra nicht für so wichtig, doch es ist eine Tatsache, daß überall in den Veden, im Rāmāyaṇa, in den Purāṇas und im Mahābhārata wiederholt das om zu finden ist. Mit dieser transzendentalen Klangschwingung wird in allen vedischen Schriften die Herrlichkeit des Höchsten Persönlichen Gottes gepriesen.

Śrī Caitanya verurteilte also entschieden den Versuch Śaṅkarācāryas, den Vedānta indirekt auszulegen, und gab dann Seine direkten Erklärungen ab, die die anwesenden sannyāsīs überaus begeisterten. Nachdem sie die direkte Interpretation des Vedānta-sūtra von Śrī Caitanya vernommen hatten, stand einer der sannyāsīs auf und sagte: » O Śrīpāda Caitanya, Du hast vollkommen recht, wenn Du die indirekten Interpretationen des omkāra ablehnst. Glücklich sind diejenigen, die Deine Erklärungen als die einzig richtigen erkennen. Im Grunde wissen wir alle, daß die Interpretationen Śaṅkaras künstlich sind und lediglich auf seinen eigenen Vorstellungen beruhen, doch weil wir uns der Māyāvādī Sekte zugehörig fühlten, nahmen wir die Erklärungen Śaṅkarācāryas vorbehaltlos als richtig hin. Wir würden uns glücklich schätzen, wenn Du gütigerweise die direkte Interpretation des Vedānta-sūtra weiter fortführen würdest.«

Daraufhin begann Śrī Caitanya, jeden einzelnen Aphorismus des Vedānta-sūtra in seiner wirklichen Bedeutung zu erklären. Dabei gab Er auch eine genaue Definition des Wortes »Brahman«; Er sagte: »Brahman« bedeutet »das Größte«, und mit dem Größten ist der Höchste Persönliche Gott gemeint. Der Größte muß alle sechs transzendentalen Füllen in Sich bergen, und so ist der Höchste Persönliche Gott die Quelle allen Reichtums, allen Ruhms, aller Kraft, aller Schönheit, allen Wissens und aller Entsagung. Als Śrī Kṛṣṇa persönlich auf der Erde gegenwärtig war, entfaltete Er alle diese sechs Füllen. Niemand war reicher als Śrī Kṛṣṇa, und niemand war gelehrter, schöner, stärker, berühmter oder entsagungsvoller als Er. Die Höchste Person, Śrī Kṛṣṇa, ist das Höchste Brahman. Dies wird auch von Arjuna im Zehnten Kapitel der Bhagavad-gītā bestätigt, wo er den Herrn als paraṁ brahma, das Höchste Brahman, anspricht. Weil Śrī Kṛṣṇa der paraṁ brahma ist, ist Er die Höchste Absolute Wahrheit, Paratattva. Gleichzeitig sind Sein Reichtum, Sein Ruhm, Seine Kraft, Seine Schönheit, Sein Wissen und Seine Entsagung ohne jede Spur von materieller Verunreinigung. Alle spirituellen und transzendentalen Themen der vedischen Verse und Hymnen beziehen sich eindeutig auf den Höchsten Persönlichen Gott Śrī Kṛṣṇa. Immer wenn das Wort »brahma« in den Veden gebraucht wird, ist also Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, gemeint. Der intelligente Leser ersetzt daher jedesmal das Wort »brahma« durch »Kṛṣṇa«.

Der Höchste Persönliche Gott ist transzendental zu den materiellen Erscheinungsweisen der Natur, und Er besitzt unzählige spirituelle Eigenschaften. Wenn man dennoch behauptet, der Höchste sei unpersönlich, leugnet man damit die Manifestation Seiner spirituellen Energien. Der Höchste Persönliche Gott besitzt zahllose spirituelle Energien; wer also nur die unpersönliche Entfaltung Seiner Energie anerkennt, erkennt Ihn, die Absolute Wahrheit, nicht in Seiner ganzen Fülle an. Wenn man die Absolute Wahrheit vollkommen erkennen will, muß man auch die spirituelle Mannigfaltigkeit miteinbeziehen, die transzendental zu den materiellen Erscheinungsweisen der Natur ist. Die unpersönliche Philosophie ist unvollkommen, denn sie vermeidet es sorgsam, sich mit dem Höchsten Herrn zu befassen.

In allen vedischen Schriften wird einstimmig erklärt, daß man den Höchsten Persönlichen Gott nur durch hingebungsvolles Dienen erkennen kann. Hingebungsvolles Dienen für den Höchsten Herrn beginnt, wenn man von Ihm hört. Es gibt insgesamt neun verschiedene Aktivitäten im gottgeweihten Dienen, von denen Hören die wichtigste ist; danach folgen Chanten, sich an den Herrn erinnern, Ihm dienen, Ihn verehren, Ihm Gebete darbringen, Ihm gehorchen, mit Ihm Freundschaft schließen und Ihm alles hingeben. Auf diese Weise kann man die höchste Vollkommenheit erreichen und den Höchsten Persönlichen Gott verstehen. Die obengenannten neun Vorgänge nennt man abhidheya - die Ausführung des hingebungsvollen Leben.

Die Praxis hat gezeigt, daß jeder, der einmal Kṛṣṇa-Bewußtsein entwickelt hat, nie wieder ein anderes Bewußtsein annehmen will. Die Bewegung für Kṛṣṇa-Bewußtsein gibt jedem die Möglichkeit, seine schlafende Liebe zu Kṛṣṇa, dem Höchsten Persönlichen Gott, wiederzuentwickeln. Die Erweckung der Liebe zu Gott wird auch als das höchste Interesse des Menschen bezeichnet. Jeder, der sich im transzendentalen Dienens im bedingten hingebungsvollen Dienen beschäftigt, kann seine ewige liebevolle Beziehung zu Śrī Kṛṣṇa verwirklichen, und sowie er dann Empfindungen transzendentaler Liebe mit Kṛṣṇa austauscht, wird der Höchste allmählich sein persönlicher Freund. Auf dieser Stufe kann sich der Gottgeweihte seines ewigen und glückseligen Lebens erfreuen. Die einzige Aufgabe des Vedānta-sūtra ist es, die Menschen zu lehren, ihre verlorene Beziehung zum Höchsten Herrn wiederherzustellen, sich im hingebungsvollen Dienen zu beschäftigen und schließlich das höchste Ziel des Lebens, Liebe zu Gott, zu erreichen. Das Vedānta-sūtra lehrt ausschließlich diese drei Prinzipien des transzendentalen Lebens.

Nachdem Śrī Kṛṣṇa Caitanya auf direkte Weise jeden Vers des Vedānta-sūtra erklärt hatte, erhob sich der fortgeschrittenste Schüler Prakāṣānanda Sarasvatīs und pries Śrī Caitanya als den Höchsten Persönlichen Gott Nārāyaṇa. Er bewunderte die Kommentare des Herrn sehr und sagte daher vor allen anderen sannyāsīs: »Deine Erklärungen zu den Upaniṣaden und dem Vedānta-sūtra sind so wunderbar, daß wir ganz vergessen, daß wir zur Māyāvādī-Sekte gehören. Wir müssen zugeben, daß Śaṅkarācāryas Auslegungen imaginär sind. Wir haben diese irreführenden Erklärungen nur aufgrund sektiererischer Überlegungen akzeptiert, doch in Wirklichkeit stellten uns seine Spekulationen niemals so recht zufrieden. Deine Erklärungen jedoch haben uns die Augen geöffnet. Wir erkennen jetzt, daß es nicht genügt, nur in die Lebensstufe des sannyāsa einzutreten, um von der materiellen Verstrickung befreit zu werden. Am meisten aber müssen wir Dir dafür dankbar sein, daß Du uns die Bedeutung des Verses »harer nāma harer nāma harer nāmaiva kevalam« deutlich machtest. »Es gibt keine andere Möglichkeit, selbstverwirklicht zu werden, als durch hingebungsvolles Dienen.« Niemand kann aus der Gewalt der materiellen Natur befreit werden, ohne sich im hingebungsvollen Dienen zu beschäftigen. In diesem Zeitalter ist es uns besonders leicht gemacht, denn schon allein durch das Chanten von »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« kann man die höchste Vollkommenheit erreichen.«

Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 14. Kapitel des Zehnten Cantos erklärt, daß ein Mensch, der den Pfad des hingebungsvollen Dienens verläßt und sich statt dessen abplagt, um Wissen zu erlangen, als einziges Ergebnis seiner Anstrengungen die Schwierigkeiten erntet, die er auf sich nehmen muß, um den Unterschied zwischen materieller und spiritueller Natur zu verstehen. Solch ein Mensch wird mit jemandem verglichen, der versucht, Reis aus bereits leergedroschenen Hülsen zu gewinnen - er strengt sich vergeblich an. Daher wird auch in diesem Vers des Śrīmad-Bhāgavatam gesagt, daß jemand, der den hingebungsvollen Dienst für den Herrn aufgibt und sich irrtümlich für befreit hält, niemals die wirkliche Befreiung erreicht. Im Gegenteil, selbst wenn er unter großen Anstrengungen und mit Hilfe strenger Bußen und Opfer das brahmajyoti erreicht, muß er doch wieder auf die materielle Ebene zurückfallen, weil er nicht Zuflucht bei den Lotosfüßen des Höchsten Herrn gesucht hat.

Das Höchste Brahman kann nicht unpersönlich sein, denn wie könnte Es sonst die sechs transzendentalen Füllen besitzen? In allen Veden und Purāṇas wird bestätigt, daß der Höchste Persönliche Gott voller spiritueller Energien ist. Unwissende Menschen jedoch glauben nicht an die Energien des Höchsten und verspotten daher Seine transzendentalen Spiele und Taten. Sie bezeichnen statt dessen den transzendentalen Körper Śrī Kṛṣṇas als eine Schöpfung der materiellen Natur und begehen somit das größte Vergehen, das man sich denken kann. Wir jedoch sollten die Erklärungen Śrī Caitanyas akzeptieren, die Er den Māyāvādī-sannyāsīs vortrug.

