Ein kurzer Abriß des Lebens und der Lehren
Śrī Caitanyas, des Predigers des Śrīmad-Bhāgavatam

(vom Śrīmad-Bhāgavatam, Erster Canto - Erster Teil)
A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda


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Prediger des Śrīmad-Bhāgavatam

Einleitung

Śrī Caitanya Mahāprabhu, der große Apostel der Gottesliebe und Vater des gemeinsamen Chantens der Heiligen Namen des Herrn, erschien in dieser Welt in Śrīdhāma Māyāpura, einem Viertel der Stadt Navadvīpa in Bengalen, am Phālgunī-Pūrṇimā-Abend des Jahres 1407 Śakābda (was dem Februar 1486 in christlicher Zeitrechnung entspricht).

Śrī Caitanya, der Prediger des Śrīmad-Bhāgavatam

Sein Vater, Śrī Jagannātha Miśra, ein gelehrter brāhmana aus Sylhet, kam als Studierender nach Navadvīpa, das zu jener Zeit als Zentrum der Bildung und Kultur galt. Er wurde am Ufer der Gaṅgā wohnhaft, nachdem er Śrīmatī Śacīdevī, eine Tochter des großen Gelehrten Śrīla Nilāmbara Cakravarti aus Navadvīpa, geheiratet hatte.

Jagannātha Miśra wurden von seiner Frau Śrīmatī Śacīdevī eine Anzahl von Töchtern geboren, von denen die meisten in jungen Jahren verstarben. Seine väterliche Zuneigung richtete sich somit auf zwei am Leben gebliebene Söhne, Śrī Viśvarūpa und Viśvambhara. Der zehnte und jüngste Sohn, Viśvambhara genannt, wurde später als Nimāi Paṇḍita und dann, nachdem Er in den Lebensstand der Entsagung getreten war, als Śrī Caitanya Mahāprabhu bekannt.

Śrī Caitanya Mahāprabhu offenbarte achtundvierzig Jahre lang Seine transzendentalen Tätigkeiten und verließ die Erde dann im Jahre 1455 Śakābda in Purī.

Die ersten vierundzwanzig Jahre Seines Lebens verbrachte Er als Studierender und Haushälter in Navadvīpa. Seine erste Frau, Śrīmatī Lakṣmīpriyā, verstarb in jungen Jahren, als Sich der Herr gerade auf einer Reise durch Ostbengalen befand.

Nach Seiner Rückkehr wurde Er von Seiner Mutter gebeten, ein zweites Mal zu heiraten. Er war damit einverstanden und heiratete Śrīmatī Viṣṇupriyā Devī, die sich ihr ganzes Leben lang mit der Trennung vom Herrn abfinden mußte, da Er im Alter von vierundzwanzig Jahren in den sannyāsa-Stand trat, als sie gerade sechzehn Jahre alt war. Nachdem der Herr sannyāsī geworden war, wählte Er Sich auf Wunsch Seiner Mutter, Śrīmatī Śacīdevī, Jagannātha Purī zum Hauptsitz. Der Herr blieb vierundzwanzig Jahre lang in Purī. Während dieser Zeit reiste Er sechs Jahre lang ständig durch ganz Indien, besonders durch den Süden des Landes, und predigte das Śrīmad-Bhāgavatam.

Śrī Caitanya predigte nicht nur das Śrīmad-Bhāgavatam, sondern verbreitete außerdem die Lehre der Bhagavad-gītā, so daß sie jedem zugänglich wurde. In der Bhagavad-gītā wird Śrī Kṛṣṇa als die Absolute Persönlichkeit Gottes beschrieben, und Seine letzten Lehren in diesem bedeutenden Buch transzendentalen Wissens fordern dazu auf, alle Arten von Religionen aufzugeben und Ihn (Śrī Kṛṣṇa) als den einzig zu verehrenden Herrn anzunehmen. Der Herr versicherte zugleich, daß Er Seine Geweihten vor allen Arten sündhafter Handlungen beschützen werde und daß es für sie keinen Anlaß zur Furcht gebe. Unglücklicherweise hielten weniger intelligente Menschen Śrī Kṛṣṇa trotz Seiner direkten Unterweisungen und entgegen den Lehren der Bhagavad-gītā für nicht mehr als eine bedeutende historische Persönlichkeit, und daher konnten sie Ihn nicht als die ursprüngliche Persönlichkeit Gottes anerkennen. Solche Menschen mit geringem Wissensumfang wurden von vielen Nichtgottgeweihten irregeführt. Somit wurden die Lehren der Bhagavad-gītā selbst von großen Gelehrten falsch ausgelegt. Nachdem Śrī Kṛṣṇa nicht mehr persönlich anwesend war, gab es Hunderte von Kommentaren zur Bhagavad-gītā, von vielen belesenen Gelehrten verfaßt, die alle nur ihre eigenen Ziele verfolgten.

