- Die Lehren Śrī Kṛṣṇa Caitanyas -    
Original Version - Erste Auflage 1975
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von Seiner Göttlichen Gnade A.C Bhaktivedanta Swami Prabhupāda

Gründer und ācārya der Internationalen Gesellschaft für Kṛṣṇa-Bewußtsein


Die Lehren
Śrī Kṛṣṇa Caitanyas

von
Seine Göttliche Gnade
A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda

Gründer-Ācārya der Internationalen Gesellschaft
für Kṛṣṇa-Bewußtsein e.V.

Inhalt

Geleitwort ....................................................................
Vorwort .......................................................................
Prolog...........................................................................
Einleitung.....................................................................
Die Botschaft Śrī Kṛṣṇa Caitanyas - Śrī Śiksāṣṭaka.......
Die Unterweisung Rūpa Gosvāmīs..................................
Sanātana Gosvāmī........................................................
Die Unterweisung Sanātana Gosvāmīs...........................
Der Weise ...................................................................
Wie man Gott näherkommt..........................................
Kṛṣṇas unzählige Formen sind eins ..............................
Die unzähligen Formen Gottes .....................................
Die Avatāras ...............................................................
Die unermeßlichen Füllen Kṛṣṇas..................................
Die Schönheit Kṛṣṇas..................................................
Der Dienst für den Herrn ..............................................
Der Gottgeweihte.........................................................
Hingebungsvolles Dienen in transzendentaler Anhaftung..
Die Ekstase des Herrn und Seiner Geweihten .................
Erklärung des ātmārāma-Verses aus dem Bhāgavatam ..
Śrī Caitanya beendet Seine Unterweisung Sanātanas ......
Śrī Kṛṣṇa Caitanya, der Ursprüngliche Persönliche Gott ...
Gespräche mit Prakāṣānanda Sarasvatī..........................
Das Ziel des Vedānta ....................................................
Die Māyāvādī-Philosophen werden überzeugt ................
Weitere Gespräche mit Prakāṣānanda Sarasvatī.............
Prakāṣānanda Sarasvatī gibt sich hin..............................
Das Śrīmad-Bhāgavatam ..............................................
Gespräche mit Sārvabhauma Bhaṭṭācārya .....................
Persönliche und unpersönliche Verwirklichung.................
Sārvabhauma Bhaṭṭācārya ist überzeugt ......................
Śrī Caitanya und Rāmānanda Rāya ...............................
Die Erhabenheit des hingebungsvollen Dienens ..............
Die transzendentale Beziehung Rādhā und Kṛṣṇas ........
Reine Liebe zu Kṛṣṇa...................................................
Die höchste Vollkommenheit ........................................
Schlußfolgerung............................................................
Erklärung wichtiger Sanskritwörter und Eigennamen ......
16 farbige Bildtafeln aus dem Buch

 








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Die Lehren
Śrī Kṛṣṇa Caitanyas

Eine Abhandlung
über wirkliches spirituelles Leben

THE BHAKTIVEDANTA BOOK TRUST BBT

Titel der Originalausgabe:
Teachings of Lord Caitanya

Für die Übersetzung aus dem Englischen verantwortlich:

Vedavyāsa dāsa brahmacārī (Christian Jansen)
Śacīnandana dāsa brahmacārī (Thorsten Pettersson)
Nikhilānanda dāsa brahmacārī (Nikolay Jankowsky)

1. Auflage 1.-10. Tausend

BBT-Logo

Copyright © THE BHAKTIVEDANTA BOOK TRUST
Alle Rechte vorbehalten

Herausgeber:
Internationale Gesellschaft für Kṛṣṇa-Bewußtsein e.V.
6241 Schloß Rettershof/i. Ts.
Tel.: 06174/21357

Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck

Für seine unersetzliche Hilfe bei der Herausgabe
dieses Werkes gilt unser besonderer Dank
Prof. Dr. W. H. Wolf-Rottkay

Associate Professor Emeritus of German and
Linguistics at the University of Southern California.
Die Übersetzer


Gewidmet

dem heiligen Dienst
Śrīla Sac-cid-ānanda Bhaktivinoda Ṭhākuras
der die Lehren Śrī Kṛṣṇa Caitanyas im Jahre 1896
dem Jahr meiner Geburt
in die westliche Welt brachte
(McGill University, Canada)

A. C. Bhaktivedanta Swami    



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2. KAPITEL

Caitanya

Sanātana Gosvāmī

Ich bringe meine respektvollen Ehrerbietungen Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhu dar, durch dessen Barmherzigkeit selbst ein Mensch der niedrigsten Schichten zum transzendentalen hingebungsvollen Dienen für den Herrn gelangen kann.

Nachdem Śrī Caitanya Mahāprabhu in die Lebensstufe der Entsagung, sannyāsa, eingetreten war, reiste Er durch ganz Indien und kam eines Tages auch in das Dorf Rāmakeli in Maldah, einem Bezirk in Bengalen. Dort lebten die beiden Brüder Dabir Khās und Sākara Mallik, die als Minister in der Regierung Hussain Shahs tätig waren, und die später als Sanātana Gosvāmī und Rūpa Gosvāmī bekannt wurden. Ihnen bot sich bei Caitanyas Besuch die Gelegenheit, mit dem Herrn persönlich zusammenzutreffen, der einen solch starken Eindruck in ihnen hinterließ, daß sie sich nach dieser Begegnung entschlossen, ihre Regierungsämter niederzulegen und sich Seiner saṅkīrtana-Bewegung anzuschließen. Die beiden Brüder unternahmen sofort alles Notwendige, um sich von ihren materiellen Verpflichtungen zu lösen und beauftragten zwei gelehrte brāhmaṇas, verschiedene religiöse vedische Rituale zu vollziehen, um so vollständige Freiheit für den hingebungsvollen Dienst für Kṛṣṇa zu gewinnen. Diese Vorbereitungen nennt man puraṣcarya. Der rituelle Ablauf dieses Vorgangs besteht aus einer dreimal täglich ausgeführten Verehrung der Vorväter, aus Feueropferungen und der Verteilung von Speisen an gelehrte brāhmaṇas. Im Hari-bhakti-vilāsa, der maßgeblichen Schrift für vedische Unterweisungen, werden diese Rituale näher erläutert.

Nach Beendigung der religiösen Rituale kehrte der jüngere der Brüder, Sākara Mallik (Rūpa Gosvāmī), mit einer ansehnlichen Summe Geldes, die er im Regierungsdienst erworben hatte, nach Hause zurück. Die Silber- und Goldmünzen füllten ein großes Boot, und als Rūpa Gosvāmī zu Hause angekommen war, teilte er den gesamten Reichtum und gab die eine Hälfte den brāhmaṇas und Vaiṣṇavas, die dem Höchsten Herrn ständig in Liebe und Hingabe dienen. Es ist die Aufgabe der brāhmaṇas, die Absolute Wahrheit zu verstehen, und wenn sie dann dem Herrn in tanszendentaler Liebe dienen, werden sie als Vaiṣṇavas bezeichnet. Sowohl die brāhmaṇas als auch die Vaiṣṇavas sollten vierundzwanzig Stunden am Tag im Dienst des Herrn beschäftigt sein, und weil sich Rūpa Gosvāmī ihrer wichtigen transzendentalen Stellung bewußt war, gab er ihnen fünfzig Prozent seines Reichtums. Den Rest teilte er noch einmal in zwei Hälften und gab den einen Teil seinen Verwandten und Familienangehörigen; die andere Hälfte verwahrte er für eventuelle Notfälle.

Diese Aufteilung ist beispielhaft für alle, die im spirituellen Wissen Fortschritte machen wollen. Gewöhnlich hinterläßt ein Mensch seinen gesamten Besitz seinen Angehörigen, wenn er sich von den Familienangelegenheiten zurückziehen und ein rein spirituelles Leben führen will. Doch Rūpa Gosvāmīs Verhalten soll für uns maßgebend sein. Fünfzig Prozent seines Vermögens gab er für spirituelle Zwecke, fünfundzwanzig Prozent ließ er seiner Familie zukommen, und die fünfundzwanzig Prozent, die er für persönliche Notfälle behielt, hinterlegte er bei einer Handelsgesellschaft, da es in jenen Tagen noch keine Banken gab. Weitere zehntausend Goldmünzen wurden für eventuelle Ausgaben seines älteren Bruders Sanātana Gosvāmī zurückgelegt.

Zu jener Zeit erhielt Rūpa Gosvāmī Kenntnis davon, daß Śrī Caitanya Mahāprabhu Vorbereitungen traf, von Jagannātha Purī nach Vṛndāvana zu gehen. Er sandte sofort zwei Boten aus, die verläßliche Nachrichten über die Reisepläne des Herrn einholen sollten, und bereitete sich darauf vor, nach Mathurā zu gehen, um den Herrn dort zu treffen. Soviel man weiß, erhielt Rūpa Gosvāmī vom Nawab die Erlaubnis, sich Śrī Caitanya anzuschließen, aber nicht so Sanātana Gosvāmī. Dieser übergab deshalb die ihm anvertrauten Regierungsgeschäfte seinen engsten Mitarbeitern und blieb zu Hause, um das Śrīmad-Bhāgavatam zu studieren.

Er beschäftigte etwa zehn bis zwanzig gelehrte brāhmaṇas und begann in ihrer Gesellschaft ein intensives Studium des Śrīmad-Bhāgavatam. Während er in seine Studien vertieft war, ließ er sich beim Nawab Hussain Schah wegen Krankheit entschuldigen. Der Herrscher legte jedoch auf Sanātanas Ratschläge in Regierungsfragen großen Wert, und so erschien er eines Tages unvermittelt in Sanātana Gosvāmīs Haus. Als der Nawab das Zimmer betrat, in dem sich Sanātana Gosvāmī und die brāhmaṇas zu versammeln pflegten, erhoben sich alle sofort respektvoll und boten ihm einen Sitz an, doch der Nawab wandte sich sogleich an Sanātana und sprach: »Du hast mir geschrieben, du seist krank, doch mein Arzt, den ich zu dir schickte, hat mir berichtet, daß es dir in Wirklichkeit gut geht. Es ist mir ein Rätsel, warum du vorgibst, krank zu sein, und deinen Dienst nicht versiehst, wenn du doch offensichtlich bei guter Gesundheit bist. Deshalb bin ich selbst gekommen, um nach dem Rechten zu sehen. Dein Verhalten bereitet mir große Sorge. Wie du weißt, habe ich mein ganzes Vertrauen in dich und deine verantwortungsvolle Arbeit gesetzt, und da ich mich bisher auf dich verlassen konnte, war es mir möglich, mich anderen Dingen zu widmen. Wenn du nun so unerwartet deinen Dienst quittierst, war alles, was du in der Vergangenheit getan hast, vergebens. Laß dir all dies durch den Kopf gehen und sage mir dann bitte, was du zu tun gedenkst.«

Sanātana Gosvāmī erklärte dem Nawab, daß es ihm nicht länger möglich sei, als Minister tätig zu sein, und bat ihn, einen andern mit seinem Amt zu betrauen. Da wurde der Nawab sehr ärgerlich und sagte: »Dein Bruder lebt wie ein Jäger, und wenn auch du dich aus der Verwaltung zurückziehst, ist alles zu Ende.« Es wird gesagt, daß der Nawab Sanātana Gosvāmī wie seinen jüngeren Bruder behandelte. Der Nawab war gerade dabei, verschiedene Landesteile zu erobern, und liebte es außerdem, viel auf die Jagd zu gehen. Deshalb hatte er die Verwaltung des Landes gewissermaßen Sanātana Gosvāmī überlassen, und so bedrängte er ihn: »Wenn auch du dich einfach vom Regierungsdienst zurückziehst, wie soll dann die Verwaltung weitergehen?« Sanātana Gosvāmī antwortete mit Ernst: »Du bist der Herrscher von Bengalen, und du bestrafst verschiedene Verbrecher auf unterschiedliche Weise. Es steht dir also frei, jeden nach seinem Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen.« In dieser Antwort lag ein mißbilligender Hinweis auf des Herrschers Leidenschaft, Tiere zu jagen und Menschen zu töten, um sein Reich zu vergrößern. Der Nawab war intelligent genug, Sanātana Gosvāmīs Andeutung zu verstehen, und verließ zornig das Haus. Kurz darauf machte er sich auf, Orissa zu erobern, doch ordnete er zuvor an, Sanātana Gosvāmī bis zu seiner Rückkehr in den Kerker zu werfen.

Als Rūpa Gosvāmī von der Festnahme seines älteren Bruders erfuhr, sandte er durch einen Boten die Nachricht, daß die zehntausend Goldmünzen in der Verwahrung des Händlers in Bengalen dazu verwendet werden sollten, Sanātana aus dem Gefängnis des Nawab zu befreien. Dann machte er sich zusammen mit seinem jüngeren Bruder Vallabha Bhaṭṭa auf den Weg nach Vṛndāvana, um dort Caitanya Mahāprabhu zu treffen.

Sanātana bot dem Gefängniswärter für seine Freilassung fünftausend Goldmünzen und riet ihm, das Geld ohne Zögern zu nehmen; denn wenn er dieses Angebot annehme, werde er nicht nur sehr reich werden, sondern gleichzeitig etwas Gutes tun, da er Sanātana für spirituelle Aktivitäten befreie.

Der Wächter antwortete: »Natürlich möchte ich dich gehen lassen, denn du hast mir viele Dienste erwiesen und bist zudem noch Regierungsbeamter; ich weiß das, aber ich fürchte mich vor dem Nawab. Wenn er erfährt, daß du frei bist, wird er mich zur Rechenschaft ziehen. Wie kann ich also deinen Vorschlag annehmen?« Sanātana erläuterte dem Wärter daraufhin, wie dieser dem Nawab seine Flucht erklären könne, und erhöhte dann sein Angebot auf zehntausend Goldmünzen. Bei soviel Geld konnte der Wärter nicht länger widerstehen, und so ließ er ihn frei.

Sanātana machte sich sogleich auf den Weg nach Benares, wo Śrī Caitanya Mahāprabhu auf seiner Reise nach Vṛndāvana Station machen wollte. Er benutzte nicht die offenen Straßen, sondern wanderte vorsichtshalber durch die Dschungel, bis er in Pabda, einem Ort in Bihar, ankam, wo er die Herberge aufsuchte, um zu übernachten. Der Wirt, der von einem in der Herberge angestellten Astrologen darüber informiert worden war, daß Sanātana Gosvāmī Goldmünzen bei sich trage, plante, ihn des Geldes zu berauben, und sprach mit geheucheltem Respekt: »Leg dich nur zur Ruhe, o Herr, morgen früh werde ich dafür sorgen, daß du wohlbehalten aus dieser „Dschungelfalle“ herauskommst.« Die übertriebene Freundlichkeit des Wirtes machte Sanātana jedoch mißtrauisch, und so fragte er seinen Diener Iṣan, der ihn begleitete, ob dieser Geld bei sich habe; Iṣan gestand, sieben Goldmünzen mitgenommen zu haben. Es gefiel Sanātana nicht, daß der Diener soviel Geld bei sich trug, und so sagte er ärgerlich: »Warum trägst du dieses Grabgeläute mit dir herum?« Er nahm daher die sieben Goldmünzen und gab sie dem Wirt mit der Bitte, ihm den Weg durch den Dschungel zu zeigen. Er sei mit einer besonderen Mission der Regierung betraut und könne daher nicht auf gewöhnlichem Wege reisen; es wäre deshalb sehr freundlich, wenn der Wirt ihm hülfe, das Dschungelgebirge zu überqueren. Dieser antwortete: »Ich hörte, daß du acht Goldmünzen bei dir hast, und plante, dich deswegen zu töten. Aber ich sehe, daß du ein guter Mensch bist und möchte deshalb das Geld nicht annehmen. Morgen werde ich dir den Weg über die Berge zeigen.« Sanātana aber entgegnete: »Wenn du die Münzen nicht nimmst, wird jemand anderes sie stehlen oder mich sogar dafür ermorden. Deshalb ist es besser, wenn du sie an dich nimmst. Ich bitte dich darum.« Der Gastwirt sicherte ihm daraufhin seine volle Unterstützung zu und half ihm noch in derselben Nacht über die Berge.

Am nächsten Morgen bat Sanātana Gosvāmī seinen Diener, mit der achten Goldmünze, die dieser immer noch bei sich trug, umzukehren - er wolle allein weitergehen. Nachdem der Diener ihn verlassen hatte, fühlte Sanātana sich völlig frei. Mit zerrissener Kleidung und nur einem Wassertopf in der Hand wanderte er weiter. Auf dem Weg traf er seinen reichen Schwager, der ebenfalls Regierungsbeamter war und ihm eine kostbare Decke anbot. Sanātana nahm sie nur auf sein inständiges Bitten hin an; dann trennte er sich rasch von ihm und beeilte sich, nach Benares zu kommen, um endlich Caitanya Mahāprabhu zu sehen.

Als er Benares erreichte, erfuhr er zu seiner Freude, daß der Herr bereits eingetroffen war. Man sagte ihm, Śrī Caitanya Mahāprabhu halte sich im Hause von Candraṣekhara Ācārya auf, und so machte er sich unverzüglich auf den Weg dorthin. Caitanya Mahāprabhu wußte, daß Sanātana gekommen war, und bat daher Candraṣekhara, den Mann hereinzurufen, der vor der Tür saß: »Er ist ein Vaiṣṇava, ein großer Gottgeweihter.« Candraṣekhara ging nach draußen, aber er sah keinen Vaiṣṇava, sondern nur eine zerlumpte Gestalt, die ein Bettelmönch zu sein schien. Der Herr bat daraufhin, den Bettelmönch sehen zu dürfen, und als Sanātana den Innenhof des Hauses betrat, lief ihm Śrī Caitanya mit ausgebreiteten Armen entgegen und umarmte ihn. Als der Herr ihn in Seine Arme schloß, wurde Sanātana von spiritueller Ekstase überwältigt und stammelte: »Mein lieber Herr, bitte berühre mich nicht.« Beide umarmten sich jedoch wieder und weinten. Als Candraṣekhara Sanātana und Śrī Caitanya so sah, war er höchst verwundert. Śrī Caitanya bat Sanātana Gosvāmī, sich mit Ihm auf eine Bank zu setzen, und als Er dabei den Körper Sanātanas wieder berührte, bat dieser Ihn erneut: »O Herr, bitte berühre mich nicht.« Doch Śrī Caitanya erwiderte: »Ich berühre dich nur zu Meiner Läuterung, denn du bist ein großer Gottgeweihter. Durch dein hingebungsvolles Dienen kannst du das ganze Universum erlösen, so daß alle Lebewesen zu Gott zurückkehren können.«

Dann zitierte der Herr einen Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam, der besagt, daß ein Mensch, der sich Kṛṣṇa, dem Herrn, geweiht hat und völlig in seinem Dienst aufgeht, weitaus besser ist als ein mit allen vedischen Schriften vertrauter brāhmaṇa, der dem Herrn nicht in Hingabe dient. Der Gottgeweihte kann jeden Ort und jeden Gegenstand läutern, weil er den Höchsten Herrn in seinem Herzen trägt.

In den vedischen Schriften heißt es, daß der Höchste Persönliche Gott Seine Aufmerksamkeit nicht so sehr einem Menschen schenkt, der lediglich auf allen Gebieten der Veden bewandert ist, daß Er aber einem Ihm Geweihten sehr zugetan ist - auch wenn dieser von niedriger Herkunft ist. Wenn man, statt einem brāhmaṇa, der kein Gottgeweihter ist, einem Gottgeweihten ein Almosen gibt, nimmt der Herr dieses Opfer an. Mit anderen Worten: Wenn man einem Gottgeweihten etwas gibt, opfert man es dem Herrn. Caitanya Mahāprabhu zitierte weiter aus dem Śrīmad-Bhāgavatam: »Ein brāhmaṇa, der kein Geweihter des Höchsten Herrn ist, muß als noch geringer angesehen werden als ein Mensch des niedrigsten Standes, auch wenn er die zwölf Merkmale eines brāhmaṇa besitzt und einer hochgestellten Familie angehört.« Durch hingebungsvolles Dienen kann ein Gottgeweihter seine gesamte Familie 100 Generationen in die Vergangenheit und in die Zukunft läutern, selbst wenn er aus einer caṇḍāla-(Hunde-Esser-)Familie stammt. Ein stolzer brāhmaṇa hingegen kann nicht einmal sich selbst läutern. Im Hari-bhakti-sudhodaya heißt es: »O Geweihter des Herrn, dich zu sehen ist die Vollendung der Augen, deinen Körper zu berühren ist die Vollkommenheit körperlicher Tätigkeiten, und deine Eigenschaften zu preisen ist die Vervollkommnung der Zunge - denn einen reinen Gottgeweihten wie dich findet man nur selten.«

Der Herr sagte dann zu Sanātana: »Kṛṣṇa ist sehr gütig, denn er erlöst die gefallenen Seelen. Er hat auch dich aus der Hölle, dem mahā-raurava, errettet.« Diese Hölle wird im Śrīmad-Bhāgavatam beschrieben. Sie ist für Menschen bestimmt, die Tiere töten. Fleischer und auch Menschen, die Tiere nur essen, verfallen dieser Hölle. Sanātana antwortete: »Ich kenne die Gnade Kṛṣṇas nicht. Aber ich weiß, daß Deine Gnade ohne mein Verdienst über mich gekommen ist, denn Du hast mich aus der Verstrickung des materiellen Lebens befreit.«

Der Herr sagte nichts dazu, sondern fragte: »Wie bist du aus dem Gefängnis entkommen? Ich hörte, daß man dich verhaftet hatte.« Sanātana erzählte Ihm daraufhin die Geschichte seiner Befreiung, und Śrī Caitanya teilte ihm mit, daß Er seine beiden Brüder getroffen und sie nach Vṛndāvana geschickt habe.

Śrī Caitanya stellte Sanātana nun Candraṣekhara vor, der Sanātana freundlich einlud, mit ihm zu Abend zu essen. Der Herr bat Candraṣekhara jedoch, Sanātana erst einmal zu einem Barbier zu bringen, um ihn wieder anständig herrichten zu lassen - Sanātana hatte sich nämlich einen langen Bart wachsen lassen, der Śrī Caitanya Mahāprabhu wenig gefiel. Er ersuchte Candraṣekhara auch, ihm neue Kleider zu geben.

Nachdem Sanātana ein Bad genommen und sich rasiert und gereinigt hatte, bat er Candraṣekhara um einige reine, gebrauchte Kleidungsstücke. Als Śrī Caitanya hörte, daß Sanātana keine neuen Kleider angenommen hatte, sondern nur einige gebrauchte Stücke, war Er sehr froh. Der Herr setzte Sich zu Tisch und bat Candraṣekhara, etwas für Sanātana aufzubewahren. Candraṣekhara bot Sanātana jedoch nicht sofort zu essen an, sondern wartete, bis der Herr Sein Mahl beendet hatte. Nach dem Essen legte sich der Herr zur Ruhe, und die auf Seinem Teller übriggebliebenen Reste wurden Sanātana gegeben.