Die individuelle Persönlichkeit der Höchsten Absoluten Wahrheit wird im Śrīmad-Bhāgavatam im 9. Kapitel des Dritten Cantos beschrieben, wo es heißt: »O mein Höchster Herr, Deine transzendentale Gestalt, die ich nun mit eigenen Augen vor mir sehe, besteht aus unwandelbarer spiritueller Freude, und sie ist nicht im geringsten von den materiellen Erscheinungsweisen verunreinigt. Von dieser Form, die die vollkommene Manifestation der Absoluten Wahrheit ist, geht eine leuchtende Ausstrahlung aus. O Überseele in allen Herzen, Schöpfer der kosmischen Manifestation, ich will mich Dir nun hingeben! O Kṛṣṇa, o segensreiches Universum, Du bist in Deiner ursprünglichen Gestalt erschienen, damit wir bedingten Seelen Dich verehren können. Wir erkennen Dich entweder in der Meditation oder bei der direkten Verehrung. Törichte Menschen, die stark von der materiellen Natur verunreinigt sind, wissen die Bedeutung Deiner transzendentalen Gestalt nicht zu schätzen und gleiten so zur Hölle hinab.«

Diese Aussage wird ebenfalls in der Bhagavad-gītā im 11. Vers des Neunten Kapitels bestätigt, wo Kṛṣṇa sagt: »Nur die Unwissenden verspotten mich, wenn Ich in einer menschlichen Form erscheine. Sie kennen nicht Mein transzendentales Wesen und wissen nicht, daß Ich der Besitzer, der Erhalter und der Herr der gesamten Schöpfung bin.« Im 19. und 20. Vers des Sechzehnten Kapitels wird bestätigt, daß solche dämonischen Menschen zur Hölle gehen: »Die Mißgünstigen und Boshaften, die Mich und Meine Geweihten beneiden, und die die Niedrigsten unter den Menschen sind, werden von Mir in den Ozean der materiellen Existenz in die dämonischen Arten des Lebens geworfen. Weil solche Menschen immer wieder in dämonischen Lebensformen geboren werden, können sie sich Mir niemals nähern. Allmählich sinken sie in die abscheulichsten Formen des Daseins hinab.«

Im Vedānta-sūtra wird vom ersten Vers an das Prinzip von Ursprung und Produkt (parinamavada) gelehrt, doch Śaṅkarācārya versuchte absichtlich, diese Tatsache zu verbergen, um statt dessen seine Theorie von der Umwandlung des ursprünglichen Zustandes propagieren zu können, die als vivartavata bekannt ist. Er besaß sogar die Dreistigkeit, zu behaupten, Vyāsadeva sei ein Fehler unterlaufen, als er erklärte, die Absolute Wahrheit sei eine spirituelle Persönlichkeit. In Wirklichkeit jedoch ist Śaṅkara derjenige, der sich im Irrtum befindet, denn alle vedischen Schriften, einschließlich der Purāṇas, stimmen darin überein, daß der Höchste Herr das persönliche Zentrum der spirituellen Energie und Mannigfaltigkeit ist. Doch weil die Māyāvādī-Philosophen trotz ihrer eigenen Unzulänglichkeit von Stolz verblendet sind, können sie nicht die Mannigfaltigkeit der spirituellen Energie einsehen. Sie haben statt dessen die falsche Vorstellung, die spirituelle Mannigfaltigkeit unterscheide sich nicht von der Dualität in der materiellen Welt. Und da sie völlig von dieser imaginären Annahme in die Irre geführt sind, verhöhnen sie die transzendentalen Spiele des Höchsten Persönlichen Gottes. Solche Narren sind niemals imstande, die spirituellen Aktivitäten des Höchsten zu begreifen, und halten Ihn daher für eine Schöpfung der materiellen Natur. Dies ist eines der größten Vergehen, die ein Mensch begehen kann. Śrī Caitanya erklärte aus diesem Grund unmißverständlich: »Kṛṣṇas transzendentale Gestalt ist sac-cid-ānanda vigraha - ewig, voller Wissen und voller Glückseligkeit -, und Er ist ständig in Seine transzendentalen Spiele vertieft, die voller spiritueller Vielfalt sind.«

Der Lieblingsschüler Prakāṣānandas faßte die Erklärungen Śrī Caitanyas mit folgenden Worten zusammen: »Wir hatten den Pfad, der zur spirituellen Verwirklichung führt, verlassen und ergingen uns statt dessen in unsinnigen Erörterungen. Die Māyāvādī-Philosophen, die ernsthaft darum bemüht sind, befreit zu werden, sollten sich im hingebungsvollen Dienst für Kṛṣṇa beschäftigen, statt ihre Zeit mit sinnlosem Gerede zu vergeuden. Wir geben zu, daß die Kommentare Śaṅkarācāryas die wahre Bedeutung der vedischen Schriften entstellen. Einzig und allein die Erklärungen Śrī Caitanyas sind annehmbar, denn alle anderen Interpretationen sind völlig nutzlos.«

Nachdem Prakāṣānandas Lieblingsschüler seinen Irrtum eingestanden hatte, begann er »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« zu chanten, und als Prakāṣānanda Sarasvatī dies sah, bekannte auch er, daß Śaṅkarācāryas Interpretationen des Vedānta-sūtra nicht dessen wahre Bedeutungen wiedergaben. Er sagte: »Śaṅkarācārya wollte die Lehre vom Einssein bestätigen, und daher blieb ihm nichts anderes übrig, als den Vedānta auf falsche Weise zu interpretieren. Denn hätte er den Höchsten Persönlichen Gott anerkannt, so hätte er seiner eigenen Lehre widersprochen; daher versuchte er, durch irreführende Wortspielereien die wahre Bedeutung des Vedānta-sūtra zu verschleiern. Jeder Autor, der wie Śaṅkarācārya seine eigenen Ansichten zum besten geben will, muß die Aussage des Vedānta-sūtra durch falsche Interpretation verschleiern.

Es ist ein Vergehen, über die vedischen Schriften zu spekulieren. Dennoch versuchten sich Śaṅkara und noch viele andere materialistische Philosophen wie Kapila, Jaimini, Gautama, Aṣṭavakra und Patañjali darin, ihre eigenen philosophischen Auslegungen der Veden zu fabrizieren. Der Logiker Jaimini und seine Anhänger z. B. ließen das eigentliche Ziel der Veden, nämlich gottgeweihtes Dienen, völlig außer acht und versuchten statt dessen zu beweisen, daß die Absolute Wahrheit der materiellen Welt untergeordnet ist. Nach ihrer Meinung sollten wir nur unsere materiellen Pflichten so gut wir können befolgen. Dadurch würde Gott - so glauben sie - so sehr mit uns zufrieden sein, daß Er uns jeden Wunsch erfüllen würde.

Im Gegensatz zu Jaimini versuchte der Atheist Kapila zu verbreiten, daß es keinen Gott gebe, der diese materielle Welt geschaffen habe. Um seine Theorie zu beweisen, analysierte Kapila die materiellen Elemente und ihre mannigfachen Kombinationen und behauptete dann, sie seien die Ursache der Schöpfung.

Auch Gautama und Kanada maßen den materiellen Elementen große Bedeutung bei und versuchten zu beweisen, daß die Atomenergie der Ursprung der Schöpfung ist. Wieder andere Unpersönlichkeitsanhänger und Monisten wie Aṣṭavakra behaupteten, die unpersönliche Ausstrahlung Kṛṣṇas, das brahmajyoti, sei das Höchste. Patañjali schließlich, eine der größten Autoritäten auf dem Gebiet des yoga, bemühte sich, durch Meditation eine imaginäre Form des Höchsten Herrn wahrzunehmen.

Zu all diesen Philosophien läßt sich zusammenfassend sagen, daß die jeweiligen materialistischen Philosophen mit ihnen lediglich den Versuch unternommen haben, den Höchsten Persönlichen Gott auszuklammern, um so ihre eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Doch der große Weise Vyāsadeva, eine Inkarnation Gottes, studierte all diese philosophischen Spekulationen genau und verfaßte als Antwort das Vedānta-sūtra. Im Vedānta-sūtra werden einfach nur die ewige Beziehung der Lebewesen zum Höchsten Persönlichen Gott behandelt, das daraus resultierende hingebungsvolle Dienen und das Erreichen der ursprünglichen Liebe zu Gott. Zu Beginn des Vedānta-sūtra steht der Vers »janmādy asya yataḥ«, den Vyāsadeva auch an den Anfang des Śrīmad-Bhāgavatam setzte, und der besagt, daß die höchste Ursache alles Existierenden eine bewußte, transzendentale Person ist.

Die Unpersönlichkeitsanhänger erklären zwar, die unpersönliche Ausstrahlung des Höchsten Herrn, das brahmajyoti, befinde sich jenseits der materiellen Natur, doch das hindert sie nicht zu behaupten, der Höchste Persönliche Gott, der Ursprung dieser Ausstrahlung, sei von den Erscheinungsweisen der materiellen Natur verunreinigt. Das Vedānta-sūtra dagegen beweist eindeutig, daß der Höchste nicht nur transzendental zu den materiellen Erscheinungsweisen ist, sondern daß Er auch unzählige transzendentale Eigenschaften und Energien besitzt. Die materialistischen Spekulanten haben eins gemeinsam: Alle leugnen sie die Existenz des Höchsten Herrn, Śrī Viṣṇu, denn es ist ihnen vor allem daran gelegen, ihre eigenen Theorien aufzustellen, um so die Bewunderung der unschuldigen Menge zu ernten. Die Unglücklichen, die sich von diesen atheistischen Philosophen faszinieren lassen, werden durch sie so sehr verwirrt, daß sie niemals das wirkliche Wesen der Absoluten Wahrheit verstehen können. Es wird ihnen hiermit dennoch geraten, dem Beispiel der großen Seelen, den mahājanas zu folgen. Aus dem Śrīmad-Bhāgavatam erfahren wir, daß es zwölf mahājanas gibt: 1) Brahmā, 2) Śiva, 3) Nārada, 4) Vaivasvata Manu, 5) Kapila (nicht der Atheist, sondern der ursprüngliche Kapila, eine Inkarnation Kṛṣṇas), 6) die Kumāras, 7) Prahlāda, 8) Bhīṣma, 9) Janaka, 10) Bali, 11) Śukadeva Gosvāmī und 12) Yamarāja.

Im Mahābhārata wird erklärt, daß es keinen Sinn hat, über die Absolute Wahrheit zu argumentieren, denn es gibt zu viele verschiedene philosophische Ansichten, und jeder der Philosophen beharrt auf seinem eigenen Standpunkt, ohne eine andere Auffassung gelten zu lassen. Wenn man daher die wirkliche Bedeutung der religiösen Prinzipien verstehen will, was durch die unterschiedlichen Philosophen recht schwierig geworden ist, sollte man dem Beispiel der mahājanas, der großen Seelen folgen, die oben aufgezählt sind. Nur so kann man das gewünschte Ziel erreichen.

Die Lehren Śrī Caitanyas sind wie Nektar, und sie beinhalten alles, was der ernsthafte Schüler benötigt, um Fortschritte im spirituellen Leben zu machen; jeder, der die Vollkommenheit erlangen will, soll ihnen folgen.

22. KAPITEL

Caitanya

Prakāṣānanda Sarasvatī gibt sich hin

Nachdem die Māyāvādī-sannyāsīs Anhänger Śrī Caitanya Mahāprabhus geworden waren, pflegten viele Gelehrte und viele empfängliche Menschen nach Benares zu kommen, um Śrī Caitanya kennenzulernen. Natürlich konnten sie Ihn nicht alle in Seinem Haus besuchen, und so stellten sie sich in langen Reihen am Wegesrand auf, um Śrī Caitanya wenigstens sehen zu können, wenn Er in die Tempel von Viṣvanātha und Bindhu-mādhava ging. Als Er wieder einmal in Begleitung Seiner Gefährten Candraṣekhara Ācārya, Paramānanda, Tapana Miṣra, Sanātana Gosvāmī und anderer die Tempel besuchte, sang Er:

hari haraya namaḥ kṛṣṇa yādavāya namaḥ
gopāla govinda rāma ṣrī madhusūdana

Und während Er chantete und tanzte, versammelten sich Tausende von Menschen um Ihn und stimmten laut in Seinen Gesang ein, worauf sich die transzendentalen Schwingungen zu einem tönenden Brausen vereinigten. Der kīrtana war so gewaltig, daß Prakāṣānanda Sarasvatī, der in der Nähe weilte, neugierig mit Seinen Schülern herbeikam, und sowie er den strahlendschönen Herrn, der auch als »Gaurasundara« bekannt ist, und dessen Gefährten voller Ekstase tanzen sah, schloß er sich ihnen an und begann ebenfalls zu singen: »Hari! Hari!« Die Einwohner von Benares waren außer sich vor Begeisterung, als sie Śrī Caitanya so in Ekstase sahen; doch sobald der Herr die Māyāvādī-sannyāsīs bemerkte, hielt Er in Seiner immer größer werdenden Ekstase inne und hörte auf zu tanzen. Sofort warf sich Prakāṣānanda Ihm zu Füßen, doch Śrī Caitanya richtete ihn auf und sagte: »Du bist der geistige Meister der gesamten Welt, der jagat-guru, und Ich bin nicht einmal einem deiner Schüler ebenbürtig. Du solltest deshalb nicht einen Unwürdigen wie Mich verehren, der es nicht wert ist, der Schüler deines Schülers zu werden. Du bist wie das Höchste Brahman, und wenn Ich es zulasse, daß du Mir zu Füßen fällst, lade Ich ein großes Vergehen auf Mich. Obwohl du keine Unterschiede machst, da du über jeglicher Dualität stehst, solltest du dennoch, um den Menschen ein Beispiel zu geben, nicht so etwas tun.