Śrī Caitanya Mahāprabhu ist derselbe Śrī Kṛṣṇa. Dieses Mal erschien Er jedoch als großer Geweihter des Herrn, um den Menschen im allgemeinen, den Religionswissenschaftlern und den Philosophen über die transzendentale Stellung Śrī Kṛṣṇas, des urersten Herrn und der Ursache aller Ursachen, zu predigen. Die Essenz Seines Predigens ist, daß Śrī Kṛṣṇa, der in Vrajabhūmi (Vṛndāvana) als der Sohn des Königs von Vraja (Nanda Mahārāja) erschien, die Höchste Persönlichkeit Gottes ist und deshalb von allen verehrt werden muß. Vṛndāvana-dhāma ist nicht verschieden vom Herrn, weil der Name, der Ruhm, die Gestalt des Herrn und der Ort, an dem Er Sich offenbart, mit dem Herrn als absolutes Wissen identisch sind. Deshalb ist Vṛndāvana-dhāma ebenso verehrenswert wie der Herr Selbst. Die höchste Form transzendentaler Verehrung wurde von den Mädchen von Vrajabhūmi in Form von reiner Zuneigung zum Herrn gezeigt, und Śrī Caitanya Mahāprabhu empfiehlt diesen Vorgang als die vortrefflichste Art der Verehrung. Er erkennt das Śrīmad-Bhāgavata-Purāṇa als die makellose Schrift an, die zum Verständnis des Herrn führt, und verkündete, daß das endgültige Ziel des Lebens für alle Menschen darin besteht, die Stufe der prema, der reinen Liebe zu Gott, zu erreichen.

Viele Geweihte Śrī Caitanyas, wie Śrīla Vṛndāvana dāsa Ṭhākura, Śrī Locana dāsa Ṭhākura, Śrīla Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī, Śrī Kavikarṇapūra, Śrī Prabodhānanda Sarasvatī, Śrī Rūpa Gosvāmī, Śrī Sanātana Gosvāmī, Śrī Raghunātha Bhaṭṭa Gosvāmī, Śrī Jīva Gosvāmī, Śrī Gopāla Bhaṭṭa Gosvāmī, Śrī Raghunātha dāsa Gosvāmī, und in späterer Zeit, in den letzten zweihundert Jahren, Śrī Viśvanātha Cakravartī Ṭhākura, Śrī Baladeva Vidyābhūṣaṇa, Śrī Śyāmānanda Gosvāmī, Śrī Narottama dāsa Ṭhākura, Śrī Bhaktivinoda Ṭhākura und schließlich Śrī Bhaktisiddhānta Sarasvatī Ṭhākura (unser spiritueller Meister) und viele andere große und berühmte Gelehrte und Geweihte des Herrn, haben umfangreiche Bücher und Schriften über das Leben und die Unterweisungen des Herrn geschrieben. Diese Schriften beruhen alle auf den śāstras, wie den Veden, den Purāṇas, den Upanisaden, dem Rāmāyaṇa, dem Mahābhārata und anderen authentischen Schriften, die von den anerkannten ācāryas akzeptiert werden. Sie sind von einzigartigem Aufbau und unerreichter Darstellungskraft und voll transzendentalen Wissens. Unglücklicherweise sind diese Schriften, die größtenteils in Sanskrit und Bengali verfaßt sind, den meisten Menschen unbekannt, aber wenn sie schließlich das Licht der Welt erblicken und der denkenden Menschheit vorgelegt werden, dann wird Indiens Ruhm und die Botschaft der Liebe diese kranke Welt überfluten, die mit verschiedenen illusorischen Methoden, die nicht von den ācāryas in der Schülernachfolge empfohlen werden, vergeblich nach Frieden und Wohlstand sucht. Die Leser dieser kleinen Schilderung des Lebens und der Lehren Śrī Caitanyas werden großen Nutzen daraus ziehen, die Bücher Śrīla Vṛndāvana dāsa Ṭhākuras (Śrī Caitanya-bhāgavata) und Śrīla Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmīs (Śrī Caitanya-caritāmṛta) zu studieren. Die Jugendzeit des Herrn wird am faszinierendsten vom Verfasser des Śrī Caitanya-bhāgavata dargestellt, und was die Lehren betrifft, so werden sie anschaulicher im Śrī Caitanya-caritāmṛta dargelegt. In geraffter Form sind sie der englisch sprechenden Öffentlichkeit in unserem Werk Teachings of Lord Caitanya zugänglich. Die Jugendzeit des Herrn wurde von einem Seiner bedeutendsten Geweihten und Altersgenossen, dem Arzt Śrīla Murāri Gupta, aufgezeichnet und der spätere Teil des Lebens Śrī Caitanya Mahāprabhus wurde von Seinem Privatsekretär, Śrī Dāmodara Gosvāmi, auch Śrīla Svarūpa Dāmodara genannt, niedergeschrieben, der in Purī praktisch ein ständiger Begleiter des Herrn war. Diese beiden Gottgeweihten zeichneten so gut wie alle Ereignisse im Leben des Herrn auf, und später wurden alle oben genannten Bücher über den Herrn auf der Grundlage der kadacās (Aufzeichnungen) von Śrīla Dāmodara Gosvāmi und Murāri Gupta zusammengestellt.