Danach stellte Śrī Caitanya Sanātana einem gewissen brāhmaṇa aus Maharastria vor, der einer Seiner Anhänger war, und dieser brāhmaṇa lud Sanātana ein, für die Zeit, während der er sich in Benares aufhielt, täglich in seinem Hause zu essen. Sanātana erwiderte jedoch: »Solange ich in Benares bin, werde ich von Tür zu Tür betteln gehen; und der Herr wird die Güte besitzen, deine Einladung zum täglichen Mittagessen anzunehmen.«

Das Verhalten Sanātanas freute Śrī Caitanya sehr, doch Er bemerkte auch die wertvolle Decke, die Sanātana von seinem Schwager auf dem Weg nach Benares geschenkt bekommen hatte. Und obwohl Śrī Caitanya Mahāprabhu die Decke übersah, verstand Sanātana doch, daß der Herr nicht damit einverstanden war, daß er solch ein wertvolles Kleidungsstück trug, und er nahm sich vor, die Decke loszuwerden. Mit diesem Vorhaben begab er sich ans Ufer des Ganges, wo er einen Bettelmönch sah, der gerade seinen zerschlissenen Umhang wusch. Sanātana bat ihn, den alten Umhang gegen seine kostbare Decke zu tauschen, doch der arme Bettelmönch dachte, Sanātana spaße mit ihm und sagte deshalb: »Was soll das heißen? Ich hielt dich für einen ehrenwerten Herrn und nun verhöhnst du mich auf so ungehörige Weise.«

Sanātana antwortete: »Ich spaße nicht mit dir. Würdest du bitte deinen alten Umhang gegen diese Decke tauschen?« Also tauschten die beiden, und Sanātana kehrte zum Haus des Herrn zurück. Als dieser ihn nach der wertvollen Decke fragte, erzählte Sanātana von dem Tausch am Gangesufer. Der Herr war sehr zufrieden mit ihm und lobte die Handlung: »Du bist sehr klug, daß du dich von allem Haften an materiellem Reichtum frei gemacht hast.«

Diese Begebenheit lehrt uns, daß der Herr einem Menschen erst dann Eintritt in Seinen hingebungsvollen Dienst gewährt, wenn dieser sich von allen materiellen Besitztümern gelöst hat. Der Herr sagte zu Sanātana: »Es hätte nicht gut ausgesehen, wenn du als Bettelmönch von Tür zu Tür gezogen wärest und hättest eine solch wertvolle Decke getragen. Das würde deinem Auftreten als Bettler widersprochen haben, und die Leute hätten dies mit Mißtrauen bemerkt.« Sanātana erwiderte: »Alles, was ich tun kann, um mich aus der materiellen Verstrickung zu befreien, verdanke ich Deiner Gnade.« Als der Herr dies hörte, war Er sehr zufrieden mit ihm, und lange noch sprachen beide über die Wege und Möglichkeiten, Fortschritte im spirituellen Leben zu machen. Bevor Śrī Caitanya Sanātana traf, war Er einmal mit Rāmānanda Rāya, einem Haushälter-Gottgeweihten, zusammengekommen. Bei jener Begegnung, die Gegenstand eines späteren Kapitels sein wird, stellte Śrī Caitanya Rāmānanda Rāya Fragen, die dieser beantwortete, als sei er der Lehrer des Herrn. Hier jedoch war es Sanātana, der die Fragen stellte, und der Herr beantwortete sie ihm.

Die Unterweisungen und Lehren Śrī Caitanyas sind für jeden von größter Bedeutung. Er lehrt uns den Vorgang des hingebungsvollen Dienens, die wesenseigene Aktivität jedes Lebewesens. All diese Themen wurden in den Gesprächen zwischen Śrī Caitanya und Sanātana Gosvāmī eingehend behandelt, und es ist die Pflicht jedes Menschen, in dieser spirituellen Wissenschaft Fortschritte zu machen. Durch die Barmherzigkeit Śrī Caitanyas war es Sanātana möglich, die richtigen Fragen zu stellen, die ihm der Herr dann auch ausführlich beantwortete.

Das Treffen zwischen Sanātana und Śrī Caitanya lehrt uns, daß man sich einem geistigen Meister wie Śrī Caitanya Mahāprabhu nähern und ihm in demütiger Haltung Fragen stellen muß, wenn man die spirituelle Wissenschaft verstehen will. Dies wird auch im Vierten Kapitel der Bhagavad-gītā bestätigt, wo es im 34. Vers heißt, daß sich jeder, der die Wahrheit erfahren will, an eine echte Autorität wenden muß.

3. KAPITEL

Caitanya

Die Unterweisung Sanātana Gosvāmīs

Anhand der Unterweisungen, die Sanātana Gosvāmī von Śrī Caitanya empfing, können wir die Wissenschaft von Gott begreifen, besonders insofern, als es Seine transzendentale Form, Seine Fülle und Seinen hingebungsvollen Dienst betrifft; denn alles wird Sanātana Gosvāmī vom Herrn Selbst beschrieben.

Sanātana fiel dem Herrn zu Füßen und fragte Ihn mit großer Demut nach seiner wahren Identität. Er sprach: »Ich bin von niedriger Herkunft, mein Umgang ist abscheulich, ich bin der Sünde verfallen und der Elendste unter den Menschen. Ich litt im finsteren Abgrund materieller Freuden und wußte nichts vom eigentlichen Ziel des Lebens. Ich weiß nicht, was gut für mich ist. Obwohl ich nach weltlichen Gesichtspunkten das bin, was man einen großen Gelehrten nennt, bin ich doch in Wirklichkeit solch ein Narr, daß ich sogar selbst glaubte, gelehrt zu sein. In Deiner grundlosen Gnade hast Du mich als Deinen Diener angenommen und aus der Verstrickung des materiellen Lebens befreit. Sage mir nun bitte, was in diesem befreiten Zustand meine Pflicht ist.«

Diesen Worten kann man entnehmen, daß Befreiung nicht die höchste Stufe der Vollkommenheit ist. Auch wenn man befreit ist, muß man aktiv sein. Sanātana fragte unmißverständlich: »Du hast mich aus der Verstrickung des materiellen Daseins errettet; doch was muß ich nun tun, was ist meine Pflicht? Bitte erkläre mir dies alles.« Er fragte weiter: »Wer bin ich? Warum verursachen die dreifachen Leiden mir ständig Schwierigkeiten? Und letztlich, sage mir bitte, wie ich aus der materiellen Verstrickung frei werden kann. Ich weiß nicht, welche Fragen ich stellen muß, um Fortschritt im spirituellen Leben zu machen, und daher bitte ich Dich, laß mich in Deiner barmherzigen Güte alles wissen, was ich wissen muß.«

Dies ist die Haltung eines Schülers gegenüber seinem geistigen Meister. Er sollte sich dem geistigen Meister in Demut nähern und ihm dann ernsthafte Fragen über den Fortschritt im spirituellen Leben stellen.

Der Herr freute sich sehr über Sanātanas Bescheidenheit und antwortete: »Du hast Śrī Kṛṣṇas Segnungen bereits erhalten, und deshalb weißt du alles und bist frei von den Leiden des materiellen Daseins. Du bist Kṛṣṇa-bewußt und daher ist dir durch Kṛṣṇas Gnade nichts mehr unbekannt; aber weil du ein demütiger Gottgeweihter bist, bittest du Mich, dir zu bestätigen, was du bereits selbst erkannt hast. Das ist ein Zeichen von Kṛṣṇa-Bewußtsein.« Wir sehen hier die Merkmale eines wahren Gottgeweihten. Im Nārada-bhakti-sūtra wird gesagt, daß Kṛṣṇa den Wunsch eines Menschen, dem es damit ernst ist, den Herrn zu verstehen, sehr bald erfüllt. Der Herr fuhr fort: »Du bist geeignet, die Lehre des hingebungsvollen Dienens zu verstehen und zu verbreiten; deshalb ist es Meine Pflicht, dich in der Wissenschaft von Gott zu unterweisen, und so werde Ich dir alles, was du wissen mußt, ausführlich und genau erklären.«

Der Schüler hat die Pflicht, Fragen über seine wesenseigene Position zu stellen, und Sanātana hatte diese Notwendigkeit bereits erkannt, als er fragte: »Wer bin ich, und warum leide ich unter den dreifachen materiellen Leiden?« Die dreifachen Leiden nennt man adhy-ātmika, adhi-bhūtika und adhi-daivika. »Adhy-ātmika« bedeutet »durch den Körper und Geist verursacht«. Manchmal leidet ein Lebewesen körperlich und manchmal geistig - beide Leiden sind adhy-ātmika. Sogar im Leib unserer Mutter leiden wir. Es gibt viele Formen des Leids, die unseren empfindlichen Körper befallen und uns Schmerzen bereiten.

Leiden, die uns von anderen Lebewesen zugefügt werden, wie z. B. Ungeziefer oder auch feinstofflichen Wesen von anderen Planeten, nennt man adhi-bhūtika.

Die adhi-daivika-Leiden werden von den Halbgöttern auf den höheren Planeten verursacht. Zum Beispiel leiden wir manchmal unter kaltem Wetter, unter Erdbeben, Stürmen, Dürren und anderen Naturkatastrophen. Ständig sind wir einer dieser drei Arten des Leidens ausgesetzt. Sanātana fragte: »Was ist die Position der Lebewesen? Warum sind wir ständig diesen drei Arten des Leidens unterworfen?« Er gab also seine Schwäche zu, denn obwohl er der Allgemeinheit als ein großer Gelehrter bekannt war (und er war tatsächlich ein überaus belesener Sanskritgelehrter), und obwohl er die ehrende Bezeichnung »Gelehrter«, die ihm von den Menschen verliehen worden war, nicht ablehnte, wußte er doch in Wirklichkeit nicht um seine ursprüngliche Position, und warum er die dreifachen Leiden ertragen mußte.

Das Aufsuchen eines geistigen Meisters sollte nicht aus einer Laune geschehen, sondern für den bestimmt bleiben, der sich der materiellen Leiden ernstlich bewußt ist und von ihnen frei werden will. Es ist die Pflicht eines solchen Menschen, sich an einen geistigen Meister zu wenden. Wir begegnen ähnlichen Umständen in der Bhagavad-gītā: Als Arjuna die vielen Probleme verwirrte, die die Frage mit sich brachte, ob er kämpfen solle oder nicht, nahm er Śrī Kṛṣṇa als seinen geistigen Meister an. Auch dort war es der Höchste Geistige Meister, der Arjuna über die wesenseigene Position des Lebewesens unterrichtete.

In der Bhagavad-gītā erfahren wir, daß das individuelle Lebewesen vom Wesen her spirituelle Seele ist - das Lebewesen besteht nicht aus Materie -, und daß es daher ein Teil der Höchsten Seele ist, der Absoluten Wahrheit, des Persönlichen Gottes. Wir erfahren außerdem, daß es die Pflicht der Seele ist, sich der Höchsten Seele hinzugeben, denn nur dann kann sie glücklich werden. Die letzte Unterweisung der Bhagavad-gītā besagt, daß die Seele sich der Höchsten Seele, Kṛṣṇa, einfach hingeben soll, um so transzendentale Glückseligkeit zu erfahren.

Als Antwort auf die Fragen Sanātanas wiederholte Śrī Caitanya dieselbe Wahrheit, ohne jedoch näher auf die Seele einzugehen, die bereits ausführlich in der Gītā beschrieben ist. Er begann an der Stelle, an der Kṛṣṇa Seine Unterweisung beendet hatte. Große Gottgeweihte sind sich darin einig, daß Śrī Caitanya Kṛṣṇa Selbst ist. Und an der Stelle, an der Er in der Gītā Seine Unterweisung beendet hatte, fuhr Er nun fort. Diesmal unterwies Er Sanātana. Der Herr sagte: »In deiner ursprünglichen, wesenseigenen Identität bist du eine reine, lebendige Seele. Der materielle Körper ist nicht deine wirkliche Identität, und auch nicht dein Geist oder deine Intelligenz oder dein falsches Ich sind es. Deine Identität ist es, ewiger Diener des Höchsten Herrn, Kṛṣṇa, zu sein, und daher ist deine Position transzendental. Die höhere Energie Kṛṣṇas ist von spiritueller Natur und die niedere, äußere Energie ist materiell. Du befindest dich zwischen der materiellen und der spirituellen Energie, und deshalb liegt deine Position im Zwischenbereich. Mit anderen Worten: Du gehörst zu Kṛṣṇas am Rande verlaufender bzw. mittlerer Energie. Du bist gleichzeitig eins mit und verschieden von Kṛṣṇa. Weil du von spiritueller Natur bist, bist du vom Wesen her von Kṛṣṇa nicht verschieden; aber weil du nur ein winziges Teilchen Kṛṣṇas bist, unterscheidest du dich gleichzeitig.«

Das Lebewesen ist für ewige Zeiten gleichzeitig eins mit und verschieden von Kṛṣṇa, denn es befindet sich im Zwischenbereich. Es läßt sich mit einem Molekül des Sonnenlichts vergleichen, während Kṛṣṇa wie die leuchtende Sonne ist. Śrī Caitanya verglich die Lebewesen mit aufflammenden Funken und den Höchsten Herrn mit der lodernden Feuerglut der Sonne. In diesem Zusammenhang zitierte Er einen Vers aus dem Viṣṇu Purāṇa, in welchem gesagt wird, daß alles in der kosmischen Welt nur eine Energie des Höchsten Herrn ist. Wie ein Feuer Licht und Wärme in alle Richtungen ausstrahlt, so entfaltet auch der Herr Seine verschiedenen Energien überall, obwohl Er Sich an einem Ort in der spirituellen Welt aufhält. Der gesamte Kosmos besteht nur aus verschiedenen Manifestationen Seiner Energie.

Die Energie des Herrn ist transzendental und spirituell, und die Lebewesen sind winzige Teile dieser Energie. Aber es gibt noch eine andere Energie, die materielle; sie ist von der Wolke der Unwissenheit bedeckt und in drei guṇas (Erscheinungsweisen) unterteilt. Śrī Caitanya zitierte aus dem Viṣṇu Purāṇa, daß all die unvorstellbaren Energien ihren Ursprung in der Höchsten Persönlichkeit des Herrn haben, und daß die gesamte kosmische Manifestation sich aus dieser herleitet.

Der Herr sagte, daß die Lebewesen auch kṣetrajña (die Kenner des Aktionsfeldes) genannt werden. Im Dreizehnten Kapitel der Gītā wird der Körper als das Aktionsfeld beschrieben und das Lebewesen als kṣetrajña, der Kenner dieses Feldes. Obwohl das Lebewesen ursprünglich mit der spirituellen Energie vertraut ist, oder zumindest die Fähigkeit zu ihrem Verstehen besitzt, ist es durch die materielle Energie überlagert und hält folglich den Körper für das Selbst. Das nennt man falsches Ich. Durch dieses falsche Ich getäuscht wechselt das verwirrte Lebewesen im materiellen Dasein verschiedene Körper und muß verschiedene Arten von Leiden ertragen. Die verschiedenartigen Lebewesen sind sich in unterschiedlichem Maße ihrer eigentlichen Identität bewußt.

Man sollte also erkennen, daß man ein winziges Bestandteil der spirituellen Energie des Höchsten Herrn ist. Die materielle Energie ist von niederer Natur, und deshalb kann sich der Mensch aus der Materie befreien und die spirituelle Energie nutzen. In der Bhagavad-gītā heißt es, daß die höhere Energie von der niederen Energie überlagert wird. Aufgrund dieser »Bedeckung« ist das Lebewesen unterschiedlichen Graden des Leidens unterworfen, die es je nach dem Grade der Überlagerung erdulden muß. Wer ein wenig Erleuchtung erfahren hat, leidet weniger, doch letzten Endes unterliegt jeder den materiellen Leiden, da die höhere Energie des Lebewesens von der materiellen Energie ganz oder teilweise überdeckt ist.

Der Herr zitierte dann den vierten Vers aus dem Siebten Kapitel der Gītā, in dem geschrieben steht, daß Erde, Wasser, Feuer, Luft, Äther, Geist, Intelligenz und falsches Ich die niedere Energie des Höchsten Herrn bilden. Die wirkliche Identität des Lebewesens liegt jedoch in der höheren Energie. Durch diese Energie bewegt sich die gesamte materielle Welt. Die kosmische Manifestation, die aus materiellen Elementen besteht, hat nicht selbst die Fähigkeit, aktiv zu sein, sondern muß von der höheren Energie manipuliert werden. Somit ist das bedingte Leben des Lebewesens im eigentlichen Sinne ein Zustand des Vergessens, in welchem man sich an seine Beziehung zum Höchsten Herrn in der höheren Energie nicht mehr erinnern kann. Wenn diese Beziehung in Vergessenheit gerät, ist bedingtes Leben die Folge. Nur wenn man seine wirkliche Identität als ewiger Diener des Herrn wiedererweckt, kann man befreit werden.

4. KAPITEL

Caitanya

Der Weise

Niemand kann zurückverfolgen, wann und wie sich das Lebewesen in die materielle Energie verstrickte. Deshalb sagte der Herr, der Zustand der Verstrickung kenne keinen Anfang. »Kein Anfang« bedeutet, daß das bedingte Leben schon vor der Schöpfung existierte. - Es manifestiert sich lediglich während und nach dieser. Weil das Lebewesen seine wahre Natur vergißt, muß es die vielen Leiden des materiellen Daseins erdulden, obwohl es eigentlich von spiritueller Natur ist. Es gibt auch Lebewesen, die nicht in die materielle Energie verstrickt sind; sie leben in der spirituellen Welt, und man nennt sie »befreite Seelen«. Sie vergessen Kṛṣṇa niemals und dienen Ihm ständig in hingebungsvoller Liebe.

Die Handlungen der Lebewesen, die dem Gesetz der materiellen Natur unterstehen, werden registriert, und in ihrem nächsten Leben erhalten sie je nach ihren Taten entsprechende Körper. Im bedingten Leben der materiellen Welt ist die Seele gezwungen, unterschiedliche Belohnungen und Strafen entgegenzunehmen. Wenn sie belohnt wird, kommt sie dank eines rechtschaffenen Lebens zu höheren Planeten, wo sie zu einem der vielen Halbgötter wird, und wenn sie für ihre abscheulichen Taten bestraft wird, kommt sie zu höllischen Planeten, wo sie noch heftigere Qualen des materiellen Daseins erleiden muß. Der Herr gab für diese Bestrafung ein treffendes Beispiel: In früheren Zeiten bestrafte der König einen Verbrecher gewöhnlich, indem er ihn in einen Fluß tauchen ließ, um ihn dann für einen Atemzug herauszuheben und daraufhin erneut ins Wasser zu tauchen. Ebenso straft und belohnt auch die materielle Natur das individuelle Lebewesen. Wenn die Natur das Lebewesen bestraft, taucht sie es ins Wasser der materiellen Leiden, und wenn sie es belohnt, hebt sie es für kurze Zeit heraus. Die Erhebung des Lebewesens zu höheren Planeten oder zu einer höheren Lebensstufe ist niemals von Dauer. Es muß früher oder später wieder herunterkommen, um erneut ins Wasser der Leiden getaucht zu werden. Das ist das Prinzip des materiellen Lebens. Manchmal wird man zu höheren Planetensystemen erhoben, und manchmal wird man in höllische Lebensbedingungen versetzt.

In diesem Zusammenhang zitierte der Herr einen treffenden Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam, wo gesagt wird, daß das Vergessen unserer Beziehung zu Kṛṣṇa »māyā« genannt wird. »Māyā« bedeutet »das, was nicht ist«. Die Annahme, das Lebewesen habe mit dem Höchsten Herrn nichts zu tun, ist daher falsch. Manche Menschen glauben nicht an die Existenz Gottes oder denken, sie hätten keine Beziehung zu Gott; doch all das sind Illusionen - māyā. Weil sie von dieser illusionären Lebensauffassung völlig gefangen sind, haben sie ständig Ängste und Sorgen. Mit anderen Worten: Eine gottlose Lebensauffassung ist māyā, und deshalb gibt sich jemand, der die vedischen Schriften gründlich studiert hat, dem Höchsten Herrn hin und erkennt Ihn als das höchste Ziel. Wenn ein Lebewesen die wahre Natur seiner Beziehung zu Gott vergißt, wird es augenblicklich von der äußeren Energie überwältigt, und das ist der Ursprung des falschen Ichs, d. h. der Identifizierung des Körpers mit dem Selbst. Die gesamte Vorstellung, die sich der Mensch vom Universum macht, beruht auf der falschen Auffassung, er sei mit dem Körper identisch, und deshalb haftet er an seinem Körper und den Nachkommen des Körpers. Um aus dieser Verstrickung zu entkommen, braucht er nichts weiter als seine Pflicht zu tun, d. h. sich dem Höchsten Herrn mit Intelligenz, Demut und ernsthaftem Kṛṣṇa-Bewußtsein hinzugeben.

Die bedingte Seele wähnt sich glücklich in der materiellen Welt, doch wenn sie mit der Barmherzigkeit eines reinen Gottgeweihten gesegnet wird, indem sie die Gelegenheit erhält, dessen Unterweisungen zu hören, gibt sie den Wunsch nach materiellem Genuß auf und wird durch das Kṛṣṇa-Bewußtsein erleuchtet. Sowie ein Mensch sich dem Kṛṣṇa-Bewußtsein öffnet, verliert er das Verlangen nach materiellem Genuß und wird allmählich frei von der materiellen Verstrickung. Dort, wo Licht ist, kann es keine Dunkelheit geben, und ebenso kann dort, wo das Licht des Kṛṣṇa-Bewußtseins erstrahlt, die Dunkelheit der materiellen Sinnenfreude nicht standhalten.

Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch unterliegt niemals der falschen Vorstellung, er sei eins mit Gott, noch glaubt er, er könne glücklich werden, wenn er nur für sich selbst bzw. seinen Körper arbeite. Er stellt vielmehr all seine Kraft in den Dienst des Höchsten Herrn und wird so aus den Klauen der illusionierenden materiellen Energie befreit. In diesem Zusammenhang zitierte der Herr einen Vers aus dem Siebten Kapitel der Bhagavad-gītā, in welchem es heißt, daß die materielle Energie, die aus drei Erscheinungsweisen besteht, sehr mächtig ist. Es ist sehr schwierig, sich dem Einfluß der materiellen Energie zu entziehen, doch wer sich Kṛṣṇa hingibt, kann mit Leichtigkeit den Klauen māyās entkommen.