Prakāṣānanda antwortete: »Ich habe früher viel Schlechtes über Dich gesagt, und daher falle ich Dir nun zu Füßen, um mich von den sündhaften Reaktionen zu befreien.« Dann zitierte er einen Vers aus den vedischen Schriften, in dem gesagt wird, daß selbst eine befreite Seele wieder ein Opfer der materiellen Verunreinigung wird, wenn sie ein Vergehen gegen den Höchsten Herrn begeht. Und aus dem Śrīmad-Bhāgavatam (Zehntes Canto, 34. Kapitel) führte er eine Stelle an, wo beschrieben wird, wie Nanda Mahārāja von einer Schlange angegriffen wurde, die in ihrem früheren Leben ein Halbgott mit Namen Vidyādhara gewesen war. Als Kṛṣṇa herbeikam, um Seinen Vater zu retten, und die Schlange mit Seinen Lotosfüßen berührte, wurde diese von allen sündhaften Reaktionen befreit und nahm wieder ihren ehemaligen Körper an. Als Śrī Caitanya hörte, daß Er mit Kṛṣṇa gleichgesetzt wurde, protestierte Er bescheiden - Er wollte damit zeigen, daß niemand ein gewöhnliches Lebewesen mit dem Höchsten Herrn auf eine Stufe stellen soll. Obgleich Er Selbst der Höchste Persönliche Gott ist, wehrte Er Sich dennoch entschieden gegen diese Gleichsetzung, um uns zu lehren, daß niemand mit dem Höchsten Herrn verglichen werden darf, denn dies ist ein großes Vergehen. Śrī Caitanya wies immer wieder darauf hin, daß Viṣṇu, der Höchste Persönliche Gott, unbegrenzt groß ist, wohingegen die Lebewesen, ganz gleich wie bedeutend sie nach materiellen Gesichtspunkten auch sein mögen, immer winzig klein sind. Um diese Aussage zu belegen, zitierte Er einen Vers aus dem Vaiṣṇava-tantra des Padma Purāṇa, in dem erklärt wird: »Wer den Höchsten Herrn mit einem gewöhnlichen Lebewesen vergleicht - und sei es auch mit einem der großen Halbgötter wie Brahmā oder Śiva -, muß als Atheist angesehen werden.«

Prakāṣānanda entgegnete jedoch: »Ich weiß, daß Du der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, bist; doch selbst wenn wir annehmen, daß Du nur ein großer Gottgeweihter bist, bist Du immer noch von uns zu verehren, denn Du übertriffst uns alle an Gelehrtheit und Erkenntnis. Als wir Dich beleidigten, begingen wir das denkbar größte Vergehen, und daher bitten wir Dich um Verzeihung.«

Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 14. Kapitel des Sechsten Cantos erklärt, daß der Gottgeweihte der Vollkommenste aller Transzendentalisten ist; es heißt dort: »Es gibt viele befreite und vollkommene Seelen, doch die Geweihten des Höchsten Persönlichen Gottes übertreffen sie alle. Solche Gottgeweihten sind immer ruhig und ausgeglichen, und sie sind so selten, daß man selbst unter Millionen von Menschen vielleicht nur einen von ihnen findet.«

Prakāṣānanda zitierte dann einen Vers aus dem 4. Kapitel des Zehnten Cantos, der besagt, daß man Reichtum, Ruhm, Religiosität, Lebensdauer, den Segen höherer Autoritäten, und alles, was man sonst noch besitzen mag, verliert, wenn man einen Gottgeweihten beleidigt.

Anschließend führte er noch einen Vers aus dem 5. Kapitel des Siebten Cantos an, der darauf hinweist, daß alle Leiden einer bedingten Seele augenblicklich verschwinden, wenn sie die Lotosfüße des Höchsten Herrn berührt. Doch die Gelegenheit, die Lotosfüße des Höchsten Herrn zu berühren, kann man nur dann erhalten, wenn man mit dem Staub von den Lotosfüßen eines reinen Gottgeweihten gesegnet wird. Mit anderen Worten: Niemand kann ein reiner Gottgeweihter werden, ohne von einem anderen reinen Geweihten des Herrn gesegnet worden zu sein.

Endlich sagte Prakāṣānanda: »Bitte, o Herr, gewähre mir Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen, denn nun möchte ich ein Gottgeweihter werden.«

Daraufhin setzten sich Prakāṣānanda Sarasvatī und Śrī Kṛṣṇa Caitanya zusammen, und Prakāṣānanda sagte: »Alles, was Du sagtest, um die Widersprüche in der Māyāvāda-Philosophie aufzuzeigen, findet unsere Zustimmung, denn wir wissen, daß die Kommentare der Māyāvādī-Philosophen voller Irrtümer sind. Besonders gefährlich sind Śaṅkarācāryas Kommentare zum Vedānta-sūtra, die nur auf Spekulation und Einbildung beruhen. Du aber hast die Verse des Vedānta-sūtra und der Upaniṣaden nicht nach eigenem Gutdünken ausgelegt, sondern ihre wirkliche Bedeutung erklärt, und diese Erklärungen haben uns begeistert. Du besitzt alle Macht des Höchsten, denn niemand außer dem Höchsten Persönlichen Gott hätte solche Erklärungen abgeben können. - Bitte sei daher so gütig und erkläre den Vedānta weiter, so daß ich noch mehr durch Deine erleuchtenden Worte gesegnet werde.«

Śrī Caitanya wehrte Sich abermals dagegen, von Prakāṣānanda »Höchster Herr« genannt zu werden, und erwiderte: »Lieber Herr, Ich bin nur ein gewöhnlicher Sterblicher, und deshalb ist es Mir nicht möglich, die wirkliche Bedeutung des Vedānta-sūtra zu erkennen. Kein gewöhnliches Lebewesen kann den Vedānta mit Hilfe seines weltlichen Wissens interpretieren. Doch Vyāsadeva, der eine Inkarnation Nārāyaṇas ist, kennt die wahre Bedeutung dieses großen Werkes. Um zu verhindern, daß skrupellose Menschen durch ihre falschen Interpretationen andere in die Irre führen, schrieb er vorsorglich in Form des Śrīmad-Bhāgavatam seinen eigenen Kommentar zum Vedānta-sūtra. Wenn der Verfasser selbst den Sinn seines Werkes erklärt, muß man diese Erklärung als maßgebend betrachten, denn niemand kann die wirkliche Absicht eines Autors verstehen, solange dieser nicht selbst eine Erklärung zu seinem Buch abgibt. Aus diesem Grund sollte man das Vedānta-sūtra durch den Kommentar des Verfassers verstehen -das Śrīmad-Bhāgavatam.

Praṇāva oder omkāra ist die göttliche Substanz der Veden. Omkāra wird im Gāyatrī-mantra und in vier besonderen Versen des Śrīmad-Bhāgavatam näher erklärt. Diese Verse wurden zuerst Brahmā offenbart; Brahmā verkündete sie dann Nārada, der sie seinerseits an Vyāsadeva weitergab. Auf diese Weise wurde das Śrīmad-Bhāgavatam durch eine lange Nachfolge von geistigen Meistern überliefert, damit nicht jeder beliebige Dummkopf seinen eigenen Kommentar zum Vedānta abgeben und andere in die Irre führen kann Śrīla Vyāsadeva schrieb das Bhāgavatam auf Anweisung Nārada Munis nieder, um

152 die Aphorismen des Vedānta genauer zu erklären. Daher muß jeder, der das Vedānta-sūtra verstehen will, als erstes das Śrīmad-Bhāgavatam sorgfältig studieren, das die Essenz allen vedischen Wissens darstellt. Vyāsadeva hatte nämlich die Essenz der Upaniṣaden im Vedānta-sūtra zusammengefaßt, und die Essenz des Vedānta-sūtra wiederum ist das Śrīmad-Bhāgavatam. Somit kann man all das, was in den Upaniṣaden und im Vedānta-sūtra erklärt wird, direkt und unmißverständlich im Śrīmad-Bhāgavatam wiederfinden.

In der Īṣopaniṣad z. B. gibt es einen Vers, der die gleiche Bedeutung hat wie ein Vers aus dem 1. Kapitel des Achten Cantos im Śrīmad-Bhāgavatam. Es heißt dort: »Alles, was man in der kosmischen Manifestation sieht, ist die Energie des Höchsten Herrn, die nicht von Ihm verschieden ist. Er kontrolliert alle Lebewesen, und Er ist der Freund und Erhalter eines jeden. Wir sollten von der Barmherzigkeit Gottes und den Dingen, die für uns vorgesehen sind, leben, und nicht das Eigentum eines anderen für uns in Anspruch nehmen. Wenn man diese einfachen Regeln befolgt, kann man glücklich und in Frieden leben.

Die Upaniṣaden und der Vedānta haben also das gleiche Ziel wie das Śrīmad-Bhāgavatam. Wenn man das Bhāgavatam sorgfältig studiert, wird man für alle Inhalte der Upaniṣaden und des Vedānta-sūtra eine genaue Erklärung finden. Das Śrīmad-Bhāgavatam befaßt sich mit den gleichen Hauptthemen, die auch im Vedānta-sūtra behandelt werden: 1) Wie man seine ewige Beziehung zum Höchsten Herrn wiederaufnehmen kann. 2) Wie man entsprechend dieser Beziehung handelt, und 3) wie man daraus den größten Nutzen erfahren kann. Diese Themen bilden die Grundlage des Bhāgavatam. Śrī Kṛṣṇa Selbst erklärt dazu: »Ich bin das höchste Zentrum aller Lebewesen, zu dem ein jedes seine individuelle Beziehung hat, und Ich bin das höchste Wissen. Der Vorgang durch den man Mich erreichen kann, wird abhidheya genannt, und durch abhidheya kann man die höchste Vollkommenheit des Lebens, Liebe zu Gott, erreichen.