Der Herr erschien also am Phālguni-Pūrṇimā-Abend des Jahres 1407 Śakābda, und es geschah durch den Willen des Herrn, daß an jenem Abend eine Mondfinsternis herrschte. Unter der Hindubevölkerung ist es Brauch, während der Stunden der Mondfinsternis ein Bad in der Gaṅgā oder in einem anderen heiligen Fluß zu nehmen und zur Läuterung vedische mantras zu chanten. Als Śrī Caitanya während der Mondfinsternis geboren wurde, hallte ganz Indien vom heiligen Klang »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare / Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« wider. Diese sechzehn Namen des Herrn werden in vielen Purāṇas und Upanisaden erwähnt, und sie werden als das Tāraka-brahma nāma des gegenwärtigen Zeitalters bezeichnet. Es wird in den śāstras gesagt, daß das Chanten dieser Heiligen Namen ohne Vergehen eine gefallene Seele aus der Gefangenschaft in der Materie befreien kann. Es gibt unzählige Namen des Herrn, in Indien wie auch außerhalb, und jeder dieser Namen ist gleichermaßen gut, weil sie alle die Höchste Persönlichkeit Gottes bezeichnen. Aber weil die obengenannten sechzehn besonders für das jetzige Zeitalter empfohlen sind, sollten die Menschen ihren Nutzen aus ihnen ziehen und dem Pfad der großen ācāryas folgen, die durch Befolgen der in den śāstras niedergelegten Regeln erfolgreich waren.

Daß der Herr während einer Mondfinsternis erschien, deutet auf Seine besondere Mission hin, die darin bestand, die Bedeutsamkeit des Chantens der Heiligen Namen Gottes im Zeitalter des Kali (des Zankes) zu predigen. Im gegenwärtigen Zeitalter streitet man sich sogar wegen Kleinigkeiten, und deshalb haben die śāstras für dieses Zeitalter einen allgemeingültigen Weg zur Selbstverwirklichung empfohlen — das Chanten der Heiligen Namen des Herrn. Die Menschen können Treffen veranstalten, um den Herrn in ihren jeweiligen Sprachen und mit wohlklingender Musik zu lobpreisen. Wenn solche Veranstaltungen ohne Vergehen abgehalten werden, ist es sicher, daß die Teilnehmer allmählich die spirituelle Vollkommenheit erreichen werden, ohne sich härteren Methoden unterziehen zu müssen. Der Gelehrte und der Narr, der Reiche wie der Arme, Hindus wie Moslems, Engländer und Inder, der candāla wie auch der brāhmana — sie alle können bei solchen Treffen die transzendentalen Klänge hören und so den Staub, der sich durch die Verbindung mit der Materie angesammelt hat, vom Spiegel des Herzens wischen. Um die Botschaft des Herrn zu bestätigen, werden alle Menschen der Welt den Heiligen Namen des Herrn als die gemeinsame Grundlage für die universale Religion der Menschheit annehmen. Die Ankunft des Heiligen Namens also fand, mit anderen Worten, mit der Ankunft Śrī Caitanya Mahāprabhus statt.

 


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