Der Herr fuhr mit Seinen Unterweisungen fort, indem Er sagte, daß die bedingte Seele in jedem Moment, den sie mit einer materiell-einträglichen Tätigkeit vergeude, ihre wahre Identität vergesse. Wenn sie dann erschöpft ist, ermüdet vom materiellen Streben, sucht sie nach Befreiung und möchte eins werden mit dem Höchsten. Dann wieder glaubt sie, das Glück zu finden, indem sie hart arbeitet, um durch die Sinne genießen zu können. In beiden Fällen ist sie von der materiellen Energie überschattet. Um solche verwirrten Seelen, die nicht wissen, wer sie wirklich sind, in ihrem bedingten Zustand zu erleuchten, hat der Herr uns viele vedische Schriften gegeben, wie die Veden selbst, die Purāṇas und das Vedānta-sūtra - sie alle sollen den Menschen zurück zu Gott führen. In weiteren Unterweisungen empfiehlt der Herr der bedingten Seele, deren sich ein geistiger Meister in Gnaden angenommen hat, und die von der Überseele geleitet wird, daß sie sich nach den verschiedenen vedischen Schriften richtet; denn auf diese Weise findet sie Erleuchtung und vermag in der spirituellen Erkenntnis rasche Fortschritte zu machen. Es ist eine Tatsache, daß Śrī Kṛṣṇa Seinen Geweihten stets gütig gesinnt ist; deshalb hat er uns die vedischen Schriften gegeben, durch die wir unsere Beziehung zu Kṛṣṇa verstehen lernen können. Wenn wir dann dieser Beziehung gemäß handeln, werden wir mit Sicherheit das höchste Ziel des Lebens erreichen.

Tatsächlich ist es die Bestimmung jedes Lebewesens, den Höchsten Herrn zu erreichen, und ein jeder kann seine Beziehung zu Ihm verstehen. Die Ausführung von Pflichten mit dem Ziel, die Vollkommenheit zu erreichen, wird hingebungsvolles Dienen genannt, und im Reifezustand wird solch hingebungsvolles Dienen zur Liebe zu Gott, die das wirkliche Lebensziel jedes Lebewesens ist. Das Lebewesen ist nicht dazu bestimmt, in religiösen Ritualen, im Bemühen um wirtschaftlichen Fortschritt, im Sinnengenuß oder auch selbst in der Befreiung allein Vollkommenheit zu erreichen. Religiosität, wirtschaftliche Entwicklung, Sinnengenuß und Befreiung sollte sich das Lebewesen eigentlich gar nicht wünschen. Das wirkliche Verlangen jedes Wesens sollte es sein, die Stufe des liebevollen transzendentalen Gottdienens zu erreichen.

Die alles-anziehenden Eigenschaften Śrī Kṛṣṇas helfen uns, Kṛṣṇa-bewußt zu werden, und jeder, der sich um Kṛṣṇa-Bewußtsein bemüht, kann seine Beziehung zu Kṛṣṇa erkennen.

In diesem Zusammenhang erzählte der Herr Sanātana eine Geschichte aus dem Kommentar von Madhva, die im Fünften Canto des Śrīmad-Bhāgavatam zu finden ist. Die Geschichte handelt von den Unterweisungen, die Sarvajña einem armen Mann gab, der zu ihm kam, um sich seine Zukunft prophezeien zu lassen. Als Sarvajña das Horoskop des Mannes sah, war er zuerst erstaunt, daß der Mann so arm war, doch dann sprach er zu ihm: »Warum bist du nur so unglücklich? Ich ersehe aus deinem Horoskop, daß dir dein Vater einen versteckten Schatz hinterlassen hat. Das Horoskop sagt jedoch auch, daß dein Vater dir dies nicht mehr mitteilen konnte, weil er an einem fernen Ort verstarb. Doch nun kannst du den Schatz deines Vaters suchen und glücklich werden.« Der Herr zitierte diese Geschichte, um zu zeigen, daß das Lebewesen wie ein Sohn ist, der leidet, weil er den verborgenen Schatz seines Vaters nicht kennt. Der verborgene Schatz Kṛṣṇas, des Vaters, ist die Liebe zu Gott. In allen vedischen Schriften wird der bedingten Seele der Rat erteilt, diesen Schatz, die Liebe zu Gott, zu finden. In der Bhagavad-gītā steht geschrieben, daß die bedingte Seele nicht weiß, daß sie in Wirklichkeit der Sohn des Reichsten, nämlich, des Persönlichen Gottes, ist, und deshalb sind die vedischen Schriften dazu da, ihr zu helfen, den Vater und das väterliche Eigentum zu finden.

Sarvajña riet dem armen Mann: »Versuch nicht, auf der Südseite des Hauses zu graben, um den versteckten Schatz zu finden, denn dort wirst du vergeblich suchen und schließlich wird dich ein giftiges Insekt anfallen. Auf der Südseite wirst du nur die Rituale der vedischen Schriften finden, auf der Westseite spekulatives Wissen und auf der Nordseite das yoga-System, d. h. die Meditationsvorgänge, die zur Selbsterkenntnis führen sollen. Suche auf der Ostseite, denn dort ist dir der Erfolg gewiß - dort wirst du wirkliches Licht finden in der Gestalt des hingebungsvollen Dienens, des Kṛṣṇa-Bewußtseins.«

Wenn jemand versucht, das höchste Ziel durch die Befolgung von Ritualen zu erreichen, wird er vergeblich suchen. Bei einem solchen Unternehmen werden Rituale unter der Anleitung eines bezahlten Priesters ausgeführt, und es ist ein großer Irrtum zu glauben, man könne durch derlei Handlungen glücklich werden. Selbst wenn man daraus irgendeinen Nutzen zieht, ist dieser »Gewinn« doch nur vorübergehend, und die materiellen Leiden setzen später wieder um so stärker ein. Durch solche rituellen Opferhandlungen kann also niemand wirkliches Glück erlangen; im Gegenteil: die materiellen Leiden verschlimmern sich nur noch.

Das Graben auf der Nordseite wird mit dem Suchen nach Selbsterkenntnis durch verschiedene Formen von Meditationspraktiken verglichen. Das Ergebnis solcher Praktiken ist, daß man sich eins mit dem Höchsten Herrn wähnt. Für das erhoffte Einswerden des Lebewesens mit dem Höchsten wird oft das Beispiel von der großen Schlange gegeben, die eine kleinere Schlange verschluckt. Der nach Vollkommenheit Suchende, der in die spirituelle Existenz des Höchsten eingehen will, ist wie die kleine Schlange, die verschluckt wird.

Auf der Westseite trifft man auf Yakaṣa, einen bösen Geist, der den versteckten Schatz bewacht. Niemand, der Yakaṣa um Hilfe bittet, wird den Schatz finden, sondern statt dessen nur getötet werden. Das heißt also, daß der spekulative Vorgang zur Selbsterkenntnis, auch jñāna genannt, selbstmörderisch ist, ebenso wie der Meditationsvorgang der yogīs, die wie kleine Schlangen verschluckt werden wollen. Man muß auf der Ostseite, die mit dem hingebungsvollen Dienen im vollkommenen Kṛṣṇa-Bewußtsein verglichen wird, nach dem Schatz suchen. Hingebungsvolles Dienen im Kṛṣṇa-Bewußtsein ist der verborgene Schatz, und wer ihn findet, gewinnt ewigen Reichtum. Ein Mensch, dem es an dienender Hingabe bzw. Kṛṣṇa-Bewußtsein mangelt, ist dazu verurteilt, nach materiellem Gewinn zu suchen. Manchmal erleidet er die Bisse giftiger Sinnesobjekte, dann wieder erleidet er Täuschungen und Enttäuschungen; manchmal folgt er der Philosophie des »Einsseinwollens mit Gott« und verliert seine Identität, indem er von »der großen Schlange« verschluckt wird, und ein anderes Mal gibt er sich dem üblen Geist des Spekulierens hin. Wenn er jedoch all diese Dinge aufgibt und fest im Kṛṣṇa-Bewußtsein bzw. im hingebungsvollen Dienen für den Herrn verankert ist, erreicht er die Vollkommenheit des Lebens.

5. KAPITEL

Caitanya

Wie man Gott näherkommt

Alle vedischen Schriften führen den Menschen letzten Endes zur vollkommenen Stufe der Hingabe. Die Pfade der fruchtbringenden Arbeit, des spekulativen Wissens und der Meditation führen jedoch nicht zur Vollkommenheit; nur durch hingebungsvolles Dienen ist es möglich, sich dem Herrn zu nähern. Deshalb wird in vielen vedischen Schriften immer wieder empfohlen, den Vorgang des hingebungsvollen Dienens anzunehmen. In diesem Zusammenhang zitierte Śrī Caitanya einen Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam, aus dem 14. Kapitel des Elften Cantos, wo der Herr sagt: »Mein lieber Uddhava, weder philosophische Spekulationen noch die Vollkommenheit im Beherrschen der yoga- Kräfte, noch Bußen erfreuen Mich so sehr wie das hingebungsvolle Dienen der Lebewesen.« Den Herrn kann man nur durch hingebungsvolles Dienen erreichen, und die Gottgeweihten sind die einzigen, die Ihn verehren. Selbst wenn ein Mensch in der niedrigsten Familie geboren wurde, kann er, wenn er ein Gottgeweihter wird, von aller Verunreinigung befreit werden. Hingebungsvolles Dienen ist der einzige Weg, den Höchsten Persönlichen Gott zu erreichen.

Es ist der einzige Pfad, der zur Vollkommenheit führt, und das wird von allen vedischen Schriften bestätigt. Ein armer Mann, der einen Schatz findet, wird sogleich glücklich. Ähnlich verschwinden die Leiden des materiellen Daseins augenblicklich, wenn man sich im hingebungsvollen Dienen betätigt. Wenn man dann im hingebungsvollen Dienen fortschreitet, erlangt man Liebe zu Gott, und wenn man in der Liebe zum Höchsten Fortschritte macht, wird man von der materiellen Fessel befreit. Das Ende der Armut bzw. die Befreiung aus der materiellen Bedingtheit sind freilich nicht die Endergebnisse der Liebe zu Kṛṣṇa. Die Liebe zu Kṛṣṇa, die Liebe zu Gott, besteht aus der Freude, die im Austausch des gegenseitigen hingebungsvollen Dienens empfunden wird. In allen vedischen Schriften wird bestätigt, daß es das Ziel des hingebungsvollen Dienens ist, diese liebevolle Beziehung zwischen dem Höchsten Herrn und den Lebewesen wiederzuerwecken. Unsere eigentliche Aufgabe ist hingebungsvolles Dienen, und das Ziel, das wir letztlich erreichen müssen, ist Liebe zu Gott. Deshalb ist Kṛṣṇa der eigentliche Mittelpunkt in allen vedischen Schriften. Besitzt man Wissen über Kṛṣṇa, sind alle Probleme des Lebens gelöst.

In den Purāṇas wird unter anderem erklärt, auf welche Weise die verschiedenen Halbgötter verehrt werden sollen. Solche Informationen verwirren viele Menschen, die schließlich glauben, die Halbgötter seien die höchsten Wesen. Nach einem sorgfältigen Studium der Purāṇas wird man jedoch erkennen, daß Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, als Einziger der Verehrung würdig ist. Zum Beispiel handelt das Markandeya Purāṇa von der Devi-Verehrung, besonders von der Verehrung der Göttin Durga oder Kālī; in derselben Schrift wird jedoch auch gesagt, daß alle Halbgötter - auch Durga oder Kālī - nur verschiedene Energien Viṣṇus sind. Deshalb offenbart selbst das Studium der Purāṇas Viṣṇu, den Höchsten Persönlichen Gott, als den allein Verehrungswürdigen.

Die Schlußfolgerung lautet also, daß alle Arten der Verehrung direkt oder indirekt eine Verehrung des Höchsten Persönlichen Gottes Kṛṣṇas darstellen. In der Bhagavad-gītā wird bestätigt, daß jeder, der die Halbgötter verehrt, in Wirklichkeit Kṛṣṇa verehrt, denn die Halbgötter sind verschiedene Körperteile Viṣṇus bzw. Kṛṣṇas; doch es wird auch gesagt, daß die Verehrung der Halbgötter den intelligenten Menschen nicht empfohlen wird.

Das Śrīmad-Bhāgavatam bestätigt dies durch die Frage: »Was ist der Zweck der Halbgötterverehrung?« In den vedischen Schriften gibt es verschiedene Kapitel, die rituelle Handlungen zum Thema haben. Eines heißt karma-kāṇḍa* und ein anderes upaṣāṇa-kāṇḍa**. Worin liegt nun der Sinn der Rituale, die in den Veden empfohlen werden, und wozu dienen die verschiedenen Halbgötter? Und was hat es für einen Sinn, philosophische Spekulationen über die Absolute Wahrheit anzustellen? Das Śrīmad-Bhāgavatam antwortet, daß all diese Methoden, die in den vedischen Schriften erklärt werden, direkt oder indirekt eine Verehrung des Höchsten Herrn Viṣṇu darstellen. Opferriten sollen den Höchsten Herrn Viṣṇu erfreuen, denn yajñas, Opfer, dienen eigentlich nur zur Zufriedenstellung Viṣṇus. Aus diesem Grund trägt Viṣṇu auch den Namen Yajñeṣvara (der Herr der Opferdarbringungen).

* Dort werden rein rituelle Aktivitäten behandelt.
** Dieses Kapitel befaßt sich mit Spekulationen über die Höchste Absolute Wahrheit.

Die Neulinge befinden sich nicht alle sogleich auf der transzendentalen Ebene, und deshalb wird ihnen geraten, je nach ihrer Position in den verschiedenen Erscheinungsweisen der materiellen Natur die verschiedenen Halbgötter zu verehren, so daß sie allmählich auf die transzendentale Ebene erhoben werden und schließlich beginnen, Viṣṇu, dem Höchsten Persönlichen Gott, in Hingabe zu dienen. Es kann z. B. sein, daß einige der Neulinge dem Fleischessen verhaftet sind; ihnen schreiben die Purāṇas vor, Fleisch nur dann zu essen, wenn sie es zuvor der Göttin Kālī geopfert haben.

Das Wissen, das in den philosophischen Teilen der vedischen Hymnen gegeben wird, soll es dem Menschen ermöglichen, zwischen māyā und dem Höchsten Persönlichen Gott zu unterscheiden. Wenn man die Position māyās erkannt hat, wendet man sich dem Höchsten Persönlichen Gott in reiner dienender Hingabe zu. Das ist der eigentliche Zweck der philosophischen Spekulationen. Im Siebten Kapitel der Bhagavad-gītā wird dies bestätigt: bahūnāṁ janmanām ante. »Nachdem die spekulierenden und empirischen Philosophen viele, viele Leben hindurch ihre theoretischen Betrachtungen angestellt haben, erkennen sie, daß der Höchste Herr, Kṛṣṇa, Vāsudeva, alles ist.« Deshalb ist letzten Endes Kṛṣṇa das Ziel aller vedischen Rituale, das Ziel der verschiedenen Arten der Verehrung und auch das Ziel der philosophischen Spekulationen.

Der Herr erzählte Sanātana Gosvāmī dann von Kṛṣṇas unzähligen Formen und Erweiterungen und von Seiner unbegrenzten Fülle. Er beschrieb ebenfalls das Wesen der spirituellen Welt, der materiellen Manifestationen und der Lebewesen. Er belehrte Sanātana Gosvāmī weiterhin darüber, daß die Universen der spirituellen Welt Vaikuṇṭhas genannt würden, und die Universen der materiellen Welt als verschiedenartige Manifestationen zu verstehen seien; denn sie seien Manifestationen zweier verschiedener Energien - der materiellen und der spirituellen Energie. Kṛṣṇa Selbst weile stets in Seiner spirituellen oder inneren Energie.

Um uns den Unterschied zwischen den Manifestationen der spirituellen und der materiellen Energie verständlich zu machen, gibt uns das Śrīmad-Bhāgavatam im Zweiten Canto eine klare Analyse der beiden. Auch Śukadeva Gosvāmī gibt in seinem Kommentar zum 1. Vers des Zehnten Cantos eine ähnlich klare analytische Studie. Śrī Caitanya erkannte Śukadeva Gosvāmī als einen autorisierten Kommentator des Śrīmad-Bhāgavatam an. Deshalb zitierte Er in diesem Zusammenhang aus dessen Schriften und erklärte: »Im Zehnten Canto werden das Leben und die Taten Kṛṣṇas beschrieben, weil Kṛṣṇa alle Manifestationen in Sich birgt. Deshalb verehrt Śukadeva Gosvāmī die Zuflucht alles Existierenden, Kṛṣṇa, und bringt Ihm seine Ehrerbietungen dar.« In dieser Erklärung wird die Feststellung getroffen, daß es zwei verschiedene Prinzipien in dieser Welt gibt: Das erste Prinzip ist der Ursprung oder der Ruheort aller Dinge, und das zweite Prinzip ist eine Ableitung des ersten. Die Höchste Wahrheit birgt alle Manifestationen in Sich und wird deshalb auch »āṣraya« genannt. Alle anderen Prinzipien, die unter der Kontrolle des āṣraya-tattva stehen, werden »āṣṛta« oder »untergeordnete Folgeerscheinungen und Reaktionen« genannt. Die materielle Manifestation dient dem Zweck, der bedingten Seele die Möglichkeit zu geben, befreit zu werden und zum āṣraya-tattva, zur Absoluten Wahrheit, zurückzukehren.

Alles in der kosmischen Schöpfung ist vom āṣraya-tattva, von der Höchsten Absoluten Wahrheit, abhängig. Somit sind die schöpfende Manifestation oder Viṣṇu-Manifestation, die verschiedenen Halbgötter und verschiedenen Manifestationen der Energie, die Lebewesen und die materiellen Elemente alle auf Kṛṣṇa, die Höchste Wahrheit, angewiesen. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird gesagt, daß alles, direkt oder indirekt, von Kṛṣṇa erschaffen und erhalten wird. Deshalb verfügt derjenige, der Kṛṣṇa verstanden hat, über vollkommenes Wissen.

Śrī Caitanya bat Sanātana Gosvāmī, Ihm aufmerksam zuzuhören, und ging dann zur Beschreibung der verschiedenen Erscheinungsformen Śrī Kṛṣṇas über. Er sagte: »Kṛṣṇa ist ursprünglich der Sohn von Nanda Mahārāja und lebt, obwohl Er die Höchste Absolute Wahrheit, die Ursache aller Ursachen und der Ursprung aller Emanationen und Inkarnationen ist, als Hirtenjunge in Vraja, in Goloko Vṛndāvana. Seine Gestalt ist ewig, glückselig und voll absoluten Wissens. Er ist die Zuflucht alles Existierenden und der Besitzer und Herr aller Dinge.«

In diesem Zusammenhang bezog sich Śrī Caitanya auf die Aussage des 1. Verses im 5. Kapitel der Brahma-saṁhitā, wo bestätigt wird, daß Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist, und daß Sein Körper aus ewigem Wissen und ewiger Glückseligkeit besteht. Er ist die ursprüngliche Person, Govinda, und Er ist die Ursache aller Ursachen. Kṛṣṇa ist also der Ursprüngliche Persönliche Gott; Er besitzt alle sechs Füllen in vollem Ausmaß, und Sein Reich, das höchste Planetensystem im spirituellen Himmel, heißt Goloko Vṛndāvana.

Śrī Caitanya zitierte auch einen Vers aus dem 3. Kapitel des Ersten Cantos, in dem unmißverständlich gesagt wird, daß alle Inkarnationen, entweder direkte Erweiterungen Kṛṣṇas oder indirekte Erweiterungen, d. h. Erweiterungen der Erweiterungen Kṛṣṇas sind. Mit dem Namen »Kṛṣṇa«, der in diesem Zusammenhang gebraucht wird, ist der Ursprüngliche Persönliche Gott gemeint, der auf dieser Erde, in diesem Universum und auch in jedem anderen Universum erscheint, wenn die Dämonen, die ständig versuchen, die Verwaltung der Halbgötter zu stören, zu mächtig werden.

Es gibt drei Wege, Kṛṣṇa zu verstehen: den Weg der empirischen philosophischen Spekulation, den Weg der Meditation im mystischen yoga-System und den Pfad des Kṛṣṇa-Bewußtseins, des hingebungsvollen Dienens. Dementsprechend gibt es auch drei Arten der Verwirklichung: 1.) Durch empirische philosophische Spekulation erkennt man den unpersönlichen Brahman-Aspekt Kṛṣṇas; 2.) durch Meditation bzw. yoga-Mystik erkennt man die Überseele, die alldurchdringende Erweiterung Kṛṣṇas, und 3.) durch hingebungsvolles Dienen in vollkommenem Kṛṣṇa-Bewußtsein erkennt man Kṛṣṇa, den Höchsten Persönlichen Gott, in Seiner ursprünglichen Gestalt.

In diesem Zusammenhang zitierte Śrī Caitanya aus dem Ersten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam den 11. Vers des 2. Kapitels, in dem es heißt, daß diejenigen, die die Absolute Wahrheit kennen, diese auf dreierlei Weise beschreiben: Einige beschreiben Sie als unpersönliches Brahman, einige beschreiben Sie als die lokalisierte alldurchdringende Überseele und einige wissen, daß der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, die Absolute Wahrheit ist. Mit anderen Worten: Brahman, die unpersönliche Manifestation, Paramātmā, die lokalisierte Manifestation, und Bhagavān, der Höchste Persönliche Gott, sind eins; aber je nach dem Pfad der Erkenntnis, den man beschreitet, erkennt man Kṛṣṇa in verschiedenen Aspekten.

Die unpersönliche Brahman-Erkenntnis ist lediglich die Erkenntnis der Ausstrahlung, die von Kṛṣṇas transzendentalem Körper ausgeht. Dies mag das Beispiel der Sonne erläutern, die ebenfalls drei Aspekte hat: das Sonnenlicht, den Sonnenplaneten und den Sonnengott. Das brahmajyoti, das unpersönliche Brahman, das mit dem Sonnenlicht verglichen wird, ist nichts anderes als die persönliche Ausstrahlung Kṛṣṇas.

Um diese Analyse zu belegen, zitierte Śrī Caitanya einen wichtigen Vers aus der Brahma-saṁhitā, in dem Brahmā sagt: »Ich verehre Govinda, den Höchsten Persönlichen Gott, durch dessen persönliche Ausstrahlung sich das unbegrenzte brahmajyoti manifestiert, in dem unzählige Universen schweben.«

Śrī Caitanya sagte weiterhin, daß der Paramātmā, der alldurchdringende Aspekt, der Sich im Körper jedes Lebewesens befinde, lediglich eine teilweise Manifestation bzw. Erweiterung Kṛṣṇas sei. Weil Kṛṣṇa die Seele aller Seelen ist, nennt man Ihn Paramātmā, das Höchste Selbst.