Dann erläuterte Śrī Caitanya in kurzen Worten die vier wichtigsten Verse des Bhāgavatam. Er sagte: »Niemand kann den Höchsten Herrn von sich aus verstehen, und erst recht nicht Seine transzendentalen Eigenschaften, Seine transzendentalen Spiele oder Seine sechs unbegrenzten Füllen. Diese Dinge sind weder durch intellektuelle Spekulationen noch durch akademische Bildung zu erfassen, sondern, wie in der Bhagavad-gītā erklärt wird, nur durch die Gnade des Höchsten Herrn.

Der Herr existierte bereits vor der materiellen Schöpfung; daher gingen die Bestandteile der materiellen Welt, die Natur und die Lebewesen, aus Ihm hervor und werden nach ihrer Vernichtung wieder in Ihn zurückkehren. Die gesamte Schöpfung wird von Ihm erhalten, und jede Manifestation, die wir sehen, ist nur eine Umwandlung Seiner äußeren Energie. Wenn der Höchste Herr die äußere Energie wieder in Sich zurückzieht, geht alles Existierende in Ihn ein. Im ersten der vier wichtigsten Verse des Bhāgavatam sagt der Höchste Persönliche Gott dreimal »aham« (Ich), um zu betonen, daß Er alle sechs transzendentalen Füllen besitzt. Wer die spirituelle Gestalt und das Wesen des Höchsten Herrn nicht anerkennen kann oder gar glaubt, Er habe überhaupt keine Form, wird damit eines Besseren belehrt.

Neben der äußeren und der mittleren Energie, d. h. der kosmischen Welt, den Lebewesen und den relativen Energien, besitzt der Herr auch eine innere Energie, die im Gegensatz zur äußeren Energie nicht durch die drei guṇas* manifestiert wird.

* Die drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur - sattva (Reinheit), rajo (Leidenschaft) und tama (Unwissenheit).

Wer die wesenseigene Position der Lebewesen in der spirituellen Welt versteht, verfügt über vedyam, vollkommenes Wissen. Man kann den Höchsten Herrn nicht dadurch erkennen, daß man sich lediglich mit der materiellen Welt und den bedingten Seelen befaßt. Doch jeder, der in vollkommenem Wissen gründet, ist frei vom Einfluß der äußeren Energie und kennt daher keine Unwissenheit mehr.

Erst wenn man vom Bann der äußeren Energie befreit ist, kann man das wirkliche Wesen des Höchsten Herrn verstehen. Das hingebungsvolle Dienen für den Höchsten Herrn ist das einzige Mittel, Ihn zu erreichen; jeder kann hingebungsvolles Dienen praktizieren - ganz gleich in welchem Land, in welcher Atmosphäre und unter welchen Umständen. Hingebungsvolles Dienen steht über den vier Prinzipien der Religiosität und sogar über Befreiung. Schon im Anfangsstadium ist es transzendental zur höchsten Form der Befreiung.

Jeder, ungeachtet seiner Kaste, Rasse, Hautfarbe, Nationalität oder Abstammung, sollte sich daher an einen geistigen Meister wenden, um sich von diesem im hingebungsvollen Dienen unterrichten zu lassen. Der eigentliche Sinn unseres Lebens besteht darin, unsere schlafende Liebe zu Gott zu erwecken; denn daran mangelt es uns allen am meisten. Auf welche Weise diese Liebe zu Gott entwickelt werden kann, wird eingehend im Śrīmad-Bhāgavatam beschrieben, wo nicht nur theoretisches Wissen gegeben wird, sondern auch bereits verwirklichtes, also praktisches. Vollkommenes Wissen erlangt man, wenn man die Lehren des geistigen Meisters verwirklicht.

23. KAPITEL

Caitanya

Das Śrīmad-Bhāgavatam

Unter »Wissen« versteht man »Informationen aus den Schriften«, und »Wissenschaft« bedeutet die »praktische Verwirklichung dieses Wissens«. Mit anderen Worten: Wissen, das man unter der kundigen Führung des autorisierten geistigen Meisters aus den Schriften empfängt und verwirklicht, ist wissenschaftliches Wissen; wenn man dieses Wissen jedoch durch intellektuelle Spekulationen interpretiert, wird es relativ. Indem man die Informationen aus den Schriften wissenschaftlich versteht, d. h. unter der Anleitung des geistigen Meisters praktisch verwirklicht, bekommt man ein echtes Verständnis von den Aspekten des Höchsten Persönlichen Gottes. Die transzendentale Gestalt des Höchsten Persönlichen Gottes unterscheidet sich von allen materiellen Manifestationen und wird deshalb auch nicht von den Vorgängen in der materiellen Welt beeinflußt. Dies ist für eine bedingte Seele so schwer zu begreifen, daß jeder, der die spirituelle Gestalt des Höchsten Herrn nicht wissenschaftlich versteht, unweigerlich zu einem Unpersönlichkeitsanhänger wird. Wer unter dem Einfluß der materiellen Energie steht, kann die spirituelle Gestalt des Höchsten Herrn nicht erkennen, und solange man nicht die transzendentale Gestalt des Höchsten Persönlichen Gottes erkennt, kann man Gott auch nicht wirklich lieben. Solange man nicht versteht, daß der Herr eine transzendentale Gestalt hat, ist die sogenannte Liebe zu Gott unecht, und man ist der Vollkommenheit des menschlichen Lebens noch fern. Die Geweihten des Höchsten Herrn jedoch sehen, ähnlich wie man die fünf grobstofflichen Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther sowohl in den Körpern der Lebewesen als auch außerhalb erkennen kann, den Höchsten Persönlichen Gott sowohl innerhalb als auch außerhalb der kosmischen Manifestation.

Die reinen Gottgeweihten sind sich völlig bewußt, daß es ihre Pflicht ist, dem Höchsten Persönlichen Gott zu dienen, und daß sie alles, was es gibt, in ihren Dienst für den Herrn miteinbeziehen können. Weil ein Gottgeweihter vom Höchsten im Innersten seines Herzens gesegnet worden ist, kann er den Herrn überall sehen. Das Śrīmad-Bhāgavatam beschreibt diese enge Beziehung zwischen dem Gottgeweihten und dem Herrn im 2. Kapitel des Elften Cantos wie folgt: »Einen Gottgeweihten, dessen Herz mit dem Seil der Liebe fest an die Lotosfüße des Höchsten Herrn gebunden ist, verläßt der Herr niemals - selbst dann nicht, wenn sich der Geweihte nicht bewußt an den Höchsten erinnert. Solch ein Mensch wird ein erstklassiger Gottgeweihter genannt.« Im Bhāgavata-tasumkuṇḍa wird hierfür das Beispiel der Mädchen von Vṛndāvana gegeben: Die gopīs hatten sich versammelt, um mit Kṛṣṇa zu tanzen. Doch plötzlich verschwand Kṛṣṇa aus ihrer Mitte, und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als Seinen heiligen Namen zu chanten. Sie wurden vor Trennungsschmerz wie verrückt und begannen, die Blumen und Bäume im Wald zu fragen, ob sie Kṛṣṇa gesehen hätten.

Im Śrīmad-Bhāgavatam werden, wie bereits erwähnt, drei Themen behandelt: 1) unsere ewige Beziehung zum Höchsten Herrn; 2) der Vorgang, durch den wir zu Ihm gelangen können, und 3) die höchste Stufe der Verwirklichung, Liebe zu Gott. Śrī Caitanya erklärte deshalb Prakāṣānanda als nächstes das zweite Thema des Bhāgavatam, indem Er ihm genau darlegte, wie man den Höchsten Herrn durch hingebungsvolles Dienen erreichen kann. Dazu zitierte der Herr einen Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam im 14. Kapitel des Elften Cantos, wo Kṛṣṇa sagt: »Nur durch hingebungsvolles Dienen, das mit Vertrauen und Liebe ausgeführt wird, bin Ich zu erreichen und allein hingebungsvolles Dienen reinigt das Herz des Gottgeweihten und erhebt ihn zur höchsten Stufe der Vollkommenheit.« Wenn der Gottgeweihte diese höchste Stufe, Liebe zu Gott, erreicht hat, zeigt er alle transzendentalen Qualitäten - selbst wenn er in einer niedrigen Familie wie der von caṇḍālas (Hunde-Essern) geboren wurde. Die Symptome werden im 3. Kapitel des Elften Cantos wie folgt beschrieben: »Sowie die Gottgeweihten, die dem Herrn mit Liebe und Hingabe dienen, über den Höchsten sprechen, der ihre Herzen von allen sündhaften Reaktionen reinigt, werden sie von Ekstase überwältigt. Wenn sie in diesem Zustand den heiligen Namen des Herrn chanten, geschieht es manchmal daß sie aus spontaner Zuneigung für den Höchsten Herrn lachen, tanzen oder singen, ohne sich dabei um ihre Umgebung zu kümmern.«

Wir sollten verstehen, daß das Śrīmad-Bhāgavatam der echte Kommentar zum Vedānta ist, und daß beide Werke vom gleichen Verfasser stammen. Im Guru Purāṇa wird diese Tatsache ebenfalls bestätigt: »Das Śrīmad-Bhāgavatam ist der echte Kommentar zum Vedānta-sūtra und die Fortsetzung des Mahābhārata. Es ist die Erklärung des Gāyatrī-mantras und die Essenz allen vedischen Wissens. Dieses großartige Werk besteht aus 18 000 Versen, und es ist die Erläuterung aller vedischen Schriften.« Vor rund 5000 Jahren fragten die Weisen im Wald von Naimiṣāraṇya Sūta Gosvāmī nach der Essenz der vedischen Schriften, und als Antwort trug ihnen der Heilige das Śrīmad-Bhāgavatam vor. Im 13. Kapitel des Zwölften Cantos bestätigt das Bhāgavatam selbst daß seine Verse die Essenz allen vedischen Wissens bilden und daß jemand, der mit dieser Schrift in Berührung kommt, keinen Geschmack mehr am Studium anderer Schriften findet. Als erstes werden im Bhāgavatam die Bedeutung und der Sinn des Gāyatrī-mantras erklärt - Śrīla Vyāsadeva sagt nämlich: »Ich bringe Vāsudeva, der Höchsten Absoluten Wahrheit meine Ehrerbietungen dar.« Dieser erste Vers bezieht sich also eindeutig auf die Höchste Absolute Wahrheit, die im Śrīmad-Bhāgavatam als der Ursprung der kosmischen Manifestation beschrieben wird. Wenn im Bhāgavatam vom Höchsten Persönlichen Gott, Vāsudeva, gesprochen wird, so ist damit Śrī Kṛṣṇa, der göttliche Sohn Vasudevas und Devakīs gemeint. Diese Tatsache wird in einem späteren Vers noch deutlicher zum Ausdruck gebracht, wo der Autor direkt erklärt, daß Śrī Kṛṣṇa der Ursprüngliche Persönliche Gott ist, und daß alle Inkarnationen entweder Seine direkten oder indirekten vollständigen Teile oder Teile der vollständigen Teile sind. Śrīla Jīva Gosvāmī behandelt diese Tatsache eingehender in seiner Kṛṣṇa-sandarbha, und Brahmā, das erste Lebewesen im Universum, erklärt die Wahrheit über Kṛṣṇa in allen Einzelheiten in der Brahma-saṁhitā. Auch in der Sāma-veda Upaniṣad wird gesagt, daß Śrī Kṛṣṇa der göttliche Sohn Devakīs ist.

Im ersten Vers des Śrīmad-Bhāgavatam wird somit festgestellt, daß Vāsudeva der urerste Herr ist, doch der Name, der auf die Absolute Höchste Person ganz besonders zutrifft, ist »Kṛṣṇa«, denn »Kṛṣṇa« bedeutet » der Alles-Anziehende«. In der Bhagavad-gītā sagt der Herr mehrmals, daß Er der Ursprüngliche Höchste Persönliche Gott ist, und Arjuna bestätigt dies anhand der maßgeblichen Aussagen großer Weiser wie Nārada, Asita, Devala und Vyāsa. Auch im Padma purāṇa wird erklärt, daß der Name »Kṛṣṇa« der wichtigste von den unzähligen Namen des Herrn ist. Der Name »Vāsudeva« im 1. Vers des Śrīmad Bhāgavatam weist allein auf Kṛṣṇa, den göttlichen Sohn Vasudevas und

Devakīs hin, denn Vāsudeva ist eine vollständige Erweiterung des Höchsten Persönlichen Gottes und die verschiedenen Formen des Herrn sind von Vāsudeva nicht verschieden. Alle paramahaṁsas, d. h. die Vollkommensten der Gottgeweihten auf der Lebensstufe der Entsagung, meditieren über Śrī Kṛṣṇa, denn Er ist die Ursache aller Ursachen.

Śrī Caitanya Mahāprabhu bezeichnete das Bhāgavata Purāṇa (Śrīmad-Bhāgavatam) als »das makellose Purāṇa«, da es ausschließlich vom Höchsten Persönlichen Gott Śrī Kṛṣṇa handelt. Schon die Entstehungsgeschichte des Śrīmad-Bhāgavatam ist außerordentlich: Es wurde von Śrīla Vyāsadeva zusammengestellt, nachdem dieser unter der Führung seines geistigen Meisters Nārada Muni alles transzendentale Wissen erfahren und verwirklicht hatte. Vyāsadeva hatte zuvor bereits alle vedischen Schriften wie die vier Veden, die Purāṇas, die Upaniṣaden, das Vedānta-sūtra und das Mahābhārata verfaßt. Trotzdem war er in seinem Innersten immer noch nicht zufrieden, und so gab ihm Nārada Muni, als dieser seine Unzufriedenheit bemerkte, den Rat, die transzendentalen Spiele und Taten des Höchsten Herrn, Śrī Kṛṣṇa, niederzuschreiben. Die transzendentalen Spiele Kṛṣṇas werden im Zehnten Canto des Bhāgavatam ausführlich beschrieben. Daher gilt dieser Canto als die Essenz des gesamten Werkes, und um ihn verstehen zu können, ist es notwendig, vorher die ersten neun Cantos sorgfältig zu studieren. Im allgemeinen ist jeder Mensch, in dem sich ab und zu ein philosophischer Gedanke regt, begierig zu wissen, was der Ursprung der Dinge ist, die er um sich herum wahrnimmt. Wenn wir z. B. den Nachthimmel betrachten und die vielen Sterne sehen, so fragen wir uns sicherlich, wie weit sie wohl entfernt sind, wie sie beschaffen sein mögen, ob Leben auf ihnen existiert usw. Es ist nur natürlich für einen Menschen, diese Fragen zu stellen, denn er besitzt ja ein weitaus höher entwickeltes Bewußtsein als ein Tier. Das Bhāgavatam beantwortet diese Frage nach der Ursache aller Dinge, indem es eindeutig erklärt, daß Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Herr, der Ursprung der Schöpfung ist. Er ist nicht nur der Schöpfer der materiellen Welt, sondern auch ihr Erhalter und Zerstörer. Die gesamte manifestierte kosmische Natur wird zu einem gewissen Zeitpunkt durch den Willen des Herrn geschaffen, sie wird eine bestimmte Zeitlang erhalten und schließlich durch Seinen Willen wieder vernichtet. Es gibt viele Atheisten, die aufgrund ihres geringen Wissens die Existenz eines Schöpfers und Erhalters bestreiten. Den modernen Wissenschaftlern ist es gelungen, Satelliten herzustellen, die mit gewissen technischen Vorrichtungen in den Weltraum geschossen werden und dort für eine gewisse Zeit unter der Kontrolle des Wissenschaftlers fliegen können, der sich weit entfernt irgendwo auf der Erde befindet. Die unzähligen Universen mit ihren vielen Planeten sind mit riesigen Satelliten vergleichbar, die sich unter der Aufsicht des Höchsten Persönlichen Gottes bewegen.

In der Kaṭha Upaniṣad wird gesagt, daß die Absolute Wahrheit, der Persönliche Gott, die höchste aller Persönlichkeiten ist. - In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, daß alle Lebewesen, angefangen vom ersten Geschöpf im Universum, Brahmā, bis hinunter zur kleinsten Ameise Individuen sind. Über Brahmā stehen noch viele andere solcher individuellen Lebewesen, und auch der Höchste Persönliche Gott ist ein lebendes Individuum. Dieses höchste Lebewesen besitzt auch die höchste Intelligenz und die unvorstellbarsten und verschiedenartigsten Energien. Wenn schon die Intelligenz des Menschen einen Satelliten hervorbringen kann, können wir uns leicht vorstellen, daß eine weitaus überlegenere Intelligenz ohne Schwierigkeiten Dinge schaffen kann, die die Schöpfungen des menschlichen Geistes bei weitem übertreffen. Jeder, der auch nur ein wenig Vernunft besitzt, wird diesem Argument ohne weiteres beipflichten, und nur ein materialistischer Starrkopf wird sich dagegen sträuben.

Śrīla Vyāsadeva jedenfalls erklärte, daß Parameṣvara, der Höchste Kontrollierende, diese höchste Intelligenz ist, und deshalb bringt Er Ihm bereits zu Beginn des Śrīmad-Bhāgavatam seine demütigen Ehrerbietungen dar. Wie auch in der Bhagavad-gītā und in allen übrigen vedischen Schriften einstimmig bestätigt wird, ist mit »Parameṣvara« Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott gemeint. So erklärt der Höchste Herr in der Bhagavad-gītā Selbst, daß es keine Wahrheit über Ihm gibt.

Skrupellose Menschen lesen ohne Scheu sofort den Zehnten Canto, wobei sie ganz besonders an den fünf Kapiteln interessiert sind, in denen der rāsa-Tanz des Höchsten Herrn beschrieben wird, obgleich dieser Teil des Śrīmad-Bhāgavatam den vertraulichsten Teil des gesamten Werkes darstellt. Solange man jedoch nicht durch ein sorgfältiges Studium der vorhergehenden Kapitel transzendentales Wissen über den Herrn erlangt hat, wird man mit Sicherheit die verehrungswürdigen transzendentalen Spiele des Herrn, insbesondere den rāsa-Tanz und den liebevollen Austausch mit den gopīs, falsch auffassen. Diese Themen sind sehr vertraulich und spirituell, und nur befreite Seelen, die, wie schon erwähnt, die Stufe der paramahaṁsas erreicht haben, können diesen Teil des Śrīmad-Bhāgavatam verstehen. Śrīla Vyāsadeva gibt uns mit dem Śrīmad-Bhāgavatam die Möglichkeit, allmähliche Fortschritte in der spirituellen Verwirklichung zu machen, so daß auch wir später den Nektar der transzendentalen Spiele des Herrn kosten können. Aus diesem Grund chantet Er zu Beginn des Śrīmad-Bhāgavatam den Gāyatrī-mantra. Dieser mantra ist für die spirituell fortgeschrittenen Menschen bestimmt. Wenn man gelernt hat, den Gāyatrī-mantra vollendet zu chanten, kann man in das transzendentale Reich des Herrn eingehen. Zuvor ist es jedoch unbedingt notwendig, die brahmanischen Eigenschaften zu entwickeln, d.h. völlig rein zu werden. Nur so kann man die Stufe erreichen, auf der man den Herrn, Seinen Namen, Seinen Ruhm, Seine Eigenschaften usw. kennenlernt. Das Śrīmad-Bhāgavatam ist die Beschreibung der svarūpa, der Gestalt des Herrn, die durch Seine innere Energie manifestiert wird. Diese Energie ist, wie ihr Name bereits sagt, von der äußeren Energie, die die kosmische Welt erschafft, gänzlich verschieden. Śrīla Vyāsadeva unterscheidet daher im 1. Vers des Ersten Kapitels unmißverständlich zwischen diesen beiden Energien. In diesem Vers bezeichnet Er die gesamte Manifestation der inneren Energie als transzendentale Wirklichkeit, wohingegen Er die äußere, in Form der materiellen Welt manifestierte Energie mit einer Fata Morgana vergleicht, die illusionär und zeitweilig ist. In einer Fata Morgana gibt es kein Wasser, sondern nur ein Abbild davon; ebenso scheint die manifestierte kosmische Schöpfung Wirklichkeit zu sein, doch die wahre Realität, von der diese Welt nur eine pervertierte Reflexion ist, ist die spirituelle Welt. Die Absolute Wahrheit ist von spiritueller und nicht von materieller Natur.

Die kosmische Schöpfung ist aus den Wechselwirkungen der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur entstanden, und all die vergänglichen Manifestationen, wie z. B. die 8 400 000 Formen des Lebens, zu denen selbst die Formen der Halbgötter wie Brahmā, Indra und Candra gehören, sind dazu da, der bedingten Seele eine Spiegelung der Realität vorzutäuschen. In der manifestierten materiellen Welt gibt es nur relative, d. h. scheinbare, voneinander abhängige Wirklichkeiten, die pervertierte Reflexionen der wahren Realitäten in der spirituellen Welt sind, wo der Höchste Persönliche Gott ewig in Seinem transzendentalen Reich weilt.

Der Architekt eines kompliziert angelegten Gebäudes ist zwar nicht persönlich am Bau beteiligt, doch kennt er als einziger jede Ecke und jeden Winkel des Hauses, weil der gesamte Bau unter seiner Leitung stattfand. Ebenso ist Sich auch der Höchste Persönliche Gott, der höchste Architekt der kosmischen Manifestation, aller Gegebenheiten in Seiner Schöpfung bewußt, obwohl der ausführende Techniker ein anderer gewesen ist. Von Brahmā bis hinunter zur unbedeutenden Ameise ist niemand in der kosmischen Schöpfung unabhängig, denn der Höchste Herr ist alldurchdringend und allgegenwärtig. Die materiellen Elemente und auch die spirituellen Funken, die Lebewesen, gehen allein von Ihm aus; alles in der materiellen Welt Existierende entsteht aus der Wechselwirkung, in der die materielle Energie mit der spirituellen Energie, der Absoluten Wahrheit, dem Höchsten Persönlichen Gott Śrī Kṛṣṇa (Vāsudeva), steht.