Śrī Caitanya zitierte einen weiteren Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam, diesmal aus den Gesprächen zwischen Mahārāja Parīkṣit und Śukadeva Gosvāmī, aus dem hervorgeht, daß Mahārāja Parīkṣit, während er über Kṛṣṇas transzendentale Spiele in Vṛndāvana hörte, seinen geistigen Meister fragte, warum die Einwohner von Vṛndāvana so sehr an Kṛṣṇa hingen. Śukadeva Gosvāmī antwortete: »Man muß wissen, daß Kṛṣṇa die Seele aller Seelen ist. Er ist die Seele aller individuellen Seelen, und Er ist auch die Seele des lokalisierten Paramātmā. Er spielt die Rolle eines gewöhnlichen Menschen, um alle Lebewesen zu Sich hinzuziehen und jedem zu zeigen, daß Er nicht formlos ist.«

Er ist im Grunde wie jedes andere Lebewesen - nur ist Er der Höchste, und alle anderen sind Ihm untergeordnet. Deshalb können alle Lebewesen in Seiner Gesellschaft spirituelle Glückseligkeit, ewiges Leben und vollkommenes Wissen erfahren. Śrī Caitanya zitierte auch einen Vers aus der Bhagavad-gītā, in welchem der Höchste Herr zu Arjuna über Seine verschiedenen Füllen spricht und sagt, daß Er durch eines Seiner vollständigen Teile, nämlich Garbhodakaṣāyī Viṣṇu, in jedes Universum eingeht und Sich dann als Kṣīrodakaṣāyī Viṣṇu, als Überseele, in das Herz jedes Lebewesens erweitert. Wer also die Höchste Absolute Wahrheit vollkommen verstehen will, muß sich dem hingebungsvollen Dienen in vollem Kṛṣṇa-Bewußtsein zuwenden. - Nur so wird man die Absolute Wahrheit in Ihrem höchsten Aspekt erkennen können.

6. KAPITEL

Caitanya

Kṛṣṇas unzählige Formen sind eins

Durch hingebungsvolles Dienen kann man verstehen, daß Kṛṣṇa Sich als erstes in Seiner transzendentalen Form als svayam-rūpa manifestiert, dann als tadekātma-rūpa und schließlich als aveṣa-rūpa. Der svayam-rūpa-Aspekt Kṛṣṇas ist eine Gestalt, in der Er von demjenigen verstanden werden kann, der vielleicht nicht in der Lage ist, Seine weiteren Aspekte zu begreifen. Mit anderen Worten, die Gestalt, in der man Kṛṣṇa als erstes direkt verstehen kann, wird svayam-rūpa oder Seine persönliche Form genannt. Die tadekātma-rūpa ist eine Form, die der svayam-rūpa sehr stark ähnelt, sich aber in einigen körperlichen Merkmalen unterscheidet. Diese tadekātma-rūpa manifestiert sich in zwei Aspekten: die persönliche Erweiterung und die Erweiterung, welche die transzendentalen Spiele entfaltet. So ermächtigt Kṛṣṇa manchmal ein geeignetes Lebewesen, Ihn zu repräsentieren. Solch einen Stellvertreter des Höchsten Herrn nennt man aveṣa-rūpa oder ṣaktyāveṣāvatāra.

Die persönliche Gestalt Kṛṣṇas ist in zwei weitere Formen unterteilt: in die svayam-rūpa und die svayam-prakāṣa. In Seiner svayam-rūpa (der Gestalt, in der Er Seine transzendentalen Spiele offenbart), bleibt Er immer bei den Einwohnern von Vṛndāvana. Diese persönliche Form teilt sich wieder in zwei Aspekte, die als prabhāva- und vaibhava-Formen bekannt sind. Zum Beispiel erweitert Sich Kṛṣṇa im rāsa-Tanz in mannigfache Gestalten, um mit jeder einzelnen gopī zu tanzen. Und in Dvārakā erweiterte Er Sich, als Er 16 108 Prinzessinnen heiratete, in 16 108 Formen. Es gibt einige große Mystiker, die sich ebenfalls erweitern können, doch mit dieser Art der Expansion, die durch yoga möglich ist, hat Kṛṣṇa nichts zu tun. Saubhari Ṛṣi z. B., ein Weiser, erweiterte sich durch seine yoga-Kräfte in acht Formen, doch diese Ausweitungen waren lediglich eine achtfache Manifestation seines ursprünglichen Körpers. Wenn dagegen Kṛṣṇa Sich in verschiedenartige Gestalten erweitert, ist jede einzelne eine gesonderte individuelle Persönlichkeit. Als Nārada Muni Kṛṣṇa in mehreren Palästen in Dvārakā besuchte, war er erstaunt, Kṛṣṇa in so vielen Formen zu sehen. Nārada wäre niemals erstaunt gewesen, die Erweiterungen eines yogī zu sehen, da er diese Kunst selbst beherrscht; doch er war verwundert, als er sah, daß der Herr in jedem einzelnen der 16 108 Paläste in einer anderen Gestalt mit einer Seiner Königinnen zusammen war. Zum Beispiel sprach Er in einer Form gerade mit einer Seiner Frauen, während Er in einer anderen Form mit Seinen Kindern spielte und in wieder einer anderen Form Pflichten im Hause verrichtete. Diese verschiedenen Aktivitäten nennt man »emotionsbedingte Handlungen«, und wenn Er Sich in diesen »emotionellen Formen« zeigt, nennt man diese Expansionen »vaibhava-prakāṣa«. In ähnlicher Weise gibt es noch unbegrenzt viele andere Erweiterungen der Formen Kṛṣṇas; aber selbst wenn sich diese wiederum unbegrenzt teilen oder ausweiten, bleiben sie doch immer eins; denn weil der Höchste Persönliche Gott absolut ist, besteht kein Unterschied zwischen Seinen verschiedenen Formen.

Im 40. Kapitel des Zehnten Cantos des Śrīmad-Bhāgavatam wird berichtet, wie Akrūra, als er Kṛṣṇa und Balarāma von Gokula nach Mathurā brachte, während einer Rast im Wasser der Yamunā ein Bad nahm und dort plötzlich den spirituellen Himmel mit allen Planeten sah. Er sah auch den Herrn in Seiner Viṣṇu-Form zusammen mit Nārada und den vier Kumāras, die Ihm ihre Gebete darbrachten. In diesem Zusammenhang wird im Śrīmad-Bhāgavatam das Wort »Form« gebraucht. Im Bhāgavata Purāṇa* wird gesagt, daß es viele Menschen gibt, die durch verschiedene Arten der Verehrung geläutert wurden. Zu ihnen gehören die Vaiṣṇavas und Āryans, die den Höchsten Herrn je nach ihrer Überzeugung und ihrem spirituellen Verständnis verehren. Bei jeder Art der Verehrung richtet sich die Aufmerksamkeit auf eine andere Form des Herrn, aber letztlich muß man dazu kommen, den Höchsten Herrn Selbst zu verehren.

*Śrīmad-Bhāgavatam

In Seinem vaibhava-prakāṣa-Aspekt manifestiert Sich Kṛṣṇa als Balarāma. Balarāma ist so gut wie Kṛṣṇa Selbst; Die beiden Formen unterscheiden Sich nur darin, daß Kṛṣṇa eine blauschwarze Hautfarbe hat, während Balarāma weiß ist. Kṛṣṇa zeigte Seine vaibhava-prakāṣa Form ebenfalls, als Er Devakī in Seiner vierarmigen Nārāyaṇa-Form erschien. Auf Bitten Seiner Eltern hin nahm Er schließlich Seine zweiarmige Gestalt an. Manchmal erscheint Er also vierarmig und ein anderes Mal zweiarmig. Wenn Er eine zweiarmige Gestalt annimmt, ist Er vaibhava-prakāṣa, und wenn Er vierarmig erscheint, ist Er vaibhava-vilāsa. In Seiner persönlichen Form sieht Er aus wie ein Hirtenjunge und hält Sich auch für einen solchen; aber wenn Er Sich in Seiner Vāsudeva-Form befindet, sieht Er Sich als Sohn eines kṣatriya und denkt und handelt auch wie ein kṣatriya.

Seine wunderschöne Gestalt, Seine Stärke, Seine Schönheit, Sein Reichtum, Seine Anziehungskraft und Seine Spiele kommen jedoch nur in Seiner Form als Govinda (Kṛṣṇa), als Sohn Nandas, in vollkommener Weise zum Ausdruck. In einigen Vaiṣṇava-Schriften wird erwähnt, daß Er Sich in Seiner Form als Vāsudeva manchmal zu Seiner Form als Govinda in Vṛndāvana hingezogen fühlt. Manchmal wünscht Er Sich als Vāsudeva, Er könnte Sich ebenso erfreuen wie Govinda, obwohl die Govinda-Form und die Vāsudeva-Form im Grunde eins sind. Im 4. Kapitel der Lalita-mādhava sagt Kṛṣṇa zu Uddhava: »Mein lieber Freund, zu Govinda, dem Hirtenjungen, fühle Ich Mich sehr hingezogen, und Ich möchte daher am liebsten eines der Mädchen von Vraja sein, denen es ebenso geht wie Mir.« Und im 8. Kapitel sagt Kṛṣṇa: »Oh, wie wunderschön dieser bläuliche Jüngling ist. Wer ist Er, und wie heißt Er? Seitdem ich Ihn zum ersten Mal sah, fühle Ich Mich sehr zu Ihm hingezogen und möchte Ihn umarmen wie Rādhika.« Wenn sich diese Form Kṛṣṇas ein wenig verändert, nennt man sie tadekātma.

In der tadekātma-Form gibt es wieder zwei Aspekte: der eine wird svaṁṣa und der andere vilāsa genannt. Sowohl in der vilāsa- als auch in der svaṁṣa-Form gibt es wieder viele unterschiedliche Aspekte, die weiter in prabhāva und vaibhava unterteilt werden. Was die vilāsa-Form betrifft, so gibt es unzählige prabhāva-vilāsas: Manchmal sieht Sich Kṛṣṇa als Kuhhirtenjunge und manchmal als der Sohn Vāsudevas, als kṣatriya - und dieses »Sich-Sehen« Kṛṣṇas nennt man »Sein transzendentales Spiel«.

In Seinen prabhāva-prakāṣa- und prabhāva-vilāsa-Formen erscheint Er als Kṛṣṇa und Balarāma. In Seinen Erweiterungen als Vāsudeva, Saṅkarṣaṇa, Pradyumna und Aniruddha erscheint Er in der ursprünglichen caturvyuha, der vierarmigen Form.

Auf den unzähligen spirituellen Vaikuṇṭha-Planeten und auch an anderen transzendentalen Orten halten sich zahllose vierarmige Manifestationen Kṛṣṇas auf. Zum Beispiel sind die eben erwähnten vierarmigen Formen in Dvārakā und Mathurā ewiglich gegenwärtig. Von diesen vier Formen gehen die ursprünglichen vierundzwanzig vaibhava-vilāsa-Formen aus, die sich durch die verschiedenen Symbole unterscheiden, die sie in den Händen halten. Auf den Vaikuṇṭha-Planeten manifestiert Sich Kṛṣṇa in einer »Nārāyaṇa« genannten vierarmigen Form, und dieser Nārāyaṇa erweitert Sich weiter in die vier oben genannten Formen (Vāsudeva, Saṅkarṣaṇa, Pradyumna und Aniruddha). Nārāyaṇa ist also das Zentrum, der Ursprung, von dem die vier anderen Formen ausgehen.

Jede der vier Formen erweitert sich in drei weitere, und diese insgesamt zwölf Nārāyaṇa-Formen tragen, je nach den verschiedenen Zeichen in Ihren Händen, verschiedene Namen: Die drei Erweiterungen der Vāsudeva-Form heißen Keṣava, Nārāyaṇa und Mādhava; die drei Formen Saṅkarṣaṇas sind Govinda* , Viṣṇu und Madhusūdana; die drei Formen Pradyumnas tragen die Namen Trivikrama, Vāmana und Śrīdhara, und die drei Formen Aniruddhas werden Hṛṣikeṣa, Padmanābha und Dāmodara genannt.

* Diese Govinda-Form ist nicht identisch mit der Govinda-Form, die in Vṛndāvana als Sohn Nandas manifestiert ist.

7. KAPITEL

Caitanya

Die unzähligen Formen Gottes

Die im vorherigen Kapitel aufgeführten zwölf Vaikuṇṭha-Formen Śrī Kṛṣṇas sind die vorherrschenden Gottheiten der zwölf Monate. Bei den Vaiṣṇavas tragen die Monate verschiedene Namen Kṛṣṇas. Ihr Kalender beginnt mit dem Monat Margaṣirṣa, was dem späten Oktober entspricht. Den Monat November nennen die Vaiṣṇavas Keṣava; der Dezember heißt Nārāyaṇa, der Januar Mādhava und der Februar Govinda. März heißt Viṣṇu, April Vāsudeva, Mai Trivikrama und Juni Vāmana; Juli heißt Śrīdhara, August Hṛṣīkeṣa, September Padmanābha, und der Oktober heißt Dāmodara.*

Auch die Zeichen, mit denen die Vaiṣṇavas bestimmte Stellen am Körper markieren, sind mit diesen zwölf Namen des Höchsten Herrn benannt. Das Zeichen auf der Stirn heißt Keṣava, das in der Nabelgegend Nārāyaṇa, das auf der Brust Mādhava, das auf der Kehle Govinda, das auf der rechten Hüfte Viṣṇu, das auf dem unteren Teil des rechten Oberarms Madhusūdana, das auf dem oberen Teil Trivikrama, das auf der linken Hüfte Vāmana, das auf dem unteren Teil des linken Oberarms Śrīdhara, das auf dem oberen Teil Hṛṣīkeṣa, das auf dem Nacken Padmanābha, das auf dem Rückenansatz Dāmodara und das auf dem Scheitel Vāsudeva.

Die vier Formen Vāsudeva, Saṅkarṣaṇa, Pradyumna und Aniruddha erweitern sich auch als vilāsa-murtis. Als solche manifestieren sie sich in acht Formen, und zwar als Puruṣottama, Acyuta, Nṛsiṁha, Janārdana, Hari, Kṛṣṇa, Adhokṣaja und Upendra. Adhokṣaja und Puruṣottama sind die vilāsa-Formen Vāsudevas; Upendra und Acyuta sind die vilāsa-Formen Saṅkarṣaṇas, Nṛsiṁha und Janārdana sind die vilāsa-Formen Pradymnas, und Hari und Kṛṣṇa** sind die beiden vilāsa-Formen Aniruddhas.

* Dieser Dāmodara ist nicht zu verwechseln mit dem Dāmodara aus Vraja. Kṛṣṇa erhielt in Vraja den Namen Dāmodara, weil Seine Mutter Ihn mit Stricken fesselte - die Dāmodara-Form des Oktobers ist jedoch eine andere Manifestation.

** Der hier genannte Kṛṣṇa ist von dem ursprünglichen Kṛṣṇa verschieden.

Diese vierundzwanzig Formen nennt man die vilāsa-Manifestationen der prabhāva-(vierarmigen)Form, und sie tragen je nach der Anordnung der Symbole in Ihren Händen, nämlich der Keule, des Feuerrades, der Lotosblüte und des Muschelhornes, verschiedene Namen. Diese vierundzwanzig Formen teilen sich wieder in vilāsa- und vaibhava-Formen. Die bereits erwähnten Formen wie Pradyumna, Trivikrama, Vāmana, Hari und Kṛṣṇa unterscheiden sich ebenfalls in ihrem Aussehen voneinander. Die prabhāva-vilāsa Kṛṣṇas, die aus Vāsudeva, Saṅkarṣaṇa, Pradyumna und Aniruddha besteht, erweitert sich in insgesamt vierundzwanzig Formen. Sie alle haben im spirituellen Himmel ihre jeweiligen Vaikuṇṭha-Planeten, die in acht verschiedenen Richtungen liegen. Und obwohl sich jede der Formen ewiglich im spirituellen Himmel befindet, manifestieren sich doch einige von ihnen auch in der materiellen Welt.

Im spirituellen Himmel sind die Planeten, auf denen Nārāyaṇa residiert, ewig. Der höchste Planet heißt Kṛṣṇaloka oder Goloka Vṛndāvana, und dieser Planet besteht aus drei Teilen: Vṛndāvana, Mathurā und Dvārakā. In Vṛndāvana weilt Kṛṣṇa in Seiner ursprünglichen, zweiarmigen Gestalt; in Mathurā befindet Er Sich in Seiner Keṣava-Form und in Dvārakā hält Er Sich als Vāsudeva auf. Er ist aber auch auf unserem Erdenplaneten gegenwärtig. In Indien gibt es den Ort Mathurā, wo die Keṣava-murti verehrt wird, und in Jagannātha Purī, in Orissa, hält sich noch heute eine Puruṣottama-Form auf. In Ānandaraṇya weilt die Form Viṣṇus, und in Māyāpūra, dem Geburtsort Śrī Caitanyas, befindet sich die Hari-Form. Und so gibt es an noch vielen anderen Orten der Erde weitere Formen Kṛṣṇas. Sie sind nicht nur in unserem Universum, sondern auch in allen anderen Universen zu finden. In den vedischen Schriften wird erklärt, daß die Erde aus sieben Inseln besteht, und daß sich auf jeder dieser Inseln solche Formen befinden.

Diese unterschiedlichen Formen Kṛṣṇas sind über die ganze Welt und in allen Universen verbreitet, um den Gottgeweihten Freude zu bereiten. Man sollte jedoch nicht meinen, daß nur in Indien Gottgeweihte geboren werden. - Überall auf der Welt gibt es Gottgeweihte, nur haben sie ihre wahre Identität vergessen. Gott erscheint in verschiedenen Formen - nicht nur zur Freude der Gottgeweihten, sondern auch, um die Dämonen zu vernichten und die Prinzipien des hingebungsvollen Dienens wieder einzuführen. Einige dieser Formen sind Inkarnationen wie z. B. die Viṣṇu-, die Nṛsiṁha- und die Vāmana-Inkarnation.

In der Siddharta-saṁhitā findet man eine Beschreibung der vierundzwanzig Formen Viṣṇus, die nach den unterschiedlich angeordneten Symbolen in ihren Händen verschiedene Namen tragen. Wenn man die verschiedenen Symbole in den Händen der Viṣṇu-murtis beschreibt, sollte man mit der Aufzählung bei der unteren rechten Hand beginnen, dann zur oberen rechten Hand gehen, dann zur oberen linken Hand und zuletzt zur linken Hand. Somit wird Vāsudeva durch Keule, Muschelhorn, Feuerrad und Lotos repräsentiert; Saṅkarṣaṇa durch Keule, Muschelhorn, Lotos und Feuerrad; Pradyumna durch Feuerrad, Muschelhorn, Keule und Lotos, und Aniruddha durch Feuerrad, Keule, Muschelhorn und Lotos. Die zwanzig Formen Nārāyaṇas im spirituellen Himmel werden wie folgt aufgezählt: Hṛṣīkeṣa wird durch Muschelhorn, Feuerrad, Lotos und Keule repräsentiert; Nārāyaṇa durch Muschelhorn, Lotos, Keule und Feuerrad; Mādhava durch Keule, Feuerrad, Muschelhorn und Lotos; Govinda durch Feuerrad, Keule, Lotos und Muschelhorn; Viṣṇumurti durch Keule, Lotos, Muschelhorn und Feuerrad; Madhusūdana durch Feuerrad, Muschelhorn, Lotos und Keule; Trivikrama durch Lotos, Keule, Feuerrad und Muschelhorn; Śrīdhara durch Lotos, Feuerrad, Keule und Muschelhorn; Padmanābha durch Muschelhorn, Lotos, Feuerrad und Keule; Dāmodara durch Lotos, Muschelhorn, Keule und Feuerrad; Puruṣottama durch Feuerrad, Lotos, Muschelhorn und Keule; Acyuta durch Keule, Lotos, Feuerrad und Muschelhorn; Nṛsiṁha durch Feuerrad, Lotos, Keule und Muschelhorn; Janārdana durch Lotos, Feuerrad, Muschelhorn und Keule; Hari durch Muschelhorn, Feuerrad, Lotos und Keule; Kṛṣṇa durch Muschelhorn, Keule, Lotos und Feuerrad; Adhokṣaja durch Lotos, Keule, Muschelhorn und Feuerrad, und Upendra durch Muschelhorn, Keule, Feuerrad und Lotos.

Diese Beschreibung ist ein weiterer Beweis dafür, daß Kṛṣṇa der Höchste Ursprüngliche Persönliche Gott ist. - Er wird auch līla-Purusottama genannt, und Er erscheint in Seiner ursprünglichen Form in Vṛndāvana als Sohn Nandas. Aus dem Hayaṣirṣa-pañcarātra erfahren wir, daß die beiden Purīs, Mathurā Purī und Dvārakā Purī, von neun Formen beschützt werden: von den vier Formen Vāsudeva, Saṅkarṣaṇa, Pradyumna und Aniruddha und von Nārāyaṇa, Nṛsiṁha, Hayagrīva, Varāha und Brahmā. Diese sind verschiedene Manifestationen der prakāṣa- und vilāsa-Formen Śrī Kṛṣṇas.

Śrī Caitanya lehrte Sanātana Gosvāmī auch, daß es verschiedene svaṁṣa-Formen gibt: die svaṁṣa-Formen gliedern Sich in die Saṅkarṣaṇa- und die Inkarnations-Erweiterungen. Unter den Saṅkarṣaṇa-Erweiterungen versteht man die drei puruṣāvatāras: Kāraṇodakaṣāyī Viṣṇu, Garbhodakaṣāyī Viṣṇu und Kṣīrodakaṣāyī Viṣṇu. Die anderen Erweiterungen, wie die Inkarnationen des Herrn als Fisch, Schildkröte usw., werden »līlāvatāras« genannt.

Es gibt sechs Arten von Inkarnationen: 1. die puruṣāvatāras, 2. die līlāvatāras, 3. die guṇāvatāras, 4. die manvantarāvatāras, 5. die yugāvatāras und 6. die ṣaktyāveṣāvatāras. Bei den sechs vilāsa-Manifestationen Kṛṣṇas gibt es zwei Arten, die nach Alter gegliedert sind. Sie heißen »balya« und »paugaṇḍa«. Die ursprüngliche Form Kṛṣṇa als Sohn Nandas genießt die transzendentalen Spiele in den beiden Kindheitsformen balya und paugaṇḍa.

Diese Beschreibungen deuten darauf hin, daß die Erweiterungen und Inkarnationen Kṛṣṇas kein Ende haben. Śrī Caitanya beschrieb Sanātana nur einige wenige, um ihm eine Vorstellung zu geben, wie der Herr Sich erweitert und auf welche Weise Er Sich der Dinge erfreut. Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam im 3. Kapitel des Ersten Cantos bestätigt. Dort wird gesagt, daß der Strom der Inkarnationen des Höchsten Herrn, gleich den Wellen des Ozeans, ohne Ende ist.

Kṛṣṇas erste Inkarnationen sind, wie im Śāṣvata Tantra bestätigt wird, die drei puruṣāvatāras Kāraṇodakaṣāyī Viṣṇu* , Garbhodakaṣāyī Viṣṇu und Kṣirodakaṣāyī Viṣṇu. Kṛṣṇas Energien sind ebenfalls dreifach unterteilt: in die Energie des Denkens, die Energie des Fühlens und die Energie des Handelns. Als der Höchste kontrolliert Er die Energie des Denkens, als Vāsudeva kontrolliert Er die Energie des Fühlens, und als Saṅkarṣaṇa bzw. Balarāma kontrolliert Er die Energie des Handelns. Ohne Denken, Fühlen und Wollen bzw. Handeln wäre die Schöpfung nicht möglich. Sowohl. die spirituelle als auch die materielle Welt sind Manifestationen von Kṛṣṇas Energie des Handelns, die durch Saṅkarṣaṇa bzw. Balarāma repräsentiert wird.

Die spirituelle Welt mit den Vaikuṇṭha-Planeten und Kṛṣṇaloka befindet sich in der Denk-Energie des Höchsten. Obwohl man bei der Schöpfung der ewigen spirituellen Welt eigentlich nicht von einer Schöpfung sprechen kann, existiert die transzendentale Welt in der Denk-Energie des Höchsten Herrn. Diese Denk-Energie wird in der Brahma-saṁhitā im 2. Vers des 5. Kapitels beschrieben. Dort wird gesagt, daß das höchste Reich, Goloka, die Form einer Lotosblume mit Hunderten von Blütenblättern hat. Alles wird durch die Ananta- bzw. Balarāma- bzw. Saṅkarṣaṇa-Form manifestiert. Die materielle kosmische Manifestation und die verschiedenen Universen werden zwar von māyā, der materiellen Energie manifestiert; doch die materielle Natur ist nicht der Ursprung der kosmischen Manifestation. Diese wird vielmehr ursprünglich von den Erweiterungen des Höchsten Herrn mit Hilfe der materiellen Natur geschaffen. Ohne die Oberaufsicht des Höchsten Herrn kann keine Schöpfung stattfinden.

Die Form, welche die materielle Energie lenkt, so daß diese die Schöpfung manifestiert, heißt Saṅkarṣaṇa. Wir verstehen, daß die kosmische Manifestation unter der Kontrolle der Energie des Höchsten Herrn erschaffen wird.

Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 46. Kapitel des Zehnten Cantos gesagt, daß Balarāma und Kṛṣṇa der Ursprung aller Lebewesen sind. Diese beiden Persönlichkeiten sind allgegenwärtig. Im 3. Kapitel des Ersten Cantos ist folgende Liste von Inkarnationen aufgeführt: 1. die vier Kumāras, 2. Varāha, 3. Devarṣi Nārada, 4. Nara Nārāyaṇa, 5. Kapila, 6. Dattātreya, 7. Yajña, 8. Ṛṣabha, 9. Pṛthu, 10. Matsya, 11. Kurma, 12. Dhanvantari, 13. Mohinī, 14. Nṛsiṁha, 15. Vāmana, 16. Bhṛgupati, 17. Vyāsadeva, 18. Rāmacandra, 19. Balarāma, 20. Kṛṣṇa, 21. Buddha, 22. Kalki. Fast alle dieser 22 līlāvatāras erscheinen an einem Tag Brahmās. Einen solchen Tag nennt man »kalpa«, und deshalb werden diese Inkarnationen auch »kalpāvatāras« genannt. Im Gegensatz zur Inkarnation Mohinī sind Kapila, Dattātreya, Ṛṣabha, Dhanvantari und Vyāsadeva ewig und daher berühmter als die anderen. Die Inkarnationen Matsya, Kurma, Nara Nārāyaṇa, Varāha, und Baladeva sind Inkarnationen der vaibhava-Form. Auch gibt es drei Inkarnationen der Erscheinungsweisen der materiellen Natur: Viṣṇu, Brahmā* und Śiva. Außerdem gibt es noch vierzehn manvantarāvatāras: 1. Yajña, 2. Vibhu, 3. Satyasena, 4. Hari, 5. Vaikuṇṭha, 6. Ajita, 7. Vāmana, B. Sārvabhauma, 9. Ṛṣabha, 10. Viṣvakṣena, 11. Dharmaṣetu, 12. Sudhāma, 13. Yogeṣvara und 14. Bṛhadbhānu. Von diesen manvantara-Inkarnationen sind Yajña und Vāmana auch līlāvatāras. Die übrigen sind manvantarāvatāras der spielerischen Freude; sie werden auch bhaivāvatāras genannt.

* auch Mahā-Viṣṇu
* Manchmal erscheint der Herr Selbst als Brahmā.

Auch die vier yugāvatāras werden im Śrīmad-Bhāgavatam beschrieben: im Satya-yuga erscheint die Inkarnation Gottes mit weißer Hautfarbe; im Tretā-yuga ist sie rot, im Dvāpara-yuga schwarz und im Kali-yuga ebenfalls schwarz; nur manchmal, in einem besonderen Kali-yuga, erscheint der Höchste in einer goldenen Farbe. Zu den ṣaktyāveṣāvatāras gehören Kapila, Ṛṣabha, Ananta, Brahmā, Satyasena, die Inkarnation des Wissens, Nārada, die Inkarnation der dienenden Hingabe, König Pṛthu, die Inkarnation der Regierungsmacht und Ṛṣabha, die Inkarnation, die die üblen Prinzipien beseitigt.

8. KAPITEL

Caitanya

Die Avatāras

Śrī Caitanya erklärte weiter, daß die Erweiterungen Kṛṣṇas, die in der materiellen Schöpfung erscheinen, »avatāras« oder »Inkarnationen« genannt werden. Unter einem avatāra versteht man eine Inkarnation Gottes, die vom spirituellen Himmel herabsteigt. Im spirituellen Himmel gibt es unzählige Vaikuṇṭha-Planeten, und von diesen Planeten kommen die Erweiterungen des Höchsten Persönlichen Gottes zu uns herunter. Deshalb nennt man sie »avatāras«. »Avatāra« bedeutet wörtlich »herabsteigen«.

Aus der Saṅkarṣaṇa-Erweiterung des Höchsten Persönlichen Gottes geht zunächst die erste Puruṣa-Inkarnation hervor. Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam sowohl im 3. als auch im 6. Kapitel des Ersten Cantos bestätigt. Dort wird gesagt, daß der Höchste Persönliche Gott als die erste Puruṣa-Inkarnation, Mahā-Viṣṇu, erscheint, um die materielle Welt zu erschaffen, und daß Er sofort sechzehn elementare Energien manifestiert. Mahā-Viṣṇu beherrscht die Zeit, die Natur, Ursache und Wirkung, den Verstand, das falsche Ich, die fünf Elemente, die drei Erscheinungsweisen der Natur, die Sinne und die universale Form. Er ist völlig unabhängig und der Herr alles Sich-Bewegenden und Sich-Nichtbewegenden in der materiellen Welt.

Wie im Śrīmad-Bhāgavatam im 9. Kapitel des Zweiten Cantos bestätigt wird, reicht der Einfluß der materiellen Natur nicht über den viroja, den Ozean der Ursachen, hinaus. Das bedeutet, daß der Einfluß der Erscheinungsweisen der materiellen Natur nicht auf den Vaikuṇṭha-Planeten existiert. Es gibt dort weder Reinheit noch Leidenschaft, noch Unwissenheit, und auch die materielle Zeit hat dort keinen Einfluß. Auf diesen Planeten leben die ewigen und befreiten Gefährten Kṛṣṇas, und sowohl die Halbgötter als auch die Dämonen verehren sie.

Die materielle Natur hat zwei Aspekte: māyā und pradhāṇa. Māyā ist die direkte Ursache, und pradhāna sind die Elemente der materiellen Manifestationen. Wenn der erste puruṣāvatāra, Mahā-Viṣṇu, Seinen Blick über die materielle Natur wirft, wird die gesamte Materie mit Lebewesen befruchtet, worauf sie sich augenblicklich in Bewegung setzt. Durch Seinen Blick wird ebenfalls das Bewußtsein geschaffen, das auch als mahat-tattva bekannt ist. Die vorherrschende Gottheit des mahat-tattva ist Vāsudeva. Das Bewußtsein teilt sich dann in die drei guṇas, die Erscheinungsweisen der materiellen Natur. Aniruddha kontrolliert das Bewußtsein in der Erscheinungsweise der Reinheit. Das Bewußtsein in der Erscheinungsweise der Leidenschaft bringt Intelligenz hervor und wird von Pradyumna kontrolliert. Er ist auch der Herr der Sinne. Das Bewußtsein in der Erscheinungsweise der Unwissenheit ist die Ursache für die Entstehung des Äthers (des Himmels) und des Hörorgans (des Ohrs). Die kosmische Manifestation ist eine Kombination all dieser Elemente.

Wie unzählige Atome durch die Maschen eines Fliegennetzes schweben, so gehen aus den Poren Mahā-Viṣṇus zahllose Universen hervor. Wenn Er ausatmet, entstehen unzählige Universen, die wieder vernichtet werden, wenn Er einatmet. All Seine Energien sind spirituell - sie haben nichts mit der materiellen Energie zu tun. In der Brahma-saṁhitā wird diese Tatsache im 54. Vers des 5. Kapitels bestätigt. Es heißt dort, daß die vorherrschende Gottheit jedes Universums, Brahmā, so lange lebt, wie Mahā-Viṣṇu ausatmet. Mahā-Viṣṇu ist die ursprüngliche Überseele aller Universen und gleichzeitig der Herr aller Universen.

Die zweite Viṣṇu-Inkarnation, Garbhodakaṣāyī-Viṣṇu, geht in jedes Universum ein und legt Sich auf dem Garbhodaka-Ozean nieder. Aus Seinem Nabel wächst der Stengel einer Lotosblume, auf der Brahmā, das erste Geschöpf, geboren wird. Im Innern des Stengels befinden sich die vierzehn, von Brahmā geschaffenen Planetensysteme.

In jedem Universum weilt Viṣṇu als Erhalter und sorgt für alles Notwendige, und obwohl Er Sich innerhalb des Universums befindet, wird Er nicht vom Einfluß der materiellen Energie berührt. Derselbe Viṣṇu nimmt, wenn die Zeit gekommen ist, die Form Śivas an und vernichtet die kosmische Schöpfung. Diese drei sekundären Inkarnationen, nämlich Brahmā, Viṣṇu und Śiva, sind die vorherrschenden Gottheiten der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur.

Garbhodakaṣāyī Viṣṇu wird auch als die Hiraṇyagarbha-Überseele verehrt, die, wie in den vedischen Hymnen beschrieben wird, Tausende von Köpfen hat. Diese zweite Inkarnation ist der Herr des Universums, und obwohl Er Sich in der materiellen Schöpfung befindet, wird Er doch nicht von ihr beeinflußt.

Die dritte Erweiterung Viṣṇus ist, wie die beiden anderen, eine Inkarnation der Erscheinungsweise der Reinheit. Als Kṣīrodakaṣāyī Viṣṇu ist Er die Überseele aller Lebewesen, und Er residiert auf einem Ozean aus Milch auf Śvetadvīpa, einem spirituellen Planeten in unserem Universum. So beschrieb Śrī Caitanya die puruṣāvatāras. Anschließend ging Er zu den līlāvatāras über, von denen es so viele gibt, daß Er sie unmöglich alle behandeln, sondern nur einige beschreiben konnte wie Matsya, Kurma, Raghunātha, Nṛsiṁha, Vāmana und Varāha.

Das nun Folgende ist eine Beschreibung der qualitativen Inkarnationen Viṣṇus, der guṇāvatāras: Brahmā gehört zwar zu den bedingten Lebewesen, doch er ist sehr mächtig, da er für Kṛṣṇa einen sehr wichtigen Dienst versieht. Ein Lebewesen, das dem Höchsten Herrn in reiner Hingabe dient, kann durch den Einfluß der Erscheinungsweise der Leidenschaft zu Brahmā werden. Brahmā wird direkt von Garbhodakaṣāyī Viṣṇu ermächtigt, und deshalb hat er die Fähigkeit, die zahllosen Manifestationen im Universum zu erschaffen. Eine Beschreibung Brahmās findet sich in der Brahma-saṁhitā im 50. Vers des 5. Kapitels. Dort wird Brahmā mit einem Edelstein verglichen, der erst durch die sich in ihm brechenden Sonnenstrahlen funkelt, und Garbhodakaṣāyī Viṣṇu wird mit der Sonne verglichen. Wenn es in einem kalpa einmal kein Lebewesen gibt, das sich für den Posten des Brahmā eignet, manifestiert Sich Garbhodakaṣāyī Viṣṇu Selbst als Brahmā.

Als Śiva erweitert Er Sich, wenn die Zeit gekommen ist, das brahmānda*zu vernichten. Śiva, der ständig von māyā begleitet wird, hat elf Formen. Er ist kein gewöhnliches Lebewesen, sondern vielmehr in gewisser Weise Kṛṣṇa Selbst. Zur Veranschaulichung dient das Beispiel des Unterschieds zwischen Milch und Yoghurt. Yoghurt ist zwar ein Milchprodukt, kann aber nicht wie Milch benutzt werden. Ebenso ist Śiva zwar eine Erweiterung Kṛṣṇas, aber er kann nicht an Kṛṣṇas Statt handeln, und wir können von Śiva auch nicht die spirituelle Wiederbelebung erhalten, die Kṛṣṇa uns gibt. Der grundlegende Unterschied besteht darin, daß Śiva mit der materiellen Natur verbunden ist, wohingegen Viṣṇu mit der materiellen Natur nicht das geringste zu tun hat. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 18. Kapitel des Zehnten Cantos gesagt, daß Śiva eine Verbindung der drei Arten des transformierten Bewußtseins ist, d. h. daß er aus baikrik, taijsa und tamasa besteht. Die Viṣṇu-Inkarnation wird in keiner Weise von den Erscheinungsweisen der materiellen Natur beeinflußt, obwohl Er der Herr der Erscheinungsweise der Reinheit in jedem Universum ist. Viṣṇu ist im Grunde nicht verschieden von Kṛṣṇa, doch ist Kṛṣṇa der eigentliche Ursprung. In den Veden wird gesagt, daß Viṣṇu das Teil und Kṛṣṇa das Ganze ist. Die Brahma-saṁhitā gibt das Beispiel der ursprünglichen Kerze, an der eine zweite entzündet wird: Obwohl beide Kerzen die gleiche Lichtstärke haben, ist doch eine die ursprüngliche. Ebenso verhält es sich auch mit Viṣṇu. Er ist zwar ebenso mächtig wie Kṛṣṇa, doch ist Kṛṣṇa der ursprüngliche Viṣṇu. Brahmā und Śiva sind also gehorsame Diener des Höchsten Herrn, und Viṣṇu ist eine Erweiterung Kṛṣṇas.

* Das Universum

Nachdem Śrī Caitanya die līlāvatāras und guṇāvatāras beschrieben hatte, erklärte Er Sanātana Gosvāmī die manvantarāvatāras, von denen es ebenfalls unzählige gibt. In einem kalpa, d. h. an einem Tag Brahmās, der nach unserer Zeitrechnung 432 000 000 Jahre dauert, erscheinen 14 Manus. Brahmā lebt 100 Jahre. Wenn also an einem seiner Tage 14 Manus erscheinen, dann gibt es in einem Monat 420 Manus und in einem Jahr 5040. Da Brahmā 100 Jahre lang lebt, erscheinen während seines Lebens insgesamt 504 000 Manus. Es gibt unzählige Universen, und deshalb ist es unmöglich zu bestimmen, wie viele Manus es insgesamt gibt.

Jeder Manu trägt einen anderen Namen. Der erste Manu heißt Svāyambhuva; er ist Brahmās Sohn. Der zweite Manu heißt Svārociṣa; er ist der Sohn des Feuergottes. Der dritte Manu heißt Uttama; er ist der Sohn von König Priyābratha. Der vierte Manu heißt Tāmasa; er ist Uttamas Bruder. Der fünfte Manu heißt Raivata; er ist Tāmasas Bruder. Der sechste Manu ist ebenfalls ein Bruder von Tāmasa; er heißt Cākṣuṣa und ist der Sohn von Cākṣu. Der siebte Manu heißt Vaivaṣvata; er ist der Sohn des Sonnengottes und wurde von dessen Frau Cakya geboren. Der achte Manu heißt Sāvarṇi. Der neunte Manu heißt Dakṣa-sāvarṇi; er ist der Sohn von Varuṇa. Der zehnte Manu heißt Brahmā-sāvarṇi; er ist der Sohn von Upṣloka. Vier weitere Manus tragen die Namen Dharma-sāvarṇi, Rudra-sāvarṇi, Deva-sāvarṇi und Indra-sāvarṇi; sie alle sind Söhne Śivas.

Nach der Beschreibung der Manu-Inkarnationen kam der Herr zu den yugāvatāras. Er sagte zu Sanātana: »Es gibt vier yugas oder Zeitalter. Das erste yuga heißt Satya, das zweite Tretā, das dritte Dvāpara und das vierte Kali. In jedem Zeitalter erscheint der Herr in einer anderen Inkarnation, die eine besondere Hautfarbe hat. Im Satya-yūga ist die Hautfarbe der wichtigsten Inkarnation weiß, im Tretā-yuga rot, im Dvāpara-yuga schwarz (Kṛṣṇa), und im Kali-yuga golden (Śrī Caitanya). Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam im 8. Kapitel des Zehnten Cantos von Gargamuni bestätigt, als er im Hause von Nanda Mahārāja Kṛṣṇas Horoskop erstellte.

Im Satya-yuga ist Meditation der Weg zur Selbstverwirklichung, und diese Methode wurde von der weißen Inkarnation Gottes gelehrt. Diese Inkarnation gab dem Weisen Kardama die Segnung, eine Inkarnation des Persönlichen Gottes als Sohn zu bekommen. Im Satya-yuga meditierte jeder über Kṛṣṇa, und jedes Lebewesen besaß vollkommenes Wissen. Leider versuchen weniger intelligente Menschen, solche Meditationen, die für das gegenwärtige Zeitalter nicht empfohlen sind, auch heute noch zu praktizieren. Der Pfad zur Selbstverwirklichung im Tretā-yuga ist die Darbietung großer Opferungen, und dies wird von der roten Inkarnation Gottes gelehrt. Im Dvāpara-yuga erscheint Kṛṣṇa mit einer schwarzen Hautfarbe in Seiner ursprünglichen Form und bewegt die Menschen dazu, Ihn zu verehren, wie Er es in der Bhagavad-gītā lehrt. Auch im Śrīmad-Bhāgavatam, im 5. Kapitel des Elften Cantos, wird gesagt, daß Kṛṣṇa verehrt werden muß: Om namo bhagavate vāsudevāya. »Ich bringe dem Höchsten Persönlichen Gott, Vāsudeva, Kṛṣṇa, meine demütigen Ehrerbietungen dar.« Die Menschen im Dvāpara-yuga benutzen gewöhnlich diese Hymne, um den Höchsten Herrn, Kṛṣṇa, zu verehren.

Das nächste Zeitalter ist das Kali-yuga, in dem wir jetzt gerade leben. In diesem Zeitalter lehrt eine Inkarnation des Herrn das Chanten der heiligen Namen Kṛṣṇas. Der Herr erscheint mit goldener Hautfarbe und lehrt die Menschen, Liebe zu Gott durch das Chanten des Namens »Kṛṣṇa« zu erlangen. Kṛṣṇa Selbst verbreitet die Lehre, indem Er chantet, singt und tanzt, während Ihm Tausende von Menschen folgen. Diese besondere Inkarnation des Höchsten Persönlichen Gottes wird im 5. Kapitel des Elften Cantos des Śrīmad-Bhāgavatam vorausgesagt; dort heißt es, daß Sich der Herr im Kali-yuga als ein Gottgeweihter inkarniert, der ständig »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare / Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« chantet. Aber, so wird dort gesagt, Seine Hautfarbe ist nicht wie die von Kṛṣṇa im Dvāpara-yuga. Er predigt Liebe zu Gott durch die saṇkīrtana-Bewegung, und jeder Kluge nimmt diesen Vorgang an zu seiner Selbstverwirklichung. Im Śrīmad-Bhāgavatam, im 3. Kapitel des Zwölften Cantos, wird ebenfalls gesagt, daß die Selbstverwirklichung, die im Satya-yuga durch Meditation, im Tretā-yuga durch die Ausführung gewisser Opferungen und im Dvāpara-yuga durch die Verehrung Śrī Kṛṣṇas im Tempel erreicht werden konnte, im Kali-yuga einfach durch das Chanten der heiligen Namen - Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare / Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare - möglich wird. Im Viṣṇu Purāṇa finden wir das gleiche bestätigt: »Im Zeitalter des Kali haben Meditation, Opferdarbringung oder Tempelverehrung keinen Sinn mehr; doch kann man vollkommene Selbsterkenntnis erlangen, indem man einfach Kṛṣṇas heiligen Namen chantet - Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare / Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare.«

Als Śrī Caitanya die Inkarnation des Kali-yugas beschrieb, fragte Ihn Sanātana Gosvāmī, der als ehemaliger Minister darin geübt war, die logischen Schlußfolgerungen zu ziehen: »Woran kann man eine Inkarnation erkennen?« Er hatte erkannt, daß Śrī Caitanya, der genau der Beschreibung in den Schriften entsprach, die Inkarnation Kṛṣṇas für das Kali-yuga war, und er wußte auch, daß es in der Zukunft viele falsche Inkarnationen geben werde, die Śrī Caitanya imitieren würden; denn dieser spielte die Rolle eines gewöhnlichen brāhmaṇa, obwohl Seine Geweihten Ihn als Inkarnation erkannten. Sanātana ahnte, daß viele Betrüger kommen würden, und so fragte er den Herrn nach den besonderen Merkmalen einer Inkarnation.

Der Herr antwortete ihm: »Man kann die Inkarnation der verschiedenen Zeitalter anhand der Informationen aus den vedischen Schriften erkennen, und so kann man auch erfahren, wer im gegenwärtigen Zeitalter des Kali die wahre Inkarnation Gottes ist.«

Śrī Caitanya legte besonderes Gewicht darauf, daß man die autoritativen Schriften zu Rate ziehe. Man sollte die Merkmale einer Inkarnation mit den Angaben in den Schriften vergleichen, und nicht nach eigenem Gutdünken jemanden als Inkarnation anerkennen oder ablehnen. Eine Inkarnation des Höchsten Herrn behauptet niemals von sich selbst, eine Inkarnation zu sein. Es ist den Gottgeweihten überlassen festzustellen, wer eine Inkarnation und wer ein Heuchler ist, und dazu sollten sie die maßgeblichen Schriften zu Rate ziehen.