Ein Chemiker mag glauben, er stelle in seinem Laboratorium selbständig Wasser her, indem er Wasserstoff und Sauerstoff miteinander vermischt, doch in Wirklichkeit handelt er unter der Führung des Höchsten Herrn, und die Materialien, die er dabei verwendet, sind ihm vom Höchsten zur Verfügung gestellt worden. An diesem Beispiel wird deutlich, daß Sich der Herr direkt und indirekt über alles in Seiner Schöpfung bewußt ist. Er kennt jedes einzelne Atom und ist doch zugleich ganz und gar unabhängig. Er gleicht einer Goldmine, und die verschiedenartigen Schöpfungen im Kosmos sind wie Goldringe und Halsketten, die aus dem Gold der Mine hergestellt sind. Der Goldring und die goldene Halskette sind zwar der Qualität nach eins mit dem Gold in der Mine, doch quantitätsmäßig besteht ein großer Unterschied zwischen ihnen. Die Philosophie von der Absoluten Wahrheit lehrt vor allem, daß der Höchste gleichzeitig eins mit und verschieden von allem ist. Nichts ist mit der Absoluten Wahrheit identisch, doch zugleich kann auch nichts unabhängig von Ihm existieren.

Alle bedingten Seelen, von Brahmā, dem Schöpfer des Universums, bis hinunter zur unbedeutenden Ameise, erschaffen etwas, doch keiner von ihnen ist vom Höchsten Herrn unabhängig. Nur der Materialist glaubt in seiner Vermessenheit, es gebe außer ihm keinen Schöpfer. Dieser Irrtum wird māyā, Illusion, genannt. Weil der törichte Materialist immer auf sein erbärmliches Wissen angewiesen ist und niemals die Grenzen seiner unvollkommenen Sinne überschreiten kann, denkt er, Materie nehme automatisch, ohne eine bewußte Ursache, Form an. Doch diese Vorstellung wird von dem völlig in der Transzendenz gründenden Śrīla Vyāsadeva im ersten Vers des Śrīmad-Bhāgavatam widerlegt, der diese maßgebliche Schrift verfaßte, nachdem er die spirituelle Vollkommenheit erlangt hatte. Da das Vollkommene Ganze bzw. die Absolute Wahrheit der Ursprung alles Existierenden ist, kann nichts unabhängig von Ihm sein. Jede Handlung und Reaktion, die mit unserem Körper zusammenhängt, wird von uns wahrgenommen, und ähnlich verhält es sich auch mit der Absoluten Wahrheit, denn da das gesamte Universum der Körper des Absoluten Ganzen ist kann dem Absoluten nichts unbekannt sein.

Im ṣruti-mantra wird ebenfalls gesagt, daß das Absolute Ganze, das Brahman, der endgültige Ursprung alles Existierenden ist. Alles geht von Ihm aus, alles wird von Ihm erhalten, und alles geht am Ende wieder in Ihn ein. So lautet das Gesetz der Natur. Im smṛti-mantra wird das gleiche bestätigt; es heißt dort, daß die Absolute Wahrheit, das Brahman, die Quelle ist, von der alles Existierende am Anfang von Brahmās Leben ausgeht, und in die am Ende seines Lebens alle Manifestationen zurückkehren. Die materialistischen Wissenschaftler glauben herausgefunden zu haben, daß die Sonne der endgültige Ursprung aller Planetensysteme ist, doch auf die Frage, welchen Ursprung die Sonne hat, wissen sie keine Antwort. Im Śrīmad-Bhāgavatam jedoch ist eine genaue Beschreibung der endgültigen Ursache aller Ursachen zu finden. Es wird dort nämlich, wie in allen anderen vedischen Schriften, erklärt, daß Brahmā der Schöpfer des Universums ist; doch auch er, so heißt es dort, mußte erst meditieren, bevor er die Fähigkeit zu schöpfen erhielt. Daher ist weder Brahmā noch die Sonne der eigentliche Ursprung der Schöpfung. Man mag sich nun fragen: Wenn Brahmā das erste Lebewesen im Universum war und es zu jener Zeit kein anderes Lebewesen gab, von wem erhielt er dann die Eingebung zum Schöpfen? Als Antwort darauf wird im ersten Vers des Śrīmad-Bhāgavatam gesagt, daß Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, Brahmā, dem untergeordneten Schöpfer, das vedische Wissen eingab, so daß dieser mit der Schöpfung beginnen konnte. Hiermit erklärt sich das erwähnte Beispiel von dem alles überwachenden Architekten. Śrī Kṛṣṇa, der Absolute Höchste Persönliche Gott, ist also die kontrollierende Intelligenz hinter allen schaffenden Halbgöttern. In der Bhagavad-gītā bestätigt Śrī Kṛṣṇa persönlich, daß die schöpfende Energie, prakṛti, d. h. die gesamte materielle Natur, unter Seiner Führung aktiv ist. Śrīla Vyāsadeva verehrt daher weder Brahmā noch die Sonne, sondern den Höchsten Herrn, Kṛṣṇa, der sowohl Brahmā als auch die Sonne lenkt.

Im ersten Vers des Śrīmad-Bhāgavatam sind die Sanskritworte »abhijñaḥ-sva-rāṭ« von besonderer Bedeutung. Diese beiden Worte unterscheiden den Herrn von allen anderen Lebewesen. Kein Lebewesen außer dem Höchsten Herrn, dem Absoluten Persönlichen Gott, ist abhijñaḥ (allwissend) oder sva-rāṭ (unabhängig), denn sie alle müssen ihr Wissen von höheren Autoritäten erfahren. Sogar Brahmā, das erste Lebewesen in der materiellen Welt, mußte über den Höchsten Herrn meditieren und sich von Ihm unterweisen lassen, um erschaffen zu können. Wenn nicht einmal Brahmā auch nur das kleinste Ding erschaffen konnte, ohne das dazu notwendige Wissen vom Höchsten Herrn zu erhalten, wie sollte dies dann den materialistischen Wissenschaftlern möglich sein, die doch in jeder Hinsicht abhängig sind? Jagadīṣa Candra Bose, Isaac Newton und Albert Einstein z. B. mögen auf ihre Kenntnisse und Fähigkeiten sehr stolz gewesen sein, doch auch sie waren in so vieler Hinsicht vom Höchsten Herrn abhängig, denn die zweifellos sehr findigen Gehirne dieser Herren wurden mit Sicherheit nicht von einem menschlichen Wesen geschaffen. Wenn Gehirne wie die von Albert Einstein oder Isaac Newton von Menschen hergestellt werden könnten, würde man gewiß viele solcher Gehirne produzieren, statt sich damit zu begnügen, die Intelligenz einiger Wissenschaftler zu loben. Selbst diese berühmten Gelehrten waren außerstande, ein Gehirn wie das ihre zu schaffen - ganz zu schweigen also von anderen, dümmeren Atheisten, die die Autorität des Herrn herausfordern.

Auch die Māyāvādī , die sich einbilden, selbst Gott zu sein, sind nicht abhijñaḥ oder sva-rāṭ, allwissend oder unabhängig. Die Māyāvādī-Monisten nehmen zwar strenge Bußen und Opfer auf sich, um Wissen zu entwickeln und letztlich eins mit dem Herrn zu werden, doch fast immer werden sie letzten Endes von einem reichen Anhänger abhängig, der sie mit den notwendigen Mitteln versorgt, mit denen sie ihre großen Tempel und Moscheen unterhalten. Atheisten wie Rāvaṇa und Hiraṇyakaṣipu mußten schwere Bußen auf sich nehmen, bevor sie es wagen konnten, die Autorität des Herrn herauszufordern; doch als der Herr dann vor ihnen als grausamer Tod erschien, waren sie völlig hilflos und mußten ihr Leben lassen. Ein ähnliches Los erwartet die heutigen Atheisten, die es wagen, den Herrn zu verlachen. Die Weltgeschichte pflegt sich zu wiederholen, und alles was in der Vergangenheit war, wird, wenn es notwendig ist, immer wieder geschehen. Wenn die Autorität des Herrn mißachtet wird, werden die Gesetze der Natur dieses Vergehen vergelten.

Alle ṣruti-mantras bestätigen, daß der Höchste Persönliche Gott vollkommen ist. So wird in diesen mantras z. B. gesagt, daß der Höchste Herr nur, indem Er über die Materie blickte, die Lebewesen erschuf. Der Höchste Herr befruchtete also die materielle Natur mit Seinen Teilchen, den spirituellen Funken, wodurch die schaffenden Energien in Bewegung gesetzt wurden und viele wundervolle Schöpfungen manifestierten. Einer unserer atheistischen Freunde argumentierte einmal, Gott besitze, wenn er existiere, im Grunde nicht mehr Fähigkeiten als ein Uhrmacher. Wir mußten unserem atheistischen Freund jedoch erwidern, daß Gott ein weitaus größerer Schöpfer ist, da Er z. B. Maschinen in zweifacher Ausführung, mit männlichen und weiblichen Formen schaffen kann, die so vollkommen sind, daß sie wiederum ähnliche Maschinen schaffen können, ohne dafür Gottes Aufmerksamkeit zu beanspruchen. Wäre der Mensch fähig, solche Maschinen zu produzieren, die imstande sind, unzählige neue Maschinen zu schaffen, ohne daß sich der ursprüngliche Hersteller darum kümmern muß, käme der Mensch Gott natürlich an Intelligenz nahe. Doch dies ist nicht möglich, da jede der unvollkommenen Maschinen des Menschen einzeln von einem Mechaniker zusammengebaut werden muß. Ein anderer Name Gottes ist daher »Asmaurdha«, was bedeutet, daß Ihm niemand gleichkommt oder Ihn überragt.

Es gibt immer jemanden, der ebenso intelligent oder sogar noch intelligenter ist als wir selbst. Kein Lebewesen kann von sich behaupten, unübertrefflich zu sein. Diese Tatsache wird ebenfalls in den ṣruti-mantras bestätigt, wo gesagt wird, daß vor der Schöpfung des materiellen Universums nur der Absolute Persönliche Gott und niemand sonst existierte. Dem Höchsten Persönlichen Gott, dem Herrn über die Schöpfung, müssen alle Lebewesen gehorchen. Das bedeutet, daß jeder, der von der Verstrickung der materiellen Welt befreit werden will, sich Ihm hingeben muß, was auch im letzten Kapitel der Bhagavad-gītā bestätigt wird.

Jeder, der sich nicht den Lotosfüßen des Höchsten Persönlichen Gottes hingibt, wird, selbst wenn er noch so intelligent ist, verwirrt bleiben. Nur dann, wenn sich die einsichtigen Menschen den Lotosfüßen Vāsudevas hingeben und völlig erkennen, daß Er die Ursache aller Ursachen ist, können sie, wie in der Bhagavad-gītā bestätigt wird, zu mahātmas, zu großen Seelen werden. Solche mahātmas sind sehr selten, doch nur sie können den Höchsten Herrn, den Absoluten Persönlichen Gott, die ursprüngliche Ursache aller Schöpfungen, verstehen. Er ist parama, die endgültige Wahrheit, denn alle anderen Wahrheiten sind als relative Wahrheiten von Ihm abhängig, und weil alle Lebewesen ihr Wissen von Ihm erhalten, ist Er Sich über alles bewußt und befindet Sich, im Gegensatz zu einem Menschen, der nur über relatives Wissen verfügt, niemals in Illusion.