Bei der Beschreibung einer echten Inkarnation gibt es zwei Aspekte: Die Persönlichkeit und die körperlichen Merkmale sind die Hauptaspekte, und die Aktivitäten bilden den Nebenaspekt. Anhand dieser beiden Merkmale kann jeder intelligente Mensch den wirklichen avatāra erkennen. In den Schriften wird außer den körperlichen Merkmalen auch die spirituelle Handlungsweise beschrieben. Am Anfang des Śrīmad-Bhāgavatam werden die Gesichtspunkte zur Identifizierung Kṛṣṇas im 1. Vers des Ersten Cantos sehr genau gegeben. Es tauchen in diesem Vers die zwei Begriffe - »param« und »satyam« - auf, die, wie Śrī Caitanya erklärte, Kṛṣṇa in Seinem Hauptaspekt darstellen. Nebenaspekte sind, daß Er Brahmā das vedische Wissen lehrte, und daß Er Sich als puruṣāvatāra inkarnierte, um die kosmische Manifestation zu erschaffen. Dies sind gelegentliche, zweckbedingte Aspekte.

Man sollte versuchen, die Haupt- und Nebengesichtspunkte eines avatāras zu verstehen und voneinander zu unterscheiden. Wer diesen beiden Gesichtspunkten nicht gerecht wird, kann nicht als Inkarnation anerkannt werden, und deshalb wird ein intelligenter Mensch jede Inkarnation genau überprüfen, bevor er einen Betrüger akzeptiert. Sanātana Gosvāmī wollte beweisen, daß Śrī Caitanya die Inkarnation für dieses Zeitalter ist, doch der Herr gab Sich nur indirekt zu erkennen; Er sagte: »Laß uns über etwas anderes sprechen und mit der Beschreibung des ṣaktyāveṣāvatāras fortfahren.«

Er erklärte also: »Es ist nicht möglich, die ṣaktyāveṣāvatāras zu zählen, doch Ich will einige als Beispiel anführen, um so ihr Wesen zu erläutern. Es gibt zwei Arten von ṣaktyāveṣa-Inkarnationen: die direkten und die indirekten. Wenn der Herr Selbst kommt, wird Er »direkte Inkarnation« oder »ṣaktyāveṣāvatāra« genannt, und wenn Er ein Lebewesen ermächtigt, Ihn zu repräsentieren, nennt man dieses »aveṣāvatāra«, d. h. »indirekte Inkarnation« oder »besonders ermächtigtes Lebewesen«.

Beispiele für aveṣāvatāras sind die vier Kumāras, Nārada, Pṛthu und Paraṣurāma. Ein Beispiel für einen direkten avatāra oder ṣaktyāveṣāvatāra ist die Śeṣa- bzw. Ananta-Inkarnation.

Wenn ein Wesen mit einer bestimmten Eigenschaft oder Fähigkeit des Höchsten Herrn versehen ist, nennt man es aveṣāvatāra. Die vier Kumāras z. B. repräsentieren das Wissen des Höchsten und Nārada die dienende Hingabe an den Höchsten Herrn. Die dienende Hingabe zeigt sich auch in Śrī Caitanya, der als die vollkommene Verkörperung des hingebungsvollen Dienens gilt. In Brahmā ist die Fähigkeit der Schöpfungskraft manifestiert, in Ananta die Macht, alle Planeten zu erhalten, in der Śeṣa-Inkarnation die Kraft, dem Höchsten Herrn zu dienen, in König Pṛthu die Macht, die Lebewesen zu erhalten, und in Paraṣurāma die Macht, die üblen Elemente zu vernichten. Im Zehnten Kapitel der Bhagavad-gītā wird die vibhuti, die besondere Gunst des Höchsten Persönlichen Gottes, beschrieben, und es heißt dort, man solle wissen, daß jedes Lebewesen, das besonders mächtig oder schön erscheint, vom Höchsten Herrn besonders begünstigt ist.

Nachdem Śrī Caitanya die Beschreibung der ṣaktyāveṣa-Inkarnationen beendet hatte, begann Er, über die Jugendlichkeit des Höchsten Herrn zu sprechen. Er sagte: »Śrī Kṛṣṇa sieht immer aus wie ein sechzehnjähriger Knabe, und wenn Er in der materiellen Welt zu erscheinen wünscht, sendet Er zuerst Seine Geweihten als Seinen Vater und Seine Mutter, und erscheint dann als Inkarnation oder kommt persönlich. All Seine nie endenden transzendentalen Spiele, angefangen mit der Vernichtung des Pūtanā-Dämonen, werden in unzähligen Universen offenbart. In jedem Augenblick, in jeder Sekunde, sind Seine verschiedenen Spiele in einem brahmānda zu sehen. Seine transzendentalen Spiele sind wie die Wellen des Ganges, die ohne Ende fließen.« Weil die meisten Menschen nicht verstehen können, wie Kṛṣṇa Seine Spiele ausführt, gab Śrī Caitanya auch das Beispiel der Sonne. Ähnlich wie die Sonne in jeder Sekunde an einem anderen Ort aufgeht, finden die Spiele Kṛṣṇa fortwährend in einem anderen Universum statt.

Śrī Kṛṣṇa blieb 125 Jahre in diesem Universum, und alle Seine Spiele, die während dieser Periode stattfanden, wie Sein Erscheinen, die Spiele Seiner Knabenzeit und Jugend, Seine späteren Taten, bis hin zu den Spielen in Dvārakā, offenbart Er auch in anderen Universen. Sie finden fortwährend in einem der Myriaden von brahmāndas statt und werden deshalb »ewig« genannt. Mit anderen Worten: Wie die Sonne ständig irgendwo am Himmel steht und wir sie je nach unserer Position auf- oder untergehen sehen, so finden auch die Spiele des Herrn fortwährend statt. In unserem Universum können wir Kṛṣṇas Spiele jedoch nur in gewissen Zeitabständen sehen. Wie bereits beschrieben ist Seine Heimat der höchste Planet, Goloka Vṛndāvana, und da Kṛṣṇa absolut ist, ist Seine Umgebung, Sein Name, Sein Ruhm usw. nicht von Ihm verschieden. Und nach Kṛṣṇas Willen wird dieses Goloka Vṛndāvana auch in den materiellen Universen manifestiert.

Obwohl der Herr immer in Seinem höchsten Reich, Goloka Vṛndāvana, weilt, zeigt Er doch in Seiner grundlosen Barmherzigkeit auch in den unzähligen materiellen Universen Seine Spiele. Für dieses Erscheinen sucht sich Kṛṣṇa ganz bestimmte Orte aus und entfaltet dort Seine sechs transzendentalen Füllen.

9. KAPITEL

Caitanya

Die unermeßlichen Füllen Kṛṣṇas

Śrī Caitanya ist ganz besonders barmherzig zu den unschuldigen, einfachen Menschen und wird deshalb auch »Patita-pavana« genannt, »der Erlöser der gefallensten bedingten Seelen«. Auch jemand, der sehr tief gefallen ist, kann in der spirituellen Wissenschaft Fortschritte machen, wenn er unschuldig ist. Sanātana Gosvāmī hatte sein Ansehen in der Gesellschaft verloren, weil er im Dienste der mohammedanischen Regierung stand, und war deshalb aus der brāhmaṇa-Gemeinschaft ausgeschlossen worden. Aber weil er eine ernsthafte Seele war, segnete ihn Śrī Caitanya mit Seiner besonderen Gnade und schenkte ihm einen wahren Schatz an Informationen über die spirituelle Wissenschaft.

Als nächstes erklärte der Herr die Lage der verschiedenen Planeten im spirituellen Himmel, die Vaikuṇṭha-Planeten genannt werden. Die Planeten und Universen der materiellen Schöpfung haben eine begrenzte Größe; die Vaikuṇṭha-Planeten jedoch sind nicht begrenzt, denn sie sind spirituell. Śrī Caitanya lehrte Sanātana Gosvāmī, daß der Durchmesser jedes einzelnen Vaikuṇṭha-Planeten Millionen und Abermillionen Meilen beträgt. Jeder Planet dehnt sich unbegrenzt aus, und auf jedem leben Wesen, die alle sechs transzendentalen Füllen - Reichtum, Stärke, Wissen, Schönheit, Ruhm und Entsagung - in Vollkommenheit besitzen. Auf jedem dieser transzendentalen Himmelskörper ist der Höchste Persönliche Gott in einem anderen Aspekt gegenwärtig, doch die ursprüngliche ewige Heimat Kṛṣṇas ist der Planet Kṛṣṇaloka, Goloka Vṛndāvana.

Wir wissen von unserem Universum, daß selbst der größte Planet nur einen winzigen Teil des Alls einnimmt. Die Sonne z. B. soll viele Tausende Male größer sein als die Erde, und doch ist sie, im Verhältnis zum ganzen Weltall, nur wie ein Staubkorn. Auch jeder der Vaikuṇṭha-Planeten nimmt, obwohl unbegrenzt groß, nur einen winzigen Fleck am spirituellen Himmel, dem brahmajyoti, ein. In der Brahma-saṁhitā wird dieses brahmajyoti als »niṣklānantaṣeṣa« beschrieben, als »ungeteilt und unbegrenzt und nicht berührt von den Erscheinungsweisen der materiellen Natur«. Die Vaikuṇṭhas sind wie die Blütenblätter einer Lotosblume, und das Zentrum dieses Lotos ist Kṛṣṇaloka, Goloka Vṛndāvana.

Kṛṣṇa hat Sich im transzendentalen Himmel in unzählige Formen erweitert, die auf den spirituellen Planeten residieren. Selbst Halbgötter wie Brahmā oder Śiva sehen sich außerstande, die Anzahl oder Größe dieser Planeten auch nur annähernd zu schätzen. Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam im 14. Kapitel des Zehnten Cantos bestätigt, wo es heißt: »Niemand kann die Größe der Vaikuṇṭha-Planeten ermessen.« Dort wird auch gesagt, daß es nicht nur für Halbgötter wie Brahmā und Śiva unmöglich ist, die Größe der Vaikuṇṭhalokas zu bestimmen, sondern daß nicht einmal Ananta, die Inkarnation des Herrn in Seinem Aspekt der Stärke, die Macht des Herrn und das Ausmaß der verschiedenen Vaikuṇṭha-Planeten beschreiben kann. Die Gebete Brahmās im 14. Kapitel des Zehnten Cantos besagen das gleiche; dort bekennt Brahmā: »O mein lieber Herr, o Höchster Persönlicher Gott, o Überseele, o Meister aller mystischen Kräfte, niemand kann verstehen, wie Du Dich durch Deine unbegreifliche yoga-māyā Energie erweiterst, die sich über die drei Welten* erstreckt. Die Wissenschaftler und Gelehrten können nicht einmal die Struktur eines einzigen Planeten ermessen. Sie mögen in der Lage sein, die Schneeflocken zu zählen, die vom Himmel fallen, oder gar die Sterne, die am Himmel stehen, doch sie werden niemals verstehen, auf welche Weise Du mit Deinen unzähligen transzendentalen Kräften, Energien und Eigenschaften in diesem Universum erscheinst.«

* Im Universum befinden sich drei Planetensysteme, das untere, mittlere und obere Planetensystem, die auch »die drei Welten« genannt werden.

Brahmā teilte Nārada einst mit: » Keiner der großen Weisen, die vor dir geboren wurden, geschweige denn ich selbst, kann die potentielle Macht und Energie des Höchsten Herrn begreifen. Nicht einmal Ananta, der Tausende von Zungen hat, ist dazu imstande.« Deshalb betete Brahmā: » Herr, Du bist unbegrenzt, und niemand hat je Deine Kräfte ermessen können. Ich glaube, daß selbst Du, o Herr, das Ausmaß Deiner potentiellen Energien nicht kennst, mit denen Du die unzähligen Planeten wie Staubteilchen im Weltall schweben läßt. Die großen vedischen Gelehrten, die nach Dir forschen und zu Beginn glauben, alles sei von Dir verschieden, gelangen schließlich zu der Erkenntnis, daß Du alles bist.«

Als Śrī Kṛṣṇa in diesem Universum erschien, spielte Brahmā Ihm einmal einen Streich, um zu beweisen, daß der kleine Kuhhirte in Vṛndāvana tatsächlich Kṛṣṇa sei. Er stahl alle Kälber und alle Freunde Kṛṣṇas und versteckte sie; doch als er dann nach einer Weile zurückkehrte, um zu sehen, was Kṛṣṇa nun tun würde, sah er, daß Kṛṣṇa immer noch mit denselben Kälbern und Hirtenjungen spielte - Er hatte Sich durch Seine Vaikuṇṭha-Kraft in all die gestohlenen Kälber und Jungen erweitert. Brahmā sah Millionen und Abermillionen Kälber und Hirtenjungen, und er erblickte auch Millionen und Abermillionen Früchte, Lotosblumen, Hirtenstäbe und Hörner. Alle Hirtenjungen waren mit kostbaren Kleidern, Halsketten und Armreifen geschmückt, und niemand konnte ihre genaue Anzahl bestimmen. Dann bemerkte Brahmā plötzlich, wie jeder der Jungen zu einem vierarmigen Nārāyaṇa wurde, zur direkten Viṣṇu-Expansion Kṛṣṇas, und er sah auch, daß unzählige Brahmās aus dem Körper Kṛṣṇas hervorgingen, Ihm ihre Ehrerbietungen erwiesen und in Sekundenschnelle wieder in Ihn zurückkehrten.

Über dieses außergewöhnliche Schauspiel von Staunen überwältigt, betete Brahmā: »Mein lieber Herr, manche Menschen behaupten von sich, Dich zu kennen; doch was mich betrifft, so muß ich gestehen, daß ich nicht das geringste von Dir weiß. Die Kräfte und Fähigkeiten, die Du soeben gezeigt hast, übersteigen die Reichweite meines Geistes und meiner Intelligenz.«

Śrī Caitanya erklärte als nächstes, daß nicht nur Kṛṣṇaloka, sondern auch Kṛṣṇas Reich auf diesem Planeten, Vṛndāvana, unermeßlich ist. Die Größe von Vṛndāvana wird in den Schriften auf 50 km² veranschlagt, und obwohl Vṛndāvana in Indien tatsächlich nur 50 km² groß ist, existieren doch in irgendeinem Teil von Vṛndāvana alle Vaikuṇṭha-Planeten. Die Umgebung des gegenwärtigen Vṛndāvana besteht aus zwölf Wäldern, die eine Fläche von ca. 270 km² bedecken.

Der Herr betonte hiernach noch einmal, daß Kṛṣṇas Fähigkeiten und transzendentalen Füllen unbegrenzt seien. Er beschrieb Sanātana Gosvāmī nur einen kleinen Teil von ihnen, so daß dieser zumindest eine Vorstellung von der Größe Kṛṣṇas bekommen konnte. Während Śrī Caitanya Sanātana Gosvāmī die transzendentalen Eigenschaften Kṛṣṇas schilderte, befand Er Sich in tiefer Ekstase, und in diesem transzendentalen Zustand begann Er, folgenden Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam (Dritter Canto, 2. Kapitel) zu zitieren: »Nachdem Kṛṣṇa den Planeten verlassen hatte, sagte Uddhava zu Vidura: Kṛṣṇa ist der Herr aller Halbgötter - auch Brahmā, Śiva und selbst die Viṣṇu-Erweiterung in diesem Universum sind Ihm untergeordnet. Deshalb kommt Ihm niemand gleich oder ist größer als Er, und dazu kommt noch, daß Er alle sechs Füllen in vollendeter Form besitzt. Alle Halbgötter erweisen Ihm ihre respektvollen Ehrerbietungen, und ihre Helme, die mit den Zeichen Seiner Lotosfüße geschmückt sind, glänzen in übernatürlicher Schönheit.«

Wie im 1. Vers des 5. Kapitels der Brahma-saṁhitā festgestellt wird, ist Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott, und niemand kommt Ihm gleich oder ist größer als Er. Und obwohl Brahmā, Śiva und Viṣṇu die Oberhäupter des Universums sind, sind auch sie Diener des Höchsten Herrn, Kṛṣṇa.

Śrī Kṛṣṇa ist die Ursache aller Ursachen, und Er ist auch der Ursprung Mahā-Viṣṇus, der die materielle Schöpfung erschafft, erhält und vernichtet, und aus dem auch Garbhodakaṣāyī Viṣṇu und Kṣīrodakaṣāyī Viṣṇu hervorgehen. Mahā-Viṣṇu wird in der Brahma-saṁhitā beschrieben: »Aus seinem Atem entstehen unzählige Universen, und in jedem dieser Universen gibt es unzählige Viṣṇu-tattvas. Śrī Kṛṣṇa ist der Ursprung all dieser Formen, d. h., sie sind vollkommene Teil-Erweiterungen Kṛṣṇas.«

Aus den offenbarten Schriften verstehen wir, daß Kṛṣṇa an drei transzendentalen Orten lebt: Sein vertraulichster Aufenthaltsort ist Goloka Vṛndāvana; dort lebt Er zusammen mit Seinem Vater, Seiner Mutter, Seinen Freunden und den gopīs und tauscht mit ihnen allen transzendentale Beziehungen aus.

Dort wirkt yoga-māyā als Dienerin im rāsa-līlā-Tanz. Die Einwohner von Vrajabhūmi denken: «Der Herr wird von Seinen winzigen Teilchen mit Ehrfurcht und Zuneigung gepriesen, doch weil Er in besonderer Weise gütig zu uns ist, empfinden wir, die Einwohner von Vṛndāvana, keine Scheu vor Ihm.«

In der Brahma-saṁhitā heißt es im 49. Vers des 5. Kapitels: »Alle Vaikuṇṭha-Planeten im spirituellen Himmel liegen unterhalb des Kṛṣṇaloka-Planeten. Auf Kṛṣṇaloka genießt der Herr in vielfachen Formen transzendentale Glückseligkeit, und alle Reichtümer der Vaikuṇṭhas sind auf dem einen Kṛṣṇa-Planeten vorhanden. Die Gefährten Kṛṣṇas besitzen ebenfalls die sechs transzendentalen Füllen in vollendeter Form. Im Padmollara-handa wird im 57. Vers des 225. Kapitels gesagt, daß die materielle und die spirituelle Energie durch ein Wasser voneinander getrennt sind, das man den Viroja-Fluß nennt. Dieser Fluß entsteht aus dem transzendentalen Schweiß der ersten Puruṣa-Inkarnation. Am anderen Ufer des Viroja liegt die unbegrenzte und allglückselige ewige Natur, der spirituelle Himmel, der auch die transzendentale Welt oder das Reich Gottes genannt wird.

Die spirituellen Planeten heißen »Vaikuṇṭha«, weil es dort keine Klagen und keine Angst gibt, und weil dort alles ewig ist. Die spirituelle Welt besteht aus Dreiviertel der Energie des Höchsten Herrn und die materielle Welt aus einem Viertel Seiner Energie. Niemand kann diese Dreiviertel verstehen, da nicht einmal die materielle Welt, die nur ein Viertel Seiner Energie umfaßt, beschrieben werden kann. Śrī Caitanya versuchte nun, Sanātana Gosvāmī eine Vorstellung vom Ausmaß des einen Viertels der Energie Kṛṣṇas zu vermitteln, und zitierte eine Geschichte aus dem Śrīmad-Bhāgavatam, wo beschrieben wird, wie Brahmā, das erste Geschöpf im Universum, Kṛṣṇa in Dvārakā besuchte.

Als Brahmā zu Kṛṣṇas Palast kam, sagte er zum Torwächter: »Teile Kṛṣṇa bitte mit, daß Brahmā gekommen ist, Ihn zu sehen.« Der Türhüter ging also in den Palast hinein, doch kam er schon nach kurzer Zeit zurück und sprach: »Kṛṣṇa läßt fragen, welcher Brahmā du bist.« Der Halbgott war über diese Frage höchst verwundert und entgegnete: »Sage Kṛṣṇa bitte, der Brahmā mit den vier Köpfen, der Vater der vier Kumāras, warte darauf, Ihn zu sehen.« Der Torwächter informierte Kṛṣṇa und bat Brahmā dann hereinzukommen. Brahmā brachte den Lotosfüßen Kṛṣṇas seine Ehrerbietungen dar, und Kṛṣṇa, der ihn sehr höflich empfing, fragte ihn, warum er gekommen sei und was er wünsche. Brahmā antwortete: »Ich werde gleich über den Zweck meines Besuches sprechen, doch zuerst möchte ich Dich bitten, einen Zweifel, der mir gekommen ist, zu beseitigen. Du hast mich durch Deinen Türhüter fragen lassen, welcher Brahmā gekommen sei; darf ich fragen, ob es außer mir noch andere Brahmās gibt?« Als Kṛṣṇa das hörte, lächelte Er und rief unverzüglich die Brahmās aus den zahllosen anderen Universen herbei. Der vierköpfige Brahmā sah plötzlich viele Brahmās kommen und Kṛṣṇa ihren Respekt erweisen. Manche hatten zehn Köpfe, andere zwanzig, manche hatten hundert, und einige hatten sogar eine Million Köpfe. Unser vierköpfiger Brahmā konnte die Brahmās, die da kamen, um Kṛṣṇa zu sehen und Ihm ihre Ehrerbietungen darzubringen, nicht einmal zählen. Daraufhin rief Kṛṣṇa auch die anderen Halbgötter aus den vielen Universen herbei, und alle kamen, um dem Herrn ihre Ehrerbietungen zu erweisen.

Als Brahmā dieses wunderbare Schauspiel sah, wurde er unruhig, denn er fühlte sich so unbedeutend wie ein Moskito inmitten einer Herde von Elefanten. Alle Brahmās und Halbgötter erschienen, um den Lotosfüßen Kṛṣṇas ihren Respekt zu erweisen, und so verstand Brahmā, daß niemand die unbegrenzte Macht Kṛṣṇas auch nur erahnen kann.

Als die verschiedenen Halbgötter und Brahmās, deren Helme im Sonnenlicht hell glänzten, versammelt waren, erhob sich ein lautes Brausen, da sie alle dem Herrn ihre Gebete darbrachten; sie sagten: »Lieber Herr, es ist eine große Gnade für uns, von Dir gerufen worden zu sein. Hast Du einen bestimmten Auftrag für uns? Wir werden ihn unverzüglich ausführen.« Śrī Kṛṣṇa antwortete: »Es gibt nichts Besonderes für euch zu tun. Ich wollte euch nur sehen. Bitte nehmt Meinen Segen entgegen, und fürchtet euch nicht vor den Dämonen.«

»Durch Deine Gnade ist alles in bester Ordnung«, erwiderten die Halbgötter, »zur Zeit gibt es keine Störungen, denn Deine Inkarnation hat alle unerwünschten Elemente beseitigt.« Kṛṣṇa wünschte allen Brahmās Lebewohl, und nachdem sie sich ehrerbietig vor Ihm verneigt hatten, kehrten sie in ihre jeweiligen Universen zurück.

Als der vierköpfige Brahmā das gesehen hatte, fiel er augenblicklich Kṛṣṇa zu Füßen und sagte: »Alles, was ich zuvor von Dir dachte, ist unsinnig. Sollen andere behaupten, sie würden Dich vollkommen kennen, doch was mich betrifft, so ist es mir unmöglich, Deine Größe auch nur zu ahnen.

Du befindest Dich jenseits meiner Vorstellungskraft, außerhalb meines Begriffsvermögens.«

Kṛṣṇa informierte den vierköpfigen Brahmā daraufhin: »Dieses Universum, in dem du dich befindest, hat nur einen Durchmesser von ca. 9 000 000 000 Meilen, doch es gibt noch viele Millionen und Milliarden anderer Universen, die weitaus größer sind als dieses. Für all diese Universen sind auch Brahmās von entsprechender Größe und Macht erforderlich; nicht nur vierköpfige.« Kṛṣṇa informierte Brahmā weiter: »Die gesamte materielle Schöpfung bildet nur ein Viertel Meiner schöpferischen Kraft; die spirituelle Welt ist eine Manifestation der übrigen Dreiviertel Meiner Energie.«

Der vierköpfige Brahmā verabschiedete sich daraufhin von Kṛṣṇa, nachdem er Ihm noch einmal seine Ehrerbietungen dargebracht hatte. Er konnte nun die unermeßliche Macht Kṛṣṇas ein wenig ahnen. Der Herr ist auch als Tradhyeṣa bekannt. Dieser Name bezieht sich auf Seine hauptsächlichen Aufenthaltsorte Gokula, Mathurā und Dvārakā. Diese drei Orte sind völlig transzendental, und Śrī Kṛṣṇa ist dort ewiglich gegenwärtig. Er weilt immer in Seiner inneren Energie; Er ist der Herr aller Energien, und Er besitzt alle sechs transzendentalen Füllen in Vollkommenheit. Weil Kṛṣṇa der Herr aller transzendentalen Füllen ist, wird Er in allen vedischen Schriften als der Höchste Persönliche Gott gepriesen.

Śrī Caitanya sang dann ein schönes Lied über Kṛṣṇa: »Die Spiele Kṛṣṇas gleichen den Taten eines gewöhnlichen Menschen, und deshalb gleicht auch Seine Form der eines Menschen. Der Mensch ist jedoch nur Abbild der ewigen ursprünglichen Gestalt Kṛṣṇas. Kṛṣṇa ist wie ein Kuhhirtenjunge gekleidet; Er hält eine Flöte in der Hand und ist, ganz wie ein gewöhnlicher Junge, immer zum Spielen aufgelegt.«

Der Herr wollte Sanātana Gosvāmī als nächstes die Aspekte der Schönheit Kṛṣṇas erklären. Er sagte, daß ein jeder, der die Schönheit Kṛṣṇas verstehe, gleichsam in einen Ozean aus Nektar eintauche. Eine der Energien Kṛṣṇas wird yoga-māyā genannt; sie ist transzendental und befindet sich jenseits der materiellen Energie, doch Kṛṣṇa zeigt Seine transzendentale Macht sogar in der materiellen Welt, wenn Er erscheint, um Seine vertrauten Geweihten zu erfreuen. Kṛṣṇas Eigenschaften sind so anziehend, daß sogar Er Selbst manchmal den Wunsch hat, Sich zu verstehen - wie Er dasteht, mit Geschmeiden und Blumengirlanden geschmückt, der Körper dreifach geschwungen, mit Augenbrauen, die sich ständig bewegen, und Augen, die so schön sind, daß alle gopīs von ihnen bezaubert werden. Sein transzendentales Reich liegt im obersten Teil des spirituellen Himmels, und dort, wo man Ihn mit »Madana-mohana« anspricht, lebt Er zusammen mit Seinen ewigen Gefährtinnen, den gopīs und den Glücksgöttinnen.

Kṛṣṇa entfaltet unzählige Spiele, wie z. B. Seine Spiele als Vāsudeva und Saṅkarṣaṇa. In der materiellen Welt erscheint Er zuerst als die erste Puruṣa-Inkarnation, als der Schöpfer der materiellen Welt. Außerdem erscheint Er als Fisch- oder Schildkröten-Inkarnation, die Manifestationen Seiner Energien sind, und als Brahmā und Śiva, die Inkarnationen der materiellen Erscheinungsweisen. Auch entfaltet Er Seine Spiele als König Pṛthu, eine ermächtigte Inkarnation, und auch Seine Erweiterung als Überseele und als unpersönliches Brahman sind für Ihn göttliches Spiel. Der Herr manifestiert Sich in unzähligen Spielen, doch Seine wichtigsten finden in der menschenähnlichen Gestalt statt, wenn Er in Vṛndāvana als Hirtenjunge umhertollt und mit den gopīs tanzt, auf dem Schlachtfeld von Kurukṣetra Seite an Seite mit den Pāṇḍavas kämpft und in Mathurā und Dvārakā als König residiert. Schon wenn Er Seine Spiele in Gokula, Mathurā und Dvārakā nur zum Teil manifestiert, wird das ganze Universum mit Liebe zu Gott überflutet, denn jeder wird von Kṛṣṇas wunderbaren Eigenschaften angezogen.

Seine innere Energie ist nicht einmal im Königreich Gottes auf den Vaikuṇṭha-Planeten manifestiert; doch entfaltet Er sie manchmal sogar im materiellen Universum, wenn Er in Seiner unbegreiflichen Gnade aus Seinem persönlichen Reich herabkommt. Kṛṣṇa ist so wundervoll und anziehend, daß Er von Seiner eigenen Schönheit bezaubert wird, was ein weiterer Beweis dafür ist, daß Er ungeheure und unbegreifliche Kräfte in Sich birgt. Was Seine Schmuckstücke betrifft, so scheint es, daß nicht sie Ihn verschönern, sondern daß sie vielmehr selbst verschönt werden, wenn sie Seinen Körper bedecken. Er erscheint stets in einer dreifach geschwungenen Gestalt und zieht alle Lebewesen und alle Halbgötter an. Seiner Anziehungskraft erliegen selbst die Nārāyaṇa-Formen auf den Vaikuṇṭha-Planeten.

10. KAPITEL

Caitanya

Die Schönheit Kṛṣṇas

Kṛṣṇa wird »Madana-mohana« genannt, weil Er selbst den Liebesgott betört. Er ist Madana-mohana, weil Er den Mädchen von Vraja Seine Gunst erwies und ihre dienende Hingabe entgegennahm. Mit ihnen tanzte der Herr, nachdem Er Amors Stolz besiegt hatte, den rāsa-Tanz als der neue Amor. Er ist Madana-mohana, weil Er die Sinne der Frauen mit Seinen fünf Pfeilen Form, Geschmack, Geruch, Klang und Berührung zu betören weiß. Die Perlen der Halskette, die Kṛṣṇa trägt, sind weiß wie Schwäne, und die Pfauenfeder, die Seinen Kopf schmückt, ist so farbenprächtig wie der Regenbogen. Sein gelbes Gewand gleicht dem Widerschein des Blitzes am Himmel. Kṛṣṇa ist wie eine frische Regenwolke, und die gopīs sind wie die Glöckchen an Seinen Füßen. Wie die Wolke Regen über das Getreide auf den Feldern gießt, so nährt Kṛṣṇa die Herzen der gopīs, wenn Er sie in spielerischer Freude mit dem barmherzigen Regen Seiner transzendentalen Spiele überschüttet. Kṛṣṇa spielt ungezwungen mit Seinen Freunden als Hirtenjunge in Vṛndāvana, und wenn Er Seine Flöte spielt, werden alle Lebewesen, die beweglichen und die unbeweglichen, von Ekstase überwältigt, so daß sie erbeben, und Tränen ihre Augen füllen.

Die innige Liebe ist die erhabenste Seiner verschiedenen Füllen. Er ist der Meister allen Reichtums, aller Stärke, allen Ruhms, aller Schönheit, allen Wissens und aller Entsagung. Von diesen Füllen löst Seine vollkommene Schönheit die vertraute Liebe zu Ihm aus. Allein Kṛṣṇa besitzt diese Schönheit, wohingegen Seine anderen Füllen auch in der Nārāyaṇa-Form vorhanden sind.

Als Śrī Caitanya die Herrlichkeit Kṛṣṇas beschieb, fiel Er in transzendentale Ekstase und ergriff Sanātana Gosvāmīs Hände. Er pries die Mädchen von Vraja, die so glücklich seien, und zitierte einen Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam, aus dem 24. Kapitel des Zehnten Cantos, wo es heißt: »Wieviele Opfer und Bußen müssen die Jungfrauen von Vṛndāvana auf sich genommen haben, da sie den Nektar von Kṛṣṇa trinken dürfen, der alle Schönheit, alle Stärke, aller Reichtum, aller Ruhm und der Mittelpunkt aller körperlichen Anziehung ist.«

Kṛṣṇas Körper, ein Ozean ewiger Jugend, bewegt sich in Wogen der Schönheit, und wenn Seine Flöte erklingt, scheint ein Sturmwind aufzubrausen. Diese Wellen und dieser Wirbelwind bringen die Herzen der gopīs wie trockene Blätter an Bäumen zum Erbeben, und wenn die Blätter zu Kṛṣṇas Lotosfüßen niederfallen, können sie sich nie mehr von dort erheben. Kṛṣṇas Schönheit ist unvergleichlich, denn niemand ist so schön wie Er, oder gar schöner. Kṛṣṇa ist der Ursprung aller Inkarnationen, einschließlich der Form des Nārāyaṇa. Warum sonst würde die Göttin des Glücks, die Nārāyaṇas vertraute Gefährtin ist, das Zusammensein mit Ihm aufgeben und sich Bußen auferlegen, um die Gesellschaft Kṛṣṇas zu gewinnen? - Das ist ein weiterer Beweis für die überaus anziehende Schönheit Kṛṣṇas, des immerwährenden Quells aller Schönheit, aus dem alle anderen schönen Dinge hervorgehen.

Die gopīs sind wie ein Spiegel, in dem sich die Schönheit Kṛṣṇas in jedem Augenblick widerspiegelt und vergrößert. Kṛṣṇa und die gopīs steigern ihre transzendentale Schönheit in jeder Sekunde, so daß zwischen ihnen ständig ein transzendentales Wetteifern stattfindet. Wer lediglich seine vorgeschriebene Pflicht erfüllt, sich Bußen auferlegt, mystischen yoga praktiziert, Wissen ansammelt oder Gebete darbringt, kann Kṛṣṇas Schönheit nicht wahrnehmen. Nur wer sich auf der transzendentalen Ebene der Liebe zu Gott befindet, d. h. Ihm aus reiner Liebe hingegeben dient, kann die transzendentale Schönheit Kṛṣṇas erkennen. Diese Schönheit Kṛṣṇas ist die Essenz aller anderen Qualitäten, und Seine damit zusammenhängenden Eigenschaften sind nur in Goloka Vṛndāvana anzutreffen und sonst nirgendwo. Die Form des Nārāyaṇa ist von Kṛṣṇa vor allem mit Großherzigkeit und Würde versehen; Zärtlichkeit und Zuneigung sind in Ihm nicht vorhanden - sie finden sich nur in Kṛṣṇa.

Śrī Caitanya war in transzendentale Ekstase getaucht, als Er all diese Verse aus dem Śrīmad-Bhāgavatam zitierte und Sanātana Gosvāmī erklärte. Etwas ausführlicher erläuterte Er den 24. Vers aus dem 9. Kapitel des Neunten Cantos, wo es heißt: »Die gopīs genossen die Schönheit Kṛṣṇas mit ständig wachsender Freude: Sie erfreuten sich an Kṛṣṇas wunderschönem Gesicht, Seinen wunderschönen Ohren mit den Ohrringen, Seiner hohen Stirn und Seinem Lächeln, und während sie sich am Anblick von Kṛṣṇas Schönheit erfreuten, kritisierten sie die Unvollkommenheit Brahmās, des Schöpfers, der schuld hatte, daß sie Kṛṣṇa hin und wieder für einen Augenblick nicht sehen konnten, weil sie mit den Lidern zwinkern mußten.

Der Kāmagāyatrī-mantra beschreibt das Antlitz Kṛṣṇas als den König aller Monde. In der bildlichen Sprache gibt es viele Monde, und in Kṛṣṇa sind sie alle vereinigt - der Mond des Mundes, der Mond der Wangen, die Mondflecken aus Sandelholzpaste und die Halbmonde Seiner Fingerspitzen und der Spitzen Seiner Zehen - so gibt es 24 ½ Monde, und Kṛṣṇa ist die Gesamtheit all dieser verschiedenen Monde.

Die tanzenden Bewegungen von Kṛṣṇas Ohrringen, Seinen Augen und Seinen Augenbrauen wirken auf die Jungfrauen von Vraja ebenfalls sehr anziehend. Gibt es für die Augen etwas Schöneres als Kṛṣṇas Gesicht? Im Grunde reichen zwei Augen nicht aus, Kṛṣṇa genügend zu sehen. Wenn man die Unzulänglichkeiten des Körpers erkennt, wenn es darum geht, Kṛṣṇa zu betrachten, empfindet man großen Kummer. Dieser Schmerz läßt sich ein wenig lindern, wenn man die Intelligenz des Schöpfers kritisiert; der unzufriedene Betrachter von Kṛṣṇas Gesicht klagt dann: »Statt Tausende von Augen habe ich nur zwei, und selbst die werden noch von der Bewegung der Augenlider behindert. Hieran kann man deutlich sehen, daß der Schöpfer dieses Körpers nicht sehr intelligent sein kann. Er ist mit der Kunst der Ekstase nicht vertraut. Er ist nur ein ganz alltäglicher Schöpfer. Er weiß nicht, wie man die Dinge so arrangiert, daß man Kṛṣṇa ununterbrochen sehen kann.« Die Gedanken der gopīs erfreuen sich ständig der Süße von Kṛṣṇas Körper. Er ist der Ozean der Schönheit, und Sein liebliches Antlitz, Sein bezauberndes Lächeln und die Ausstrahlung Seines Körpers wirken immer sehr anziehend auf die gopīs. Im Kṛṣṇa-karṇāmṛta werden diese drei Aspekte als »süß«, »süßer« und » am süßesten« beschrieben. Wenn der reine Gottgeweihte durch den Anblick der Schönheit von Kṛṣṇas Körper, der Schönheit Seines Gesichtes und der Schönheit Seines Lächelns von Ekstase überwältigt wird, verkrampft sich sein Körper oft. Diese transzendentalen Konvulsionen dauern ohne Linderung manchmal an, wie gewöhnliche Krampfanfälle, bei denen man kein Wasser zur Erleichterung trinken darf.

Der Gottgeweihte leidet in der Abwesenheit Kṛṣṇas unter ständig wachsenden Trennungsschmerzen, und er sehnt sich danach, den Nektar Seiner Schönheit zu trinken. Wenn Kṛṣṇas transzendentale Flöte erklingt, durchdringt das starke Verlangen des Gottgeweihten, diese Flöte zu hören, die Schale des Universums und erreicht den spirituellen Himmel, wo der transzendentale Klang der Flöte in die Ohren des Gottgeweihten eingeht. Kṛṣṇas Flöte verklingt in den Ohren der gopīs niemals, sondern läßt vielmehr ihre Ekstase ständig anwachsen. Wenn diese Klänge sie erfüllen, kann kein anderer Ton in ihr Ohr dringen, und im Umgang mit ihren Familien sind sie nicht in der Lage, richtig zu antworten, da all diese herrlichen Töne in ihnen schwingen.

Mit diesen und ähnlichen Beschreibungen erklärte Śrī Caitanya Kṛṣṇas transzendentales Wesen, Seine Erweiterungen, Seine körperliche Ausstrahlung und alles, was mit Ihm in Beziehung steht. Kurzum, Śrī Caitanya erklärte Kṛṣṇas unvergleichliche transzendentale Eigenschaften, und da Kṛṣṇa die Essenz aller Dinge ist, beschrieb Er auch, wie man sich Ihm nähern kann. Er sagte, das hingebungsvolle Dienen für Kṛṣṇa sei der einzige Weg. Das sei die Aussage aller vedischen Schriften. Die Weisen haben dazu erklärt: »Wenn jemand in den vedischen Schriften oder den Purāṇas nach transzendentaler Erkenntnis forscht, wird er bald herausfinden, daß der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, das Ziel aller Verehrung ist, und daß er sich Ihm durch dienende Hingabe nähern kann.

Kṛṣṇa ist die Absolute Wahrheit, der Höchste Persönliche Gott, und Er ist, wie auch in der Bhagavad-gītā beschrieben wird, stets von Seiner inneren Energie, der svarūpa-ṣakti oder ātma-ṣakti, umgeben. Er erweitert Sich in verschiedene vielfältige Formen; einige von ihnen nennt man »persönliche Formen« und andere »gesonderte Formen«. Auf diese Weise erfreut Er Sich sowohl auf allen spirituellen Planeten als auch in den materiellen Universen.

Die Erweiterungen Seiner abgesonderten Formen nennt man »Lebewesen«, und man klassifiziert sie in zwei Gruppen: Die einen sind ewig befreit und die anderen ewig bedingt. Die ewig befreiten Lebewesen kommen niemals mit der materiellen Natur in Berührung, und sie haben keine Erfahrung vom materiellen Leben. Sie sind ewiglich Kṛṣṇa-bewußt, d. h. in dienender Hingabe dem Herrn ergeben, und werden als die ewigen Gefährten Kṛṣṇas angesehen. Ihre Freude besteht darin, Kṛṣṇa in transzendentaler Liebe zu dienen. Die ewig bedingten Lebewesen hingegen leben ständig von Kṛṣṇas transzendentalem Dienst getrennt und sind deshalb den dreifachen Leiden des materiellen Daseins unterworfen. Weil sie den Wunsch haben, getrennt von Kṛṣṇa zu genießen, schenkt ihnen die materielle Energie zwei Arten des körperlichen Daseins: den grobstofflichen Körper, der sich aus den fünf Elementen Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther zusammensetzt, und den feinstofflichen Körper, der aus Geist, Intelligenz und Ego besteht. Da die bedingte Seele von diesen beiden Körpern bedeckt wird, erleidet sie ständig die Qualen des materiellen Daseins, die als die dreifachen Leiden bekannt sind. Außerdem ist sie sechs Feinden ausgesetzt, wie z. B. Lust und Zorn, und so leidet sie an der Krankheit des bedingten Lebens.

Krank und bedingt wandert das Lebewesen durch das Universum. Manchmal hält es sich im höheren Planetensystem auf, und manchmal wandert es durch das niedere Planetensystem. Diese Krankheit kann nur geheilt werden, wenn man einen fachkundigen Arzt, einen echten geistigen Meister, trifft und sich seiner Führung anvertraut. Wenn die bedingte Seele den Unterweisungen eines autorisierten geistigen Meisters mit Vertrauen folgt, wird ihre materielle Krankheit bald geheilt sein, und sie wird Befreiung erlangen. Denn wenn sie sich im hingebungsvollen Dienen beschäftigt, kann sie die Gewißheit haben, schon in naher Zukunft zu Kṛṣṇa in die transzendentale Welt zurückzukehren.

Das bedingte Lebewesen sollte sich unbedingt seiner Situation bewußt werden. Wir sollten zum Herrn beten: »Wie lange und wie sehr wird mich leibliches Drängen wie Lust und Zorn noch beherrschen? O Kṛṣṇa, bitte hilf mir, davon frei zu werden.« Als die Meister der bedingten Seele kennen Lust und Zorn kein Erbarmen, so daß die bedingte Seele diesen schlechten Herren ohne Ende dienen muß. Wenn sie jedoch ihr ursprüngliches Bewußtsein, ihr Kṛṣṇa-Bewußtsein, wiedererweckt, hört sie auf, diesen undankbaren Meistern zu dienen, und nähert sich Kṛṣṇa mit aufrichtigem und offenem Herzen, um bei Ihm Zuflucht zu suchen. Dann betet sie zu Kṛṣṇa, daß Er sie in Seinem transzendentalen liebevollen Dienst beschäftigen möge.

In den vedischen Schriften werden manchmal fruchtbringende Tätigkeiten, der Pfad des mystischen yoga oder auch die spekulative Suche nach Erkenntnis gepriesen. Alle diese Methoden gelten als verschiedene Wege zur Selbsterkenntnis, doch obwohl diese Pfade empfohlen werden, wird in jeder Schrift der Pfad der dienenden Hingabe als der erhabenste herausgestellt. Mit anderen Worten: Hingebungsvolles Dienen für Śrī Kṛṣṇa ist der vollkommenste Pfad zur Selbstverwirklichung, und es wird dringend empfohlen, diesem Pfad direkt zu folgen. Materiell einträgliche Tätigkeiten, mystische Meditation und die Entwicklung spekulativen Wissens sind nicht direkte Methoden, sondern nur indirekte Wege, denn keiner von ihnen führt ohne dienende Hingabe zur höchsten Vollkommenheit. Sie alle müssen letzten Endes in den Pfad des hingebungsvollen Dienens einmünden.

 

11. KAPITEL

Caitanya

Der Dienst für den Herrn

Die verschiedenen Pfade zur Selbstverwirklichung können nur dann zum Erfolg führen, wenn sie mit dienender Hingabe verbunden sind. Nārada Muni erklärte dies seinem Schüler Vyāsadeva, als dieser selbst dann noch nicht zufrieden war, nachdem er zahllose Bücher über vedisches Wissen zusammengestellt hatte. Vyāsadeva saß in tiefer Niedergeschlagenheit am Ufer der Sarasvatī, als Nārada Muni zu ihm kam. Als der große Heilige Vyāsa so deprimiert sah, erklärte er ihm, was noch in seinen vielen verschiedenen Büchern fehlte. Er sagte: »Selbst reines Wissen bleibt unvollkommen, wenn es nicht durch transzendentale dienende Hingabe vervollständigt wird - ganz zu schweigen von fruchtbringenden Tätigkeiten. Sie können dem Ausführenden nicht das geringste nützen!«

Es gibt viele Weise, die sich viele Entsagungen und Enthaltsamkeiten auferlegen; es gibt viele Menschen, die für wohltätige Zwecke große Spenden geben; es gibt viele berühmte Männer, Gelehrte und große Denker und auch viele, die in den vedischen Hymnen sehr erfahren sind. All diese Dinge sind gewiß vorteilhaft, doch wenn sie nicht dazu benutzt werden, dienende Hingabe zum Herrn zu erlangen, können sie uns nicht den gewünschten Erfolg bescheren. Deshalb brachte Śukadeva Gosvāmī dem Höchsten Herrn im Zweiten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam seine respektvollen Ehrerbietungen dar, denn er wußte, daß der Herr der einzige ist, der diesen Erfolg gewähren kann.