Einige Māyāvādī-Gelehrte behaupten, das Śrīmad-Bhāgavatam sei nicht von Śrīla Vyāsadeva zusammengestellt worden, sondern von einem gewissen Bopadeva, einem Schriftsteller der neueren Zeit. Um dieses nichtige Argument zu widerlegen, weist Śrīla Śrīdhara Svāmī, der große Kommentator des Bhāgavatam darauf hin, daß es bereits in den ältesten Purāṇas viele Stellen gibt, die sich auf das Bhāgavatam beziehen. Der erste ṣloka (Vers) im Śrīmad-Bhāgavatam beginnt mit dem Gāyatrī-mantra, der auch im Matsya Purāṇa, dem ältesten Purāṇa erwähnt wird. In diesem Purāṇa wird darauf hingewiesen, daß es viele spirituelle Unterweisungen gibt, die, wie das Bhāgavatam, mit dem Gāyatrī-mantra beginnen, und es heißt dort auch, daß die Geschichte Vitrāsuras im Gāyatrī-mantra enthalten ist. Es gibt auch in anderen Purāṇas Hinweise auf das Bhāgavatam, in denen festgestellt wird, das diese Schrift aus 18 000 ṣlokas besteht, die in insgesamt zwölf Cantos zusammengefaßt sind. Jeder, der dieses großartige Werk am Vollmondtag verschenkt, erreicht die höchste Vollkommenheit, indem er zurück nach Hause, zurück zu Gott, geht. Das Padma Purāṇa bezieht sich ebenfalls in einem Gespräch zwischen Gautama und Mahārāja Ambarīṣa auf das Bhāgavatam. Gautama empfiehlt dem König bei einem Gespräch, das Śrīmad-Bhāgavatam zu lesen, damit er von der Fessel der Materie befreit werden könne. Damit wäre also die unantastbare Autorität des Śrīmad-Bhāgavatam erwiesen. In den letzten fünfhundert Jahren schrieben viele große Gelehrte und ācāryas, wie z. B. Jīva Gosvāmī, Sanātana Gosvāmī und Viṣvanātha Cakravartī Ṭhākura, einzigartige Kommentare zum Bhāgavatam, die von ihrem tiefen Wissen zeugen. Wirklich Ernsthafte täten gut daran, diese Kommentare sorgfältig zu studieren, um so ein wirkliches Verständnis von der transzendentalen Botschaft des Bhāgavatam zu gewinnen.

Śrīla Viṣvanātha Cakravartī Ṭhākura befaßte sich besonders mit der ursprünglichen, transzendentalen Sexualität (adi-rasa), die frei ist von aller weltlicher Unreinheit. Die materielle Welt beruht auf dem Prinzip der Sexualität, und gerade in der heutigen menschlichen Zivilisation ist Sex das Zentrum allen Denkens und Handelns, wie wir es überall beobachten können. Sexualität ist daher keinesfalls unwirklich, sondern existiert vielmehr in ihrer wirklichen, reinen Form in der spirituellen Welt. Materielle Sexualität ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine pervertierte Reflexion der ursprünglichen sexuellen Freude. Die ursprüngliche, reine Sexualität existiert in der Absoluten Wahrheit, und deshalb kann die Absolute Wahrheit nicht unpersönlich sein, denn etwas Unpersönliches kann nichts mit reiner Sexualität zu tun haben. Die unpersönliche, monistische Philosophie fordert indirekt zur verabscheuenswerten weltlichen Sexualität auf, da sie zu sehr den unpersönlichen Aspekt der Absoluten Wahrheit betont. Durch die unpersönliche Auffassung bedenkenlos geworden halten viele Menschen, denen es an spirituellem Wissen mangelt, die unreine Form der Sexualität für das einzige Ziel des Lebens. Es besteht jedoch ein großer Unterschied zwischen der Sexualität im krankhaften materiellen Zustand und der Sexualität im spirituellen Leben auf der transzendentalen Ebene. Das Śrīmad-Bhāgavatam kann den unvoreingenommenen Leser zu dieser höchsten transzendentalen Stufe erheben, die weit über den drei materiellen Aktivitäten steht - sowohl über gewinnbringenden Tätigkeiten als auch über spekulativem Philosophieren, als auch über der Verehrung der herrschenden Halbgötter, die in den Veden erwähnt werden. Das Śrīmad-Bhāgavatam ist die Verkörperung des hingebungsvollen Dienens für den Höchsten Persönlichen Gott, Śrī Kṛṣṇa. Daher übertrifft es alle anderen vedischen Schriften.

Unter Religiosität versteht man im allgemeinen vier Dinge: 1) fromme Handlungen, 2) wirtschaftliche Entwicklung, 3) die Befriedigung der Sinne und 4) die Befreiung von der materiellen Bedingtheit. Ein religiöses Leben unterscheidet sich wesentlich von einem irreligiösen Barbarendasein, und deshalb beginnt das menschliche Leben im Grunde erst dann, wenn man ein religiöses Leben führt. Die vier Prinzipien des tierischen Lebens - Essen, Schlafen, Sich-Paaren und Sich-Verteidigen sind sowohl den Tieren als auch den menschlichen Wesen gemein. Somit ist Religion das einzige, was den Menschen vom Tier unterscheidet, oder anders gesagt: Ohne Religion ist die menschliche Gesellschaft nicht besser als eine Gesellschaft von Tieren. Aus diesem Grund gibt es in jeder wirklichen menschlichen Gesellschaft irgendeine Form der Religion, die darauf hinzielt, die ewige Beziehung des Lebewesens zu Gott wiederherzustellen.

Die Mitglieder der niedrigen Zivilisationsformen wetteifern ständig miteinander in ihrem Bemühen, die materielle Natur zu beherrschen bzw. ihre Sinne zu befriedigen. Es ist also nicht verwunderlich, daß sich viele Menschen, getrieben von dem Verlangen nach Sinnenfreude, der Religiosität zuwenden und nur deshalb fromm handeln, weil sie sich davon materiellen Gewinn versprechen. Wenn sich ihnen eine Möglichkeit bietet, ihr Ziel mit anderen Mitteln zu erreichen, legen sie ihre sogenannte Religiosität ohne zu zögern ab. Dies ist gerade in der heutigen Zivilisation zu beobachten, wo alle ökonomischen Bedürfnisse anscheinend besser auf andere Art als ausgerechnet durch Religiosität erfüllt werden können, was zur Folge hat, daß niemand mehr an Religion interessiert ist. Die Kirchen, Moscheen und Tempel stehen praktisch leer, und die Menschen zeigen weitaus größeres Interesse an Fabriken, Geschäften und Kinos als an den religiösen Stätten ihrer Vorväter. Dies weist eindeutig darauf hin, daß Religiosität im allgemeinen nur zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung gepflegt wird: die wirtschaftliche Entwicklung wiederum ist Voraussetzung für die Möglichkeiten zum Sinnengenuß, und wenn man dann schließlich im Versuch, die Sinne zu befriedigen, gescheitert ist, entsteht der Wunsch nach Befreiung, wobei man eins mit dem Höchsten werden will. Hieraus läßt sich deutlich ersehen, daß auch der Wunsch nach Befreiung letztlich nur auf das Verlangen nach Sinnenbefriedigung zurückzuführen ist.

Die Veden beschreiben, wie sich die obenerwähnten vier Aktivitäten regulieren lassen, denn durch die Regulierung dieser Prinzipien wird verhindert, daß sich die Mitglieder der Gesellschaft in einem übersteigerten Kampf um Sinnenfreude ergehen. Das Śrīmad-Bhāgavatam jedoch ist transzendental zu allem, was mit materieller Sinnenfreude zusammenhängt. Es ist völlig rein und kann daher nur von Gottgeweihten verstanden werden, die ebenfalls rein sind und über dem Wettstreit um Sinnengenuß stehen. In der materiellen Welt herrscht durch das Verlangen nach sinnlicher Befriedigung ständig Rivalität zwischen Tieren, Menschen, Gemeinschaften und selbst Nationen, doch die Gottgeweihten werden davon nicht berührt. Die Gottgeweihten denken nicht daran, mit den Materialisten zu kämpfen, denn sie befinden sich auf dem Rückweg zum Reich Gottes, wo alles ewig, voller Wissen und voller Glückseligkeit ist. Solche Transzendentalisten sind frei von allem Neid und deshalb rein im Herzen. In der materiellen Welt ist jeder auf seinen Nächsten neidisch, und aufgrund dessen wird in allen Teilen der Erde der gleiche erbarmungslose Konkurrenzkampf ausgefochten. Die Transzendentalisten oder Gottgeweihten dagegen sind nicht nur frei von allem materiellen Neid, sondern sie sind auch allen Lebewesen gütig gesinnt. Ihr Bemühen geht dahin, eine streitlose Gesellschaft mit Gott im Zentrum zu errichten.

Die sozialistische Vorstellung von einer wettstreitlosen Gesellschaft ist utopisch, denn auch in einem sozialistischen Staat gibt es Wettstreit, nämlich den Machtkampf um die Position des Führers. Es ist nun einmal eine Tatsache, daß das Verlangen nach Sinnenfreude im materialistischen Leben nicht zu vermeiden ist, was sowohl durch die Handlungsweise der Menschen als auch durch die Aussage der Veden bestätigt wird.

Wie bereits erwähnt wurde, sind die Veden in drei Teile gegliedert: Der erste Teil befaßt sich mit den gewinnbringenden Handlungen, durch die man zu höheren Planeten erhoben werden kann; im zweiten Teil wird die Verehrung der verschiedenen Halbgötter beschrieben, durch die man das gleiche Ziel erreicht, und der letzte Teil schließlich erläutert, wie man den unpersönlichen Aspekt der Absoluten Wahrheit verwirklicht und mit Ihm eins werden kann. Die Erkenntnis des unpersönlichen Brahman-Aspektes ist jedoch nicht die endgültige Verwirklichung der Absoluten Wahrheit, denn über diesem unpersönlichen Aspekt steht der Überseelen- oder Paramātma-Aspekt, und die höchste Stufe ist die Erkenntnis des persönlichen Bhagavān-Aspektes, d. h. die Erkenntnis des Höchsten Persönlichen Gottes. Im Śrīmad-Bhāgavatam findet man eine genaue Beschreibung des persönlichen Aspektes der Absoluten Wahrheit, der sich völlig vom unpersönlichen Aspekt unterscheidet. Somit behandelt das Bhāgavatam viel wichtigere Themen als die Spekulation der Unpersönlichkeitsanhänger, und aus diesem Grund befindet es sich auf einer viel höheren Ebene als der jñāna-kāṇḍa-Teil, der karma-kāṇḍa-Teil und sogar der upaṣana-kāṇḍa-Teil der Veden, denn es empfiehlt, den Höchsten Persönlichen Gott, Śrī Kṛṣṇa, den göttlichen Sohn Vasudevas, zu verehren. Im karma-kāṇḍa-Teil der Veden werden die Menschen zum Wettkampf um einen Platz auf den himmlischen Planeten angespornt, da man dort seine Sinne tausendmal besser genießen kann als auf der Erde. Der Pfad des jñāna-kāṇḍa und der des upaṣana-kāṇḍa empfehlen ähnliches, doch das Śrīmad-Bhāgavatam ist über all dies erhaben, denn es hat die Höchste Wahrheit, die Substanz und Wurzel allen vedischen Wissens, zum Ziel. Mit Hilfe des Śrīmad-Bhāgavatam können wir also, mit anderen Worten, sowohl die Substanz als auch die untergeordneten relativen Wahrheiten in ihrer wirklichen Perspektive erkennen. Die Absolute Wahrheit, der Höchste Persönliche Gott, ist die Substanz, und alle Erweiterungen, die von Ihm ausgehen, sind relative Wahrheiten in Form von verschiedenen Energien. Die Lebewesen sind mit diesen Energien verbunden, und daher sind sie im Grunde von der Substanz, Kṛṣṇa, nicht verschieden; doch zur gleichen Zeit unterscheiden sie sich vom Höchsten. Diese beiden Aussagen widersprechen sich, auch wenn es so scheint, nicht im geringsten, doch weil sie für uns so schwer zu verstehen sind, erklärt das Bhāgavatam die hohe Philosophie des Vedānta-sūtra, nach der alles zur gleichen Zeit eins mit und dennoch verschieden von der Absoluten Wahrheit ist, auf sehr ausführliche und verständliche Weise.