Alle Philosophen und Transzendentalisten bestätigen, daß niemand, dem es an Wissen mangelt, aus der materiellen Verstrickung befreit werden kann. Doch Wissen allein, das nicht mit dienender Hingabe verbunden ist, kann ebensowenig zur Befreiung führen. Mit anderen Worten: Jñāna (Wissen) kann nur dann befreien, wenn es den Pfad zur dienenden Hingabe ebnet, sonst nicht.

Im Śrīmad-Bhāgavatam wird diese Wahrheit von Brahmā bestätigt, der dort sagt: »Mein lieber Herr, hingebungsvolles Dienen für Dich ist der beste und sicherste Weg zur Selbstverwirklichung. Wenn jemand diesen Pfad verläßt und sich mit der Entwicklung von Wissen oder mit Spekulationen befaßt, wird er lediglich mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, ohne die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Ebenso wie ein Mensch, der leere Spreu drischt, kein Getreide gewinnen kann, können auch jene, die einzig und allein an spekulativem Wissen interessiert sind, das gewünschte Ziel der Selbsterkenntnis nicht erreichen. Das einzige, was sie bekommen, sind Schwierigkeiten.«

In der Bhagavad-gītā wird im 14. Vers des Siebten Kapitels gesagt, daß die materielle Natur sehr mächtig und für ein gewöhnliches Lebewesen unüberwindlich ist. Doch wer sich den Lotosfüßen Kṛṣṇas hingibt, kann den Ozean des materiellen Daseins mit Leichtigkeit überqueren. Die Selbstvergessenheit des Lebewesens - nämlich zu vergessen, daß es der ewige Diener Kṛṣṇas ist - ist der einzige Grund seines Gefangenseins im bedingten Leben und die Ursache seiner Gebundenheit an die materielle Energie. Diese Gebundenheit ist die eigentliche Fessel der bedingten Seele. Es ist sehr schwierig, frei zu werden, solange man noch das Verlangen in sich trägt, die materielle Natur zu beherrschen. Deshalb wird empfohlen, sich an einen geistigen Meister zu wenden und sich von ihm im hingebungsvollen Dienen ausbilden zu lassen; denn nur so kann man den Fesseln der materiellen Natur entkommen und zu Kṛṣṇas Lotosfüßen gelangen.

Die menschliche Gesellschaft ist in vier Klassen gegliedert: in die brāhmaṇas (die Intellektuellen), die kṣatriyas (die Verwalter), die vaiṣyas (die Bauern und Geschäftsleute) und die ṣūdras (die Arbeiter). Diese Klassen gliedern sich weiter in den brahmacārī (den Studierenden), den gṛhasta (den Haushältern), den vānaprastha (den vom Familienleben Zurückgezogenen) und den sannyāsī (den in Entsagung Lebenden). Wenn es jedoch an dienender Hingabe, an Kṛṣṇa-Bewußtsein, mangelt, kann niemand, auch wenn er seine jeweiligen vorgeschriebenen Pflichten gewissenhaft erfüllt, von der materiellen Fessel frei werden. Im Gegenteil, selbst wenn er seinen Pflichten nachkommt, gleitet er aufgrund seines materiellen Bewußtseins hinab zur Hölle. Deshalb muß sich jeder, der seine vorgeschriebenen Pflichten erfüllt, durch hingebungsvolles Dienen dazu erziehen, Kṛṣṇa-bewußt zu handeln, denn nur so kann er von der materiellen Natur frei werden.

In diesem Zusammenhang zitierte Śrī Caitanya einen Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam, den Nārada einst als Grundprinzip für spirituelles Leben gegeben hatte. In ihm heißt es, daß die vier Einteilungen der Gesellschaft und auch die vier Stufen des Lebens aus der gigantischen Form des Herrn erzeugt wurden: Die brāhmaṇas wurden aus dem Mund der universalen Form des Herrn geboren, die kṣatriyas aus den Armen, die vaiṣyas aus dem Leib und die ṣūdras aus den Beinen. Somit befinden sie sich in verschiedenen Erscheinungsweisen der materiellen Natur und weilen innerhalb des virāta-puruṣa (der universalen Form). Wenn man dem Herrn nicht in Hingabe dient, wird man, auch wenn man seine vorgeschriebene Pflicht erfüllt, seiner Stellung in den vier Stufen des Lebens oder den vier Einteilungen nicht gerecht.

Śrī Caitanya sagte dann, die Māyāvādīs, die Anhänger der Unpersönlichkeitslehre, glaubten zwar, sie seien befreit und eins mit Gott, doch nach der Aussage des Śrīmad-Bhāgavatam seien sie nicht wirklich befreit. Er zitierte dazu einen Vers aus dem 2. Kapitel des Zehnten Cantos, wo es heißt: »Diejenigen, die glauben, durch die Māyāvāda-Philosophie befreit zu sein, sich dem Herrn jedoch nicht in dienender Liebe hingeben, fallen aus Mangel an hingebungsvollem Dienen wieder ins materielle Leben zurück - selbst nachdem sie die strengsten Bußen und Enthaltsamkeiten auf sich genommen haben und vielleicht sogar dem höchsten Ziel ein wenig näher gekommen sind.«

Śrī Caitanya erklärte weiter, Kṛṣṇa sei wie die Sonne, und māyā, die illusionierende materielle Energie, sei wie die Dunkelheit. Deshalb bestehe für jemanden, der sich ständig im Sonnenschein Kṛṣṇas aufhalte, keine Gefahr, durch die Dunkelheit der materiellen Energie getäuscht zu werden. Dies wird in den vier Hauptversen des Śrīmad-Bhāgavatam sehr schön erklärt und wird auch im 5. Kapitel des Zweiten Cantos bestätigt, in dem es heißt: »Die illusionierende Energie, māyā, scheut sich, vor den Herrn zu treten.«

Die Lebewesen werden ständig durch diese illusionierende Energie verwirrt. Im bedingten Zustand erfinden sie viele Wortspielereien und denken, auf diese Weise könnten sie den Banden māyās entkommen; doch in Wirklichkeit kann nur ein Mensch, der sich Kṛṣṇa mit aller Ernsthaftigkeit hingibt, aus der Gewalt der materiellen Energie frei werden - selbst wenn er nur einmal sagt: »Mein lieber Kṛṣṇa, von diesem Tage an gehöre ich Dir.«

Dies wird im Lanka-kāṇḍa des Rāmāyaṇa bestätigt, wo der Herr sagt: »Es ist Meine Pflicht und Mein Gelübde, daß Ich jeden, der sich Mir ohne jeglichen Vorbehalt hingibt, beschützen werde.« Viele Menschen streben nach materiellem Gewinn, nach Erkenntnis, nach Befreiung oder nach mystischen Kräften, doch wenn jemand das Glück hat, zu wirklicher Intelligenz zu gelangen, gibt er all diese Wege auf und wendet sich in aufrichtig dienender Hingabe dem Herrn zu. Das Bhāgavatam bestätigt im 3. Kapitel des Zweiten Cantos, daß sich ein wirklich intelligenter Mensch dem hingebungsvollen Dienen zuwendet - auch wenn er noch voller Verlangen nach materiellem Genuß oder nach Befreiung ist.

Menschen, die aus dem hingebungsvollen Dienst einen materiellen Nutzen ziehen wollen, sind zwar keine reinen Gottgeweihten, aber weil sie sich um hingebungsvolles Dienen bemühen, zählen auch sie zu den vom Glück Begünstigten. Sie wissen vielleicht nicht, daß materieller Gewinn nicht das Ziel des hingebungsvollen Dienens ist, doch weil sie im Dienst des Herrn beschäftigt sind, werden sie allmählich gereinigt und erkennen schließlich das eigentliche Ziel der dienenden Hingabe. Kṛṣṇa sagt, solche Menschen, die im Austausch für ihre hingebungsvollen Dienste mit materiellem Genuß belohnt werden wollen, seien verblendet, denn sie versuchten, Gift zu genießen, statt Liebe zu Gott zu entwickeln. Doch obwohl solche Menschen Kṛṣṇa um etwas Materielles bitten, nimmt Sich Kṛṣṇa, der Allmächtige, ihrer an und befreit sie allmählich von ihrem eigenmächtigen Streben, indem Er sie in Seinem Dienst beschäftigt. Wenn sie diesen Dienst tatsächlich mit Hingabe ausführen, vergessen sie allmählich ihre materiellen Begierden und Wünsche und werden frei von der Verstrickung in die Materie. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird dies im 19. Kapitel des Fünften Cantos wie folgt bestätigt: »Śrī Kṛṣṇa erfüllt alle Wünsche Seiner Geweihten, die in dienender Hingabe zu Ihm kommen; doch Er erfüllt nicht solche Wünsche, die nur neue Leiden mit sich bringen würden. Obwohl manche Gottgeweihte voller materieller Wünsche sind, werden auch sie, wenn sie sich im transzendentalen Dienst des Herrn beschäftigen, allmählich von dem Verlangen nach materiellem Genuß gereinigt und beginnen, nach der Glückseligkeit zu streben, die nur im hingebungsvollen Dienen zu finden ist.«

Im allgemeinen schließt man sich der Gemeinschaft von Gottgeweihten an, um seine Wünsche nach materiellem Genuß zu befriedigen; doch durch den spirituellen Einfluß eines reinen Gottgeweihten verliert man allmählich alle materiellen Verlangen und kostet schon bald den Geschmack der dienenden Hingabe. Es bereitet sehr viel Freude, dem Herrn mit Liebe und Hingabe zu dienen, und so wird der Gottgeweihte schon bald vollständig gereinigt und vergißt alle materiellen Verlangen, wenn er sich mit seiner ganzen Kraft dem transzendentalen liebevollen Dienst für Kṛṣṇa hingibt. Das beste Beispiel hierfür ist Dhruva Mahārāja, der sich im hingebungsvollen Dienen beschäftigte, weil er von Kṛṣṇa etwas Materielles begehrte. Als der Herr dann als vierarmiger Viṣṇu vor ihm erschien, sagte Dhruva: »Mein lieber Herr, ich habe Dir in großer Enthaltsamkeit und unter strengen Bußen in Hingabe gedient, und deshalb bist Du nun vor mir erschienen. Es ist selbst für große Halbgötter und Weise sehr schwierig, Dich zu sehen, und so bin ich nun durch Deinen Anblick so zufrieden, daß all meine Wünsche erfüllt sind. Ich begehre nichts mehr von Dir. Ich suchte nach zerbrochenem Glas und fand den herrlichsten und kostbarsten Edelstein.«

Das Lebewesen, das durch die 8 400 000 Arten des Lebens wandert, wird im Śrīmad-Bhāgavatam mit einem Stück Holz verglichen, das auf den Wellen eines Flusses treibt. Für das bedingte Lebewesen besteht wenig Aussicht, den Fesseln der materiellen Energie zu entrinnen, doch es sollte nicht verzagen; denn ebenso wie es möglich ist, daß das Stück Holz am Ufer hängenbleibt und zur Ruhe kommt, besteht auch die Möglichkeit, daß die bedingte Seele mit einem reinen Gottgeweihten zusammenkommt und ihre schlummernde Zuneigung zu Kṛṣṇa wiedererweckt. Es gibt verschiedene Arten von Ritualen und Handlungen: Einige führen zu materiellem Genuß und andere zur Befreiung von der materiellen Verunreinigung. Wenn sich ein Lebewesen rituellen Handlungen zuwendet, die sich im Zusammensein mit reinen Gottgeweihten zu reinem hingebungsvollen Dienen entwickeln, reifen in ihm ganz natürlich Liebe und Hingabe zum Höchsten Herrn. Im Śrīmad-Bhāgavatam sagt Mucukunda im 51. Kapitel des Zehnten Cantos: »Mein lieber Herr, manchmal kommt es vor, daß ein Lebewesen, das in der materiellen Welt durch die verschiedenen Arten des Lebens wandert, den Wunsch nach Befreiung entwickelt und mit einem reinen Gottgeweihten in Berührung kommt. Dann endlich wird es aus der Gewalt der materiellen Energie befreit und weiht sein Leben Dir, dem Höchsten Persönlichen Gott.«

Wenn sich eine bedingte Seele Kṛṣṇa hingibt, hilft Kṛṣṇa ihr durch Seine motivlose Gnade auf zweierlei Art: Er unterweist sie von außen durch den geistigen Meister und von innen durch die Überseele. In diesem Zusammenhang findet sich ein schöner Vers im 29. Kapitel des Elften Cantos, in welchem es heißt: »O mein lieber Herr, selbst wenn jemand so lange lebte wie Brahmā, würde seine Zeit nicht ausreichen, Dir seine Dankbarkeit dafür auszudrücken, daß er sich an Dich erinnern durfte. Aus Deiner grundlosen Barmherzigkeit verhütest Du alle für einen Gottgeweihten ungünstigen Umstände und beseitigst alle schlechten Einflüsse, indem Du ihn von außen als der geistige Meister und von innen als die Überseele unterweist.«

Wer mit einem reinen Gottgeweihten zusammenkommt und den Wunsch entwickelt, Kṛṣṇa zu dienen, erhebt sich allmählich zur Stufe der Liebe zu Gott und wird aus der materiellen Energie befreit. Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam im 20. Kapitel des Elften Cantos erklärt, wo der Herr sagt: »Der Pfad der dienenden Hingabe, der zur vollkommenen Stufe der Liebe zu Gott führt, steht jedem offen, der sich zu den Erzählungen Meiner transzendentalen Spiele hingezogen fühlt, ohne von materiellen Tätigkeiten verlockt oder abgestoßen zu werden. Es ist jedoch nicht möglich, diese Stufe der Vollkommenheit zu erreichen, solange man nicht mit der Gnade eines reinen Gottgeweihten, eines mahātma (große Seele), gesegnet wird. Ohne die Barmherzigkeit einer großen Seele kann man nicht einmal aus der Gefangenschaft der materiellen Welt befreit werden, ganz zu schweigen von einer Erhebung auf die Ebene der Liebe zu Gott. Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam im 11. Kapitel des Fünften Cantos bestätigt, wo vom Zusammentreffen des Königs Rahugaṇa mit König Bharata berichtet wird. König Rahugaṇa zeigte sich sehr überrascht, als er sah, welch hohe Stufe der spirituellen Vervollkommnung Bharata Mahārāja in seinem Leben erreicht hatte. Bharata Mahārāja sagte daraufhin: »Mein lieber Rahugaṇa, niemand kann ohne die Gnade einer großen Seele, eines reinen Gottgeweihten, die vollkommene Stufe der dienenden Hingabe erreichen. Niemand kann diesen vollkommenen Zustand erreichen, indem er lediglich den regulierenden Prinzipien der Schriften folgt, in die Lebensstufe der Entsagung eintritt, die vorgeschriebenen Pflichten des Haushälterlebens erfüllt, ein hervorragender Schüler der spirituellen Wissenschaft wird oder um der Erkenntnis willen schwere Bußen und Entsagungen auf sich nimmt.«

Im Śrīmad-Bhāgavatam, im 5. Kapitel des Siebten Cantos, fragt der atheistische König Hiraṇyakaṣipu seinen Sohn Prahlāda Mahārāja, wie es zu erklären sei, daß er Kṛṣṇa so hingegeben diene, worauf Prahlāda sagte: »Solange man nicht mit dem Staub von den Lotosfüßen reiner Gottgeweihter gesegnet ist, kann man nicht einmal an den Weg der dienenden Hingabe, der die Lösung aller Probleme des materiellen Lebens bedeutet, denken.«

Śrī Caitanya machte Sanātana Gosvāmī darauf aufmerksam, daß in allen Schriften betont werde, wie wichtig die Gemeinschaft mit reinen Gottgeweihten sei. Die Gelegenheit, mit einem reinen Geweihten des Höchsten Herrn zusammenzusein, ist der erste Schritt zur Vollkommenheit. Dies wird auch im Śrīmad-Bhāgavatam im 18. Kapitel des Ersten Cantos bestätigt, wo es heißt: »Die Möglichkeiten und Segnungen, die man durch das Zusammensein mit einem reinen Gottgeweihten erhält, sind weder mit der Erhebung zu den himmlischen Planeten noch mit der Befreiung aus der materiellen Energie zu vergleichen.«

Śrī Kṛṣṇa gab Arjuna in der Bhagavad-gītā die vertraulichste Unterweisung, als Er im 64. und 65. Vers des Achtzehnten Kapitels sagte: »Mein lieber Arjuna, du bist Mein lieber Freund und Geweihter, und deshalb offenbare Ich dir dieses überaus vertrauliche Wissen: Denke ständig an Mich, und werde Mein Geweihter, verehre Mich ohne Unterlaß, und werde eine Mir hingegebene Seele. Das ist der einzige Weg, auf dem du in Mein Reich gelangen kannst. Ich offenbare dir hiermit den vertraulichsten Teil des Wissens, weil du Mein lieber Freund bist.«

Diese direkte Anweisung von Kṛṣṇa an Arjuna ist wichtiger als jede vedische Vorschrift oder jeder regulierte Dienst. Natürlich gibt es viele vedische Unterweisungen, die uns z. B. rituelle Handlungen, Opferdarbringungen, regulierte Pflichten, Meditation und spekulative Betrachtung vorschreiben. Kṛṣṇas direkte Anweisung, »Gib alles auf, werde Mein Geweihter, und verehre Mich ständig«, sollte jedoch als maßgebend angenommen und erfüllt werden.

Wenn man von der Bedeutsamkeit der direkten Unterweisung des Herrn in der Bhagavad-gītā überzeugt ist, Geschmack am hingebungsvollen Dienen bekommt und schließlich alle anderen Beschäftigungen aufgibt, wird man ohne Zweifel erfolgreich sein. Bestätigend erklärt das Śrīmad-Bhāgavatam, daß man den anderen Wegen zur Selbstverwirklichung nur so lange folgen sollte, wie man noch nicht von der direkten Anweisung des Herrn, Śrī Kṛṣṇa, überzeugt ist. Im Śrīmad-Bhāgavatam und in der Bhagavad-gītā wird unmißverständlich gesagt, daß die direkte Anweisung des Herrn lautet, alles andere aufzugeben und Ihm mit Hingabe zu dienen. Führt man diese Anweisung mit Vertrauen aus, hat man Glauben entwickelt. Glaube bedeutet, fest davon überzeugt zu sein, daß durch den hingebungsvollen Dienst für Kṛṣṇa alle anderen Methoden der Selbstverwirklichung gleichzeitig mitausgeführt werden - auch die regulierenden Prinzipien der rituellen Pflichten, die Opferungen, die Ausübung von yoga und das spekulative Ansammeln von Wissen. All dies ist erfüllt, wenn man davon überzeugt ist, daß das hingebungsvolle Dienen für den Herrn alle anderen Vorgänge einschließt. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird in diesem Zusammenhang im 31. Kapitel des Vierten Cantos gesagt: »Wie die Äste, Zweige, Blätter und Früchte eines Baumes ernährt werden, wenn man die Wurzel begießt, und wie der gesamte Körper versorgt wird, wenn man dem Magen Nahrung zuführt, so werden einfach durch hingebungsvolles Dienen für Kṛṣṇa alle anderen Arten der Verehrung und Methoden der Erkenntnis gleichzeitig mit zur Vollendung gebracht.« Wer von dieser Tatsache fest überzeugt ist und auf den Höchsten Herrn vertraut, kann auf die Stufe des reinen Gottgeweihten erhoben werden.

Die Gottgeweihten kann man je nach dem Grad ihrer Überzeugung in drei Gruppen einteilen: Der erstklassige Gottgeweihte ist mit den vedischen Schriften wohlvertraut und besitzt zugleich die obengenannte feste Überzeugung. Ein solcher erstklassiger Gottgeweihter kann jeden von den Qualen der materiellen Leiden erlösen. Der zweitklassige Gottgeweihte ist zwar fest überzeugt und hat auch einen starken Glauben, doch ist er nicht imstande, aus den offenbarten Schriften zu zitieren. Der drittklassige Gottgeweihte besitzt keinen starken Glauben und kennt auch nicht die Schriften, doch kann er durch die allmähliche Entwicklung der dienenden Hingabe zu einem zweitklassigen oder sogar erstklassigen Gottgeweihten werden.

Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 2. Kapitel des Elften Cantos gesagt, daß der erstklassige Gottgeweihte den Höchsten Herrn stets im Herzen der Lebewesen sieht. Er sieht daher immer Kṛṣṇa und nichts als Kṛṣṇa. Ein Gottgeweihter, der all sein Vertrauen in den Höchsten Persönlichen Gott setzt, mit den reinen Gottgeweihten Freundschaft schließt, den unschuldigen Menschen freundlich gesinnt ist und jene meidet, die atheistisch oder gegen das gottgeweihte Dienen sind, wird ein zweitklassiger reiner Gottgeweihter genannt. Und ein Mensch, der dem Herrn nach den Anweisungen des geistigen Meisters oder gemäß der Familientradition in Hingabe dient und die göttliche Figur des Herrn im Tempel verehrt, ohne jedoch viel über hingebungsvolles Dienen zu wissen, und ohne erkennen zu können, wer ein Gottgeweihter und wer ein Nichtgottgeweihter ist - solch ein Mensch wird ein drittklassiger reiner Gottgeweihter genannt. Der letztgenannte ist im Grunde noch kein reiner Gottgeweihter. Er hat zwar fast die Stufe der Hingabe erreicht, doch ist er noch nicht allzu standfest.

Die Erklärung hierfür lautet, daß ein Mensch erst dann zu den reinen Gottgeweihten gezählt werden kann, wenn er Liebe zu Gott, Freundschaft gegenüber den Gottgeweihten, Güte gegenüber den Unschuldigen und Zurückhaltung gegenüber den Nicht-Gottgeweihten zeigt. Wenn ein solcher Mensch Fortschritte im hingebungsvollen Dienen macht, kann auch er schließlich erkennen, daß jedes Lebewesen ein Teil des Höchsten ist. Wenn er in jedem Lebewesen die Höchste Person zu sehen vermag, gibt es für ihn keinen Unterschied mehr zwischen Gottgeweihten und Nicht-Gottgeweihten. Er sieht jeden als Diener des Herrn an. Ein reiner Gottgeweihter entwickelt nach und nach alle wertvollen Eigenschaften, während er im Kṛṣṇa-Bewußtsein beschäftigt ist und Kṛṣṇa in Liebe und Hingabe dient. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 18. Kapitel des Fünften Cantos gesagt: »Jeder, der die Stufe der reinen, unverfälschten Hingabe erreicht, entwickelt alle guten Eigenschaften der Halbgötter; doch jemand, der keine reine Hingabe entwickelt, geht zwangsläufig, trotz seiner materiellen Fähigkeiten, in die Irre, da er sich auf der verstandesmäßigen Ebene in Spekulationen verliert.

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