Jeder, der mit diesem erhabenen Wissen vertraut ist, zieht großen Nutzen daraus. Die Auffassung der Māyāvādīs dagegen, nach der die unpersönliche Energie das Absolute ist, führt die Menschen lediglich in die Irre. Daher wird jemand, der die Wahrheit wirklich versteht, viel zufriedener als die Unpersönlichkeitsanhänger, die sich mit den unvollkommenen Philosophien des Monismus oder des Dualismus begnügen. Das Verständnis vom Höchsten ist sogar so segensreich, daß jeder, der es entwickelt, von den dreifachen Leiden des materiellen Daseins befreit wird. Diese dreifachen Leiden sind 1. Leiden, die ihre Ursache im eigenen Körper und Geist haben, 2. Leiden, die uns von anderen Lebewesen zugefügt werden und 3. Leiden, die durch höhere Gewalt entstehen, wie z. B. Schicksalsschläge oder Naturkatastrophen.

Das Śrīmad-Bhāgavatam beginnt an dem Punkt, wo sich das Lebewesen der Absoluten Person hingibt und sich völlig bewußt ist, daß es mit dem Absoluten eins ist, jedoch zugleich auch versteht, daß es in seiner wesenseigenen Identität der ewige Diener des Höchsten Herrn ist. Im materiellen Bewußtsein hält sich das Lebewesen fälschlich für den Herrn über alles, was es erblicken kann, und wird aus diesem Grunde ständig von den dreifachen Leiden heimgesucht. Doch sowie es sich gemäß seiner eigentlichen Identität im transzendentalen hingebungsvollen Dienen beschäftigt, wird es von diesen Leiden befreit. Im materiellen Bewußtsein vergißt das Lebewesen, daß es der ewige Diener des Herrn ist, und wird durch die falsche Vorstellung, selbst der Höchste zu sein, gezwungen, den relativen Energien der Materie zu dienen. Doch sobald es sich seiner spirituellen Identität bewußt wird und sich im transzendentalen Dienst des Herrn beschäftigt, wird es von den materiellen Leiden befreit.

Das Śrīmad-Bhāgavatam ist der persönliche Kommentar des Verfassers des Vedānta zum Vedānta-sūtra, den er erst schreiben konnte, nachdem er durch die Gnade Nārada Munis die Absolute Wahrheit auf höchster Ebene verwirklicht hatte. Śrīla Vyāsadeva ist eine Inkarnation Nārāyaṇas, des Persönlichen Gottes. Daher steht seine Autorität außer Zweifel. Er verfaßte auch alle anderen vedischen Schriften, und daher entspricht es der Wahrheit, wenn er sagt, daß das Śrīmad-Bhāgavatam als das wichtigste Seiner Werke zu betrachten sei. In den anderen Purāṇas werden verschiedene Methoden der Halbgötterverehrung beschrieben, doch das Bhāgavatam handelt einzig und allein vom Höchsten Persönlichen Gott, der mit einem Körper verglichen wird, zu dem die Halbgötter wie die verschiedenen Körperteile gehören. Man braucht demnach die Halbgötter nicht gesondert zu verehren, wenn man dem Höchsten Herrn dient.

Śrī Caitanya Mahāprabhu bezeichnete das Śrīmad-Bhāgavatam als das »makellose Purāṇa«, das alle anderen Purāṇas übertrifft. Die transzendentale Botschaft dieses großen Werkes kann nur durch ergebenes Hören verstanden werden. Eine herausfordernde Haltung kann niemandem helfen, diese erhabene Botschaft zu empfangen, geschweige denn sie zu verwirklichen. Aus diesem Grund wird im ersten Vers des Śrīmad-Bhāgavatam darauf hingewiesen, daß man begierig sein muß zu hören. Diese Qualifikation bildet die wichtigste Voraussetzung für den Empfang transzendentalen Wissens.

Doch unglücklicherweise sind die meisten Menschen nicht daran interessiert, der Botschaft des Śrīmad-Bhāgavatam geduldig zuzuhören. Obwohl dieser Vorgang sehr einfach ist, scheint seine Durchführung doch mit gewissen Schwierigkeiten verbunden zu sein. Diejenigen nämlich, die vom Unglück verfolgt werden, finden zwar immer genügend Zeit, über soziale, politische oder andere weltliche Themen zu hören, doch wenn man sie einlädt, an einer Versammlung von Gottgeweihten teilzunehmen, die zusammengekommen sind, um aus dem Śrīmad-Bhāgavatam zu hören, werden sich solche armseligen Geschöpfe entweder weigern oder gerade den Teil hören wollen, den sie nicht im geringsten verstehen können. Skrupellose Menschen, die sich ihren Lebensunterhalt damit verdienen, das Śrīmad-Bhāgavatam vorzutragen, nutzen diesen unglücklichen Umstand aus, um in den vertraulichsten transzendentalen Spielen des Herrn zu schwelgen, die sich aus ihrem Mund wie gewöhnliche Liebesgeschichten anhören. Das Hören aus dem Śrīmad-Bhāgavatam sollte jedoch mit dem Ersten Canto beginnen, und man sollte erst dann einen neuen Vers empfangen, wenn man den vorhergehenden verstanden hat. Diejenigen, die qualifiziert sind, das Bhāgavatam zu verstehen, werden im Ersten Canto im 2. Vers des 1. Kapitels beschrieben; dort heißt es, daß man nur, nachdem man viele fromme Taten ausgeführt hat, die Notwendigkeit erkennt, aus dem Śrīmad-Bhāgavatam zu hören, daß jedoch ein wirklich intelligenter Mensch auch so auf die Worte Śrīla Vyāsadevas vertraut und aufmerksam der Botschaft des Śrīmad-Bhāgavatam Gehör schenkt, um schließlich den Höchsten Persönlichen Gott zu erkennen. Sowie man sich bereit erklärt, der Botschaft des Śrīmad-Bhāgavatam geduldig zuzuhören, kann man, ohne die in den Veden vorgeschriebenen Reinigungsvorgänge durchzuführen, direkt die Stufe des paramahaṁsa erreichen. Die Weisen von Naimiṣāraṇya erklärten Sūta Gosvāmī, ihr Wunsch, das Śrīmad-Bhāgavatam zu verstehen, werde immer größer, je länger sie ihm zuhörten, und so wurden sie es niemals müde, Sūtas Worten zu lauschen, als er ihnen von Kṛṣṇa erzählte; denn Menschen, die wirkliche Zuneigung für Kṛṣṇa entwickelt haben, wollen nicht aufhören, mehr und mehr über die Herrlichkeit des Herrn zu erfahren.

Śrī Caitanya gab Prakāṣānanda daher folgenden Rat: »Lies ständig im Śrīmad-Bhāgavatam und versuche, jeden einzelnen Vers zu verstehen; nur so wirst du auch den Vedānta begreifen können. Du sagtest, dir sei viel daran gelegen, das Vedānta-sūtra zu studieren, doch wird dir das Vedānta-sūtra für immer ein Geheimnis bleiben, wenn du nicht zuvor das Śrīmad-Bhāgavatam verstehst.« Auch riet Er Prakāṣānanda Sarasvatī, ständig »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« zu chanten. »Wenn du diese Anweisung befolgst«, fuhr Er fort, »wirst du schon bald befreit sein und danach das höchste Ziel des Lebens, Liebe zu Gott, erreichen.«

Der Herr zitierte daraufhin einige Verse aus den maßgeblichen Schriften wie dem Śrīmad-Bhāgavatam, der Śrīmad-Bhagavad-gītā und dem Nṛṣiṁha-tapaṇi. Aus der Bhagavad-gītā führte Er den 54. Vers des Achtzehnten Kapitels an, wo Śrī Kṛṣṇa sagt, daß jeder, der selbstverwirklicht ist, da er seine Identität mit dem Brahman erkannt hat, glücklich wird und sich um nichts mehr bemüht und um nichts mehr klagt. Solch ein Mensch sieht alle Lebewesen mit gleichen Augen und wird zu einem reinen Gottgeweihten. Ähnlich wird auch in der Nṛṣiṁha-tapaṇi gesagt, daß nur ein wirklich befreiter Mensch die transzendentalen Spiele des Höchsten Herrn verstehen kann und daraufhin mit hingebungsvollem Dienen für den Herrn beginnt. Śrī Caitanya zitierte auch einen Vers aus dem Zweiten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam. Dort sagt Śukadeva Gosvāmī: »Obgleich ich die Befreiung erlangt hatte und völlig frei vom Einfluß māyās war, fühlte ich mich zu den transzendentalen Spielen Śrī Kṛṣṇas hingezogen.« Aus diesem Grund studierte auch er das Śrīmad-Bhāgavatam.

Der Herr zitierte als nächstes einen Vers aus dem 15. Kapitel des Dritten Cantos, der beschreibt, wie die vier Kumāras Kṛṣṇa-bewußt wurden: Als die vier Brüder einmal den Tempel des Herrn besuchten, wurden sie unwiderstehlich vom Duft der Blumen und tulasī-Blätter angezogen, die den Lotosfüßen des Herrn zusammen mit Sandelholzpaste geopfert waren, und weil sie vom transzendentalen Duft ganz bezaubert wurden, verspürten sie augenblicklich eine starke Anziehung zum hingebungsvollen Dienen für den Herrn, obwohl sie bereits befreit waren. Selbst die befreiten Seelen, die nicht mehr vom Einfluß der materiellen Natur berührt werden, fühlen sich, wie im 7. Kapitel des Ersten Cantos bestätigt wird, zum hingebungsvollen Dienen für den Herrn hingezogen. Gott ist so anziehend. - Deshalb trägt Er den Namen Kṛṣṇa.

Als Śrī Kṛṣṇa Caitanya mit Prakāṣānanda Sarasvatī über das Śrīmad-Bhāgavatam sprach, erwähnte ihr Gastgeber, der brāhmaṇa aus Mahārāṣṭra, daß der Herr für den ātmārāma-Vers einmal vierundsechzig verschiedene Interpretationen gegeben habe. Als die sannyāsīs dies hörten, wollten sie natürlich unbedingt wissen, welche Versionen der Herr für den ātmārāma-ṣloka kannte, und so erklärte Śrī Caitanya diesen Vers noch einmal in der gleichen Weise wie Er ihn zuvor Sanātana Gosvāmī erklärt hatte. Als die Anwesenden die unfaßbare Erklärung des ātmārāma-ṣloka hörten, wunderten sie sich und stimmten darin überein, daß Śrī Caitanya niemand anderes sei als Śrī Kṛṣṇa Selbst.

Weiter zum nächsten Kapitel » Gespräche mit Sārvabhauma Bhaṭṭācārya